Zurück zur Zukunft – Back to the Future
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der flugleiter 2005/04<br />
Meinung<br />
28<br />
Das Kriterium <strong>zur</strong> Beurteilung einer sicherheitsrelevanten<br />
Maßnahme sollte sich in gewissem Grade immer<br />
am Niveau des Zweifels orientieren, den der Experte<br />
bei Beurteilung und Interpretation der Möglichkeiten<br />
und Alternativen berücksichtigen muss.<br />
Genauso wird ein Richter seine Urteilsbegründung<br />
aufbauen, wenn er zu einer weitestgehenden objektivierten<br />
Einordnung von Tatbeständen und derer<br />
Rechtsfolgen kommen möchte; er kann/wird zwar alle<br />
möglichen Deutungen in Betracht ziehen, muss aber<br />
dennoch auf die wirklich zwingende abzielen.<br />
Die Experten sind im Falle der Flugsicherung die aktiven<br />
Fluglotsen, keine Personen mit „Ehrentiteln“, denn<br />
letztere tragen im Falle eines Falles auch keine wesentliche<br />
Haftung. Von diesem Standpunkt zugunsten des<br />
Fluglotsenexpertentum aus kann man deshalb auch<br />
von einem Höchstmaß an Gewissenhaftigkeit ausgehen,<br />
da Lotsen sich Tag für Tag am Puls des Verkehrsgeschehens<br />
befinden.<br />
Der Begriff der ´Einfachbesetzung´<br />
Damit verständlich wird, was systemische Einfachbesetzung<br />
an Flugsicherungsarbeitsplätzen bedeutet<br />
(auch während der Nachtzeiten) komme ich nun zum<br />
Kern meiner Stichworte.<br />
Ein schneller Griff zu einem geläufigen Wörterbuch<br />
oder Duden gibt zunächst einen allgemeinen, einführenden<br />
Hinweis auf das Wort „einfach“. Ich verstehe<br />
dieses exemplarisch, da „einfach“ in der Zusammensetzung<br />
des Wortes „Einfachbesetzung“ den für unseren<br />
Sachverhalt wesentlichen Bedeutungsschwerpunkt<br />
im Vergleich zum Wortteil „Besetzung“ bildet. Ebenso<br />
hat der Begriff „Einfachbesetzung“ Stellvertreterfunktion<br />
für das, was wir auch als „Einzelbesetzung von<br />
Arbeitsplätzen“ bezeichnen.<br />
Also, unser Brockhaus (1996) gibt, wie ein weiteres<br />
Synonymwörterbuch (aera, 2004), sofort einige Schlag-<br />
wörter für die Annäherung an den Bedeutungshof<br />
heraus. Ich lese u.a.: Einfach = elementar; ungegliedert;<br />
einmal vorhanden, nicht doppelt; ein <strong>–</strong> fach.<br />
Wie der Richter bei der Urteilssuche, bekommt man<br />
also erste Interpretationsmöglichkeiten angeboten.<br />
Jedoch muss sich die Bestimmung erst noch weiter<br />
verdichten, um von einer nur möglichen Deutung zu<br />
einer zwingenden Aussage in unserer Fluglotsensache<br />
zu kommen.<br />
Funktionale Ausdeutung<br />
Deshalb bestimmt sich der Zusammenhang nicht allein<br />
durch eine begriffliche Ebene, sondern auch durch eine<br />
funktionale Ebene. Aus der Sicherheitsempfehlung<br />
02/2003 des Berichtes der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung<br />
(BFU) an die Flugsicherung der<br />
Schweiz zum nächtlichen Flugzeugzusammens<strong>to</strong>ß über<br />
dem Bodensee im Juli 2002 ergibt sich eine weitere<br />
interessante Facette.<br />
Es wird dort einerseits darauf hingewiesen, dass zu<br />
jeder Zeit eine physische Einfachbesetzung im Dienst<br />
(ich verstehe zusätzlich „Dienstraum“) zu vermeiden sei.<br />
Andererseits wird aber auch auf eine methodischfunktionale<br />
Perspektive der Fluglotsentätigkeit<br />
verwiesen, indem es darüber hinaus zu vermeiden ist,<br />
Fluglotsen mit einer Doppelfunktion der Verkehrsführung<br />
zu betrauen (z.B. ein Fluglotse nimmt gleichzeitig<br />
die Funktion eines Anfluglotsen und des Streckenverkehrslotsen<br />
wahr). Es werden ferner für die Streckenkontrollsek<strong>to</strong>ren<br />
(in Zürich) mindestens zwei Fluglotsen<br />
gefordert, ebenso ein weiterer Vorhaltewinkel an<br />
Lotsen für Approachtätigkeiten und Pausengewährleistungen.<br />
Es heißt auszugsweise somit wörtlich an den wesentlichen<br />
Stellen der BFU-Sicherheitsempfehlung 02/2003:<br />
„...- Zu jeder Zeit sollten sich mindestens zwei Lotsen<br />
im Dienst befinden.<br />
- Es sollten mindestens zwei Lotsen an Streckenkontrollsek<strong>to</strong>ren<br />
arbeiten, d.h. ein Radar Planer<br />
(RP) und ein Radar Executive (RE).<br />
- Wenn durch das ACC Zürich die Anflugkontrolle<br />
[...] durchgeführt werden muss, sollte ein zusätzlicher<br />
Lotse vorgesehen werden.<br />
- [...] Zusätzliche Lotsen sind vorzusehen, um die<br />
Einhaltung von Pausen zu gewährleisten.“<br />
Merkmalsbestimmungen<br />
Gemessen an diesen Aussagen und einigen weiteren<br />
Hinweisen, die sich aus den Schlussfolgerungen der<br />
BFU ergeben, erhält man also zwingendere Interpretationshinweise.<br />
Zwei Merkmale stechen also für eine<br />
Bestimmung von Einfachbesetzung bei Fluglotsenarbeitsplätzen<br />
hervor:<br />
Einfachbesetzung besteht demnach,<br />
- wenn eine physische Einfachbesetzung im Dienst<br />
vorliegt, und<br />
- wenn ein Fluglotse methodisch eine Doppelfunktion<br />
wahrnimmt.<br />
Streitpunkt könnte sicherlich sein, ob wir es bei dieser<br />
inhaltlichen Bestimmung um eine typisch schweizerische<br />
Variante im Verständnis von Einfach-/ Einzelbesetzung<br />
von Fluglotsenarbeitsplätzen handelt. Dennoch<br />
ergäbe sich meiner Meinung nach ein Widerspruch<br />
für denjenigen, der einerseits im Themengebiet ´Single<br />
European Sky´ (SES) internationale Luftfahrthorizonte<br />
propagiert und im Bereich der Flugsicherheitsdebatten<br />
mit dem Plausibilitätshorizont eines Kleintierzüchterverein<br />
argumentiert. Zumindest wäre dies keine<br />
schlüssige Dimensionierung der Argumentation.<br />
Zu meinen Fazit und möglichen Konsequenzen<br />
Ein einzelner Lotse, physisch einzeln oder mit einer<br />
gleichzeitigen Doppelfunktion (Approach/ACC bzw.<br />
Radar/Coordina<strong>to</strong>r) bei Arbeitsplatzzusammenlegungen<br />
ist Einfachbesetzung. Dies scheint unverträglich<br />
mit einer Darstellung der Konstruktion eines engen<br />
Sicherheitsnetzes der Flugsicherung. Das Kriterium<br />
ist der Zweifel bei Expertise.<br />
Die ökonomische Eigenlogik von Flugsicherungsunternehmen<br />
<strong>–</strong> neben dem eigentlichen Unternehmenszweck<br />
<strong>–</strong> ist mir so geläufig wie verständlich. Deshalb<br />
kann ich die einzelnen Handlungen oder Maßnahmen,<br />
die sich aus dem Überlebensprozess eines Unternehmens<br />
stellen, nicht verurteilen, denn sie stellen aus<br />
dieser Teilperspektive eine natürliche Logik dar.<br />
Aufgaben<br />
Die Diskussion konkretisiert sich aber über die diesbezüglichen<br />
Rahmenbedingungen der Handlungen,<br />
die über die rechtlichen Regelungen erzeugt werden.<br />
Sollte nach einer möglichen Feststellung der o.g.<br />
Annahmen bei einem Flugsicherungsunternehmen<br />
die Einfachbesetzung eine Praxis sein, dann sind die<br />
gesetzgebenden Institutionen des Staates und seine<br />
stellvertretenden Einrichtungen, zu denen auch das<br />
Luftfahrtbundesamt zählt, aufgefordert, ihrer originären<br />
Aufgabe im Interesse eines Gemeinwesens nachzukommen.<br />
Nicht (nur) zum Schutz für ein paar Fluglotsen,<br />
sondern im Sicherheitsinteresse einer breiteren<br />
Öffentlichkeit. Ansonsten verlieren diese Institutio-<br />
Meinung<br />
nen selbst ihre Legitimationsbasis (Anm.: Und damit<br />
möglicherweise auch einige schöne Büroeinrichtungen<br />
am DFS-Campus Langen!).<br />
Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) hat in einer<br />
solchen Debatte eine wichtige Funktion:<br />
Über den Appell für Verbesserung und für Wartung<br />
etwaiger Qualitäten für die Sicherheitsstandards<br />
einzutreten!<br />
Wenn dies nicht mehr probat ist, dann ist über die<br />
Neubewertung erbrachter Fluglotsenleistungen nachzudenken.<br />
Dazu hat man dann diese Überlegungen in<br />
eine entsprechende Bepreisung der Fluglotsenleistungen<br />
einfließen zu lassen. Dann wären wir allerdings<br />
auf der Ebene von Ökonomie und einer „neuverstandenen“<br />
Variante von Kostenbewusstsein angekommen,<br />
die ja mittlerweile auch von der führenden Politik<br />
befürwortet wird (siehe Franz Müntefering, SPD, und<br />
die Aufgabe der Tarif<strong>zur</strong>ückhaltung auf dem Parteitag<br />
der JuSos in Leipzig am 11.Juni 2005).<br />
Der Preis regelt dann ja bekanntlich (fast) alles, das<br />
Thema Sicherheit bleibt dennoch weiterhin verschärft.<br />
Sicherheit ist aber keine Verhandlungssache.<br />
Also!<br />
Denken Sie nun, beurteilen Sie selbst!<br />
Zum Au<strong>to</strong>r<br />
Jahrgang: 1969<br />
1989 (Abitur) - 1993:<br />
Ausbildung und Tätigkeit als Flugdienstberater/<br />
1.Flugzeugabfertiger bei der Luftwaffe beim Mil.-AIS<br />
(Base-Ops) in Oldenburg (JaBoG 43).<br />
1993- 1996: Ausbildung zum Fluglotsen bei der DFS,<br />
derzeit EBG-Zulassungen auf ehemaligen Bremer<br />
´Zivil´ und ´Militär´-Sek<strong>to</strong>ren (Ost und Nord).<br />
1997: Beginn der Universitätsstudiengänge<br />
Wirtschaftswissenschaften,<br />
Philosophie und Psychologie; derzeit<br />
bereite ich den letzten der Abschlüsse<br />
vor.(nota bene: Beruf und Uni jeweils<br />
nebeneinander in Vollzeit!).<br />
seit Anfang 2004 Mitglied der<br />
´Großen Tarifkommission´ der GdF<br />
29 der flugleiter 2005/04