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Mrs. President! - Jüdische Liberale Gemeinde Köln Gescher ...

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3. Jahrgang Ausgabe 2 Frühjahr 2005 Nissan–Aw 5765<br />

Welcome, <strong>Mrs</strong>. <strong>President</strong>!<br />

Ruth Cohen, Präsidentin der WUPJ, auf Deutschland-Besuch im Mai.<br />

Informationen über<br />

liberales Judentum<br />

im deutschsprachigen Raum<br />

Überleben<br />

Wenn WUPJ-Präsidentin Ruth<br />

Cohen dieser Tage zu politischen<br />

Gesprächen nach Berlin kommt,<br />

dann ver bindet sich ihr Besuch mit<br />

zwei hoch symbolischen Ter minen:<br />

Pessach, dem „Fest der Freiheit“, und<br />

der Befrei ung Europas durch die Alliierten<br />

vor sechzig Jahren. 1945 waren<br />

es vor allem junge amerikanische Reformrabbiner,<br />

die als U.S. Chaplains<br />

in Deutschland auf jüdische Überlebende<br />

trafen, sich für diese Displaced<br />

Persons aufopferten und die Weichen<br />

für die Erneuerung jüdischen Lebens<br />

in Deutschland stellten. „We were<br />

slaves to Hitler in Germany“, heißt es<br />

in einer Pessach-Haggada von 1946,<br />

die der Reformrabbi ner Abraham<br />

Klausner für DPs in München drucken<br />

ließ. „Wir brauchen jüdische Juden“<br />

lautete damals die Forde rung der<br />

Sprecher der gut 250.000 DPs in<br />

Deutschland bei ihrer Suche nach<br />

Rabbinern. Heute sind es die Lehrer<br />

und Studenten des Abraham Gei ger<br />

Kollegs, die dazu beitra gen, dass es<br />

für die über 170.000 Zuwanderer aus<br />

der frü heren Sowjetunion in Deutschland<br />

eine Zukunft als jüdi sche Juden<br />

gibt – wieder mit Hilfe aus Amerika<br />

und von Seiten der World Union for<br />

Progressive Judaism.<br />

Alina Treyher stammt aus Poldava<br />

in der Ukraine und ist seit 2002 in<br />

Berlin. Während ihrer Ausbildung<br />

zur Rabbi nerin am Abraham Geiger<br />

Kolleg ist sie bereits in libera len<br />

jüdischen <strong>Gemeinde</strong>n zwischen Zürich<br />

und Schleswig-Holstein tätig,<br />

hier bei einer Bat-Mitzva-Feier in<br />

Bad Se geberg<br />

Foto: Gesche-M. Cordes Leben nach dem


Präsident<br />

Oberrabbiner Prof. Dr. Walter Jacob<br />

Senat<br />

Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich<br />

Prof. Dr. Paul Mendes-Flohr<br />

Rabbiner Dr. W. Gunther Plaut<br />

Rabbiner Dr. John D. Rayner CBE<br />

Kuratorium<br />

Dr. Josef Joffe (Vorsitzender)<br />

Adina Ben-Chorin<br />

Rabbiner Dr. Albert H. Friedlander OBE s. A.<br />

Rabbiner Dr. David J. Goldberg OBE<br />

Rabbiner Prof. Dr. Arthur Hertzberg<br />

Rabbiner David Hoffmann<br />

Lord Joffe CBE<br />

György Konrád<br />

Stuart Matlins<br />

Baroness Neuberger DBE<br />

Prof. Dr. Elizabeth Petuchowski<br />

Harold Sandak-Lewin<br />

Prof. Dr. Julius H. Schoeps<br />

Max Warburg<br />

Direktorium<br />

Rabbiner Dr. Walter Homolka<br />

Prof. Dr. Admiel Kosman<br />

Rabbiner Drs. Edward van Voolen<br />

Rabbiner Dr. Tovia Ben-Chorin<br />

Durch Erforschung des Einzelnen<br />

zur Erkenntnis des Allgemeinen,<br />

durch Kenntnis der Vergangenheit<br />

zum Verständnis der Gegenwart,<br />

durch Wissen zum Glauben<br />

Abraham Geiger (1810–1874)<br />

I M P R E S S U M<br />

Kescher: Informationen<br />

über liberales Judentum im<br />

deutschsprachigen Raum.<br />

Newsletter des Abraham Geiger Kollegs<br />

Kescher: hebr.: „Verbindung, Kontakt“.<br />

Herausgeber<br />

Abraham Geiger Kolleg gGmbH<br />

Postfach 120852, 10598 Berlin<br />

Tel: (030) 3180 0587, Fax: 31800586<br />

abraham.geiger.kolleg@t-online.de<br />

www.abraham-geiger-kolleg.de<br />

Redaktion: Hartmut G. Bomhoff<br />

Gestaltung: Charles Steiman<br />

Druck: Oktoberdruck AG,<br />

Rudolfstraße 1-8, 10245 Berlin<br />

Erscheinungsweise: 4 x jährlich<br />

Auflage: 1.200 Exemplare<br />

Auszeichnung<br />

Israel Jacobson Preis für Rabbiner Walter Jacob<br />

Rabbiner Walter Jacob mit Studenten des Abraham Geiger Kollegs und Rabbiner Homolka<br />

Wenn die Union progressiver Juden in Deutschland<br />

am 2. Mai ihren Israel Jacobson Preis an<br />

Rabbiner Professor Walter Jacob (Pittsburgh/<br />

USA) vergibt, so ehrt sie damit nicht nur einen<br />

großen Rabbiner und Experten für Fragen des<br />

<strong>Jüdische</strong>n Rechts, sondern auch den Präsidenten<br />

unseres Abra ham Geiger Kollegs. Der<br />

undotierte Preis wird alle zwei Jahre verliehen,<br />

um Meilensteine in der Ent wicklung liberalen<br />

Judentums zu würdigen – und die Errichtung<br />

des ersten Rabbinerseminars in Deutsch land<br />

nach der Schoa ist ohne Frage ein Meilenstein<br />

für die Erneuerung jüdischen Lebens.<br />

Die Festveranstaltung findet nicht von ungefähr<br />

in der Bayerischen Vertretung in Berlin statt:<br />

Walter Jacob, der aus einer alten Rabbinerfa-<br />

Israel Jacobson (1768–1828) gilt als Wegbereiter<br />

der jüdischen<br />

Reformbewegung. Der<br />

gebürtige Hal berstädter<br />

war bereits ein erfolgreicher<br />

Kaufmann und<br />

Bankier, als er 1894<br />

„Landrabbiner des<br />

Weser distriktes“wurde.<br />

Angesichts der Verwahrlosung der jüdischen<br />

Jugend gründete Jacobson 1801 in Seesen eine<br />

Religions- und Handelsschule im Geiste Mendelssohns,<br />

die bald auch christlichen Schülern<br />

offen stand. 1804 erhielt Jacobson ob seiner<br />

Verdienste im Herzogtum Braun schweig das<br />

Bürgerrecht, 1807 die philosophische Doktorwürde<br />

der Universität Helm stedt. Jacobson,<br />

der auch die Abschaffung des Ju denleibzolls in<br />

meh reren deutschen Ländern be wirkte, setzte<br />

sich Zeit seines Lebens für die Erzie hung seiner<br />

Glaubensge nossen zu guten Staatsbür gern<br />

ein; die napoleoni schen Reformen kamen ihn<br />

dabei entgegen. 1807 wurde Jacobson zum<br />

Präsi denten des „Konsistorium der Israeliten“<br />

im König reich Westfalen ernannt, in dem die<br />

2<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

milie stammt, wurde 1930 in Augsburg geboren.<br />

Walter Jacob hat als Oberrabbiner der <strong>Liberale</strong>n<br />

<strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong> Beth Schalom auch den<br />

Wiederaufbau des liberalen Judentums in München<br />

begleitet und ist unter ande rem Träger<br />

des Großen Bundesverdienstkreuzes und des<br />

Päpstlichen Gregoriusorden Es ist Staatsminister<br />

Erwin Huber und dem Be vollmächtigten<br />

des Freistaates Bayern beim Bund, Dr. Friedrich<br />

Wilhelm Rothenpieler, zu danken, dass sie<br />

ihr Haus für Jacobs Ehrung öffnen. Walter<br />

Jacob erhält den Preis aus den Händen von<br />

WUPJ-Präsi dentin Ruth Cohen; die Laudatio<br />

hält Rabbiner Uri Regev, selbst Jacobson-Preisträger<br />

des Jahres 2003. 2001 war Rabbiner Dr.<br />

Walter Homolka mit dem Is rael Jacobson Preis<br />

ausgezeichnet worden.<br />

Juden 1808 ihren christlichen Mitbürgern<br />

gleichgstellt wurden. Jacobson lag daran, dem<br />

jüdischen Gottesdienst Schönheit und Würde<br />

zu verleihen und ihm eine er bauliche Form<br />

zu geben: mit Chorgesang und Orgel, durchgestalteter<br />

Liturgie und deutschsprachiger<br />

Pre digt. 1814 ging Jacobson nach Berlin, wo er<br />

seine Re formbemühungen fortsetzte, Mitglied<br />

des Vereins für Cultur und Wissenschaft der<br />

Juden wurde und pri vate Gottesdienste hielt.<br />

Die Orthodoxie setzte je doch 1823 mit einer<br />

Kabinettsorder durch, dass „der Gottesdienst<br />

der Juden nur in der hiesigen Synagoge und<br />

nur nach dem hergebrachten Ritus ohne die<br />

ge ringste Neuerung in der Sprache und in der<br />

Ceremo nie, Gebeten und Gesängen, ganz nach<br />

dem alten Herkomen gehalten werden solle.“<br />

Der Rittergutsbe sitzer und Geheime Finanzrat<br />

zog sich daraufhin nach Hannover zurück.<br />

Begraben ist er auf dem jüdischen Friedhof in<br />

der Schönhauser Allee in Berlin, unweit von<br />

Abraham Geiger. Israel Jacobsons Neuerungen<br />

im Kultus und sein Engagement für ein Miteinander<br />

von Juden und Christen in einer aufgeklärten<br />

Gesellschaft wirken bis heute fort.<br />

Foto: Margrit Schmidt


Chag sameach ve‘kasher<br />

Pessach<br />

von Rabbiner Dr. Leo Baeck<br />

„Since the early beginnings of our religion,<br />

the Spring Festival has been celebrated as the<br />

Festival of our Free dom. To celebrate it, we put<br />

on our table the Bread of Misery. At times this<br />

bread of Woe has not been more than a symbol,<br />

whilst, alas, at others it was very real. But at<br />

all times the Festival and its token have spoken<br />

a plain language. They have reminded us that<br />

there cannot be freedom without sacrifice. To<br />

be free means above all to be true and faithful<br />

to one’s self. And to be true to one’s own self<br />

means to be prepared to forgo and to deny oneself<br />

many a thing if the duty commands.<br />

There is a civic freedom, every individual’s right<br />

to his own personal and private sphere of life<br />

into which the community, the State, may not<br />

intrude without compelling reasons. There is a<br />

political freedom, the right of the indi vidual to<br />

share in the administration and the government<br />

of the community to which he belongs. For continuity<br />

and strength this twofold freedom relies<br />

on a third freedom – moral freedom. Moral<br />

freedom is the determination of the individual<br />

to create from within a set of moral values and<br />

to apply to it. Moral freedom is the privilege<br />

– and also the obligation – to harbour and to<br />

„Had Gadya“ von Ardyn Halter (London / Israel)<br />

show this spirit the outcome and the blessings<br />

of which is faithfulness. Wherever men live in<br />

this moral freedom, civic and political freedom<br />

will truly keep alive.<br />

It is to this moral, this spiritual freedom that we<br />

devote the Spring Festival. We remember and<br />

we confess to the roots of this freedom which<br />

has gained strength from the sacri fices of the<br />

faithful. We realise there is reward for our keeping<br />

faith with Judaism and in making sacrifices<br />

for its sake, that there is a blessing bestowed<br />

on those who yearn for the true freedom and<br />

who are willing to undergo hard ship to-day<br />

for the sake of the morrow. This, then, is our<br />

Passover.<br />

Aus: “Passover”, Association of Jewish Refugees<br />

Infor mation 1.4 (London, April 1946): S. 27<br />

Rabbiner Dr. Leo Baeck (1873 - 1956) war der bedeutendste<br />

Repräsentant des liberalen deutschen<br />

Judentums vor der Schoa und Ehrenpräsident der<br />

World Union for Progressive Judaism. Leo Baeck<br />

wurde am 10. Mai 1945 von der Roten Armee im KZ<br />

Theresienstadt befreit. 1946 konnte er Pessach nach<br />

Jahren der Verfolgung wieder als „Chag Cherut“<br />

feiern, als Fest der Befreiung.<br />

3<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Liebe Freunde<br />

Die Präsidentin der<br />

Weltunion für progressives<br />

Judentum, Frau Ruth Cohen<br />

(Herzliya/Israel), stattet<br />

Deutschland vom 2. bis 5.<br />

Mai 2005 einen offiziellen<br />

Besuch ab. Sie wird begleitet<br />

durch den Generalsekretär<br />

Rabbiner Uri Regev (Jerusalem), das Vorstandsmitglied<br />

Leslie Bergman (Südafrika), den<br />

Vor sitzenden der Europäischen Region, Gordon<br />

Smith, und Dr. Jan Mühlstein, Vorsitzender der<br />

Union progressiver Juden in Deutschland.<br />

Die Delegation kommt nach Deutschland,<br />

um sich über den Stand der rechtlichen und<br />

politischen Gleichstellung liberaler jüdischer<br />

<strong>Gemeinde</strong>n vor Ort zu informieren. Dabei sind<br />

in den letzten Monaten durchaus manche kleine<br />

Verbesserungen erzielt worden. Dennoch<br />

sieht die Weltunion für progressives Judentum<br />

die Gefahr, dass das staatliche Handeln in<br />

Deutschland insgesamt die Freiheiten der<br />

jüdischen Bekennt nisse<br />

tangiert, weil kein<br />

transparenter Schlüssel<br />

der Mittel verteilung auf<br />

Bundesebene geschaffen<br />

worden ist.<br />

Ebenso werden die Perspektiven<br />

der deutschen<br />

Rabbineraus bildung am<br />

Abraham Geiger Kolleg an der Universität<br />

Pots dam auf dem Programm stehen. Hier<br />

gilt es, durch Zusam menwirken von Bund,<br />

Kultusministerkonferenz und den durch den<br />

Zentralrat verwalteten öffentlichen Mitteln<br />

aus dem Vertrag vom 27.1.2003 eine finanzielle<br />

Absicherung zu ges talten. Um dies zu erreichen<br />

und weitere Gespräche unter Modera tion des<br />

Bundes einzuleiten, wird Frau Cohen und ihre<br />

Dele gation u.a. mit Bundeskanzler Gerhard<br />

Schröder, Bun desin nenminister Otto Schily<br />

und Vertretern des Deutschen Bun destages<br />

zusammentreffen. Weitere Konsultationen sind<br />

ge plant.<br />

Außerdem wird Frau Cohen am 2. Mai dem<br />

Festakt zur Über reichung des Israel Jacobson<br />

Preises an Rabbiner Walter Ja cob in der Bayerischen<br />

Vertretung beiwohnen und in diesem<br />

Rahmen den offiziellen Empfang aus Anlass ihres<br />

Besuches in Berlin geben. Am 5. Mai findet<br />

unter gemeinsamer Schirmherrschaft mit der<br />

norwegischen Kultur- und Religi onsministerin<br />

Valgerd Svarstad Haugland eine Matinee aus<br />

Anlass des Jom HaSchoa statt: Bente Kahan ist<br />

mit ihrem Programm „Home“ in der Deutschen<br />

Oper Berlin zu Gast.<br />

Rabbiner Dr. Walter Homolka<br />

Gouverneur der Weltunion für Progressives<br />

Judentum


Foto: Archiv<br />

Dank an einen Freund<br />

Von Rabbiner Walter Homolka<br />

Gemeinsam sind Juden<br />

und Christen als Söhne<br />

Abrahams be rufen, „Segen<br />

für die Welt zu sein“:<br />

Das war die Ansicht des<br />

verstorbenen Papstes. Die<br />

Katholiken dieser Welt haben<br />

ihren Hirten verloren, wir Juden einen guten<br />

Freund. Während sei nes Pontifikats ist eine neue<br />

Nähe zwischen Juden und Chris ten entstanden.<br />

Seine menschliche Zuwendung und seine Zei chen<br />

des Respekts, der Liebe und der persönlichen<br />

Nähe ha ben viele Juden mit der oft dunklen<br />

Geschichte der Kirche versöhnen können.<br />

Die Regierungszeit von Johannes Paul II. ist mit<br />

der wichti gen Einsicht verbunden: der mit Israel<br />

geschlossene Bund ist von Gott nie gekündigt<br />

worden. Das jüdische Volk steht nach wie vor in<br />

einer unwiderruflichen Berufung und ist immer<br />

noch Erbe je ner Erwählung, der Gott treu ist.<br />

Es ist das „Volk des Bun des“, welches von der<br />

Bibel her als „Licht der Völ ker“ eine universale<br />

Sendung hat. „Gemeinsam sind Juden und<br />

Christen als Söhne Abrahams berufen, Segen<br />

Die Einzigartigkeit der Schoah<br />

von Ernst Ludwig Ehrlich<br />

Längst bevor das Buch «Erinnerung und Identität»<br />

von Papst Johannes Paul II. erschienen<br />

war, kritisierten Mitglieder des Zentralrats<br />

der Juden in Deutschland Äußerungen des<br />

Paps tes. Sie behaupteten, er würde die Schoah<br />

relativieren, indem er gewisse Vergleiche mit<br />

ihr anstellte. Die Ausrottung der Juden und der<br />

Roma wird zwar erwähnt, aber viele andere<br />

Morde, besonders in Russland und Polen,<br />

erscheinen im glei chen Zusammenhang. Darin,<br />

zwar durch einen Absatz ge trennt, wendet sich<br />

der Papst gegen die Abtreibung. Der ge samte<br />

Zusammenhang, in dem diese Ausführungen<br />

stehen, ist zumindest missverständlich. Der<br />

Zentralrat unterstellt dem Papst daher eine<br />

Relativierung der Schoah.<br />

Es war kein glückliches Unternehmen, dass<br />

gegen den Text polemisiert wurde, bevor er<br />

überhaupt im Original vorlag. Die Medien<br />

eignen sich nicht dazu, eine Kritik aufzubauen<br />

oder gar eine judenfeindliche Haltung zu postulieren,<br />

wenn man den vollen Text nicht kennt.<br />

Das Gespräch mit Kardinal Lehmann über das<br />

Grundsätzliche der Schoah wäre der richtige<br />

Weg gewesen. Leider neigen manche dazu, nur<br />

das Negative in die Medien zu bringen, nicht<br />

für die Welt zu sein“, rief er uns während ei ner<br />

Begegnung mit Rabbinern in Main 1980 zu.<br />

1986 be suchte Johannes Paul II. dann die Große<br />

Synagoge in Rom. Zur christlichen Identität<br />

sagte der Papst dort, „dass die Kir che Christi<br />

ihre ,Bindung‘ zum Ju dentum entdeckt, indem<br />

sie sich auf ihr eigenes Geheimnis besinnt. Die<br />

jüdische Religion ist für uns nicht etwas .Äußerliches‘,<br />

sondern gehört in gewis ser Weise<br />

zum ,Inneren‘ unserer Religion. . .“ Jesus war<br />

für ihn ein echter Sohn Isra els. Sein Judesein<br />

und die Tatsache, dass sein Milieu die jüdi sche<br />

Welt war, gehören nach Johannes Paul II. zur<br />

Mensch werdung des Sohnes Got tes. Sie sind<br />

nicht ein einfacher kul tureller Zufall. Wer die<br />

Bindung Jesu an das jüdische Volk lö sen und<br />

durch eine an dere religiöse Tradition ersetzen<br />

wollte, würde die Identität der Person Jesu<br />

beschädigen.<br />

1993 kam es zum Grundlagenvertrag zwischen<br />

Heiligem Stuhl und dem Staat Israel. Im<br />

März 2000 sprachen der Papst und leitende<br />

Kardinäle eine umfassende Vergebungsbitte<br />

an das jüdische Volk für Fehler von Gläubigen<br />

aber positive Äußerungen, die sehr deutlich die<br />

Einzig artigkeit der Schoah zum Ausdruck bringen.<br />

Ein solcher Text stammt vom Präsidenten<br />

des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,<br />

Hans Joachim Meyer: «Die Verbrechen der Nazis<br />

am jüdischen Volk sind ein singuläres Ereignis<br />

der Menschheitsgeschichte. Der Papst, die<br />

katholischen Bischöfe und die Vertretungen der<br />

katholischen Laien in Deutschland haben mehrfach<br />

und unzweideutig die Schoah verurteilt und<br />

sich kritisch mit der Tendenz zum Antijudaismus<br />

in der Kirchengeschichte ausein ander gesetzt.»<br />

Meyer stellt fest, dass es unvermeidlich ist, dass<br />

die Schoah auch zu anderen geschichtlichen<br />

Ereignissen in Beziehung gesetzt wird. Dadurch<br />

wird die Schoah aber keineswegs verharmlost.<br />

«Eine polarisierende Debatte schadet den<br />

jüdisch-christlichen Beziehungen. Stattdessen<br />

brauchen wir Gemeinsamkeit gegen Neonazis<br />

und neuen Antisemitis mus. Darum sollten kontroverse<br />

Fragen zwischen Juden und Christen<br />

im vertrauensvollen Dialog geklärt werden.<br />

Dazu werden das Zentralkomitee der deutschen<br />

Katholiken und sein Gesprächskreis Juden<br />

und Christen, wie bereits seit Jahrzehnten,<br />

weiterhin beitragen.» Dieser Gesprächskreis<br />

tagt regelmäßig und ist vom Zentralrat bisher<br />

4<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

und der Kirche in der Vergangenheit. Daran<br />

schloss sich eine Pilgerreise des Papstes ins<br />

Heilige Land an, bei der Johannes Paul II. an der<br />

Klagemauer seine Bitte um Vergebung erneuerte.<br />

2001 schließlich bestätigte die Päpstliche<br />

Bibelkommission: das Nein des Judentums<br />

zur Messianität Jesu von Nazareths wird auch<br />

von Christen als Treue zur Heiligen Schrift als<br />

Quelle jüdischer Tradition gewürdigt und anerkannt.<br />

Diese Aussagen sind auf den ersten Blick<br />

für das überkom mene Glaubensver ständnis<br />

von Christen irritierend, aber Jo hannes Paul<br />

II. hat damit eine Brücke zum jüdischen Volk<br />

ge schlagen, die uns in Zukunft tragen wird. Die<br />

spirituelle Komponente ist dabei ganz wichtig:<br />

auch wenn unaufhebbare Unterschiede zwischen<br />

Juden und Christen bleiben werden, sind<br />

wir um Gottes willen miteinander verbunden.<br />

Johannes Paul II. hat uns den Auftrag hinterlassen,<br />

seine gemeinsame Zukunftshoffnung<br />

zu entfalten und Aufgaben für die Gestal tung<br />

der Welt zu benen nen. Füreinander und für<br />

die Welt sollen Juden und Christen ein Segen<br />

sein. Die Trauer um diesen großen Menschen<br />

ver bindet uns Juden und Christen in diesen<br />

Stunden und Tagen in aller Welt. Und unsere<br />

Hoffnung ist: Sein großartiges Ver mächtnis<br />

möge le bendig bleiben.<br />

aus: DIE PRESSE, Wien, 04. April 2005<br />

nicht zur Kenntnis genommen worden, obwohl<br />

er bereits seit 30 Jahren existiert. Zum ersten<br />

Mal fand nun ein Gespräch zwischen dem Zentralkomitee<br />

und dem Zentralrat statt, das sehr<br />

sachlich verlief. Leider fühlte sich aber ein Präsidiumsmitglied<br />

des Zentralrats bemüßigt, dieses<br />

an sich gute Gespräch negativ in der Presse zu<br />

charakterisieren. Johannes Paul II. ist der erste<br />

Papst, der sich um ein grund sätzlich neues<br />

Verhältnis zu den Juden bemüht hat. Mensch lich<br />

verständlich ist es freilich, dass er in seinem<br />

Buch auch die Verfolgung der Polen durch die<br />

NS-Mörder erwähnt. Ei ner der Gründe, warum<br />

er sich während seines Pontifikats be sonders<br />

den Juden zugewandt hat, ist, dass er als Pole in<br />

Kra kau zweierlei miterlebt hat: die Verfolgung<br />

seiner polnischen Landsleute und die rauchenden<br />

Schornsteine von Auschwitz.Der Text in<br />

seinem neuen Buch ist weit davon entfernt, die<br />

Schoah zu verharmlosen, wenngleich der ganze<br />

Abschnitt subtiler hätte formuliert werden<br />

sollen. Es besteht kein Zwei fel, dass der Papst<br />

dem Wortlaut von Hans Joachim Meyer voll<br />

zustimmen würde: «Die Verbrechen der Nazis<br />

am jüdi schen Volk sind ein singuläres Ereignis<br />

der Menschheitsge schichte.»<br />

Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich (Basel) ist Mitglied<br />

des Senats des Abraham Geiger Kollegs. Sein Essay<br />

erschien zuerst im Schweizer <strong>Jüdische</strong>n Wochenmagazin<br />

„tachles“ am 4. März 2005


Dialog<br />

„Roma locuta,<br />

causa fi nita…“<br />

von Hartmut G. Bomhoff<br />

Für Juden führen in der Regel längst nicht alle<br />

Wege nach Rom, und Sätze wie der von Kirchenvater<br />

Augustinus, „Rom hat gesprochen,<br />

die Sache (ist) beendet“ lassen ei nen zunächst<br />

an der Dialogfähigkeit der katholischen Kir che<br />

per se zweifeln. Dank des Engagements des<br />

Kanonistischen Instituts an der Universität<br />

Potsdam, namentlich aber von Dr. Stefan Gatzhammer,<br />

hatten die Studenten und Mitar beiter<br />

des Abraham Geiger Kollegs im März jedoch<br />

die sel tene Gelegenheit, sich selbst ein Bild<br />

von „Struktur und Arbeitsweise der Römischen<br />

Kurie“ zu machen, und siehe da: manch lieb gewonnenes<br />

Klischee wurde dabei ausge räumt.<br />

Am römischen Blockseminar unter Leitung von<br />

Prof. DDr. Elmar Güthoff nahmen vom 6. bis 13.<br />

März 2005 über 50 Studierende, Dozenten und<br />

Professoren des Kir chenrechts, katholischer<br />

Theologie und jüdischer Studien sowie der<br />

Rechtswissenschaften von sechs deutschen<br />

Uni versitäten (Augsburg, Berlin, Greifswald,<br />

München, Münster, Potsdam) teil. Begleitet<br />

wurde unsere Gruppe vom Rektor der Universität<br />

Potsdam, Prof. Dr. Wolfgang Loschelder und<br />

Gattin, vom Präsidenten des Abraham Geiger<br />

Kollegs, Oberrabbiner Prof. Dr. Walter Jacob,<br />

sei ner Frau Irene und Rabbiner Dr. Walter<br />

Homolka.<br />

Den Auftakt unseres Rom-Besuchs machte ein<br />

ganz unprätentiöses, ja herzliches Gespräch<br />

mit Abtprimas Notker Wolf OSB in der Abtei<br />

Sant’ Anselmo, der ein Abendessen im Refektorium<br />

folgte. Zu Beginn des eigentlichen<br />

Seminars während der „Woche der Brüderlichkeit“<br />

fand an der Päpstlichen Uni versität<br />

Antonianum ein gemeinsamer Studientag der<br />

Uni versitäten München, Potsdam und päpstlicher<br />

Hochschu len anlässlich des 40. Jahrestags<br />

der wegweisenden Erklä rung des Zweiten<br />

Vatikanischen Konzils „Nostra Aetate“ statt.<br />

Gruppenbild mit Kirchenrechtlern und Rabbinerstudenten auf dem Petersplatz<br />

Kardinal Kasper und Rabbiner Regev beim Gespräch<br />

über den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit<br />

der Christen<br />

Darüber hinaus standen Arbeitsbesuche bei<br />

verschie denen Kongregationen, Päpstlichen<br />

Räten und Gerichts höfe der Römischen Kurie<br />

sowie Gespräche mit den Ku rienkardinälen Zenon<br />

Grocholewski, Walter Kasper und Joseph<br />

Ratzinger auf dem Programm; wir nahmen<br />

außerdem an einem Festakt mit dem italienischen<br />

Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi teil<br />

und wurden vom emeritierten Präsidenten des<br />

Verfas sungsgerichts der Republik Italien, Prof.<br />

Dr. Cesare Mira belli im Corte Costituzionale auf<br />

dem Quirinal empfangen.<br />

Für die AGK-Studenten war es eine angenehme<br />

Erfah rung, überall auf Interesse am interreligiösen<br />

Dialog und künftiger Kooperation zu treffen,<br />

etwa bei einer Ge sprächsrunde mit dem<br />

Rektor der Päpstlichen Universität Urbaniana,<br />

im Gespräch mit John T. Pawlokowski OSM,<br />

„La religione ebraica non ci è ‘estrinseca’,<br />

ma in un certo qual modo, è ‘intrinseca’ alla nostra religione.<br />

Abbiamo quindi verso di essa dei rapporti che non abbiamo con<br />

nessun’altra religione. Siete i nostri fratelli prediletti e, in un<br />

certo modo, si potrebbe dire i nostri fratelli maggiori“<br />

Johannes Paul II am 13. April 1986 in der Großen Synagoge Roms<br />

5<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Foto: Resa Davids, Jerusalem<br />

Rabbiner Homolka übergibt Kardinal Kasper einen<br />

vom Päpstlichen Missionswerk der Frauen angefertigten<br />

Tallit<br />

dem Präsidenten des International Council of<br />

Christians and Jews, oder bei der Begegnung<br />

mit Rabbiner Michael A. Signer, dem Vordenker<br />

von „Dabru Emet“, der derzeit in Rom an der<br />

Päpstlichen Universität Gregoriana unterrichtet.<br />

Daneben kam es zum Wiedersehen mit<br />

einer Reihe von Führungspersönlichkeiten aus<br />

Reihen der WUPJ, etwa mit Leslie Bergman<br />

(London). Eine ganz eigene Atmosphäre umfing<br />

uns beim Kabbalat Schabbat-Gottesdienst im<br />

Tempio Maggiore, der 1904 errichteten Großen<br />

Synagoge von Rom.<br />

In der knappen Freizeit erwies sich die Ewige<br />

Stadt als quicklebendig, auch wenn sich in die<br />

Entdeckungslust unserer Seminarteilnehmer<br />

immer wieder die Sorge um den schwerkranken<br />

Papst mischte. In den zahlreichen Referaten,<br />

aber auch in den Gesprächen am Rande des Seminarprogramms<br />

wurde immer wieder deutlich,<br />

dass es eine Vielzahl von Parallelen zwischen<br />

der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz,<br />

und dem kanonischen Recht gibt und sich so<br />

interessante Perspektiven für eine weitere<br />

Zusammenarbeit unserer Institute bieten Wir<br />

danken den Kirchenrechtlern an der Universität<br />

Potsdam sehr dafür, dass sie uns nach Rom<br />

ge führt und uns Gelegenheit gegeben haben,<br />

einmal einen Blick hinter die Mauern des Vatikans<br />

zu werfen und ein interreligiöses Gespräch<br />

ganz eigener Art zu beginnen.<br />

6<br />

Foto: Michael Finschow<br />

Foto: Konstantin Pal


Foto: A. Boscolo Agostini<br />

Ehrenprofessur<br />

Das Land Brandenburg<br />

verleiht Rabbiner Walter<br />

Jacob am 4. Mai 2005 den Titel<br />

„Professor“ gemäß § 52 Abs.4<br />

BbgHG. Die Ehrenprofessur<br />

des Landes wird an herausragende Förderer<br />

der Wissenschaftslandschaft Brandenburgs<br />

verliehen.Voraussetzung sind zwei positive<br />

Hochschulgutachten, eine Befürwortung durch<br />

die Landesrektorenkonferenz und der positive<br />

Entscheid der Ministerin. Frau Prof. Johanna<br />

Wanka würdigt mit dieser seltenen Ehrung die<br />

Verdienste Rabbiner Jacobs beim Aufbau des<br />

ersten Rabbinersemi nars in Deutschland nach<br />

der Schoa: des Abraham Geiger Kollegs an der<br />

Universität Potsdam.<br />

Gorki Extra<br />

Wie viel Glauben braucht der Mensch?<br />

In Zusammenarbeit mit dem Abraham<br />

Geiger Kolleg<br />

Ein Gespräch zwischen<br />

Georg Kardinal Sterzinsky und<br />

Alfred Grosser<br />

Moderation: Gabriele von Arnim<br />

Maxim Gorki Theater, 19. Mai, 20.00 Uhr,<br />

Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin-Mitte<br />

Mit freundlicher Unterstützung der Dresdner Bank<br />

5 ROM<br />

Kardinal Grocholeski (Mitte) und Monsignore Bechina<br />

(rechts vorne) schilderten sehr anschaulich die Arbeit der<br />

Kongregation für das katholische Bildungswesen<br />

6<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Rabbiner Uri Regev und Mitglieder<br />

seiner WUPJ-Delegation<br />

in der päpstlichen Università<br />

Cattolica del Sacro Cuore<br />

Surprise! Auf Initiative von unserer Freundin Elena Fodor überraschte die Familie Boscolo Rabbiner Jacob mit<br />

einem Geburtstagsessen in ihrem feinen Hotel Exedra<br />

Foto: Resa Davids<br />

Foto: Michael Finschow<br />

Foto: A. Boscolo Agostini


Letter From Jerusalem<br />

A Tribute to Pope John Paul II<br />

Dear Friends –<br />

I’m writing you these lines as<br />

Pope John Paul II is laid to his<br />

eternal rest in Rome. In recent<br />

days, prior to the Pope’s passing<br />

and even more so afterwards,<br />

the world focused its attention on his life and<br />

legacy. Much has been said in Israel and throughout<br />

the Jewish World about his contributions to<br />

Catholic / Jewish relations.<br />

A World Union mission visited the Vatican only<br />

a few weeks ago, had planned to meet with<br />

the Pope and engage in a dialogue with Church<br />

officials responsible for relations with the Jewish<br />

people, marking the 40th anniversary of nostra<br />

aetate. Alas the Pope was already ill and we<br />

were unable to see him even as we maintained<br />

the planned dialogue. Our mission (led by<br />

Rabbi Mark Winer, Senior Rabbi at West London<br />

Synagogue of British Jews and Chair of the World<br />

Union Task Force on Interreligious Relations and<br />

myself, including by some of our most prominent<br />

rabbinic and lay leaders) prayed for the healing of<br />

Pope John Paul II at his hospital. A few minutes<br />

later when the Pope appeared for the first time in<br />

a number of days at his window, we were hoping<br />

that he would indeed recover his strength.<br />

Pope John Paul II passed away 6 days ago,<br />

Saturday. That morning we read in synagogues<br />

from Sidra 8, Leviticus 11, “Be holy because I am<br />

holy”. There are few in the world who have so<br />

remarkably embodied the link between God’s<br />

divine and holy essence and his commandment<br />

to humanity to sanctify our lives in recognition of<br />

the divine essence God has implanted within us.<br />

His commitment and total dedication to peace<br />

and kindness, relieving the pain and suffering of<br />

the needy, advancing democracy and resolving<br />

strife and conflict have inspired millions in and<br />

outside the Church.<br />

During his historic visit to Israel and visits<br />

around the world, Pope John Paul II worked<br />

wonders in conveying the message of the<br />

Catholic Church. Through his unique personality<br />

bridged gaps between the Church and other<br />

religious or ethnic groups, kindling a religious<br />

spirit among all those he touched. This was particularly<br />

true in Israel where most Jews have had<br />

little or no personal experience with Christians<br />

and where the image of the Church is tarnished.<br />

It was both John Paul II’s personality and the<br />

substance of his message that conquered hearts<br />

and changed perceptions and prejudices. The<br />

memorable prayer he placed between the stones<br />

of the Western Wall reflected his unwavering<br />

commitment to changing the age old teachings<br />

against the Jews and to atone for the suffering<br />

inflicted in the past.<br />

Of theological magnitude and importance was<br />

his repeated assertion that the Jews should be<br />

viewed as people of the covenant, so contrary to<br />

the age-old belief that Christianity had replaced<br />

the Jewish people, that the covenant with the<br />

Jews was abrogated and the “teaching of contempt”.<br />

It was his personal encounters with Jews<br />

from his early childhood, his own role in aiding<br />

victims of the Nazis, his strong an unequivocal<br />

condemnation of anti-semitism as a “sin against<br />

God and against man” and his bold decision to<br />

establish diplomatic relations with Israel that<br />

serve as the background to the unique relationship<br />

John Paul II established with numerous<br />

local, national and international Jewish groups.<br />

While one should be impressed by his unique<br />

emphasis on the Jews, we should not lose sight<br />

of the fact that this relationship is only a part of<br />

an overall desire and effort to see human brotherhood<br />

reign and the respect and coexistence<br />

amongst all God’s children advanced.<br />

It is these very values that compel us to play an<br />

even more active role in the interfaith dialogue,<br />

as the international alliance of liberal Jews<br />

committed to heeding God’s eternal call “justice,<br />

justice shall you pursue” and in viewing all humanity<br />

as created in God’s image. At the Vatican,<br />

in appreciation of the Pope’s example and in<br />

commemoration of the 40th anniversary of the<br />

nostra aetate we proposed to Cardinal Kasper<br />

(the head of the Holy See Commission on Religious<br />

Relations with the Jews) specific programs<br />

for cooperation on the local and international<br />

level with an emphasis on bringing that message<br />

to our respective communities at the grassroots<br />

level, paying special attention to the next generation<br />

and the educational arena.<br />

As we mourn the death of Pope John Paul II we<br />

hope and pray that his legacy left to the Church<br />

and the entire world will be shared by his successor.<br />

We commit ourselves to enhancing our<br />

relations so as to bring Pope John Paul II’s vision<br />

to fruition.<br />

Zichro l’Vracha - His memory will be for a<br />

blessing.<br />

Rabbi Uri Regev<br />

Executive Director<br />

World Union for Progressive Judaism<br />

7<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Freundeskreis zur Unterstützung des liberalen Judentums e.V.<br />

CHAVERIM sind Münchner Bürger, die sich<br />

entschlossen haben, dem liberalen Judentum<br />

wieder mehr Präsenz in der Öffentlichkeit<br />

zu verleihen. Sie gehören verschiedenen<br />

Religionsgemeinschaften an und sind parteipolitisch<br />

un gebunden. CHAVERIM soll auch eine<br />

Plattform des inter religiösen Dialoges sein.<br />

CHAVERIM veranstaltet Vor träge, Lesungen,<br />

Konzerte, Filmvorführungen und Exkur sionen.<br />

Die Mitglieder erhalten regelmäßig Informationen<br />

über die Aktivitäten von CHAVERIM und<br />

haben Teil am liberalen jüdischen Leben.<br />

Dienstag, 24. Mai, EON München: „Zeitzeuge<br />

des liberalen Judentums“: Otto von Habsburg<br />

spricht über seine Erfahrungen. Dr. Jan Mühlstein<br />

(Beth Shalom) begrüßt im Namen der<br />

<strong>Liberale</strong>n jüdischen <strong>Gemeinde</strong> Münchens und<br />

stellt die liturgischen Synagogalgeräte vor,<br />

die aus New York an Beth Shalom übergeben<br />

werden sollen. Musikalische Umrahmung und<br />

Buffet.<br />

Chaverim e. V.<br />

c/o Kehayoff Verlagsbuchhandlung<br />

Steinstraße 11, 81667 München<br />

chaverim.muenchen@gmx.de<br />

Bankverbindung:<br />

Merck Finck & Co.<br />

Kto Nr. 313 696 | BLZ 700 304 00<br />

Sie möchten regelmässig Informationen<br />

über liberales Judentum im<br />

deutschsprachigen Raum beziehen?<br />

In Deutschland erhalten Sie gegen<br />

eine Mindestspende von 15 Euro die<br />

nächsten sechs Ausgaben der AGK<br />

News(„Kescher“) per Post ins Haus.<br />

Schreiben Sie an: Redaktion Kescher<br />

PF 310273, 10632 Berlin<br />

E-Mail: leo.baeck@berlin.de<br />

Unsere Bankverbindung:<br />

Abraham Geiger Kolleg, Stichwort AGK<br />

News, Konto Nr. 10983 34 bei der<br />

Deutschen Bank AG (BLZ 100 700 24)


Dankeschön!<br />

Um für all unsere Studenten<br />

Stipendien bereitstellen zu<br />

können, braucht es immer wieder<br />

das Engagement Dritter.<br />

Wir danken der Deutschen<br />

Bank AG dafür, dass sie die Förderung aus<br />

Mitteln ihres Stiftungsfonds fortführt. Die<br />

Deutsche Bank pflegt mit diesen Stipendien<br />

auch die Er innerung an jüdische Persönlichkeiten<br />

ihres Hauses, etwa an den Bankier<br />

Oskar Wassermann.<br />

Was wäre ein Rabbinerseminar ohne Bücher?<br />

Wir sind der Familie Fackenheim und dem<br />

Hebrew Union College Je rusalem sehr dankbar<br />

für die Bücher aus dem Nachlass von Emil<br />

Fackenheim (1916–2003). Aus Pittsburgh hat<br />

uns eine ganz besondere Bücherspende erreicht:<br />

die Bib liothek von Rabbiner Solomon<br />

B. Freehof. Wir werden in der nächsten Augabe<br />

von „Kescher“ ein ausführliches Porträt<br />

von Rabbiner Freehof und seiner Frau Lilian<br />

sowie des Salomon B. Freehof Institute for<br />

Progressive Halakha in Tel Aviv bringen.<br />

Das Abraham Geiger Kolleg kann seine Projekte<br />

und Ex kursionen oft nur mit Hilfe von<br />

Zuwendungen Dritter durchführen. Wir danken<br />

Peter Egel (Berlin) für die Un terstützung<br />

unseres Studientages „Was hat Mohammed<br />

aus dem Judenthume aufgenommen?“ im<br />

Februar und Peter Kopf in Cottbus für seine<br />

Spende, mit der er zum Er folg unserer<br />

Rom-Exkursion im März beigetragen hat.<br />

Auch „Keschet“ ist als Mitteilungsblatt des<br />

Abraham Gei ger Kollegs mit Informationen<br />

über liberales Judentum im deutschsprachigen<br />

Raum auf die finanzielle Unterstützung<br />

durch unsere Leser angewiesen. Vielen Dank<br />

an Ruth Nessel (Berlin) für ihre Spende.<br />

Ein besonderes Dankeschön gebührt Jannon<br />

Stein, die nach Abschluss ihrer Studien in<br />

Princeton im Frühjahr ei nige Wochen in<br />

Berlin verbracht und sich als „Volunteer“ für<br />

das Abraham Geiger Kolleg nützlich gemacht<br />

hat. Fa milie Stein ist heute in New Jersey<br />

zu Hause, gehört aber zu den Gründern der<br />

<strong>Liberale</strong>n <strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong> Beth Schalom<br />

in München, und wir freuen uns, dass durch<br />

das Engagement ihrer Tochter Jannon die<br />

Verbindung zu ih nen erhalten bleibt.<br />

Das Abraham Geiger Kolleg gGmbG ist als<br />

gemeinnützig anerkannt und berechtigt,<br />

Zuwendungsbescheinigungen für das Finanzamt<br />

auszustellen. Wir freuen uns über jede<br />

Spende! Unsere Bankverbindung: Abraham<br />

Geiger Kol leg, Konto Nr. 108 30 39 bei der<br />

Deutschen Bank AG Berlin (BLZ 100 700 24).<br />

8. Mai 1945<br />

A Return to Life<br />

Vom Leben nach dem Überleben<br />

von Hartmut Bomhoff<br />

Vor 60 Jahren begann der Wiederaufbau<br />

jüdischen Lebens in Deutschland<br />

mit Hilfe aus Amerika<br />

Die Befreiung vor sechzig Jahren ging nur<br />

allmählich voran, und von einer „Stunde Null“<br />

kann keine Rede sein: als etwa der amerikanische<br />

Chaplain Gunter W. Plaut, der selbst<br />

1935 aus Deutschland in die USA emigriert war,<br />

am 22. März in den Trümmern der Synagoge<br />

in der Roonstraße in <strong>Köln</strong> schon den ersten<br />

Gottesdienst feierte, da waren noch im mer<br />

Tausende auf Todesmärschen unterwegs oder<br />

in den vielen Konzentrationslagern und ihren<br />

Außenstellen Ge walt und Tod ausgesetzt, und<br />

der Kampf um Berlin fing erst an. Auch die Alliierten<br />

sahen sich noch lange mit wechselnden<br />

Frontlinien konfrontiert: als Rabbiner Plaut<br />

in Bonn bereits mit dem ersten Sederabend<br />

nach der Befreiung begonnen hatte, be kam<br />

seine 104. Infanteriedivision plötzlich Order,<br />

die Rheinbrücke von Remagen zu nehmen,<br />

quasi noch mit Matzot in der Hand. Am 11. April<br />

1945 befreite seine Division dann das KZ Dora-<br />

Nordhausen, und es rührt ihn noch immer, dass<br />

die ausgemergelten jüdischen Überle benden<br />

nicht zuerst nach Essen fragten, sondern nach<br />

Sid durim und Tallitot – und wie man Nachricht<br />

vom Schick sal ihrer Verwandten erhalten<br />

könnte.<br />

8<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Rabbiner Plaut, heute<br />

in Toronto zu Hause, Ehrensenator<br />

des Abraham<br />

Geiger Kollegs und durch<br />

seinen Torakommentar<br />

bekannt, ist nur einer von<br />

vielen amerikanischen<br />

Militärrabbinern, die<br />

den jüdischen Überlebenden<br />

in Deutschland Rabbiner Abraham<br />

nach Kriegsende zur Klausner (geb. 1915),<br />

Seite standen, für U.S. Army Chaplain in<br />

Lebensmittel und<br />

München<br />

1945–1948<br />

Jüdischkeit sorgten und<br />

damit begannen, Listen mit den Namen dieser<br />

Displaced Persons aufzustellen. Rabbiner<br />

Abraham Klausner, ein junger Reformrabbiner<br />

aus Memphis, Tennessee, sam melte im Juni<br />

1945 25.000 Namen von Überlebenden und<br />

prägte für sie den Begriff „She’erith HaPletah“,<br />

„überle bender Rest“ – eine Bezeichnung,<br />

die sich schon im Buch Esra findet. Klausner<br />

war es auch, der die Smichot von in Dachau<br />

befreiten Rabbiner aus Osteuropa beglau bigte<br />

und so ein erstes Rabbinat für das Central<br />

Commit tee of Liberated Jews in Bavaria“ schuf.<br />

Foto: USHMM Washington DC.


Der Vater von AGK-Kuratoriumsmitglied Max Warburg,<br />

Eric Warburg, öffnete den Familiensitz Kosterberg<br />

in Hamburg-Blankenese für überlebende Kinder<br />

aus Bergen-Belsen und Theresienstadt. Das Anwesen<br />

war 1941 von den Nazis beschlagnahmt worden und<br />

wurde kurz nach dem Krieg von der britischen Armee<br />

an die Familie zurückgegeben<br />

1946 sorgte er für den Druck einer Pessach-<br />

Haggada, in der es treffend „ We were slaves<br />

to Hitler in Germany“ heißt, 1947 für eine erste<br />

Talmud-Ausgabe für die gut 250.000 Juden, die<br />

es zu dieser Zeit in den vier Besatzungszonen<br />

Deutsch lands gab.<br />

Wie aber sah es damals in Berlin aus? Im<br />

United States Holocaust Memorial Museum<br />

in Washington finden sich zahlreiche Photos,<br />

die vom Leben nach dem Überleben er zählen,<br />

jedoch auch vom ganz persönlichen Einsatz<br />

amerikani scher Militärrabbiner wie Isidore<br />

Breslauer, Joseph Shu bow, Herbert Friedman<br />

und Mayer Abramowitz. Die Amerikaner kamen<br />

im Juli 1945 in Berlin, doch das erste provisorische<br />

<strong>Gemeinde</strong>leben nahm hier schon im Mai<br />

1945 auf Initiative einzelner Überlebender und<br />

Stephen Bernstein mit seinem Vater, Reformrabbiner<br />

Philip S. Bernstein, bei seiner Bar-Mitzva im Januar<br />

1947 im Frankfurter Philanthropin<br />

Unten: Rabbiner Stephen Samuel Wise (1874–1949),<br />

eine Symbolfigur des Reformjudentums, besucht das<br />

DP-Camp Zeilsheim<br />

mit Unter stützung der Roten<br />

Armee seinen Anfang. Dass<br />

diese jüdi sche Gemeinschaft<br />

kaum etwas mit Vorkriegsgemeinde<br />

zu tun hat, macht<br />

ein Transparent bei einer<br />

Kundgebung von Opfern des<br />

Faschismus deutlich, das uns<br />

die genauen Zahlen nennt:<br />

„<strong>Jüdische</strong> <strong>Gemeinde</strong> zu Berlin:<br />

1933 186.000 Mit glieder<br />

– 1945 5.100 Mitglieder“.<br />

Tatsächlich zählte die<br />

<strong>Gemeinde</strong> Ende 1945 etwa<br />

7.000 Mitglieder, von denen gut 1.300 im Versteck<br />

und 4.200 als Ehepartner von Nichtjuden<br />

überlebt hatten; gut 1.500 Personen waren<br />

aus den Konzentrationslagern nach Berlin zurückgekommen.<br />

Für diejenigen, die nicht Juden<br />

deutscher Staatsangehörig keit waren, legte die<br />

UNRRA Durchgangs- und Sammel lager für Displaced<br />

Persons an. Darüber hinaus kümmerte<br />

sich das American Joint Distribution Committee<br />

um Le bensmittelspenden für deutsche wie ausländische<br />

Juden. Die Lager in Schlachtensee<br />

und Tempelhof, die ab No vember 1945 über die<br />

„Bricha-Route“ (das war der Weg für die illegale<br />

Einwanderung nach Palästina) einen starken<br />

Zu strom jüdischer Flüchtlinge aus Polen<br />

aufnahmen, boten medizinische Versorgung<br />

sowie Arbeits-, Sozial- und Unterrichtsprogramme<br />

an, aber auch die Möglichkeit, zu<br />

einem Familienleben zurückzufinden: allein<br />

Reformrabbi ner Friedman nahm dreihundert<br />

Chuppot vor! Nachdem im September 1945<br />

Rabbiner Mayer Abramowitz mit Jugendlichen und<br />

Eltern bei einem Sommer-Machaneh im Berliner<br />

Grunewald 1947<br />

Rabbiner Herbert Friedman (geb. 1918) begleitet<br />

David Ben-Gurion 1946 durch das DP-Camp Babenhausen<br />

9<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Einweihung der Synagoge im Altersheim Iranische Straße in Berlin<br />

1946 mit den <strong>Gemeinde</strong>vertretern Julius Meyer und Erich Nelhaus sowie<br />

alliierten Offizieren<br />

der erste Neujahresgottesdienst im Harnack<br />

House in Dahlem gefeiert worden war, wurde<br />

das Chaplain’s Center Unter den Eichen 78/79<br />

in Zehlendorf zu einem Zentrum jüdischen<br />

Lebens, und im April 1946 weihte Rabbiner<br />

Friedman in Anwesenheit alliierter Offi ziere<br />

und Oberbürgermeisters Artuhr Werner im<br />

<strong>Jüdische</strong>n Krankenhaus im Wedding eine Synagoge<br />

ein – der große Sederabend fand 1946<br />

hingegen im Schöneberger Rathaus statt: als<br />

erstes „Chag Cherut“ nach der Befreiung und<br />

vor laufenden Kameras.<br />

Viele der U.S. Army Chaplains sind nach ihrem<br />

Einsatz im Nachkriegseuropa zu bedeutenden<br />

Wortführern der amerikanischen Reformbewegung<br />

geworden. Noch gibt es Zeitzeugen,<br />

Überlebende wie Befreier – Rabbiner Mayer<br />

Abramowitz (Miami Beach), der 1944 am<br />

Jewish Theological Seminary ordiniert wurde,<br />

kommt auf Initiative des Abraham Geiger<br />

Kollegs zusammen mit seiner Frau Rachel<br />

nach Berlin zurück – die beiden haben sich im<br />

DP-Camp Schlachtensee kennengelernt und<br />

1947 im Rathaus Zehlendorf geheiratet. Am<br />

Sonntag, den 8. Mai, 19.30 Uhr, wird Rabbiner<br />

Abramowitz in der Synagoge Hüttenweg, der<br />

früheren „American Chapel“, im Gespräch mit<br />

Rabbiner Dr. Andreas Nachama über seine<br />

Berliner Zeit berichten – und er hofft sehr,<br />

dann die „Kinder“ der Deutschen <strong>Jüdische</strong>n<br />

Jugend wiederzusehen, mit denen er jeden<br />

Schabbat im Chaplain’s Center gelernt und<br />

gesungen hat.<br />

Sima Portnoy und Julius Meyer 1946 mit Schülern der<br />

„Deutschen <strong>Jüdische</strong>n Jugend“ im Berliner Chaplains‘<br />

Center.<br />

Fotos: USHMM Washington DC.


Heiliger Schabbat – junge<br />

Stimmen<br />

von Suzanne Kupfermann<br />

Manchen von uns hat dieses vertraut-familiäre<br />

Treffen am Kabbalat Schabbat im JKV längst<br />

schon gefehlt. Diesmal schien sich sogar der<br />

Raum zu freuen und ein wenig auszudehnen,<br />

ganz dem Geist des Abends entsprechend.<br />

Etwas ungewohnt, weil als Gruppe, doch sehr<br />

angenehm, so gestalteten fünf Studenten<br />

des liberalen Abraham-Geiger- Kollegs den<br />

Gottesdienst. Alina, Boris, Konstantin, Alan<br />

und Tom - muttersprachlich im Russischen,<br />

Tschechischen und Schwedischen zu Hause, beteten<br />

nach- und miteinander vor, sangen auch<br />

gemeinsam und führten behutsam durch das<br />

Ritual. Ihr Talmud-Professor Admiel Kosman<br />

dachte laut über den Wochenabschnitt Trumah<br />

nach, sprach von jüdischem Denken in und über<br />

Zeit und Raum, von Schabbat und Synagoge,<br />

über die Dimensionen des geheiligten 7. Tags.<br />

Alina hatte eingangs gesagt, Schabbat sei auf<br />

Hebräisch weiblich, darum begrüßten wir die<br />

Schabbat, die Braut Schabbat. Das kraftvolle<br />

Singen muss erwähnt werden, so viele gute<br />

Stimmen und Textsicherheit bei so vielen<br />

Gästen gab es kaum je in unseren Räumen. Ein<br />

Kiddusch am improvisierten Tisch mit Kuchen<br />

und Obst vereinte schließlich Studenten, den<br />

Professor und den Kollegdirektor Rabbiner<br />

Dr. Walter Homolka eng sitzend mit jungen<br />

wie älteren Gottesdiensteilnehmern, darunter<br />

auch einige JKV-Mitglieder. So formte sich sehr<br />

unkompliziert eine fröhlich singende Runde.<br />

Sophie Marum sel. A. zu Ehren wurde am Ende<br />

das Tischgebet mit der „jekkischen“ Lewandowski-Melodie<br />

eingeleitet. Die Studenten gaben<br />

auch hier singend die Staffel weiter. Sophie<br />

hätte das gefallen. Die Dimension des Schabbat<br />

bedeutet für Juden in aller Welt, aus dem Raum<br />

des Alltäglichen in den Bereich des Besonderen<br />

einzutauchen - auch in Berlin, auch beim JKV.<br />

Die Rabbinerstudenten bereiten sich auch so<br />

auf ihr späteres Leben als jüdische Geistliche<br />

vor. Dazu gehört natürlich der wöchentliche<br />

Wechsel vom heiligen Schabbat in den profanen<br />

Alltag und umgekehrt. Wir werden sie<br />

gewiss alle wiedersehen, jetzt, vielleicht im JKV<br />

oder später, irgendwo in der jüdischen Welt.<br />

(aus: <strong>Jüdische</strong> Koorrespondenz, März 2005)<br />

Gelegenheit zum gemeinsamen Kabbalat Schabbat<br />

im <strong>Jüdische</strong>n Kulturverein gibt es wieder am 20.<br />

Mai und am 17. Juni, jeweils um 19.00 Uhr. JKV,<br />

Oranienburger Str. 26 / Eingang Krausnickstraße in<br />

10117 Berlin-Mitte.<br />

„Ein Gebet ohne Musik ist wie ein Leib<br />

ohne Seele“<br />

Liturgie-Seminar mit Kantorin Josée Wolff in der Is raelitischen Kultusgemeinde<br />

Bamberg<br />

von Hartmut G. Bomhoff<br />

„Anregungen und Beispiele für eine lebendige<br />

und zeit gemäße Gestaltung der Gottesdienste“<br />

versprach das Se minar, zum dem das Abraham<br />

Geiger Kolleg und die IKG Bamberg Anfang<br />

Januar mit finanzieller Unterstützung durch den<br />

Zentralrat der Juden in Deutschland eingeladen<br />

hatten – und Kantorin Josée Wolff aus New<br />

York gelang es auf wunderbare Weise, mit<br />

ihrem praktischen Unterricht die Erwartungen<br />

der 47 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die<br />

aus ganz Deutschland und mit ganz unterschiedlichen<br />

Hintergründen ins neue Bamberger<br />

<strong>Gemeinde</strong>zentrum ge kommen waren, zu<br />

erfüllen, ja noch zu übertreffen.<br />

Workshops wie „Musik als Midrasch“ oder<br />

„Warum wir singen, was wir singen, wenn<br />

wir singen“ waren nicht nur eine Einführung<br />

in die jüdische Musiktradition und in die<br />

komplizierten Spielarten des Nussach, sondern<br />

gerieten zu einer musikalischen Reise durch<br />

den jüdischen Kalender – und für die Vorbeter<br />

und Chorleiter, ausgebildeten Kanto ren oder<br />

interessierte Laien bot Josée Wolffs Unterricht<br />

immer wieder Gelegenheit, sich mit der<br />

Wechselbezie hung von Schaliach Zibbur und<br />

<strong>Gemeinde</strong>, mit der Be deutung von individueller<br />

Kavanah und gemeinschaftli chem Erleben<br />

sowie mit dem Spannungsverhältnis von<br />

Minhag und Erneuerung im Gottesdienst zu<br />

befassen. Harmonie machte auch den Umgang<br />

mit einander aus: der Austausch über die<br />

Bedeutung und Gestaltung der Liturgie ließ gar<br />

nicht erst Diffe renzen zwischen liberalen und<br />

eher orthodoxen Teilneh mern, zwischen Gästen<br />

aschkenasi scher und sephardischer Herkunft,<br />

alteingesessenenen <strong>Gemeinde</strong>mitgliedern und<br />

russischsprachigen Zuwande rern aufkommen,<br />

sondern weckte vielmehr Liebe und Re spekt<br />

für den Reichtum dieser jüdischer Kultur – und<br />

die ses harmonische Miteinander kam wiederum<br />

in den ge meinsamen Schabbatgottes diensten<br />

im überfüllten Bam berger Synagogensaal zum<br />

Ausdruck. Kurzum, während dieses langen<br />

Wochenendes wurde ein religiöser Pluralis mus<br />

geübt, der selbstver ständlich sein sollte, aber<br />

oft noch an lieb gewonnenen Vorurteilen<br />

scheitert – und es ist dem Bamberger <strong>Gemeinde</strong>vorsitzenden<br />

Heiner Olmer sehr zu danken,<br />

dass er ganz selbstverständlich mit dem Abraham<br />

Geiger Kolleg ko operiert und sein neues<br />

<strong>Gemeinde</strong>zent rum für dieses har monische<br />

Miteinander geöffnet hat. Für seine Kultusgemeinde,<br />

die 1989 wegen Überalterung schon<br />

10<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

vor der Auf lösung stand und die jetzt infolge<br />

der Zuwanderung aus der früheren Sowjetunion<br />

über 800 Mit glieder zählt, geriet dieses<br />

Seminarwochenende quasi zur inoffiziellen<br />

Ein weihung ihrer neuen Räume. Und die eine<br />

oder andere Beterin hatte erstmals Gelegenheit,<br />

zur Tora aufgerufen zu werden....<br />

Zum Schabbatausgang konnte sich auch das<br />

breite Bam berger Publikum ein erstes Bild vom<br />

<strong>Gemeinde</strong>zentrum machen und jüdische Musik<br />

in ihrer ganzen Vielfalt erle ben: Josée Wolff<br />

präsentierte nach der Havdala ein Pro gramm,<br />

das Synagogalmusik und Lieder auf Jiddisch<br />

und Ladino umfasste, aber auch Kompositionen<br />

von Kurt Weill und Maurice Ravel, und bei dem<br />

sie vom Chorleiter der Bamberger <strong>Gemeinde</strong>,<br />

Dimitry Braudo, begleitet wurde. Der Erfolg war<br />

der Sopranistin, die auf Englisch und Deutsch<br />

durch den Abend führte, dabei sofort sicher, und<br />

man ließ sie erst nach etlichen Zugaben von der<br />

Bühne gehen. Für die gebürtige Niederländerin,<br />

die als erste Europäerin am Hebrew Union<br />

College in New York zur Kantorin ausgebildet<br />

wurde und dort heute als „Di rector of Student<br />

Placement“ an der School of Sacred Mu sic tätig<br />

ist, war dieses Wochenende in Bamberg auch<br />

aus anderen Gründen ein ganz besonderes<br />

Erlebnis: ihre Vor fahren stammten aus dem<br />

fränkischen Memmelsdorf gleich vor den Toren<br />

Bambergs, und dass sie selbst gerade hier zur<br />

Erneuerung jüdischen Lebens beitragen konnte,<br />

das be rührt sie sehr. Sie will sich auch weiterhin<br />

für jüdi sches Leben in Deutschland engagieren:<br />

Mitte Juli ist Kantorin Josée Wolf bei der<br />

Jahrestagung der Union pro gressiver Juden in<br />

Berlin-Spandau als Dozentin zu Gast.<br />

Foto: Ronald Rinklef


Porträt<br />

Bente Kahan: HOME<br />

Wenn Bente Kahan am 5. Mai anläßlich von Jom<br />

HaSchoa in der Deutschen Oper auf Initiative des<br />

Abraham Geiger Kollegs ihr Programm „HOME“<br />

präsen tiert, dann singt und spielt sie ihre eigene<br />

Familienge schichten. Der Stammbaum der<br />

gebürtigen Norwegerin, die in Tel Aviv und New<br />

York studiert hat, reicht bis ins Spanien des 13.<br />

Jahrhunderts zurück und hat ihre Familie durch<br />

ganz Europa und schließlich 1905 nach Oslo<br />

ge führt; als Künstlerin ist sie im Jiddischen, in<br />

Ladino und im Hebräischen zu Hause – und das<br />

alles mischt sich mit Englisch und Deutsch, mit<br />

Russisch, Polnisch und Unga risch. Heute lebt<br />

die jüdische Europäerin im polnischen Wroclaw,<br />

wo sie von der dortigen jüdischen <strong>Gemeinde</strong><br />

gerade zur Künstlerischen Leiterin des Kultur-<br />

und Bildungszentrums an der Synagoge zum<br />

Weißen Storch berufen worden ist – diesen<br />

Sommer zeigt das Firley-Theater in Wroclaw<br />

die polnische Fassung ihres Stückes „Stimmen<br />

aus Theresienstadt“, und für 2006 be reitet sie<br />

ein Theaterstück über Breslauer Frauen vor. Mit<br />

ihrer Geburtsstadt Oslo bleibt Bente Kahan aber<br />

durch das „Teater Dybbuk“ verbunden, das sie<br />

1990 gegründet hat, um europäisch-jüdische<br />

Kultur und Geschichte mittels Musik und Schauspiel<br />

weiter zu vermitteln.<br />

„HOME“ war 2000 in Auftrag gegeben worden,<br />

als das norwegische Bergen Kulturhauptstadt<br />

Europas wurde, und war seitdem in ganz<br />

Europa zu sehen und zu hören; diesen März<br />

war Bente Kahan damit auch in den USA zu<br />

Gast. Dass im Anschluss an ihr Berliner Konzert<br />

unter der Schirmherrschaft der norwegischen<br />

Ministerin für Kultur und kirchliche Angelegenheiten,<br />

Valgerd Svarstad Haug land, sowie der<br />

Pessach sameach<br />

ve’kasher!<br />

11<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Foto: Miroslav Emil Koch<br />

Präsidentin der World Union for Progres sive<br />

Judaism, Ruth Cohen, das neue Holocaust-<br />

Zent rum von Oslo präsentiert werden wird,<br />

kommt nicht von ungefähr: Bente Kahan<br />

widmet sich seit Jahren der Erin nerung an die<br />

Opfer der Schoa und hat bei vielen offiziel len<br />

Gedenkfeiern mitgewirkt. Das Zentrum konnte<br />

mit Hilfe der jüdischen Religionsgemeinschaft<br />

in Norwegen errichtet werden, die dafür<br />

Entschädigungsgelder für die Beschlagnahmung<br />

jüdischen Eigentums während des<br />

Zweiten Weltkriegs verwendete; es ist in der<br />

Villa Grande untergebracht, dem Wohnsitz von<br />

Vidkun Quisling, der während der Besatzung<br />

durch die deutsche Wehrmacht der Regierungschef<br />

und Ministerpräsident Norwegens<br />

war. Dass der amerikanisch-jüdische Künstler<br />

Arnold Dreyblatt, der an der Gestaltung dieses<br />

Zentrum beteiligt ist, wiederum in Berlin lebt,<br />

ist ein zusätzlicher Akzent für Bente Kahans<br />

musikalisches Kaleidoskop einer jüdischen<br />

Familie in Europa.<br />

„Hat außer Singen nichts<br />

im Sinn“<br />

CD-Präsentation mit Aufnahmen von<br />

Oberkantor Estrongo Nachama im <strong>Jüdische</strong>n<br />

Kulturverein<br />

„Seine Lust war<br />

Singen – sein Leben<br />

war Gebet“ steht<br />

auf dem Grabstein<br />

des unvergessenen<br />

Berliner Oberkantors<br />

Estrongo<br />

Nachama (1918-2000), der vor sechzig Jahren<br />

von der Roten Armee auf dem Todesmarsch bei<br />

Nauen be freit worden war, auf eine Rückkehr<br />

ins heimat liche Salo niki hoffte, aber dann doch<br />

in Berlin hängen blieb und hier über fünfzig<br />

Jahre für die <strong>Jüdische</strong> Ge meinde tätig war. In den<br />

unvermeidlichen Stasi-Akten des Kantors, der<br />

als griechischer Staats bürger auch regelmäßig in<br />

der Haupt stadt der DDR amtie ren und bei Synagogalkonzerten<br />

im Friedenstempel Ry kestraße<br />

auftreten konnte, heißt es hin gegen eher lapidar.<br />

„Hat außer Singen nichts im Sinn.“ Soeben ist ein<br />

Live-Mitschnitt einer Schabbat-Feier mit Gesängen<br />

Nachamas herausgekommen, auf der er vom<br />

Chor der Synagoge Herbartstraße und von Monika<br />

Alme kias-Siegl an der Or gel begleitet wird:<br />

ein schöner Anlass für seinen Sohn Rabbiner Dr.<br />

Andreas Nachama und für Rabbiner Dr. Walter<br />

Homolka, bei einer Veranstaltung im <strong>Jüdische</strong>n<br />

Kulturverein am 10. April den Lebensweg von<br />

„Eto“ nachzu zeichnen und mit Musikbeispielen<br />

zu illust rieren. Rabbiner Homolka erinnerte<br />

daran, dass es namentlich Estrongo Nachama<br />

zu danken ist, dass die reiche Musik tradition des<br />

liberalen deutschen Judentums, für die Na men<br />

wie Lewandowski, Sulzer und Naumburg stehen,<br />

im Nachkriegsdeutschland erhalten blieb. In<br />

der „Schabbat-Feier“ finden sich denn auch die<br />

altvertrauten Melodien von Louis Lewandowski<br />

wieder, die nach wie vor auch in der Synagoge<br />

Pestalozzistraße gepflegt werden. Das ebenso<br />

umfangreiche wie liebevoll gestaltete Booklet<br />

zur CD gibt nicht nur die Texte dieser liturgischen<br />

Gesänge in deutscher Übertragung wieder, sondern<br />

führt mit vielen historischen Photographien<br />

auch durch über fünfzig Jahre jüdischen Lebens<br />

in Berlin: da finden sich Aufnahmen mit den<br />

libe ralen Rabbinern Riesenburger, Lehrmann,<br />

Salz berger, Lubliner und Levinson, von Weggefährten<br />

wie Heinz und Ruth Galinski, aber auch<br />

von Konzerten, Ge denkfeiern und politischen<br />

Begegnungen.<br />

Die CD-Präsentation wurde in Teilen fürs Fernsehen<br />

aufge zeichnet und wird am 14. Mai um 21 Uhr auf<br />

3sat gezeigt. Informationen zum Vertrieb der CD<br />

„Schabbat-Feier Oberkantor Estrongo Nachama<br />

live“ über www.nachama.de<br />

Foto: A. Nachama


Beim AGK zu Gast<br />

Rabbinerin Dalia S. Marx<br />

Walter Jacob Jubilee Fellow 2005<br />

In diesem Frühling ist Rabbinerin Dalia Sara<br />

Marx, die am Hebrew Union College und an<br />

der Hebräischen Universi tät in Jerusalem unterrichtet,<br />

als erster Walter Jacob Jubi lee Fellow<br />

in Berlin zu Gast – zusammen mit ihrem Mann<br />

Roly Zylbersztein und den Söhnen Tom, Niv und<br />

Noam. Kurz vor ihrer Abreise nach Berlin hat<br />

Rabbinerin Marx ihre Doktorarbeit eingereicht:<br />

„The Early Morning Ritual in Jewish Liturgy:<br />

Textual, Historical and Theological Discussion<br />

in Birkhot Hashakhar and an Examination of<br />

ist Performative Aspects“. Liturgie ist auch ihr<br />

Schwer punkt beim Unterricht am HUC und an<br />

der Hebräischen Universität , und so ist es auch<br />

nahe liegend, dass sie sich jetzt bei ihrer Arbeit<br />

mit den AGK-Studenten mit Fragen der Liturgie<br />

beschäftigt, etwa mit Inhalt und Ges taltung der<br />

Gottesdienste zu den jüdischen Feiertagen.<br />

Dalia S. Marx wurde in Jerusalem geboren und<br />

2003 in Cincinnati ordiniert. Sie stammt aus<br />

einem eher säkularen Elternhaus, befasste<br />

sich aber um ihre Bat Mitzva-Zeit herum mehr<br />

und mit ihrer eigenen jüdischen Identität.<br />

Und: „My search led me to the Israeli Reform<br />

youth movement where I found partners to this<br />

exploration and commitment“. Nach ihrem Militärdienst<br />

lebte sie sieben Jahre lang im Kibbutz<br />

Lotan, studierte dann in Jerusalem Semitistik<br />

und Women’s Studies und machte ihren Magisterabschluss<br />

in Rabbinischer Literatur. 2003<br />

erhielt sie am Hebrew Union College in Cincinnati<br />

ihre Smicha als Rabbinerin. Ihr Anliegen<br />

formuliert sie so: „I want to show people you<br />

can be Jewish in many different ways. There’s<br />

not only one recipe to being a good Jew. The<br />

tent is big. You can be an authentic Jew in many<br />

different ways. You don’t have to buy a package<br />

deal from anyone else.” Willkommen in Berlin!<br />

Studientag<br />

Wiederentdeckte Gemeinsamkeiten<br />

Parallelen zwischen jüdischem Schrifttum und Koran<br />

von Hartmut G. Bomhoff<br />

Ein Berliner Studientag, der angehende<br />

Rabbiner und deutsche Arabisten, jüdische<br />

Islamwissenschaftler und praktizierende<br />

Moslems zusammenbringt, ist allemal et was<br />

Besonderes. Zum Abschluss des Wintersemesters<br />

waren über einhun dert Interessenten<br />

auf Einladung des Seminars für Ara bistik an<br />

der FU Berlin, des Arbeitskrei ses „Islam und<br />

Moderne“ am Wissenschaftskolleg und des<br />

Abraham Geiger Kollegs in die Akademie der<br />

Künste gekommen, um sich über eine Frage zu<br />

verständigen: „Was hat Mohammed aus dem<br />

Judenthume aufgenom men?“.<br />

Prof.Dr. Admiel Kosman, akademischer Direktor<br />

des AGKs, beim Vortrag über „The Image of Hagar,<br />

Mother od Ishmael, in Talmud and Midrash“<br />

Das Thema stammt bereits aus dem Jahr<br />

1832 und wurde damals von der Kö niglich<br />

Preußischen Rheinuni versität formuliert; der<br />

Ori entalist und Rabbiner Abraham Gei ger<br />

(1810 – 1874) er hielt für seine Dissertation<br />

als Antwort darauf nicht nur den Preis der<br />

Bonner Universi tät, sondern wurde damit<br />

auch zum Wegbereiter für eine moderne<br />

Islamwissen schaft. Geiger ging in seiner<br />

Arbeit sehr systematisch vor: er be nutzte<br />

seinerzeit nichts als den nackten arabischen<br />

Wortlaut des Ko rans, um den Text als Philologe<br />

mit den Methoden der „kriti schen Kritik“<br />

zu er forschen, und be rücksichtigte keine<br />

späteren islamischen Schriften; er be trachtete<br />

den Koran nicht als göttliche Of fenbarung,<br />

son dern analy sierte ihn als menschliche<br />

Schöpfung. Seine Frage stellung war: „Was<br />

wollte, konnte und durfte Mo hammed aus<br />

dem Ju denthume auf nehmen?“ Er wandte<br />

sich dabei gegen die islamfeindliche Tradition<br />

12<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

der christ lichen Ori entalistik, die Mohammed<br />

stets als Scharlatan, falschen Propheten<br />

und Betrüger dif famiert hatte; für Ab raham<br />

Geiger war Mohammed ein Erneuerer der vor<br />

ihm existie renden Religionen, aber kein Religionsstifter.<br />

Sein Ziel war „eine Verei nigung<br />

aller Religions-Ansichten zum Heile der<br />

Men schen“. In seinem Vorwort zum Reprint<br />

von Gei gers Schrift, der soeben im Berliner<br />

Parerga-Ver lag er schienen ist, konstatiert<br />

Fried rich Niewöhner: „Gei gers Darstellung<br />

der Entstehung der koranischen Bot schaft<br />

liest sich wie die Entstehung des Islams aus<br />

Prof.Dr. Angelika Neuwirth, Ordinaria für Arabistik<br />

an der Freien Universität, war die Initiatorin des<br />

interdisziplinären Studientags<br />

den Quellen des Juden tums. Die Entstehungsgeschichte<br />

des Koran ist zwar weit aus komplizierter,<br />

als Geiger sie dar stellt, sie trifft im<br />

Kern aber dennoch etwas, was gerade auch<br />

heute noch (wieder) gültig und unum stritten<br />

ist: die enge Ver bindung zwischen jüdischen<br />

(und den von Gei ger nicht berück sichtigten<br />

christlichen) Leh ren und dem Koran.“<br />

Eine Art Schwesterreligion<br />

Das Er gebnis des Versuches, den Koran<br />

philolo gisch zu sehen, ist die Anerkennung<br />

des Is lams als eine Art Schwesterre ligion.<br />

Viel später schreibt Abraham Gei ger in<br />

der letzten seiner 1864 gedruckten zwölf<br />

Vorlesun gen über „Das Ju dentum und seine<br />

Ge schichte“ zur Ent stehung des Islams: „An<br />

der Wiege die ser neuen Kultur stand gleichfalls<br />

das Judentum mit seiner Lehre. Was<br />

Gutes am Islam ist, was als ein haltbarer Ge-<br />

Fotos: Margrit Schimidt


danke in ihm scheint, das ist ihm aus dem Judentum<br />

über nommen. Mit dem Rufe „Es gibt<br />

kei nen Gott als den ein zigen Gott“ stürmte<br />

der Araber mit seinem wilden Rosse durch die<br />

Welt, und diesen Ruf, er hat ihn nicht selbst<br />

vom Sinai vernommen, er hat ihn von denjenigen<br />

über kommen, die ihn als ihr Erbe durch<br />

die Welt getragen. Das ist der ein zige fruchttragende<br />

und weltüberwindende Gedanke,<br />

wel che der Islam in sich trug. Er schmückte<br />

ihn aus und wie derholte ihn mit leeren<br />

tautologischen For men, er ver brämte ihn und<br />

auch dies mit jüdischen An schauungen und<br />

Erzählungen.“ Über die Methode der historischen<br />

Kritik gelangte Geiger schließ lich auch<br />

zur Auseinander setzung mit Jesus als Juden<br />

und Menschen. Seine Beschäf tigung mit dem<br />

Christentum hatte klare apo logetische Züge<br />

und war damit Pflicht, die mit Moham med und<br />

dem Koran dagegen war Kür, geschah quasi<br />

aus Liebe.<br />

Streitbarer Tagungsteilnehmer und Experte: Prof.Dr.<br />

Friedrich Niewöhner von der Herzog August Bibliothek<br />

in Wolfenbüttel<br />

Gründerdisziplin der modernen Korankritik<br />

Bis zur Schoah waren es immer wieder<br />

europäische Orientalisten jüdischer Herkunft,<br />

die sich aus dem Be wusstsein der größeren<br />

Verwandtschaft heraus mit der Er forschung des<br />

Islams befassten. Die Initiatoren des Berli ner<br />

Studientages wollten mit ihrer Tagung nicht<br />

nur Gei gers Schrift von 1833 mit aktuellen Forschungsergebnis<br />

sen verbinden, sondern auch<br />

an diese jäh abgerissene Wissenschaftstradition<br />

anknüpfen; zugleich stellten sie die<br />

Frage, ob die Wissenschaft des Judentums als<br />

Grün derdisziplin einer modernen Korankritik<br />

verstan den wer den kann. Vorträge zum<br />

Offenba rungsgeschehen im Ko ran und in<br />

der rabbinischen Lite ratur, zum Schrift lichkeitsgebot<br />

bei Schuldverträgen oder auch zur<br />

innerko rani schen Relektüre der Abrahamsgeschichten<br />

machten auf erstaunliche Parallelen<br />

aufmerk sam: „Das rabbinische Ju dentum fußt<br />

wesentlich auf der mündlichen Tradition“, resümierte<br />

Rabbiner Dr. Walter Homolka, einer der<br />

Ta gungsveranstalter. „Und hier, im Midrasch,<br />

lassen sich spannende Interpendenzen zum<br />

Ko rantext und zur Koran exegese feststellen,<br />

etwa dass die Ver bindung von Ju dentum und<br />

Islam über die mündliche To rah ebenso gegeben<br />

ist wie über die schriftliche Torah zum<br />

Christen tum.“ Tatsächlich zeigen rabbinische<br />

Ausle gungen wie die Pesikta de Rab Kahane<br />

und die Me chilta de Rabbi Is mael eindrückliche<br />

Beispiele einer le bendigen theologi schen<br />

Auseinandersetzung zwischen Muslimen und<br />

Ju den. Auch die Urvertragsthese des Ko ran<br />

und das „Matan Torah“-Postulat im Midrasch<br />

behan deln analoge Fragen des Offenbarungsverständnisses<br />

und weisen auf gemein same<br />

Spruch- und Erzähltraditionen hin. Es geht<br />

dabei stets um die Frage, wer denn den einen<br />

Bund mit Gott ge schlossen hat und hält,<br />

Muslime oder Juden. Von einer Aufhebung oder<br />

Prof.Dr. Christoph Schulte unterrichtet Philosophie<br />

und <strong>Jüdische</strong> Studien und ist Herausgeber der Reihe<br />

„<strong>Jüdische</strong> Geistesgeschichte“<br />

Erfüllung des Alten Bundes und den Übergang<br />

zu einem Neuen Bund, wie ihn das Christentum<br />

Jahrhunderte lang behauptete, ist dabei nie<br />

die Rede. Kurzum, wenn das Neue Testament<br />

von Juden als Midrasch gelesen werden kann<br />

(Leo Baeck hat das Evan gelium bekanntlich als<br />

Urkunde jüdischer Glaubensge schichte bezeichnet),<br />

dann auch der Koran.<br />

Wir sind alle Kinder Abrahams<br />

Für David Nirenberg, amerikanischer Fellow<br />

am Wissen schaftskolleg zu Berlin, ist ein Fazit<br />

dieser Tagung, dass keine religiöse Kultur aus<br />

dem Nichts entsteht, sondern nur aus einer<br />

ständigen Interaktion und aus dem Dialog vieler<br />

Kulturen und Religionen. Christen müssen<br />

sich ver gegenwärtigen, dass ihre Trinitätslehre<br />

dem Judentum ferner liegt als die Lehre des Islam<br />

und dass Juden und Muslime lange Phasen<br />

gemeinsamer Erfahrungen verbin den, etwa<br />

14<br />

13<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Bei AGK zu Gast<br />

Dr. Ishay Rosen-Zvi<br />

Dr. Ishay Rosen-Zvi ist Dozent für Rabbinische<br />

Literatur und Philosophie am Scholion-Zentrum<br />

für <strong>Jüdische</strong> Stu dien an der Hebräischen<br />

Universität und Research Fellow am Shalom<br />

Hartman Institut in Jerusalem. Er promovierte<br />

am Cohen-Institut für Ideengeschichte an der<br />

Universität Tel Aviv über “The Ritual of the<br />

Suspected Adulteress (Sotah) in Tannaitic<br />

Literature: Textual and Theoretical Perspectives”.<br />

In den vergangenen zwei Jahren lehrte es<br />

als Gastdozent in Berkeley, wo er mit Daniel<br />

Boyarin zu sammenarbeitete, an der UCLA<br />

sowie der University of Judaism in Los Angeles.<br />

Er hat zahlreiche Artikel zu „The Hermeneutics<br />

of Gender” in der antiken jüdischen Lteratur<br />

geschrieben, etwa: “Bilhah the Temptress: the<br />

Testament of Reuben and the ‘Birth of Sexuality’”<br />

(JQR, erscheint 2005). Derzeit arbeitet<br />

er an einer breit an geleg ten vergleichenden<br />

Analyse von Diskursen zum Tempel und seiner<br />

Rituale in der tannaitischen und ande rer Literatur<br />

aus der Zeit nach der Tempelzerstörung.<br />

Is hay Ro sen-Zvi wird Mitte Juni als Gast des Abraham<br />

Gei ger Kollegs drei Vorträge zum Thema<br />

„Love, Sex and Crime in Rabbinic Literature“<br />

halten: “Permissive or As cetic? The paradox of<br />

Rabbinic Sexual Ethics”,. “Fou cault’s La cuna:<br />

Jewish-Hellenistic Literature and the ‘History<br />

of Sexuality’” sowie “Forbidden Thoughts: Rabbinic<br />

(Re)Invention of the Evil Inclination”.<br />

Liturgie als Theologie<br />

Die Beiträge der Studientage 2003 des Abraham<br />

Geiger Kollegs „Liturgie als Theologie.<br />

Das Gebet als Zentrum des jüdischen Denkens“<br />

erscheinen demnächst in der Reihe<br />

„Aus Religion und Recht“beim Berliner Verlag<br />

Frank und Timme, herausgegeben von<br />

Walter Homolka. Unter den Autoren sind<br />

Tovia Ben-Chorin, Annette Böckler, Admiel<br />

Kosman, John Rayner und Stefan Reif.


Fotos: Campus<br />

13 Gemeinsamkeiten<br />

die der Kreuzzüge oder der Reconquista; Juden<br />

müssen sich daran erinnern, dass die vorherrschende<br />

jüdi sche Philosophie im Mittelalter im<br />

islamischen Raum und in arabischer Sprache<br />

entstanden ist und dass die Fest schrei bung<br />

unserer Glaubensgrundsätze durch Maimoni des<br />

im 12. Jahrhundert dem Beispiel Mohammeds<br />

folgt: „Gott ist einer und einzig, und Moses ist<br />

sein Prophet“ entspricht der Formel, die jeder<br />

Muslim als Glaubensbe kenntnis kennt: „Es<br />

gibt keinen Gott außer Gott, und Mo hammed<br />

ist sein Gesandter.“ Diese Adaption aber geht<br />

Nachruf<br />

Herbert A. Strauss s. A.<br />

Der Gründungsdirektor<br />

des Zentrums<br />

für Antisemi tismusforschung<br />

an der TU<br />

Berlin, Professor Dr.<br />

Herbert A. Strauss,<br />

ist am 11. März nach<br />

kurzer Krankheit in<br />

New York gestorben.<br />

Im Wirken von Herbert Strauss verban den sich<br />

wissenschaftliche Rationalität und Moralität<br />

mit der Verpflichtung auf li berale Werte. Dies<br />

ist nicht zuletzt Resultat seines besonderen<br />

Lebensweges gewesen, den er in seiner Autobiographie<br />

„Über dem Abgrund. Eine jüdi sche<br />

Jugend in Deutschland 1918-1943“ eindrücklich<br />

be schrieben hat. 1918 in Würzburg geboren<br />

– der frän kische Zungenschlag ließ sich nie verleugnen<br />

, ging er ange sichts des immer stärker<br />

werdenden natio nalsozialisti schen Drucks auf<br />

die Juden 1936 in die Großstadt Berlin, wo er bis<br />

1942 Judaistik und Geisteswissenschaften an der<br />

Hochschule für die Wissenschaft des Judentums<br />

studierte und so die geis tigen und politischen<br />

Repräsentanten des liberalen deut schen<br />

Judentums wie etwa Rabbiner Leo Baeck ken nen<br />

lernte. Als Hilfsrabbiner der <strong>Jüdische</strong>n Ge meinde<br />

zu Berlin und als Zwangsarbeiter musste er die<br />

Zerstörung des Judentums miterleben; er selbst<br />

und seine spätere Frau Lotte gelang im Juni<br />

1943 nach Mo naten im Untergrund die Flucht in<br />

die Schweiz, wo Strauss Geschichte studierte<br />

und 1946 bei Werner Naef in Bern mit einer Arbeit<br />

über die Grundrechtsdebatte der Deut schen<br />

Nationalver sammlung 1848/49. promovierte. Im<br />

selben Jahre emigrierte Strauss in die USA. In<br />

New York bekam er am City College eine Professur<br />

für Geschichte, von 1982 bis 1990 lehrte er in<br />

Berlin. Seine akademi schen Interessen waren<br />

von diesem Lebensschick sal geprägt. Möge die<br />

Erinnerung an ihn ein Segen sein.<br />

ja wie derum ganz und gar mit der jüdischen<br />

Tradition ein her: der Talmud (Bera chot 28b<br />

und Sanhedrin 39b) lehrt, dass jeder würdige<br />

Brauch, wo immer er auch zu finden ist, von<br />

Juden über nommen werden darf.<br />

Die Wissenschaft des Judentumsstellte im 19.<br />

Jahrhundert stellte fest, dass es die islamische<br />

Umwelt gewesen war, die den Juden das<br />

griechische Denken einst neu erschlie ßen<br />

ließ und sie so in Europa zu Wegbereitern für<br />

die Wieder belebung der klassischen Antike<br />

gemacht hatte. Um es mit Gei ger zu sagen: „Ja,<br />

man spöttelt gar oft über die Juden als Vermitt-<br />

PARERGA<br />

Philosophie und andere Künste<br />

Abraham Geiger<br />

Was hat Mohammed<br />

aus dem Judenthume<br />

aufgenommen?<br />

258 S., 13 x 21 cm, Broschur<br />

ISBN 3-937262-07-5<br />

EUR 23,80 / SFR 41,10<br />

www.parerga.de<br />

14<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

ler von Geschäften, als über die, die die alten,<br />

ab gelegten Kleider zum Verkaufe ins Haus<br />

brachten. Ja, sie haben die abgelegten Kleider<br />

der alten Bildung den Völ kern Europas ins Haus<br />

gebracht, und wenn sich diese sich nicht mit<br />

jenen Überresten bekleidet hätten, so wären sie<br />

ganz nackt gewesen.“. Dass die isla misch-jüdische<br />

Sym biose aber nicht lange währen sollte,<br />

hat Abraham Geiger in seinem Werk über Salomon<br />

ibn Gabirol bedacht, in dem er auch auf<br />

den Untergang der islamischen Vorherr schaft<br />

in Europa „als Frucht der inne ren Haltlosigkeit“<br />

zu sprechen kommt – aber das wäre ein Thema<br />

für einen weiteren Studientag.<br />

NEUERSCHEINUNG<br />

HERBST 2004<br />

Abraham Geiger (1810–1874) war einer der<br />

Gründerväter des liberalen Judentums und<br />

einer der vielseitigsten Gelehrten in der<br />

Wissenschaft des Judentums im 19. Jahrhundert.<br />

Er war zugleich Rabbiner, Theologe,<br />

Publizist und Wissenschaftsorganisator.<br />

Die Preisschrift des noch ganz jungen<br />

Orientalisten Geiger mit dem Titel Was hat<br />

Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?<br />

(1833) zeigt, daß zahlreiche Elemente aus<br />

hebräischer Bibel und rabbinischem Schrifttum<br />

im Koran verarbeitet sind. Geiger betrachtet<br />

in seiner Schrift den Koran nicht<br />

als göttliche Offenbarung, sondern analysiert<br />

ihn historisch-kritisch als menschliche<br />

Dichtung.<br />

In seinem Vorwort schildert Friedrich Niewöhner,<br />

wie der Jude Geiger erstmalig und<br />

gegen eine islamfeindliche Tradition der<br />

christlichen Orientalistik, die Mohammed<br />

stets als Scharlatan, falschen Propheten und<br />

Betrüger diffamiert hatte, Mohammed als<br />

Dichter rehabilitiert und würdigt. Geiger<br />

steht damit nicht nur am Anfang der Wissenschaft<br />

des Judentums, sondern auch der<br />

modernen Islamwissenschaft.<br />

<strong>Jüdische</strong> Geistesgeschichte<br />

herausgegeben von<br />

Christoph Schulte<br />

Band 5<br />

ParErga Verlag GmbH<br />

Strausberger Platz 19 . D-10243 Berlin<br />

E-Mail: info@parerga.de


Theologische Erklärung<br />

Juden und Christen in Deutschland<br />

Verantwortete Zeitgenossenschaft in einer pluralen Gesellschaft<br />

Am 16. März 2005 wurde vom Gesprächskreis<br />

„Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der<br />

deutschen Katholiken eine theologischer Erklärung<br />

verabschiedet, die Rückschau auf 25 Jahre<br />

christlich-jüdischen Dialog hält und Mitte April<br />

vom Prä sidium des ZdK zur Veröffentlichung<br />

freigegeben worden ist. Hier Auszüge aus den<br />

Seiten 7 und 8:<br />

Die Einheitsgemeinden repräsentieren nicht mehr<br />

alle <strong>Gemeinde</strong>n<br />

Bis Ende der 1980er Jahre zählten die jüdischen<br />

Gemein den in der alten Bundesrepublik etwa<br />

25.000 Mitglieder. Viele <strong>Gemeinde</strong>n waren<br />

überaltert. Die Zuwanderung von Migranten<br />

aus den GUS-Staaten hat dem drohenden demographischen<br />

Verlöschen ein Ende gesetzt. So<br />

erhöhte sich die Mitgliederzahl der jüdischen<br />

<strong>Gemeinde</strong>n in der Bundesrepublik Deutschland<br />

auf etwa 100.000. Vermut lich leben darüber<br />

hinaus in Deutschland noch etwa 50.000 Juden,<br />

ohne Mitglieder der <strong>Gemeinde</strong>n zu werden.<br />

Unter den Zuwanderern sind viele junge Menschen.<br />

Die soziale, wirtschaftliche, kulturelle<br />

und religiöse Integra tion der Zuwanderer<br />

wurde zur zentralen Aufgabe der <strong>Gemeinde</strong>n.<br />

Bis heute ist ihre Hilfe bei Wohnungssuche,<br />

Fortbildung, Behördengängen, Spracherwerb u.<br />

a. not wendig. Diese neuen Aufgaben sind Herausforderungen,<br />

die den jüdischen <strong>Gemeinde</strong>n<br />

zugleich Chancen für die Zukunft eröffnen. Die<br />

<strong>Gemeinde</strong>n sind bereit, diese Chan cen zu nutzen<br />

und ihre Verantwortung wahrzunehmen.<br />

Viele der in Deutschland lebenden Juden nehmen<br />

enga giert Anteil am Geschick des Staates<br />

Israel und unterstüt zen ideell und finanziell<br />

israelische Einrichtungen. Andere haben zum<br />

Staat Israel ein eher ambivalentes Verhältnis.<br />

Seit den 1990er Jahren entwickelte sich im<br />

jüdischen Le ben in Deutschland ein neuer<br />

Pluralismus. Vor der Mas senvernichtung gab<br />

es in Deutschland im Wesentlichen li berales<br />

und orthodoxes Judentum. Heute gibt es<br />

neben diesen beiden traditionell vorhandenen<br />

Gruppen und den säkularen Juden noch andere<br />

Gruppierungen. Dazu gehö ren zum Beispiel die<br />

„Lubawitscher Chassidim“, die in nerjüdische<br />

Missionsarbeit betreiben. Die „Union progressiver<br />

Juden“ (1997) hat sich inzwischen mit<br />

einer Reihe von Mitgliedsgemeinden rechtlich<br />

konsolidiert. Das 1999 gegründete Abraham<br />

Geiger Kolleg an der Universität Potsdam dient<br />

der Ausbildung liberaler Rabbiner. Seit 1979<br />

existiert die Hochschule für <strong>Jüdische</strong> Studien in<br />

Hei delberg.<br />

Diese jüdische Vielfalt sollte von christlichen<br />

<strong>Gemeinde</strong>n stärker wahrgenommen werden.<br />

Falsche religiöse Erwar tungen an die hier<br />

lebenden Juden müssen ein Ende haben. Dazu<br />

zählt die Annahme, dass alle Juden die Speisegesetze<br />

und den Schabbat in orthodoxer Weise<br />

beachten. Eine solche Sicht kommt aus der<br />

irrigen Voraussetzung, das orthodoxe Judentum<br />

sei allein als „echt“ anzusehen. Es macht aber<br />

nur 6 - 10 % der jüdischen Weltbevölkerung<br />

aus. Aufklärung ist nötig, um eine realistische<br />

und unbe fangene Beziehung zwischen Juden<br />

und Christen herzu stellen und in den Juden und<br />

im Judentum nicht etwas „Exotisches“ zu sehen.<br />

Die Erinnerung an die Schoa muss auch in<br />

Zukunft ge wahrt bleiben. Salomon Korns Wort<br />

gilt: Für unsere und die nächste Generation<br />

wird „das Anormale normal“ sein.<br />

Der Text der Erklärung kann beim Zentralkomitee<br />

der Deutschen Katholiken, Postfach 240141 in 53154<br />

Bonn bezogen werden (www.zdk.de, info@zdk.de,<br />

Tel: +49 (0) 228 / 38297-0, Fax +49 (0) 228 / 38297-44.<br />

Interreligiöses Lehrhaus<br />

Macht, Autorität, Verantwortung<br />

Verortungen in jüdischen, christlichen und muslimi schen Traditionen: Tagung vom 16.–19.6. 2005<br />

Angesichts Globaler Nähe und Nachbarschaft<br />

wird die Machtfrage neu geordnet: Wer darf<br />

mit welchen Begrün dungen den Ton angeben?<br />

Wer muss sich fügen oder erhebt das Recht zum<br />

Widerstand? Im jüdisch-christlich-muslimischen<br />

Gespräch fragen wir nach Vorbildern für<br />

geistlich begründete Macht und Auto rität, nach<br />

Verantwortung und Loyalität. Wir untersuchen<br />

den Umgang mit Hierarchie, Gewalt, Respekt<br />

und die Frage, inwiefern der Machtanspruch<br />

Gottes den „Mächten der Welt“ Unterstützung<br />

oder Widerstand bie tet. <strong>Jüdische</strong> Zugänge zum<br />

Thema mit Rabbiner Drs Edward van Voolen,<br />

Alina Treyher und Tom Kucera (Abraham Geiger<br />

Kolleg, Berlin/Potsdam) und Prof.Dr. Micha<br />

Brumlik (J.W.Goethe-Universität Frankfurt).<br />

Das genaue Tagungsprogramm der Evangelischen<br />

Aka demie Arnolds hain (Schmitten/Taunus) fi nden<br />

Sie unter www.-evangeli sche-akademie.de Weitere<br />

Informationen über Tel.: +49 (0) 6084 / 944 143<br />

15<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Ringvorlesung des Seminars für<br />

Katholische Theologie der Freien<br />

Universität Berlin<br />

„Wie schön sind deine<br />

Zelte, Jakob!“ (Num 24,5)<br />

Zur jüdisch-europäischen Kultur<br />

Zeit: 18.30-20.00 Uhr<br />

Ort: Habelschwerdter Allee 45,<br />

14195 Berlin-Dahlem<br />

Raum K 24/11 (Silberlaube)<br />

Die Vortragsreihe will die Bedeutung von<br />

Judentum und Juden für die europäische<br />

Kulturgeschichte vergegenwärtigen. Dabei<br />

geht es nicht zuletzt darum aufzuweisen, dass<br />

dieser spezifische Beitrag nicht etwas Hinzukommendes<br />

sondern Konstitutivum für das<br />

ist, was man mit westlicher Kultur bezeichnet.<br />

Exemplarisch lässt sich zeigen, dass Ausgrenzung<br />

und Behauptung einer kulturellen<br />

Fremdheit sich nicht nur gegen die Minderheit<br />

richteten, sondern die Kultur selbst.<br />

02. Mai 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. Gerhard Bodendorfer: <strong>Jüdische</strong> Kulturgeschichte<br />

als europäische Kulturgeschichte<br />

12. Mai 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. David B. Ruderman: Mingled Identities:<br />

Jews, Christians and The Changing Notions of<br />

the „Other“ in Early Modern Europe<br />

23. Mai 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. Giulio Busi: Zur jüdischen Kultur<br />

Venedigs<br />

06. Juni 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. Barbara Kellner-Heinkele: Brückenbauer<br />

- Europäische Juden im osmanischen<br />

Reich<br />

09. Juni 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. Jacob Allerhand: Jiddisch - Metamorphose<br />

einer Sprache<br />

20. Juni 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. Johannes Niehoff-Panagiotidis: Die<br />

Juden Griechenlands<br />

07. Juli 2005: 18.30–20.00<br />

Prof. Dr. Almut Bruckstein: „Vom Aufstand der<br />

Bilder“: Aspekte jüdischer Philosophie zu einer<br />

Theorie des Bildes


Nachruf<br />

Richard Ames s. A.<br />

Am 9. März ist der<br />

amerikanische Opernsänger,<br />

Kantor und<br />

Kultusrat bei der Israelitischen<br />

<strong>Gemeinde</strong><br />

Graz, Ri chard Ames,<br />

einem Herzversagen<br />

erlegen. Ames wurde<br />

am 20. August 1931<br />

als Richard Abrams<br />

in Cleve land/Ohio geboren, absolvierte ein<br />

Musik- und Gesangs studium an der New Yorker<br />

Juilliard School of Musik und am Conservatorio<br />

Guiseppe Verdi und studierte bei Henry Rosenblatt<br />

Chasanut. 1956 kam er als jüdischer U.S.<br />

Army Chaplain nach Würzburg, wechselte aber<br />

bald ins Opernfach und wurde 1968 von der<br />

Grazer Oper enga giert; seit seiner Pensionierung<br />

1994 widmete er sich ins besondere dem<br />

interreligiösen Dialog. Daneben wirkte er immer<br />

wieder als Kantor in jüdischen <strong>Gemeinde</strong>n<br />

und war auch bei der Union progressiver Juden<br />

zu Gast. Auf eine religiöse Richtung mochte er<br />

sich nicht festlegen: „Ich lehne Kategorien ab.<br />

Ich selbst stammte aus einer ortho doxen Familie,<br />

trennte mich und bete in einer konservativen<br />

oder in einer liberalen <strong>Gemeinde</strong>. Ich kann<br />

aber keine Religion akzeptieren, die irgend<br />

jemand ausschließt, die nicht Frau und Mann<br />

gleichstellt – in allen Beziehungen. In diesem<br />

Sinne würde ich mich als liberal bezeichnen.“<br />

Richard Ames hinterlässt seine Frau Inge und<br />

eine er wachsene Tochter. Möge die Erinnerung<br />

an ihn ein Segen sein.<br />

Fackenheim-Lecture 2005<br />

mit Jacob Allerhand<br />

Der emeritierte Wiener Univiversitätsprofessor<br />

für Judais tik und Hebraistik,<br />

Dr. Jacob Allerhand. wird die diesjäh rige<br />

Fackenheim Lecture 2005 des Abraham<br />

Geiger Kol legs halten. Allerhand wurde 1930<br />

im wolhyni schen Schtetl Ludwipol geboren,<br />

besuchte Schulen in Li tauen, Kasachstan<br />

und Deutschland und studierte Orienta listik<br />

und Judaistik in Beirut, Berlin und Wien; er<br />

ist Mit initiator der Wiener Theodor-Herzl-<br />

Symposien und Autor zahlrei che Veröffentlichung<br />

zur Kultur des Ostjudentums.<br />

Er hat damit wesentlich zum besseren<br />

beiderseitigen Ver ständnis innerhalb der<br />

Glaubensgemeinschaften bei getra gen und<br />

genießt dafür große Anerkennung. Der jüdische<br />

Religions philosoph und Rabbiner Emil<br />

Fa ckenheim (1916–2003) hat die Vortragsreihe<br />

gestiftet. Die diesjährige Vorlesung<br />

mit Jacob Allerhand findet am 8. Juni in der<br />

Österreichischen Botschaft in Ber lin statt.<br />

Vortrag<br />

Antisemitismus vor dem Anschluss<br />

Der österreichi sche Ständestaat und die Juden 1934–1938<br />

von Helmut Wohnout (Wien)<br />

Dr. Helmut Wohnout,<br />

geb. 1964, studierte<br />

Geschichte an der<br />

Universität Wien und<br />

an der Georgetown<br />

University in Washington<br />

DC und leitet<br />

das Büro des Staatssekretärs<br />

für Kunst<br />

und Medien im österreichischen Bundeskanzleramt;<br />

daneben ist er der wissenschaftliche<br />

Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts;<br />

er ist Autor zahlreicher Publikationen zur<br />

Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Wir<br />

bringen einige Auszüge aus seinen Vorbemerkungen<br />

sowie das Resümee des Vor trags, den er<br />

am 14. April auf Einladung des Abraham Geiger<br />

Kollegs, des Kanonisti schen Instituts sowie des<br />

Moses Mendelssohn Zentrums für europäischjüdische<br />

Geschichte im Auditorium Maxi mum<br />

der Universität Pots dam hielt. Wohnouts Ausführungen<br />

zum Antisemitismus als Instrument<br />

des politischen Katholizismus, über berufli che<br />

Diskriminierungen und Separation, die Haltung<br />

kirchlicher Amtsträger und über die Wellen<br />

antisemitischer Phobien 1934–1938 sind im<br />

Manuskript nachzulesen, das auf Anfrage beim<br />

AGK erhältlich ist.<br />

Was vor allem in Wien, aber auch in anderen<br />

Städten Ös terreichs unmittelbar nach dem<br />

„Anschluss“ in Bezug auf die jüdische Bevölkerung<br />

geschah, hatte bis zu diesem Zeitpunkt<br />

im Deutschen Reich noch keinen Präzedenzfall<br />

gehabt: Hatte dort die Judenverfolgung mit der<br />

seit Jahren betriebenen „Entrechtung durch<br />

Sonderrecht“ – der sys tematischen und auf nationalsozialistischen<br />

Rechtsnormen basierenden<br />

Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen<br />

Leben (Ausschaltung der Juden aus dem<br />

öffentlichen Dienst im Frühjahr 1933, das Gesetz<br />

über den Widerruf von Einbürgerungen und die<br />

Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit<br />

im Juli1933, die Nürnberger Rassen gesetze im<br />

September 1935) — ihren planmäßigen wie in<br />

ihren weiteren Konsequenzen schrecklichen<br />

Lauf genom men, so setzte in Wien und anderen<br />

österreichischen Städten ein spontanes Pogrom<br />

ein: selbsternannte Autori täten, die ohne irgend<br />

jemandes Auftrag in das kurzzeitig vorhandene<br />

Machtvakuum eindrangen, sich an jüdischem Eigentum<br />

und Leben vergriffen, aus Zerstörungswut<br />

er folgte Schändungen jüdischer sakraler<br />

Einrichtungen oder die aus zeitgenössischen<br />

Fotoaufnahmen bekannten so ge nannten „Reib-<br />

16<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

partien“, bei denen unter dem Gejohle zahlloser<br />

Schaulustiger Juden zur erniedrigenden Tätigkeit<br />

des Straßenschrubbens herangezogen wurden.<br />

Die Vorfälle in Wien im März 1938 wurden in<br />

ungeheurer Intensität des Ausdruckes von Carl<br />

Zuckmayer in seinen Erinnerungen geschildert:<br />

»Hier war nichts losgelassen als die dumpfe<br />

Masse, die blinde Zerstörungswut, und ihr Hass<br />

richtete sich gegen alles durch Natur oder Geist<br />

Veredelte. Es war ein Hexen sabbat des Pöbels<br />

und ein Begräbnis aller menschlichen Würde.“<br />

Es ist notwendig und wichtig, nach den Ursachen<br />

und Vorbedingungen, die den Boden für<br />

diese Eruption des Antisemitismus bereiteten,<br />

zu fragen. Und deshalb ist es auch sinnvoll,<br />

die Problematik des Antisemitismus in den<br />

Jahren unmittelbar vor dem „Anschluss“ zu<br />

untersuchen. Ich konzentriere mich daher in der<br />

Folge auf das Regie rungslager des autoritären<br />

Österreich, da sowohl die mei nungsbildende<br />

Funktion der katholischen Kirche in Oster reich<br />

des Jahres 1938 beachtlich war, als auch der<br />

Staat der Jahre 1934—1938 sich explizit zu<br />

katholischen Wert vorstellungen bekannte. Was<br />

den Deutschnationalen bzw. Nationalsozialistischen<br />

Antisemitismus anlangt, so mag vorerst<br />

der Hinweis ge nügen, dass seit Beginn des<br />

nationalsozialistischen Terrors in Österreich ab<br />

1932/33 dieser sich auch und vor allem gegen<br />

Juden richtete. So wurde bereits - um ein drastisches<br />

Beispiel zu erwähnen – im Juni 1933 ein<br />

jüdischer Juwelier in Wien Opfer eines gezielten<br />

nationalsozialisti schen Bombenattentats.<br />

Die Ausgangslage<br />

Zwei Ausgangspositionen sind bei einer Untersuchung<br />

der Jahre 1933—1938 festzuhalten:<br />

Mit dem Aufschwung der NSDAP ab 1932 und<br />

besonders nach der nationalsozialis tischen<br />

Machtübernahme in Deutschland im Jänner<br />

1933 wurde die Problematik des Antisemitismus<br />

von den öster reichischen Nationalsozia listen<br />

neben dem Anschluss an das Deutsche Reich<br />

als zweiter Hauptprogrammpunkt an die Spitze<br />

ihrer politi schen Agitation gestellt. Jedoch hatte<br />

keine der sonstigen politischen Parteien — wohl<br />

auf Grund der Popularität antisemitischer<br />

Agitation — den Mut, entschieden gegen den<br />

NS-Terror aufzutreten. Bei den Christlichsozialen<br />

wurde dies nicht zuletzt durch den großen<br />

Anteil von Po litikern jüdischer Herkunft in der<br />

So zialdemokratischen Partei noch zusätzlich


gehemmt; ja, es gab christlichsozi ale Politiker,<br />

die es für ihre eigene Partei als ein Verdienst<br />

reklamierten, „die jüdische Gefahr“ als erste<br />

erkannt zu haben. Eine weitere wesentliche<br />

Schlüs selfunktion kam den wirtschaftspolitischen<br />

Rahmenbedin gungen während der<br />

dreißiger Jahre zu. Einmal mehr zeigte sich,<br />

dass bei ökonomischen Krisensituationen eine<br />

latente Bereitschaft zu Antisemitismus leicht<br />

in Aktivis mus umschlägt. Als eine unmittelbare<br />

Folge der sich auch auf Österreich aus wirkenden<br />

Wirtschaftskrise kam es zu einem sprunghaften<br />

Ansteigen antisemitischer Stim mungslagen.<br />

Schon bei Regierungsantritt Dollfuß‘ im Frühjahr<br />

1932 hatte sich die antijüdische Stimmung in der<br />

Bevölkerung drastisch verschärft. Brennpunkt<br />

judenfeind licher Propa ganda waren die Universitäten<br />

und hier vor allem die Uni versität Wien,<br />

wo antisemitische Ausschrei tungen bereits<br />

bedrohliche Ausmaße angenommen hatten.<br />

Antijüdische Exzesse nationalsozialistischer<br />

Studenten waren es, die die Regierung Dollfuß<br />

Anfang Mai 1933 dazu bewogen, die Autonomie<br />

der Universität zu beseiti gen: Am 10. Mai wurden<br />

jüdische und sozialdemokrati sche Studenten am<br />

Anatomischen Institut Professor Julius Tandlers<br />

von zahlenmäßig weit überlegenen Nationalsozialisten,<br />

die mit Peitschen, Eisenstangen und<br />

Schlagringen bewaffnet waren, angegriffen<br />

und zusammengeschlagen. Da sich unter den<br />

Verletzten auch sechs amerikanische Staatsbürger<br />

befanden und es schon im Oktober 1932<br />

und im März 1933 zu ähnlichen Ausschreitungen<br />

gekommen war, entschloss sich Dollfuß angesichts<br />

der mit dem Vor fall verbundenen internationalen<br />

Implikationen zu einem drastischen<br />

Vorgehen. Neben der Auflösung der bereits<br />

nationalsozialistisch gewordenen „Deutschen<br />

Studenten schaft“ sollte die staatliche Aufsicht<br />

über die Universitäten diese Speerspitze des<br />

Antisemitismus brechen.<br />

Formalrechtliche Gleichbehandlung<br />

Dollfuß enthielt sich während seiner Zeit als<br />

Bundes kanzler jeder auch ansatzweise als<br />

antisemitisch interpre tierbaren Aktivität oder<br />

Äußerung. Im Gegenteil, er sig nalisierte diesbezüglich,<br />

das Erbe der Monarchie, in der die<br />

Juden volle staatsbürgerliche Rechte zuerkannt<br />

Schweiz<br />

Anerkennung für Or Chadasch Zürich<br />

„Kleiner Schritt für Kanton, grosser für die<br />

Juden“ kommen tierte das jüdische Wochenmagazin<br />

„tachles“ die Anerken nung der <strong>Jüdische</strong>n<br />

<strong>Liberale</strong>n <strong>Gemeinde</strong> Or Chadasch und der<br />

Israelitischen Cultusgemeinde Zürich als privatrechtliche<br />

Vereine im Zuge der Abstimmung<br />

über die neue Kantonsver fassung am 27.<br />

erhal ten hatten, fortführen zu wollen. Die<br />

jüdische Bevölkerung ihrerseits stellte sich<br />

angesichts des drohenden Anschlus ses an das<br />

nationalsozialistische Deutschland auf die<br />

Seite der österreichischen Unabhängigkeit und<br />

damit hinter die Regierung. Schließlich spielte<br />

auch der diplomatische Druck der westlichen<br />

Demokratien, in erster Linie Groß britanniens<br />

und Frankreichs, eine Rolle, so dass Dollfuß<br />

wohl auch deshalb um ein gutes Gesprächsklima<br />

zu den österreichischen Juden und ihren<br />

Vertretungsorganen be müht war. Doch wussten<br />

sowohl Dollfuß als auch nach ihm Schuschnigg<br />

um die starken antijüdischen Ressenti ments gerade<br />

innerhalb des politischen Katholizismus.<br />

So versuchten beide, einen möglichst neutralen<br />

Kurs zu steu ern. Die jüdische Frage sollte in der<br />

politischen Diskus sion möglichst keine Rolle<br />

spielen. Man erhoffte sich da durch, erstens den<br />

Nationalsozialisten den Wind aus den Segeln<br />

zu nehmen, zweitens die eigene katholische<br />

Klientel nicht vor den Kopf zu stoßen, drittens<br />

die jüdi sche Bevölkerung weiter bei der Stange<br />

zu halten, und man hatte, last, but not least,<br />

auch international keine Schwierigkeiten zu<br />

befürchten. Schließlich war nach dem Ende der<br />

Demokratie in Österreich die Frage der Behandlung<br />

der Juden in den Augen der ausländischen<br />

Öffent lichkeit einer jener Hauptpunkte, in<br />

denen Osterreich sich vom nationalsozialistischen<br />

Deutschland unterschied und der seine<br />

Unabhängigkeit rechtfertigte. Dollfuß gelang<br />

es, dieses labile Gleichgewicht einigermaßen<br />

aufrechtzuer halten.<br />

Durch die neue Verfassung, die von ihren<br />

Schöpfern als ständisch ausgegeben wurde, bei<br />

der aber die autoritären Elemente überwogen,<br />

wurden die staatsbürgerlichen Rechte der Juden<br />

gegenüber der Verfassung 1920 nicht beschnitten.<br />

Dies wurde von allen jüdischen Organisatio nen<br />

anerkannt. In der betont katholisch-konfessionellen<br />

Ausrichtung der Maiverfassung 1934, deren<br />

Präambel be kanntlich eine Anrufung des Allmächtigen<br />

enthielt, wurde nicht nur kein Hindernis,<br />

sondern vielfach eine zusätzliche moralische<br />

Absicherung der Gleichberechtigung der Juden<br />

gesehen. „Eine Verfassung, die im Namen Gottes<br />

verkün det wird, kann nicht gegen uns Juden sein“,<br />

brachte es der Präsident der Kultusgemeinde, Dr.<br />

Desider Friedmann, auf den Punkt. (…)<br />

Februar. Dies heißt aber nicht, dass die bei den<br />

<strong>Gemeinde</strong>n irgendeinen finanziellen Anspruch<br />

vom Staat haben – sie bleiben finan ziell so wie<br />

bisher unabhängig und können auch ihre Kultussteuern<br />

nicht über den Staat einziehen. Es geht<br />

vielmehr um eine symbolische Anerkennung<br />

der jüdi schen <strong>Gemeinde</strong>n, die künftig beispielsweise<br />

Anspruch auf Räume in Schulhäusern für<br />

ihren Religionsunterricht haben oder Anspruch<br />

17<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Resümee<br />

Der katholische Antisemitismus in Österreich<br />

hat in den Jahren vor 1938 dazu beigetragen,<br />

die Hemmschwelle für die Akzeptanz antisemitischer<br />

Maßnahmen zu senken. Eine Differenzierung<br />

zwischen religiösem, wirtschaftli chem<br />

oder rassischem Antisemitismus — die es in<br />

ein deutiger Form ohnedies nie gab — wurde<br />

von den meisten Menschen nicht wahrgenommen.<br />

Ihnen hatten sich ledig lich die immer<br />

wiederholten judenfeindlichen Schlagworte<br />

und Parolen tief eingeprägt.<br />

Deshalb war es auch problematisch, wenn<br />

man von katho lischer Seite parallel zum<br />

Aufstieg des Nationalsozialis mus zunehmend<br />

darauf Wert legte, sich vom Rassenantisemitismus<br />

zu distanzieren, Antisemitismus<br />

als solcher aber für weite Teile der Kirche<br />

eine Selbstverständlichkeit blieb. Die Zahl<br />

katholischer Geistlicher oder Laien, die<br />

Antisemitismus grundsätzlich verurteilten<br />

und öffentlich dagegen auftraten, wie etwa<br />

Dietrich von Hildebrand in seiner Zeitschrift<br />

„Der Christliche Ständestaat“, war klein.<br />

Der nationalsozialistische Antisemitismus ab<br />

dem März 1938 war in Österreich deshalb so<br />

wirkungsvoll (und je denfalls wirkungsvoller<br />

als zur selben Zeit im Deutschen Reich), weil<br />

er auf dem anderen, „gemäßigten“, aber tief<br />

verwurzelten und gerade in den Jahren unmittelbar<br />

vor dem Anschluss stark betriebenen<br />

christlichen Antijudais mus aufbauen konnte.<br />

Dies galt vor allem für die eine lange Tradition<br />

besitzenden Judenstereotype im Volksantisemitismus<br />

der Landbevölkerung, zu dem<br />

noch jener Antisemitismus des Wiener Kleinbürgertums<br />

kam, der an gesichts der starken<br />

jüdischen Minderheit in der Haupt stadt eine<br />

deutliche wirtschaftliche Komponente aufwies.<br />

Dass auch große Teile der katholischen<br />

Intelligenz geis tige Trägerschichten dieses<br />

Antisemitismus waren, war wohl eine weitere<br />

Voraussetzung für seine Wirksamkeit. Ohne<br />

dies nur im Entferntesten gewollt zu haben,<br />

wurde durch den Antisemitismus in Österreich<br />

vor 1938 jenes Feld bestellt, auf dem nach dem<br />

Anschluss, die in den Holocaust führende Saat<br />

aufging.<br />

auf staatli che Unterstützung bei der Suche<br />

nach einem neuen Friedhofs areal. Die <strong>Jüdische</strong><br />

<strong>Liberale</strong> Ge meinde Or Chadasch unter der geistlichen<br />

Leitung von Rabbiner Tovia Ben-Chorin<br />

hat 550 Mitglieder und sich 1978 von der ICZ<br />

abgetrennt; ihre Grundlage ist «die gesamte<br />

jüdische Tradition, wie sie sich in Thora und Halachah<br />

widerspiegelt, verbunden mit Weltoffenheit,<br />

Toleranz und Menschlichkeit».


<strong>Gemeinde</strong>leben<br />

Der Budapester Goldmark-Chor zu Gast in der Libe ralen<br />

<strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong> Han nover<br />

von Gábor Lengyel<br />

Die besondere synagogale Musiktradition aus<br />

Budapest erlebten Mitglieder und Freunde der<br />

Li beralen <strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong> am 14. März<br />

2005. Professor Andor Izsák, Direktor des<br />

Europäischen Zentrums für <strong>Jüdische</strong> Musik,<br />

hatte zum wiederhol ten Mal den Chor des Budapester<br />

Rabbinersemi nars und der <strong>Jüdische</strong>n<br />

Universität (ORZSE) nach Hannover eingeladen.<br />

Der Goldmark-Chor (ge nannt nach dem ungarisch-jüdischen<br />

Komponis ten, Károly Goldmark)<br />

feierte am 13. Februar die ses Jahres ihren 35.<br />

jäh rigen Bestehen im Liszt-Ferenc Konzertsaal<br />

in Budapest.<br />

Der Chor wurde von dem Dirigenten Emil<br />

Ádám nach der Empfehlung des international<br />

bekannten Rabbiners und Rektors des<br />

Rabbinerseminars in Budapest, Professor Dr.<br />

Sándor Scheiber, gegrün det. Chormitglieder<br />

in der Anfangszeit waren Stu denten des<br />

Rabbinerseminars, Schüler des jüdi schen<br />

Anna-Frank_Gymnasiums und Mitglieder von<br />

Chören von Emil Ádám. Hauptanliegen war es,<br />

die traditionelle jüdische Musik vor der Vergessenheit<br />

zu bewahren. Das feier liche Erstauftreten<br />

des Chors fand am 22. No vember 1969 in<br />

der Synagoge an der Hegedüs-Gyula-Straße in<br />

Budapest statt.. Während der kommunistischen<br />

Zeit ist der Chor nur in den Synagogen von<br />

Buda pest oder in eini gen anderen größeren<br />

Städten Ungarns aufgetre ten. Bei na hezu<br />

allen Rabbiner einführungen in Budapest war<br />

der Chor selbstver ständlich dabei. Der erste<br />

Aus landsauftritt erfolgte in Österreich 1979,<br />

danach in mehreren Ländern, auch in Israel.<br />

Heute wird der Chor von Ádáms Tochter Mária<br />

geleitet. Die Proben finden jeden Montagabend<br />

ARZENU<br />

Am 12. Mai findet in München anlässlich von<br />

Jom Ha’azma’ut die Gründungsversammlung<br />

von ARZENU Deutschland statt. ARZENU, der<br />

Bund progressiver Zio nisten in Deutschland,<br />

wird als sich als deutsche Sektion des 1980<br />

gegründeten ARZENU-Weltverbandes unter<br />

an derem Anfang November aktiv an der AR-<br />

ZENU-Europa konferenz in London beteiligen.<br />

Informationen über:<br />

Dr. Schell-Apacik<br />

Arzenu Deutschland e.V. i.Gr.<br />

Postfach 34 03 56 | 80100 München<br />

info@arzenu.de | www.arzenu.de<br />

Die Kantoren Emil Toth und László Fekete begeisterten<br />

die Mitglieder und Freunde der <strong>Liberale</strong>n<br />

<strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong> mit Charme und Virtuosität<br />

im Gebäude des Rab binerseminars statt. Unter<br />

seinen Solisten sind zwei hervorragende<br />

Kantoren Un garns: der Tenor Emil Tóth, seit<br />

1982 Ober kantor der Synagoge im Rabbinerseminar,<br />

und Bass-Ba riton László Fe kete,<br />

seit 1989 Oberkantor der größten Synagoge<br />

Europas, der Dohány (Tabak)-Synagoge. Die<br />

bei den waren zusammen mit sechsunddreißig<br />

Chor sängerinnen und –sängern nach Hannover<br />

ge kommen – es wurde recht eng vor unserem<br />

Aron Ha’kodesch!<br />

Prof. Andor Izsák führte die Zuhörer durch die<br />

musikalische Welt der Liturgie. Das Programm<br />

wurde mit dem Psalm 150 („Hallelujah, Lobet<br />

Gott in seinem Heiligtum“) in der Bearbeitung<br />

von Louis Lewandowski begonnen. Von Chorgründer<br />

Emil Àdám stammte die Vertonung von<br />

Psalm 130 („Stufenlied. Aus den Tiefen ruf’ ich<br />

dich, o Ewiger!“) Ein Höhepunkt war ein Solo<br />

von Emil Tóth, „Ez Chaim hi La’machazikim<br />

UPJ<br />

Der UPJ veranstaltet ihre 11. Jahrestagung vom<br />

14.-17. Juli in Berlin-Spandau und lädt alle interessierten<br />

Juden und Jüdinnen ein, gemeinsam<br />

mit Referenten und ReferentInnen aus dem In-<br />

und Ausland zu ler nen, zu beten und zu feiern,<br />

Erfahrungen auszutau schen und Positionen zu<br />

klären. Informationen über:<br />

UNION PROGRESSIVER JUDEN<br />

IN DEUTSCHLAND E.V.<br />

Freundallee 27 | 30173 Hannover<br />

Tel.: 0511-8564078 | Fax: 0511-2353954<br />

info@liberale-juden.de<br />

www.liberale-juden.de<br />

18<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

ba“ das Gebet zum Einheben der Torarolle am<br />

Schab bat. Der junge Kantor der Synagoge von<br />

Szeged, Tamás Biczó, sang mit Chorbegleitung<br />

das „Wa jehi Binsoa Ha’aron Wajomer Mosche“.<br />

Auch der große ungarischer Komponist Zoltán<br />

Kodály duften nicht fehlen; von ihm stamme<br />

die Bearbeitung des Gebetes „Baruch Schem<br />

Kawod Mal chuto Laolam Waed“. Für unsere<br />

russisch sprachigen Mitglieder war es eine<br />

große Überra schung und Freude, als Oberkantor<br />

László Feke te ein hebräisches Lied vom<br />

Modest P. Mussorgski auf Russisch ankündigte<br />

und in russischer Spra che vortrug. In die alte<br />

Welt der chassidischen Musik von Munkács<br />

entführten uns dann Simchat-Tora-Lieder in<br />

moderner Bearbeitung von Emil Ádám. Sein<br />

Purimlied „Schoschanat Jaakov“ stieß auf<br />

besondere Be geisterung.<br />

Ingrid Wettberg, die <strong>Gemeinde</strong>vorsitzende,<br />

be dankte sich nach etlichen Zugaben mit herzlichen<br />

Worten bei dem Chor, bei Mária Ádám<br />

und den Solisten. Sie versprach, den Chor bald<br />

wieder ein zuladen, dann hoffentlich ins neuen<br />

<strong>Gemeinde</strong> zentrum; Landesverbandsvorsit zende<br />

Katarina Seidler, Ingrid Wettberg und <strong>Gemeinde</strong>sekretärin<br />

Ala Wolodarska überraschten<br />

alle Chor mitglieder vor ihrer nächtlichen Rückreise<br />

nach Ungarn mit kleine Aufmerksamkeit<br />

als Ge schenk der Libera len <strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong><br />

Hannover, die dieses Sy nagogalkonzert noch<br />

lange in Erinnerung behalten wird.<br />

Dipl.-Ing. Gábor Lengyel ist Vorstandsmitglied der<br />

<strong>Liberale</strong>n <strong>Jüdische</strong> <strong>Gemeinde</strong> Hannover und derzeit<br />

Student am Rabbi nerseminar in Budapest<br />

WUPJ<br />

Vom 30. Juni – 5. Juli kommen über 250 ausländische<br />

Delegierte nach Moskau, um an der<br />

32. Internationalen Konferenz der World Union<br />

for Progressive Judaism teil zunehmen und mit<br />

einander 15 Jahre religiöser Entfaltung liberalen<br />

Judentums seit dem Ende der Sowjetunion zu<br />

feiern. Auf dem Programm stehen Vorträge und<br />

Arbeits gruppen, Gottesdienste, Exkursionen und<br />

viele kulturelle Angebote. Informationen über:<br />

European Region of WUPJ – The Sternberg Centre<br />

80 East End Road, London N3 2SY<br />

administrator@europeanregion.org<br />

www.europeanregion.org<br />

Fotos: G. Lengyel


Jugendmachane<br />

Peulot, Brachot und Champignons<br />

von Darja Bartsch<br />

Ende Dezember hieß es für vierzig Kinder und<br />

Jugendli chen aus liberalen Unionsgemeinden<br />

und Zentralratsge meinden wieder „Bruchim<br />

Habai’im laMachane!“. Zum Winter machane<br />

in Mühlhausen im Thüringer Wald fuhren die<br />

Zwölf- bis Siebzehnjährigen mit ihrem altbewährten<br />

und vertrauten Madrichimteam: Adi,<br />

Darja, Roey, Jakob, Viktor, Inna und zusätzlich<br />

Orly Kenig von „Netzer Olami“ Israel. Als Gastreferenten<br />

durften wir noch Udi und Sara von<br />

„Netzer Olami“ in den Niederlanden begrü ßen,<br />

die genau wie wir an einer kontinuierlichen,<br />

engeren Zusammenarbeit inte ressiert sind;<br />

außerdem stellte uns Lea Mühlstein, zweite<br />

Vorsitzende von „Jung und Jüdisch Deutschland“<br />

ihre Organisation vor.<br />

Das Thema des diesjährigen Wintermachanes<br />

war „Tik kun Olam“ – die Verbesserung unserer<br />

Welt. Gemeinsam mit den Madrichim machten<br />

sich die Jugendlichen auf dem Weg, sich selbst<br />

zu erkennen und zu verändern, um diese Welt<br />

besser verstehen zu können und zu einem besseren<br />

Ort für alle werden zu lassen. Ein großes<br />

Ziel, ein langer Weg – aber die ersten Schritte<br />

haben wir bereits gemacht. In den Peulot erfuhren<br />

die Chanichim auch über die Möglichkeiten<br />

von „Tikkun Olam“ in Israel, spürten bei einer<br />

absoluten „Dunkelwanderung“ wie es ist, sich<br />

nicht sehend orientieren zu können und wie<br />

angenehm und wichtig Hilfe ist. Wir erlebten<br />

die Schwierigkeiten der gehörlosen Verständigung<br />

in einem nachgestellten Restaurantbesuch.<br />

Im spielerischen Umgang mit der gro ßen<br />

Welt konnte man sie auf einem großen Papier<br />

jedes Mal unseren Wünschen entsprechend<br />

verändern: etwa mit Israelis und Palästinenser<br />

im friedlichen Nebeneinander, mit Bildung für<br />

Südostasien und Mitteln zum Wiederauf bau<br />

Schabbatgottesdienst mit Rabbinerstudent Tom<br />

Kucera in der Synagoge von Mühlhausen<br />

und für Hilfsmaßnahmen im Katastrophengebiet<br />

dort. Als wir vom Tsunami erfuhren,<br />

sprachen wir alle ein spontanes Kaddisch - und<br />

das „Birkat Hamazon“, das sonst nach jeder<br />

Mahlzeit fröhlich durch den Raum schall, war<br />

dieses Mal gedämpft.<br />

Für unsere beiden Gottesdienste am Schabbat<br />

durften wir in die im 19. Jahrhundert errichtete<br />

Synagoge von Mühl hausen nutzen, eine der<br />

wenigen Synagogen in Deutsch land, die die<br />

Pogrom nacht 1938 überstanden hat. Der<br />

Gottesdienst wurde von Rabbinerstudent Tom<br />

Kucera vom Abraham Geiger Kol leg und Inna<br />

aus der <strong>Liberale</strong>n <strong>Jüdische</strong>n <strong>Gemeinde</strong> Ha meln<br />

geleitet. Über die Hälfte der Kinder war aktiv<br />

betei ligt, die anderen hörten andächtig zu.<br />

Tom fand die richti gen Worte, um alle für den<br />

Gottes dienst zu interessieren und ein Gefühl<br />

von Kavanah schaf fen; Inna fand die richtigen<br />

Töne dazu. Zwei Mädchen, die bereits ihre Bat<br />

Mitzva gefeiert hatten, hielten kleine Draschot,<br />

und für einige der sieben Jugendlichen, die zur<br />

Torah aufgerufen wurden, war dies ihre allererste<br />

Alijah. Begleitet wurden un sere Gesänge<br />

von Gitarrenspiel. Sehr erfreut waren wir, dass<br />

19<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

der Deutschland-Schaliach der Jewish Agency,<br />

Andrey Gore, uns am Schabbat besuchte.<br />

Einzelne Gruppen haben sich viele attraktive<br />

Dinge aus gedacht wie z.B. ein selbst geschriebenes<br />

Theaterstück. Diese originellen Ideen fanden<br />

immer vor unserem Abendessen statt, das wie<br />

alle Mahlzeiten von Madrichim und Chanichim<br />

gemeinsam zubereitet wurde. Besonderer Beliebtheit<br />

erfreuten sich dabei Champignons: als<br />

Salat, gedünstet, geschmort oder auch gebraten.<br />

Der Hausmeis ter war überrascht war, als wir<br />

ein Essen ohne Champig nons zubereiteten. Er<br />

konnte natürlich nicht wissen, dass die Pilze<br />

eine leckere Spende von „Weser-Champignon“<br />

waren! Er war der Meinung, dass wir Juden wohl<br />

täglich Champig nons essen müssten.<br />

Um unsere Erfahrung mit Helfen, Verständnis<br />

und gegenseitiger Rück sichtnahme zu testen,<br />

zogen wir auch in die „Welt“ hin aus. Einen<br />

Tag ging es nach Erfurt mit Stadtrundgang,<br />

Eislaufen und Kinobesuch. Das andere Mal zum<br />

Schwimmen in die „Thüringentherme“. Den<br />

Abschied erlebten alle mit einer Träne im Auge.<br />

Aber das Jahr 2005 ist da und es wird einen<br />

Sommer geben und damit auch das nächste Machane.<br />

Wie Olga aus Hannover spontan sagte::<br />

„Es war so super, ich komme ganz bestimmt im<br />

Sommer wieder mit“. An dieser Stelle möchten<br />

wir dem Europäischen Flüchtlingsfond, der<br />

Jewish Agency und dem Zentralrat der Juden<br />

in Deutschland für die Unter stützung unserer<br />

Jugendarbeit danken.<br />

Das Sommermachane 2005 für Kinder und Jugendliche<br />

zwischen 8 und 17 jahren fi ndet vom 28. Juli<br />

bis 7. August in Straelen nahe der niederländischen<br />

Grenze statt. Auf dem Programm stehen Ausfl üge<br />

in die Niederlande, ge meinsame Aktivitäten mit<br />

„Netzer Holland“ und wie im mer die Vermittlung<br />

jüdischen Wissens – und das alles für nur Ð 350,-.<br />

Informationen und Anmeldung über Adi Weichselbaum<br />

in Hannover, Tel. (0511) 8564077, e-mail:<br />

youth.dept.upjg@t-online.de<br />

Jung und Jüdisch – Junior Netzer<br />

Vom 22. März – 3. April waren die Madrichim von „Jung und Jüdisch<br />

– Junior Netzer“ erstmals in Israel zu Gast, um die Verbundenheit<br />

mit Eretz Jisrael zu stärken, Kon takte zu dortigen Jugendgruppen zu<br />

knüpfen, das Wissen über das land und seine Geschichte zu vertiefen<br />

und sich mit jüdischer Religion und Tradition auseinanderzusetzen.<br />

Auf dem Programm standen Diskussionen mit Jugendli chen in<br />

Kibbutzim, Gespräche zu Purim und darüber, wer oder was unser<br />

Leben bestimmt – „Schicksal, göttliche Vorsehunng oder eigene Lebensplanung“,<br />

Ausflüge zu symbolträchtigen Orten wie Massada, der<br />

Knesset und das Diaspora-Museum, Gottesdienste bei Or Chadasch<br />

in Haifa und auf dem Ra bin-Platz in Tel Aviv sowie ein Besuch beim<br />

deutschen Botschafter Rudolf Dressler.<br />

Fotos: A. Weichselbaum


The Abraham Geiger College<br />

in association with<br />

the Central Conference of American Rabbis<br />

cordially invites you to join a conference of study and leisure<br />

in Berlin from May 2 to 5, 2005<br />

Mifgash Harabbanim in Berlin<br />

Chesed and Zedakah: From Bible to Modernity<br />

in Honour of the 75 th birthday of Rabbi Walter Jacob<br />

Celebrating Fifty Years in the Progressive Rabbinate at Seventy Five<br />

For further information: Abraham Geiger Kolleg,<br />

Phone: +49 (0) 30 / 31 80 05 87 | Fax: +49 (0) 30 / 31 80 05 86<br />

abraham.geiger.kolleg@t-online.de<br />

www.abraham-geiger-kolleg.de<br />

Matinee zum Tag des Holocaust-Gedenkens<br />

60 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager<br />

Bente Kahan<br />

HOME Musikalisches Kaleidoskop einer jüdischen Familie in Europa<br />

unter der Schirmherrschaft von:<br />

Valgerd Svarstad Haugland Ruth Cohen<br />

Ministein für Kultur und kirchliche Präsidentin der Weltunion<br />

Angelegenheiten des Königreich Norwegen für Progressives Judentum, Jerusalem<br />

Donnerstag, 5. Mai 2005, um 11 Uhr<br />

anschließend Präsentation des Holocaust-Zentrums Oslo<br />

Foyer der Deutschen Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin-Charlottenburg<br />

Kartenvorverkauf an der Theaterkasse, Tel. 0700 6737237546,<br />

oder unter www.deutscheoperberlin.de<br />

Monday, May 2<br />

Israel Jacobson Award for Rabbi Walter Jacob<br />

Award: Ruth Cohen, <strong>President</strong> of the World Union for Progressive<br />

Judaism<br />

Laudatory Speech: Rabbi Uri Regev, Executive Director, World<br />

Union for Progressive Judaism<br />

Lecture: Rabbi Dr. Walter Jacob – „Chesed and Zedakah: Personifications<br />

and Abstractions“<br />

Tuesday, May 3<br />

Philosophy and Jewish Thought<br />

Prof. Dr. Admiel Kosman (Abraham Geiger Kolleg Potsdam):<br />

„Chesed and Zedakah in the Aggadic Story: Judaism between<br />

the Inner and Outer Ways“<br />

Prof. Dr. Karl E. Grözinger (Universität Potsdam): „Chesed and<br />

Zedakah as Divine Attributes in the Kabbalah“<br />

Rabbi Prof. Yehoyada Amir (Hebrew Union College Jerusalem):<br />

„Chesed and Redemption in the Philosophy of Franz Rosenzweig“<br />

Rabbi Sanford Ragins (Leo Baeck Temple Los Angeles): „Chesed<br />

and Zedakah in Our Times: Some Remarks on Pittsburgh II,<br />

The Principles of the Central Conference of American Rabbis“<br />

Wednesday, May 4<br />

Liturgy and Halakha<br />

Rabbi Herbert Bronstein (North Shore Congregation Israel,<br />

Glencoe): „Convenant Chesed, Statuory Liturgy and the<br />

Design of Judaism“<br />

Rabbi Prof. Dr. Yehoram Mazor (Hebrew Union College Jerusalem):<br />

„Chesed, Zedakah and Its Liturgy“<br />

Dr. Annette M. Böckler (Hochschule für <strong>Jüdische</strong> Studien Heidelberg):<br />

„Chesed we’emet – Zedaqua wemischpat: moralische<br />

Wertepaare in Bibel und Liturgie“<br />

Rabbi Jonah Sievers (<strong>Jüdische</strong> <strong>Gemeinde</strong> Braunschweig /<br />

Abraham Geiger Kolleg Potsdam): „Chesed in the Halakhic<br />

Process, the Case of the Validity of Civil Marraige in Progressive<br />

Halakha“

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