10.08.2012 Aufrufe

7778 takte 1 08.pmd

7778 takte 1 08.pmd

7778 takte 1 08.pmd

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

[t]akte<br />

4 [t]akte 1I2008<br />

Der un-tschechische<br />

Tscheche<br />

Zdenek Fibich: Bereit für die Wiederentdeckung<br />

^<br />

Es scheint wie ein ironischer Widerspruch, dass Zdeněk Fibich<br />

immer wieder als „der“ tschechische Romantiker apostrophiert<br />

wurde, jedoch sowohl aus Sicht seiner Landsleute<br />

als auch des Auslands zu kosmopolitisch, das heißt zu wenig<br />

„tschechisch“ in einem emphatischen Sinne, komponierte.<br />

Zdeněk Fibich (1850–1900) war durch sein Elternhaus<br />

und sein Studium in Leipzig und Mannheim vor allem<br />

durch die deutsche Musiktradition geprägt – übrigens<br />

ebenso wie der neun Jahre ältere Antonín Dvořák und der<br />

Begründer der tschechischen Nationalmusik, Bedřich Smetana.<br />

Fibich fühlte sich Robert Schumann verpflichtet, reihte<br />

sich in die Weber-Gefolgschaft der romantischen Oper<br />

nach Der Freischütz ein und reagierte intensiv auf Richard<br />

Wagner, wie alle seine reifen Opern demonstrieren. Anders<br />

als die nationaltschechischen Exponenten Smetana und<br />

Dvořák jedoch sublimierte er in seinem Schaffen die böhmische<br />

Folklore zu einem unterschwelligen Bezug und<br />

stellte sie nur in wenigen Fällen als prominentes Idiom<br />

heraus.<br />

Dramatisches Hauptwerk: Sárka<br />

Für die Einschätzung als „un-tschechischer Tscheche“ ist seine<br />

bekannteste, vorletzte Oper Šárka ein gutes Beispiel, ein<br />

von allen Seiten unter die (fast) vergessenen Meisterwerke<br />

eingereihtes Stück. Sie ist neben der frühen Oper Blaník die<br />

einzige, in der Fibich ein Sujet aus der Historie seines Landes<br />

vertont. Die Geschichte von Šárka geht auf den Gründungsmythos<br />

Prags und damit der tschechischen Identität zurück,<br />

wie ihn Chroniken des 12. Jahrhunderts überlieferten und wie<br />

ihn das 19. Jahrhundert in Sagensammlungen in drastischen<br />

Farben ausschmückte. Smetana thematisiert sie im dritten<br />

Teil von Mein Vaterland, und Janáček versuchte sich an dem<br />

Stoff in einer frühen Oper, die ihm zeitlebens wichtig blieb.<br />

^<br />

Der Zeitgenosse Antonín Dvoráks hat ein facettenreiches<br />

Œuvre hinterlassen. Vor allem die großen<br />

Opern und sinfonischen Dichtungen von Zdenek<br />

Fibich sind auch aus heutiger Sicht wirkungsvolle<br />

Kompositionen. Mit seinen szenischen Melodramen<br />

schuf er gar ein eigenes Genre.<br />

Šárka ist die Protagonistin des „Mädchenkriegs“, der sagenumwobenen<br />

Schlacht der Amazonen in der Nachfolge der<br />

Fürstin Libuše (Libussa), die im 10. Jahrhundert als Seherin<br />

und Richterin die böhmischen Fürsten befriedete und die Stadt<br />

Prag am Fuße des Vyšehrad bauen ließ. Nach Widerständen<br />

ihrer Untertanen hatte Libussa den Bauern Přemysl zum<br />

Mann genommen und mit ihm das Přemysliden-Geschlecht<br />

gegründet, auf das sich die tschechische Identität zurückführt.<br />

Nach ihrem Tod – hier setzt die Handlung von Šárka ein<br />

– übernimmt Přemysl mit seiner Gefolgschaft die Regierung<br />

und unterwirft die Frauen. Die Amazone Šárka will sich dieser<br />

Entmachtung nicht beugen und lockt Ctirad, den ersten<br />

Krieger Přemysls, in einen Hinterhalt: Sie lässt sich an einen<br />

Baum fesseln. Als er sie befreit, verlieben sich beide<br />

ineinander. Der bittere Kampf der Geschlechter nach dem<br />

Muster des Penthesilea-Stoffs schlägt in dieser Opernversion<br />

in eine Romeo-und-Julia-Geschichte um, denn Šárka<br />

muss sich gegen ihre Mädchen stellen, um Ctirads Leben<br />

zu retten. Die Sage erzählt verschiedene Fassungen, alle<br />

schließen damit, dass die Frauenregentschaft im Mädchenkrieg<br />

blutig beendet wurde. In der Version von Anežka<br />

Schulzová, Fibichs Schülerin und dritter Frau, verrät Šárka<br />

ihre Gefährtinnen an Přemysl, dessen Armee alle Mädchen<br />

erschlägt. Ihre Schuldgefühle treiben Sárka in Wahnvorstellungen<br />

und schließlich in den Tod. Sie stürzt sich im Sturm<br />

von einem Felsen, Ctirad bleibt zurück.<br />

Sämtliche Kommentatoren weisen Fibichs Šárka eine<br />

meisterliche Gestaltung nach – mit dramatischem Aplomb,<br />

subtiler, leitmotivischer Themenverbindung, raffinierter<br />

Harmonik und grandioser musikalischer Erfindung, reizvollen<br />

Gesangsrollen mit einem weiten Ausdrucksspektrum<br />

und dem Anspruch von Wagner-Partien – allein tschechisches<br />

Kolorit sticht nicht hervor, was eigentlich niemanden<br />

stören müsste. Nur hat sich Fibich damit international<br />

nicht als Nationalkomponist und Nachfolger Smetanas po-<br />

Historische Szenenfotos von Fibich-Aufführungen im Nationaltheater Prag: v. l. n. r: „Der Sturm“ (1935), „Šárka“ (1938), „Hippodamie“ (1925)<br />

Fotos: Archiv des Nationaltheater Prag<br />

^<br />

^

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!