01.06.2015 Aufrufe

inter|esse 2/2015

In der Ausgabe 2/2015 widmet sich inter|esse folgenden Schwerpunkten: Deutschland braucht eine Demografie-Strategie, Wachstum durch Zuwanderung, Wachstum durch Investitionen in die Infrastruktur und unterschätzte Lebenserwartung.

In der Ausgabe 2/2015 widmet sich inter|esse folgenden Schwerpunkten: Deutschland braucht eine Demografie-Strategie, Wachstum durch Zuwanderung, Wachstum durch Investitionen in die Infrastruktur und unterschätzte Lebenserwartung.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>inter|esse</strong><br />

Ausgabe 2 ◆ <strong>2015</strong><br />

Daten – Fakten – Hintergründe<br />

Schwerpunkt: Demografie und Wachstum<br />

Wachstum durch Zuwanderung S. 3<br />

Wachstum durch Investitionen<br />

in die Infrastruktur S. 6<br />

Unterschätzte Lebenserwartung S. 8<br />

Dr. Michael Kemmer<br />

Deutschland braucht eine Demografie-Strategie<br />

Wir erleben hierzulande gerade einen Neustart in der<br />

Demografie-Debatte. Zaghaft und reichlich spät, angesichts<br />

der Tatsache, dass die Fakten des demografischen<br />

Wandels seit langem bekannt sind. Immerhin scheint in<br />

Politik und Gesellschaft inzwischen jedoch die Botschaft<br />

angekommen zu sein, dass sich etwas ändern muss, soll<br />

der wirtschaftliche Wohlstand auch in der alternden<br />

Gesellschaft erhalten bleiben. Was jetzt Not tut, ist die<br />

in den verschiedenen Bereichen erforderlichen Maßnahmen<br />

in einer übergreifenden Demografie-Strategie<br />

zu bündeln und aufeinander abzustimmen.<br />

In der letzten Dekade war die deutsche Wirtschaftspolitik<br />

im Wesentlichen eine Politik der kleinen Schritte. Dies<br />

war zu Zeiten der Finanzkrise und danach angemessen<br />

und sehr erfolgreich. Die demografischen Veränderungen<br />

werden Wirtschaft und Gesellschaft künftig aber noch<br />

viel tiefgreifender umwälzen. Bis zum Jahr 2030 wird in<br />

Deutschland trotz der zuletzt gestiegenen Zuwanderung<br />

die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um mehr als 7<br />

Mio. Personen schrumpfen. Neben dem verfügbaren Arbeitsangebot<br />

werden sich aber auch Potenzialwachstum<br />

und Sparverhalten in einer Weise verändern, die ein spürbar<br />

geringeres Wirtschaftswachstum zur Folge haben<br />

wird. Unter negativen Rahmenbedingungen könnte das<br />

sogar zu einer länger anhaltenden Stagnation führen.<br />

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Wir haben uns in<br />

Deutschland aber offenbar schon zu lange an die schlechten<br />

Nachrichten gewöhnt und laufen Gefahr, dass es uns<br />

wie dem berühmten Frosch ergeht, der im nur allmählich<br />

wärmer werdenden Wasser sitzen bleibt – und verendet.<br />

Auch die demografischen Veränderungen vollziehen<br />

sich relativ langsam. Das sollte uns jedoch nicht darüber<br />

hinwegtäuschen, dass die „Umgebungstemperatur“<br />

schon deutlich angestiegen ist: Die Zahl der Lehrlinge


sinkt bereits. Unternehmen klagen vermehrt, dass Ausbildungsplätze<br />

nur noch schwer zu besetzen sind. Mit<br />

zeitlicher Verzögerung wird die Zahl der Hochschulabsolventen<br />

folgen. Dabei sind die Menschen, die im Jahr<br />

2030 als Facharbeiter und Ingenieure den Wohlstand<br />

im Hochtechnologie-Standort Deutschland sichern<br />

sollen, heute bereits geboren; mit ihnen steht ein so<br />

geringeres Mengenpotenzial zur Verfügung wie hierzulande<br />

niemals zuvor.<br />

Ist damit der wirtschaftliche Abstieg Deutschlands unvermeidlich<br />

vorgezeichnet? Nicht, wenn es gelingt, die<br />

Wachstumsdynamik auch der alternden Gesellschaft<br />

zu erhöhen. Um im Bild zu bleiben: Wir müssen jetzt<br />

schnell aus dem warmen Wasser springen und die demografischen<br />

Folgeprobleme anpacken. Dazu bedarf es<br />

einer kohärenten Strategie, die die Wachstumsdynamik<br />

der Wirtschaft in den Mittelpunkt stellt – und zwar in<br />

allen relevanten Politikfeldern. Das sind neben der Arbeitsmarktpolitik<br />

insbesondere auch die Gesundheits-,<br />

Renten-, Finanz-, Regional- und Bildungspolitik. Allein<br />

das Ziel, das Arbeitspotenzial in der schrumpfenden Gesellschaft<br />

besser auszuschöpfen, betrifft so unterschiedliche<br />

Bereiche wie eine intelligente Zuwanderungspolitik<br />

(s. Interview S. 3ff.), die bessere Vereinbarkeit von<br />

Beruf und Familie, eine verstärkte Aus- und Weiterbildung<br />

oder die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, etwa<br />

durch einen flexibleren Übergang in den Ruhestand.<br />

Zwischen den Einzelmaßnahmen besteht oftmals eine<br />

hohe Interdependenz. Noch einmal das Beispiel Bildung:<br />

Wenn wir sicherstellen wollen, dass wir im Jahr<br />

2030 über eine ausreichende Anzahl von Ingenieuren<br />

verfügen, dann müssen wir heute dafür sorgen, dass<br />

möglichst viele Jugendliche einen qualifizierten Schulabschluss<br />

erreichen, dass das Interesse an mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Fächern steigt, dass die<br />

Qualität der Hochschulausbildung in der internationalen<br />

Spitze mithalten kann, und dass sowohl Unternehmen<br />

zu eigenen F&E-Anstrengungen als auch junge<br />

Hochschulabsolventen zur Unternehmensgründung ermutigt<br />

werden.<br />

Eine bessere frühkindliche Bildung wird auch nur dann<br />

Früchte tragen und zu mehr Ingenieuren führen, wenn<br />

in den Schulen und Universitäten die notwendigen Voraussetzungen<br />

geschaffen werden. Wir müssen den demografischen<br />

Wandel insofern noch viel stärker als eine<br />

einheitliche strategische Aufgabe verstehen.<br />

Soll die Wirtschaft dynamischer wachsen und innovativer<br />

werden, geht dies nicht ohne ein beträchtliches Ausmaß<br />

an neuen Investitionen (s. Beitrag S. 6ff.). Auch hierzu<br />

ist inzwischen eine lebhafte und viel versprechende<br />

Debatte in Gang gekommen. Sie darf nicht außer Acht<br />

lassen, dass die Finanzierung von Investitionen gesunde<br />

und ertragsstarke Banken sowie effiziente und stabile<br />

Kapitalmärkte voraussetzt. Die kumulierenden Wirkungen<br />

der Finanzmarktregulierung der zurückliegenden<br />

Jahre sollten vor diesem Hintergrund noch einmal auf<br />

ihren tatsächlichen Nutzen überprüft und gegebenenfalls<br />

nachjustiert werden.<br />

Dr. Michael Kemmer ist Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Vorstandes,<br />

Bundesverband deutscher Banken, Berlin<br />

Die bestehenden Handlungsalternativen sind in den verschiedenen<br />

Politikbereichen weitgehend identifiziert.<br />

Sie sollten jetzt rasch zu einer Wachstumsstrategie zusammengefügt<br />

werden. Gelingt deren Umsetzung, besteht<br />

die berechtigte Hoffnung, dass die negativen Auswirkungen<br />

des demografischen Wandels durch einen<br />

längerfristig höheren Wachstumspfad ausgeglichen<br />

oder zumindest abgemildert werden können. Es führt<br />

kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Demografie-Politik<br />

ist im Kern Wachstumspolitik.<br />

2 <strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong>


ankenverband<br />

Wachstum durch Zuwanderung<br />

Der Reflex aus Zeiten sehr hoher Arbeitslosigkeit, wonach<br />

Zuwanderung von Arbeitskräften vorwiegend mit<br />

ökonomischen Nachteilen verbunden wurde, ist auf<br />

dem Rückzug. Es wächst die Erkenntnis, dass Deutschland<br />

mit dem demografischen Wandel zunehmend auf<br />

Zuwanderung angewiesen ist. Was tatsächlich Arbeitsmigration<br />

für uns volkswirtschaftlich bedeutet und was<br />

auf diesem Feld politisch noch zu leisten ist, erläutert<br />

Prof. Dr. Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds<br />

Bildung, Zuwanderung und Innovation am Institut der<br />

deutschen Wirtschaft Köln, im Interview.<br />

Zuwanderung in den nächsten Jahren wieder etwas abnehmen<br />

wird. Zudem ist ein Teil der Wanderung stets<br />

temporär. Die zuletzt hohe Bruttozuwanderung könnte<br />

in einigen Jahren also auch wieder zu einer höheren Abwanderung<br />

führen.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Wie viele Menschen müssten denn zuwandern,<br />

um den demografisch bedingten Arbeitskräfterückgang<br />

auch längerfristig wett zu machen? Und welche<br />

Auswirkungen sind zu erwarten, wenn es nicht dazu<br />

kommen sollte?<br />

<strong>inter|esse</strong>: Seit 2010 war Deutschland bei der Gewinnung<br />

ausländischer Fachkräfte sehr erfolgreich. In diesem<br />

Zeitraum konnte durch Zuwanderung der „natürliche“<br />

Bevölkerungsrückgang kompensiert werden. Wird<br />

das so weitergehen oder war das nur ein einmaliger<br />

Effekt?<br />

Plünnecke: Die Zuwanderung der letzten Jahre wurde<br />

von einigen Sonderfaktoren begünstigt wie die volle<br />

Freizügigkeit der Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa<br />

und die steigende Arbeitslosigkeit infolge der Finanzkrise<br />

in Südeuropa. Es ist daher zu erwarten, dass die<br />

Plünnecke: Dies hängt sehr davon ab, wie gut es uns<br />

gelingen wird, die inländischen Potenziale bei Älteren<br />

und Frauen noch stärker zu nutzen und die Bildungsarmut<br />

zu reduzieren. Doch selbst wenn es hier erhebliche<br />

Fortschritte gibt, werden wir eher Zuwanderung in aktuellem<br />

Ausmaß benötigen. Mit einer Nettozuwanderung<br />

von lediglich 100.000 pro Jahr würden wir in jedem Fall<br />

zunehmende Fachkräfteengpässe erleben und Wachstumseinbußen<br />

hinnehmen müssen. Gelingt es hingegen,<br />

die Nettozuwanderung dauerhaft um weitere 100.000 zu<br />

erhöhen, so nimmt die Wachstumsdynamik in Deutschland<br />

langfristig um bis zu 0,4 Prozentpunkte zu. Auch die<br />

<strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong> 3


Staatshaushalte würden entlastet. Beides umso mehr, je<br />

qualifizierter die Zuwanderer sein werden.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Damit die Zuwanderung den gewünschten<br />

Beitrag zum Wachstum leistet, müssen also vor allem<br />

qualifizierte Kräfte kommen und solche, an denen es<br />

hierzulande mangelt. Welche Qualifikationen werden bei<br />

uns in der alternden Gesellschaft besonders gefragt sein?<br />

Plünnecke: Aktuell fehlen Fachkräfte vor allem in den Bereichen<br />

Technik und Gesundheit – dies sowohl mit beruflichem<br />

als auch akademischem Abschluss. Berechnungen<br />

bis zum Jahr 2030 zeigen, dass selbst bei einer hohen Zuwanderung<br />

in diesen Bereichen Engpässe bestehen bleiben<br />

oder weiter zunehmen. Positiv ist, dass unter den erwachsenen<br />

Zuwanderern fast ein doppelt so hoher Anteil<br />

eine akademische MINT-Qualifikation besitzt, also über<br />

eine naturwissenschaftlich-technische Ausbildung verfügt,<br />

als in der Gesamtbevölkerung. Durch Zuwanderung<br />

steigt folglich auch das Angebot an Ingenieuren.<br />

Plünnecke: Zunächst geht es darum, für Deutschland als<br />

Einwanderungsland zu werben. Die Internet-Plattform<br />

„Make-it-in-Germany“ beispielsweise ist dafür ein wichtiges<br />

Instrument und wird vor allem von Personen aus<br />

möglichen Zielländern wie Indien und Indonesien besucht.<br />

Seit Beginn der Werbemaßnahmen konnten auch<br />

besonders viele Zuwanderer in den akademischen MINT-<br />

Berufen aus diesen Ländern gewonnen werden. Neben<br />

attraktiven Zuwanderungsregeln ist es auch wichtig,<br />

dass potenzielle Zuwanderer bereits in ihren Heimatländern<br />

die Möglichkeit haben, deutsch zu lernen. Hier leisten<br />

die Goethe-Institute und die Auslandschulen einen<br />

wichtigen Beitrag. Zentral ist ferner die Zuwanderung<br />

über die Hochschulen. Wir wissen aus Untersuchungen,<br />

dass diese Zuwanderer ähnlich erfolgreich am Arbeitsmarkt<br />

Fuß fassen wie inländische Absolventen.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Gibt es noch größere rechtliche oder auch<br />

andere Hindernisse, die die Zuwanderung von Arbeitnehmern<br />

behindern?<br />

<strong>inter|esse</strong>: Die süd- und osteuropäischen Länder werden<br />

in naher Zukunft selbst vom demografischen Wandel betroffen<br />

sein. Gibt es noch andere Regionen, aus denen<br />

Arbeitskräfte künftig vermehrt nach Deutschland kommen<br />

könnten?<br />

Plünnecke: In der Tat kommen die Zuwanderer bisher vor<br />

allem aus den Ländern, die in den kommenden Jahren<br />

selbst starken demografischen Veränderungen unterliegen.<br />

Daher dürfte die Nettozuwanderung aus diesen<br />

Regionen nicht auf dem aktuellen Niveau zu halten sein.<br />

Wichtig ist es daher vor allem, Zuwanderer auch aus Regionen<br />

zu gewinnen, die ein hohes Qualifikationsniveau<br />

und ein hohes Bevölkerungswachstum haben, zum Beispiel<br />

aus Indien und Indonesien. Wanderungsentscheidungen<br />

hängen wiederum von bestehenden Netzwerken<br />

ab. Plakativ formuliert: Inder wandern eher dorthin, wo<br />

schon zuvor Inder zugewandert sind. Deutschland muss<br />

sich folglich besonders anstrengen, sich in diesen Regionen<br />

als Einwanderungsland zu positionieren.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Wie kann Deutschland für qualifizierte Arbeitskräfte<br />

aus dem Ausland noch attraktiver werden?<br />

Plünnecke: Ein großer Teil der Hemmnisse besteht in<br />

administrativen Hürden. So können die Visa-Verfahren<br />

sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Das Problem beginnt<br />

häufig schon damit, dass an Zuwanderung Interessierte<br />

bis zu zwei Monate warten müssen, bis sie<br />

überhaupt einen Termin bei der zuständigen Auslandsvertretung<br />

bekommen. Anders als viele andere Länder<br />

stellt Deutschland den Bewerbern auch keine Informationen<br />

bereit, wie lange das Verfahren typischerweise<br />

dauert. Ein weiteres Problem besteht in der kleinteiligen<br />

Struktur der Ausländerbehörden, von denen es in<br />

jedem Kreis mindestens eine gibt. Das führt dazu, dass<br />

die zuständigen Mitarbeiter häufig mit anderen Migrationsformen<br />

beschäftigt sind und wenig Expertise<br />

bei der Fachkräftezuwanderung haben. Trotzdem entscheidet<br />

ihre Rechtsauffassung in vielen Fällen darüber,<br />

ob ein Aufenthaltstitel erteilt wird oder nicht. Gerade<br />

wenn der rechtliche Rahmen regional unterschiedlich<br />

umgesetzt wird, kann das zu Unsicherheit führen.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Was muss zur besseren Integration der Menschen<br />

noch getan werden, die oft auch mit ihren Familien<br />

nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten?<br />

4 <strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong>


ankenverband<br />

Plünnecke: Bei der Integration von Zuwanderern können<br />

wir in den letzten Jahren deutlich Fortschritte erkennen.<br />

Der Abstand zu Nichtzuwanderern hat bei Bildungserfolg<br />

und Arbeitsmarktzugang abgenommen, und auch<br />

die soziale Integration klappt besser. Dennoch bleibt viel<br />

zu tun. Zum einen sind zusätzlich Sprachkurse für Zuwanderer<br />

auch auf höherem Sprachniveau anzubieten,<br />

insbesondere auf dem C1-Niveau, das in der Regel für<br />

den Zugang zu einem deutschsprachigen Studiengang<br />

vorausgesetzt wird. Zum anderen fehlt es noch an Weiterbildungsangeboten,<br />

um notwendige Nachqualifizierungen<br />

zu ermöglichen.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Es gibt seit Jahren Diskussionen, ob Deutschland<br />

ein Einwanderungsgesetz braucht. Brauchen wir<br />

es? Und, wenn ja, was müsste es regeln?<br />

Plünnecke: Wir benötigen ein Einwanderungsgesetz,<br />

das neben den aktuellen eher nachfrageorientierten<br />

Elementen auch ein Mehr an Potenzialzuwanderung<br />

ermöglicht. Hochqualifizierte, die besonders gut nach<br />

Deutschland passen, könnte der Zugang damit ermöglicht<br />

werden, auch wenn kein konkretes der Qualifikation<br />

entsprechendes Stellenangebot vorliegt. Viele<br />

Einwanderungsländer steuern solch eine angebotsorientierte<br />

Zuwanderung über ein Punktesysteme und<br />

maximale Zulassungsquoten. Dies könnte auch Deutschland<br />

helfen, die Folgen des demografischen Wandels<br />

abzufedern.<br />

<strong>inter|esse</strong>: Wie beurteilen Sie die Chancen, dass ein solches<br />

Gesetz bald kommen wird? Ist ein politischer Konsens<br />

in der Großen Koalition absehbar?<br />

Plünnecke: Schnelle Lösungen sind nicht zu erwarten.<br />

Aber Deutschland bekennt sich ja immer klarer dazu, ein<br />

Einwanderungsland zu sein. Da wäre es nur konsequent,<br />

dem auch in einem Gesetz Ausdruck zu verleihen, die<br />

Regelungen weiter zu verbessern und so ein Willkommenssignal<br />

für qualifizierte Zuwanderer zu senden. Qualifizierte<br />

Zuwanderung stärkt die Wirtschaftskraft und<br />

verbessert die Lage der öffentlichen Kassen; sie erhöht<br />

den Wohlstand in Deutschland. Hierzu sollte ein Konsens<br />

möglich sein.<br />

Prof. Dr. Axel Plünnecke, geboren 1971 in Salzgitter, ist Leiter des Kompetenzfelds<br />

Bildung, Zuwanderung und Innovation am Institut der deutschen<br />

Wirtschaft Köln (IW). Dort ist er seit 2003 beschäftigt. Zuvor hat er<br />

an der Universität Göttingen Volkswirtschaftslehre studiert und wurde<br />

im Jahr 2002 an der Technischen Universität Braunschweig promoviert.<br />

IW-Frühjahrstagung <strong>2015</strong><br />

Zuwanderung und Integration:<br />

Mehr Wachstum für Deutschland<br />

Am 16. April <strong>2015</strong>, 11.30-13.30 Uhr<br />

Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund<br />

Luisenstraße 18 ∙ 10117 Berlin<br />

PROGRAMM<br />

11.30 Uhr | Begrüßung<br />

Dr. Knut Bergmann, Leiter des Hauptstadtbüros<br />

11.40 Uhr | Effekte der Zuwanderung<br />

Was sie volkswirtschaftlich bedeutet<br />

Prof. Dr. Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfeldes<br />

Bildung, Zuwanderung und Innovation<br />

Potenziale der Integration: Was noch zu tun ist<br />

Dr. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer und Leiter<br />

des Wissenschaftsbereichs<br />

Optionen des Zuwanderungsrechts: Warum ein<br />

Zuwanderungsgesetz sinnvoll ist<br />

Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor<br />

Diskussion<br />

Anschließend Imbiss<br />

<strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong> 5


Wachstum durch Investitionen in die Infrastruktur<br />

Die Bereitstellung einer modernen öffentlichen Infrastruktur<br />

in den Bereichen Verkehr, Kommunikation und<br />

Energie ist eine wesentliche Voraussetzung für wirtschaftliches<br />

Wachstum. Höhere – auch private – Investitionen<br />

auf diese Felder zu lenken, entspricht daher<br />

nicht nur dem dringenden Modernisierungsbedarf,<br />

sondern wirkt auch dem tendenziell abflachenden<br />

Wachstumspotential in einer alternden Gesellschaft<br />

entgegen.<br />

Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind vor allem<br />

deshalb für das Wachstum des Produktionspotenzials<br />

wichtig, weil sie oft eine Vorleistung für die private<br />

Investitionstätigkeit bilden. Indem sie die Standortattraktivität<br />

verbessern, wirken sie als Treiber für private<br />

Investitionen.<br />

bei Fernstraßen inklusive der Brücken besonders in den<br />

westlichen Bundesländern bereits ein erheblicher Sanierungsbedarf<br />

festzustellen. Die Herausforderung liegt<br />

hier weniger in einem weiteren Ausbau der Straßenverkehrsinfrastruktur,<br />

sondern vielmehr in der Erhaltung<br />

und Verbesserung ihrer Qualität.<br />

Bei der Breitbandinfrastruktur besteht die Aufgabe hingegen<br />

darin, die vorhandenen Kommunikationsnetze<br />

zu ergänzen und gleichzeitig durch neue Technologien<br />

höhere Qualitäten zu erreichen. Die Beschleunigung<br />

des Datentransfers wäre ein wichtiger Standortfaktor<br />

für die Unternehmen in Deutschland. Die Netze müssten<br />

dafür kontinuierlich an die fortschreitende technologische<br />

Entwicklung bei der schnellen Datenübertragung<br />

angepasst werden.<br />

Niveau und Qualität der bestehenden Infrastruktur in<br />

Deutschland gehören noch immer zu dessen Standortvorteilen.<br />

Allerdings können sie nur gesichert werden,<br />

wenn die Infrastrukturinvestitionen in den kommenden<br />

Jahren deutlich angehoben werden. So ist etwa<br />

Die Stromversorgung und die dahinter liegende Netzinfrastruktur<br />

in Deutschland sind im internationalen Vergleich<br />

sicher in keinem schlechten Zustand. Infolge der<br />

Energiewende stellen sich jedoch neue Aufgaben. So<br />

soll die Stromerzeugung in den nächsten Jahrzehnten<br />

6 <strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong>


ankenverband<br />

mehr und mehr auf kohlenstofffreie Energieträger umgestellt<br />

werden. Da erneuerbare Energie durch Nutzung<br />

von Wind und Sonne weitgehend dezentral gewonnen<br />

wird und die erzeugten Mengen mit den natürlichen<br />

Gegebenheiten stärker schwanken, müssen die Stromnetze<br />

zur Sicherung der Versorgungssicherheit entsprechend<br />

angepasst werden.<br />

Um das heutige Wohlstandsniveau auch in Zukunft<br />

sichern zu können, sind diese Infrastrukturmaßnahmen<br />

dringend notwendig. Der damit verbundene Investitionsbedarf<br />

wird auch grundsätzlich anerkannt.<br />

So will die Bundesregierung etwa für die Erneuerung<br />

von Verkehrswegen noch in der laufenden Legislaturperiode<br />

rund 5 Mrd. € zusätzlich aus Steuermitteln<br />

zur Verfügung stellen. Dies betrifft aber eben nur den<br />

Verkehrssektor und bewegt sich in einer Größenordnung,<br />

die kaum ausreichen dürfte. Berechnungen des<br />

IWF aus dem vergangenen Jahr legen der Bundesregierung<br />

eine massive Ausweitung der Infrastrukturinvestitionen<br />

auf rund 54 Mrd. € über die kommenden<br />

vier Jahre nahe. Und auch das Institut der deutschen<br />

Wirtschaft sieht den Investitionsbedarf mit 120 Mrd. €,<br />

verteilt über die kommenden zehn Jahre, in einer ähnlichen<br />

Größenordnung.<br />

Angesichts knapper öffentlicher Mittel einerseits und<br />

des hohen Investitionsbedarfs andererseits, ist es nur<br />

folgerichtig, dass aktuell auch über neue Lösungsansätze<br />

diskutiert wird, wie privates Kapital einbezogen werden<br />

kann. Das wäre sehr sinnvoll und könnte zu effizienteren<br />

Lösungen führen. Es ersetzt allerdings nicht den<br />

Einsatz öffentlicher Mittel. Auch müssen die Rahmenbedingungen<br />

für privatwirtschaftliche Investoren insofern<br />

stimmen, als diese gezwungen sind, bei allen Projekten<br />

mit einer Rendite zu kalkulieren. Während die klassische<br />

staatliche Finanzierung öffentlicher Infrastruktur über<br />

Haushaltsmittel „nur“ eine volkswirtschaftliche Rentabilität<br />

erfordert, müssen private Investitionen immer auch<br />

betriebswirtschaftlich rentabel sein.<br />

Banken leisten schon heute einen wichtigen Beitrag zur<br />

Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen. Allerdings<br />

können spezielle großvolumige und langfristige Projekte<br />

von den Banken nicht alleine gestemmt werden.<br />

Sie benötigen dazu weitere Partner, insbesondere institutionelle<br />

Investoren. Damit diese eingebunden werden<br />

können, bedarf es Finanzierungsstrukturen, die es<br />

ihnen ermöglicht entweder als Refinanzierer oder aber<br />

direkt als Eigenkapital- oder Fremdkapitalgeber aufzutreten.<br />

Grundsätzlich sind Infrastrukturinvestitionen als langfristig<br />

angelegte Assetklasse durchaus attraktiv, da sie<br />

in der Regel eine höhere Verzinsung als Unternehmensanleihen<br />

bieten. Zudem gelten Infrastrukturkredite als<br />

vergleichsweise risikoarme Investments, da sie eine geringere<br />

Kreditausfallwahrscheinlichkeit als etwa Unternehmensfinanzierungen<br />

aufweisen.<br />

In jedem Fall bringt die Übertragung des unternehmerischen<br />

Risikos bei Infrastrukturinvestitionen auf Private<br />

wichtige Vorteile für die öffentliche Hand mit sich: Kostenund<br />

Terminsicherheit, eine höhere Effizienz und Qualität.<br />

Voraussetzung sind stabile Einnahmen, die durch Steuern<br />

oder Nutzerentgelte gesichert werden. Bei den aktuell<br />

diskutierten Lösungsansätzen geht es aber auch darum,<br />

Fehler, die bei Öffentlich-Privaten-<br />

Partnerschaften (ÖPP) in der Vergangenheit<br />

teilweise gemacht wurden –<br />

Stichwort: unklare Risikoteilung – zu<br />

vermeiden. Sinnvoll wäre es zudem,<br />

durch Pooling von Infrastrukturprojekten<br />

und die Zentralisierung von<br />

Entscheidungsprozessen zu großvolumigeren<br />

Vorhaben zu kommen.<br />

Das würde ökonomisch nachhaltige<br />

Finanzierungslösungen erleichtern,<br />

von denen beide Seiten, öffentliche<br />

wie private Hand, profitieren können.<br />

Weitere Aspekte zum Thema im<br />

Positionspapier des Bankenverbandes<br />

„Nullwachstum – das Schicksal<br />

einer alternden Gesellschaft?“,<br />

unter: bankenverband.de/media/files/<br />

Positionspapier_BdB_Demographie_<br />

Wachstum.pdf<br />

<strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong> 7


Unterschätzte Lebenserwartung<br />

Die meisten Deutschen unterschätzen ihre eigene Lebenserwartung<br />

erheblich. Zu diesem Ergebnis kommt<br />

eine Ipsos-Studie im Auftrag der ERGO-Gruppe. Dabei<br />

ist die Diskrepanz zwischen dem erwarteten und dem<br />

voraussichtlich erreichbaren Lebensalter umso größer,<br />

je jünger die Befragten sind.<br />

dass sie auch ihren Anlage- oder Ruhestandshorizont<br />

weiter fassen und das „Langlebigkeitsrisiko“ stärker bei<br />

ihrer Finanzplanung berücksichtigen sollten.<br />

Gefühlte vs. tatsächliche Lebenserwartung<br />

Während von den 16- bis 39-Jährigen nur 13 Prozent<br />

damit rechnen, ein Lebensalter von mehr als 90 Jahren<br />

Meinen, 90 J. und älter zu werden<br />

Werden 90 J. und älter<br />

zu erreichen, werden voraussichtlich sieben von zehn<br />

71<br />

aus dieser Gruppe dieses Alter tatsächlich erleben. Und<br />

obwohl von den befragten 60- bis 70-Jährigen mehr als<br />

61<br />

54<br />

jeder Fünfte glaubt, über 90 Jahre alt zu werden, unterschätzen<br />

auch in dieser Altersgruppe damit die meisten<br />

noch ihre tatsächliche Lebenserwartung. Diese besagt<br />

nämlich, dass mehr als die Hälfte von ihnen dieses hohe<br />

Alter erreichen wird.<br />

13<br />

14<br />

21<br />

Der positive Umstand, dass die meisten Menschen deutlich<br />

länger leben, als sie das erwarten würden, bedeutet<br />

allerdings mit Blick auf die private Altersvorsorge,<br />

16-39-Jährige 40-59-Jährige 60-70-Jährige<br />

Quelle: Ipsos/DIA; Angaben für privat Rentenversicherte, in Prozent.<br />

Die Weltwirtschaft im Jahr 2050<br />

Wie die Welt von morgen aussehen wird, kann niemand<br />

sicher sagen. Dass sich die Gewichte in der Weltwirtschaft<br />

bis zum Jahr 2050 jedoch deutlich verschieben werden,<br />

steht außer Frage. Die europäischen Staaten werden im<br />

Konzert der größten Volkswirtschaften dann kaum noch<br />

eine Rolle spielen. Zu groß sind die Kräfte, die den Wandel<br />

antreiben: die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung<br />

in den Weltregionen und das auseinanderklaffende<br />

Wachstumstempo. China, die in Kaufkraftparitäten gerechnet<br />

bereits heute größte Volkswirtschaft der Welt,<br />

wird 2050 mit großem Abstand den Spitzenplatz behaupten.<br />

Zu diesem Ergebnis kommt eine Langfristprognose<br />

der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC. Bei den bis<br />

dahin zu erwartenden Veränderungen werden vor allem<br />

asiatische Länder gewinnen: Indien wird demnach die<br />

Vereinigten Staaten überholen, Indonesien macht einen<br />

Sprung vom neunten auf den vierten Rang. Deutschland,<br />

das heute den fünften Platz einnimmt, wird der Studie zufolge<br />

dann auf Platz zehn abgerutscht und nur noch das<br />

einzige europäische Land unter den Top 10 sein.<br />

Impressum | Herausgeber: Bundesverband deutscher Banken e. V., Postfach 040307, 10062 Berlin | Verantwortlich: Iris Bethge<br />

Redaktion: Christian Jung, Telefon +49 30 1663-1293, annette.matthies-zeiss@bdb.de, bankenverband.de<br />

Druck: PieReg Druckcenter Berlin GmbH | Gestaltung: doppel:punkt redaktionsbüro janet eicher, Bonn | Fotos: fotolia, Jochen Zick<br />

8 <strong>inter|esse</strong> 2 ◆ <strong>2015</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!