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18 - Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn

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Austausch der Gerontopsychiatrischen Fachkräfte aus den Altenzentren<br />

Fallbesprechungen nehmen Ängste und<br />

geben Handlungssicherheit<br />

<strong>Heiligenbronn</strong>. In den Altenzentren der<br />

stiftung st. franziskus heiligenbronn steigt<br />

der Anteil an psychisch kranken alten Menschen<br />

kontinuierlich an. Etwa 60 Prozent<br />

der Bewohner und Bewohnerinnen sind an<br />

einer Demenz oder an einer Depression<br />

erkrankt. Ihre individuelle Betreuung und<br />

Pflege braucht Erfahrung, Fachwissen und<br />

eine hohe soziale Kompetenz.<br />

Demenzerkrankung nicht heilbar<br />

Demenz ist ein Thema, das heute sehr viele<br />

Menschen bewegt. Bis vor einigen Jahren<br />

noch verdrängt oder als Einzelschicksal<br />

betrachtet, nehmen das Interesse und der<br />

Informationsbedarf der breiten Öffentlichkeit<br />

stetig zu. Trotz intensiver Forschungen<br />

ist die Ursache der Demenz noch nicht hinreichend<br />

geklärt. Medikamentöse Therapien<br />

können den Verlust des Kurzzeitgedächtnisses<br />

in der Anfangsphase der Erkrankung<br />

verzögern. Ein dauerhafter <strong>St</strong>opp oder die<br />

Heilung sind jedoch nicht möglich. Zahlreiche<br />

<strong>St</strong>udien belegen, dass der Erhalt der<br />

Lebensqualität für die Betroffenen entscheidend<br />

abhängt von der Gestaltung der<br />

Beziehungen und des Lebensumfelds.<br />

Experten für Demenz<br />

Um die wachsenden fachlichen Anforderungen<br />

mit den Erfahrungen aus der Praxis<br />

zu verknüpfen und Lernerfahrungen in der<br />

Einrichtungen zu ermöglichen, werden in<br />

der Altenhilfe der <strong><strong>St</strong>iftung</strong> geeignete und<br />

interessierte Mitarbeiterinnen aus den<br />

Altenzentren zu Fachkräften für gerontopsychiatrische<br />

Pflege weitergebildet. Die<br />

berufsbegleitende Schulung dauert zwei<br />

Jahre. Ein Dreiecksvertrag zwischen der<br />

künftigen Fachkraft, der Weiterbildungseinrichtung<br />

und der Teilnehmereinrichtung<br />

gewährleistet die Verknüpfung von Theorie<br />

und Praxis. Die Teilnehmer eignen sich<br />

umfangreiches Wissen zu gerontopsychiatrischen<br />

Krankheitsbildern an. Auf dieser<br />

Grundlage entwickeln sie Projekte, die die<br />

Qualität der Pflege und Betreuung nachweislich<br />

erhöhen.<br />

Fachkraft Gudrun Häfele im Gespräch mit Bewohnerin Lieselotte Bark über den winterlichen Jahreszeitentisch.<br />

Die Gestaltung der Wohnbereiche soll möglichst viele Anknüpfungspunkte für die Bewohner schaffen.<br />

Foto: Bacher<br />

<strong>18</strong><br />

Grundlage aller Maßnahmen sind vorbildhaftes<br />

eigenes Verhalten, Anleitung, Begleitung<br />

und Beratung. In den <strong><strong>St</strong>iftung</strong>s-Altenzentren<br />

sind derzeit 19 gerontopsychiatrische Fachkräfte<br />

beschäftigt, 12 von ihnen haben die<br />

Weiterbildung im Sommer 2010 erfolgreich<br />

abgeschlossen.<br />

Projekte wirken in den Alltag<br />

Eine mündliche Prüfung und die Vorstellung<br />

eines erarbeiteten Projekts bilden den Ab -<br />

schluss der Weiterbildung. Projekte waren<br />

z.B. die Einführung der 10-Minuten-Aktivierung,<br />

bei der mit Hilfe von vertrauten<br />

Gegenständen wie Werkzeugen Erinnerungen<br />

an Tätigkeiten und Erlebnisse geweckt<br />

und ausgetauscht werden. Ein weiteres Projekt<br />

war die Einführung der so genannten<br />

„Bienchendienste“ – kurze, wertschätzende<br />

Kontakte von Mitarbeiter/innen zu Bewohner/innen<br />

mit weit fortgeschrittener Demenz.<br />

Ein „Bienchendienst“ kann z.B. darin bestehen,<br />

mit einer Bewohnerin ein vertrautes<br />

Lied zu summen oder ein Gebet zu sprechen.<br />

Die Umsetzung dieser Projekte trägt<br />

dazu bei, die Handlungsmöglichkeiten der<br />

Mitarbeiter zu erweitern und den Alltag der<br />

Bewohner/innen zu bereichern.<br />

Arbeitstagungen sichern Austausch<br />

Auf Anregung von Christian Müller-Hergl,<br />

bundesweit anerkannter Demenzexperte<br />

und Leiter der Weiterbildung, finden seit<br />

Oktober 2010 zweimal jährlich Arbeitstagungen<br />

für alle gerontopsychiatrischen Fachkräfte<br />

statt. Organisiert werden die Tagungen<br />

von Ursula Bacher, Regionalleiterin in Tübingen<br />

und Fachfrau für den Bereich Demenz.<br />

Darüber hinaus arbeiten die Fachkräfte für<br />

gerontopsychiatrische Pflege in den einzelnen<br />

Einrichtungen und Regionen eng zusammen.<br />

Verhalten von Bewohnern verstehen<br />

Thema der ersten Arbeitstagung waren die<br />

Vorbereitung und Durchführung von Fallbesprechungen.<br />

Sabrina Zermiani und Nelli<br />

Milz, Fachkräfte des Altenzentrums <strong>St</strong>. Elisabeth<br />

in Rottweil, haben als Prüfungsarbeit<br />

ihrer Weiterbildung ein Konzept für Fallbesprechungen<br />

entwickelt und die Umsetzung<br />

in die Praxis begleitet. Fallbesprechungen<br />

franziskus-bote 1/12


Ein weiteres Projekt war die<br />

Einführung der „Bienchendienste“<br />

– kurzen, wertschätzenden<br />

Kontakten zu Bewohnern mit<br />

Demenz. Sie können z.B. darin<br />

bestehen, ein vertrautes Lied<br />

zu summen oder ein Gebet zu<br />

sprechen.<br />

sind im Alltag eines der wichtigsten Instrumente<br />

für eine lernende Organisation. Sie<br />

helfen dabei, das Verhalten von Bewohnern<br />

auf dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte<br />

und ihres Krankheitsbildes zu verstehen und<br />

angemessen darauf zu reagieren. Fallbesprechungen<br />

werden in allen Einrichtungen<br />

eingeführt und finden regelmäßig in den<br />

Bezugspflegeteams statt. An den Fallbesprechungen<br />

nehmen alle Mitglieder eines<br />

Teams teil (Fachkräfte, Helfer/innen, Alltagsbegleiter/innen,<br />

Schüler und Praktikanten).<br />

„Hier sind alle blöd, sieht man doch“<br />

Eine Mitarbeiterin bereitet sich dazu als<br />

„Fallbringerin“ vor. Sie stellt den Bewohner,<br />

seine Biographie und die Probleme und<br />

Ressourcen kurz und präzise dar. Beispiel:<br />

Frau P., die schon seit fast zwei Jahren im<br />

Altenzentrum lebt, hat sich verändert. Sie<br />

fordert in den letzen Wochen von den Mitarbeitern<br />

der Pflege sehr viel Hilfe ein, ruft<br />

und klingelt häufig und beklagt sich, dass sie<br />

zu wenig Unterstützung bekommt. Sie nutzt<br />

ihre eigenen Ressourcen kaum und weigert<br />

sich, wie bisher am Rollator zu gehen. Sie<br />

ist misstrauisch gegenüber den Mitarbeitern<br />

und äußert den Verdacht, bestohlen worden<br />

zu sein. Ihre Essmanieren haben sich verschlechtert:<br />

sie verschüttet viel und spuckt<br />

das Essen häufig aus. Frau P. geht davon<br />

aus, dass sie sich völlig adäquat verhält:<br />

„Hier sind alle blöd, sieht man doch.“<br />

Nach der Fallvorstellung tragen die beteiligten<br />

Mitarbeiter ihre Eindrücke und Erfahrungen<br />

zusammen. Anschließend werden Lösungsvorschläge<br />

erarbeitet und dokumentiert.<br />

Das Team vereinbart verbindlich, wie zukünftig<br />

auf schwierige Verhaltensweisen des<br />

Bewohners reagiert wird. Nach vier Wochen<br />

wird eine Evaluation durchgeführt, d.h. das<br />

Team bespricht, ob die vereinbarten<br />

Lösungsansätze die erwünschte Wirkung<br />

hatten. Gegebenenfalls werden andere<br />

Lösungsvorschläge erarbeitet.<br />

franziskus-bote 1/12<br />

Fallbesprechungen sind für Bewohner wie Mitarbeiter hilfreich. Hier Sabrina Zermiani (links), gerontopsychiatrische<br />

Fachkraft, bei einer Fallbesprechung mit Mitarbeiterin Melanie Burhanli im Rottweiler<br />

Altenzentrum <strong>St</strong>. Elisabeth. Foto: Marchfeld<br />

Team will Unsicherheiten nehmen<br />

Im Fall von Frau P. wird deutlich, dass ihr<br />

Kurzzeitgedächtnis in den letzten Monaten<br />

nachgelassen hat. Folge davon sind vermutlich<br />

die Unsicherheit bei den täglichen Verrichtungen,<br />

das Misstrauen und die Angst<br />

vor vermeintlich Unbekanntem. Das Team<br />

legt fest, dass Frau P. zukünftig eindeutige,<br />

immer gleich bleibende Informationen zum<br />

Tagesablauf erhält. Um die Gehfähigkeit zu<br />

erhalten, wird Frau P. dazu motiviert, den<br />

Weg von ihrem Zimmer zum Aufenthaltsbereich<br />

in Begleitung von zwei Pflegekräften zu<br />

gehen (gibt Sicherheit). Bei den Mahlzeiten<br />

werden Frau P. versuchsweise einzelne Kom -<br />

ponenten passiert angeboten. Möglicherweise<br />

hat sie Probleme beim Kauen. Arthro -<br />

sebedingt hat sich die Bewegungsfähigkeit<br />

ihrer Arme reduziert, Frau P. wird daher<br />

ein speziell gebogener Löffel angeboten.<br />

Fallbesprechungen haben positive Auswirkungen<br />

auf die Bewohner, die Mitarbeiter<br />

und den Ablauf auf dem Wohnbereich. Sie<br />

nehmen Ängste, vermitteln Regeln, geben<br />

Handlungssicherheit und erleichtern so das<br />

komplexe tägliche Miteinander.<br />

Orientierung durch Milieugestaltung<br />

Die Arbeitstagungen finden in verschiedenen<br />

Altenzentren statt. Die Hausführung bei den<br />

Arbeitstagungen ist stets eine willkommene<br />

Gelegenheit zum Austausch über die Möglichkeiten<br />

der Gestaltung der Wohnbereiche.<br />

In den Wohngruppen für Menschen mit<br />

19<br />

Demenz sind Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

mit hohem Aufforderungscharakter ebenso<br />

wichtig wie gemütliche Sitzplätze und interessant<br />

gestaltete Flure, die zum Laufen<br />

anregen. Marc <strong>St</strong>robel, Gerontofachkraft in<br />

Ausbildung, hat sich im Rahmen seiner Projektarbeit<br />

vorgenommen, die Türschilder der<br />

Zimmer zusammen mit den Bewohnern indi -<br />

viduell und biografieorientiert zu gestalten.<br />

Schulungen für das Gemeinwesen<br />

Je intensiver das Thema Demenz in der<br />

Öffentlichkeit diskutiert wird, desto häufiger<br />

werden die Einrichtungen als Kompetenzzentren<br />

für Schulungen von Ehrenamtlichen,<br />

Mitgliedern von Besuchskreisen und Gemein -<br />

demitgliedern nachgefragt.<br />

Ziel der nächsten Arbeitstagung ist es, bereits<br />

vorhandene Schulungsmaterialien zu sammeln,<br />

zu bewerten und auszutauschen. Susi<br />

Rehm aus dem Altenzentrum <strong>St</strong>. Ulrich in<br />

Wehingen bietet z.B. regelmäßig Beratungs -<br />

nachmittage für Angehörige und interessierte<br />

Gemeindemitglieder an. Mehrere Fachkräfte<br />

haben bereits Schulungen für Mitarbeiter<br />

und Ehrenamtliche durchgeführt.<br />

In den kommenden Arbeitstagungen wird<br />

es unter anderem um neue wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse und die Aktualisierung des<br />

Demenzkonzepts gehen, um vorbildliche<br />

Beispiele aus der Praxis und noch umzusetzende<br />

Wünsche der gerontopsychiatrischen<br />

Fachkräfte. Ursula Bacher

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