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DIABOLO WOCHENZEITUNG | Ausgabe 38/11 KINO 9<br />

Eine offene Rechnung, © Miramax Film Corp.<br />

Geheimdienstthriller<br />

Eine offene Rechnung<br />

TEXT | HORST E. WEGENER<br />

Anno 1966 werden drei israelische Mossad-<br />

Agenten nach Ost-Berlin eingeschleust, um die<br />

Identität eines ehemaligen KZ-Arztes vor Ort<br />

überprüfen zu können. Sollte sich der Verdacht<br />

bestätigen, dass man den lange Gesuchten<br />

endlich aufgespürt hätte, lautet der Auftrag<br />

Dieter Vogel zu entführen und ihn in Israel vor<br />

Gericht zu bringen. Obwohl die Aktion von langer<br />

Hand vorbereitet wurde, schlägt das<br />

Unternehmen fehl.<br />

Kleine Unachtsamkeiten addieren sich, lassen<br />

das Agententrio – zwei Männer und eine<br />

Frau – schlussendlich gemeinsam mit dem<br />

Entführten in einer Ostberliner Altbauwohnung<br />

in der Falle sitzen. Dass das gefesselte<br />

Monster ihnen entwischt, will das Trio der<br />

Karriere wegen vertuschen. Nach geglückter<br />

Flucht aus der DDR lebt man mehr oder weniger<br />

schlecht mit der Lüge, Vogel noch in<br />

Berlin eliminiert zu haben. Drei Jahrzehnte<br />

später tut sich urplötzlich eine neue Chance<br />

auf, die Versäumnisse der Vergangenheit<br />

wettzumachen.<br />

Regisseur John Madden („Shakespeare in Love“)<br />

nutzt die unterschiedliche Figurenperspektive<br />

und eine raffiniert eingesetzte Montagetechnik,<br />

um die Spannung hochzuhalten.<br />

Per Rückblende taucht er in die Mission der<br />

drei Geheimdienstler ein. Gezeigt wird die<br />

sich Bahn brechende Angst der blutjungen<br />

Agentin Rachel im ersten Einsatz, wie sie von<br />

ihren zwei Mitstreitern begehrt wird; die Romanze<br />

mündet in eine Katastrophe ein, die<br />

mit der geglückten Flucht aus der DDR nicht<br />

beendet ist. Die hochkarätige Besetzung und<br />

Filmer Maddens effektvoller Inszenierungsstil<br />

machen „Eine offene Rechnung“ zum<br />

Psychothriller par excellence.<br />

Eine offene Rechnung<br />

USA ´11: R: John Madden mit Helen<br />

Mirren, Sam Worthington, Tom Wilkinson,<br />

Ciarán Hinds, Jesper Christensen,<br />

Jessica Chastain.<br />

Wertung: ✱ ✱✱✱ ✱✱<br />

CinemaxX: ab 22.9.<br />

Endzeitavantgardevision<br />

Melancholia<br />

TEXT | HORST E. WEGENER<br />

Wagnerianisch bombastische Musik dröhnt einem<br />

zum Auftakt von „Melancholia“ in den Ohren,<br />

Vögel stürzen tot vom Himmel, Blitze entweichen<br />

den Fingerspitzen einer blonden<br />

Schönheit im Brautkleid – ein geheimnisvoll<br />

schimmernder Planet rast auf die Erde zu.<br />

Zwar ahnt noch niemand etwas vom Crashkurs,<br />

doch Justines Heirat ist so oder so kein<br />

Glück beschieden. Braut (Kirsten Dunst) und<br />

Bräutigam (Alexander Skarsgard) kommen zu<br />

ihrer eigenen Hochzeitsfeier im weltentrükkten<br />

Golfressort zu spät, die verbalen Auseinandersetzungen<br />

der geladenen Gäste verleiden<br />

dem Paar erst recht die Stimmung.<br />

Auch viel, viel später noch, als Justines ebenfalls<br />

verheiratete Schwester Claire (Charlotte<br />

Gainsbourg) die Depressionen der Braut<br />

zusehends rätselhaft vorkommen, schürt<br />

Regie-enfant-terrible Lars von Trier lustvoll<br />

weiterhin die Apokalypse. Dabei schenkt der<br />

notorische Nonkonformist seiner illustren Besetzungsriege<br />

eindeutig mehr Aufmerksamkeit<br />

als der sich Bahn brechenden Endzeitstimmung;<br />

die Frauen-Version von „Armageddon“<br />

punktet mit surrealen Alptraumvisionen,<br />

Pessimismus, beeindruckender Besetzung<br />

– unter anderem sind Kiefer Sutherland,<br />

Charlotte Rampling und John Hurt in<br />

Nebenrollen mit von der Partie. Letztlich gilt:<br />

Selten war ein von Trier weniger verstörend,<br />

trotz unhappy Weltuntergangs-Finale; „Melancholia“<br />

ist großes Kino.<br />

Melancholia<br />

Deutschland/ Dänemark/ Schweden/<br />

Frankreich/ Italien ´11: R: Lars von<br />

Trier mit Kirsten Dunst, Charlotte<br />

Gainsbourg, Kiefer Sutherland.<br />

Wertung: ✱ ✱✱✱✱ ✱<br />

Casablanca: am 28.9.<br />

Komödie<br />

Gianni und die Frauen<br />

TEXT | MARTIN SCHWICKERT<br />

Mit liebevoller Ironie, autobiografischer Authentizität<br />

und einem wunderbaren Ensemble<br />

hochbetagter Laiendarstellerinnen erzählte Gianni<br />

Di Gregorio in „Das Festmahl im August“<br />

von den Höhen und Tiefen des Alterns. Nach<br />

diesem Low-Budget-Erfolg legt der Autorenfilmer<br />

mit „Gianni und die Frauen“ nun noch<br />

einmal nach.<br />

Im Mittelpunkt steht erneut der Muttersohn<br />

Gianni, der als Frühpensionär in Rom ein<br />

freudloses Dasein fristet. Am Morgen schreibt<br />

die Ehefrau ihm eine lange Liste mit Einkäufen<br />

und Erledigungen, an der er sich geduldig<br />

abarbeitet, solange seine 95jährige Mutter<br />

ihn nicht wegen irgendeines Wehwehchens<br />

herbeizitiert, um ihn dann als Kellner für ihre<br />

Kartenspielrunde in Gebrauch zu nehmen.<br />

Als sein Freund Alfonso ihm erzählt, dass um<br />

ihn herum fast alle Männer seines Alters eine<br />

Geliebte haben, beginnt auch der genügsame<br />

Gianni die Parameter seines Lebens neu<br />

zu überdenken. An schönen Frauen, um die<br />

sich die neu erwachten Fantasien ranken können,<br />

fehlt es in Giannis Leben nicht. Mit Genuss<br />

lässt Di Gregorio seinen Antihelden<br />

durch erotische Wunschtraumwelten stolpern<br />

und die Hoffnungen des unbeholfenen Gigolos<br />

mit lakonischem Humor versanden.<br />

Dabei beschreibt der Film Altwerden als einen<br />

Zustand, dessen Lächerlichkeit man mit<br />

Würde zu tragen lernen muss. Diese Erkenntnis<br />

hatte die Damenrunde, die sich in „Das<br />

Festmahl im August“ um den Essenstisch versammelte,<br />

schon längst verinnerlicht. An die<br />

Originalität, mit der dieser Film seine stark<br />

verwitterten Heldinnen des Alters feierte,<br />

kommt „Gianni und die Frauen“ als Nachfolgewerk,<br />

das die männliche Virilitätskrise<br />

liebevoll karikiert, dennoch nicht heran.<br />

Gianni und die Frauen<br />

Italien 2011 R: Gianni Di Gregorio mit<br />

Valeria De Franciscis, Alfonso Santagata,<br />

Elisabetta Piccolomini<br />

Wertung: ✱ ✱ ✱ ✱ ✱ ✱<br />

Casablanca: ab 22.9.<br />

Komödie/Thriller<br />

The Guard<br />

TEXT | MARTIN SCHWICKERT<br />

Connemara ist der Inbegriff irischer Postkartenidylle:<br />

grüne Wiesen, sanfte Hügel und eine<br />

Küste, die sich auf äußerst pittoreske Weise<br />

gegen die Gewalten des Atlantiks stemmt. Hier<br />

am westlichsten Rande Europas regiert Sergeant<br />

Gerry Boyle (Brendan Gleeson) als exzentrischer<br />

Gesetzeshüter, der in der provinziellen<br />

Einöde eine etwas überentspannte Vorstellung<br />

von Gesetz und Ordnung entwickelt<br />

hat.<br />

Die phlegmatische Haltung zur beruflichen<br />

Existenz wird empfindlich gestört, als in Boyles<br />

Zuständigkeitsbereich eine Leiche mit zerknüllten<br />

Bibelseiten im Mund wird. Damit<br />

nicht genug fliegen auch noch die amerikanischen<br />

Bundespolizisten ein, die an der irischen<br />

Westküste einen internationalen Drogenschmugglerring<br />

aufspüren wollen. Der<br />

smarte FBI-Agent Wendell Everet (Don Cheadle)<br />

hat die Ermittlungen übernommen und<br />

Boyle lässt sich nur widerwillig auf eine Zusammenarbeit<br />

mit dem afroamerikanischen<br />

Kollegen ein. Auf der Basis eines typischen<br />

Buddy-Cop-Movies, das ein ungleiches Ermittler-Duett<br />

auf möglichst hindernisreiche<br />

Weise zusammenschweißt, entwickelt der irische<br />

Regisseur John Michael McDonagh eine<br />

tiefschwarze Thriller-Komödie, die vor allem<br />

durch ihre Besetzung überzeugt. Brendan<br />

Gleeson und Don Cheadle haben sich<br />

in ihrer Karriere jenseits des Mainstreams ein<br />

hohes Maß an schauspielerischer Integrität<br />

erarbeitet und tanzen hier mit sichtbarer Spielfreude<br />

als optimales Gegensatzpaar umeinander.<br />

Hinzu kommen die scheinbar lässigen,<br />

aber präzise gearbeiteten Dialoge. Gleesons<br />

Sergeant Boyle ist ein schillerndes Polizistenungetüm,<br />

dem alles zuzutrauen ist und das<br />

auf scheinbar naive Weise die unerhörtesten<br />

Dinge sagen und tun kann, ohne an Sympathie<br />

zu verlieren. Nicht der aufwendig konstruierte<br />

Plot, sondern die offene Anlage der<br />

Figuren bestimmt den Unterhaltungswert dieser<br />

äußerst originellen Genrevariation.<br />

The Guard<br />

Großbritannien/Irland ´11: R: John Michael<br />

McDonagh mit Larry Smith,<br />

Brendan Gleeson, Don Cheadle.<br />

Wertung: ✱ ✱ ✱ ✱ ✱ ✱<br />

Casablanca: ab 22.9.<br />

Thriller<br />

Hell<br />

TEXT | MARTIN SCHWICKERT<br />

Die Scheiben des Autos sind mit Zeitungspapier<br />

und Pappkartons abgeklebt. Nur durch<br />

kleine Sichtschlitze dringt Licht in das Innere<br />

des Wagens, der sich knatternd auf staubigen<br />

Straßen durch verdorrte Landschaften arbeitet.<br />

Es ist heiß in Deutschland im Jahre 2016.<br />

Sonnenstürme haben dafür gesorgt, dass die<br />

Temperaturen auf ein unerträgliches Niveau<br />

angestiegen sind und das Gleichgewicht der<br />

Natur genauso zusammengebrochen ist, wie<br />

das Zusammenleben der Menschen. Nur wenige<br />

haben den gesellschaftlichen Zerfall und<br />

die Umweltkatastrophe überlebt. Das Licht,<br />

das einmal der Lebensspender des Planeten<br />

war, ist nun dessen alles vernichtender<br />

Feind. Die Wasservorräte sind fast aufgebraucht.<br />

Nur in den Bergen soll es noch welches<br />

geben. Dorthin sind Phillip (Lars Eidinger),<br />

Marie (Hannah Herzsprung), deren junge<br />

Schwester Leonie (Lisa Vicari) unterwegs,<br />

die auf einer verlassenen Tankstelle den ausgehungerten<br />

Tom (Stipe Erceg) auflesen. Auf<br />

einer unübersichtlichen Gebirgsstraße wird<br />

Leonie von einer Bande gekidnappt. Bei einem<br />

misslungenen Befreiungsversuch wird<br />

Phillip verletzt und Tom ebenfalls gefangen<br />

genommen, so dass sich Marie nun allein auf<br />

die Spuren der Entführer macht. In einer verlassenen<br />

Kirche trifft sie auf eine alte Bäuerin<br />

(Angelika Winkler), die mit ihren Söhnen<br />

auf einem Hof lebt. Das Vieh wurde<br />

längst notgeschlachtet. Trotzdem kommt hier<br />

stets frisches Fleisch auf den Tisch. Der Horrorfilm<br />

ist ein Genre, in das sich deutsche Filmemacher<br />

nur selten verirren. Die cineastische<br />

Lust am Schrecken ist hierzulande immer<br />

noch verpönt, obwohl die Grundsteine<br />

des Genres mit Filmen wie „Nosferatu“ im<br />

deutschen Kino der zwanziger Jahre gelegt<br />

wurden. Tim Fehlbaum zeigt nun, dass man<br />

auch in diesem Genre jenseits stupider Blutorgien<br />

bestehen und seinen eigenen Stil formulieren<br />

kann. Mit einer durch und durch<br />

stringenten Ästhetik schafft Fehlbaum eine<br />

Welt lichtdurchfluteter Ödnis, in der der letzte<br />

Rest menschlicher Integrität wie eine verdorrende<br />

Pflanze ums Überleben kämpft.<br />

Der Film malt ein eindringliches Endzeitszenario<br />

aus und provoziert eher ein schleichendes<br />

Unwohlsein als den profanen Schrecken.<br />

Kaum zu glauben, dass „Hell“ Fehlbaums erster<br />

Langspielfilm ist. Soviel filmemacherische<br />

Begabung und Stilsicherheit hat man in einem<br />

deutschen Regiedebüt lange nicht<br />

mehr auf der Leinwand gesehen.<br />

Hell<br />

Deutschland/Schweiz ´11: R: Tim Fehlbaum<br />

mit Hannah Herzsprung, Angela<br />

Winkler, Stipe Erceg, Lars Eidinger.<br />

Wertung: ✱ ✱ ✱ ✱ ✱ ✱<br />

CinemaxX: ab 22.9.

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