jung & liberal - Junge Liberale Kreisverband Rhein-Sieg
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Thema<br />
Thema<br />
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Baustelle Europa<br />
> von Julia Hesse<br />
Herausforderung EU-Erweiterung<br />
So richtig die EU-Osterweiterung war, so schwierig ist es bis heute, die Heterogenität der<br />
Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bekommen.<br />
> von Sven Janka<br />
An keinem anderen Gebiet wird<br />
derzeit so viel gebaut wie an Europa.<br />
Jeden Tag sind die Zeitungen voll:<br />
Die im Juni beendete deutsche Ratspräsidentschaft,<br />
die EU-Erweiterung<br />
und die immerwährende Diskussion<br />
um eine Europäische Verfassung.<br />
Doch auch negative Meldungen<br />
werden immer häufiger: (T-)Euro,<br />
Brüssel-Bürokratie und Überregulierung<br />
sind nur einige Schlagworte,<br />
die täglich durch die Presse schwirren.<br />
Die Bürger Europas haben immer<br />
seltener Interesse und noch<br />
weniger Verständnis für das, was in<br />
Brüssel passiert. Ablesen kann man<br />
dies vor allem an der Wahlbeteiligung,<br />
welche bei den Wahlen zum<br />
Europäischen Parlament regelmäßig<br />
unter 50 % liegt.<br />
Als Ursachen für dieses Desinteresse<br />
werden vor allem zwei Gründe genannt:<br />
Die Parteiendemokratie und<br />
das Gefühl der Bürger, ihre Anliegen<br />
von den Politikern nicht verstanden<br />
mehr<br />
Entscheidungsfreiheit<br />
zu wissen. Diese Gründe haben gemeinsam,<br />
dass die Bürger ihre Entscheidungsgewalt<br />
komplett in die<br />
Hände der Politik gelegt haben und<br />
nun mit dem Ergebnis mehr als unzufrieden<br />
sind.<br />
Die Antwort auf diese Entwicklung<br />
liegt somit auf der Hand: Wir<br />
müssen den Bürgern wieder mehr<br />
eigene Entscheidungsfreiheit zurückgeben<br />
und ihnen die Chance geben,<br />
selbst die tägliche Politik mehr<br />
mitzugestalten. In der Europapolitik<br />
ist dies besonders wichtig, um den<br />
Unionsbürgern ihre Union näher zu<br />
bringen. Das Haus Europa muss von<br />
allen mitgetragen werden, damit<br />
es ein festes Fundament bekommt.<br />
Wie könnte dies besser erreicht werden,<br />
als mit einem Europäischen<br />
Bürgerbegehren? Die Idee des Europäischen<br />
Bürgerbegehrens ist nicht<br />
neu. Seit 1988 hat das Europäische<br />
Parlament mehrmals versucht, ein<br />
Bürgerinitiativrecht einzuführen.<br />
Der erste nennenswerte Durchbruch<br />
für das Europäische Bürgerbegehren<br />
gelang im Juni 2003, als<br />
der Europäische Konvent dieses in<br />
den Verfassungsentwurf aufnahm.<br />
Gemäß Artikel I-47.4 soll es für Bürger<br />
aus verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten<br />
möglich sein, gemeinsam<br />
ein bestimmtes Thema auf die Agenda<br />
der Europäischen Kommission<br />
zu setzen, sofern es gelingt, für ihr<br />
Anliegen eine Million Unterschriften<br />
in „einer erheblichen Anzahl von<br />
Mitgliedsstaaten“ (Artikel I-47.4 EU-<br />
Verfassung) zu sammeln.<br />
Die Idee der „European Citizens Initiative“<br />
(ECI) wurde nach dem Scheitern<br />
der Bürgerbegehren über die<br />
EU-Verfassung in den Niederlanden<br />
und Frankreich geboren, um die Einführung<br />
des Europäischen Bürgerbegehrens<br />
zu fordern. Die ECI sammelt<br />
Unterschriften für eine zeitnahe Umsetzung<br />
des Europäischen Bürgerbegehrens<br />
in geltendes Europarecht.<br />
Das Europäische Bürgerbegehren<br />
legt die Europäische Kommission<br />
nicht auf ein bestimmtes Handeln<br />
oder eine bestimmte Entscheidung<br />
fest, es verpflichtet sie aber, sich in<br />
verbindlicher Weise mit dem Vorschlag<br />
der Bürger auseinander zu<br />
setzen. Wird die Kommission hieraufhin<br />
nicht oder nicht angemessen<br />
tätig, wird sie dies der Öffentlichkeit<br />
sehr genau begründen müssen.<br />
Nur mit der Unterstützung der<br />
Bauherren ist es möglich, dass ein<br />
Bauvorhaben nicht in einer Bruchbude<br />
endet, sondern ein Haus wird,<br />
in dem sich alle wohl fühlen können.<br />
Gerade jetzt, wo nach dem neu ausgehandelten<br />
Mandat für eine Regierungskonferenz<br />
zur Änderung der<br />
EU-Verträge nicht klar ist, wie es mit<br />
Europa weiter geht, muss ein neuer<br />
Bauplan erstellt werden: Die Politiker<br />
können hierbei nur die Architekten<br />
sein, die das technische Handwerkszeug<br />
mitbringen, um die Wünsche<br />
der Bauherren umzusetzen.<br />
Das Europäische Bürgerbegehren ist<br />
in diesem Mandat enthalten. Doch<br />
muss jetzt darauf geachtet werden,<br />
dass dieses in dem Verhandlungsprozess<br />
nicht zu einem zahnlosen Tiger<br />
wird, sondern zu einem für die Unionsbürger<br />
wirksamen und greifbaren<br />
Mitwirkungsrecht. Das Europäische<br />
Mitwirkungsrecht als<br />
zahnloser Tiger<br />
Bürgerbegehren wird die Wahrnehmung<br />
dafür schärfen, wie viele Angelegenheiten<br />
des täglichen Lebens<br />
von der EU beeinflusst werden. Das<br />
Europäische Bürgerbegehren wird<br />
Anreize schaffen, europaweit Allianzen<br />
zu bilden und über die Grenzen<br />
hinweg Menschen für ein Anliegen<br />
zu mobilisieren. Dies wird zur<br />
Ausdifferenzierung und Stärkung des<br />
Interesses für Europa und der europäischen<br />
Zivilgesellschaft beitragen.<br />
Nur so ist es möglich, das zu schaffen,<br />
was für uns <strong>Liberale</strong> essentiell<br />
ist: Eigenverantwortliche Bürger, die<br />
sich für ihre Gesellschaft interessieren<br />
und sie aktiv mitgestalten.<br />
Julia Hesse (25) ist Diplom-Juristin,<br />
kommt aus Berlin und studiert European<br />
and Comparative Law in<br />
Gent. Ihr erreicht sie unter julia.<br />
hesse@eu-buergerbegehren.org<br />
Vor dem Beitritt der zehn neuen<br />
Mitgliedsstaaten im Jahre 2004<br />
bestanden politisch und ökonomisch<br />
erhebliche Zweifel, ob insbesondere<br />
die ehemals sozialistisch geprägten,<br />
osteuropäischen Länder bereit für<br />
eine Aufnahme in die Europäische<br />
Union waren. Zu groß war die historisch<br />
gewachsene Kluft hinsichtlich<br />
Wirtschaftsleistung, Sozialsystemen<br />
und Mentalität, als dass die Aufnahme<br />
von Estland, Lettland, Litauen,<br />
Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn,<br />
Slowenien, Malta und Zypern<br />
ohne Vorbehalte hätte stattfinden<br />
können. Am 1. Januar 2007 traten<br />
schließlich auch Rumänien und Bulgarien<br />
der Europäischen Union bei.<br />
Doch schien die Skepsis zunächst<br />
nicht angebracht zu sein: Die Bevölkerungen<br />
in den neuen Beitrittsländern<br />
bewerten den EU-Beitritt mehrheitlich<br />
positiv, die befürchtete Ablehnung<br />
Ablehnung der Mitgliedschaft<br />
ist ausgeblieben<br />
der Menschen ist ausgeblieben. Auf<br />
den zweiten Blick könnte dies allerdings<br />
auch an den Geschenken<br />
durch die EU liegen, welche die Politiker<br />
ihren Bürgern versprechen<br />
können: Im Rahmen ihrer Kohäsionspolitik<br />
stellt die EU den neuen<br />
Beitrittsländern in den Jahren 2007<br />
bis 2013 mehr als 175 Milliarden<br />
Euro an Beihilfen in Aussicht. Das<br />
sind beinahe 50% des gesamten<br />
Budgets in Höhe von 347 Milliarden<br />
Euro für diesen Zeitraum. Hinzu<br />
kommen die Zahlungen aus den neu<br />
geschaffenen Strukturfonds für die<br />
Entwicklung von ländlichen Gebieten<br />
(sprich: Agrarsubventionen), der<br />
für die Jahre 2007 bis 2013 über ein<br />
Gesamtbudget von beinahe 78 Milliarden<br />
Euro verfügt. Darüber hinaus<br />
wurden den übrigen Mitgliedsländern<br />
weitere Zugeständnisse abgerungen,<br />
die für heftige Kontroversen<br />
gesorgt haben, beispielsweise die<br />
überproportionalen Stimmrechte,<br />
die sich Polen für die kommenden<br />
zehn Jahre gesichert hat.<br />
An der Zuweisung von finanziellen<br />
Mitteln zur allmählichen Angleichung<br />
des Lebensstandards in den neuen<br />
Beitrittsländern führt wohl kein Weg<br />
vorbei. Schließlich profitierten in den<br />
vergangenen Jahren vor allem Irland,<br />
Portugal, Spanien und Griechenland<br />
Kluge Reformen in<br />
Beitrittsländern<br />
ebenfalls von Zahlungen aus den<br />
verschiedenen Fördertöpfen und es<br />
wäre kaum vermittelbar, den neuen<br />
Mitgliedsstaaten ebensolche Förderungen<br />
im Verhältnis zu kürzen oder<br />
gar zu verweigern. Doch während die<br />
zuvor aufgezählten Länder einige Erfolge<br />
in ihrer jeweiligen nationalen<br />
Haushaltspolitik vorweisen können,<br />
sieht es insbesondere bei den großen<br />
Neumitgliedern stellenweise noch<br />
düster aus: Ungarn weist für das Jahr<br />
2006 ein Staatsdefizit von 9,2% aus,<br />
nach 7,8% im Jahr 2005. In Polen sind<br />
es für den abgelaufenen Berichtszeitraum<br />
3,9% nach 4,3% im Vorjahr.<br />
Zwar haben Italien und Portugal ähnliche<br />
Probleme mit ihrem Staatsdefizit,<br />
doch zeigen die kleineren Neumitglieder<br />
wie Estland und Lettland,<br />
dass es mit Hilfe kluger Reformen und<br />
richtiger Anreize für Wirtschaft und<br />
Bevölkerung durchaus möglich ist, einen<br />
Haushaltsüberschuss zu erzielen.<br />
Auch hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung<br />
besteht bei vielen der<br />
neuen Mitgliedsstaaten noch Nachholbedarf.<br />
Neben Positivbeispielen<br />
wie Estland, das im Korruptionsindex<br />
von Transparency International<br />
mit Platz 24 noch weit vor „alten“<br />
EU-Staaten wie Italien (Platz 45) und<br />
Griechenland (Platz 54) liegt, belegt<br />
Rumänien Platz 84 und liegt damit<br />
unter anderem gleichauf mit Panama<br />
und Sri Lanka. Eine starke Anfälligkeit<br />
für Korruption gepaart mit<br />
hohen Zahlungen aus den Finanztöpfen<br />
der EU bedeuten eine nicht unerhebliche<br />
Gefahr für Fehlallokationen<br />
von Fördermitteln.<br />
Die Osterweiterung der EU war<br />
wichtig und richtig, daran darf kein<br />
Zweifel bestehen. Doch die politischen<br />
und wirtschaftlichen Differenzen,<br />
die bereits zwischen den alten<br />
EU-Mitgliedsstaaten bestanden<br />
haben, verstärken sich durch die nun<br />
noch stärkere Heterogenität der Mitglieder<br />
noch weiter. Das hierdurch<br />
entstehende Konfliktpotenzial innerhalb<br />
der EU erschwert einen einheitlichen<br />
Auftritt nach außen, der im<br />
Rahmen des verschärften internationalen<br />
Wettbewerbs umso wichtiger<br />
wird. Eine <strong>liberal</strong> geprägte Europapolitik,<br />
die frei von nationalen Egoismen<br />
das Ziel des geeinten, gemeinsamen<br />
Europas verfolgt, ist heute mehr denn<br />
je nicht nur in Deutschland, sondern<br />
in ganz Europa vonnöten.<br />
Sven Janka (28) ist J&L Redakteur.<br />
Ihr erreicht ihn unter sven.janka@<br />
berlin.de.<br />
<strong>jung</strong> & <strong>liberal</strong> Ausgabe 3|2007