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feststellen. * Streiflichtaufnahmen können die Plastizität seiner<br />
Oberflächen deutlich machen <strong>und</strong> zeigen, welche Farbaufträge so<br />
gestaltet sind, dass sie <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Standortlicht<br />
Reflexlichter oder Schatten erzeugen, die in die Gesamtwirkungen<br />
eingehen.<br />
Gegenstände werden nicht ihren tastbaren Umrissen nach<br />
gegeben, sondern eher gemäß ihrer optischen Erscheinung <strong>im</strong><br />
<strong>Licht</strong>. Statt sich in Linien oder Konturen zu artikulieren, erweist der<br />
Nahblick bei Vermeer eine tüpfelnde Auftragsweise der Farben.<br />
Auch die Pastosizität dieser Tupfen geht – wiederum <strong>im</strong> Zusammenwirken<br />
mit dem Standortlicht – in die Bildeffekte ein.<br />
Eine ganze Reihe von optischen Effekten, wie etwa die Farbmitteilung<br />
unter benachbarten Gegenständen oder die Farbentsättigung<br />
entfernterer Bereiche waren Vermeer bekannt. Er nutzte<br />
<strong>und</strong> übertrug sie – durchaus übertreibend –, um die Blicke der<br />
Betrachter seiner Interieurs zu lenken, zu dramatisieren <strong>und</strong> auch<br />
aus atmosphärischen Gründen. Betrachtet man etwa das Phänomen<br />
der Farbmitteilung, wird hier wiederum eine tupfende Technik<br />
angewandt: so setzt er auf die Gr<strong>und</strong>farbe, die sich an der natürlichen<br />
Dingfarbe orientiert, Punkte, die diese Gr<strong>und</strong>farbe variieren<br />
<strong>und</strong> dadurch in ihrem Farbton auf nahe liegende Gegenstände<br />
verweisen.<br />
Und damit greift Vermeer eine Technik auf, die in Ansätzen<br />
bereits bei Rembrandt mittels der befre<strong>und</strong>eten Farben praktiziert<br />
wurde. Farbe <strong>und</strong> Farbauftrag markieren eine Grenze, die den<br />
Übergang zwischen Gegenstands- <strong>und</strong> <strong>Licht</strong>materie bezeichnet.<br />
So sind es die malerischen Mittel des Bildaufbaus, der Wahl<br />
der Pigmente, Lasuren <strong>und</strong> Bindemittel, die die Ausbildung<br />
einer Malerei ermöglichen, welche die Welt in ihren wechselnden<br />
Erscheinungen <strong>im</strong> <strong>Licht</strong> darzustellen vermag.<br />
* Weber, Gregor J. M., Die Empirie des <strong>Licht</strong>s. Anmerkungen zur <strong>Licht</strong> behand -<br />
lung bei Johannes Vermeer, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst<strong>und</strong><br />
Kultur wissenschaften 4/2002, Hrsg. Bohlmann, Fink, Weiss, S. 38–57.<br />
„In Bezug auf die verstärkte Beobachtung der Farbwerte (vor der Form)<br />
geht Vermeer noch weiter: Man findet keine Begrenzungslinien der Einzelheiten,<br />
etwa bei der Dirne keine Konturierung der Augenlider <strong>und</strong> -brauen,<br />
kein Liniengerüst für ihre verkürzt dargestellte Hand.“ S. 45.<br />
<strong>Licht</strong> als Mittel<br />
der Bilddramaturgie<br />
Philipp Weiss<br />
Wie Kaspar H. Spinner es in seinem Aufsatz „Helldunkel <strong>und</strong><br />
Zeitlichkeit“ so schön ausgedrückt hat, sind die Gegenstände der<br />
mittelalterlichen Malerei „… in der raum- <strong>und</strong> zeitlosen Ewigkeit<br />
Gottes aufgehoben, …“. * Diese Malerei kennt noch kein <strong>Licht</strong>, das<br />
sich von den Bildgegenständen abgrenzen ließe, <strong>und</strong> diese derart<br />
in unterschiedlichen Erscheinungsweisen exponieren <strong>und</strong> damit<br />
auch relativieren könnte.<br />
Dies verändert sich mit der Malerei der Renaissance. <strong>Das</strong><br />
Beleuchtungslicht trifft auf Objekte, sodass diese als Erscheinungen<br />
in einem nach Intensität <strong>und</strong> Beleuchtungswinkel best<strong>im</strong>mten <strong>und</strong><br />
daher auch veränderlichen <strong>Licht</strong> sichtbar werden. Allerdings ist<br />
das Beleuchtungslicht der Renaissance noch sehr weitgehend in<br />
seiner Funktion befangen, die Dinge in ihrer räumlichen Situation<br />
<strong>und</strong> Plastizität zu verdeutlichen – es kommt in der Regel aus einem<br />
moderaten Winkel von 45 Grad <strong>und</strong> erhebt noch kaum eigene<br />
Geltungs ansprüche. In der Theorie jedoch beginnen Leonardo <strong>und</strong><br />
andere, sich erste Gedanken über dieses in Quelle (luce) <strong>und</strong><br />
Wirkung (lume) auseinandergelegte <strong>Licht</strong> zu machen.<br />
Spätestens aber mit dem Caravaggismus (der Malerei<br />
Caravaggios <strong>und</strong> seiner Nachfolger) ändert sich dies. <strong>Das</strong> <strong>Licht</strong><br />
scheint aus einem speziellen Winkel, es hebt hervor, akzentuiert<br />
<strong>und</strong> dramatisiert, es belässt Bildpartien <strong>im</strong> Dunkeln <strong>und</strong> wird so zu<br />
einem bedeutenden Element der Bildkomposition <strong>und</strong> -sprache.<br />
Diese Tendenz wird noch weitergeführt, indem in der entwickelten<br />
Helldunkelmalerei des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts auch die Farben in den<br />
Strudel der Helldunkelabstufungen <strong>und</strong> -kontraste einbezogen<br />
werden <strong>und</strong> die Gegenstände <strong>und</strong> Szenen eigene Leuchtkraft<br />
entwickeln, auch wo von regelrechten <strong>Licht</strong>quellen nicht die Rede<br />
sein kann.<br />
Drei Darstellungsaspekte, die in ihrer Wirkungsweise freilich<br />
alle miteinander verb<strong>und</strong>en sind, sollen hier an wenigen Bildbeispielen<br />
angesprochen werden: das <strong>Licht</strong> in Hinsicht auf die<br />
Zeitlichkeit der Darstellung, das <strong>Licht</strong> als handelndes Element <strong>und</strong><br />
das <strong>Licht</strong> in seiner raumbildenden Kraft.<br />
* Kaspar H. Spinner, „Helldunkel <strong>und</strong> Zeitlichkeit. Caravaggio, Ribera,<br />
Zurbaran, G. de la Tour, Rembrandt“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte,<br />
34. Bd., H. 3 (1971), pp. 169–183, S. 169<br />
22 Carolin Bohlmann 23 <strong>Licht</strong> als Mittel der Bilddramaturgie