MODELL SPRACHSCHULEDie Effekte der neuen Mode der Kompetenzorientierung an denHochschulenEin Gastbeitrag von Stefan KühlKompetenzorientierung ist dasneue Schlagwort an den Universitäten<strong>und</strong> Fachhochschulen. Bildungsplanerplädieren dafür, dassman sich bei der Gestaltung von Studiengängenzuerst darüber Gedankenmachen sollte, welcheKompetenzen während eines Studiumserworben werden sollen <strong>und</strong>erst dann daraus ableiten sollte, welcheInhalte Studierenden vermitteltwerden müssen. Bei Akkreditierungenvon Studiengängen wird inzwischengefordert, dass nicht nur fürjeden einzelnen Studiengang, sondernfür jedes einzelne Modul detailliertbeschrieben werden soll, welcheKompetenzen dort erworben werdensollten.Wie bei allen wohlklingendenSchlagworten – man denke nur anInnovationsfähigkeit oder Flexibilitätsorientierung– werden auch beidem Schlagwort Kompetenzorientierungkritische Anfragen entmutigt,weil es sich bei all diesen Begriffenum allgemein geteilte Werte handelt.Man kann sich schließlich als Professorschlecht für eine Inkompetenzorientierungan den Hochschulenaussprechen. Und es ließe sich auchschwerlich begründen, weswegen esein Misserfolg sein soll, wenn Studierendeam Ende ihres Studiums Kompetenzenerworben haben. DasProblem liegt also nicht so sehr imWort Kompetenz, sondern vielmehran dem Bildungsideal, das zurzeitmit dem Begriff der Kompetenzorientierungverkauft wird. 1Das Problem liegt also nichtso sehr im Wort Kompetenz,sondern vielmehr an demBildungsideal, das zurzeitmit dem Begriff derKompetenzorientierungverkauft wird.Die Vision einer KompetenzkaskadeDie Idee des unter dem Begriff derKompetenzorientierung propagiertenBildungsideals ist, dass man sichgr<strong>und</strong>legend darüber Gedanken machensolle, welche Kompetenzen inwelcher Lernphase eines Lebens erworbenwerden sollen. Mit viel Pathoswird ein gr<strong>und</strong>legenderParadigmenwechsel von einer Inputzueiner Outputorientierung verkündet.Statt sich wie bisher primär Gedankendarüber zu machen, welcheInhalte Studierende lernen, welcheTheorien <strong>und</strong> Methoden sie kennenoder welche schriftlichen <strong>und</strong> mündlichenPräsentationsformen sie nutzensollen, müsse man definieren,welche Fach-, Sozial- <strong>und</strong> SelbstkompetenzenStudierende am Ende zubeherrschen haben. 2 Dabei gibt eskeinen Masterplan zur Umsetzungdieses Paradigmenwechsels, sondernmehrere Initiativen von Bildungspolitikern<strong>und</strong> Bildungsplanerngreifen - manchmal eher zufällig -ineinander.Im Rahmen der internationalenHarmonisierung der Bildungsabschlüssehat die europäische Kommissioneinen sogenanntenEuropäischen Qualifikationsrahmenentwickeln lassen, in dem von derVorschule bis zur Promotion definiertwird, welche Kompetenzen man sichauf jeder Qualifikationsstufe anzueignenhat. Während es auf der Niveaustufeeins um Kompetenzen zur„Erfüllung einfacher Anforderungen“geht, soll es auf der Niveaustufe fünfum Kompetenzen zur „Erfüllung einfacherAnforderungen in einem überschaubaren<strong>und</strong> stabil strukturiertenLern- <strong>und</strong> Arbeitsbereich“ gehen. AufNiveaustufe sechs – dem Bachelorniveau– geht es dann um „Kompetenzenzur Planung, Bearbeitung <strong>und</strong>Auswertung von umfassenden Aufgaben-<strong>und</strong> Problemsteuerungen“ inTeilbereichen eines wissenschaftlichenFaches, während auf der Niveaustufesieben – dem Masterniveau– diese Kompetenzen für ein wissenschaftlichesFach oder für ein Berufsfelderlernt werden. 3Dieser Europäische Qualifikationsrahmenwird von den beteiligten Ländernseit einigen Jahren in NationaleQualifikationsrahmen heruntergebrochen.Natürlich schreibt man auchhier, wie schon beim EuropäischenQualifikationsrahmen, wieder gernedas Adjektiv, das die regionalenGrenzen des Qualifikationsrahmensbezeichnet, mit einem Großbuchstaben,um den Konzepten eine entsprechendeBedeutung zu geben.Die Vorstellung ist, dass durch diesenationalen Qualifikationsrahmen –oder besser Nationalen Qualifikationsrahmen- die abstrakten Kompetenzbestimmungen,auf die man sichauf europäischer Ebene geeinigt hat,mit konkreten nationalen Bildungsabschlüssenverknüpft werden. Dasdeutsche Abitur – so die Vorstellung -soll dann beispielsweise der europäischenNiveaustufe fünf zugeordnetwerden, <strong>und</strong> den Abiturienten solldamit europaweit ermöglicht werden,Studien oder Ausbildungen auf derNiveaustufe sechs zu beginnen.Es reicht für die Gestaltung einesStudiengangs jedoch nicht aus, wennbeispielsweise allgemein für einenBachelor definiert wird, dass Studierendeüber „breites <strong>und</strong> integriertesWissen“ verfügen, ein „sehr breitesSpektrum an Konzepten zur Bearbeitungkomplexer Probleme“ beherrschen,in „ExpertenteamsMan kann vergleichen, wieunterschiedlich erfolgreichHochschulen in Spanien,Großbritannien <strong>und</strong>Deutschland dabei sind,Studierende auf eineeinheitlich definierteNiveaustufe zu heben.12
verantwortlich arbeiten können“„Gruppen oder Organisationen verantwortlichleiten“ <strong>und</strong> „Ziele fürLern- <strong>und</strong> Arbeitsprozesse definieren,reflektieren <strong>und</strong> bewerten“ können.4 Die allgemeinenFormulierungen müssen – so dieVorstellung der Bildungsplaner – mittelfristigfür jedes einzelne Studienfachverbindlich spezifiziert werden.Die dann von den Fachverbändendefinierten Standards für einen Bachelor<strong>und</strong> Master sollen als Orientierungspunktfür die Gestaltung derjeweiligen Studiengänge an den einzelnenHochschulen dienen. 5Damit aber nicht genug. Aus denBeschreibungen der Kompetenzenfür jeden einzelnen Studiengang sollendann die Kompetenzen abgeleitetwerden, die die Studierenden injedem einzelnen Modul erlangen.Statt die Studierenden mit den vonden Lehrenden häufig beliebig gewähltenInhalten von Seminaren zufüttern, komme es darauf an, für jedesModul vorab genaue Lernziele –„learning out<strong>com</strong>es“ – zu definieren<strong>und</strong> die Seminare, Übungen <strong>und</strong> Vorlesungen,aber auch die Selbstlernphasensystematisch auf diese Zieleauszurichten. So sollen sich dannbeispielsweise die in dreißig unterschiedlichenModulen erworbenenverschiedenen Kompetenzen zu denvorher definierten Gesamtkompetenzeneines Bachelorabschlusses addieren.An dieser Kompetenzkaskade wirdan verschiedenen Stellen gearbeitet,sie stellt noch eine abstrakte Visionder Bildungsplaner dar. 6 An der Definitionvon hochschulübergreifendenKompetenzprofilen beispielsweisefür ein Bachelorstudium der Biologie,der Soziologie oder der Romanistikwird bisher lediglich in Pilotprojektengearbeitet. Die an den Universitäten<strong>und</strong> Fachhochschulen angefertigtenKompetenzbeschreibungen für Einzelmoduleeines Studiengangs ergebenin ihrer Summe nicht unbedingtLetztlich werden Lernende wieTrivialmaschinen behandelt,die - wenn man dierichtigen Inputs eingibt -die gewünschten(Kompetenz-)resultate liefern.genau die Kompetenzen, die in einemdeutschen Qualifikationsrahmenfür einen Studiengangvorgesehen sind. Aber es besteht dieHoffnung, dass sich die verschiedenenInitiativen zur Kompetenzorientierungin einer stringenten Formaufeinander beziehen lassen.Sprachschulen als Leitbild dermodernen HochschuleAls Vorbild für eine solche Kompetenzkaskadescheint das Modell derKompetenzvermittlung an Sprachschulenzu dienen. 7 Für Sprachschulen– oder besser fürSprachvermittlung allgemein – istunter Federführung des Europaratesin den letzten Jahrzehnten ein umfassenderReferenzrahmen erarbeitetworden. In diesemReferenzrahmen wird versucht, nebenKriterien für die linguistischeKompetenz – also dem Wissen überGrammatik, Aussprache <strong>und</strong> Orthographie– auch eindeutige Kriterienfür soziolinguistische Kompetenzenbezüglich der Sprachverwendung<strong>und</strong> für pragmatische Kompetenzenbezüglich des Einsatzes der Sprachein der Praxis zu definieren. Auf dieserBasis werden dann verschiedene Niveaustufenfestgelegt, die markieren,ob jemand über eine elementare,selbstständige oder kompetenteSprachverwendung verfügt. Die Niveaustufenwerden im Rahmen des Referenzrahmensin weitereUnterstufen zerlegt, die Anforderungenauf jeder Stufe genau definiert<strong>und</strong> dann für jede Sprache bis aufdie Anzahl der zu beherrschendenVokabeln spezifiziert.Durch diesen Referenzrahmen soll- so die Vorstellung von Bildungsplanern- eine zeitliche <strong>und</strong> inhaltlicheSynchronisierung von Bildungsprozessenerreicht werden. 8 Wenn manin einem Spanischkurs an seinerdeutschen Sprachschule die Fähigkeiterworben hat, zum Beispielmündlich einfache Beschreibungenvon Menschen, Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungenoder Alltagsroutinenanzufertigen <strong>und</strong> damit die Anforderungenfür die Niveaustufe A1 <strong>und</strong>A2 des Europäischen Referenzrahmenserfüllt, soll man danach einBlockseminar an einer spanischenSprachschule erfüllen können, indem man in den Niveaustufen B1<strong>und</strong> B2 lernt, Sachverhalte klar <strong>und</strong>systematisch zu beschreiben, umdann für den Erwerb der NiveaustufeC1 <strong>und</strong> C2 seine Studien an einerSprachschule in Argentinien fortzusetzen.Die Standardisierung bietet eineVielzahl von Vergleichsmöglichkeiten.Man kann evaluieren, ob Sprachschülerin einer Sprachschule aufMalta genau das Gleiche Lernen wiein einer Realschule in Deutschland.Man kann vergleichen, wie unterschiedlicherfolgreich Hochschulen inSpanien, Großbritannien <strong>und</strong>Deutschland dabei sind, Studierendeauf eine einheitlich definierte Niveaustufezu heben. Man kann nachforschen,wie hoch jeweils derfinanzielle Aufwand an den Unis inBonn, Oxford <strong>und</strong> Madrid ist, um ihreStudierenden von der Niveaustufesechs auf die Niveaustufe sieben zubringen. Durch die Produktion einheitlicherKompetenzkriterien werdendann nicht nur neue Vergleichs-,sondern auch bisher noch nicht genutzteRationalisierungsmöglichkeitengeschaffen.Das Technologiedefizit der ErziehungIn dem „Modell Sprachschule“ wirddie Erziehung von Studierendenletztlich wie eine Technologie behandelt,die zur Erreichung vorher definierterZiele – der Kompetenzen –eingesetzt wird. Genauso wie bei derProduktion eines Automobils definiertwird, was der Pkw am Endekann, soll auch für Studierende überein vorher genau zu erarbeitendesKompetenzprofil festgelegt werden,wie die Studierenden am Ende aussehensollen. Und ähnlich wie bei derFertigung <strong>und</strong> Montage eines Fahrzeugeswird davon ausgegangen,dass es auch in der Erziehung Technikengibt, mit denen Personendurch kalkulierbare Prozesse in einvorher definiertes Bildungsproduktumgeformt werden können. 9 Letztlichwerden Lernende wie Trivialmaschinenbehandelt, die - wenn mandie richtigen Inputs eingibt - die ge-Es gibt keine Möglichkeitenfestzustellen, wie viel Zeitvonnöten ist, um beiStudierenden eine vorherdefinierte Kompetenzzu produzieren.13