16 zett 1–10 / hochschuledessen emotionale Bewertung. Handeln nach „Bauchgefühl“ist eine Beschreibung für die nicht kognitive, unwillkürlicheUmsetzung eines eigenen, für das Ich wichtigen Kernthemasin eine (unbewusste) Handlung. So, wie die Intensität dersomatischen Repräsentation eines inneren Zustands (einesGefühls) seine Gewichtung darstellt, ist die Wucht der Aussagedes entstandenen Kunstwerks mit dem inneren Zustanddes Künstlers korreliert. Umgekehrt formuliert, garantiert„Wie macht es unser Gehirn, dassunser Gefühl – oder wie macht esunser Gefühl, dass unser Gehirn –eine emotionelle Harmonisierungvieler Menschen bezüglich einerBach-Kantate erreicht oder des KölnConcert von Keith Jarrett?“nur die Verknüpfung mit Emotion eine einzigartige „Werk“-Aussage, denn Emotionen sind der Sand <strong>im</strong> Getriebe derHandlung und verändern logisch vorgegebene und scheinbarunabdingbare Abläufe. Dasselbe Schema findet sich <strong>im</strong>Wissenschaftler. Ernst Mach beschreibt unnachahmlich dieTriebkräfte der Gefühle in seinem Inneren, die ihn nicht nurzur Entdeckung, sondern ganz einfach erst einmal morgensin sein Laboratorium treiben. 5 Kein Aquarell der gleichen Ansichteiner Landschaft wird dem vorhergehenden gleichen.Der Maler wird neben subtilen physikalischen Änderungenwie Lichtintensität, Luftfeuchtigkeit und Konsistenz der Farbenauch andere Zustände „fühlen“, die wiederum die Ausgestaltungdes Bildes beeinflussen. Grenzen setzen den KünstlernMaterial und Methode: die physikalische Basis der Musikden Komponisten, das jeweilige Sprachsystem den Literaten,die Physik und Chemie der Materialien den bildenden Künstlern.Was wäre aus diesen Beispielen und hypothetischen Parallelenin Kunst und Wissenschaft zu lernen? Mir scheint diemomentane Entwicklung, die <strong>im</strong> Geiste numerischer, quantitativerFührungsprinzipien Strukturen an den Hochschulenund in der Wissenschaft etabliert, dem Gedanken der Innovationund Kreativität extrem abträglich. Sie <strong>im</strong>pliziert, dassWissenschaft steuerbar sei, was sie ebenso wenig ist wie dieKunst. <strong>Die</strong> Beispiele aus beiden Welten zeigen die Notwendigkeithoher Autonomie für das Erkennen von Neuem stattdes Errichtens von Referenzsystemen. So kommen oft nurinkrementelle Verbesserungen des bereits Gehab ten undGedachten aus den ganzen Regulierungen und Bewertungssystemenheraus. Was nicht verwunderlich ist, denn Diderothat für die Kunst annotiert, was auch für die Wissenschaft gilt:„<strong>Die</strong> Regeln haben die Kunst zur Routine gemacht (...) manverstehe mich recht: Sie haben dem Durchschnittskünstlergenützt und dem Genie geschadet.“ 6* Gerd Folkers ist seit 2004 Leiter des Collegium Helveticum von Universitätund ETH Zürich und Professor für Pharmazeutische Chemie an der ETH.1Rhonda Roland Shearer and Stephen Jay Gould: Of Two Minds and OneNature, Science, 286, 1093 (1999)2Marcel Duchamp, in: Pierre Cabanne, Gespräche mit Marcel Duchamp,Köln 19723arXiv is an e-print service in the fields of physics, mathematics, non-linearscience, computer science, and quantitative biology. The contents of arXivconform to Cornell University academic standards. www.arXiv.org4Am 18. März 2010 hat Perelman den Clay-Preis für den Beweis derPoincaré ’schen Vermutung doch noch erhalten (note added in proof).5Ernst Mach, <strong>Die</strong> Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischenzum Psychischen. 2., verm. Aufl. Jena 1900.6Denis Diderot 1713–1784 (zitiert nach August Bernhard Rave, Heiterkeit <strong>im</strong>Schatten in Gaspare Traversi, Hatje Cantz, Stuttgart 2003)Ist deshalb ein Teil der künstlerischen Recherche, neben derBeschaffung von Wissen, die Suche nach der Überwindungder Materialgrenzen? Zu einer besseren Ausdrucksmöglichkeitund damit zu einem besseren Verstehen und Verständlichmachen?Dann hätten die Künste eine grosse gemeinsameZielsetzung mit den Naturwissenschaften. <strong>Die</strong>se Hypothesejedoch wirft die fundamentale Frage nach der Codierungauf. Wie macht es unser Gehirn, dass unser Gefühl – oder wiemacht es unser Gefühl, dass unser Gehirn – eine emotionelleHarmonisierung vieler Menschen bezüglich einer Bach-Kantateerreicht oder des Köln Concert von Keith Jarrett?
film / zett 1–10 17le chat qui penseIm Februar 2010 wurde an der Berlinale mit„Daniel Schmid – Le chat qui pense“ ein <strong>Master</strong>-Projekt der Fachrichtung Film in der Sektion„Panorama Dokumente“ gezeigt. Benny Jabergund Pascal Hofmann präsentierten ihr dokumentarischesFilmporträt über den Bündner Filmschaffenden.Mit Benny Jaberg sprach ClaudiaRamseier*Wie Daniel Schmid ist auch Pascal Hofmann in Fl<strong>im</strong>s aufgewachsen.Er hat den Filmemacher schon in jungen Jahrenkennengelernt. Schmid wurde zum Vorbild und bestärkteHofmann darin, ein Filmstudium zu beginnen. An derZHdK entstand zusammen mit Benny Jaberg der <strong>Master</strong>-Film„Daniel Schmid – Le chat qui pense“.Herr Jaberg, wie stark war Daniel Schmid in Ihr Filmprojektinvolviert?Wir hatten Daniel einen Brief geschickt und danach langenichts gehört. Schliesslich erfuhren wir, dass er an seinerKrebserkrankung gestorben war. Später sahen wir in seinerWohnung in der Dépendance des Hotels Schweizerhof inFl<strong>im</strong>s unseren Brief auf dem Sekretär liegen. Wir konnten niein Erfahrung bringen, ob er ihn jemals gelesen hatte.Wie hat sein Tod Ihr Projekt verändert?Radikal. Wir wollten einen Film mit Daniel drehen und keinenüber ihn. <strong>Die</strong> Historizität unseres Films und die ausgiebigeVerwendung von Archivmaterial rühren daher, dass wirmit ihm selbst nicht mehr drehen konnten. Wir mussten einenneuen Weg finden. Der Filmwissenschaftler ShiguéhikoHasumi, ein Freund Daniels, meinte: „Wenn Daniel gehörthätte, dass junge Leute, die aus seiner Sicht jünger sind alsKinder, einen Film über ihn drehen, dann hätte er wohl verlegengelacht und gesagt, dass er darin nicht erscheinen werde,dafür aber Leute sprechen lasse, die er mag, und dann hätteer sich in aller Ruhe verkrochen.“Wie haben Sie den Film konzeptuell neu aufgebaut?Wir haben uns auf eine Reihe von Protagonisten geeinigt, vondenen aber nur noch wenige <strong>im</strong> Film zu sehen sind. Um tieferin die Materie einzudringen, mussten wir zuerst Aufnahmengenerieren, sammeln und dann das umfangreiche Materialsortieren und reduzieren. Es war eine grosse Herausforderung,die heterogenen Archivdokumente und Filmausschnitteaus Daniels Werk so mit unserem Material verschmelzen zulassen, dass der Charakter der einzelnen Dokumente erhaltenblieb. <strong>Die</strong> Dramaturgie machte uns lange zu schaffen, bis wirin Daniels Lebensgeschichte einen Drei- oder gar Fünfaktererkannten.Mit welchen ästhetischen Prinzipien sind Sie an den Filmherangegangen?Neben der Bild- und Tonwelt von Daniel wollten wir den Filminnerhalb unseres eigenen ästhetischen Rahmens realisieren.Seine Bildästhetik ist aber auch ein Element unseres Films.Wie wir mit dem Filmmaterial umgehen und dieses mit einergewissen Freiheit kombinieren, entspricht teilweise auch DanielsArt zu arbeiten. Unsere Sicht auf die Welt hat <strong>im</strong> Filmdaher ebenso Niederschlag gefunden wie die seine.Wo würden Sie Daniel Schmid als Künstler und Filmemachereinordnen?Ich bin kein Filmwissenschaftler, einordnen sollen also andere.Wir haben uns auf den Versuch beschränkt, ein Stückder Gedanken- und Erinnerungswelt eines Künstlers erfahrbarzu machen. Viel spannender war für uns, dass Daniel inden 1968ern den Mut zum Anachronismus hatte und seineneigenen Weg ging. Auch ihm war vermutlich bewusst, dasser weder Fellini noch Murnau war. Er hatte die Demut, seineGrenzen zu akzeptieren, trotz seines starken Selbstbewusstseinsund den – nach Aussagen eines Freundes – zuweilengrössenwahnsinnigen Zügen.Wir hoffen, uns ist ein Film gelungen, der sowohl für Menschen,die Daniel kannten, als auch für solche, die ihn nichtkannten, einen Wert hat. „Daniel Schmid – Le chat qui pense“soll als eigenständiges Werk wahrgenommen werden undnicht als reine Dokumentation.* Claudia Ramseier ist wissenschaftliche Unterrichtsassistentin in der FachrichtungFilm, Departement Darstellende Künste und Film(claudia.ramseier@zhdk.ch).„Daniel Schmid – Le chat qui pense“, T & C Film in Koproduktionmit der ZHdK, ist ab 8. April 2010 in den Schweizer Kinos zu sehen.Weitere Informationen unter: www.danielschmid-film.comZDOK.10:Visualisierung und ImaginationDer Studiengang <strong>Master</strong> of Arts in Film (DDK) stellt dasThema der Visualisierung <strong>im</strong> Dokumentarfilm ins Zentrumseiner <strong>Tag</strong>ung ZDOK.10 am 5. und 6. Mai 2010. Filmschaffendeund FilmwissenschaftlerInnen zeigen unterschiedlicheStrategien der visuellen Umsetzung auf und gehen derFrage nach, wie viel Raum dem Publikum für eigene bildlicheVorstellungen überlassen wird.<strong>Die</strong> <strong>Tag</strong>ung beleuchtet die unterschiedlichen Positionen der DokumentarfilmschaffendenPeter Kerekes (Slowakei), Hans-<strong>Die</strong>terGrabe (Deutschland) und Peter Liechti (Schweiz) sowie der FilmwissenschaftlerinnenChrista Blümlinger (Université SorbonneNouvelle, Paris) und Eva Hohenberger (Ruhr-Universität Bochum)und dem Zürcher Tongestalter und Dozenten Florian Eidenbenz.Veranstaltungsort: Zürcher Hochschule der Künste,Ausstellungstrasse 60, 8005 Zürich, VortragssaalIn Zusammenarbeit mit Netzwerk Cinéma CH und demInstitute for the Performing Arts and Film (ipf ).Koordination: Claudia Hürl<strong>im</strong>ann, claudia.huerl<strong>im</strong>ann@zhdk.chProgramm & Anmeldung: http://www.zhdk.ch/?zdokoder: film.master@zhdk.ch