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Transforming Cities

978-3-86859-337-2

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PERMANENTER<br />

STADTUMBAU<br />

Andreas Ruby<br />

Schon mit seiner Bezeichnung zielt der „Urban Intervention Award<br />

Berlin“ auf einen zentralen Paradigmenwechsel im gegenwärtigen<br />

Städtebau: die Verschiebung von Neubau zu Umbau. Es gab einmal<br />

eine Zeit, da bedeutete Städtebau auch in Europa ganz einfach den<br />

Neubau von Städten. Man brauchte eine Stadt für eine große Anzahl<br />

an Menschen, also baute man ihnen eine Stadt auf der grünen Wiese.<br />

Wolfsburg ist auf diese Weise entstanden, Eisenhüttenstadt, die<br />

Villes Nouvelles im Pariser Umraum und viele andere. Heute werden<br />

Städte so fast nur noch in China gebaut, wo die Zahl der heute rund<br />

120 bestehenden Millionenstädte bis zum Jahr 2025 verdoppelt<br />

werden soll. Le Corbusier hätte sich gewünscht, 100 Jahre später<br />

geboren worden zu sein.<br />

In Europa ist die Situation umgekehrt. Statt um „Urban Invention“ wie<br />

in China geht es hier um „Urban Intervention“. Nur drei Buchstaben<br />

mehr, die jedoch einen großen Unterschied machen. Intervenieren<br />

bedeutet, wenn man der lateinischen Wurzel des Wortes folgt,<br />

„dazwischen gehen“. Ein Städtebau der Intervention setzt also immer<br />

schon etwas Bestehendes voraus, auf das man sich bezieht, das man<br />

umbaut, umnutzt, teilweise abreißt und wieder ergänzt. Städtebau<br />

wird unter diesen Bedingungen immer mehr zum Stadtumbau.<br />

Die „Stunde Null“, die man in Europas zerstörten Städten nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg proklamierte (und die bereits damals eine propagandistische<br />

Mär war), sowie die Tabula rasa, mit der die damaligen<br />

Stadtplaner neue Städte bauen wollten, sind heute nutzlose Begriffe<br />

angesichts der Tatsache, dass die Stadt heute im Wesentlichen<br />

bereits gebaut ist. In den meisten Ländern Europas gibt es aufgrund<br />

der allgemein rückläufigen Bevölkerungsentwicklung auch keinen<br />

Bedarf an neuen Städten. Falls die Politik nicht durch eine radikal<br />

andere Einwanderungspolitik gegensteuert, wird zum Beispiel<br />

Deutschland bis zum Jahr 2050 ca. zehn Millionen Einwohner verlieren,<br />

rund ein Achtel der Bevölkerung. Wir haben also tendenziell<br />

genügend Gebäude, aber immer weniger Menschen, um sie zu<br />

nutzen.<br />

Diese Situation stellt Architekten und Planer in Deutschland, Europa<br />

und auch in anderen Teilen der Welt zunehmend vor die Herausforderung,<br />

ein anderes Selbstverständnis ihrer Arbeit zu entwickeln: im<br />

Sinne einer Form des Entwerfens, bei der ein Teil des eigenen Projektes<br />

bereits in der Definition des Kontextes vorformuliert ist, sodass<br />

Neues nicht mehr als creatio ex nihilo, sondern durch ein Editieren<br />

des bereits Existierenden erzeugt wird.<br />

Es gibt ein gebautes Manifest dieses Verständnisses von Architektur<br />

und Städtebau. Es ist der Diokletianpalast, den der römische Kaiser<br />

Diokletian zwischen 295 und 305 n. Chr. in Split bauen ließ, um dort<br />

seinen Lebensabend zu verbringen. Diokletian bewohnte den Palast<br />

nur sieben Jahre – kürzer als die Bauzeit dauerte. Anschließend<br />

stand der 215 x 180 Meter große Gebäudekomplex leer und verfiel zusehends.<br />

Als die Seefahrer der Venezianischen Republik im 12. Jahrhundert<br />

die Adriaküste besetzten, erweckten sie den Palast zu<br />

neuem Leben, indem sie die fast vier Hektar große Fläche innerhalb<br />

der hohen Festungsmauern schrittweise mit kleinen Stadthäusern<br />

auffüllten. Häuser entstanden auf den Wehrgängen und wurden<br />

innen sowie außen an die Festungsmauern angesetzt, die teilweise<br />

mit zusätzlichen Fenstern durchbrochen wurden.<br />

Heute präsentiert sich der Diokletianpalast als ein faszinierendes<br />

Palimpsest mit vielen Schichten aus mehreren Jahrhunderten, die<br />

eine Unterscheidung zwischen Original und Hinzufügung fast unmöglich<br />

machen. Von der ursprünglichen Substanz des Palastes sind<br />

heute nur noch die Außenmauern, ein Teil der Kellergewölbe und eine<br />

Reihe von wichtigen Gebäuden erhalten. Der Rest wurde im Laufe der<br />

Zeit vollständig durch neue Gebäude ersetzt, doch blieb bei dieser<br />

langsamen Erneuerung der Bausubstanz die städtebauliche Struktur<br />

des Palastes immer erhalten. 1953 „entdeckte“ der niederländische<br />

Architekt und Mitgründer von Team X Jaap Bakema den Palast neu<br />

und beschrieb ihn als eine Strategie für die Erhaltung historischer<br />

Bausubstanz durch eine Praxis der permanenten Transformation<br />

und zeitgenössischen Aneignung. * )<br />

39 PERMANENTER STADTUMBAU

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