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Krisen und Katastrophen - sozusagen - WordPress.com

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wirklich von Belang ist […], was heute diese Semiokratie,diese neue Form des Wertgesetzes attackiert.“ (ebd.).Gerade die kryptische Aneinanderreihung von Buchstabender Graffiti oder mehr noch der Tags seien als „leereSignifikante“ dazu geeignet, die „Semiokratie“ der verwaltetenStadt in eine Krise zu stürzen.Neben dem diskursiven Aspekt der architektonischenHegemonie, die jedem Raum die Perspektive der Mächtigenaufzwingt (Vgl. Zukin 1993: 16), hat die verwalteteStadt jedoch auch unmittelbarere praktische Auswirkungen:So ist das Verschwinden frei nutzbarer öffentlicherRäume bereits ein stadtsoziologischer Allgemeinplatz geworden.Private Sicherheitsdienste kontrollieren nichtmehr nur Verkaufsräume, sondern auch die angrenzendenStraßen, spezielle „Behinderungsmöblierung“, dieHinsetzen oder -legen unmöglich macht, setzt die Normdes Laufens <strong>und</strong> Kaufens durch. Jeder Raum ist verwaltet<strong>und</strong> kontrolliert <strong>und</strong> wird von allen Elementen bereinigt,die nicht zu seiner Funktionalität als Zelle desökonomischen Systems gehört (dazu z.B. Davis 1992).Durch diese Privatisierung <strong>und</strong> Funktionalisierung öffentlicherRäume wird deren Aneignung durch die Subjekte,deren Lebenswelt sie bilden, unmöglich gemacht.Genau diese Aneignung der (menschengemachten) gegenständlichenUmwelt ist jedoch für die Kritische Psychologienach Leontjew die Gr<strong>und</strong>lage derSubjektwerdung. Da sich in der menschengemachtenUmwelt die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegeln, wirddurch ihre Aneignung gesellschaftliches Erleben möglich(Leontjew 1973). Spätere Untersuchungen legen nahe,dass eine zentrale Voraussetzung für die Aneignung derUmwelt deren prinzipielle Umnutzbarkeit ist. Diese Umnutzbarkeitwird jedoch in den Städten des Postfordismusdurch menschliche <strong>und</strong> architektonische„Raumwärter_innen“ gezielt verhindert (Vgl. Deinet,2011: 41 ff.): „Herumlungern“ 2 ist in den Bahnhöfen derAktiengesellschaft Deutsche Bahn genauso verboten, wiedas Besprühen der Wände. Die Krise, die der verwaltetenStadt durch „Street Art“ zugefügt wird, offenbart alsoMachtstrukturen, die Ausdruck eines Kampfes um dieAneignung der städtischen Umwelt sind. Dabei könnenjedoch mit dem Begriff des Kampfes nicht wie üblich bewussthandelnde Akteur_innen verb<strong>und</strong>en werden, dader gesamte Prozess der Aneignung üblicherweise unbewusstabläuft.Dieter Baacke (1984) stellte sich die Aneignung derLebenswelt noch als größer werdende Kreise um die eigeneWohnung vor. Die öffentlichen <strong>und</strong> privaten Institutionen,die das Leben von Stadtmenschen prägen, sindjedoch weder um die eigene Wohnung herum angeordnetnoch lassen sie eine Aneignung zu: das Krankenhaus, indem der Stadtmensch geboren wird, die Schule, in der ererzogen wird, die Universität, in der er studiert, die Fabrik,in der er arbeitet, das Pflegeheim, in dem er stirbt;sie alle bestimmen sein Leben <strong>und</strong> doch hat er meistkeinen Einfluss auf sie. Diese Tatsache spiegelt sich inihrer Gestaltung wieder: Wenn das Kind am Morgen indie Schule kommt, wurde der Baum, der noch gestern imHof stand, gefällt, ohne dass es gefragt oder auch nurüber den Gr<strong>und</strong> informiert wurde. Die alte Frau wird in ihremRollstuhl aus dem Zimmer im Pflegeheim geschoben,in dem sie jeden Tag verbringt, damit es einenneuen Anstrich bekommt, in einer Farbe die sie nichtausgesucht hat.Unter dem Eindruck der völlig verwalteten <strong>und</strong> funktionalisiertenpostfordistischen Stadt, wurde das Kreis-Modelldurch das sogenannte Inselmodell ersetzt. Diesesgeht davon aus, dass die städtische Lebenswelt jenseitsder eigenen Wohnung nicht mehr zusammenhängendangeeignet werden kann, sondern sich aus vereinzeltenInseln zusammensetzt, mit denen jeweils spezifischeFunktionen verb<strong>und</strong>en sind (Deinet 2011: 48). Aber auchdieses Modell unterstellt die (Eigentums-)Wohnung alsHeimat <strong>und</strong> Prototyp der angeeigneten Lebenswelt <strong>und</strong>hinkt damit hinter der Realität der Mietwohnungen her,die die räumliche Fremdbestimmung bis ins Schlafzimmerfortsetzt, an dem schon die kleinsten Veränderungenuntersagt sind oder zumindest der Genehmigung bedürfen.Selbst der eigene Körper kann als völlig angeeigneterRaum in Frage gestellt werden, zeichnet sich derPostfordismus doch gerade durch die Produktion einesProduktes aus: Dem des pseudoindividuellen„Lifestyles“, der von der Form der Schuhe bis zur Formder Nase alles unter seiner Kontrolle hat. „Was wir in derÖffentlichkeit spazieren tragen, sind immer weniger individuelle<strong>und</strong> immer mehr virtuelle Körper, die nicht mehruns, sondern Nike <strong>und</strong> Adidas gehören.“ (Waldvogel2006: 64).Insgesamt erscheinen deshalb die Dualismen von angeeignetervs. fremdbestimmter Lebenswelt, Macht vs.Arne Kramer­S<strong>und</strong>erbrink / <strong>sozusagen</strong>23

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