Mrs. President! - Jüdische Liberale Gemeinde Köln Gescher ...
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Nachruf<br />
Richard Ames s. A.<br />
Am 9. März ist der<br />
amerikanische Opernsänger,<br />
Kantor und<br />
Kultusrat bei der Israelitischen<br />
<strong>Gemeinde</strong><br />
Graz, Ri chard Ames,<br />
einem Herzversagen<br />
erlegen. Ames wurde<br />
am 20. August 1931<br />
als Richard Abrams<br />
in Cleve land/Ohio geboren, absolvierte ein<br />
Musik- und Gesangs studium an der New Yorker<br />
Juilliard School of Musik und am Conservatorio<br />
Guiseppe Verdi und studierte bei Henry Rosenblatt<br />
Chasanut. 1956 kam er als jüdischer U.S.<br />
Army Chaplain nach Würzburg, wechselte aber<br />
bald ins Opernfach und wurde 1968 von der<br />
Grazer Oper enga giert; seit seiner Pensionierung<br />
1994 widmete er sich ins besondere dem<br />
interreligiösen Dialog. Daneben wirkte er immer<br />
wieder als Kantor in jüdischen <strong>Gemeinde</strong>n<br />
und war auch bei der Union progressiver Juden<br />
zu Gast. Auf eine religiöse Richtung mochte er<br />
sich nicht festlegen: „Ich lehne Kategorien ab.<br />
Ich selbst stammte aus einer ortho doxen Familie,<br />
trennte mich und bete in einer konservativen<br />
oder in einer liberalen <strong>Gemeinde</strong>. Ich kann<br />
aber keine Religion akzeptieren, die irgend<br />
jemand ausschließt, die nicht Frau und Mann<br />
gleichstellt – in allen Beziehungen. In diesem<br />
Sinne würde ich mich als liberal bezeichnen.“<br />
Richard Ames hinterlässt seine Frau Inge und<br />
eine er wachsene Tochter. Möge die Erinnerung<br />
an ihn ein Segen sein.<br />
Fackenheim-Lecture 2005<br />
mit Jacob Allerhand<br />
Der emeritierte Wiener Univiversitätsprofessor<br />
für Judais tik und Hebraistik,<br />
Dr. Jacob Allerhand. wird die diesjäh rige<br />
Fackenheim Lecture 2005 des Abraham<br />
Geiger Kol legs halten. Allerhand wurde 1930<br />
im wolhyni schen Schtetl Ludwipol geboren,<br />
besuchte Schulen in Li tauen, Kasachstan<br />
und Deutschland und studierte Orienta listik<br />
und Judaistik in Beirut, Berlin und Wien; er<br />
ist Mit initiator der Wiener Theodor-Herzl-<br />
Symposien und Autor zahlrei che Veröffentlichung<br />
zur Kultur des Ostjudentums.<br />
Er hat damit wesentlich zum besseren<br />
beiderseitigen Ver ständnis innerhalb der<br />
Glaubensgemeinschaften bei getra gen und<br />
genießt dafür große Anerkennung. Der jüdische<br />
Religions philosoph und Rabbiner Emil<br />
Fa ckenheim (1916–2003) hat die Vortragsreihe<br />
gestiftet. Die diesjährige Vorlesung<br />
mit Jacob Allerhand findet am 8. Juni in der<br />
Österreichischen Botschaft in Ber lin statt.<br />
Vortrag<br />
Antisemitismus vor dem Anschluss<br />
Der österreichi sche Ständestaat und die Juden 1934–1938<br />
von Helmut Wohnout (Wien)<br />
Dr. Helmut Wohnout,<br />
geb. 1964, studierte<br />
Geschichte an der<br />
Universität Wien und<br />
an der Georgetown<br />
University in Washington<br />
DC und leitet<br />
das Büro des Staatssekretärs<br />
für Kunst<br />
und Medien im österreichischen Bundeskanzleramt;<br />
daneben ist er der wissenschaftliche<br />
Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts;<br />
er ist Autor zahlreicher Publikationen zur<br />
Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Wir<br />
bringen einige Auszüge aus seinen Vorbemerkungen<br />
sowie das Resümee des Vor trags, den er<br />
am 14. April auf Einladung des Abraham Geiger<br />
Kollegs, des Kanonisti schen Instituts sowie des<br />
Moses Mendelssohn Zentrums für europäischjüdische<br />
Geschichte im Auditorium Maxi mum<br />
der Universität Pots dam hielt. Wohnouts Ausführungen<br />
zum Antisemitismus als Instrument<br />
des politischen Katholizismus, über berufli che<br />
Diskriminierungen und Separation, die Haltung<br />
kirchlicher Amtsträger und über die Wellen<br />
antisemitischer Phobien 1934–1938 sind im<br />
Manuskript nachzulesen, das auf Anfrage beim<br />
AGK erhältlich ist.<br />
Was vor allem in Wien, aber auch in anderen<br />
Städten Ös terreichs unmittelbar nach dem<br />
„Anschluss“ in Bezug auf die jüdische Bevölkerung<br />
geschah, hatte bis zu diesem Zeitpunkt<br />
im Deutschen Reich noch keinen Präzedenzfall<br />
gehabt: Hatte dort die Judenverfolgung mit der<br />
seit Jahren betriebenen „Entrechtung durch<br />
Sonderrecht“ – der sys tematischen und auf nationalsozialistischen<br />
Rechtsnormen basierenden<br />
Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen<br />
Leben (Ausschaltung der Juden aus dem<br />
öffentlichen Dienst im Frühjahr 1933, das Gesetz<br />
über den Widerruf von Einbürgerungen und die<br />
Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit<br />
im Juli1933, die Nürnberger Rassen gesetze im<br />
September 1935) — ihren planmäßigen wie in<br />
ihren weiteren Konsequenzen schrecklichen<br />
Lauf genom men, so setzte in Wien und anderen<br />
österreichischen Städten ein spontanes Pogrom<br />
ein: selbsternannte Autori täten, die ohne irgend<br />
jemandes Auftrag in das kurzzeitig vorhandene<br />
Machtvakuum eindrangen, sich an jüdischem Eigentum<br />
und Leben vergriffen, aus Zerstörungswut<br />
er folgte Schändungen jüdischer sakraler<br />
Einrichtungen oder die aus zeitgenössischen<br />
Fotoaufnahmen bekannten so ge nannten „Reib-<br />
16<br />
3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
partien“, bei denen unter dem Gejohle zahlloser<br />
Schaulustiger Juden zur erniedrigenden Tätigkeit<br />
des Straßenschrubbens herangezogen wurden.<br />
Die Vorfälle in Wien im März 1938 wurden in<br />
ungeheurer Intensität des Ausdruckes von Carl<br />
Zuckmayer in seinen Erinnerungen geschildert:<br />
»Hier war nichts losgelassen als die dumpfe<br />
Masse, die blinde Zerstörungswut, und ihr Hass<br />
richtete sich gegen alles durch Natur oder Geist<br />
Veredelte. Es war ein Hexen sabbat des Pöbels<br />
und ein Begräbnis aller menschlichen Würde.“<br />
Es ist notwendig und wichtig, nach den Ursachen<br />
und Vorbedingungen, die den Boden für<br />
diese Eruption des Antisemitismus bereiteten,<br />
zu fragen. Und deshalb ist es auch sinnvoll,<br />
die Problematik des Antisemitismus in den<br />
Jahren unmittelbar vor dem „Anschluss“ zu<br />
untersuchen. Ich konzentriere mich daher in der<br />
Folge auf das Regie rungslager des autoritären<br />
Österreich, da sowohl die mei nungsbildende<br />
Funktion der katholischen Kirche in Oster reich<br />
des Jahres 1938 beachtlich war, als auch der<br />
Staat der Jahre 1934—1938 sich explizit zu<br />
katholischen Wert vorstellungen bekannte. Was<br />
den Deutschnationalen bzw. Nationalsozialistischen<br />
Antisemitismus anlangt, so mag vorerst<br />
der Hinweis ge nügen, dass seit Beginn des<br />
nationalsozialistischen Terrors in Österreich ab<br />
1932/33 dieser sich auch und vor allem gegen<br />
Juden richtete. So wurde bereits - um ein drastisches<br />
Beispiel zu erwähnen – im Juni 1933 ein<br />
jüdischer Juwelier in Wien Opfer eines gezielten<br />
nationalsozialisti schen Bombenattentats.<br />
Die Ausgangslage<br />
Zwei Ausgangspositionen sind bei einer Untersuchung<br />
der Jahre 1933—1938 festzuhalten:<br />
Mit dem Aufschwung der NSDAP ab 1932 und<br />
besonders nach der nationalsozialis tischen<br />
Machtübernahme in Deutschland im Jänner<br />
1933 wurde die Problematik des Antisemitismus<br />
von den öster reichischen Nationalsozia listen<br />
neben dem Anschluss an das Deutsche Reich<br />
als zweiter Hauptprogrammpunkt an die Spitze<br />
ihrer politi schen Agitation gestellt. Jedoch hatte<br />
keine der sonstigen politischen Parteien — wohl<br />
auf Grund der Popularität antisemitischer<br />
Agitation — den Mut, entschieden gegen den<br />
NS-Terror aufzutreten. Bei den Christlichsozialen<br />
wurde dies nicht zuletzt durch den großen<br />
Anteil von Po litikern jüdischer Herkunft in der<br />
So zialdemokratischen Partei noch zusätzlich