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Die Kinder- und Jugendhilfe und die Föderalismusreform

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Aufsätze Beiträge Berichte.....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................Von einem solchen Verhandlungsergebnis warzu Beginn der Beratungen nicht auszugehen,hatten doch <strong>die</strong> Regierungschefs einiger Länder10 bereits vor Einsetzung der B<strong>und</strong>esstaatskommission„Zugriffsrechte“ der Länder für<strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> angestrebt. 11 <strong>Die</strong>sesAnliegen wurde im Rahmen der Kommissionsberatungendurch Forderungen der Ministerpräsidentennach einer Übertragung derGesetzgebungskompetenz für den gesamtenLeistungsbereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>,also das „Herzstück“ des SGB VIII, konkretisiert,12 immer wieder – auch mit Unterstützungvon kommunalen Spitzenverbänden 13 –bekräftigt <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> Vorschriften über <strong>die</strong>Zuständigkeit, das Verfahren, <strong>die</strong> Zusammenarbeitmit Trägern der freien <strong>Jugendhilfe</strong>, <strong>die</strong>Vereinbarungen über Leistungsangebote, <strong>die</strong><strong>Jugendhilfe</strong>planung, <strong>die</strong> Teilnahmebeiträge<strong>und</strong> <strong>die</strong> Heranziehung zu den Kosten erweitert.14 Begründet wurden <strong>die</strong>se Forderungenmit der Nähe der Leistungen der <strong>Jugendhilfe</strong>zum Bildungsangebot für <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jugendliche,das <strong>die</strong> Länder aufgr<strong>und</strong> ihrer Kulturhoheitan erster Stelle verantworten, sowie engenBezügen zum landesrechtlichen Ordnungsrecht.15 <strong>Die</strong>s hätte im Ergebnis bedeutet,dass <strong>die</strong> Regelungskompetenz des B<strong>und</strong>esauf <strong>die</strong> klassischen Bereiche des Vorm<strong>und</strong>schaftswesens<strong>und</strong> der Mitwirkung im gerichtlichenVerfahren reduziert worden wäre.<strong>Die</strong> B<strong>und</strong>esregierung konnte <strong>die</strong>ser Argumentationentgegenhalten, dass zwischen Leistungender <strong>Jugendhilfe</strong> nach § 2 Abs. 2 SGB VIII<strong>und</strong> sog. „anderen Aufgaben“ der <strong>Jugendhilfe</strong>nach § 2 Abs. 3 SGB VIII ein untrennbarerSachzusammenhang besteht, während <strong>die</strong>Aufgaben der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> <strong>und</strong><strong>die</strong> der Schule nur partielle <strong>und</strong> auf bestimmteAltersgruppen bezogene Schnittstellen aufweisen.Unterschiedlich ist auch <strong>die</strong> verfassungsrechtlicheAusgangslage <strong>und</strong> damit derBlick auf <strong>die</strong> Lebenssituation des Kindes oderJugendlichen: Leistungen wie andere Aufgabender <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> stützen <strong>die</strong>elterliche Erziehungskompetenz bzw. konkretisierendas staatliche Wächteramt (Art. 6Abs. 2 Satz 2 GG) <strong>und</strong> beziehen sich damitauf <strong>die</strong> Erziehungsverantwortung der Eltern(Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Demgegenüber hat<strong>die</strong> Schule einen eigenständigen Erziehungsauftrag,der von den Eltern unabhängig ist.Darüber hinaus hat <strong>die</strong> B<strong>und</strong>esregierung zumeinen aus kinder- <strong>und</strong> jugendpolitischer Sichtdezi<strong>die</strong>rt begründet, dass b<strong>und</strong>eseinheitlichgarantierte Leistungen der <strong>Jugendhilfe</strong> zur Sicherstellunggleichwertiger Lebensverhältnisse,zur Vermeidung eines Wettbewerbs zuLasten finanzschwächerer Länder, zur Herstellungvon Chancengerechtigkeit sowie zur Sicherstellungeines einheitliches Schutzniveausbei Kindeswohlgefährdung unverzichtbarsind. Zum anderen hat sie mit ihren Hinweisenauf den gr<strong>und</strong>rechtssichernden Charakterder Leistungen der <strong>Jugendhilfe</strong> für Eltern <strong>und</strong><strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> enge Verzahnung des <strong>Kinder</strong>-<strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechts mit dem Kindschaftsrecht<strong>und</strong> dem Jugendstrafrecht dargelegt,dass in der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> b<strong>und</strong>eseinheitlicheVorgaben zum Leistungsrechtwie auch zu Zuständigkeit <strong>und</strong> Verfahren ausrechtlicher Sicht unabdingbar sind. 16Dass sich schließlich <strong>die</strong>se fachlich begründetePosition durchsetzen konnte, ist nicht zuletztauf das außergewöhnliche Engagementder Fachwelt der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> zurückzuführen,<strong>die</strong> in zahlreichen Stellungnahmenfür <strong>die</strong> Beibehaltung der B<strong>und</strong>eskompetenzim Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>plä<strong>die</strong>rt hat. Kirchen, Wohlfahrtsverbände,Jugendverbände sowie eine Vielzahl namhafterExpertinnen <strong>und</strong> Experten der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> warnten vor gravierenden Nachteilenfür <strong>Kinder</strong>, Jugendliche <strong>und</strong> Eltern alsFolge einer Zersplitterung des <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechts.<strong>Die</strong>se Befürchtung wurde dadurch gespeist,dass <strong>die</strong> eigentliche Problematik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>-<strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> in den Blickpunkt kompetenzrechtlicherDebatten hatte rücken lassen,von vornherein von der Föderalismusreformausgeklammert worden war, nämlich<strong>die</strong> infolge der anhaltenden Finanznot derKommunen notwendige Neuordnung der Finanzverfassung.Im Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> belastet der B<strong>und</strong> mit seiner Gesetzgebung<strong>die</strong> kommunalen Gebietskörperschaften,ohne dass <strong>die</strong>se von B<strong>und</strong> oderLändern eine unmittelbare finanzielle Kompensationeinfordern können. 17 Der B<strong>und</strong>darf mangels unmittelbarer finanzverfassungsrechtlicherBeziehungen zu den Kommunennicht zahlen, das Land muss mangelsAnwendbarkeit des landesverfassungsrechtlichenKonnexitätsprinzips auf B<strong>und</strong>esgesetzenicht zahlen. So ist es verständlich, dass ausfiskalischen Motiven versucht wurde, <strong>die</strong> Verteilungder Aufgaben den Bedingungen derFinanzverfassung anzupassen, nämlich <strong>die</strong>Gesetzgebungskompetenz dorthin zu verlagern,wo auch <strong>die</strong> Verantwortung für <strong>die</strong> finanzielleLeistungsfähigkeit der Kommunenliegt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Aufgaben der <strong>Jugendhilfe</strong> imRahmen der Selbstverantwortung ausführen:auf <strong>die</strong> Länder. Und genauso naheliegend istdaher <strong>die</strong> Befürchtung, dass eine fiskalischmotivierte Kompetenzverlagerung auf <strong>die</strong>Länder <strong>die</strong>se nicht zu einer aktiven <strong>Kinder</strong><strong>und</strong>Jugendpolitik veranlassen würde, unterlägensie doch damit gegenüber den kommunalenGebietskörperschaften dem Konnexitätsprinzip.18 Durch <strong>die</strong> beabsichtigteEinführung einer Finanzkraftklausel 19 würde<strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> zunehmend zumGegenstand eines von der jeweiligen kommunalenHaushaltslage abhängigen „Ortsrechts“.Darüber hinaus lassen sämtliche gesetzgeberischeInitiativen der Länder zur Änderungdes SGB VIII aus den letzten Jahren,<strong>die</strong> in erster Linie Leistungskürzungen inten<strong>die</strong>rten,20 <strong>die</strong> Schlussfolgerung zu, dass <strong>die</strong>Länder ihre Gesetzgebungskompetenz nichtdazu nutzen würden, das Leistungsspektrumder <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> landesspezifischzu verbessern, sondern es einzuschränken. 21II. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> alsTeilbereich des Kompetenztitels der„öffentlichen Fürsorge“ (Art. 74Abs. 1 Nr. 7 GG)1. Vorfahrt für den B<strong>und</strong>Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebunghaben – der Bezeichnung entsprechend – B<strong>und</strong><strong>und</strong> Länder <strong>die</strong> Kompetenz zur Gesetzgebung.<strong>Die</strong> Kollision der beiden Kompetenzen wirddurch eine komplizierte Konkurrenzregelunggelöst: So hängt <strong>die</strong> Befugnis der Länder zu eigenerGesetzgebung davon ab, ob <strong>und</strong> inwieweitder B<strong>und</strong> bereits tätig geworden ist. Solangeder B<strong>und</strong>esgesetzgeber nicht tätig ge-10 Föderalismusreform – Positionspapier der Ministerpräsidenten,Kommissionsdrucksache 45, S. 6/7(Punkt 6.2).11 Kommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, Arbeitsunterlage 0004, Anhang 1zur Arbeitshilfe für AG 1 vom 6.1.2004.12 Föderalismusreform – Positionspapier der Ministerpräsidenten,Kommissionsdrucksache 45, S. 6/7(Punkt 6.2).13 Kommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, Stenografischer Bericht, 8. Sitzung,8.7.2004, S. 163, 198/199; Henneke, Der Landkreis2004, 355, 357 f.; Vorholz, Der Landkreis2004, 419; Duppré, Der Landkreis 2004, 643.14 Vgl. hierzu auch Kommission zur Modernisierungder b<strong>und</strong>esstaatlichen Ordnung, StenografischerBericht, 9. Sitzung, 14.10.2004, S. 231 ff.; <strong>die</strong>s.,Kommissionsdrucksache 48, S. 2.15 Vgl. Meysen, RdJB 2005, 355, 368.16 Vgl. Kommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, Arbeitsunterlage 0002, S. 78;<strong>die</strong>s., Stenografischer Bericht, 9. Sitzung,14.10.2004, S. 233/234; Meysen, RdJB 2005, 355,367 ff.17 Vgl. dazu Wiesner SGB VIII § 69 Rn. 24 a, 3. Auflage,München 2006; Schoch/ Wieland, Aufgabenzuständigkeit<strong>und</strong> Finanzierungsverantwortung verbesserter<strong>Kinder</strong>betreuung, Schriften zum deutschen<strong>und</strong> europäischen Kommunalrecht, Bd. 24,Stuttgart 2004, S. 68.18 Vgl. hierzu auch Meysen, RdJB 2005, 369; Wiesner,ZfJ 2004, 309.19 Siehe dazu Art. 3 des Entwurfs eines Gesetzes zurEntlastung der Kommunen im sozialen Bereich(KEG), B<strong>und</strong>estags-Drucks. 15/4532, mit dem § 33SGB I entsprechend ergänzt werden sollte.20 Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunenim sozialen Bereich (KEG), B<strong>und</strong>estags-Drucks. 15/4532; Entschließung des B<strong>und</strong>esrateszur Änderung des Sozialgesetzbuches Achtes Buch(SGB VIII) – <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>gesetz – Entlastungder Länder <strong>und</strong> Kommunen im Bereich der<strong>Jugendhilfe</strong>, B<strong>und</strong>esrats-Drucks. 222/04; Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches– Achtes Buch – SGB VIII, B<strong>und</strong>esrats-Drucks. 279/03.21 Vgl. Meysen, RdJB 2005, 355, 367 ff.9 2006 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 393

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