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magazin für lebensaspekte und glauben 0213 - Stiftung Gott hilft

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DOSSIER 01// LEBENDIG/ <strong>0213</strong>Jugendliche früh in diesen Prozess mit einzubeziehen <strong>und</strong> sie in ihremMitspracherecht zu unterstützen, ist wichtig. Denn es ist eine Tatsache,dass Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in der Fremderziehung früh mit vielEigenverantwortung konfrontiert werden. Sie müssen ihren Platz inder Gesellschaft ausfüllen <strong>und</strong> eigene Entscheidungen treffen. Für einigeist der Heimaufenthalt „ein Übergang“ zum selbständigen Leben,egal wie lange dieser Übergang dauert. Dies führt zwangsläufig dazu,dass während der Begleitung viel auf das Thema Selbständigkeit <strong>und</strong>Gestaltung der Zukunft hin gearbeitet wird.Es ist also eine „Vorwärtsbewegung“ mit dem Ziel, dass die Institutionnicht mehr gebraucht wird. In der Familienerziehung ist das Ziel gleich,doch der „Zeitdruck der Fremderziehung“ ist hier weniger spürbar. Inder Fremderziehung ist man sich viel stärker bewusst, dass die gemeinsameZeit abläuft <strong>und</strong> die Jugendlichen dann ihr Leben weitgehendallein gestalten müssen. Als Eltern neigen wir bewusst oder unbewussteher dazu, eigene Wünsche <strong>und</strong> Ideale mit den Kindern zuverwirklichen. Es soll ja das Beste aus ihnen werden, <strong>und</strong> manchmalmöchte man sie auch nicht so schnell in die „unbekannte weite Welt“entlassen. Zu viel Freiheit, Eigenverantwortung <strong>und</strong> Partizipation istdann oftmals nicht ein Problem <strong>für</strong> die Kinder, sondern eher eine Bedrohung<strong>für</strong> die Eltern, die nicht mehr alles „lenken“ <strong>und</strong> „im Griff“ habenkönnen. Von der Dringlichkeit <strong>und</strong> Notwendigkeit der Partizipationvon Kindern in der Heimerziehung kann auch etwas <strong>für</strong> die Familienerziehungübernommen werden.Umgang mit persönlichenGrenzen – Reflexive HaltungDer Umgang mit persönlichen Grenzen ist Teil der pädagogischen Arbeit.Somit ist auch klar, dass Grenzüberschreitungen vorkommen <strong>und</strong>immer wieder geschehen werden. Die Reflexion des eigenen Handelns<strong>und</strong> der eigenen Grenzen findet unter anderem im Austausch mit Kollegen,in der Supervision oder in Weiterbildungen statt. Damit eine langfristigeArbeit mit Kindern möglich wird, brauchen Erziehende eine realistischeSicht <strong>und</strong> einen guten Umgang mit den eigenen Fähigkeiten<strong>und</strong> Begrenzungen. Auch in der Familienerziehung ist ein Schlüssel zurErziehung der Kinder bei den Eltern als Person verborgen. Denn nurwer sich selbst kennt, um seine eigene Identität weiss <strong>und</strong> realistischmit seinen Stärken <strong>und</strong> Schwächen umgehen kann, ist ein Gegenüber<strong>und</strong> ein Vorbild <strong>für</strong> Kinder, an dem sie sich „reiben“ können. Ohne dassman selbst umfällt. Vater <strong>und</strong> Mutter haben hier die grosse Chance dergegenseitigen Ergänzung. In der Familienerziehung sind „Supervision<strong>und</strong> Weiterbildung“ wenig bekannte Begriffe. Und doch ist der Austausch<strong>und</strong> die Reflexion über die momentane Situation ausserordentlichwichtig. Nur im gegenseitigen Austausch mit anderen Eltern, mitähnlichen oder anderen Freuden <strong>und</strong> Problemen, erleben Eltern dasGefühl der Gemeinsamkeit. Es erfordert Mut, Offenheit <strong>und</strong> Vertrauen,Andere in die eigene Familie hineinblicken zu lassen.Die Zeit zu finden, als Vater <strong>und</strong> Mutter bestimmte Themen <strong>und</strong> gemeinsameHaltungen zu erarbeiten, ist ebenfalls ein zentrales Element.Ein Buch oder eine Veranstaltung können dazu anregen. Erziehungsratgeber<strong>und</strong> Elternbildungsangebote bereichern den Familienalltag jedochnur, wenn sie von Eltern verinnerlicht <strong>und</strong> als Haltung in ihre Persönlichkeitverankert werden. In diesem Sinne ist Weiterbildung <strong>und</strong>Supervision auch in Familien umsetzbar. Am Umgang mit unseren persönlichenGrenzen lernen Kinder besonders viel, vor allem dann, wennwir es als Erwachsene schaffen, sie altersgemäss an unserem „ringenmit uns selbst“ teilhaben zu lassen, statt sie im Stil von „Superhelden“von unseren Kämpfen abzuschirmen.Orientierung anden Stärken des KindesEine altbewährte pädagogische Methode ist die „Ressourcenorientierung“.Um Kindern Lernentwicklung zu ermöglichen, ist es wichtig, anihren jetzigen Potenzialen <strong>und</strong> Stärken anzusetzen. Denn dort werdensie schnell Fortschritte machen können <strong>und</strong> Selbstwirksamkeit erleben.Solche zielgerichtete Überlegungen im Umgang mit Kindern sindwichtiger Bestandteil der Fremderziehung <strong>und</strong> werden in Zielformulierungenfestgehalten <strong>und</strong> in regelmässigen Abständen ausgewertet.Ein solches zielgerichtetes Handeln kann auch die Familienerziehungbereichern, sei es in den Überlegungen, welche Freizeitbeschäftigung(Sport, Musik, Kreativität usw.) dem Kind entsprechen, oder wie es mitseinen Fähigkeiten den Familienalltag bereichern Könnte.Prinzip der TransparenzDurch die klare Strukturierung im Institutionsalltag sind viele Abläufevorgegeben <strong>und</strong> routiniert. Dies schafft Sicherheit <strong>und</strong> Verlässlichkeit,welche <strong>für</strong> viele Kinder wichtig sind. Willkürlichkeit <strong>und</strong> Entscheidungen,die nicht nachvollziehbar sind, lösen Widerstand <strong>und</strong> Unverständnisaus. Nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen. Transparenzist auch im Familienalltag wichtig <strong>und</strong> schafft gegenseitigesVertrauen. Altersentsprechend angewandt, fühlen sich Kinder ernstgenommen – <strong>und</strong> als „ein wichtiger Teil des Ganzen“. Das gemeinsameGespräch in Form von Familienrat oder Familientisch erhöht die Vorhersehbarkeit<strong>und</strong> Einschätzbarkeit der Ereignisse. Somit kann sichjeder entsprechend darauf vorbereiten. Dies geht einher mit der obenbeschriebenen Bereitschaft der Eltern, den Kindern ein adäquates Mitspracherechteinzuräumen.GelassenheitDurch die langjährige Arbeit mit vielen verschiedenen Kindern aus unterschiedlichenFamilien <strong>und</strong> Traditionen, wie sie in den Institutionenanzutreffen sind, entsteht ein praktischer Erfahrungsschatz. Über dieJahre hinweg entsteht die Erkenntnis, dass trotz aller guten Bemühungendie Wege der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen so vielfältig sind wie dieMenschen an sich. Dies führt zu einer Gelassenheit, welche im Wissenruht, dass es viele Faktoren (Gene, Herkunftsfamilie, Fre<strong>und</strong>e, Schule,Vereine, Freizeit) sind, die eine Persönlichkeit heranreifen lassen. Wirsind nur ein Begleiter auf ihrem Weg. Nicht wir erziehen das Kind zudem, wie wir es wollen, sondern wir schaffen einen Raum, eine Atmosphäre<strong>und</strong> ein Umfeld, in dem die Entwicklung des Kindes möglichwird. In Familien, in denen nur ein oder zwei Kinder leben <strong>und</strong> dieEltern keine Erfahrung mit anderen Kindern haben, stellt sich schnelldie Frage: Ist mein Kind normal, oder wie verhalten sich die Anderen?Bei dieser Frage <strong>hilft</strong> uns ein Erfahrungsschatz, der uns immer wiederzur Gelassenheit <strong>und</strong> Geduld ver<strong>hilft</strong>. Ist dieser Erfahrungsschatznicht vorhanden, ist ein regelmässiger offener Austausch mit anderenFamilien hilfreich. Das Prinzip der Transparenz <strong>und</strong> Partizipation, dieOrientierung an den Stärken des Kindes, der Umgang mit persönlichenGrenzen, die Haltung der gewaltfreien Erziehung <strong>und</strong> Achtsamkeit inder religiösen Erziehung sind Bausteine der pädagogischen Arbeit inder Fremderziehung, welche sicher noch ergänzungsfähig sind. Siesollen hier als Anregung dienen, sich zu überlegen, wie es in der eigenenFamilienerziehung damit aussieht. Denn wir meinen, dass wir einigesaus den Konzepten <strong>und</strong> der alltäglichen Praxis der Fremderziehung<strong>für</strong> unsere Familien lernen können. In der Reflektion wird uns vielleichtbewusst, dass in der Familienerziehung vieles gemacht wird, wo<strong>für</strong> dieFremderziehung uns „die Worte dazu“ anbietet. Auf der persönlichenEbene wächst die Erkenntnis: Nicht nur wir prägen die Kinder, sondernsie prägen auch uns <strong>und</strong> lösen einen persönlichen Prozess aus, auf deneinzulassen sich lohnt, egal in welchem Kontext.Rahel Striegel ist Mutter eines Sohnes.Sie ist Fachliche Leiterin der Sozialpädagogischen Fachstelle SGh.Mitautor Martin Bässler wird auf Seite 17 vorgestellt.15

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