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Kaleidoskop 12 13Kaleidoskop<strong>STARTKLAR</strong>?Fünf Protagonisten, ein Hür<strong>de</strong>nlauf: Der Tourette-Kranke kämpft mitseinen Tics, eine Mutter mit <strong>de</strong>r sinnvollen Einteilung <strong>de</strong>r Zeit. Dem Arbeiterkindfehlt es an Finanziellem, einer <strong>de</strong>utsch-türkischen Stu<strong>de</strong>ntin anentgegengebrachtem Respekt und <strong>de</strong>m Min<strong>de</strong>rjährigen an Volljährigkeit.Mit verschie<strong>de</strong>nen Techniken springen die Studieren<strong>de</strong>n über ihre Hür<strong>de</strong>n– o<strong>de</strong>r umgehen sie schlichtweg.Mittagszeit im EO: Aus <strong>de</strong>n Boxenschallt die übliche Popmusik, die von diskutieren<strong>de</strong>nStu<strong>de</strong>nten übertönt wird. IlanZlotin geht zielstrebig voran, holt sich einWasser und setzt sich an einen <strong>de</strong>r langen Tische.Seine Hür<strong>de</strong>: Der Wirtschaftsmathematikstu<strong>de</strong>ntlei<strong>de</strong>t am Tourette-Syndrom.Diese Erkrankung <strong>de</strong>s Nervensystems istdurch so genannte Tics gekennzeichnet.Bei Ilan sind sie <strong>de</strong>rzeit schwächer, bis aufzucken<strong>de</strong> Handbewegungen macht sichseine Krankheit im Studienalltag kaumbemerkbar. „Das war nicht immer so“, erzähltIlan, <strong>de</strong>r im dritten Semester studiert.Bei einer Infoveranstaltung musste er Beschämen<strong>de</strong>serleben: „Der Dozent fragteaufgrund meiner lauten, hustenähnlichenTics, ob jemand ein Hustenbonbon fürmich hätte, woraufhin sich alle Blicke aufmich richteten.“ Solche Vorfälle seien abernicht mehr vorgekommen, <strong>de</strong>nn die Behin<strong>de</strong>rtenbeauftragte<strong>de</strong>r <strong>Uni</strong>, Stefanie Fettig,mache Ilans Dozenten nun im Voraus aufseine Krankheit aufmerksam. „Viele Behin<strong>de</strong>rungenbeziehungsweise chronische Erkrankungensind für Außenstehen<strong>de</strong> nichtsichtbar“, erklärt Fettig, „In erster Linie<strong>de</strong>nken die Menschen an Rollstuhlfahrero<strong>de</strong>r Sehbehin<strong>de</strong>rte.“Generell fühlt sich Ilan wohl auf <strong>de</strong>mCampus. Nicht nur als Analysis-Tutor wir<strong>de</strong>r ernst genommen und respektiert. „Voraussetzungfür mein Wohlbefin<strong>de</strong>n ist, dassalle drei Komponenten übereinstimmen:die Unterstützung <strong>de</strong>r <strong>Uni</strong>versität, die Akzeptanz<strong>de</strong>r Dozenten und die <strong>de</strong>r Studieren<strong>de</strong>n“,so Ilan. „Durch meine Krankheitbin ich selbstbewusster gewor<strong>de</strong>n“, berichtet<strong>de</strong>r 18-Jährige, „ich beteilige mich mehrals an<strong>de</strong>re in Übungen o<strong>de</strong>r Vorlesungen.“Die <strong>Uni</strong>versität Mannheim bemühesich seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren darum, dieSituation für Studieren<strong>de</strong> mit Beeinträchtigungkontinuierlich zu verbessern, sagtFettig. Betroffene können sich mit Fragenüber <strong>de</strong>n Zugang zu Räumen, Nachteilsausgleiche– etwa mehr Zeit bei Klausuren– o<strong>de</strong>r die Gestaltung <strong>de</strong>s Studiums andie Behin<strong>de</strong>rtenbeauftragte wen<strong>de</strong>n. Zurrealistischen Einschätzung <strong>de</strong>r Studienbedingungenbietet sie individuelle Campus-Begehungenan und zeigt finanzielleUnterstützungen auf. „Die genaue Anzahl<strong>de</strong>r immatrikulierten Studieren<strong>de</strong>n mit Behin<strong>de</strong>rungbeziehungsweise chronischer Erkrankunglässt sich nicht genau ermitteln,da die Angaben bei <strong>de</strong>r Bewerbung nichtobligatorisch sind“, berichtet Fettig. Bei<strong>de</strong>r Beauftragten für behin<strong>de</strong>rte Studieren<strong>de</strong>sind pro Semester nur etwa 50 gemel<strong>de</strong>t.Finanzierung ist die halbe MieteNächste Protagonistin, nächste Hür<strong>de</strong>.Mit „sieben“, antwortet Nadine Koch, ehemaligeStu<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>r Sozialwissenschaftenauf die Frage, wie stressig es von einer Skalavon eins (= stressfrei) bis zehn (= sehr stressig)sei, in Mannheim mit einem Baby zustudieren. Sie bekam ihr Kind im achtenSemester. Mit neun Monaten kam es zu einerTagesmutter, mit eineinhalb Jahren ineine Krippe. „Während meine Tochter vormittagsbei <strong>de</strong>r Tagesmutter war, besuchteich Vorlesungen, Seminare und lernte. AmNachmittag verbrachte ich Zeit mit ihr, erledigte<strong>de</strong>n Haushalt und ging einkaufen.“,schil<strong>de</strong>rt die Volontärin einer PR-Agenturihren Tagesablauf zu <strong>Uni</strong>-Zeiten.Etwa fünf Prozent <strong>de</strong>r Deutschen Studieren<strong>de</strong>nhaben ein o<strong>de</strong>r mehrere Kin<strong>de</strong>r,geht aus <strong>de</strong>m Zahlenspiegel 2011/2012 <strong>de</strong>sDeutschen Stu<strong>de</strong>ntenwerks (DSW) hervor.Statistisch gesehen müssten also im Schlossrund 560 junge Eltern studieren. Das Stu<strong>de</strong>ntenwerkMannheim bietet jedoch nureine Betreuungsmöglichkeit für 84 Kin<strong>de</strong>rim Alter von eins bis sechs sowie neun Plätzefür Kin<strong>de</strong>r von ein bis drei Jahren an.Laut Nadine ist die Stu<strong>de</strong>ntenzeit nichtdie schlechteste, um Kin<strong>de</strong>r zu bekommen,da sie sich ihre Arbeit selbst einteilenkonnte – im Gegensatz zum Berufsleben.Allerdings müsse <strong>de</strong>r finanzielle Rahmenstimmen, um Kind und Studium zu vereinbaren.Durch ihre Tochter habe sie gelernt,ihr Studium zu strukturieren und ihre Zeitsinnvoll einzuteilen. „Auch mit Kind istalles machbar“, sagt Nadine überzeugt. IhrStudium hat sie im Herbst letzten Jahreserfolgreich abgeschlossen.Und wie hoch ist die Hür<strong>de</strong> für einArbeiterkind? „Im Vergleich zu manchenKommilitonen fühlt man sich als Arbeiterkindfinanziell benachteiligt“, sagt <strong>de</strong>r21-jährige Gordon Jung. Er studiert imersten Semester Deutsch und Philosophieauf Lehramt. Seine Mutter ist Einzelhan<strong>de</strong>lskauffrau,sein Vater Baumaschinist. Imersten Semester musste Gordon auf die Immatrikulationsbescheinigungwarten, umsein BAföG-Geld überhaupt beantragen zukönnen – obwohl er es vor Studienbeginnlängst für Wohnung, Semesterticket o<strong>de</strong>rBücher gebraucht hätte.Die gemeinnützige Organisation „Arbeiterkind.<strong>de</strong>“steht <strong>de</strong>n Betroffenen mitRat und Tat zur Seite, in<strong>de</strong>m sie die Studieninteressiertenüber rechtzeitige Finanzierungsmöglichkeiten,Hochschulen, Wohnmöglichkeitenund Sonstiges rund umsStudium informiert.Eine weitere Seltenheit auf <strong>de</strong>m Campussind Studieren<strong>de</strong> mit Migrationshintergrund:Laut <strong>de</strong>r 19. Sozialerhebung <strong>de</strong>sDSW liegt ihr Anteil in Deutschland nurbei 11 Prozent. Viele müssen sich ihr Studiumselbst finanzieren. Als beraten<strong>de</strong> Instanzin Sachen Finanzierungsmöglichkeitensteht ihnen die <strong>Uni</strong>-Stabstelle „Gleichstellungund soziale Vielfalt“ zur Verfügung.Dass ihre Eltern aus <strong>de</strong>r Türkei stammen,empfin<strong>de</strong>t die 19-jährige Fatma Inan alseine Bereicherung. „Das Erlernen an<strong>de</strong>rerSprachen fällt mir beispielsweise sehrleicht“, berichtet die zweisprachig erzogeneJura-Stu<strong>de</strong>ntin. Allerdings bekommtsie häufig fehlen<strong>de</strong> Anerkennung zu spüren.„Die Probleme stehen in einem gesellschaftlichenKontext, die <strong>Uni</strong>versitätenkönnen hier wenig machen“, folgert Fatma.Nicht nur Hür<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auchChancen und OptionenAn <strong>de</strong>r letzten Hür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Laufes angelangt:Wie sieht es mit <strong>de</strong>r Akzeptanz Min<strong>de</strong>rjährigeraus? Durch die G8-Klassen unddie ausbleiben<strong>de</strong> Wehrpflicht sind Min<strong>de</strong>rjährigeimmer häufiger auf <strong>de</strong>m Campus anzutreffen.Müssen sie – während an<strong>de</strong>re feierngehen – etwa zu Hause bleiben? „In dieClubs zu kommen, war gar kein Problem.Oft sind sogar erwachsene Kommilitonenkontrolliert wor<strong>de</strong>n – ich jedoch nicht“, erzählt<strong>de</strong>r mittlerweile 18-jährige Alexan<strong>de</strong>rSölch, <strong>de</strong>r mit 17 Jahren sein VWL-Studiumbegann. „In meinem Studiengang hatkeiner ein Problem mit Min<strong>de</strong>rjährigen.Letzten En<strong>de</strong>s schreiben wir alle die gleichePrüfung“, sagt Drittsemester Alexan<strong>de</strong>r. Erfühle sich auf keinen Fall benachteiligt. ImGegenteil: „Ich habe <strong>de</strong>utlich früher als an<strong>de</strong>remeinen Abschluss, was mir Chancenund Optionen im Berufsleben ermöglicht.“Egal, wie hoch die individuelle Hür<strong>de</strong>ist, die es zu überspringen gilt: Die Protagonistenhaben gelernt, mit <strong>de</strong>r stu<strong>de</strong>ntischenLeichtathletik umzugehen – im besten Fallhaben sie sogar ihren Vorteil daraus gezogen.Rebecca Bierbrauer und Ulf Manholdlinks oben:<strong>Uni</strong> plus Kind: zeitlich vereinbar?links mitte:Behin<strong>de</strong>rung und chronische Erkrankung: immerersichtlich?links unten:Min<strong>de</strong>rjährig studieren: Party ohne Alkohol?rechts oben:Studieren<strong>de</strong> mit Migrationshintergrund: ein harmonischesMiteinan<strong>de</strong>r?Rechts unten:Arbeiterkin<strong>de</strong>r: kein Studium durch finanzielle Not?Fotos: Rebecca Bierbrauer, Ruben Burger, CarlottaEisele

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