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Mrs. President! - Jüdische Liberale Gemeinde Köln Gescher ...

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gehemmt; ja, es gab christlichsozi ale Politiker,<br />

die es für ihre eigene Partei als ein Verdienst<br />

reklamierten, „die jüdische Gefahr“ als erste<br />

erkannt zu haben. Eine weitere wesentliche<br />

Schlüs selfunktion kam den wirtschaftspolitischen<br />

Rahmenbedin gungen während der<br />

dreißiger Jahre zu. Einmal mehr zeigte sich,<br />

dass bei ökonomischen Krisensituationen eine<br />

latente Bereitschaft zu Antisemitismus leicht<br />

in Aktivis mus umschlägt. Als eine unmittelbare<br />

Folge der sich auch auf Österreich aus wirkenden<br />

Wirtschaftskrise kam es zu einem sprunghaften<br />

Ansteigen antisemitischer Stim mungslagen.<br />

Schon bei Regierungsantritt Dollfuß‘ im Frühjahr<br />

1932 hatte sich die antijüdische Stimmung in der<br />

Bevölkerung drastisch verschärft. Brennpunkt<br />

judenfeind licher Propa ganda waren die Universitäten<br />

und hier vor allem die Uni versität Wien,<br />

wo antisemitische Ausschrei tungen bereits<br />

bedrohliche Ausmaße angenommen hatten.<br />

Antijüdische Exzesse nationalsozialistischer<br />

Studenten waren es, die die Regierung Dollfuß<br />

Anfang Mai 1933 dazu bewogen, die Autonomie<br />

der Universität zu beseiti gen: Am 10. Mai wurden<br />

jüdische und sozialdemokrati sche Studenten am<br />

Anatomischen Institut Professor Julius Tandlers<br />

von zahlenmäßig weit überlegenen Nationalsozialisten,<br />

die mit Peitschen, Eisenstangen und<br />

Schlagringen bewaffnet waren, angegriffen<br />

und zusammengeschlagen. Da sich unter den<br />

Verletzten auch sechs amerikanische Staatsbürger<br />

befanden und es schon im Oktober 1932<br />

und im März 1933 zu ähnlichen Ausschreitungen<br />

gekommen war, entschloss sich Dollfuß angesichts<br />

der mit dem Vor fall verbundenen internationalen<br />

Implikationen zu einem drastischen<br />

Vorgehen. Neben der Auflösung der bereits<br />

nationalsozialistisch gewordenen „Deutschen<br />

Studenten schaft“ sollte die staatliche Aufsicht<br />

über die Universitäten diese Speerspitze des<br />

Antisemitismus brechen.<br />

Formalrechtliche Gleichbehandlung<br />

Dollfuß enthielt sich während seiner Zeit als<br />

Bundes kanzler jeder auch ansatzweise als<br />

antisemitisch interpre tierbaren Aktivität oder<br />

Äußerung. Im Gegenteil, er sig nalisierte diesbezüglich,<br />

das Erbe der Monarchie, in der die<br />

Juden volle staatsbürgerliche Rechte zuerkannt<br />

Schweiz<br />

Anerkennung für Or Chadasch Zürich<br />

„Kleiner Schritt für Kanton, grosser für die<br />

Juden“ kommen tierte das jüdische Wochenmagazin<br />

„tachles“ die Anerken nung der <strong>Jüdische</strong>n<br />

<strong>Liberale</strong>n <strong>Gemeinde</strong> Or Chadasch und der<br />

Israelitischen Cultusgemeinde Zürich als privatrechtliche<br />

Vereine im Zuge der Abstimmung<br />

über die neue Kantonsver fassung am 27.<br />

erhal ten hatten, fortführen zu wollen. Die<br />

jüdische Bevölkerung ihrerseits stellte sich<br />

angesichts des drohenden Anschlus ses an das<br />

nationalsozialistische Deutschland auf die<br />

Seite der österreichischen Unabhängigkeit und<br />

damit hinter die Regierung. Schließlich spielte<br />

auch der diplomatische Druck der westlichen<br />

Demokratien, in erster Linie Groß britanniens<br />

und Frankreichs, eine Rolle, so dass Dollfuß<br />

wohl auch deshalb um ein gutes Gesprächsklima<br />

zu den österreichischen Juden und ihren<br />

Vertretungsorganen be müht war. Doch wussten<br />

sowohl Dollfuß als auch nach ihm Schuschnigg<br />

um die starken antijüdischen Ressenti ments gerade<br />

innerhalb des politischen Katholizismus.<br />

So versuchten beide, einen möglichst neutralen<br />

Kurs zu steu ern. Die jüdische Frage sollte in der<br />

politischen Diskus sion möglichst keine Rolle<br />

spielen. Man erhoffte sich da durch, erstens den<br />

Nationalsozialisten den Wind aus den Segeln<br />

zu nehmen, zweitens die eigene katholische<br />

Klientel nicht vor den Kopf zu stoßen, drittens<br />

die jüdi sche Bevölkerung weiter bei der Stange<br />

zu halten, und man hatte, last, but not least,<br />

auch international keine Schwierigkeiten zu<br />

befürchten. Schließlich war nach dem Ende der<br />

Demokratie in Österreich die Frage der Behandlung<br />

der Juden in den Augen der ausländischen<br />

Öffent lichkeit einer jener Hauptpunkte, in<br />

denen Osterreich sich vom nationalsozialistischen<br />

Deutschland unterschied und der seine<br />

Unabhängigkeit rechtfertigte. Dollfuß gelang<br />

es, dieses labile Gleichgewicht einigermaßen<br />

aufrechtzuer halten.<br />

Durch die neue Verfassung, die von ihren<br />

Schöpfern als ständisch ausgegeben wurde, bei<br />

der aber die autoritären Elemente überwogen,<br />

wurden die staatsbürgerlichen Rechte der Juden<br />

gegenüber der Verfassung 1920 nicht beschnitten.<br />

Dies wurde von allen jüdischen Organisatio nen<br />

anerkannt. In der betont katholisch-konfessionellen<br />

Ausrichtung der Maiverfassung 1934, deren<br />

Präambel be kanntlich eine Anrufung des Allmächtigen<br />

enthielt, wurde nicht nur kein Hindernis,<br />

sondern vielfach eine zusätzliche moralische<br />

Absicherung der Gleichberechtigung der Juden<br />

gesehen. „Eine Verfassung, die im Namen Gottes<br />

verkün det wird, kann nicht gegen uns Juden sein“,<br />

brachte es der Präsident der Kultusgemeinde, Dr.<br />

Desider Friedmann, auf den Punkt. (…)<br />

Februar. Dies heißt aber nicht, dass die bei den<br />

<strong>Gemeinde</strong>n irgendeinen finanziellen Anspruch<br />

vom Staat haben – sie bleiben finan ziell so wie<br />

bisher unabhängig und können auch ihre Kultussteuern<br />

nicht über den Staat einziehen. Es geht<br />

vielmehr um eine symbolische Anerkennung<br />

der jüdi schen <strong>Gemeinde</strong>n, die künftig beispielsweise<br />

Anspruch auf Räume in Schulhäusern für<br />

ihren Religionsunterricht haben oder Anspruch<br />

17<br />

3. Jahrgang | Ausgabe 2<br />

Resümee<br />

Der katholische Antisemitismus in Österreich<br />

hat in den Jahren vor 1938 dazu beigetragen,<br />

die Hemmschwelle für die Akzeptanz antisemitischer<br />

Maßnahmen zu senken. Eine Differenzierung<br />

zwischen religiösem, wirtschaftli chem<br />

oder rassischem Antisemitismus — die es in<br />

ein deutiger Form ohnedies nie gab — wurde<br />

von den meisten Menschen nicht wahrgenommen.<br />

Ihnen hatten sich ledig lich die immer<br />

wiederholten judenfeindlichen Schlagworte<br />

und Parolen tief eingeprägt.<br />

Deshalb war es auch problematisch, wenn<br />

man von katho lischer Seite parallel zum<br />

Aufstieg des Nationalsozialis mus zunehmend<br />

darauf Wert legte, sich vom Rassenantisemitismus<br />

zu distanzieren, Antisemitismus<br />

als solcher aber für weite Teile der Kirche<br />

eine Selbstverständlichkeit blieb. Die Zahl<br />

katholischer Geistlicher oder Laien, die<br />

Antisemitismus grundsätzlich verurteilten<br />

und öffentlich dagegen auftraten, wie etwa<br />

Dietrich von Hildebrand in seiner Zeitschrift<br />

„Der Christliche Ständestaat“, war klein.<br />

Der nationalsozialistische Antisemitismus ab<br />

dem März 1938 war in Österreich deshalb so<br />

wirkungsvoll (und je denfalls wirkungsvoller<br />

als zur selben Zeit im Deutschen Reich), weil<br />

er auf dem anderen, „gemäßigten“, aber tief<br />

verwurzelten und gerade in den Jahren unmittelbar<br />

vor dem Anschluss stark betriebenen<br />

christlichen Antijudais mus aufbauen konnte.<br />

Dies galt vor allem für die eine lange Tradition<br />

besitzenden Judenstereotype im Volksantisemitismus<br />

der Landbevölkerung, zu dem<br />

noch jener Antisemitismus des Wiener Kleinbürgertums<br />

kam, der an gesichts der starken<br />

jüdischen Minderheit in der Haupt stadt eine<br />

deutliche wirtschaftliche Komponente aufwies.<br />

Dass auch große Teile der katholischen<br />

Intelligenz geis tige Trägerschichten dieses<br />

Antisemitismus waren, war wohl eine weitere<br />

Voraussetzung für seine Wirksamkeit. Ohne<br />

dies nur im Entferntesten gewollt zu haben,<br />

wurde durch den Antisemitismus in Österreich<br />

vor 1938 jenes Feld bestellt, auf dem nach dem<br />

Anschluss, die in den Holocaust führende Saat<br />

aufging.<br />

auf staatli che Unterstützung bei der Suche<br />

nach einem neuen Friedhofs areal. Die <strong>Jüdische</strong><br />

<strong>Liberale</strong> Ge meinde Or Chadasch unter der geistlichen<br />

Leitung von Rabbiner Tovia Ben-Chorin<br />

hat 550 Mitglieder und sich 1978 von der ICZ<br />

abgetrennt; ihre Grundlage ist «die gesamte<br />

jüdische Tradition, wie sie sich in Thora und Halachah<br />

widerspiegelt, verbunden mit Weltoffenheit,<br />

Toleranz und Menschlichkeit».

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