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Einführung in Meta Vermeer –<br />
Exper<strong>im</strong>entelle Studien über „originale“<br />
<strong>und</strong> manipulierte Bilder<br />
Yasuhiro Sakamoto, Silvia De Toffoli<br />
Die Suche nach einer neuen Medientheorie<br />
Die technische Entwicklung <strong>und</strong> die daraus resultierenden<br />
Änderungen der Kommunikations- bzw. Lebensstils betreffen<br />
nicht nur unser Alltagsleben, sondern auch den Kunst- <strong>und</strong><br />
Kultur bereich.<br />
Wie Walter Benjamin bereits <strong>im</strong> Jahr 1935 in seiner Publikation<br />
<strong>Das</strong> Kunstwerk <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> seiner technischen Reproduzierbarkeit<br />
anhand seines Begriffs Aura über die Eigenschaft des origi nellen<br />
Kunstwerks <strong>und</strong> der massenhaften Reproduktion diskutierte,<br />
wurde das Verhältnis zwischen Menschen <strong>und</strong> Kunstwerken<br />
durch die Entwickelung der damaligen Medientechnik <strong>und</strong> die<br />
neuen optischen Geräten (zum Beispiel Kamera, Film, erste<br />
Fern seh geräte) stark verändert. Zugleich wurde die ein gehende<br />
Diskussion über die Abbildungen durch die Betonung der Originalität,<br />
Wirklich keit <strong>und</strong> Einmaligkeit von Kunstwerken nicht nur<br />
technisch <strong>und</strong> medienwissenschaftlich, sondern auch philosophisch<br />
erweitert.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der neuesten Revolution der Medien <strong>und</strong> dem<br />
damit einhergehenden Generationswechsel der Leitmedien<br />
jedoch stößt die Kunstwelt auf eine große Frage, weil bei einigen<br />
Kunstdar stellungen die von Benjamin erläuterte Originalität<br />
<strong>und</strong> Einmaligkeit schon per se fehlt. Anders gesagt: wenn die<br />
Kunstwerken nicht allein „digitalisiert“, sondern schon „digital“<br />
erzeugt werden, haben sie bereits eine vielfache Originalität<br />
<strong>und</strong> „Vielmaligkeit“.<br />
Diese Tendenz konnte man teilweise schon seit Beginn der<br />
Computerkunst <strong>und</strong> der auf Kommunikationstechnik basierten<br />
Medienkunst beobachten – sie hat sich in den letzten Jahren<br />
jedoch noch verstärkt, sodass man davon ausgehen kann, dass<br />
wegen der zunehmenden Digitalisierung des Alltagslebens<br />
sich die „Öffentlich keit“ einiger Kunstwerke weiter stark verändern<br />
wird, was nach einer neuen Medientheorie verlangt, die diese<br />
Aspekte mit einbezieht – ähnlich wie Benjamin dies für die letzte<br />
Revolution der Medien erfüllt hat.<br />
Die Studie: Meta Vermeer<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> handelt dieser Text über das künstlerische<br />
Bild. Einerseits ist es <strong>im</strong>mer noch eine philosophische Frage –<br />
letztendlich eine rein begriffliche Frage – „Was ist Kunst, was ist<br />
Ästhetik?“. Doch Kunstwerke stammen <strong>im</strong> hier behandelten Fall<br />
von digitalen (codierten) Leitmedien ab <strong>und</strong> werden durch sie<br />
repro duzierbar <strong>und</strong> materialisierbar. <strong>Das</strong> heißt, man kann sie auch<br />
informatorisch fassen <strong>und</strong> ihre Eigenschaften <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />
für Kunstdarstellungen in den neuen sozialen Medien sowie die<br />
Informationsergänzungen <strong>und</strong> die Manipulation der Information <strong>im</strong><br />
Gebrauch dieser Medien diskutieren.<br />
Im Zuge einer medienwissenschaftlichen kompakten Studie<br />
zu dieser Fragestellung wurde ein technisches Installationskunstwerk<br />
namens Meta Vermeer geschaffen.<br />
Der niederländische Maler Johannes Vermeer verwendete<br />
be<strong>im</strong> Malen – folgt man der These Philip Steadmans – eine Camera<br />
Obscura <strong>und</strong> malte in zwei verschiedenen – aber ähnlichen –<br />
Räumen ca. elf Bilder. Die Raumkonstruktion <strong>und</strong> das <strong><strong>Licht</strong>gefüge</strong><br />
dieses Raumes wurden dreid<strong>im</strong>ensional rekonstruiert, um die<br />
Raumkonstruktion <strong>und</strong> das <strong><strong>Licht</strong>gefüge</strong> des originalen Bildes nicht<br />
subjektiv, sondern vollkommen objektiv dynamisch manipulieren<br />
<strong>und</strong> repräsentieren zu können. Die durch den Computer in einer<br />
Raum- <strong>und</strong> <strong>Licht</strong>s<strong>im</strong>ulation erzeugten neuen „Vermeer-Bilder“<br />
werden <strong>im</strong> Sinne von Jean Tinguelys Meta-Serie, wie zum Beispiel<br />
Meta Kandinsky <strong>und</strong> Meta Malevich, Meta Vermeer genannt.<br />
<strong>Das</strong> genauere Ziel dieses „Kunst-Gerätes“ ist, die drei verschiedenen<br />
Blickpunkte seiner elf Bilder (Camera-Obscura-Fokus,<br />
Betrachterstandpunkt <strong>und</strong> <strong>Licht</strong>quelle) durch eine computationale<br />
S<strong>im</strong>ulation miteinander zu verbinden <strong>und</strong> sichtbar zu machen.<br />
<strong>Das</strong> Computerprogramm funktioniert als ein Medium, das die<br />
fehlenden 3D-Informationen des Vermeer-Raumes durch S<strong>im</strong>ulation<br />
ergänzt.<br />
<strong>Das</strong> so repräsentierte Bild wird zusätzlich mit einem Diorama<br />
(einem kleinen Schaukasten) des zugr<strong>und</strong>eliegenden Vermeer-<br />
Raumes verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> gleichzeitig von den vorhandenen Änderungen<br />
<strong>und</strong> Bewegungen (=die unmittelbare Manipulation durch<br />
das Publikum) <strong>im</strong> Raum beeinflusst. So funktionieren die repräsentierten<br />
Vermeer-Bilder als Medium – das Publikum kann so die<br />
Räumlichkeit des Bildes <strong>im</strong> Ausstellungsraum erfahren.<br />
Der Kern dieser Studie besteht darin, wie das Publikum mit<br />
dem originalen Bild <strong>im</strong> Verhältnis mit den repräsentierten Bildern<br />
des Geräts umgeht. <strong>Das</strong> Gerät fungiert als drittes Auge des<br />
Publikums, mit dem sie ein „Meta-Image“ sehen können. Durch<br />
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