das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Bombenstimmung 827<br />
Wirt vom 'Schwan' gesagt hat, es hängt davon ab, wo man auf was scheißt.«<br />
(Berthold Brecht: Schweijk im Zweiten Weltkrieg. GW 5, 1974)<br />
Sloterdijks Therapie des Lassens bezieht ihre stärksten Argumente aus der<br />
Philosophie der Bombe. Der Logik der Zerstörung sei nur zu entkommen<br />
durch innere und äußere Abrüstung: »Der moderne Weltprozeß führte zu einem<br />
Punkt, von dem an <strong>das</strong> Äußerlichste, die Politik, und <strong>das</strong> Innerlichste, die<br />
Meditation, dieselbe Sprache sprechen: beide kreisen um den Grundsatz, daß<br />
nur 'Entspannung' noch weiterhilft. Alle Geheimnisse liegen in der Kunst des<br />
Nachgebens, des Nichtwiderstehens.« (I, 260)<br />
Besichtigen wir von hier aus noch einmal die Sloterdijksche Konstruktion<br />
insgesamt: Er versucht die Kritik des Zynismus, einer der Formen, in der die<br />
ungeheuren Potentiale an Desillusionierung, die diese Gesellschaft in den letzten<br />
Jahren produziert hat, vereinnahmt und folgenlos werden. Dabei will er<br />
<strong>das</strong> aufklärerische, <strong>kritische</strong> Potential der Frankfurter Schule, auf <strong>das</strong> sich die<br />
68er Studenten bezogen, und <strong>Theorie</strong>elemente des Marxismus mit Überlebensprinzipien<br />
der alternativen Bewegung verknüpfen: mit dem Insistieren auf dem<br />
Glück hier und jetzt, mit dem Aufstand gegen die Herrschaft des Kopfes über<br />
den Körper, mit dem Bezug auf die zweite Kultur. Alle diese Elemente werden<br />
zusammengezogen zu einem zentralen Knoten, dem Vorschlag, zu unterlassen,<br />
um zu überleben. Der Faden wird so geführt, daß er die Kräfte der Gesellschaftsveränderung<br />
fesselt. Er denkt kein Aktivierungsdispositiv, legt die Fäden<br />
nach dem Muster, <strong>das</strong> Max und Moritz <strong>für</strong> die Hühner der Witwe Bolte<br />
wählten.<br />
Der Beifall, der Sloterdijk aus den Feuilletons entgegenschallte, hat auch damit<br />
zu tun. Die F AZ lobte sein Buch vor allem deshalb, weil es der <strong>kritische</strong>n<br />
Intelligenz vorschlägt, sich aller Ambitionen auf gesellschaftliche Macht zu<br />
entschlagen, weil es den »Verzicht« auf all <strong>das</strong> will, was der »realitätsbezogenen<br />
Praxis als Absicht, Zweck, oder Ideal entgegengestellt« wird. Der Rezensent<br />
der FAZ entnimmt Sloterdijks Buch, Kritik des Zynismus bedeute heutzutage<br />
vor allem Kritik des Marxismus. Er verweist auf die »Reihe der Beispiele<br />
zynischer Bestialität der fanatischen Verfechter des Guten ... Der Kampf <strong>für</strong><br />
<strong>das</strong> Gute stellt sich auf <strong>das</strong> ein, was der Kämpfende <strong>für</strong> die Realität hält und<br />
rechtfertigt so die rücksichtsloseste Machtausübung. Das jüngste Beispiel solcher<br />
Pervertierung ist <strong>für</strong> Sloterdijk der Marxismus.« (FAZ, 7.4.83) So hätte<br />
es Sloterdijk nicht gesagt (mindestens hätte er sich die zynische Pointe nicht<br />
entgehen lassen, daß in der FAZ vom Umgang mit Macht dringend abgeraten<br />
wird), aber so kann es von ihm gesagt werden, denn sein <strong>Theorie</strong>ansatz ist universell<br />
fungibel. Die FR sieht diesen Aspekt immerhin: »Eine solche Lebensphilosophie<br />
des Lassens, des Zu- und Unterlassens, der Identitätsabrüstung, ja<br />
der Passivität ... hat auch befremdliche Züge. Wie sieht sie dort aus, wo nackte<br />
Repression herrscht? Wie steht sie zum Gedanken der Solidarität? Ihr point<br />
d'honneur dürfte dort zu suchen sein, wo Kynismus durch die Situation in Zynismus<br />
übergehen kann.« (FR, Ostern 1983) Sloterdijks Kynismus geht unablässig<br />
in Zynismus über, hält viel vom Überleben, wenig von der Solidarität.<br />
Einverständnis ist nicht nur in Ländern »nackter Repression« eine »befremdliche«<br />
Haltung.