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KOLUMNE<br />
BRIENZinfo<br />
BRIENZLIG 4 | 12<br />
Just noch rechtzeitig<br />
Uff, jetzt muss ich mich aber sputen! Hätte ich doch fast den Abgabetermin meiner Kolumne<br />
verpasst. Wundert mich eigentlich gar nicht. So schnell wie die Minuten vergehen. Und da<br />
meine wunderschöne, kleine, pechschwarzene Agenda zum Glück keine nervigen Erinnerungsmelodien<br />
ausstösst – kann so was schon mal passieren!<br />
Alexandra Otter<br />
E-Mail: aotter@gmx.ch<br />
86<br />
Ja, Sie haben richtig gelesen: ich besitze<br />
immer noch eine Agenda. Darf man das<br />
überhaupt laut schreiben?! Ich steh dazu.<br />
Nichtsdestotrotz müssen nun ein paar<br />
Wörter her.<br />
Letzthin habe ich von einem interessanten<br />
Kunstprojekt gehört. Dabei wurden<br />
während eines ganzen Jahres 78 Personen<br />
dazu gebracht, jeden Tag zu Schreiben.<br />
Das Löschen oder Umändern des<br />
Geschriebenen war nicht möglich. Aus<br />
den gesammelten Texten entstand ein<br />
Buch ohne Kapitel und ohne Absätze.<br />
Der ganze Wordschwall wurde einfach<br />
ununterbrochen Satz an Satz gereiht. Ist<br />
das nicht faszinierend? Stellen Sie sich<br />
mal vor, wie wahr dieses Buch ist! Da drin<br />
gibt es keine überhübschten Floskeln,<br />
kein Gehätschel, keine unterschwelli gen<br />
Botschaften, sondern blosse Realität.<br />
Manchmal sicherlich auch recht banale.<br />
Aber so ist halt das Leben. Es kann ja<br />
nicht immer ein spannendes Abenteuer<br />
sein. Die meiste Zeit tümpelt es halt so<br />
dahin. Aber jetzt mal im Ernst, versuchen<br />
Sie das einmal. Versuchen Sie mal etwas<br />
zu schreiben, ohne es gleich wieder zu<br />
korrigieren (Schreibfehler ausgeschlossen).<br />
Ist schon noch schwierig, oder? Ich<br />
meine, ich bin geübt im Schreiben. Ich<br />
schreibe dauernd. Einkaufs-, Todo-, Wochen-,<br />
Wochenend- und Prioritätsstufferot-Listen<br />
(da hätte nun zuoberst eigentlich<br />
stehen müssen: «Kolumne schrei -<br />
ben»). Also ich habe so viele Fötzel zu<br />
Hause, da könnte ich locker meine blaue<br />
Wand tapezieren. Ich habe übrigens angefangen<br />
diese Listen aufzubewahren.<br />
Da stehen manchmal die verrücktesten<br />
Sachen beieinander. Wäre zu schade so<br />
etwas wegzuwerfen!<br />
Um zum Punkt zurückzukommen: Wenn<br />
wir jemandem etwas schriftlich mitteilen<br />
wollen, ist Fingerspitzengefühl gefragt.<br />
Was schwarz auf weiss gedruckt ist, lässt<br />
sich unschwer wieder rückgängig machen.<br />
Man muss genau abwägen, welches<br />
Wort benützt wird und welche Aussage<br />
wir lieber sein lassen. Es ist unglaub -<br />
lich schwierig, seine eigenen Gedanken<br />
so in Worte zu fassen, dass der Leser<br />
auch genau versteht, was man sagen<br />
möchte. Es gibt kein Nachhaken, keine<br />
Mimik und Gesten, die helfen. Es gibt ein<br />
Versuch – und der muss sitzen. Also kein<br />
Wunder brauchen wir mittlerweile die<br />
Löschtaste mehr als die Buchstaben.<br />
Oder übertreib ich da jetzt masslos? Vielleicht<br />
ja, denn es gibt auch Ausnahmen.<br />
Ich oute mich gleich noch einmal: Ich habe<br />
eine Brieffreundin. Wir schreiben uns<br />
Briefe und Karten. Ja, aus Papier! Bei uns<br />
geht das Schreiben ohne Vorschreiben<br />
oder Umändern des Textes ohne Probleme.<br />
Wir schreiben einfach drauflos. Kennen<br />
uns schliesslich ja auch schon jahrelang<br />
– da weiss man, was man hat und<br />
braucht keine Rücksicht auf mögliche<br />
Fettnäpfchen zu nehmen. Vielleicht sollte<br />
man sich dies in der geschäftlichen Korrespondenz<br />
auch ein wenig zu Herzen<br />
nehmen. Das Geschriebene wäre auf alle<br />
Fälle ehrlicher.<br />
Sie fragen sich nun vielleicht, hat sie dies<br />
mit diesem Text auch geschafft? Einfach<br />
drauflos geschrieben und abgeschickt?<br />
Nuuun jaaa – fast. Ich habe mir auf alle<br />
Fälle grosse Mühe gegeben. Aber beim<br />
nachträglichen Durchlesen findet man<br />
immer wieder Wörter, für die einem<br />
plötzlich eine viel treffendere und schnittigere<br />
Variante in den Sinn gekommen<br />
ist. Also, da konnte ich nicht widerstehen.<br />
Bitte entschuldigen Sie! 87