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Die Kinder- und Jugendhilfe und die Föderalismusreform

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....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................Aufsätze Beiträge BerichteHeike Schmid/Reinhard Wiesner<strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> <strong>und</strong><strong>die</strong> FöderalismusreformTeil 1INHALTTeil 1• A. Einleitung• B. <strong>Die</strong> konkurrierende Kompetenzdes B<strong>und</strong>es zur Gesetzgebung für <strong>die</strong><strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>• I. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> im Visierder B<strong>und</strong>esstaatskommission• II. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> alsTeilbereich des Kompetenztitels der„çffentlichen Fürsorge“ (Art. 74 Abs.1 Nr. 7 GG)• III. <strong>Die</strong> schärfer gefasste Erforderlichkeitsklausel(Art. 72 Abs. 2 GG)Teil 2 folgt in ZKJ 10/06• C. Annexkompetenzen• I. <strong>Die</strong> Neuordung der organisationsrechtlichenKompetenzen von B<strong>und</strong><strong>und</strong> Ländern• II. <strong>Die</strong> Kompetenz zur Einrichtungvon Behçrden (Art. 84 Abs. 1 GGn. F.)• III. Das neue Verbot b<strong>und</strong>esgesetzlicherAufgabenzuweisung an <strong>die</strong>Kommunen (Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GGn. F.)• IV. <strong>Die</strong> Kompetenz zur Regelung desVerwaltungsverfahrens (Art. 84Abs. 1 Satz 1 bis 6 GG n. F.)& A. EinleitungNun ist sie also unter Dach <strong>und</strong> Fach – <strong>die</strong>Mutter aller Reformen. Der Deutsche B<strong>und</strong>estaghat das Gesetz zur Änderung desGr<strong>und</strong>gesetzes 1 in der Fassung der Beschlussempfehlungdes Rechtsausschusses 2 am 30.Juni 2006 beschlossen. Ihm hat der B<strong>und</strong>esratam 7. Juli 2006 zugestimmt. <strong>Die</strong> beschlossenenVerfassungsänderungen werden am Tagnach der Verkündung (voraussichtlich zum1. September 2006) in Kraft treten.Über das Gesetz zur Änderung des Gr<strong>und</strong>gesetzeshinaus umfasst das Gesetzespaket auchDr. Heike Schmid ist Referentin im Referat <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> im B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren,Frauen <strong>und</strong> Jugend in Berlin.Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner ist Leiter <strong>die</strong>ses Referats<strong>und</strong> Honorarprofessor an der Freien Universitätin Berlin.• das Föderalismusreformbegleitgesetz 3 <strong>und</strong>• <strong>die</strong> begleitenden parallelen Entschließungenvon B<strong>und</strong>estag 4 <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat. 5<strong>Die</strong> Änderungen im Gr<strong>und</strong>gesetz betreffenim Wesentlichen folgende Bereiche:• <strong>die</strong> Reform der Gesetzgebungskompetenzendurch Abschaffung der Rahmengesetzgebung<strong>und</strong> Neuordnung des Katalogs derkonkurrierenden Gesetzgebung, verb<strong>und</strong>enmit einer Reduzierung des Anwendungsbereichsder Erforderlichkeitsklausel (Art. 72Abs. 2 GG) <strong>und</strong> der Einführung einer Abweichungsgesetzgebung„in bestimmtenGesetzgebungsbereichen“,• <strong>die</strong> Reform der Mitwirkungsrechte des B<strong>und</strong>esratsdurch Abbau der Zustimmungsrechte(Art. 84 Abs. 1 GG) <strong>und</strong> Einführung neuerFälle der Zustimmungsbedürftigkeit bei B<strong>und</strong>esgesetzenmit erheblichen Kostenfolgenfür <strong>die</strong> Länder (Art. 104 a Abs. 4 GG – neu),• das Verbot b<strong>und</strong>esgesetzlicher Aufgabenzuweisungenan Kommunen (Art. 84 Abs.1 Satz 7 <strong>und</strong> Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG –neu),• <strong>die</strong> Änderung der Vertretung Deutschlandsauf EU-Ebene (Art. 23 Abs. 6 GG – neu).Der zweiten <strong>und</strong> dritten Lesung im B<strong>und</strong>estagsowie der Abstimmung im B<strong>und</strong>esrat vorangegangenwaren langwierige Beratungen derKommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, <strong>die</strong> bereits in der vorangegangenenLegislaturperiode unter dem Vorsitzvon Franz Müntefering für den B<strong>und</strong> <strong>und</strong>Edm<strong>und</strong> Stoiber für <strong>die</strong> Länder eingesetzt wordenwar. <strong>Die</strong>ser Kommission haben verschiedeneUnterkommissionen zugearbeitet. Schoneinmal – nämlich im Dezember 2004 – schiendas Ende der Kommission gekommen. Sie hatteam 17. Dezember 2004 das Scheitern ihrerArbeit erklärt. Bei dem Thema Bildung lagen<strong>die</strong> Positionen zu weit auseinander. Nach demvorzeitigen Ende der Legislaturperiode <strong>und</strong> denNeuwahlen im Herbst 2005 nahm <strong>die</strong> Kommissionihre Arbeit wieder auf <strong>und</strong> legte im Frühjahr2006 ihr (weitgehend unverändertes) Ergebnisden parlamentarischen Gremien vor.Der Rechtsausschuss des Deutschen B<strong>und</strong>estages<strong>und</strong> der Ausschuss für innere Angelegenheitendes B<strong>und</strong>esrates haben Ende Mai/AnfangJuni eine mehrtägige Anhörung zur Föderalismusreformdurchgeführt. Im Rahmen desAbschnitts VI. Soziales kamen für den Bereichder <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> <strong>die</strong> SachverständigenDr. Meysen, Prof. Dr. Johannes Münder,Prof. Dr. Rainer Pitschas <strong>und</strong> Prof. Dr. Dr.Reinhard Wabnitz zu Wort. 6<strong>Die</strong> Föderalismusreform hat mit ihren Änderungendes Rechts der Staatsorganisation imGr<strong>und</strong>gesetz Einfluss auf den Gestaltungsspielraumdes B<strong>und</strong>esgesetzgebers in vielenRechtsgebieten. <strong>Die</strong> nachfolgenden Ausführungenkonzentrieren sich auf <strong>die</strong>jenigen Änderungendes Gr<strong>und</strong>gesetzes, <strong>die</strong> Auswirkungenauf das <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>recht haben(können).& B. <strong>Die</strong> konkurrierendeKompetenz des B<strong>und</strong>es zurGesetzgebung für <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong>I. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> imVisier der B<strong>und</strong>esstaatskommissionDas Sachgebiet „<strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>“wird auch nach Inkrafttreten der Föderalismusreformals Teilbereich des Kompetenztitelsder „öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs.1 Nr. 7 GG n.F.) zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es gehören.<strong>Die</strong>s war lange Zeit ungewiss.Auf ein Fortbestehen der konkurrierendenGesetzgebungskompetenz des B<strong>und</strong>es für <strong>die</strong>„öffentliche Fürsorge“ 7 hatte sich <strong>die</strong> Kommissionzur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung bereits verständigt, bevor sieihre Arbeit insbesondere aufgr<strong>und</strong> von Meinungsverschiedenheitenzum Thema „Bildung“am 17. Dezember 2004 eingestellt hat,ohne Vorschläge zur Änderung des Gr<strong>und</strong>gesetzeszu beschließen. 8 Da sich <strong>die</strong> großeKoalition im Rahmen des Koalitionsvertragesdarauf geeinigt hatte, <strong>die</strong> Föderalismusreformauf der Gr<strong>und</strong>lage der Vorarbeiten der B<strong>und</strong>esstaatskommissionzu Ende zu führen, bezogsich <strong>die</strong>se Einigung auch auf Beibehaltungder B<strong>und</strong>eskompetenz für <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>.<strong>Die</strong>ses Ergebnis lag der Neuordnungdes Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebung(Art. 74 Abs.1 GG) zu Gr<strong>und</strong>e,wie er Eingang in den am 7. März 2006 eingebrachtenEntwurf eines Gesetzes zur Änderungdes Gr<strong>und</strong>gesetzes 9 gef<strong>und</strong>en hat.1 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/813.2 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/2010.3 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/814.4 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/2052.5 B<strong>und</strong>esrats-Drucks. 462/06 – Beschluss.6 Siehe dazu den stenografischen Bericht zur 19. Sitzungam 2. Juni 2006, Rechtsausschussprotokoll 19.<strong>Die</strong> Stellungnahmen von Münder <strong>und</strong> Wabnitz sindauch abgedruckt in Forum <strong>Jugendhilfe</strong> 2006, 68 ff.7 Mit Ausnahme des Heimrechts, d.h. der Regelungenzur stationären Unterbringung älterer Menschen.8 B<strong>und</strong>esstaatskommission Arbeitsunterlage 0104,S. 8.9 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/813.392 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 9 2006


Aufsätze Beiträge Berichte.....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................Von einem solchen Verhandlungsergebnis warzu Beginn der Beratungen nicht auszugehen,hatten doch <strong>die</strong> Regierungschefs einiger Länder10 bereits vor Einsetzung der B<strong>und</strong>esstaatskommission„Zugriffsrechte“ der Länder für<strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> angestrebt. 11 <strong>Die</strong>sesAnliegen wurde im Rahmen der Kommissionsberatungendurch Forderungen der Ministerpräsidentennach einer Übertragung derGesetzgebungskompetenz für den gesamtenLeistungsbereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>,also das „Herzstück“ des SGB VIII, konkretisiert,12 immer wieder – auch mit Unterstützungvon kommunalen Spitzenverbänden 13 –bekräftigt <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> Vorschriften über <strong>die</strong>Zuständigkeit, das Verfahren, <strong>die</strong> Zusammenarbeitmit Trägern der freien <strong>Jugendhilfe</strong>, <strong>die</strong>Vereinbarungen über Leistungsangebote, <strong>die</strong><strong>Jugendhilfe</strong>planung, <strong>die</strong> Teilnahmebeiträge<strong>und</strong> <strong>die</strong> Heranziehung zu den Kosten erweitert.14 Begründet wurden <strong>die</strong>se Forderungenmit der Nähe der Leistungen der <strong>Jugendhilfe</strong>zum Bildungsangebot für <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jugendliche,das <strong>die</strong> Länder aufgr<strong>und</strong> ihrer Kulturhoheitan erster Stelle verantworten, sowie engenBezügen zum landesrechtlichen Ordnungsrecht.15 <strong>Die</strong>s hätte im Ergebnis bedeutet,dass <strong>die</strong> Regelungskompetenz des B<strong>und</strong>esauf <strong>die</strong> klassischen Bereiche des Vorm<strong>und</strong>schaftswesens<strong>und</strong> der Mitwirkung im gerichtlichenVerfahren reduziert worden wäre.<strong>Die</strong> B<strong>und</strong>esregierung konnte <strong>die</strong>ser Argumentationentgegenhalten, dass zwischen Leistungender <strong>Jugendhilfe</strong> nach § 2 Abs. 2 SGB VIII<strong>und</strong> sog. „anderen Aufgaben“ der <strong>Jugendhilfe</strong>nach § 2 Abs. 3 SGB VIII ein untrennbarerSachzusammenhang besteht, während <strong>die</strong>Aufgaben der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> <strong>und</strong><strong>die</strong> der Schule nur partielle <strong>und</strong> auf bestimmteAltersgruppen bezogene Schnittstellen aufweisen.Unterschiedlich ist auch <strong>die</strong> verfassungsrechtlicheAusgangslage <strong>und</strong> damit derBlick auf <strong>die</strong> Lebenssituation des Kindes oderJugendlichen: Leistungen wie andere Aufgabender <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> stützen <strong>die</strong>elterliche Erziehungskompetenz bzw. konkretisierendas staatliche Wächteramt (Art. 6Abs. 2 Satz 2 GG) <strong>und</strong> beziehen sich damitauf <strong>die</strong> Erziehungsverantwortung der Eltern(Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Demgegenüber hat<strong>die</strong> Schule einen eigenständigen Erziehungsauftrag,der von den Eltern unabhängig ist.Darüber hinaus hat <strong>die</strong> B<strong>und</strong>esregierung zumeinen aus kinder- <strong>und</strong> jugendpolitischer Sichtdezi<strong>die</strong>rt begründet, dass b<strong>und</strong>eseinheitlichgarantierte Leistungen der <strong>Jugendhilfe</strong> zur Sicherstellunggleichwertiger Lebensverhältnisse,zur Vermeidung eines Wettbewerbs zuLasten finanzschwächerer Länder, zur Herstellungvon Chancengerechtigkeit sowie zur Sicherstellungeines einheitliches Schutzniveausbei Kindeswohlgefährdung unverzichtbarsind. Zum anderen hat sie mit ihren Hinweisenauf den gr<strong>und</strong>rechtssichernden Charakterder Leistungen der <strong>Jugendhilfe</strong> für Eltern <strong>und</strong><strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> enge Verzahnung des <strong>Kinder</strong>-<strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechts mit dem Kindschaftsrecht<strong>und</strong> dem Jugendstrafrecht dargelegt,dass in der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> b<strong>und</strong>eseinheitlicheVorgaben zum Leistungsrechtwie auch zu Zuständigkeit <strong>und</strong> Verfahren ausrechtlicher Sicht unabdingbar sind. 16Dass sich schließlich <strong>die</strong>se fachlich begründetePosition durchsetzen konnte, ist nicht zuletztauf das außergewöhnliche Engagementder Fachwelt der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> zurückzuführen,<strong>die</strong> in zahlreichen Stellungnahmenfür <strong>die</strong> Beibehaltung der B<strong>und</strong>eskompetenzim Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>plä<strong>die</strong>rt hat. Kirchen, Wohlfahrtsverbände,Jugendverbände sowie eine Vielzahl namhafterExpertinnen <strong>und</strong> Experten der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> warnten vor gravierenden Nachteilenfür <strong>Kinder</strong>, Jugendliche <strong>und</strong> Eltern alsFolge einer Zersplitterung des <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechts.<strong>Die</strong>se Befürchtung wurde dadurch gespeist,dass <strong>die</strong> eigentliche Problematik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>-<strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> in den Blickpunkt kompetenzrechtlicherDebatten hatte rücken lassen,von vornherein von der Föderalismusreformausgeklammert worden war, nämlich<strong>die</strong> infolge der anhaltenden Finanznot derKommunen notwendige Neuordnung der Finanzverfassung.Im Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> belastet der B<strong>und</strong> mit seiner Gesetzgebung<strong>die</strong> kommunalen Gebietskörperschaften,ohne dass <strong>die</strong>se von B<strong>und</strong> oderLändern eine unmittelbare finanzielle Kompensationeinfordern können. 17 Der B<strong>und</strong>darf mangels unmittelbarer finanzverfassungsrechtlicherBeziehungen zu den Kommunennicht zahlen, das Land muss mangelsAnwendbarkeit des landesverfassungsrechtlichenKonnexitätsprinzips auf B<strong>und</strong>esgesetzenicht zahlen. So ist es verständlich, dass ausfiskalischen Motiven versucht wurde, <strong>die</strong> Verteilungder Aufgaben den Bedingungen derFinanzverfassung anzupassen, nämlich <strong>die</strong>Gesetzgebungskompetenz dorthin zu verlagern,wo auch <strong>die</strong> Verantwortung für <strong>die</strong> finanzielleLeistungsfähigkeit der Kommunenliegt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Aufgaben der <strong>Jugendhilfe</strong> imRahmen der Selbstverantwortung ausführen:auf <strong>die</strong> Länder. Und genauso naheliegend istdaher <strong>die</strong> Befürchtung, dass eine fiskalischmotivierte Kompetenzverlagerung auf <strong>die</strong>Länder <strong>die</strong>se nicht zu einer aktiven <strong>Kinder</strong><strong>und</strong>Jugendpolitik veranlassen würde, unterlägensie doch damit gegenüber den kommunalenGebietskörperschaften dem Konnexitätsprinzip.18 Durch <strong>die</strong> beabsichtigteEinführung einer Finanzkraftklausel 19 würde<strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> zunehmend zumGegenstand eines von der jeweiligen kommunalenHaushaltslage abhängigen „Ortsrechts“.Darüber hinaus lassen sämtliche gesetzgeberischeInitiativen der Länder zur Änderungdes SGB VIII aus den letzten Jahren,<strong>die</strong> in erster Linie Leistungskürzungen inten<strong>die</strong>rten,20 <strong>die</strong> Schlussfolgerung zu, dass <strong>die</strong>Länder ihre Gesetzgebungskompetenz nichtdazu nutzen würden, das Leistungsspektrumder <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> landesspezifischzu verbessern, sondern es einzuschränken. 21II. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> alsTeilbereich des Kompetenztitels der„öffentlichen Fürsorge“ (Art. 74Abs. 1 Nr. 7 GG)1. Vorfahrt für den B<strong>und</strong>Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebunghaben – der Bezeichnung entsprechend – B<strong>und</strong><strong>und</strong> Länder <strong>die</strong> Kompetenz zur Gesetzgebung.<strong>Die</strong> Kollision der beiden Kompetenzen wirddurch eine komplizierte Konkurrenzregelunggelöst: So hängt <strong>die</strong> Befugnis der Länder zu eigenerGesetzgebung davon ab, ob <strong>und</strong> inwieweitder B<strong>und</strong> bereits tätig geworden ist. Solangeder B<strong>und</strong>esgesetzgeber nicht tätig ge-10 Föderalismusreform – Positionspapier der Ministerpräsidenten,Kommissionsdrucksache 45, S. 6/7(Punkt 6.2).11 Kommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, Arbeitsunterlage 0004, Anhang 1zur Arbeitshilfe für AG 1 vom 6.1.2004.12 Föderalismusreform – Positionspapier der Ministerpräsidenten,Kommissionsdrucksache 45, S. 6/7(Punkt 6.2).13 Kommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, Stenografischer Bericht, 8. Sitzung,8.7.2004, S. 163, 198/199; Henneke, Der Landkreis2004, 355, 357 f.; Vorholz, Der Landkreis2004, 419; Duppré, Der Landkreis 2004, 643.14 Vgl. hierzu auch Kommission zur Modernisierungder b<strong>und</strong>esstaatlichen Ordnung, StenografischerBericht, 9. Sitzung, 14.10.2004, S. 231 ff.; <strong>die</strong>s.,Kommissionsdrucksache 48, S. 2.15 Vgl. Meysen, RdJB 2005, 355, 368.16 Vgl. Kommission zur Modernisierung der b<strong>und</strong>esstaatlichenOrdnung, Arbeitsunterlage 0002, S. 78;<strong>die</strong>s., Stenografischer Bericht, 9. Sitzung,14.10.2004, S. 233/234; Meysen, RdJB 2005, 355,367 ff.17 Vgl. dazu Wiesner SGB VIII § 69 Rn. 24 a, 3. Auflage,München 2006; Schoch/ Wieland, Aufgabenzuständigkeit<strong>und</strong> Finanzierungsverantwortung verbesserter<strong>Kinder</strong>betreuung, Schriften zum deutschen<strong>und</strong> europäischen Kommunalrecht, Bd. 24,Stuttgart 2004, S. 68.18 Vgl. hierzu auch Meysen, RdJB 2005, 369; Wiesner,ZfJ 2004, 309.19 Siehe dazu Art. 3 des Entwurfs eines Gesetzes zurEntlastung der Kommunen im sozialen Bereich(KEG), B<strong>und</strong>estags-Drucks. 15/4532, mit dem § 33SGB I entsprechend ergänzt werden sollte.20 Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunenim sozialen Bereich (KEG), B<strong>und</strong>estags-Drucks. 15/4532; Entschließung des B<strong>und</strong>esrateszur Änderung des Sozialgesetzbuches Achtes Buch(SGB VIII) – <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>gesetz – Entlastungder Länder <strong>und</strong> Kommunen im Bereich der<strong>Jugendhilfe</strong>, B<strong>und</strong>esrats-Drucks. 222/04; Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches– Achtes Buch – SGB VIII, B<strong>und</strong>esrats-Drucks. 279/03.21 Vgl. Meysen, RdJB 2005, 355, 367 ff.9 2006 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 393


....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................Aufsätze Beiträge Berichteworden ist, bleibt es beim Gesetzgebungsrechtder Länder. Ist der B<strong>und</strong>esgesetzgeber bereitstätig geworden, so sind <strong>die</strong> Länder von eigenerGesetzgebung ausgeschlossen, wenn ein B<strong>und</strong>esgesetzeine bestimmte Frage ausdrücklich –auch negativ, insbesondere durch absichtsvollenRegelungsverzicht – geregelt hat oderwenn dem Gesetz durch „Gesamtwürdigungdes betreffenden Normenbereichs“ zu entnehmenist, dass es eine erschöpfende Regelungeiner bestimmten Materie darstellt – sog.Sperrwirkung. 22 Landesrechtliche Regelungen,<strong>die</strong> vor dem Tätigwerden des B<strong>und</strong>esgesetzgeberszustande gekommen sind, werden,wenn sie im Widerspruch zu B<strong>und</strong>esrecht stehen,nach Art. 31 GG „gebrochen“ <strong>und</strong> sinddamit unwirksam. Andererseits setzt <strong>die</strong> Befugnisdes B<strong>und</strong>es zum Tätigwerden <strong>die</strong> Erforderlichkeiteiner b<strong>und</strong>esgesetzlichen Regelung voraus(Art. 72 Abs. 2 GG). 23Im Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> hatder B<strong>und</strong> von seiner Gesetzgebungskompetenzin der sich aus den Regelungen imAchten Buch Sozialgesetzbuch – <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> (SGB VIII) ergebenden Weise Gebrauchgemacht. <strong>Die</strong> Länder waren <strong>und</strong> sinddaher auch nach Inkrafttreten der Föderalismusreform,was materiell-rechtliche Vorgabenbetrifft 24 , auf Gr<strong>und</strong> der Sperrwirkungdes B<strong>und</strong>esrechts an der Gesetzgebung imBereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> gehindert,soweit <strong>die</strong>se im Widerspruch zu denb<strong>und</strong>esrechtlichen Vorgaben steht.Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus demin Art. 72 Abs. 3 GG neu geregelten Abweichungsrechtder Länder. <strong>Die</strong>ses bezieht sichnur auf solche Materien, <strong>die</strong> von der Rahmengesetzgebungin <strong>die</strong> konkurrierende Gesetzgebungüberführt worden sind, <strong>und</strong> giltdamit nicht für den Kompetenztitel der „öffentlichenFürsorge“. Von <strong>die</strong>sem Abweichungsrechtzu unterscheiden ist das ebenfallsneue Abweichungsrecht nach Art. 84Abs. 1 Satz 2 GG im Hinblick auf <strong>die</strong> Einrichtungvon Behörden <strong>und</strong> das Verwaltungsverfahren.25Dabei ist auch zu beachten, dass das SGB VIIIden Ländern durch zahlreiche Landesrechtsvorbehalte26 weite Gestaltungsspielräume einräumt,von denen sie bisher nur vereinzelt <strong>und</strong>zögerlich Gebrauch machen. Bereits <strong>die</strong>ses Verhaltenzeigt an, dass den Ländern wenig daranliegt, über das Regelungsniveau des B<strong>und</strong>esrechtshinauszugehen. So war es den Ländernzu keinem Zeitpunkt verboten, Rechtsansprücheim Bereich der Tagesbetreuung zu etablieren.<strong>Die</strong>s geschah in den alten B<strong>und</strong>esländernim Hinblick auf einen <strong>Kinder</strong>gartenplatz nur inRheinland-Pfalz – <strong>und</strong> <strong>die</strong>s nur wenige Monatevor der b<strong>und</strong>esrechtlichen Regelung. 272. Zur inhaltlichen Reichweite des KompetenztitelsDer Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge<strong>und</strong> damit <strong>die</strong> konkurrierende Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es nach Art. 74Abs. 1 Nr. 7 GG umfasst (auch künftig) sämtlicheRegelungsbereiche des SGB VIII.In der Vergangenheit hat es mehrfach Streitzwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern hinsichtlich derZuordnung einzelner Aufgaben der <strong>Jugendhilfe</strong>zum Bereich der öffentlichen Fürsorge<strong>und</strong> damit zur Regelungskompetenz des B<strong>und</strong>esgegeben: 28Im Jahre 1962 legten <strong>die</strong> Länder Hessen, Niedersachsen,Hamburg <strong>und</strong> Bremen Verfassungsbeschwerde<strong>und</strong> <strong>die</strong> Städte Dortm<strong>und</strong>,Darmstadt, Frankfurt am Main <strong>und</strong> HerneNormenkontrollklage gegen Vorschriften desJugendwohlfahrtsgesetzes (<strong>und</strong> des B<strong>und</strong>essozialhilfegesetzes)ein <strong>und</strong> griffen unter anderem<strong>die</strong> erstmals b<strong>und</strong>esrechtlich in § 5Abs. 1 <strong>und</strong> 2 JWG erfassten allgemeinen Aufgabender Jugendarbeit, der damals sog. Jugendpflege,an: <strong>Die</strong>se Aufgaben seien nichtder öffentlichen Fürsorge zuzuordnen <strong>und</strong> damitnicht der Gesetzgebung durch den B<strong>und</strong>zugänglich. Für <strong>die</strong> Regelung <strong>die</strong>ser Materie,<strong>die</strong> weit in den kulturellen Bereich hineinreiche,seien allein <strong>die</strong> Länder zuständig. 29Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht folgte <strong>die</strong>serAuffassung nicht. Es hat <strong>die</strong> B<strong>und</strong>eskompetenzunter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangsder präventiven Förderungder ges<strong>und</strong>en Jugend zur Vermeidung eineskünftigen erzieherischen Bedarfs mit der klassischenJugendfürsorge anerkannt. 30 In dernur mit knapper Mehrheit getroffenen Entscheidung(4 gegen 3 Stimmen) hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtbekräftigt, dass <strong>die</strong>klassische Einheit von Jugendpflege <strong>und</strong> Jugendfürsorgeauch einer b<strong>und</strong>esgesetzlichenRegelung zugänglich ist. Für das Selbstverständnisder allgemeinen Jugendförderung(Jugendarbeit) bedeutete <strong>die</strong> Interpretationdes B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts aber eine wesentlicheEinschränkung, da sie – jedenfalls einerb<strong>und</strong>esrechtlichen Regelung – nicht mehrunter dem Gesichtspunkt einer allgemeinenFörderung, sondern nur einer „vorbeugendenJugendfürsorge“ zugänglich blieb.Im Rahmen der Reformdebatte zu einemneuen <strong>Jugendhilfe</strong>recht ist der B<strong>und</strong> mit seinemAnspruch, anstelle des kontrollierendenEingriffs in <strong>die</strong> elterliche Sorge das Recht desjungen Menschen auf Erziehung <strong>und</strong> Entfaltungder Persönlichkeit in den Vordergr<strong>und</strong>zu stellen <strong>und</strong> darauf ausgerichtet ein umfassendesLeistungsprogramm der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong> zu entwickeln 31 , erneut an <strong>die</strong>Grenzen seiner Gesetzgebungskompetenzgestoßen. Streitpunkt war <strong>die</strong>smal <strong>die</strong> Familienbildung.So sah bereits der Referentenentwurf1978 unter dem Titel „Allgemeine Förderungder Erziehung in der Familie“ in § 27eine Regelung über <strong>die</strong> Familienbildung vor.Entsprechende Angebote wurden in den Ländernaber auch im Rahmen der Erwachsenenbildunggemacht <strong>und</strong> auf <strong>die</strong>ser Gr<strong>und</strong>lage finanziert.Einem vom damaligen B<strong>und</strong>esministeriumfür Jugend, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit inAuftrag gegebenen Gutachten folgend, 32wurde fortan darauf hingewiesen, dass <strong>die</strong>Angebote der Familienbildung, soweit sienicht der Erwachsenenbildung zuzurechnensind, zum Bereich der öffentlichen Fürsorgegehören <strong>und</strong> damit unter <strong>die</strong> Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es nach Art. 74 Abs. 1Nr. 7 GG fallen. 33 Zu einer (verfassungsrechtlichen)Klärung bzw. Abgrenzung der beidenMaterien, öffentliche Fürsorge einerseits <strong>und</strong>Erwachsenenbildung andererseits, ist es bisheute nicht gekommen.Einen weiteren Streit gab es anlässlich der Verabschiedungdes KJHG im Hinblick auf <strong>die</strong> Zuordnungdes <strong>Kinder</strong>gartenwesens zur öffentlichenFürsorge oder zur Bildungskompetenzder Länder. Bereits vor der Vorlage des Regierungsentwurfs1989 kam es zu einer Debatteüber <strong>die</strong> b<strong>und</strong>esrechtliche Regelung einesRechtsanspruchs auf einen <strong>Kinder</strong>gartenplatz.<strong>Die</strong> damalige B<strong>und</strong>esregierung propagierte einensolchen Rechtsanspruch, knickte aber bereitsvor der Entscheidung im B<strong>und</strong>eskabinettgegenüber den Forderungen einzelner Länderein. 34 So wurde der Rechtsanspruch durch eineallgemeine Hilfeverpflichtung für Fälle, indenen <strong>die</strong>s für das Wohl des Kindes erforderlichwar, ersetzt <strong>und</strong> insoweit pauschal auf dasLandesrecht verwiesen. 35Im Übrigen hatte der Gesetzgeber des KJHGauf ungewöhnliche Weise dafür gesorgt, dassder Freistaat Bayern weiterhin <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>gartenerziehungdem Bildungsbereich <strong>und</strong> damitder Gesetzgebungskompetenz der Länder zu-22 Jarass/ Pieroth,,Gr<strong>und</strong>gesetz Art. 72 Rn. 2, München2000.23 Zur Bedeutung der Erforderlichkeitsklausel sieheunter III.24 Zur Behördeneinrichtung <strong>und</strong> zum Verwaltungsverfahrenvgl. Kapitel C.25 Dazu siehe <strong>die</strong> Ausführungen unter C II 3.26 Vgl. Meysen, RdJB 2005, 355, 362 ff.27 Vgl. dazu Wiesner/ Struck SGB VIII vor § 22Rn.19 f.28 Vgl. hierzu auch Wiesner, Zurück in <strong>die</strong> Kleinstaaterei?– Ein historischer Streifzug durch <strong>die</strong> Gesetzgebungder <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>, in SozialpädagogischesInstitut im SOS-<strong>Kinder</strong>dorf e.V.(Hg.),München 2004, S. 117.29 BVerfGE 22, 180, 187.30 BVerfGE 22, 180, 212, 213.31 Siehe dazu Wiesner, RdJB 1990, 112.32 Stolleis, Michael, Eltern- <strong>und</strong> Familienbildung alsAufgabe der <strong>Jugendhilfe</strong>, Bd. 60 Schriftenreihe desB<strong>und</strong>esministers für Jugend, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit,Stuttgart 1978.33 Regierungsentwurf für ein neues <strong>Jugendhilfe</strong>gesetz1989, B<strong>und</strong>estags-Drucks. 11/5948, S. 57.34 Vgl. dazu im Einzelnen Wiesner RdJB 1990, 112.35 <strong>Die</strong> ursprüngliche Fassung lautete: „Alle <strong>Kinder</strong>, fürderen Wohl eine Förderung in Tageseinrichtungen(§ 22) oder in Tagespflege (§ 23) erforderlich ist,sollen eine entsprechende Hilfe erhalten. <strong>Die</strong> Länderregeln <strong>die</strong> Verwirklichung <strong>die</strong>ses Gr<strong>und</strong>satzesdurch Landesrecht <strong>und</strong> tragen für einen bedarfsgerechtenAusbau Sorge.“394 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 9 2006


Aufsätze Beiträge Berichte.....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ordnen konnte. Um <strong>die</strong> Unterstützung Bayernsim Gesetzgebungsverfahren zum KJHGnicht zu gefährden, wurde in § 26 SGB VIIIeine Regelung aufgenommen, <strong>die</strong> den SonderwegBayerns in der Zuordnung des <strong>Kinder</strong>gartenstolerierte. Rechtsdogmatischbleibt <strong>die</strong>se Regelung höchst zweifelhaft, dader B<strong>und</strong>esgesetzgeber sich nicht einerseitsauf seine Kompetenz berufen kann <strong>und</strong>gleichzeitig <strong>die</strong> abweichende Meinung einesbzw. mehrerer Länder tolerieren darf. Der<strong>die</strong>sem „Kompromiss“ zugr<strong>und</strong>e liegendeStreit hätte vielmehr vor dem B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtausgetragen werden müssen.Dazu kam es jedoch nicht, da weder derB<strong>und</strong> noch der Freistaat Bayern <strong>die</strong>sen Streitöffentlich austragen wollten. 36Erst acht Jahre später hatte das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtGelegenheit, anlässlich einerVerfassungsbeschwerde über <strong>die</strong> Befugnis zursozialen Staffelung der <strong>Kinder</strong>gartenbeiträgeauch <strong>die</strong> Kompetenzfrage als Vorfrage zuklären. Das Gericht hat dem <strong>Kinder</strong>gartenzwar einen Bildungsauftrag bescheinigt, siehtaber den Schwerpunkt des „<strong>Kinder</strong>gartenwesens“nach wie vor in „einer fürsorgendenBetreuung mit dem Ziel einer Förderung sozialerVerhaltensweisen <strong>und</strong> damit (präventiver)Konfliktvermeidung“. Hinter <strong>die</strong>ser, demBereich der öffentlichen Fürsorge zuzuordnendenAufgabe, stehe der vorschulische Bildungsauftragzurück. 37 Für den B<strong>und</strong>esgesetzgeberist <strong>die</strong>se Entscheidung von großerstrategischer Bedeutung. Dennoch ist siesowohl aus rechtlicher 38 wie aus fachpolitischerSicht 39 nicht ohne Kritik geblieben.III. <strong>Die</strong> schärfer gefasste Erforderlichkeitsklausel(Art. 72 Abs. 2 GG)1. Bedeutung<strong>Die</strong> Begründung einer konkurrierenden Kompetenzdes B<strong>und</strong>es setzte von Anfang an ein„Bedürfnis“ für eine b<strong>und</strong>esgesetzliche Regelungvoraus. <strong>Die</strong> Vorschrift (Art. 72 Abs. 2 GG)ist im Jahre 1994 neu gefasst worden. Seitherwird <strong>die</strong> konkurrierende Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es von einem Erforderlichkeitskriteriumabhängig gemacht, das der verfassungsgerichtlichenKontrolle unterliegt. <strong>Die</strong>Erforderlichkeitsklausel unterscheidet alternativzwei mögliche Ziele als Voraussetzung zulässigerB<strong>und</strong>esgesetzgebung. Danach muss eineb<strong>und</strong>esgesetzliche Regelung entweder zurHerstellung gleichwertiger Lebensverhältnisseim B<strong>und</strong>esgebiet oder zur Wahrung derRechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichenInteresse erforderlich sein. <strong>Die</strong> Konkretisierung<strong>die</strong>ser Ziele muss sich am Sinn derbesonderen b<strong>und</strong>esstaatlichen Integrationsinteressenorientieren. Danach ist eine b<strong>und</strong>esgesetzlicheRegelung nur insoweit „erforderlich“,als ohne sie gleichwertige Lebensverhältnissenicht hergestellt oder <strong>die</strong> im gesamtstaatlichenInteresse stehende Rechts- oder Wirtschaftseinheitnicht gewahrt werden kann. Mit<strong>die</strong>ser Neufassung sollte 1994 der Verlust derGesetzgebungskompetenzen der Länderparlamentein den vergangenen Jahrzehnten ausgeglichenwerden. Ob <strong>die</strong> Konsequenzen <strong>die</strong>sesAkts der „Wiedergutmachung“, der zu einerdeutlichen Einschränkung des b<strong>und</strong>esgesetzlichenGestaltungsspielraums führte, denParlamentariern im B<strong>und</strong>estag bewusst waren,erscheint sehr zweifelhaft.2. Änderung des Anwendungsbereichsdurch <strong>die</strong> FöderalismusreformDas Gesetz zur Änderung des Gr<strong>und</strong>gesetzes40 lockert jetzt <strong>die</strong>se umfassende Einschränkungder konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es insofern auf,als <strong>die</strong> Erforderlichkeitsklausel künftig nurnoch auf bestimmte Kompetenztitel des Art.74 GG n.F. Anwendung findet, damit alsoandere davon ausnimmt. Zu ersteren zähltauch der Bereich der öffentlichen Fürsorge(Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG n.F.). Das bedeutet,dass dem B<strong>und</strong> das Gesetzgebungsrecht fürden Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> auchweiterhin nur zusteht, wenn <strong>und</strong> soweit <strong>die</strong>Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisseim B<strong>und</strong>esgebiet oder <strong>die</strong> Wahrung derRechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichenInteresse eine b<strong>und</strong>esgesetzlicheRegelung erforderlich macht.3. Auslegung der Klausel durch das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<strong>Die</strong> Erforderlichkeitsklausel ist bislang vomB<strong>und</strong>esverfassungsgericht eng ausgelegt worden,das in mehreren Entscheidungen Gelegenheithatte, <strong>die</strong> einzelnen Tatbestandsmerkmaledes Art. 72 Abs. 2 GG zu präzisieren:Danach ist das Erfordernis der „Herstellunggleichwertiger Lebensverhältnisse“ nichtschon dann erfüllt, wenn es lediglich um dasInkraftsetzen b<strong>und</strong>eseinheitlicher Regelungenoder um eine Verbesserung der Lebensverhältnissegeht. „Das b<strong>und</strong>esstaatliche Rechtsgutgleichwertiger Lebensverhältnisse istvielmehr erst dann bedroht <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wennsich <strong>die</strong> Lebensverhältnisse in den Ländernder B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland in erheblicher,das b<strong>und</strong>esstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigenderWeise auseinander entwickelthaben oder sich eine derartige Entwicklungkonkret abzeichnet.“ 41Damit wird deutlich, dass <strong>die</strong> „Herstellunggleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht etwa– wie in der politischen Auseinandersetzungvielfach behauptet – ein genereller Verfassungsauftragist, sondern ein Ziel, das denB<strong>und</strong> erst dann zum Eingreifen ermächtigt,wenn <strong>die</strong> Auseinanderentwicklung in denLändern das b<strong>und</strong>esstaatliche Sozialgefügebeeinträchtigt. <strong>Die</strong> Auseinanderentwicklungder Lebensverhältnisse wird damit vom B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtbis zu einer bestimmtenGrenze bewusst in Kauf genommen.An <strong>die</strong>ser hohen Hürde ist der B<strong>und</strong> mit sounterschiedlichen Materien wie dem Altenpflegegesetz,42 dem Kampfh<strong>und</strong>egesetz, 43dem Ladenschlussgesetz 44 <strong>und</strong> zuletzt demJuniorprofessorengesetz 45 gescheitert. Unterliegenkünftig nur bestimmte, explizit genannteBereiche der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzdes B<strong>und</strong>es der Erforderlichkeitsklausel,wie eben auch <strong>die</strong> öffentlicheFürsorge <strong>und</strong> damit <strong>die</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>,so ist davon auszugehen, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtan seiner engen Auslegungzumindest festhalten, wenn es sienicht sogar weiter verschärfen wird.4. Bedeutung der Klausel für <strong>die</strong> Weiterentwicklungdes <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechtsWie bisher, so kommt <strong>die</strong> (verschärfte) Erforderlichkeitsklauselauch nach Realisierung derFöderalismusreform jedoch nur für <strong>die</strong>jenigenGesetze zur Anwendung, <strong>die</strong> nach ihrer Verschärfung,also nach dem 15. November1994, erlassen worden sind. <strong>Die</strong> zu <strong>die</strong>semZeitpunkt bereits geltenden B<strong>und</strong>esgesetze,zu denen das im Jahre 1990 als Art. 1 desKJHG verabschiedete Achte Buch Sozialgesetzbuchgehört, bleiben nach der Übergangsregelungdes Art. 125a Abs. 2 GG n.F.als B<strong>und</strong>esrecht in Kraft. Sie sind darüber hinaus– wie das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht inzwischenentschieden hat – auch weiterhineiner Änderung durch den B<strong>und</strong> zugänglich,<strong>die</strong> nicht den Anforderungen der Erforderlichkeitsklauselgenügen muss. Der Gesetzgeberhabe nicht den Stillstand im Bereich der konkurrierendenGesetzgebung <strong>und</strong> damit <strong>die</strong>Versteinerung einer einmal geschaffenenRechtslage in Kauf nehmen wollen. 46 Allerdingsist <strong>die</strong> Änderungskompetenz des B<strong>und</strong>es,sofern <strong>die</strong> (verschärften) Voraussetzungendes Art. 72 Abs. 2 GG nicht gegebensind, „eng auszulegen <strong>und</strong> an <strong>die</strong> Beibehaltungder wesentlichen Elemente der in demfortgeltenden B<strong>und</strong>esgesetz enthaltenen Regelunggeknüpft“. Aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Regelungbleibt der B<strong>und</strong>esgesetzgeber befugt, geltendesB<strong>und</strong>esrecht im Rahmen der Kompetenzzur konkurrierenden Gesetzgebung ohne Bindungan <strong>die</strong> Erforderlichkeitsklausel zu ändern,sofern er <strong>die</strong> wesentlichen Elemente der36 Vgl. hierzu auch Wiesner/Struck, SGB VIII vor § 22Rn. 10 ff. <strong>und</strong> § 26 Rn. 4 f.37 BVerfGE 97, 332, 342 f.38 Vgl. Schoch/Wieland, Aufgabenzuständigkeit <strong>und</strong> Finanzierungsverantwortungverbesserter <strong>Kinder</strong>betreuung,Schriften zum deutschen <strong>und</strong> europäischenKommunalrecht, Bd. 24, Stuttgart 2004, S.55 ff.39 Vgl. Wiesner, ZfSp 2004, 45, 54 ff.40 B<strong>und</strong>estags-Drucks. 16/813.41 BVerfGE 106, 62, 144.42 BVerfGE 106, 62.43 BVerfGE 110, 141.44 BVerfGE 111, 10.45 BVerfGE 111, 236.46 BVerfGE 111, 10.9 2006 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 395


....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................Aufsätze Beiträge BerichteRegelung beibehält <strong>und</strong> <strong>die</strong>se lediglich modifiziert.Für eine gr<strong>und</strong>legende Neukonzeptionist er indes an <strong>die</strong> strengen Voraussetzungendes Art. 72 Abs. 2 GG geb<strong>und</strong>en. 47Da <strong>die</strong> Föderalismusreform an der Erforderlichkeitsklauselfür den Bereich der öffentlichenFürsorge festhält, bleibt insoweit auch<strong>die</strong> referierte Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtszur Auslegung des Art. 72Abs. 2 GG von Bedeutung. Im <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><strong>Jugendhilfe</strong>recht wird der B<strong>und</strong> demnachauch künftig Neukonzeptionen nur unter denstrengen Voraussetzungen der Erforderlichkeitnach Art. 72 Abs. 2 GG n.F. vornehmenkönnen <strong>und</strong> im Übrigen auf bloße Modifikationendes geltenden Rechts beschränkt bleiben.Innovative gesetzgeberische Aktivitätenim Bereich der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> <strong>und</strong>damit eine strukturelle Weiterentwicklungdes <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong>rechts sind unter<strong>die</strong>sen Umständen nicht zu erwarten. 48(Teil 2 folgt in ZKJ 10/06)47 BVerfGE 111, 10 <strong>und</strong> BVerfGE 111, 226.48 Vgl. Münder, Stellungnahme für <strong>die</strong> Anhörung zurFöderalismusreform zum Themenbereich, Soziales,S. 2.Klaus WolfModernisierung desPflegekinderwesens?Früher – als <strong>die</strong> Welt insgesamt noch bessergeordnet schien – waren <strong>die</strong> beiden FremdunterbringungssystemeHeimerziehung <strong>und</strong>Pflegefamilien leicht zu unterscheiden. Heutebedarf es schon genauer Detailkenntnisse, umzum Beispiel eine Erziehungsstelle nach § 34KJHG – also ein Heimerziehungsarrangement– von einer nach § 33 KJHG – also einer Varianteder Vollzeitpflege – zu unterscheiden.Beide Felder der Fremderziehung haben sicheindrucksvoll ausdifferenziert <strong>und</strong> in beidenhaben wir heute eine erhebliche Formenvielfalt(Freigang & Wolf 2001; Niederberger &Bühler-Niederberger 1988). Dabei ist einÜberschneidungsbereich entstanden, in demsich der Phänotypus der Arrangements –nämlich der einer Familie – kaum noch unterscheidet.<strong>Die</strong>s ist das Ergebnis zweier Entwicklungslinien,<strong>die</strong> man als Familialisierung derHeimerziehung <strong>und</strong> Professionalisierung desPflegekinderwesens bezeichnen kann (Wolf1998). Das Spektrum <strong>die</strong>ser – aus der Perspektiveder <strong>Kinder</strong> betrachtet: anderen – Familienist groß, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bezeichnungen sindsehr unterschiedlich: Pflegefamilien – oft mitweiteren Adjektiven: sozialpädagogische, heilpädagogische,therapeutische usw. –, Sonderpflegestellen,Erziehungsstellen nach § 33 <strong>und</strong>nach § 34 KJHG, professionelle Lebensgemeinschaften,quasi-familiale Heimerziehung,aber auch intensive sozialpädagogischeEinzelbetreuung in Familien nach § 35 KJHG.& Stagnation der VollzeitpflegeDer Autor ist Professor für Sozialpädagogik an der UniversitätSiegen<strong>Die</strong>se große Formenvielfalt könnte uns vermutenlassen, dass wir eine starke Zunahmeder Betreuung in „anderen Familien“ haben.Innerhalb der Hilfen nach § 34 KJHG habenwir in den letzten 30 Jahren tatsächlich eineZunahme an Betreuungsformen, in denen pädagogischeMitarbeiterinnen eine Lebensgemeinschaftmit <strong>Kinder</strong>n eingehen, <strong>die</strong> sie in<strong>die</strong>sem Rahmen beruflich betreuen. <strong>Die</strong> Vollzeitpflegenach § 33 KJHG stagniert allerdings.Weder gibt es in den letzten 15 Jahrenin der Relation der Hilfen nach § 34 <strong>und</strong> nach§ 33 KJHG eine Verschiebung zugunsten derVollzeitpflege – das Verhältnis ist 2004 genauwie 1991 1 : 1,6 zugunsten der Heimerziehung– <strong>und</strong> auch der Anteil der neu begonnenenVollzeitpflegeverhältnisse ist 2004 –nachdem er zwischenzeitlich sogar abgesunkenwar – wieder auf dem Niveau von 1991(vgl. Fendrich & Lange 2006). Aus <strong>die</strong>se Datenmöchte ich folgende Konsequenz ableiten:Im <strong>und</strong> für das Pflegekinderwesen sinderheblich größere Anstrengungen nötig, wenn<strong>die</strong> Vollzeitpflege auch nur zur Quote derHeimunterbringungen aufschließen soll, ganzzu schweigen von Relationen, wie wir sie miteinem deutlichen Überhang an Pflegeverhältnissenz.B. in Großbritannien finden. Ohne eingrößeres finanzielles, organisatorisches, konzeptionelles<strong>und</strong> forschungsbezogenes Engagementwird sich an der untergeordnetenRolle des Pflegekinderwesens nichts ändern.& ModernisierungsbedarfOrganisatorisch <strong>und</strong> konzeptionell befindetsich das Pflegekinderwesen in Deutschlandoft noch in einer Nische: Abseits von denHauptplätzen der sozialpädagogischen Debatten,von außen gar nicht oder relativ desinteressiert-kritischbetrachtet, kommuniziertman überwiegend untereinander <strong>und</strong> fühltsich von Außenstehenden – manchmal zuRecht – unverstanden. Insbesondere im Verhältnisvon Allgemeinem oder Regionalem Sozial<strong>die</strong>nst<strong>und</strong> Pflegekinder<strong>die</strong>nst gibt es oftstereotype Vorstellungen übereinander, <strong>und</strong> <strong>die</strong>Kommunikation ist auf das absolut Unvermeidlichebegrenzt. Andererseits finden wir mancherortsAufbrüche: neuartige konzeptionelleZugänge <strong>und</strong> interessante Leitideen, gravierendeOrganisationsveränderungen <strong>und</strong> neue Kooperationsformen.Solche Ungleichzeitigkeitensind bei forcierten Modernisierungsprozessen,<strong>die</strong> auf längere Phasen der Stagnation folgen,zu erwarten. Das ist also meine These: DasPflegekinderwesen in Deutschland befindet sicham Beginn eines Modernisierungsprozesses(deswegen führen wir am 27. <strong>und</strong> 28. Septembereine b<strong>und</strong>esweite Fachtagung an der UniversitätSiegen durch: www.pflegekindertagung2006.de). Wohin <strong>die</strong> Reise geht, wirderst allmählich <strong>und</strong> in einigen Ansätzen deutlich.Auch das ist nicht ungewöhnlich, weil esnatürlich keine zentrale Steuerungsstelle gibt.Wenn <strong>die</strong> Fachdiskussion innerhalb des Pflegekinderwesensaus der relativen Isolation herauskommt<strong>und</strong> an andere sozialpädagogischeDiskurse anschlussfähig wird, lassen sich Themenprognostizieren <strong>und</strong> auch wünschenswerteEntwicklungslinien skizzieren (Blandow2004). Einige will ich benennen.Bereits ganz deutlich sichtbar werden Veränderungenin der Organisation. Das auch in anderenFeldern zu beobachtende Outsourcing beziehtsich im Pflegekinderbereich nicht nur auf<strong>die</strong> Frage, ob es freie Träger besser oder billigermachen können als kommunale, sondernes führt fast immer zu einem neuen Zuschnittder Aufgaben <strong>und</strong> einer stärkeren Koppelungder Finanzierung an harte Daten, <strong>die</strong> als Indikatorenfür <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit gesetzt werden.Außerdem ziehen neue Projekte, <strong>die</strong> nochin der Bewährung stehen, oft Mitarbeiterinnenmit besonderen Ambitionen an. Wenn <strong>die</strong>segewonnen werden, hinreichenden Spielraumhaben <strong>und</strong> ein Mindestmaß an Stabilität nichtunterschritten wird, entstehen neue Entwicklungschancen.So bedingungsvoll muss man<strong>die</strong> Lage allerdings auch beurteilen: Das Outsourcing– wie andere Organisationsveränderungenauch – eröffnet günstigenfalls neueChancen; ob sie genutzt werden <strong>und</strong> ob sieauf Dauer erhalten bleiben, hängt von weiterenVoraussetzungen ab.& Kampf um <strong>die</strong> richtige TheorieAuch bei den Theoriebezügen in den konzeptionellenLeitgedanken zeigen sich Veränderungen.Über lange Zeit orientierten sich <strong>die</strong>Insider des Pflegekinderwesens in der B<strong>und</strong>esrepublikstark an psychoanalytisch begründetenPositionen, insbesondere in der396 Kindschaftsrecht <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> 9 2006

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