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Einzel vordruck faelle 1..4 - Erich Fleischer Verlag

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A 54<br />

AO<br />

O Sachverhalt<br />

Selbstanzeige nach „Datenkauf“ – Steuerhinterziehung<br />

des verstorbenen Ehegatten<br />

AO §§ 153, 370, 371; StGB § 52<br />

Die Eheleute F und M sind seit 1960 verheiratet und werden seitdem<br />

zusammen veranlagt. M legt im Laufe der Jahre einen größeren Geldbetrag<br />

in der Schweiz an, ohne in der Folgezeit die Kapitalerträge<br />

hieraus zu versteuern. Als M im Jahre 2005 schwer erkrankt, erzählt er<br />

seiner Frau von der Geldanlage in der Schweiz. Die jeweils im Juni des<br />

folgenden Jahres abgegebenen Steuererklärungen für die Jahre 2005<br />

und 2006 (gemeinsame Veranlagung) unterschreibt F im Wissen, dass ihr<br />

Ehemann die Kapitalerträge aus der Schweiz gegenüber dem Finanzamt<br />

verschweigt, ohne dessen Verhalten zu billigen.<br />

Im September 2007 stirbt M. F und der Sohn S sind die Erben. F plagt<br />

schon seit längerem ein schlechtes Gewissen, weil sie die Steuererklärungen<br />

mitunterschrieben hat, ohne ihren Mann zu drängen, die Kapitalerträge<br />

zu versteuern. Nach dessen Tod möchte sie daher unverzüglich<br />

dem Finanzamt den wahren Sachverhalt mitteilen. Ihr Sohn S<br />

hält sie jedoch davon ab. Auch für die Jahre 2007 und 2008 erklären<br />

weder F noch S die Kapitalerträge aus dem Schweizer Konto.<br />

Als Anfang Januar 2010 eine CD mit Schweizer Daten vom Fiskus<br />

aufgekauft wird, entschließt sich F Ende Februar 2010, gegenüber dem<br />

Finanzamt den gesamten Sachverhalt darzulegen. S ist weiterhin strikt<br />

dagegen und missbilligt das Vorgehen seiner Mutter. Die Finanzbehörden<br />

haben die Daten der CD, auf der sich auch das Konto des M<br />

befindet, noch nicht mit den Erklärungen der Stpfl. abgeglichen. F<br />

entrichtet die gesamte hinterzogene Steuer (auch die Beträge, die S<br />

zuzurechnen sind) ohne die Hinterziehungszinsen.<br />

O Frage<br />

1. Hat sich F einer Steuerhinterziehung ab dem Jahr 2005 strafbar<br />

gemacht?<br />

2. Hat sich S einer Steuerhinterziehung ab dem Jahr 2005 strafbar<br />

gemacht?<br />

3. Wie lange können die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006<br />

noch korrigiert werden?<br />

O Antwort<br />

1. Nein, F hat durch das Unterschreiben der Steuerklärungen 2005<br />

und 2006 keine Steuerhinterziehung begangen. Für die Hinterzie-<br />

Steuer-Seminar 5/2010 (Mai)


hung durch Unterlassen der Berichtigung der Steuererklärungen<br />

2005 und 2006 nach dem Tod des M sowie die Steuerhinterziehungen<br />

der Jahre 2007 und 2008 hat sie sich strafbefreiend selbst angezeigt.<br />

2. S hat sich für die Jahre 2005 bis 2008 einer Steuerhinterziehung in<br />

eigener Sache strafbar gemacht, in den Jahren 2005 und 2006<br />

durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und für die Jahre<br />

2007 und 2008 durch aktives Tun nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.<br />

Zudem hat S seine Mutter zu zwei tateinheitlich begangenen<br />

Steuerhinterziehungen durch Unterlassen angestiftet.<br />

3. Der Einkommensteuerbescheid 2005 kann noch bis Ende 2016 und<br />

der Bescheid 2006 bis Ende 2017 korrigiert werden.<br />

O Begründung<br />

Zu 1: F hat sich allein durch Unterschreiben der Steuererklärungen für<br />

die Jahre 2005 und 2006 nicht strafbar gemacht. Sie hat dadurch keinen<br />

eigenen Tatbeitrag geleistet. Der BFH 1 und der BGH 2 vertreten mit der<br />

herrschenden Meinung in der Literatur 3 die Auffassung, dass eine Beihilfe<br />

oder Mittäterschaft eines Ehegatten nicht schon dann vorliegt,<br />

wenn ein Ehegatte die Einkommensteuererklärung mitunterzeichnet,<br />

obwohl er weiß, dass die Angaben seines Gatten über dessen Einkünfte<br />

unzutreffend sind. Mit der eigenhändigen Unterschrift bei der Zusammenveranlagung<br />

(§ 25 Abs. 3 Satz 5 EStG) versichern die zusammenveranlagten<br />

Stpfl., ihre Angaben nach bestem Wissen und Gewissen<br />

gemacht zu haben. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass alle Angaben<br />

auch von beiden Ehegatten mitgetragen werden. Vielmehr bestätigt<br />

der jeweilige Ehegatte lediglich die Richtigkeit seiner eigenen Angaben.<br />

Dafür spricht auch, dass nach § 26 Abs. 1, § 26b EStG das Gesetz im<br />

Bereich des Erzielens steuerbarer Einkünfte dem Prinzip der Individualbesteuerung<br />

folgt. Denn erst, wenn für die Ehegatten die einzelnen<br />

Einkünfte aus den jeweiligen Einkunftsarten gesondert ermittelt und<br />

festgestellt wurden, werden sie gem. § 26b EStG zusammengerechnet<br />

und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet. Mit der so jeweils zu unterscheidenden<br />

Wissenssphäre korrespondiert der Erklärungsgehalt der<br />

Unterschrift und damit der Verantwortungsbereich des jeweiligen Ehegatten.<br />

Wäre ein Ehegatte verpflichtet, den anderen Ehegatten zu<br />

denunzieren, würde dies zudem ein schwerwiegender, nicht gerechtfertigter<br />

Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der<br />

Ehe) darstellen. Außerdem würde dies § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO widersprechen,<br />

der dem Ehegatten ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.<br />

Wären die Tatbeiträge der F über die Unterschrift hinausgegangen,<br />

1 BFH vom 16.04.2002 (BStBl 2002 II S. 501).<br />

2 BGH vom 12.01.2005 5 StR 191/04.<br />

3 Vgl. K o h l m a n n, Kommentar zum Steuerstrafrecht, § 370 AO Rdnr. 100, 213 m. w. N.<br />

Steuer-Seminar 5/2010 (Mai)


hätte sie z. B. den anderen Ehegatten aktiv bei seiner Tat unterstützt,<br />

falsche Angaben zu machen, hätte sie am Delikt teilgenommen.<br />

Durch die Nichtberichtigung der falschen Steuererklärungen 2005 und<br />

2006 nach dem Tod des M hat sich F als Gesamtrechtsnachfolgerin einer<br />

tateinheitlich (§ 52 StGB) begangenen Steuerhinterziehung gem. § 370<br />

Abs. 1 Nr. 2 AO, § 153 Abs. 1 Satz 2 AO, § 52 StGB (durch Unterlassen)<br />

strafbar gemacht. F wusste zwar bereits zu Lebzeiten des M, dass dessen<br />

Erklärungen falsch waren. Zu diesem Zeitpunkt war sie aus den oben<br />

erwähnten Gründen aber nicht zu einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1<br />

Satz 1 AO verpflichtet. Würde dies auch eine Berichtigungspflicht nach<br />

§ 153 Abs. 1 Satz 2 AO als Gesamtrechtsnachfolgerin ausschließen,<br />

würde ein argloser Erbe schlechter stehen als ein Erbe, der um die<br />

unrichtige Steuererklärung des Erblassers weiß. Denn ein argloser<br />

Erbe, der später von einer Unrichtigkeit der Steuererklärung des Erblassers<br />

erfährt, macht sich bei einer Nichtberichtigung jedenfalls nach § 370<br />

Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar. Ein um die falschen Erklärungen des Erblassers<br />

im Voraus informierter Erbe, der eine Berichtigung unterlässt, würde<br />

hingegen straflos ausgehen. Eine Berichtigungspflicht muss daher erst<br />

recht bei einem um die unrichtige Steuererklärung des Erblassers wissenden<br />

Erben bestehen.<br />

Dadurch, dass F in den Steuerklärungen für die Jahre 2007 und 2008<br />

Kapitalerträge aus dem Schweizer Konto ebenfalls verschweigt, machte<br />

sie sich einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbar.<br />

F hat aber Ende Februar 2010 in vollem Umfang eine strafbefreiende<br />

Selbstanzeige beim Finanzamt eingereicht. Ein Ausschlussgrund nach<br />

§ 371 Abs. 2 AO liegt nicht vor. Die Daten auf der CD wurden noch nicht<br />

mit den Erklärungen der Stpfl. abgeglichen, sodass insbesondere eine<br />

Tatentdeckung gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zum Zeitpunkt der Selbstanzeige<br />

noch nicht vorlag.<br />

F entrichtete die hinterzogene Steuer (vgl. § 371 Abs. 3 AO). Die<br />

Bezahlung der Hinterziehungszinsen ist für die Erlangung der Straffreiheit<br />

nicht erforderlich.<br />

Zu 2: Jahre 2005 und 2006: Auch S als Miterbe hatte eine Berichtigungspflicht<br />

nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO. Dadurch, dass er dieser nicht<br />

nachkam, machte er sich einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen<br />

nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar. Die strafbefreiende Selbstanzeige<br />

seiner Mutter wirkt sich nicht zu seinen Gunsten aus. Die Mutter handelt<br />

nicht mit Vollmacht des S, im Gegenteil, S wollte die Selbstanzeige<br />

gerade nicht. § 371 Abs. 4 AO kommt ihm ebenfalls nicht zugute.<br />

Denn eine Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO wird von F nicht „unverzüglich“<br />

vorgenommen. Nur wenn F unverzüglich nach dem Erbfall die<br />

Erklärungen des M berichtigt hätte – auch gegen den Willen des S –<br />

würde S strafrechtlich nicht verfolgt. Die Tatsache, dass F auch die von S<br />

hinterzogene Steuer entrichtet hat, hat auf dessen Strafbarkeit keine<br />

Auswirkung.<br />

Steuer-Seminar 5/2010 (Mai)


S macht sich zudem einer Anstiftung zur Steuerhinterziehung seiner<br />

Mutter strafbar. F wollte den wahren Sachverhalt dem Finanzamt mitteilen.<br />

S erweckte bei ihr den Tatentschluss, dies nicht zu tun. Er<br />

bestimmte F daher gem. § 26 StGB zu einer Steuerhinterziehung für<br />

die Jahre 2005 und 2006 (Tateinheit, „Anstifter wird gleich dem Täter<br />

bestraft“). Eine Anstiftung der F für die Jahre 2007 und 2008 ist dem<br />

Sachverhalt nicht zu entnehmen.<br />

Jahre 2007 und 2008: Für diese Jahre begeht S eine Steuerhinterziehung<br />

durch „Aktives Tun“ gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.<br />

Zu 3: Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuererklärung 2005<br />

begann mit Ablauf des Jahres 2006 zu laufen (= Abgabe der Steuererklärung,<br />

§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die Frist beträgt gem. § 169 Abs. 2 Satz 2<br />

AO wegen der Steuerhinterziehung des M zehn Jahre. Die verlängerte<br />

Festsetzungsfrist gilt auch gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger. Sie<br />

endet mit Ablauf des Jahres 2016. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer<br />

2006 endet dementsprechend mit Ablauf des Jahres<br />

2017. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO spielt hier keine Rolle.<br />

Die Bescheide 2005 und 2006 können noch korrigiert werden (§ 169<br />

Abs. 1 Satz 1 AO). Als Korrekturvorschriften greifen hier sowohl § 172<br />

Abs. 1 Nr. 2c AO als auch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ein.<br />

Verfasser: Prof. Stefan Faiß, Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen<br />

Ludwigsburg<br />

Steuer-Seminar 5/2010 (Mai)


Praktische Fälle des<br />

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Herausgeber:<br />

Dipl.-Fw. (FH) Rainer Thierfeld,<br />

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