das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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866 Ernest Borneman<br />
die These von der universellen Gültigkeit der männlichen Homosexualitätsangst<br />
und ihres Einflusses auf die angebliche Furcht aller Männer vor der Entjungferung<br />
ihrer weiblichen Blutsverwandten durch fremde Männer.<br />
8. Übernehme ich nun die strukturalistische Technik, mit der Devereux vorgeht,<br />
so muß ich mich fragen, ob es auf Grund seiner Logik nicht irgendwo<br />
und irgendwann gynäkokratische oder zumindest gynäkofokale Gesellschaftsordnungen<br />
gegeben haben muß, in denen dank der Dominanz der Frauen<br />
»Männertausch« und »Männerzirkulation« geherrscht haben. Ich stelle mir<br />
jetzt in Anlehnung an Devereux' Denkmodell die ödipalen Prozesse und ihre<br />
sexuellen Folgen in einer solchen Gesellschaft vor, beginnend mit der dort<br />
zweifellos herrschenden <strong>Institut</strong>ion des Brudertauschs: Sagt also Frau A,<br />
Schwester eines soeben von Frau B verführten Mannes: »Du hast meinen kleinen<br />
Bruder vernascht, liebe B, und hast damit mich und meine ganze Sippe<br />
entehrt. Jetzt werde ich mir erlauben, deinen kleinen Bruder zu verführen, damit<br />
deine Sippe entehrt wird und endlich wieder Recht und Ordnung in unseren<br />
beiden Sippen herrscht.« Oder Frau C, die soeben den Bruder der Frau D<br />
entjungfert hat, sagt zu ihr: »Liebe D, da ich mir gestern deinen Bruder zu Gemüte<br />
geführt und damit deine Familie gedemütigt habe, biete ich dir hiermit<br />
meinen Bruder an, obgleich ich natürlich weiß, daß <strong>das</strong> meine ganze Familie<br />
demütigen wird.« Wieso fühlt jede dieser vier Frauen, daß die Verführung ihres<br />
Bruders durch eine der anderen Frauen sie und ihre ganze Familie entehrt<br />
und demütigt? Weil in dieser Gesellschaftsordnung die Unschuld des Mannes<br />
hin ist, wenn er sich von einer Frau verführen läßt. Da seine Schwester dazu da<br />
ist, seine Unschuld vor allen sexuellen Angriffen durch andere Frauen zu beschützen,<br />
wird auch sie entehrt, wenn ihr dies mißlingt. Entehrt wird durch die<br />
gleiche Verführung aber auch die nächste Blutsverwandte des Mannes - seine<br />
Mutter. Wenn er verheiratet ist und die andere ihm zwar nicht seine Unschuld<br />
geraubt hat, aber doch seine Ehe entwürdigt hat, schändet und entwürdigt sie<br />
durch ihre Verführung des Mannes natürlich auch seine Frau und seine Tochter.<br />
Wieso aber nehmen diese Frauen die Verführung ihres Bruders, Gatten,<br />
Sohns oder Vaters durch eine andere Frau so schrecklich ernst? Wieso fühlen<br />
sie sich durch einen sexuellen Akt, der eigentlich nur die beiden Beteiligten etwas<br />
angeht, entehrt und gedemütigt? Weil diese Frauen eine sehr schwache<br />
Heterosexualität besitzen und dauernd <strong>für</strong>chten, daß die andere Frau eigentlich<br />
gar nicht so sehr den Mann - den Bruder, Gatten, Sohn oder Vater - als<br />
vielmehr dessen Schwester, Gattin, Tochter oder Mutter verführen wollte. Das<br />
ist aber eine indirekte Anklage gegen die Schwester, Gattin, Tochter oder Mutter,<br />
daß auch sie eigentlich lieber mit der verführenden Frau als mit dem eigenen<br />
Mann geschlafen hätte und ist also eine indirekte Bezichtigung, daß sämtliche<br />
weiblichen Blutsverwandten des verführten Mannes lesbisch seien. Da gerade<br />
Frauen, die ihre lesbischen Neigungen intensiv verdrängt haben, besonders<br />
empfindlich gegen solche Bezichtigungen sind, empfinden sie sie als demütigend<br />
und fühlen sich verpflichtet, ihre Heterosexualität unter Beweis zu<br />
stellen, indem sie eine möglichst große Anzahl von Männern verführen - vorzugsweise<br />
natürlich die Gatten, Brüder, Väter oder Söhne jener Frauen, die ihre<br />
eigenen Gatten, Brüder, Väter oder Söhne verführt und dadurch entehrt ha-<br />
DAS ARGUMENT 142/1983