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„Das fängt ja gut an“ Für ein Bleiberecht - Flüchtlingshilfe Lippe eV

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Von Martina Wehrmann<br />

<strong>„Das</strong> <strong>fängt</strong> <strong>ja</strong> <strong>gut</strong> <strong>an“</strong>, dachte ich. Es war halb sechs, die Stadt<br />

noch voller Menschen. Ich begann unsere Flyer zu verteilen:<br />

WACHBLEIBEN! KEINE ABSCHIEBUNG IN DEN KOSOVO – AUCH<br />

NICHT AUS LIPPE! Mäßiges Interesse. Zu viel Text und zu we-<br />

nig Zeit. Kopfschütteln. Nie was von gehört. Ab und zu <strong>ein</strong><br />

Weiß-Ich –Schon- Ich-Komme-Nachher . Im Park <strong>ein</strong> paar chil-<br />

lende junge Leute. Interesse. Zwar nicht an dem Flyer, aber<br />

wohl an m<strong>ein</strong>er Sicherheit: „Hast Du k<strong>ein</strong>e Angst, die Dinger<br />

hier zu verteilen? Es geht doch um Ausländer, oder? Hier lau-<br />

fen `ne Menge Nazis rum. Könnte´n schmerzhafter Abend für<br />

dich werden“. Das hat mir gerade noch gefehlt. Am Ende<br />

nimmt „Jojo“ mir <strong>ein</strong>en Flyer aus der Hand und bestimmt: Wir<br />

kommen. Mal sehen, was da läuft.<br />

Herzklopfen. Nach Mahnwache für den Atomausstieg und an-<br />

schließendem Gebetsgottesdienst leert sich die Kirche erst<br />

<strong>ein</strong>mal wieder. Als mir <strong>ein</strong> Asylbewerber vorgestellt wird, bin<br />

ich befangen. Ich springe über m<strong>ein</strong>en Schatten – es ist nicht<br />

der erste heute Abend – und werde neugierig auf <strong>ein</strong> Leben,<br />

das so ganz anders verlaufen ist als m<strong>ein</strong>es, auf <strong>ein</strong>en Men-<br />

schen, der uns heute Abend s<strong>ein</strong> Schicksal anvertraut ohne<br />

uns zu kennen- und mir wird deutlich, wie dicht am Menschen<br />

Frank Gockel s<strong>ein</strong>e beratende Arbeit tut, wenn so etwas mög-<br />

Von Irmingard H<strong>ein</strong>e<br />

Gedankt sei all denen, die daran beigetragen haben, die<br />

Marktkirche offen zu machen für die von Abschiebung bedroh-<br />

ten Menschen und ihre „Beschützer“.<br />

Gedankt sei all denen, die gekommen sind, um sich zu infor-<br />

mieren, beizustehen und ihre M<strong>ein</strong>ung zu bekunden.<br />

Niemand hat das Recht, Menschen zum Leiden zu zwingen.<br />

Niemand - auch k<strong>ein</strong>e Behörde - hat das Recht, <strong>ein</strong>em ver-<br />

ängstigten Menschen so sehr mit Abschiebung zu drohen, dass<br />

er sich lieber vor <strong>ein</strong>em Güterzug wirft, als sich abschieben zu<br />

lassen. So geschehen in Gifhorn im März 2011.<br />

Sicher war die lange Nacht in der Erlöserkirche <strong>ein</strong>e <strong>gut</strong>e Er-<br />

fahrung für alle, die dort gewesen sind. Wie <strong>ein</strong>fach es s<strong>ein</strong><br />

kann, menschlich mit<strong>ein</strong>ander umzugehen. Aber täuschen wir<br />

uns nicht. Diese Nacht hat grundsätzlich nichts verändert,<br />

höchstens in den Herzen, gewiss nicht in der offiziellen Poli-<br />

tik. Wachbleiben ist not– wendig und muss geübt werden an<br />

jedem neuen Tag.<br />

Der in der Nacht gezeigte Film über die erbärmliche, men-<br />

<strong>„Das</strong> <strong>fängt</strong> <strong>ja</strong> <strong>gut</strong> <strong>an“</strong><br />

lich ist. In mir wächst so etwas wie Stolz auf diesen Ver<strong>ein</strong> der<br />

<strong>Flüchtlingshilfe</strong>, in dem <strong>ein</strong> tolles Team schon so lange enga-<br />

gierte Arbeit tut- warum bin ich nicht schon vor Jahren darauf<br />

gestoßen? Warum erst jetzt? Vielleicht muss man reif werden<br />

dafür. Vielleicht ist es k<strong>ein</strong>e Aufgabe, die man sich sucht, son-<br />

dern eher <strong>ein</strong>e, die sich Leute sucht, die bereit sind, sich fin-<br />

den zu lassen.<br />

Wie auch immer- die Leute, die dann doch in die Kirche strö-<br />

men könnten unterschiedlicher nicht s<strong>ein</strong>. Singen, Beten, Zu-<br />

hören, Essen, Trinken, Mit<strong>ein</strong>ander ins Gespräch kommen,<br />

Sich <strong>ein</strong>bringen mit dem, was man kann und ist und hat, sich<br />

berühren lassen von Worten und Bildern, von Musik und Men-<br />

schen und Schicksalen, sich verbinden mit dem, der so ganz<br />

anders ist, aus dem gleichen Grund hier s<strong>ein</strong> wie viele, die<br />

Nacht mit<strong>ein</strong>ander teilen und wissen: die geteilte Nacht ist<br />

<strong>ein</strong>e halbe Nacht und nicht mehr ganz so dunkel.<br />

Am Ende erfahren die Kirchenbänke nach Jahrhunderten viel-<br />

leicht zum ersten Mal wie es sich anfühlt, nicht nur besetzt,<br />

sondern auch belegt zu s<strong>ein</strong>- mit Luftmatratzen und Schlafsä-<br />

cken und müden Menschen. Als wir müde, erschöpft aber<br />

glücklich in <strong>ein</strong>en neuen Morgen gehen weiß ich, wie wichtig<br />

diese Nacht für andere war – und wie wichtig für uns selbst.<br />

<strong>Für</strong> <strong>ein</strong> <strong>Bleiberecht</strong><br />

schenverachtende Situation der abgeschobenen Roma im Ko-<br />

sovo veranlasste <strong>ein</strong>eb von der Abschiebung bedrohten<br />

Flüchtling zu der Frage:<br />

„Weiß das Ausländeramt denn nicht, was uns im Kosovo er-<br />

wartet?“ Antwort: „Aber natürlich. Das Ausländeramts weiß<br />

Bescheid. Es ist dazu verpflichtet, sich zu informieren.“ „Und<br />

wenn sie das alles wissen, warum schicken sie dann Menschen<br />

dorthin zurück?“<br />

Ich gebe diese Frage an die Ausländerämter weiter.<br />

Wie lebendig es in <strong>ein</strong>em Gotteshaus zugehen kann, hat diese<br />

Nacht gezeigt. Aus menschlicher Sicht betrachtet, müsste Gott<br />

s<strong>ein</strong>e helle Freude daran gehabt haben.<br />

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