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Die Kinder- und Jugendhilfe und die Föderalismusreform

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Aufsätze Beiträge Berichte.....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ordnen konnte. Um <strong>die</strong> Unterstützung Bayernsim Gesetzgebungsverfahren zum KJHGnicht zu gefährden, wurde in § 26 SGB VIIIeine Regelung aufgenommen, <strong>die</strong> den SonderwegBayerns in der Zuordnung des <strong>Kinder</strong>gartenstolerierte. Rechtsdogmatischbleibt <strong>die</strong>se Regelung höchst zweifelhaft, dader B<strong>und</strong>esgesetzgeber sich nicht einerseitsauf seine Kompetenz berufen kann <strong>und</strong>gleichzeitig <strong>die</strong> abweichende Meinung einesbzw. mehrerer Länder tolerieren darf. Der<strong>die</strong>sem „Kompromiss“ zugr<strong>und</strong>e liegendeStreit hätte vielmehr vor dem B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtausgetragen werden müssen.Dazu kam es jedoch nicht, da weder derB<strong>und</strong> noch der Freistaat Bayern <strong>die</strong>sen Streitöffentlich austragen wollten. 36Erst acht Jahre später hatte das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtGelegenheit, anlässlich einerVerfassungsbeschwerde über <strong>die</strong> Befugnis zursozialen Staffelung der <strong>Kinder</strong>gartenbeiträgeauch <strong>die</strong> Kompetenzfrage als Vorfrage zuklären. Das Gericht hat dem <strong>Kinder</strong>gartenzwar einen Bildungsauftrag bescheinigt, siehtaber den Schwerpunkt des „<strong>Kinder</strong>gartenwesens“nach wie vor in „einer fürsorgendenBetreuung mit dem Ziel einer Förderung sozialerVerhaltensweisen <strong>und</strong> damit (präventiver)Konfliktvermeidung“. Hinter <strong>die</strong>ser, demBereich der öffentlichen Fürsorge zuzuordnendenAufgabe, stehe der vorschulische Bildungsauftragzurück. 37 Für den B<strong>und</strong>esgesetzgeberist <strong>die</strong>se Entscheidung von großerstrategischer Bedeutung. Dennoch ist siesowohl aus rechtlicher 38 wie aus fachpolitischerSicht 39 nicht ohne Kritik geblieben.III. <strong>Die</strong> schärfer gefasste Erforderlichkeitsklausel(Art. 72 Abs. 2 GG)1. Bedeutung<strong>Die</strong> Begründung einer konkurrierenden Kompetenzdes B<strong>und</strong>es setzte von Anfang an ein„Bedürfnis“ für eine b<strong>und</strong>esgesetzliche Regelungvoraus. <strong>Die</strong> Vorschrift (Art. 72 Abs. 2 GG)ist im Jahre 1994 neu gefasst worden. Seitherwird <strong>die</strong> konkurrierende Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es von einem Erforderlichkeitskriteriumabhängig gemacht, das der verfassungsgerichtlichenKontrolle unterliegt. <strong>Die</strong>Erforderlichkeitsklausel unterscheidet alternativzwei mögliche Ziele als Voraussetzung zulässigerB<strong>und</strong>esgesetzgebung. Danach muss eineb<strong>und</strong>esgesetzliche Regelung entweder zurHerstellung gleichwertiger Lebensverhältnisseim B<strong>und</strong>esgebiet oder zur Wahrung derRechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichenInteresse erforderlich sein. <strong>Die</strong> Konkretisierung<strong>die</strong>ser Ziele muss sich am Sinn derbesonderen b<strong>und</strong>esstaatlichen Integrationsinteressenorientieren. Danach ist eine b<strong>und</strong>esgesetzlicheRegelung nur insoweit „erforderlich“,als ohne sie gleichwertige Lebensverhältnissenicht hergestellt oder <strong>die</strong> im gesamtstaatlichenInteresse stehende Rechts- oder Wirtschaftseinheitnicht gewahrt werden kann. Mit<strong>die</strong>ser Neufassung sollte 1994 der Verlust derGesetzgebungskompetenzen der Länderparlamentein den vergangenen Jahrzehnten ausgeglichenwerden. Ob <strong>die</strong> Konsequenzen <strong>die</strong>sesAkts der „Wiedergutmachung“, der zu einerdeutlichen Einschränkung des b<strong>und</strong>esgesetzlichenGestaltungsspielraums führte, denParlamentariern im B<strong>und</strong>estag bewusst waren,erscheint sehr zweifelhaft.2. Änderung des Anwendungsbereichsdurch <strong>die</strong> FöderalismusreformDas Gesetz zur Änderung des Gr<strong>und</strong>gesetzes40 lockert jetzt <strong>die</strong>se umfassende Einschränkungder konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es insofern auf,als <strong>die</strong> Erforderlichkeitsklausel künftig nurnoch auf bestimmte Kompetenztitel des Art.74 GG n.F. Anwendung findet, damit alsoandere davon ausnimmt. Zu ersteren zähltauch der Bereich der öffentlichen Fürsorge(Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG n.F.). Das bedeutet,dass dem B<strong>und</strong> das Gesetzgebungsrecht fürden Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> auchweiterhin nur zusteht, wenn <strong>und</strong> soweit <strong>die</strong>Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisseim B<strong>und</strong>esgebiet oder <strong>die</strong> Wahrung derRechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichenInteresse eine b<strong>und</strong>esgesetzlicheRegelung erforderlich macht.3. Auslegung der Klausel durch das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<strong>Die</strong> Erforderlichkeitsklausel ist bislang vomB<strong>und</strong>esverfassungsgericht eng ausgelegt worden,das in mehreren Entscheidungen Gelegenheithatte, <strong>die</strong> einzelnen Tatbestandsmerkmaledes Art. 72 Abs. 2 GG zu präzisieren:Danach ist das Erfordernis der „Herstellunggleichwertiger Lebensverhältnisse“ nichtschon dann erfüllt, wenn es lediglich um dasInkraftsetzen b<strong>und</strong>eseinheitlicher Regelungenoder um eine Verbesserung der Lebensverhältnissegeht. „Das b<strong>und</strong>esstaatliche Rechtsgutgleichwertiger Lebensverhältnisse istvielmehr erst dann bedroht <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wennsich <strong>die</strong> Lebensverhältnisse in den Ländernder B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland in erheblicher,das b<strong>und</strong>esstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigenderWeise auseinander entwickelthaben oder sich eine derartige Entwicklungkonkret abzeichnet.“ 41Damit wird deutlich, dass <strong>die</strong> „Herstellunggleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht etwa– wie in der politischen Auseinandersetzungvielfach behauptet – ein genereller Verfassungsauftragist, sondern ein Ziel, das denB<strong>und</strong> erst dann zum Eingreifen ermächtigt,wenn <strong>die</strong> Auseinanderentwicklung in denLändern das b<strong>und</strong>esstaatliche Sozialgefügebeeinträchtigt. <strong>Die</strong> Auseinanderentwicklungder Lebensverhältnisse wird damit vom B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtbis zu einer bestimmtenGrenze bewusst in Kauf genommen.An <strong>die</strong>ser hohen Hürde ist der B<strong>und</strong> mit sounterschiedlichen Materien wie dem Altenpflegegesetz,42 dem Kampfh<strong>und</strong>egesetz, 43dem Ladenschlussgesetz 44 <strong>und</strong> zuletzt demJuniorprofessorengesetz 45 gescheitert. Unterliegenkünftig nur bestimmte, explizit genannteBereiche der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es der Erforderlichkeitsklausel,wie eben auch <strong>die</strong> öffentlicheFürsorge <strong>und</strong> damit <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>,so ist davon auszugehen, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtan seiner engen Auslegungzumindest festhalten, wenn es sienicht sogar weiter verschärfen wird.4. Bedeutung der Klausel für <strong>die</strong> Weiterentwicklungdes <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechtsWie bisher, so kommt <strong>die</strong> (verschärfte) Erforderlichkeitsklauselauch nach Realisierung derFöderalismusreform jedoch nur für <strong>die</strong>jenigenGesetze zur Anwendung, <strong>die</strong> nach ihrer Verschärfung,also nach dem 15. November1994, erlassen worden sind. <strong>Die</strong> zu <strong>die</strong>semZeitpunkt bereits geltenden B<strong>und</strong>esgesetze,zu denen das im Jahre 1990 als Art. 1 desKJHG verabschiedete Achte Buch Sozialgesetzbuchgehört, bleiben nach der Übergangsregelungdes Art. 125a Abs. 2 GG n.F.als B<strong>und</strong>esrecht in Kraft. Sie sind darüber hinaus– wie das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht inzwischenentschieden hat – auch weiterhineiner Änderung durch den B<strong>und</strong> zugänglich,<strong>die</strong> nicht den Anforderungen der Erforderlichkeitsklauselgenügen muss. Der Gesetzgeberhabe nicht den Stillstand im Bereich der konkurrierendenGesetzgebung <strong>und</strong> damit <strong>die</strong>Versteinerung einer einmal geschaffenenRechtslage in Kauf nehmen wollen. 46 Allerdingsist <strong>die</strong> Änderungskompetenz des B<strong>und</strong>es,sofern <strong>die</strong> (verschärften) Voraussetzungendes Art. 72 Abs. 2 GG nicht gegebensind, „eng auszulegen <strong>und</strong> an <strong>die</strong> Beibehaltungder wesentlichen Elemente der in demfortgeltenden B<strong>und</strong>esgesetz enthaltenen Regelunggeknüpft“. Aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Regelungbleibt der B<strong>und</strong>esgesetzgeber befugt, geltendesB<strong>und</strong>esrecht im Rahmen der Kompetenzzur konkurrierenden Gesetzgebung ohne Bindungan <strong>die</strong> Erforderlichkeitsklausel zu ändern,sofern er <strong>die</strong> wesentlichen Elemente der36 Vgl. hierzu auch Wiesner/Struck, SGB VIII vor § 22Rn. 10 ff. <strong>und</strong> § 26 Rn. 4 f.37 BVerfGE 97, 332, 342 f.38 Vgl. Schoch/Wieland, Aufgabenzuständigkeit <strong>und</strong> Finanzierungsverantwortungverbesserter <strong>Kinder</strong>betreuung,Schriften zum deutschen <strong>und</strong> europäischenKommunalrecht, Bd. 24, Stuttgart 2004, S.55 ff.39 Vgl. Wiesner, ZfSp 2004, 45, 54 ff.40 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/813.41 BVerfGE 106, 62, 144.42 BVerfGE 106, 62.43 BVerfGE 110, 141.44 BVerfGE 111, 10.45 BVerfGE 111, 236.46 BVerfGE 111, 10.9 2006 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 395

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