Wolfgang Welsch – Transculturality - the Puzzling ... - nocookie.net
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Thesenpapier<br />
Interpersonale Kommunikation - C - Prof. Dr. Gertraud Koch & Dr. Des. Halyna Leontiy<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Welsch</strong> <strong>–</strong> <strong>Transculturality</strong> - <strong>the</strong> <strong>Puzzling</strong> Form of Cultures Today<br />
<strong>Welsch</strong> ist der Auffassung, dass nur Transkulturalität als Kulturkonzept in der Lage ist, die heutigen Kulturen in ihrer<br />
gesamten Komplexität angemessen zu erfassen.<br />
In Abgrenzung zum traditionellen Kulturverständnis und zu den Konzepten der Interkulturalität und Multikulturalität, die<br />
darauf aufbauen, wird dieses Konzept beschrieben, wobei ein sehr normativer Charakter prägend für <strong>Welsch</strong>s Ausführungen<br />
sind. Die Kern<strong>the</strong>sen sind in diesem Papier hervorgehoben dargestellt.<br />
1. “[…] a concept of culture which, I think, is appropriate to most cultures today: <strong>the</strong><br />
concept of transculturality.”<br />
1. Traditionelles Kulturkonzept<br />
Im späten 18. Jahrhundert unter großem Einfluss von Johann Gottfried Herder entwickelt, hat sich das klassische<br />
Kulturverständnis bis in das 20. Jahrhundert gehalten. Es hat die folgenden drei grundlegenden Merkmale.<br />
Social homogenization Ethnic consolidation Intercultural delimitation<br />
Eine Kultur beeinflusst das Leben<br />
von Menschen vollständig, alle<br />
Handlungen können der Kultur<br />
zugerech<strong>net</strong> werden.<br />
Ein Volk hat eine ganz bestimmte<br />
„seine“ Kultur, die „culture of a<br />
folk“.<br />
Es kann klar zwischen einzelnen<br />
Volksgebundenen Kulturen abgerenzt<br />
und unterschieden werden;<br />
es gibt keinerlei Interdependenzen<br />
zwischen verschiedenen Kulturen.<br />
unificatory folk-bound separatory<br />
Dieses Konzept erweist sich in der modernen, globalisierten Welt als untauglich, weil sich Gesellschaften und Völker intern<br />
differenzieren und auch die klare Abtrennung nicht mehr zutrifft bzw. noch nie wirklich zugetroffen hat. Die innere<br />
Komplexität kann also nicht hinreichend abgebildet werden, weil:<br />
2. „Modern societies are multicultural in <strong>the</strong>mselves, encompassing a multitude of<br />
varying ways of life and lifestyles.”<br />
1.3 Innergesellschaftliche Ausdifferenzierung<br />
Neben den “vertical differences” wie z.B. verschiedene Schichten und Szenen / Subkulturen gibt es „horizontal divisions“ als<br />
kulturelle Ausdifferenzierungen zwischen Geschlechtern, sexuellen Orientierungen, die dann eigene „cultural patterns“ und<br />
Lebensformen entwickeln.<br />
Herders Verständnis entsprach einem Dreiklang aus Kultur, Sprache und Territorium. Diese Einheit war dann allerdings in sich<br />
vollständig, die Kulturen „reside in <strong>the</strong>mselves“ und sind nach außen hin geschlossen. Abgesehen von der Tatsache, dass<br />
diese Vorstellung nicht zutreffend sei, ist sie nach <strong>Welsch</strong> auch normativ nicht tragfähig, wie beispielsweise in diesem Zitat<br />
deutlich wird, mit dem eine Notwendigkeit der Abkehr zu einem non-separatistischen Kulturverständnis formuliert wird:
3. “The classical model of culture is not only descriptively unserviceable, but also<br />
normatively dangerous and untenable.”<br />
2. Interkulturalität & Multikulturalität<br />
Diese Konzepte haben ein „mutual understanding of different cultures“, sind nach <strong>Welsch</strong> aber dennoch nicht besser als das<br />
traditionelle Konzept, da sie nur eine Erweiterung auf dessen Basis darstellen.<br />
2.1 Interkulturalität<br />
Kulturen nach dem traditionellen Kulturverständnis “must ignore, defame or combat one ano<strong>the</strong>r“. Interkulturalität versucht<br />
dagegen zu erklären, wie ein Verständnis und Anerkennung von Kulturen funktioniert, behält dabei aber die Idee von separierten<br />
Kulturen bei. “For just this reason, it is unable to arrive at any solution, since <strong>the</strong> intercultural problems stem from <strong>the</strong><br />
island-premise.”<br />
4. Interkulturalität kann das Problem der „structural inability to communicate between<br />
<strong>the</strong>se cultures“ nicht ursächlich erklären und bleibt „fruitless“ und „cosmetic“.<br />
2.2 Multikulturalität<br />
Multikulturalität basiert ebenfalls auf dem traditionellen Kulturverständnis, nur dass jetzt von verschiedenen Kulturen<br />
innerhalb einer Gesellschaft ausgegangen wird. “The concept seeks opportunities for tolerance and understanding, and for<br />
avoidance or handling of conflict.” Dieser Ansatz sei zwar löblich jedoch ebenso wie die Interkulturalität nicht in der Lage ein<br />
„mutual understanding or a transgression of separating barriers“ zu erreichen.<br />
5. Dieses Konzept ist nach wie vor separatistisch angelegt und daher “appealing to a<br />
particularistic cultural identity” und führt so zu “ghettoization or cultural‘<br />
fundamentalism”.<br />
Genau diese autonomen Kulturen ließen sich heute in der Realität in Form von Separation und Ghettoisierung beobachten.<br />
Zwischenfazit<br />
6. “Cultures de facto no longer have <strong>the</strong> insinuated form of homogeneity and<br />
separateness.”<br />
Kulturen heute sind durchlässig, die alten angenommenen Grenzen verlieren ihre Gültigkeit, so dass ein transkulturelles<br />
Verständnis den Umständen von Vermischung und Durchdringung eher gerecht wird, während das traditionelle und alle darauf<br />
basierenden Konzepte sich weder normativ noch deskriptiv eignen.
3. Transkulturalität<br />
3.1 Makro-Level<br />
3.1.1 Differenzierung und Komplexität<br />
Transkulturalität ist eine Konsequenz der “inner differentiation and complexity of modern cultures”, denn moderne Kulturen<br />
umfassen eine große sich gegenseitig beeinflussende Vielfalt von Lebensformen.<br />
3.1.2 Kulturvermischung<br />
6a. ”Cultures today are extremely interconnected and entangled with each o<strong>the</strong>r.”<br />
Bestimmte Lebensstile lassen sich nicht mehr Nationalitäten zuordnen; Sie sind durch Migrationsprozesse, sowie globale<br />
materielle, immaterielle (kommunikative) und ökonomische Austauschsysteme nicht mehr kulturgebunden. Die gleichen<br />
kulturellen Strömungen, wie bspw. die Frauenbewegung oder der Öko-Trend sind in ähnlicher Form in verschiedenen Kulturen<br />
feststellbar, was als Beleg für diese Annahme dienen soll.<br />
3.1.3 Kulturhybridisierung<br />
Heutige Kulturen sind in den Ebenen „population, merchandise and information“ hybridisiert. Fast in jedem Land gibt es<br />
Bürger aller anderen Nationen, die globalisierte Wirtschaft hat die Verfügbarkeit von Artikeln weltweit homogenisiert und weltweite<br />
Kommunikations<strong>net</strong>ze machen Informationen orts- und zeitunabhängig verfügbar. Daher gibt es “[…]no longer anything<br />
exclusively `own‘ ei<strong>the</strong>r.”, weil keine absolute Fremdheit mehr existiert.<br />
Zwischenfazit<br />
Die Transkulturellen Prozesse wirken in jeder Kultur, so dass<br />
7. “Today in a culture‘s internal relations - among its different ways of life - <strong>the</strong>re exists<br />
as much foreignness as in its external relations with o<strong>the</strong>r culture”<br />
3.2 Mikro-Level<br />
3.2.1 Hybridisierung von Individuen und Trennung von nationaler und kultureller Identität<br />
Die transkulturellen Prozesse bewirken auch eine Hybridisierung von Individuen, bspw. werden Literaten nicht mehr nur von<br />
ihren Landsleuten beeinflusst sondern rezipieren Autoren anderer Länder. Diese Beeinflussung trifft für immer mehr Menschen<br />
zu, so dass „„cross-cutting identities“, as Bell put it (Bell, 1980: 243)“ zum Normalfall werden. Die kulturelle und<br />
nationale Identität muß daher strikt getrennt werden. Die Annahme, dass die Kultur eines Menschen seiner „Nationalkultur“<br />
entsprechen muß ist „as foolish as it is dangerous“. “The detachment of civic from personal or cultural identity is to be insisted<br />
upon - all <strong>the</strong> more so in states, such as ours, in which freedom in cultural formation belongs among one‘s basic rights.”<br />
Identitätsbildung ist heute vielfach das Zusammenfügen unterschiedlicher kultureller Komponenten.<br />
Zwischenfazit<br />
Kulturkonzepte, die die Realität angemessen erfassen wollen, müssen transkulturelle Prozesse / die „transcultural<br />
constitution“ berücksichtigen. Individuelle Theorien, die diese Realität nicht berücksichtigen, sind nach <strong>Welsch</strong> peinlich.
4. Ergänzungen und Perspektiven<br />
4.1 Frühe Erscheinungen von Transkulturalität<br />
Wittgenstein lieferte den besten philosophischen Ansatz für Transkulturalität. Nach Wittgenstein „culture is at hand wherever<br />
practices in life are shared”, also unabhägngig von Ethnien und ohne Bedarf von Homogenität. Es reicht nicht aus, das Fremde<br />
zu Verstehen, vielmehr ist ein (kulturelles) Interaktionsverständnis nötig, die über hermeneutische Konzeptualisierungen<br />
hinausgeht.<br />
„Culture in Wittgenstein‘s sense is, by its very structure, open to new connexions and to fur<strong>the</strong>r feats of integration.”, so dass<br />
es auch als Grundlage für heutige Kulturkonzeptionen dienen kann.<br />
1963 beschrieb Zuckmayer in „The Devil’s General“ Transkulturalität anhand eines Beispiels der historischen Entwicklung<br />
und Vermischung von verschiedensten Personen und Kulturen an einem bestimmten geografischen Ort. „Intermixed - like <strong>the</strong><br />
waters from sources, streams and rivers, so, that <strong>the</strong>y run toge<strong>the</strong>r to a great, living torrent“ (Zuckmayer, 1963).”<br />
Diese Formulierungen gehen über die Vorstellung der Homogenität und Separierung klar hinaus, was ein Beleg für die frühe<br />
Existenz transkultureller Überlegungen darstellt. Des weiteren gibt es in der europäischen Geschichte viele weitere Beispiele<br />
wie europaweit beeinflusste Kunstmalerei, mit denen sich transkultrelle Prozesse belegen lassen.<br />
4.2 Kulturelle Konzepte als aktiver Faktor des kulturellen Lebens<br />
Kulturverständnisse beeinflussen das Handeln der Menschen, indem versucht wird der Vorgabe zu entsprechen.<br />
8. „The `reality‘ of culture is, in this sense, always a consequence too of our<br />
conceptions of culture.”<br />
Die Verbreitung von Kulturverständnissen birgt also auch eine gewisse Verantwortung in sich. Es sollten daher nur solche<br />
Konzeptionen verbreitet werden, die sowohl „descriptively adequate and normatively accountable“ als auch weiterführend<br />
sind. In diesem Sinne ist Transkulturalität klar den traditionellen Kulturverständnissen gegenüber zu bevorzugen.<br />
4.2 Kulturelle Verbindungsfähigkeit (annexability) und Umwandelbarkeit<br />
Transkulturalität beinhaltet die Fähigkeit der Verlinkung und Veränderung, so dass bei Berührung verschiedener Lebensformen<br />
immer auch Entwicklungsopportunitäten existieren und „a common lifeform is fashioned which includes even reserves<br />
which hadn‘t earlier seemed capable of being linked in.“ Anstelle von Abgrenzung soll Offenheit und die Aufmerksamkeit für<br />
Anschlussfägigkeit ausschlaggebend für das eigene Verständnis und Handeln sein. Die Potentiale der Transkulturalität, eigene<br />
monokulturelle Standpunkte zu verlassen, sollten genutzt werden.<br />
9. “We can transcend <strong>the</strong> narrowness of traditional, monocultural ideas and constraints,<br />
we can develop an increasingly transcultural understanding of ourselves.”<br />
5. Interne und externe Transkulturalität<br />
Die Akzeptanz innerer Transkulturalität ist notwendig, um mit der äußeren Transkulturalität umzugehen und das äußere<br />
Fremde zu akzeptieren und bildet auch die Voraussetzung für gesellschaftliche Transkulturalität. Nietzsche vertrat eine relativ<br />
strikte Position transkultureller Prozesse und ging davon aus , dass der Prozess kultureller Interdependenzen “a mixed-race,<br />
that of <strong>the</strong> European man” (Nietzsche, 1984: 228 [475]) hervorbringt. Nach Nietzsche ist die kulturelle Zukunft „one of intermixing,<br />
and <strong>the</strong> future person a polycultural nomad.” Nietzsche ist insofern ein Vordenker der Transkulturalität, wenngleich<br />
transkulturelle Prozesse nach <strong>Welsch</strong> nicht zur vollständigen Homogenisierung führen, sondern andere Differenzierungsprozesse<br />
eine neue, feingliedrigere Vielfalt hervorbringen. (Siehe 6.1)
6. Transkulturalität in Relation zur Globalisierung und Partikularisierung<br />
6.1 Uniformisierung oder neue Diversivität?<br />
Transkulturalität darf nicht als Prozess der Uniformisierung / Homogenisierung mißverstanden werden.<br />
10. Transkulturalität ist “intrinsically linked with <strong>the</strong> production of diversity”.<br />
Die Diversivität nach dem klassischen Kulturverständnis (viele in sich geschlossene Kulturen nebeneinander) schwächt sich<br />
zwar in der Tat ab, dafür entsteht jedoch eine andere Art der Ausdifferenzierung von Kulturen und Lebensformen,<br />
„each arising from transcultural permeations“.<br />
Vielfalt entsteht jetzt durch „Different groups or individuals which give shape to new transcultural patterns draw upon<br />
different sources for this purpose.” Selbst das Zusammentreffen gleichartiger Elemente führt zu Vielfalt, da die Umstände<br />
sich unterscheiden.<br />
10a. “The transcultural webs are, in short, woven with different threads, and in different<br />
manner.”<br />
Anstelle von separaten Kulturen entstehen “transcultural <strong>net</strong>works, which have some things in common while differing in<br />
o<strong>the</strong>rs, showing overlaps and distinctions at <strong>the</strong> same time”. Diese Art der Differenzierung ist komplexer geworden und folgt<br />
heute einem reinen kulturellen Austauschprozess unabhängig von geographischen oder nationalen Bedingungen.<br />
Transkulturelle Netzwerke sind verbindungsfähig, so dass Koexistenz dem Konflikt vorgezogen wird.<br />
6.2 Fehler in der Diagnose von Globalisierung und Partikularisierungsprozessen<br />
Mit dem Konzept der Transkulturalität kann Homogenisierung und Differenzierung gleichzeitig erklärt werden. Globalisierung<br />
als Konzept kann bspw. keine Partikularisierung erklären, es ist eindimensional ein Konzept der Uniformisierung, dass keine<br />
gegenläufigen Tendenzen erklären kann. Dennoch können Partikularisierungsprozesse nicht vernachlässigt werden, denn<br />
dieser Trend ist mindestens genauso stark wirksam wie der Trend zur Weltgesellschaft. “People obviously feel compelled to<br />
defend <strong>the</strong>mselves against being merged into globalized uniformity. They want to distinguish <strong>the</strong>mselves from one ano<strong>the</strong>r<br />
[…]”<br />
6.3 Der Vorteil des Konzepts der Transkulturalität<br />
Transkulturalität verbindet die harten gegensätzlichen Modelle von Globalisierung und Partikularisierung auf natürliche Weise<br />
durch die Logik der transkulturellen Prozesse.<br />
11. “Transcultural identities comprehend a cosmopolitan side, but also a side of local<br />
affiliation (cf Hannerz, 1990). Transcultural people combine both.”<br />
Fazit<br />
<strong>Welsch</strong> selbst liefert eine sehr kurze Zusammenfassung. “<strong>Transculturality</strong> promotes not separation, but exchange and interaction.“<br />
Er schließt mit einer gesellschaftspolitischen Forderung ab: „If <strong>the</strong> diagnosis given applies to some extent, <strong>the</strong>n<br />
tasks of <strong>the</strong> future - in political and social, scientific and educational, artistic and design-related respects - ought only to be<br />
solvable through a decisive turn towards this transculturality.”