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[t]akte<br />
8 [t]akte 1I2008<br />
Sturmwind „Penthesilea“<br />
Othmar Schoecks Oper in Basel und Dresden<br />
Aura des Außerordentlichen<br />
Othmar Schoecks Oper Penthesilea gehört zu den Stiefkindern<br />
des modernen Musiktheaters. Begegnet man dem selten<br />
gespielten Werk in einer adäquaten Aufführung, wie<br />
jetzt innerhalb weniger Wochen gleich zweimal – am<br />
2. November 2007 in Basel und am 10. Februar 2008 in der<br />
Dresdner Semperoper, der Stätte der Uraufführung vor 81<br />
Jahren am 8. Januar 1927 –, so geht eine Aura des Außerordentlichen<br />
von dem spröden, strengen Werk aus. Schoeck<br />
hat Kleists Trauerspiel auf den Kern einer konvulsivischen<br />
Todespassion, die Begegnung der Amazonenkönigin Penthesilea<br />
mit dem Griechenkönig Achilles auf dem Schlachtfeld<br />
bei Troja, zusammengestrichen. Am Ende dieses Verschlingungstriebes<br />
aus Eros und Gewalt, bei dem sich – berühmtes<br />
Zitat – „Küsse“ auf „Bisse“ reimen, steht der bestialische<br />
Mord, wenn Penthesilea den waffenlosen Achilles<br />
zerfleischt.<br />
Konträrere Ansätze als in Basel (Hans Neuenfels) und<br />
Dresden (Günter Krämer) kann man sich kaum vorstellen.<br />
Und doch waren beide ein gleichermaßen überzeugendes,<br />
gleichermaßen beeindruckendes Plädoyer für Schoecks<br />
Sturmwind Penthesilea.<br />
Abgründige Gratwanderung<br />
Neuenfels hat sich in seiner höchst konzentriert gearbeiteten<br />
Inszenierung weder aufs Glatteis der naturalistischen<br />
Vergröberung noch auf das der expressiven Übersteigerung<br />
begeben, sondern den atemlosen Sog, der von Kleists Text<br />
wie von Schoecks musikalisch überaus konzisem Melodram<br />
ausgeht, durch eine doppelte Verfremdung ästhetisch gefiltert.<br />
Die Szene (Bühnenbild: Gisbert Jäkel) zitiert<br />
einerseits Elemente klassizistischer Architektur (und spielt<br />
damit auf die Zeit seiner Entstehung an), stellt andererseits<br />
Die Unbedingtheit der Liebe, die in den Tod führt: Tanja Ariane Baumgartner, die Basler<br />
Penthesilea (Foto: Tanja Dorendorf)<br />
Othmar Schoecks Oper aus dem Jahr 1927 hat in<br />
wenigen Wochen zwei prominente Neuinszenierungen<br />
erfahren, am Theater Basel und an der Sächsischen<br />
Staatsoper Dresden. Uwe Schweikert hat beide<br />
Inszenierungen gesehen und schildert die in beiden<br />
Fällen stringenten Ansätze der Regisseure.<br />
aber auch ein Theater dar (und rückt es damit in die Situation<br />
des Zuschauers) – ein Theater, auf dem die extremen<br />
Gefühlszustände dieser Todespassion zeitlupenhaft gedehnt<br />
und damit in all ihrer beklemmenden Schönheit vorgeführt<br />
werden.<br />
Vor dem Hintergrund der von Schoeck musikalisch imaginierten<br />
Kriegsmaschinerie – die mit Pfeil und Bogen bewaffneten<br />
Amazonen in schwarzen Wehrmachtsmänteln,<br />
die Griechen eine wie aus dem Theaterfundus ausstaffierte<br />
bunte Truppe männlichen Imponiergehabes (Kostüme:<br />
Elina Schnizler) – entwickelt Neuenfels die tödliche Begegnung<br />
in oftmals geradezu quälender Ruhe. Und damit in<br />
provokantem Gegensatz zum affektiven Sprachgestus, mit<br />
dem Schoecks melodische Deklamation sich den Verskatarakten<br />
Kleists anschmiegt. Ganz im Irrealen findet die Liebesbegegnung<br />
statt, das nachkomponierte große Duett, für<br />
das Neuenfels Penthesilea aufs weiße Gipspferd, Achilles<br />
an den schwarzen Flügel setzt.<br />
Fürs Ende – den Auftritt Penthesileas mit der Leiche<br />
Achills – findet Neuenfels ein beklemmendes Bild, das den<br />
Schrecken ins Surreale hebt. Penthesilea schiebt einen mit<br />
einem Netz verhüllten Rollstuhl vor sich her. Obenauf liegt<br />
der mit Blut verschmierte tödliche Pfeil. Aus dem Gefährt<br />
selbst hebt sie mehrere blutige Koffer herab, die sie sterbend<br />
küsst – Zeichen der pathologischen Exaltation, mit der<br />
sie die Unbedingtheit der Liebe bis in den Wahn treibt.<br />
Dass diese abgründige Gratwanderung gelingen konnte,<br />
ist der jungen Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner<br />
zu verdanken, die in Basel die Titelpartie sang. Ihre Penthesilea<br />
war endlich einmal beides, „halb Furie“ und „halb<br />
Grazie“, wie Kleist es sich erträumte. Gerade durch ihre<br />
schlanke (auch stimmlich schlanke, ja weiche, selbst in der<br />
Tiefe noch tragfähige) Mädchenhaftigkeit wirkte der Wandel<br />
des „wunderbaren Weibs“ von der wahnhaften Starre<br />
über das ungläubig fragende Erstaunen bis zur verstummenden<br />
Hilflosigkeit angesichts der Tat in dieser Schlussszene<br />
umso ergreifender – eine in den Modulationen der<br />
Tonfälle von Eros und Gewalt spielerisch wie sängerisch<br />
ganz außerordentliche Leistung.<br />
Am Pult stand Mario Venzago, der das Sinfonieorchester<br />
Basel zu rhythmisch präzisem, konzentriertem Spiel anhielt.<br />
Er besaß Gespür nicht nur für den schroffen Klang<br />
von Schoecks höchst eigenwilliger Instrumentation, sondern<br />
ebenso für den sprachnahen Gesangsstil dieser Musik.<br />
Ob es wirklich der Einführung einer Sprecherin und der<br />
vielen Retuschen in Schoecks Partitur bedurft hätte, die<br />
Venzago im Programmheft rechtfertigt, steht auf einem<br />
anderen Blatt.<br />
Im weltenthobenen Nirgendwo<br />
Ganz anders, aber in ihrem schockierenden Vollzug nicht<br />
weniger ergreifend die kargere, nüchternere Dresdner<br />
Inszenierung von Günter Krämer, der sich weit stärker als<br />
Neuenfels auf die Liebestragödie von Penthesilea und<br />
Achilles konzentriert. Jürgen Bäckmann hat ihm auf die<br />
leere Bühne ein großes, flaches Podest gesetzt, auf dem eingangs<br />
die kriegerischen Auseinandersetzungen stattfin-