Zurück zur Zukunft – Back to the Future
Zurück zur Zukunft – Back to the Future
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Ist das Haar gerissen<br />
oder hat der Mensch versagt?<br />
Der Unfall des Air France-Airbus am 2. August in Toron<strong>to</strong> ist<br />
ein Lehrstück für Unternehmen. Was tun, was sagen, wenn<br />
ein Unfall passiert?<br />
Die Air France ist ein großes Unternehmen. Sie hat<br />
eigene Stabsstellen für Medienarbeit, PR, Corporate<br />
Communications, Inves<strong>to</strong>r Relations. Sie alle sind<br />
gefragt, wenn das Unternehmen öffentlich Schaden<br />
nimmt. Die französische Fluggesellschaft hat absolut<br />
professionell reagiert. In den frühen Morgenstunden<br />
sowie am Vormittag des 3. August verbreitete die<br />
Airline zwei Pressemitteilungen, in denen die knappen<br />
Fakten des Unfalls, die ergriffenen Maßnahmen sowie<br />
ein Statement eines hochrangigen Unternehmenssprechers<br />
verbreitet wurden. Der zentrale Satz darin:<br />
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es zu früh, zu den<br />
Gründen des Unfalls Stellung zu nehmen. Die verschiedenen<br />
Untersuchungen werden dazu beitragen,<br />
die Ursachen festzustellen.“ Zudem stellt sich das<br />
Unternehmen ausdrücklich hinter seine Mitarbeiter<br />
im Flugzeug.<br />
Das ist richtig und weise. Denn: Jede andere Aussage,<br />
jede Spekulation kann (und wird) in diesen Tagen dazu<br />
führen, dass findige Juristen oder Lobbyisten dem<br />
Unternehmen einen Strick daraus drehen.<br />
Bilder ohne Bedeutung<br />
Wie aber sieht die wahrgenommene Wirklichkeit aus?<br />
In den vier Stunden direkt nach dem Unglück überschlagen<br />
sich sogenannte Nachrichten-Sender damit,<br />
Live-Bilder auf den Fernsehschirm zu bringen und<br />
diese wortreich zu unterlegen. Wer in der Nacht zum<br />
Dienstag durch die einschlägigen Kanäle zappte,<br />
konnte ungeschminkt erleben, was die Modera<strong>to</strong>ren<br />
bewegte. „Jetzt liegt das Ding schon zwei Stunden<br />
am Boden und brennt. Das kann doch nicht sein,<br />
dass wir immer noch nicht wissen, was da passiert ist<br />
und wer daran schuld ist. Der Schröder und die Merkel<br />
können uns die Welt doch auch immer so schön in 90<br />
Sekunden erklären.“ Gesagt hat das keiner, aber der<br />
Unter<strong>to</strong>n der Fragen, die Zielrichtung der Aussagen<br />
machten es ohrenfällig: Hier leidet ein Medium, das<br />
von bewegten Bildern lebt. Es leidet daran, dass es<br />
beim Zwischenfall selbst nicht dabei war, dass die<br />
Kameras nicht nah genug an die havarierte Maschine<br />
herankamen <strong>–</strong> und dass sich zunächst keiner fand,<br />
der vor der Kamera etwas zu sagen hatte.<br />
So wurde jedes aufgeschnappte Fitzelchen <strong>zur</strong><br />
Sensation. „Ich habe etwas von Haarrissen gehört.<br />
Kann das eine mögliche Ursache sein?“ wird der<br />
Experte der Redaktion am Telefon gefragt. Ich kenne<br />
den Kollegen persönlich <strong>–</strong> er ist kenntnisreich, neigt<br />
Presse & PR<br />
nicht zu Spekulationen. Er antwortet auf<br />
diese Frage in aller Ruhe und sachlich, aber<br />
in seiner Stimme schwingt der Unter<strong>to</strong>n mit<br />
„Was soll der Quatsch?“ Denn wenn es Haarrisse gibt<br />
und diese tatsächlich etwas mit dem Unfall zu tun<br />
hätten, dann würde derlei erst nach vielen Monaten<br />
in einer aufwendigen Untersuchung festgestellt.<br />
Jetzt, in Toron<strong>to</strong>, bei schlechtem Licht, Regen und<br />
unter Zentimetern von Löschschaum, könnte nicht<br />
einmal Sherlock Holmes einen Haarriss feststellen.<br />
Aber im Redaktionsarchiv hat wohl einer auf die<br />
Schnelle die Datenbank mit den Unfallursachen der<br />
letzten 20 Jahre aufgerufen und ist auf das Wort<br />
„Haarriss“ ges<strong>to</strong>ßen <strong>–</strong> also muss das, wir sind ja<br />
Nachrichtensender und gehen den Dingen in aller<br />
Breite auf den Grund, auch gefragt werden. Vielleicht<br />
hat aber auch nur einer in seiner Erinnerung gekramt:<br />
Warum stürzen Flugzeuge ab? Und hat sich halt zuerst<br />
daran erinnert. Oder ein vom Wettbewerb bezahlter<br />
Lobbyisten-Experte hat angerufen und einen Tipp<br />
gegeben. Aber wir wollen nun wirklich nicht gleich<br />
das Schlimmste annehmen.<br />
Der schlimme Verdacht<br />
Auf den Bildern des brennenden Flugzeugs sind<br />
Explosionen zu sehen. Der Modera<strong>to</strong>rin auf dem Bildschirm<br />
steht die Assoziation ins Gesicht geschrieben:<br />
Explosionen, Bomben, Al-Quaida. Sie bemüht sich um<br />
Sachlichkeit, hat aber erkennbar die Witterung einer<br />
neuen Spur aufgenommen: „Diese Explosionen <strong>–</strong> was<br />
haben die zu bedeuten?“ Der Experte am Telefon<br />
verweist auf den Treibs<strong>to</strong>ff in den Tanks, die Gase in<br />
den Leitungen, man merkt ihm an, dass das Thema<br />
Attentat in seinen Überlegungen keine Rolle spielt.<br />
In der Eile vergisst er den Hinweis auf die Sauers<strong>to</strong>ff-<br />
Flaschen an Bord, die es vermutlich in der Hitze zerreißt.<br />
Aber das Thema ist eh’ schon wieder abgehakt.<br />
Dafür kommt nun das „menschliche Versagen“ ins<br />
Spiel. Ein Schlagwort, aus hunderten von Unfallberichten<br />
bekannt, im Straßenverkehr Unfallursache<br />
von Ulrich<br />
Pfaffenberger,<br />
LPC<br />
21 der flugleiter 2005/04