3 Ursachenanalyse <strong>und</strong> Vertiefungfür einzelne UmweltbereicheWelche Erklärungen gibt es für die in Kapitel 2 beobachteten Zusammenhängezwischen Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> den verschiedenen <strong>Umweltbelastung</strong>en in derSchweiz? Hierfür werden zunächst die wesentlichen Ergebnisse bereits vorhandenerinternationaler Studien, die theoretische Erklärungsansätze zum Zusammenhangzwischen Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> <strong>Umweltbelastung</strong> liefern, zusammengefasst<strong>und</strong> systematisiert. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage werden im zweiten Teil des KapitelsUrsachenanalysen für die Umweltbereiche «Klima» <strong>und</strong> «Luft» sowie «Natur <strong>und</strong>Landschaft» für die Schweiz durchgeführt. Ausserdem wird das Thema «Materialverbrauch»ausführlicher betrachtet.3.1 Ursachenanalyse in der internationalen LiteraturIm Anschluss an die empirischen Bef<strong>und</strong>e zur Environmental Kuznets Curve sindzahlreiche theoretische Erklärungsansätze entwickelt worden, die den Kurvenverlaufzu interpretieren versuchen. Der bei relativ niedrigem Einkommen monotonwachsende Kurvenverlauf, d. h. die Existenz des linken Teils der EKC wird damiterklärt, dass die Zunahme wirtschaftlicher Aktivitäten ceteris paribus stets miterhöhter <strong>Umweltbelastung</strong> verb<strong>und</strong>en ist, denn nach dem ersten Hauptsatz derThermodynamik können Energie <strong>und</strong> Materie nur von <strong>eine</strong>r Form in <strong>eine</strong> andereüberführt, jedoch nicht zerstört werden. Am Ende des Lebenszyklus <strong>eine</strong>s Produktesbleiben also zumindest noch Abfälle <strong>und</strong> Emissionen. Der vom <strong>Wachstum</strong> derWirtschaftsaktivitäten ausgehende positive Effekt auf die Emissionsentwicklungwird auch als Skalen- oder <strong>Wachstum</strong>seffekt bezeichnet (Grossman 1995, S. 20).Mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen ergeben sich jedoch weitere Effekte, diein der Lage sind, dem <strong>Wachstum</strong>seffekt entgegenzuwirken <strong>und</strong> somit möglicherweiseden rechten Teil der EKC erklären können. Grossman (1995) benennt denTechnikeffekt, der ceteris paribus zu <strong>eine</strong>r Reduktion der <strong>Umweltbelastung</strong> führt,wenn Techniken zur Verhinderung von Emissionen entwickelt werden, <strong>und</strong> denKompositions- oder Struktureffekt, der ceteris paribus die <strong>Umweltbelastung</strong> reduziert,wenn der Anteil der umweltverträglicheren Produktionssektoren an der Gesamtwirtschaftzunimmt.Sowohl der Technikeffekt als auch der Struktureffekt können entweder autonomoder durch Umweltpolitik bzw. andere umweltrelevante Politikbereiche ausgelöstwerden. Die Verfechter der EKC-Hypothese geben autonomen technischen Fortschritt<strong>und</strong> autonomen Strukturwandel als Erklärungen dafür an, dass <strong>Entkopplung</strong>endogen durch den <strong>Wachstum</strong>sprozess entstehen kann. Ausserdem geben sie alsdritten Gr<strong>und</strong> für den EKC-Verlauf an, dass mit zunehmendem Einkommen auchdas Umweltbewusstsein <strong>und</strong> damit die Zahlungsbereitschaft für höhere Umweltqualitätsteigen. Nachfolgend soll im Einzelnen auf die drei Erklärungen eingegangenwerden.Autonomer technischerFortschrittDie These, dass autonomer technischer Fortschritt zur <strong>Entkopplung</strong> von Wirtschaftswachstum<strong>und</strong> <strong>Umweltbelastung</strong> führt, muss nicht zwingend zutreffen. Soexistieren zahlreiche, im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung entstehende techni-84 <strong>Wachstum</strong> <strong>und</strong> <strong>Umweltbelastung</strong>: <strong>Findet</strong> <strong>eine</strong> <strong>Entkopplung</strong> <strong>statt</strong>?
sche Neuerungen, die eher zu <strong>eine</strong>r zusätzlichen <strong>Umweltbelastung</strong> führen, seien esHandys, Digitalkameras, Off-Road-Fahrzeuge, Flugzeuge, Pestizide oder Kernkraftwerke.Diese Beispiele zeigen auch, dass Technologien mit negativen Umweltauswirkungennicht unbedingt die billigsten sein müssen, welche hauptsächlich inEntwicklungsländern genutzt werden. Zwar sind etwa einige Kraftwerke oderIndustrieanlagen in vielen Entwicklungsländern nicht immer auf dem neuestenStand der Technik, doch können sich die Entwicklungsländer viele Umwelt belastendeTechnologien auch gar nicht leisten. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dassdie <strong>Umweltbelastung</strong> in <strong>eine</strong>m weniger entwickelten Land zwingend höher ist als in<strong>eine</strong>m wirtschaftlich stärker entwickelten Land. Zudem finden im Rahmen destechnischen Fortschritts u. a. auch zeitsparende Innovationen <strong>statt</strong> (z.B. schnellereFahrzeugmotoren, Flugzeuge, Navigationssysteme, Telematik im Verkehrsbereich),was zu der Frage führt, wofür die eingesparte Zeit verwendet wird. Gemäss derconstant-travel-time-Hypothese bleibt etwa das Zeitbudget zur Befriedigung desMobilitätsbedürfnisses bei konstanten Fahrkosten unverändert (Binswanger 2004).Das heisst, sobald der Transport schneller wird, reagieren die Menschen hierauf mit<strong>eine</strong>r Zunahme des Mobilitätsverhaltens. Sie reisen mehr <strong>und</strong> öfter, was dazu führt,dass der Verkehr ständig zunimmt. Ein Nebeneffekt dieser Zeit sparenden Innovationenist dann <strong>eine</strong> Zunahme des Treibstoffverbrauchs <strong>und</strong> der hiermit verb<strong>und</strong>eneAnstieg der CO 2 -Emissionen.Autonomer StrukturwandelDie <strong>Entkopplung</strong> von Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> <strong>Umweltbelastung</strong> wird auch immerwieder mit der Wirtschaftsstadientheorie erklärt. Diese geht davon aus, dass Ökonomienverschiedene <strong>Wachstum</strong>sstadien durchlaufen, in denen sie sich von <strong>eine</strong>mlandwirtschaftlichen zu <strong>eine</strong>m industriellen <strong>und</strong> postindustriellen System wandeln,<strong>und</strong> die Entstehung des EKC-Verlaufs quasi «automatisch» mit diesen Entwicklungsphaseneinhergeht, da die Emissionsintensität im mittleren Stadium der Industrialisierunggrösser ist als in den beiden anderen Stadien (Baldwin 1995). In hochentwickelten Industrieländern mit <strong>eine</strong>m steigenden Anteil des Dienstleistungssektorswürde demnach die Umweltentlastung auch ohne Umweltpolitik eintreten. DieFrage, ob Sozialprodukteinheiten, die im Dienstleistungssektor produziert werden,tatsächlich emissionsärmer sind als entsprechende Einheiten im Industriesektor,wird von Binswanger (1994) eher negativ beantwortet. Er begründet dies u. a.damit, dass Dienstleistungen nicht unabhängig von den wirtschaftlichen Aktivitätendes Industriesektors angeboten werden können (<strong>und</strong> umgekehrt). So beziehenDienstleistungen <strong>eine</strong> Vielzahl von Produkten des Industriesektors als Vorleistungen(z.B. Computer, Fahrzeuge, Heizsysteme, Papier usw.) <strong>und</strong> sind selbst oftmalswiederum Vorleistung für die industrielle Produktion. Die Abgrenzung zwischenIndustrie- <strong>und</strong> Dienstleistungssektor ist somit nicht eindeutig. Dies liegt auch daran,dass in letzter Zeit vermehrt Tätigkeiten, die bisher Teil der Geschäftstätigkeit vonUnternehmen im Industriesektor waren, ausgelagert werden (Outsourcing) <strong>und</strong> jetztneu zum Dienstleistungssektor gezählt werden. Beispielsweise kann ein Industriebetriebs<strong>eine</strong> Finanzabteilung abbauen <strong>und</strong> <strong>statt</strong>dessen die Dienste <strong>eine</strong>r Anlageberatungin Anspruch nehmen. In diesem Fall findet <strong>eine</strong> Reklassifizierung der Tätigkeit<strong>statt</strong> (Dienstleistung anstelle von Industrie), obwohl sich an der Tätigkeit selbstkaum etwas ändert.3 Ursachenanalyse <strong>und</strong> Vertiefung für einzelne Umweltbereiche 85
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Vergleich Entwicklung BIP und Enden
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Verzeichnisse1 LiteraturAGRAS J., C
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BUWAL 1998: Nationaler Bericht der
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