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06 TitelDer alte Mann und der ZufallEin geplantes Leben lebt nicht. Matthias Bolsinger besuchte Stanislaw Kubicki, FU-Gründungsmitglied,Matrikelnummer 1 und Vertreter einer Lebensphilosophie, die in Vergessenheitgerät.Zwei, vielleicht drei Sekunden lang ist nur der rasselndeAtem von Hündin Kira zu hören, die unter dem Wohnzimmertischzwischen Halbschlaf und Schlaf wandelt.Die sonore Stimme Stanislaw Kubickis wird von den unterder Bücherlast ächzenden Regalen gedämpft. Er wählt seineWorte mit Bedacht, auch wenn er das meiste davon schonunzählige Male erzählen musste: seine Kriegsgefangenschaft,die Gründung der Freien Universität, ein Münzwurf,seine Matrikelnummer, seine Professur. Auf den erstenBlick erscheint die Lebensgeschichte des 87-Jährigen linear.Auf den zweiten aber ändert sich dieser Eindruck; auch erdurchlebte Momente, in denen alles hätte anders kommenkönnen.1945: Der junge Kubicki stapft durch den Wald. DasScharmützel an der Oder: verloren. Kubicki will nicht auf dieandere Seite des zugefrorenen Flusses gehen, dort wartetdie Wehrmacht. Er will aber auch nicht diesseits desWassers bleiben, hier wartet die Rote Armee. Alsoentscheidet er sich einfach nicht. Er setzt einenFuß vor den anderen, bis nach zwei Stunden dasSchicksal für ihn entscheidet. Kugeln schlagen zuseinen Füßen ein. Die Russen nehmen ihn gefangen.»Natürlich dachte ich nach, was die Zukunftbringen wird. Ich hatte immer Pläne«,erzählt Kubicki. »Für mich stand fest: Ichwill Medizin studieren.« Doch die Unwägbarkeitendes Krieges ließen es für jungeLeute nicht zu, ihr Leben zu entwerfen:»Konnte ja ’ne Kugel kommen – bumms,war man weg«. Damals – Kubicki warkeine 20 Jahre alt – träumte er von einem kleinen Grundstückmit einer Laube, für sich und seine Mutter. Sein Vater,bekennender Anarchist, war von der Gestapo in Polen ermordetworden.* * *Heute ist der Krieg woanders. Die nachfolgenden Generationenkönnen ihr Leben nach ihrem Willen gestalten. Wohlnie zuvor erlebte die Menschheit so intensiv, wie in jedemAugenblick die Zukunft wartet. Die Gegenwart schrumpftzusammen. Die Zukunft wird kalkuliert, das Vergangenekommt aufs Papier: in den Lebenslauf. Früher verwies dieserBegriff auf die Geschichte eines gelebten Lebens. Heuteauf das, was die Gesellschaft an einem Menschen für wertvollhält: Preise, Praktika, besondere Fähigkeiten.Der CV-Fetischismus ist allgegenwärtig. Er steht sinnbildlichfür ein kapitalistisches Phantasma: Alles muss formbarsein – der eigene Körper genauso wie das eigene Leben.Die Freiheit, die diese Ideologie suggeriert, erfahren vieleMenschen nicht nur als Last, sondern auch als Verantwortungfür ein erfolgreiches Leben, das sie – wem auch immer– schuldig sind. Sie ist auch ein Trugbild. Mit ihr kommt einunsichtbarer Beipackzettel, der diktiert, wie man diese Freiheitgefälligst zu verwenden habe. Die Grenzen, innerhalbderer ein Leben als gelungen gilt, sind längst gezogen. Seifrei! Aber sei glatt, sei geradeaus! Plane dein freies Leben!Der Zufall ist in der Moderne nicht willkommen.* * *1944 hatte Kubicki noch erlebt, wie die Hörsäle der Friedrich-Wilhelms-Universitätzu Berlin mit Männern in SA-Ein Porträtfoto aus dem StudienbuchStanislaw Kubickis von 1948


Titel07Die Matrikelnummer 1 für den FU-Mitgründer: Stanislaw Kubickis persönliche Studienakteaus dem Jahr 1948 (links). Kubicki beim Gespräch in seinem Wohnzimmer (rechts)Uniformen gespickt waren und Anatomieprofessor AntonJohannes Waldeyer, ebenfalls in Braun, die Studierendenmit dem Hitlergruß willkommen hieß. Jetzt musste Kubickials Medizinstudent mit ansehen, wie an der Linden-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, unter demEinfluss der SED rote Fahnen gehisst wurden und alle StudierendenVorlesungen in Marxismus-Leninismus belegenmussten. Wieder war die Wissenschaft nicht frei.Als Studierende aus politischen Gründen exmatrikuliertwurden, kam es zu Protesten. Mit der Unterstützung derAlliierten und einiger Politiker gründeten Kubicki und seineFreunde eine neue, freie Universität.Anfangs mussten die Gründungs-Studierenden der FreienUniversität Berlin kräftig mit anpacken. Sie schleppten dieStühle von Raum zu Raum, sogar in einem Kino wurde eineZeit lang gelehrt. Kubicki war für die Immatrikulation seinerneuen Kommilitonen zuständig. Als ihm im Herbst 1948der Auftrag erteilt wurde, alle Medizinstudierenden von Abis K einzuschreiben, wollte sich Kubicki natürlich selbst dieMatrikelnummer 1 geben. Doch auch sein Freund HelmutCoper hatte es auf die begehrte Nummer abgesehen. Coperund Kubicki warfen eine Münze. Es gewann Kubicki. Ein einschneidenderMoment im Leben des Medizinstudenten: EinMünzwurf machte ihn zur Galionsfigur der Freien Universität.Es war Zufall.* * *Der große Plan widerspricht dem Leben. Er ist von vornhereinzum Scheitern verurteilt. »Wenn ich auf mein Lebenzurückblicke, sieht vieles so aus, als hätte es logischerweisepassieren müssen«, sagt Kubicki. »Dabei war das meiste Zufallund Glück.« Er schwamm im Strom der Zeit mit. Wennsich eine Gelegenheit bot, griff er zu. So wurde Kubickischließlich Professor für Neurologie – an der Universität,die er selbst mitgegründet hatte.Auch Kubickis Liebesglück kam aus dem Nichts. Er warbereits im Ruhestand, als er Petra wiedertraf. Sie war ihmim Juni 1960 an der Uniklinik begegnet. Die adrette Dameim Petticoat, die eine Ausbildung absolvierte, war ihm damalssofort aufgefallen. Die beiden lernten sich kennen, verlorensich aber wieder aus den Augen. Im Jahr 2007 wollteKubicki eigentlich nur ein Gemälde seiner Mutter fotografierenlassen. Zufälligerweise befand es sich in ihrem Besitz.Ihre Lebenslinien kreuzten sich erneut. Petra und Stanislawheirateten.Betrachtet man das Leben der Matrikelnummer 1 derFU – ein Leben komponiert vom Zufall – erscheint die Lebensverwaltungvieler junger Leute heute wie ein schlechterWitz. Dabei bedeutet das Sich-Einlassen auf den Zufallkeineswegs Passivität. Wenn Kubickis Beispiel eines zeigt,dann, dass es selbst eine radikal aktive Wahl ist, für das Unwägbareoffen zu bleiben.* * *Kira schnaubt auf und döst weiter. Stanislaw Kubicki plaudertüber seine Kindheit in der Britzer Hufeisensiedlung, inder er noch immer wohnt. Lebensgeschichten im Brennglas,alle im Wirbel der Unwägbarkeiten. Ein Freund Kubickisspielte öfter mit den Kindern von Adolf Eichmann, derum die Ecke wohnte. Wenige Häuser weiter dichtete deranarchistische Schriftsteller Erich Mühsam: »Das Lebenund die Liebe ehren / das möchten wir Euch eben lehren.«Eine Gesellschaft aus Menschen, die ihr Leben minutiös amReißbrett entwerfen, um es später in Tabellen einzutragen,hat das verlernt. Dem Zufall aber das Handwerk zu legen,das vermag sie nicht.Seinem fünfjährigen Neffen musste MatthiasBolsinger versprechen, dass sie nochgemeinsam studieren werden. Die Bachelorarbeithat also Zeit.Foto (rechte Seite): Cora-Mae GregorschewskiArchivmaterial: Freie Universität Berlin, Universitätsarchiv,Immatrikulationsamt, 1 (links oben); Freie Universität Berlin,Universitätsarchiv, Vorlass Stanislaw Kubicki (links unten)


08 Titel»Nimm dir verdammtnoch mal die Zeit!«Der Lebenslauf ist längst Statussymbol. Die Dauer des Studiums spielt dabeieine tragende Rolle – angeblich zumindest. Sollte uns das kümmern? TychoSchildbach und Katharina Fiedler haben mit einem Langzeit – und einemTurbostudenten über Sinn und Unsinn ihrer Studiengestaltung diskutiert.Filip Tuma (30) schreibtnach 13 Semestern seine Magisterarbeitin Sinologie. AlsNebenfächer studierte er Musikwissenschaftund Politikwissenschaft.Zusätzlich lernte erChinesisch und war journalistischtätig. Filip war anderthalbJahre während des Studiumsim Ausland, in Shanghai undParis. Er finanziert sich durchNebenjobs.Christoph Schaller (22),genannt Chris, steht nachsieben Semestern vor seinerMasterarbeit in Mathematik.Nach zwei Jahren Studiumhatte er schon den Bachelorin der Tasche. Nebenbeistudierte Chris vier SemesterVollzeit Physik, weil Mathe ihnnicht genug forderte. Jetzt willer promovieren. Geld verdientChris unter anderem als Tutor.<strong>FURIOS</strong>: Was ist für euch der Wert desStudiums?Chris: Selbstfindung. (lacht)<strong>FURIOS</strong>: Dafür hast du Zeit?Chris: Ja, das geht schon. Im Studium kannman vieles tun, was man später nicht mehrmachen kann.Filip: Betreibst du Selbstfindung als Hobbyoder im Studium?Chris: Ich bin kein Mensch, der darin aufgehtnur zu studieren. Ich bin im Fußballvereinund spiele außerdem zwei Instrumente.Selbstfindung betreibe ich also nebenher.<strong>FURIOS</strong>: Deine Einstellung zum Studiumist also eher pragmatisch.Chris: Ja. Ich wusste schon nach dem Abi,dass ich Mathe studieren und promovierenmöchte.Filip: Mit 21, als du deinen Mathe-Bachelorhattest, habe ich mein erstes Studium,Informatik, abgebrochen und nach einemNeustart gesucht. Ich würde niemandenverurteilen, der sich die Zeit nicht nimmt, umeine Entscheidung zu treffen. Ich habe siegebraucht, also habe ich sie mir genommen.<strong>FURIOS</strong>: Die Frage ist, wie Arbeitgeberüber Studierende urteilen, die länger brauchenals vorgeschrieben ist. Wie schätzt ihreure Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein?Filip: Der Punkt ist, dass wir uns nicht nurauf die bekannten Arbeitgeber konzentrierendürfen. Deshalb mache ich mir generellkeine Sorgen, wenn ich bereit bin, ein bisschenüber den Tellerrand zu schauen.Chris: Es ist nicht so, dass ich denke, ichwäre der Beste und mich würde jeder nehmen.Ehrlich gesagt mache ich mir darüber


Titel09nicht wirklich Gedanken. Aber hast du nichtAngst, als Arbeitnehmer unattraktiver zusein, weil du lange studiert hast?Filip: Nein. (lacht) Aber ich hatte natürlichdiese Ängste.Chris: Die hast du wieder abgelegt?Filip: Der Lebenslauf bringt dich wirklichnur bis ins Personalbüro. Bei allem danachkommt es auf dich an und nicht auf deinenCV. Die Arbeitgeber wollen wissen, ob dudie Arbeit machen kannst.Chris: Aber gerade wenn es um eine Beförderunggeht, schaut der Personalbereichnoch mal drüber.<strong>FURIOS</strong>: Also legst du großen Wert auf einenlückenlosen Lebenslauf?Chris: Nein, aber ich denke, es hat Vorteile.Es ist nicht der alles entscheidende Faktor,aber viele Unternehmen checken bei Bewerbungenerst einmal den Standardlebenslaufauf Regelstudienzeit und Auslandssemester.Filip: Nach diesem Schema wirst du nichtdie besten Mitarbeiter finden. Aber da diePersonalabteilungen der großen Unternehmengenau so arbeiten, poliert jeder seinenLebenslauf auf. Tätigkeiten werden danachausgewählt, wie sie sich im CV machen.Wenn das jeder macht, verliert der Lebenslaufan Wert und an dem Punkt sind wirschon längst.<strong>FURIOS</strong>: Der Lebenslauf ist also ein Statussymbol?Filip: Ja, genau.Chris: Da ist schon was dran.<strong>FURIOS</strong>: Wir studieren an einer staatlichenUni. Kannst du, Filip, den Vorwurf nachvollziehen,dass du so lange Zeit auf Kosten derSteuerzahler studiert hast?»Der Lebenslaufbringt dich nur bisins Personalbüro«Filip: Das ist die Art von Propaganda, mitder die Bologna-Reform begründet wurde.Ich bin noch keine produktive Kraft dieserGesellschaft. Aber was ist der Aufwand, dender Staat und die Uni haben, dass ich mich inSeminare setze? Die müssen die Gebäude inStand halten und die nutze ich. Aber das hättensie auch getan, wenn ich nicht hier wäre.Chris: Wenn das jetzt aber jeder sagt, funktioniertdas System nicht.Filip: Wir bemessen das Studium heuteausschließlich nach den potenziellen Produktivkräften:Welche Kosten ersparen wir derGesellschaft? Was dabei völlig außer Achtgelassen wird, sind die Gedanken, die hierausgetauscht werden.»Das Systemfunktioniert nicht,wenn jeder solange studiert«Chris: Ich bleibe dabei: Nicht jeder kann esso machen wie du.Filip: Ich habe den Eindruck, dass da einunglaublicher Bruch zwischen unseren Generationenist, was die Gesellschaft voneinem erwartet. Jede Sekunde, die du längerStudent bist, giltst du als Schmarotzer.Ich bin hier, um mich ernsthaft mit Themenauseinanderzusetzen, die ich nicht in einemSechssemesterstudium lösen kann.Chris: Man kann sich auch drei Jahre mitirgendwas auseinandersetzen und nicht sehrproduktiv dabei sein.Filip: Wenn es dir um Produktivkraft geht,mach’ eine handwerkliche Ausbildung. Mangeht nur noch an die Uni, um einen Schein zuhaben, wo »Universität« draufsteht.<strong>FURIOS</strong>: Hat bei dir vielleicht auch Bequemlichkeiteine Rolle gespielt?Filip: (lacht) Das Problem ist, obwohl wirnoch unser ganzes Leben vor uns haben,wird uns suggeriert, den perfekten Lebenslaufhaben zu müssen: eine fröhliche Familie,Auslandserfahrung, einen super Job undfünf Hobbys – das ist der Anspruch heute.Irgendwann muss man sich entscheiden.Chris: Man kann doch mehrere Dingegleichzeitig machen. Ich wäre nicht zufriedendamit, weniger als 30 Leistungspunkteim Semester zu machen.<strong>FURIOS</strong>: Du bist aber auch ein Stressjunkie!Chris: (lacht) Ich stehe da überhaupt nichtdrauf. Wie kann einem Stress Spaß machen?Ich bin total happy, wenn ich etwas geschaffthabe.<strong>FURIOS</strong>: Aber du rennst von einem Erfolgzum nächsten, weil dich das so glücklichmacht?Chris: (lacht) Nein, nein, nein! Ich findeStress doof! Trotzdem schiebe ich keine Aufgabenvor mir her. So ein Wischiwaschi istfür mich keine Option.Filip: Aber wenn du alles gleichzeitigmachst, leidet irgendwann die Qualität. Abeiner gewissen Belastung kannst du einfachnicht das Ergebnis abliefern, das du möchtest.Chris: Das ist echt der Kernunterschiedzwischen uns. Für dich ist es der Anspruch,etwas qualitativ Hochwertiges zu machen.Ich hingegen will Ziele sofort durchsetzen.Ich denke schon, dass die Qualität mitunterleidet. Manchmal finde ich es schade, nichtdie Zeit zu haben, noch weiter in die Tiefezu gehen.Filip: Aber da sag’ ich dir ganz offen: Du bist22 – nimm dir verdammt noch mal die Zeit!Chris: Wenn ich alles mache, was mich interessiert,würde ich nicht fertig werden. Fürmich ist es kein erstrebenswertes Ziel ewigzu studieren. Das passt nicht in mein Gesellschaftsbild.»Selbstzweifelsind für mich eineSchwäche«<strong>FURIOS</strong>: Gab es Momente, in der ihr euerStudienkonzept in Frage gestellt habt?Chris: Nö.Filip: Keine Zeit für Selbstzweifel?Chris: Natürlich nicht. Selbstzweifel sind fürmich eine Schwäche.Filip: Polemisch gesagt: Deine Generationist nicht mehr in der Lage, Zweifel auszuhalten.Ich war nicht immer von dem überzeugt,was ich tue. Aber gerade das bringtdich voran. Ich bin aus solchen Phasen immergestärkt hervorgegangen.Fotos: Christoph SpiegelTycho Schildbach hält KatharinaFiedlers Lebenslauffür den Porsche unterden CVs, seinen eigenenfür einen bunten Trabi.Die Diskussion läuft.


10 TitelTotalausfallWas macht eine plötzlich auftretende Krankheit mit dem Laufdes Lebens? Mareike-Vic Schreiber traf einen Studenten, demschlagartig sämtliche Haare ausfielen.


MOVI E MENTODAS ÄLTESTE KINO DEUTSCHLANDS – GERMANY‘S OLDEST CINEMAAls Sebastian an einem Donnerstag im Frühjahr2012 aufwacht, hat er Haare im Mund.Er richtet sich auf, fasst sich an den Kopfund kann kaum glauben, was er spürt und sieht:Sein Kissen ist bedeckt mit Haarbüscheln, an seinemKopf ertastet er kreisrunde kahle Stellen.Danach geht alles ganz schnell. Innerhalb vondrei Wochen verliert Sebastian sein gesamtesKopfhaar, ein Drittel davon bei einer einzigen Dusche.Es vergehen keine zwei Monate, bis der damals19-Jährige auch von Augenbrauen und WimpernAbschied nehmen muss, kurz darauf findetsich kein einziges Haar mehr an seinem Körper.Binnen kürzester Zeit verändert sich SebastiansÄußeres völlig. Der Schicksalsschlag reißt nichtnur ein tiefes Loch in den Alltag des Abiturienten –sein Lebenslauf gerät ins Stocken.Kurz vor seinem Abitur erkrankte Sebastian anAlopecia areata universalis, genannt »kreisrunderHaarausfall am gesamten Körper« – eine Krankheit,bei der das Immunsystem plötzlich körpereigeneOrgane bekämpft. Derzeit sind etwa zweiProzent aller Menschen von der einfachsten Formdieser Krankheit betroffen. Die genaue Ursachedes Haarausfalls ist immer noch unbekannt. Zwarist es möglich, dass seine Haare irgendwann wiederwachsen. Die Therapien aber, die Sebastianschon hinter sich hat, blieben bislang ohne Erfolg.Zur psychischen Belastung kommt für Betroffenewie ihn auch eine enorme finanzielle: Haare erfüllenkeine lebenswichtige Funktion, ihr Fehlen wirdvon den Krankenkassen als »kosmetisches Problem«betrachtet. Daher muss Sebastian die Kostenfür viele Leistungen selbst aufbringen.Mit dem äußeren Erscheinungsbild verändertensich auch Alltag und Lebenseinstellung desdamals 19-Jährigen drastisch. »Ich bin anfangsnicht mehr aus dem Haus gegangen und habemir durch meine ständige depressive Stimmungdas Leben regelrecht selbst vorenthalten«, erzähltSebastian. Er dachte an Selbstmord. Die Reaktionenseiner Mitmenschen auf sein neues Aussehenwaren oft unsensibel. Besonders traf ihn die Frageseines Schuldirektors, ob er »unter die Radikalengegangen« sei. Manche Freunde begannen, ausAngst oder Scham, Sebastian zu meiden.Auch der kommende Lebensabschnitt sahplötzlich düster aus. Viele von Sebastians Plänenfür die Zeit nach der Schule wurden durch dieKrankheit durchkreuzt: Sein Ausflug in die Modelbranchewar beendet, das gesparte Geld für dieerste eigene Wohnung investierte er in Behandlungen.Seine Krankheit schränkte sogar die Wahlseines Studienortes ein: Für die Therapie mussteer in der Nähe von Berlin bleiben.Um seinen Ängsten entgegenzutreten, begannSebastian, sein Leben mit Alopecia in einemBlog festzuhalten. Das war nur der Beginn einerlangen und schwierigen Auseinandersetzung mitsich selbst und seinem Umfeld: »Die größte Herausforderungwar es, mein Selbstbewusstseinrein auf meine charakterlichen Stärken zu bauen– nicht auf mein Spiegelbild.« Über eine Perückedachte er lange nach. Doch bei den Männerperücken,erzählt er, sei nie eine für ihn dabei gewesen.»Außerdem hätte mich eine Perücke nie zudem selbstbewussten Menschen gemacht, der ichheute bin«, fügt er hinzu.Er findet, dass seine Krankheit ihm frühzeitigLektionen erteilt hat, die andere erst später odernie lernen: »Einige oberflächliche Bindungen gingendurch die Krankheit kaputt«, erzählt er, »andereentwickelten sich dafür umso intensiver.«Das gilt auch für die Partnersuche: »Ich lerne zwardeutlich weniger Leute kennen, jedoch sind dieseKontakte oftmals ehrlicher und weniger auf dasäußere Erscheinungsbild fixiert.«Auf die häufigen Fragen nach seinem Erscheinungsbildreagiert Sebastian gelassen – wenn siein angemessener Form gestellt werden. Doch erhat nicht den Eindruck, im Alltag angestarrt zuwerden: »So wie man in den Wald hinein ruft, soschallt es heraus«, sagt er. Er bemühe sich, anderegenauso wenig nach ihrem Äußeren zu beurteilen,wie er es sich umgekehrt von ihnen wünscht.Seinen neuen Lebensmut gewann er durch dieErfahrungen nach der Schule. Ein spezieller Hilfsantragsicherte ihm einen Platz für Geografie undEnglisch an der Uni Potsdam, in der Nähe seinerHeimat. Eine Erleichterung für Sebastian. »So einBruch im Leben bindet sehr stark an die Familie«,sagt er. Seine Ängste vor der Begegnung mit denKommilitonen erwiesen sich schnell als unbegründet.»Ich wurde ganz normal angeschaut undkonnte somit auch selbstsicher auf Leute zugehenund neue Freunde finden.«Die kleinen Alltäglichkeiten, die für anderelästige Pflicht sind, vermisst er immer noch, soetwa das Rasieren und Haaremachen morgensvor dem Spiegel. Doch Sebastian findet, dassihn die Krankheit menschlich vorangebracht hat,wenn auch zu einem hohen Preis. Er schätze seineGesundheit viel höher und habe gelernt, anderenMenschen unvoreingenommen zu begegnen,sagt er. Von kleineren Sorgen lässt er sich nichtmehr so schnell aus dem Gleichgewicht bringen.Anderen Betroffenen rät er, nicht aufzugeben undoffensiv mit der Krankheit umzugehen: »Je aufgeschlossenerman das Thema behandelt, destobesser ist die Resonanz der Mitmenschen.«Heute ist Sebastian ein Student unter vielen: Erstrebt nach einem erfolgreichen Studienabschlussund träumt vom Reisen und einem erfüllten Leben.Er hat gelernt, sein Leben ohne Haare zu leben– auch wenn es sein größter Traum bleibt, dieMütze eines Tages wieder einmotten zu können.Foto: Lisa KirchnerMareike-Vic Schreiber studiertDeutsche Philologie. Sebastiankennt sie schon seit der Schulzeitund hat besonders Respekt vorseinem Mut.ab 20.6.Promised Land (OmU)ab 13.6.Die Jungfrau, die Kopten & ichCODENAME KINOTragt Euch aufWWW.MOVIEMENTO.DEin den Newsletter ein und besuchtausgewählte Veranstaltungen zumFreundschaftspreis.ab 27.6.A Silent Rockumentaryab 27.6.Papadopoulos & Söhneim KinoCanım KreuzbergMOVIEMENTOKottbusser Damm 22Berlin Kreuzbergwww.moviemento.de030 . 6924785


12 TitelGefälscht gefälltDie Erwartungen an den Lebenslauf sindhoch. Zu hoch. Warum nicht ein bisschenschummeln? Hannah Knuth hat ihren Lebenslauf,nun ja, aufgehübscht – und sichbeworben.Der Anzugträger auf der anderen Seite des Schreibtischesbeugt sich nach vorne. »Sie haben also imletzten Jahr drei Praktika während des Studiumsabsolviert?« Ich nicke. Herzrasen. »Und trotzdem einen Notendurchschnittvon 1,4.« Das ganze Blut meines Körpersströmt in die Wangen. Ich ahne, in welche Richtung dasgeht. Gleich fliege ich auf. Der Anzugträger zieht seine Augenbrauenhoch und schaut mich auffordernd an. »Das ist jaganz schön beachtlich.«Tja, wer würde mich nicht gerne einstellen? Mit meinenangegebenen 23 Jahren bin ich der Traum eines jedenArbeitgebers. Ich studiere im fünften Semester DeutschePhilologie und Politikwissenschaft. Ich habe ein Jahr amUniversity College London studiert, ein Praktikum beim TaschenVerlag in Paris gemacht und ein soziales Jahr in Indien.Außerdem spreche ich fließend Englisch, Französischund Spanisch und habe ein Latinum in der Tasche.Die Wahrheit: Dieser Lebenslauf ist geschönt. Sehr geschönt.Man könnte auch von einer Fälschung sprechen.Doch wird das irgendwem auffallen? Wie weit werde ich esmit diesem Lebenslauf schaffen? Ich bewerbe mich für achtPraktika bei verschiedenen Verlagen und <strong>Online</strong>-Redaktionen– und der Zuspruch ist gigantisch! Die meinen daswirklich ernst. Niemand will Studiennachweise oderZeugnisse sehen.Am Tag meiner großen Show steige ich um10 Uhr am Alexanderplatz aus und blicke mitgroßen Augen auf das Hochhaus des BerlinerVerlags. Mir steht ein Bewerbungsgesprächum einen Praktikumsplatz bei dem Internetportal»Berlin <strong>Online</strong>« bevor. Das Hochhaus wirktmächtig. Auf einmal bekomme ich Angst.Im Fahrstuhl nach oben bemerke ich meineschwitzigen Hände. Scheiße. Ich suche verzweifeltnach etwas Kühlendem. Vergeblichklatsche ich meine rechte Hand gegen dieFahrstuhlwand. Oben angekommen meldeich mich bei der Assistentin. Sie gibt mir einenverwunderten Blick: »Hannah Knuth?«Die Assistentin bringt mich in einen kleinenKonferenzraum. Beim Herausgehen fragt sie,ob ich was trinken möchte. Und mit einem Mal fühle ichmich moralisch schlecht. Ich stehle ihnen nicht nur die Zeit,sondern auch die Getränke.Mit der kalten Wasserflasche in der rechten Hand blickeich aus dem großen Fenster über Berlin. »Schöner Ausblick,nicht?«, ertönt eine junge Männerstimme von hinten.Ich drehe mich um und schaue einem hübschen, braungebranntenPrinz Charming in die Augen. Traumtyp. Ich reicheihm meine Hand. Muss er nicht sofort erkennen, dass ichmich als drei Jahre zu alt ausgebe? Wir setzen uns hin undbeginnen zu reden.Es dauert eine ganze Weile, bis er den Lebenslauf indie Hand nimmt. »Du bist also im fünften Semester«, stellter fest und blättert routiniert durch die Unterlagen. »Dannsteht ja demnächst deine Bachelorarbeit an, was ist denndas Thema?«


Titel15»Früher war derLebenslaufstatischer«Michaela Kemmesies, 48, arbeitetin der Kaffeebar der Silberlaube.Zum Studentenwerk kamsie über Umwege.Mein bisheriger Lebenslauf war nahezu geradlinig.Deshalb würde ich auch kein Ereignisstreichen wollen. Ich begann eine Ausbildungzur Frisörin und arbeitete einige Jahrein diesem Beruf. Als meine Tochter geborenwurde, blieb ich zunächst zu Hause. Es warmir immer wichtig, eine Familie zu gründen.Aber als das Kind größer wurde, fehlten mirdie sozialen Kontakte. Ich entschied michalso, ein neues Kapitel in meinem Lebenaufzuschlagen und in meinen Beruf zurückzukehren.Nach zehnjähriger Pause hat dasjedoch nicht mehr funktioniert. Über eineFreundin kam ich zum Studentenwerk undes fühlt sich so an, als wäre ich in irgendeinerForm angekommen. Ich habe jeden Tagmit verschiedenen Menschen zu tun und erfülleeine Serviceaufgabe – genau das, wasmir in einem Job wichtig ist. Ich frage michöfter, ob ich nicht einen anderen Weg hätteeinschlagen sollen. Früher war man schnellfestgelegt – der Lebenslauf war statisch.Heutzutage führen deutlich mehr Wege zumZiel. Aber ich denke, dass ich meinen Wegmittlerweile gefunden habe. Ich bekommeFamilie und Job unter einen Hut und dasmacht mich glücklich.»Ich hätte ein Auslandsjahrmachensollen«Tobias Neumann, 24, studiertam John-F.-Kennedy-InstitutNordamerikastudien und Geschichteim siebten Semester.Für mich als Nordamerika-Student sind guteEnglischkenntnisse zwingend erforderlich.Mein Schulenglisch hat für den Eingangstestam John-F.-Kennedy-Institut zwar gereicht,zum Studienbeginn hat sich jedoch Frustrationbreit gemacht. Schnell kam ich zu derErkenntnis: So wie viele meiner Kommilitonenhätte ich in meiner Schulzeit ein Auslandsjahrin den USA machen sollen! Damalshabe ich mich dagegen entschieden. Heutebereue ich das. Vergangenes Jahr hat michdiese Erkenntnis ein zweites Mal eingeholt.Für meine Bewerbung um ein Auslandssemesterin Kanada musste ich den TOEFL-Test mit mindestens 100 Punkten bestehen.Es hat nur zu 99 gereicht. Ich mussteden Test also wiederholen – Stress pur! AmEnde ist alles gut ausgegangen. Trotzdemhabe ich gemerkt: Sprachgefühl ist aus derFerne schwer erlernbar. Außerdem bietetein Auslandsaufenthalt viele tolle Erfahrungenund neue Freundschaften. Könnte ichetwas aus meinem Lebenslauf streichen, sowäre es deshalb die elfte Klasse in Deutschland– die hätte ich viel lieber in den Staatenverbracht. Rückblickend denke ich, dass icheiniges verpasst habe.»Ich habe ein Jahrlang vergeblich eineFotomappe erstellt«Dr. Stephanie Bung, 39, Privatdozentinund Gastprofessorinam Institut für RomanischePhilologieNach dem Abitur wollte ich Fotografin werden.Warum, weiß ich bis heute nicht genau,denn ich fotografiere weder gut noch gerne.Aber ich hatte diese Vorstellung von mir alskreativen Menschen. Also habe ich ein Jahrlang daran gearbeitet, eine Fotomappe zusammenzustellen,um mich an einer Hochschulefür Fotografie zu bewerben – und binletztlich mit Pauken und Trompeten durchgefallen.Ich kann von den Dingen, die ich indiesem Jahr gemacht habe, praktisch nichtsmehr verwenden. Das war ein klarer Umwegin meinem Lebenslauf, und doch möchte ichihn nicht missen. Denn so besann ich michauf das, was ich bis heute wirklich gerne tue,und studierte Literatur und Kunstgeschichtein Frankreich und Deutschland. Zunächsthatte ich keinen bestimmten Beruf vor Augen,aber nach und nach entwickelte sichder Wunsch, in der Wissenschaft zu bleiben.Man sollte nichts in seinem Werdegang bereuen,sondern aus Fehlern lernen. Dingebrauchen Zeit, um zu wachsen. Ich mussteeinsehen, dass nicht alle meine Vorstellungenrealistisch waren, die ich von mir hatte,aber heute bin ich froh über diese Einsicht.


5 Jahre <strong>FURIOS</strong>In eigener Sache: Ihr haltet unser zehntes Heft in den Händen.<strong>FURIOS</strong> ist im Vorschulalter, das muss gefeiert werden – eineDoppelseite nur über uns! Illustration von Friederike Oertel.Wie alles begann …Am 18. September 2008 blickte die Welt nach New York. Die Investmentbank LehmanBrothers hatte Insolvenz angemeldet, die globale Finanzkrise nahm ihren Anfang.Auf die FU schaute niemand – obwohl es sich gelohnt hätte. Denn just dieser Tag markierteden Start eines neuen Campusmagazins an der Freien Universität: Die Ernst-Reuter-Gesellschaft kaufte mehrere Anzeigen bei der Redaktion von <strong>FURIOS</strong>, diekurz zuvor von einer Handvoll Studierender gegründet worden war. Der Weg fürden Druck des ersten Heftes war geebnet.Nachdem es viele Jahre neben einigen Blogs und Asta-Publikationenkein studentisches Campusmagazin an der FU gegeben hatte, erschien imWintersemester 2008/09 die erste Ausgabe des Magazins. Seitdem istjedes Semester ein neues Heft herausgekommen, zu Themen wie»Humboldt«, »Verhältnisse« oder »Heimat«. Heft 8 über Schönheitwurde jüngst sogar zum zweitbesten deutschsprachigen Campusmagazingekürt. Die <strong>FURIOS</strong>-Redaktion ändert im Semesterrhythmusihr Gesicht, der Anspruch aber ist infünf Jahren derselbe geblieben: UnabhängigerCampusjournalismus – von Studierendenfür Studierende.Die drei fiesesten<strong>Online</strong>-KommentareZu einem Artikel über überfüllte U-Bahnen:»son pseudowitziger mumpitz. meine sitznachbarnkotzten alle samt ab!«Zu einem Artikel über den studentischen Hochschulpolitiker Mathias Bartelt:»Der Artikel ist sowas von daneben! Ihr sollteteuch Schämen!!!!«Zu einem Artikel über den Stupa-Wahlkampf:»kümmert euch um eure studium,als diewelt mit diesen nonsense zu belästigen.das war das erste und letztemal dass ich mir diese seiteangetan habe…«


Drei grundsätzlicheFragen zu <strong>FURIOS</strong>Wie finanziert sich <strong>FURIOS</strong>? <strong>FURIOS</strong> ist völligunabhängig. Wir finanzieren uns ausschließlichdurch Anzeigen, die wir für jedes Heft neu eintreiben.Manchmal noch drei Tage vor Drucktermin. Hat<strong>FURIOS</strong> eine politische Ausrichtung? Nein. Wer unsregelmäßig liest, weiß das auch. Schreit »NeoliberalesPropagandablatt!«, so oft ihr wollt – wer eine Meinunghat und sie aufschreiben kann, darf sie bei <strong>FURIOS</strong>veröffentlichen. Wie setzt sich die <strong>FURIOS</strong>-Redaktion zusammen? Wer zu uns kommt,gut schreibt und bleibt, gehört dazu. Wersich nicht rechtzeitig duckt, leitet einRessort – oder gleich die ganzeRedaktion.Drei Schlagzeilen, die wir gerneinmal drucken würdenAsta-Vorsitzender bekennt:»Ich wähle FDP!«Mensa-Skandal:Café Creme und Tasse Kaffeesind das Gleiche!Erster Schlafsaal inder Philbib eingeweiht!Drei Dinge, die wirEuch nie erzählen wolltenEine Schlagzeile, für die wir noch heute Kritik ernten,würden wir so nie wieder formulieren: »Ein Rudel Titten inDahlem« – aber hey: Das ist jetzt vier Jahre her. Einige vonuns hatten damals noch nicht mal ihr Abitur!Wir müssen zugeben, manchmal kennen wir unser eigenesArchiv nicht und haben deshalb über ein paar Themen schondoppelt geschrieben. Hoffentlich hat’s keiner gemerkt …Ihr findet manche Autorenkästen seltsam? Dann seidIhr Zeugen der Layouter-Rache geworden: Werseinen Text nicht selber schreibt, bekommteinen geschrieben …


Politik19Ordnung muss seinDie FU braucht eine Grundordnung, eine Art Verfassung. So willes das Gesetz. Veronika Völlinger über einen Findungsprozess imSchneckentempo.Es ist einer der ersten heißen Maitage. Im Sitzungssaaldes Akademischen Senats (AS) ist es stickig. Seitmehr als einem halben Jahr steht ein ums andere Malder Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Grundordnung aufder Tagesordnung des AS – und wird nie behandelt. Diesmalwäre es fast so weit gewesen, doch nach vier Stundenendete die Sitzung – einen Tagesordnungspunkt vorder Grundordnung. »Ich bin maßlos enttäuscht«, sagt KlausHoffmann-Holland, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe.»Die Studierenden sind ernüchtert«, sagt Mathias Bartelt,studentisches Mitglied der AG.Der Streit um die Verabschiedung einer Grundordnungan der FU ist ein leiser, aber ein zäher und langwieriger.Die Ordnung soll, ähnlich einer Verfassung, die inneruniversitärenStrukturen regeln. Seit den 1980er-Jahren schreibtdas Berliner Hochschulgesetz das vor. 1998 verabschiedetedie FU eine Teilgrundordnung. Diese besteht bis heute – alsErprobungsmodell.Seitdem ruhte die Erarbeitung einer Grundordnungvorerst. Erst 2007 habe sich wieder verstärkt etwas getan,berichtet Bartelt. Die Studierenden seien es gewesen, diesich unermüdlich dafür eingesetzt hätten. Im Juli 2011 setzteder AS schließlich eine Arbeitsgruppe zur Grundordnungein, die zunächst die Teilgrundordnung auswerten sollte.Um dann – laut AS-Beschluss »gegebenenfalls« – eine neueGrundordnung für die FU zu erarbeiten.Studierende erhoffen sich von derGrundordnung mehr Demokratie– und eine Beschneidungder Rechte des Präsidiums.Doch davon istdie AG weitentfernt. »Das Präsidium wird alles in seiner Macht Stehendetun, um eine Änderung des Status quo zu verhindern«,glaubt Bartelt. Das fange schon bei den Rahmenbedingungenan: Die AG tagt nicht öffentlich.Informationen sind deshalb schwer zu bekommen.Hoffmann-Holland schweigt. Bis sich der AS mit dem Zwischenberichtbeschäftigt habe, wolle er keine Stellungnahmeabgeben. Das Gremium solle sich unvoreingenommeneine Meinung bilden. Dennoch betont er, wie wichtig ihmder Prozess sei.Der AS wird nicht nur den Zwischenbericht diskutieren.Mit der neuen Legislaturperiode des Gremiums muss auchder Fortbestand der AG geregelt werden. Bis dahin habeHoffmann-Holland alle AG-Sitzungen abgesagt, berichtetBartelt. Auf der nächsten Sitzung sollten erstmals Anhörungenstattfinden, um die Teilgrundordnung zu evaluieren.Die Studierenden gehen hart mit den Abläufen ins Gericht.Der Kampf um die Einsetzung der AG, die Nichtbeachtungdes Zwischenberichts über mehrere Monate hinweg –»es war durchweg ein Spiel der Verzögerung«, sagt Bartelt.»Die Studierenden haben das lange genug mitgemacht.«Womöglich werden sie einen eigenen Grundordnungsentwurfeinbringen.Es ist eine Ironie des Schicksals, dass just am Abend derunvollendeten AS-Sitzung die TU Berlin eine neue Grundordnung beschloss, die eine Vier tel pa ri tät im ErweitertenAkademischen Senat vorsieht. Das heißt, die TU-Studierendenhaben genauso viele Stimmen wie Professoren undandere Statusgruppen – eine kleine Sensation.Die FU jedoch diskutiert weiter – über den Fortbestandder AG Grundordnung und über Evaluierungskriterien fürdie Teilgrundordnung, damit die Auswertung stattfindenkann. Damit in ferner Zukunft womöglich eine Grundordnungerarbeitet wird.Ordnung ist bekanntlich das halbe Leben.Politikstudentin Veronika Völlinger lebteher in der anderen Hälfte.Illustration: Clara Straessle


20 PolitikDer Nachbar mit der BombeNordkorea droht seinem südlichen Nachbarn mit einem Atomkrieg. Beobachter sagen, die Lage seiangespannt wie nie – »Ich habe keine Angst mehr«, sagt Südkoreanerin Eunjie Wie. Von Vanessa LyAuf dem Wohnzimmertisch stehen in Im Leben von Eunjie hat das nie eine Rollezwei Porzellanschalen Paprikachips gespielt. Als Kind spielte sie draußen, alsund kirschförmige Gummibärchen. Es Teenager stürzte sie sich ins Gewusel derist Samstag, Eunjie Wie und ihre zwei Freunde Seouler Innenstadt, auch heute bewegt sieplanen einen Filmabend – irgendetwas zum sich dort frei. Nur in der Schule war der KalteLachen. Doch es kommt anders. Die Moderatorinder Nachrichtensendung verliest eineMeldung der nordkoreanischen Nachrichtenagentur.Nordkorea hat Südkorea den Kriegerklärt. Eunjie und ihre zwei Freunde auf demSofa irgendwo in Seoul sagen erstmal nichts.Damals war sie erst seit zwei Monatenzurück in ihrer Heimat, der südkoreanischenHauptstadt Seoul. »Ich hatte wirklich Angst«,sagt Eunjie im Rückblick. Zuvor hatte sie dasWintersemester an der Freien Universitätin Berlin verbracht, hier Englisch auf Lehramtstudiert. Da waren die Probleme mitNordkorea ganz weit weg. Die 21-Jährige aßSchweinshaxe, tauchte in das hippe StadtlebenBerlins ein und erlebte den kältesten Winterihres Lebens. »Die vielen Eindrücke haben Nordkorea die gleichen Wurzeln hat undKrieg Thema. »Uns wurde beigebracht, dassmich mein Heimatland manchmal völlig vergessenlassen.« Seit Eunjie zurück in Seoul ist, nigung wünschen.«dass sich die Südkoreaner die Wiederverei-ist alles wieder da.Dieser Wunsch wird auch auf diplomatischerEbene immer wieder betont. EunjiesZuerst provozierte der nordkoreanischeMachthaber Kim Jong Un Südkorea und die Generation ist dennoch mit der Teilung aufgewachsen.Die Studentin hat sich an die zweiUSA Mitte Mai 2012 mit einem makabrenPropagandavideo, dann kündigte er an, seine koreanischen Staaten gewöhnt: »60 JahreAtomwaffen in Stellung zu bringen, schließlich leben wir jetzt schon so«, sagt sie. Die zweidann die Kriegserklärung. Doch das alles ist Nachbarstaaten trenne längst mehr als nurnur der medienwirksame Höhepunkt einer der Grenzstreifen. Sogar die Sprache seiviel längeren Geschichte: Schon seit Ende des teilweise anders. »Wir sind uns fremd geworden.«Mit einer Wiedervereinigung würdenKoreakrieges 1953 herrscht zwischen denbeiden koreanischen Staaten eine Pattsituation.kommen, um Arbeit zu finden. Die Studentinaußerdem viele Nordkoreaner nach SeoulPHS_StudAbo2_210x74_FuriosSpreeKombi:Layout 1 14.05.2013 12:44 Uhr Seite 1Eunjie Wie ist 21 Jahre alt und lebt in Südkorea. VergangenesWintersemester hat sie an der FU Englisch studiertfürchtet, dass Kriminalität, Gewalt und Arbeitslosigkeitdann wachsen würden – »dasmöchte ich hier nicht«.Zwar hat sie, als sie in Berlin war, diedeutsche Geschichte der Wiedervereinigungkennengelernt – und gesehen,dass es geht. Trotzdem:»Die Situationen sind verschieden«,sagt sie. Währenddas DDR-System 1989 schonbröckelte, sei das Regime inNordkorea immer noch sehrwiderstandsfähig. Eine Abneigunggegenüber Nordkoreanernhabe sie aber nicht.Es sei nicht die Bevölkerung,die sie nicht ausstehen kann:»Es sind Kim Jong Un und seineRegierung.« Er sei für diesozialen Missstände in Nordkoreaverantwortlich.Doch seine Drohungen nimmt die 21-Jährigemittlerweile nicht mehr ernst. »Er will unsnur einschüchtern.« Sie redet viel mit ihrenFreunden über die Situation, einige davonsind im Wehrdienst. »Sie vermuten, dass ernur Geld will.« Ein Krieg würde ihm überhauptnichts bringen. Das hat sie beruhigt. »Jetzthabe ich keine Angst mehr.«Foto: privatVanessa Ly hat mehr Angst vorihrer alten Mathelehrerin als vorKim Jong Un – denn die schlägtwirklich zu, wenn sie das sagt!Psychologie HeuteStudentenabo+ 3 aktuelle compact-Hefte als Begrüßungsgeschenk+ 12 Hefte jährlich+ Kostenfreier Zugang zum Archiv+ Nur € 62,90 (statt € 78,–)PSYCHOLOGIEHEUTEWas uns bewegt.fast20%günstigerwww.abo-psychologie-heute.deJetzt abonnieren undGeschenk sichern!Kostenlos:UpgradeAbo plusAbo plus: Zu den 12 Heften PsychologieHeute gibt es ein Jahr lang alle dreiaktuellen monothematischen SonderheftePsychologie Heute compact kostenlos.


Politik21Junioren in der WarteschleifeJuniorprofessoren an der FU – junge Wissenschaftler mit Karriereaussicht oder billige Arbeitskräftemit schlechten Arbeitsbedingungen? Fanny Gruhl hat bei einigen nachgehakt.Stephan van Gasselt seufzt. »Ich konnte nicht ruhigschlafen«, sagt er. Seit einem Jahr trägt der Wissenschaftlerdie alleinige Verantwortung für die ArbeitsstellePlanetologie und Fernerkundung an der FU – und fürdie 25 Mitarbeiter dort. Das heißt: Drittmittel einwerben,Papierkram erledigen und die Arbeitsgruppe leiten. Normalist das nicht: Van Gasselt ist Juniorprofessor. Eigentlich sollteer sich um seine Forschung kümmern, um sich so für eineLebenszeitprofessur zu qualifizieren.Vor einem Jahr aber verließ der Planetologie-ProfessorGerhard Neukum das Institut, seine Stelle blieb vakant. DiePlanetologie an der FU ist seitdem im Umbruch – ihre Zukunftungewiss. Genauso wie die von van Gasselt. Denn imApril 2016 endet seine sechsjährige Anstellung als Juniorprofessor.Da er bereits an der FU promoviert hat, darf ernicht bleiben – das sieht das Berliner Hochschulgesetz vor.»Ich habe derzeit hier an der Uni keine Zukunftsaussichten«,sagt er.Dabei soll die Junioranstellung, die so genannte W1-Professur, Nachwuchswissenschaftlern eine Perspektiveschaffen. Sie wurde 2002 deutschlandweit eingeführt und istdie Alternative zur früheren Habilitationsstelle. Die Vorteile:Junge Nachwuchswissenschaftler können schon früher denTitel »Professor« tragen. Außerdem können sie selbstständigerarbeiten, weil sie keinem Professor untergeordnet sind.An der FU ist das ein beliebtes Modell: Mittlerweile tragenschon 100 der 460 Professoren einen »Junior« vor dem Titel.Die Juniorprofessuren sind auf sechs Jahre begrenzt. Anvielen ausländischen Universitäten haben die Nachwuchswissenschaftlerdann die Aussicht auf eine Lebenszeitprofessur– diese Option nennt man »Tenure-Track«. An derFU gibt es das nicht. Das »Tenure-Track-Modell« sei für dieUni nicht finanzierbar, sagt der Präsidiumssprecher GoranKrstin. Das bedeutet: Wenn ihre Juniorprofessur ausläuft,müssen sich die Wissenschaftler an anderen Unis bewerben.Nur im Einzelfall bietet die FU ihnen eine befristeteW2-Professur an. Die meisten müssen aber gehen.Die Uni profitiert, wenn ständig neue Juniorprofessorenkommen – die Fachbereiche können flexibler neueForschungsprojekte einrichten. Ein zusätzliches Argumentgegen den »Tenure-Track«: Wenn klar ist, dass nach derJuniorprofessur eine Langzeitanstellung folgt, ginge für dieNachwuchswissenschaftler der Anreiz verloren, ehrgeizigzu arbeiten. Darunter leide ihre Arbeit.Eine weitere Juniorprofessorin an der FU findet dasabsurd. »Diejenigen, die das entscheiden, sitzen selbst aufden Lebenszeitprofessuren«, sagt sie. »Die Machtstrukturensind für sie angenehm – sie profitieren von der Abhängigkeitanderer.« Die Kurzfristigkeit und Unsicherheit, die mitdem System einhergehen, seien belastend. »Man ist stetsauf Abruf.«Für die Uni sind die Juniorprofessoren vor allem eines:billige Arbeitskräfte, die sie temporär einsetzen kann. Dennsie kosten weniger als Vollprofessuren und machen fast dengleichen Job. Früher führte der Weg zur Lebenszeitprofessurüber eine Habilitationsstelle, die an der FU immer unüblicherwird. Für diese Stellen muss die Uni Sozialleistungenzahlen – für die Juniorprofessuren nicht.Van Gasselt habilitiert jetzt noch – neben seinerJuniorprofessur. Denn für ihn ist klar, dass ernicht bleiben kann. SeineQualifikation als Juniorprofessorallein helfe ihmbei Bewerbungen nicht,da sie wenig anerkannt sei.»Ich kann nichtwarten, dass etwasvon selbstpassiert – derTenure-Trackwird nicht kommen«,sagt vanGasselt. »Ich mussversuchen, den Absprungzu schaffen.«Fanny Gruhl studiert Publizistik, Politikund Philosophie. Sie hofft auch aufVerlängerung – nach ihrem Bachelor.Illustration: Cora-Mae Gregorschewski


22 PolitikHilflos vor der KlasseLehramtsstudierende werden zu Fachidioten. Ein neues Lehrerbildungsgesetz soll dasnoch verschärfen – und erntet schon jetzt Kritik. Von Rebecca Eickfeld und Max KrauseWie erklärt man Kindern den Satz des Pythagoras?Jennifer, ehemalige Lehramtsstudentin, weißes nicht. Das Gefühl didaktisch nichts zu lernen,quält viele Lehramtsstudierende an der FU. Statt ihnen dasUnterrichten beizubringen, bombardieren die Dozenten siemit Herleitungsformeln aus den Abgründen der Mathematik.»Wir lernen Dinge, die wir im Beruf nie benötigen werden«,beklagt sich die 22-Jährige.Vor zwei Semestern ist die Studentin daher vom EthikundMathelehramt zur Grundschulpädagogik gewechselt.Jetzt sitzt sie in anderen Seminaren als die Lehramtsstudierenden.Während diese meistenszwei Fächer studieren und die Pädagogiknur am Rande abdecken, hat Jennifernun neue Fächer: In Seminarenlernt sie, wie sie Mathe, Deutsch undSachkunde am besten vermittelt. »Inmeinem neuen Studiengang wird sehrviel stärker auf Didaktik und Pädagogikeingegangen«, sagt Jennifer.Doch jetzt ist ein neues Gesetz in Arbeit,das die Grundschulpädagogen beunruhigt:Wird es verabschiedet, könnte sichdas Problem der Lehramtsstudierendenan der FU auch auf die Grundschulpädagogikausweiten.In einem ersten Vorschlag einer Expertenkommissionaus SPD-Politikernund Universitätsprofessoren heißt es,dass für Grundschulpädagogen »dieStudienfelder sprachliche Grundbildungin Mündlichkeit und Schriftlichkeit(Lernbereich Deutsch) sowie mathematischeGrundbildung (Lernbereich Mathematik)«verbindlich werden sollten.Das heißt: Alle angehenden Grundschullehrersollen in Deutsch und Mathedas gleiche lernen wie spätere Germanistenund Mathematiker. TheoretischAlle weiteren Entwicklungen auffurios-campus.de/politikkönnen damit die Berliner Abschlüsse in Grundschulpädagogikauch in anderen Bundesländern anerkannt werden.Praktisch müssten künftig wohl die Didaktikseminare denFachvorlesungen der jeweiligen Institute weichen. Die angehendenLehrer würden also Mittelhochdeutsch und partielleIntegration büffeln, um am Ende das Alphabet und das Ein-Mal-Eins zu vermitteln.Diese Idee erntet sogar parteiintern Kritik. Der SPD-Fachausschuss sprach sich dafür aus, dass die Pädagogikim Mittelpunkt des Studiums stehen soll. Es schwäche dieAttraktivität der Berliner Grundschulen, wenn zu sehr nurauf Fachwissen gesetzt werde. Auch die Grundschulpädagogensind wenig begeistert. »Mit der neuen Regelung wäreich total überfordert«, sagt Jennifer, »sowohl fachlich alsauch später pädagogisch.«Was sie an den Änderungsvorschlägen schätzt: ImMaster ist ein Praktikumssemester vorgesehen. Mehr Praxiserfahrungwäre für sie eine wichtige Verbesserung.Fest steht bis jetzt aber noch nichts. Ein erster Entwurffür das neue Gesetz stand bis zum Redaktionsschluss dieserAusgabe noch aus. Trotzdem hat Jennifer Angst – davor,dass die Grundschulen bald mit Fachidioten beliefert werden.Wer auf diese Weise ein guter Pädagoge werden will,müsste sich sein Wissen dann in seiner Freizeit aneignen.Illustration: Luise SchrickerMax Krause studiert Mathematik undist gern ein Fachidiot. Rebecca Eickfeldstudiert auf Lehramt und warschon immer von Fachidioten genervt.


Der neueRundfunkbeitragFür alle einfacher. Für viele günstiger.• Ich wohne alleine. Was muss ich tun?• Ich wohne in einer WG oder bei den Eltern. Wer muss zahlen?• Ich wohne im Studentenwohnheim. Was ist zu beachten?• Ich erhalte BAföG. Kann ich mich befreien lassen?Alle Antworten, Anträge und Formularegibt‘s hier: www.rundfunkbeitrag.de


24 CampusDie dritteLaubeStahlstreben, Beton, Kräne: Wasentsteht da eigentlich neben derRost- und Silberlaube? MargaretheGallersdörfer hat einen kleinenSpaziergang gewagt – durchdie »Holzlaube« im Jahr 2015.Die Rost- und Silberlaube wird erweitert.Seit Anfang 2012 laufendie Bauarbeiten, Ende 2014 sollensie beendet sein. 51,5 Millionen Euro solldas Projekt insgesamt kosten, der Bundzahlt ein Drittel davon. An der Ostseite desFU-Hauptgebäudes entsteht eine neue Bibliothek.Außerdem bekommen die so genannten»Kleinen Fächer« des FachbereichsGeschichts- und Kulturwissenschaften eingemeinsames Dach über dem Kopf – Institutewie die Iranistik, die Judaistik oder dasÄgyptologische Seminar. Noch sind sie inDahlem verteilt und in Villen untergebracht,denen der Zahn der Zeit an der Bausubstanzknabbert – feuchte Keller, schimmelnde Bücher,einsturzgefährdete Balkone. Auch vonBarrierefreiheit kann vielerorts keine Redesein. Im Sommersemester 2015 soll mit alldemSchluss sein: 17 Institute siedeln auf dasObstbaugelände um, die 16 Teilbibliothekender Kleinen Fächer sowie die der Mathematik,der Informatik und der Naturwissenschaftenwerden im Bibliotheksneubau untereinem Dach vereint. Der Neubau ist in jederHinsicht eine Fortsetzung der »Rost- undSilberlaube«; was die Fassaden angeht, istnach Kupfer und Aluminium jetzt Holz an derReihe. Die Folgen sind klar: »Ein offiziellerName für den Neubau für die Kleinen Fächermit Naturwissenschaftlicher Bibliothek stehtbisher nicht fest«, lässt das Präsidium zwarverlauten – dabei hat man selbst UniversitätspräsidentPeter-André Alt das Gebäudeschon »Holzlaube« nennen hören. Sehen wiruns in ihrem Inneren um!Margarethe Gallersdörferstudiert Literatur und Politik.Seit ihrer Liebeserklärungan die Silberlaubeist sie Gebäudebeauftragtebei <strong>FURIOS</strong>.Anschlussstelle: Hier wird die neue Bibliothekmit der Erziehungswissenschaftlichen Bibliothek(links) verbundenDer Spaziergang beginnt im L-Gangder Silberlaube ●1 . Wir gehendurch den neuen Eingang; direktan die bestehende ErziehungswissenschaftlicheBibliothek ●2 angeschlossenist ein Büro- und Auskunftsbereich ●3 ,der gleichzeitig auch Teil der neuen Bibliothek●4 sein wird. Hier stehen wir in einerArt mehrstöckigem Atrium ●5 in derMitte der Bibliothek. Durch ein Glasdachfällt Tageslicht bis in die unterste Ebene.Im Erdgeschoss, wo wir stehen, und imersten Stock sind die Teilbibliotheken derKleinen Fächer untergebracht; im Kellerbefinden sich die Bestände der Mathematik,der Informatik und der naturwissenschaftlichenBibliotheken. Etwa 920Arbeitsplätze für die Besucher sollen inder Erziehungswissenschaftlichen Bibliothek,die derzeit saniert wird, und in derneuen Bibliothek entstehen.Die Baustelle betrachtet von der Südseite. Gut zu erkennen: der Säulengang, in dem sichdie L-Straße der Silberlaube fortsetztFotos: Christopher HirschBauplan und Visualisierung: Florian NaglerArchitekten


Campus25Die Fassaden der Holzlaube, von einem Innenhof aus gesehen. Die Visualisierungbasiert noch auf dem ursprünglichen Plan, der drei oberirdische Stockwerke vorsahWir verlassen die Bibliothek und stehen im zweiten Teil des Neubaus,in der »Seminarspange« ●6 . Hier befinden sich die Lehrräume. Zuunserer Linken sind es sechs Stück – jeweils zwei auf einer Etage. Aufder anderen Seite der Spange gibt es auf allen drei Etagen jeweils einen großenRaum. Die Spange ist geteilt durch einen Innenhof ●7 , denn auch dieses Prinzipder Rost- und Silberlaube wird im Neubau fortgeführt: Die Gebäudezüge laufenwie Straßen um quadratische bepflanzte Innenhöfe mit Sitzgelegenheiten herum.Drei von ihnen wird es in der Holzlaube insgesamt geben. Auch die tieferenHöfe, die durch die Feuerwehrzufahrt entstehen, sollen begrünt werden.Hier befinden wir uns im Herz desdritten Gebäudeteils, in dem aufEbene 0 und 1 die 17 Institute●8 des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaftenansässig sein sollen. ImKeller werden Drittmittelprojekte und Archiveuntergebracht. Schon machen Gerüchtedie Runde, der Platz werde nicht ausreichen,Dozenten ohne feste Stelle und Doktorandenbeispielsweise bekämen keine Büros.Laut Michael Vallo, Verwaltungsleiter desFachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften,wird über die Belegung desGebäudes erst entschieden, wenn feststeht,wie viel Personal 2014 am Fachbereich arbeitenwird.Für Studierende interessant: NebenBüros und Seminarräumen sollenhier zwei Aufenthaltsflächen ●9 entstehen,jeweils 100 Quadratmeter groß.Im Kellergeschoss wird es nur eine dieser»Multifunktionsflächen« geben, da hier dieFeuerwehrzufahrt ●10 verläuft. Tische undSitzgelegenheiten sind geplant – ob mansich dann dort auch wirklich aufhalten möchte,bleibt abzuwarten. Schon einmal ist einsolcher Plan nicht ganz aufgegangen: Auchdas Foyer der großen Mensa in der Silberlaubewar als Aufenthaltsraum gedacht, istaber im Unialltag eher ein Durchgangsbahnhofgeworden.Die Wiese ●13, die den Eingangsplatznoch von der Silberlaube trennt sowieder ganze Bereich zwischen denAchsen der J- und der K-Straße bleiben frei.Auf der Homepage des Münchner Architekturbüros»Florian Nagler Architekten« istnoch zu sehen, dass ursprünglich auch dieseFlächen bebaut werden sollten. Nun dienensie als »Baulandreserve« – <strong>FURIOS</strong> freutsich schon auf die Goldlaube!Weitere HintergrundinformationenzumNeubau auffurios-campus.deWir haben das Gebäude auf derSüdseite verlassen und einenSäulengang ●11 durchquert, derdie Fortsetzung des L-Gangs der Silberlaubeist. Jetzt stehen wir auf einer der einschneidendstenNeuerungen für den gesamtenKomplex: ein Eingangsplatz ●12, auf derInternetseite des Bauamts etwas pompös»Kirschbaumhain« genannt. Mit 48 Bäumenist er bepflanzt – leider nur Zierkirschen.Sie sind Auflage des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf, weil die FU für den Neubau 40Apfelbäume hat fällen lassen. Der Platz istetwa so groß wie der Institutsteil des Neubausund endet an der Achse der K-Straße.Noch braucht es viel Fantasie, um hier einUnigebäude zu erkennen. Ende 2014 sollen dieArbeiten beendet sein


26 CampusBeauftragt mit BarrierenStudierende mit Behinderung bekommen an der FU Unterstützung von Georg Classen.Doch mit dem Einsetzen eines offiziellen Beauftragten für sie lässt sich die Universitätsleitungweiterhin Zeit – zu lange? Melanie Böff hat nachgefragt.Georg Classen ist kein Freund der Hektik. Der Mannmit den kurzen lockigen Haaren und der silbernenNickelbrille hat sein Büro in der Thielallee 38. Seitmehr als 20 Jahren unterstützt er von hier aus FU-Studierendemit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen.Er kämpft für barrierefreie Gebäude und hilft bei derBeantragung von Hilfsmitteln oder Assistenten. Dinge, dienicht auffallen, wenn sie da sind – wohl aber, wenn sie fehlen.Mit Dozenten diskutiert er über Ersatzleistungen oderverlängerte Schreibzeit in Klausuren, sogenannte Nachteilsausgleiche.All das tut er ohne eine Bestellung als Beauftragterfür Studierende mit Behinderung, offiziell eingesetzt wurdeClassen nie. Seit zwei Jahren schreibt das aber derArtikel 28a des Berliner Hochschulgesetzes vor. Die formaleBestellung stärkt die Rechte der Beauftragten. Bisherkonnten sie nur beratend zur Seite stehen. Eingesetzte Beauftragtemüssen dagegen über alle Entscheidungen, dieStudierende mit Behinderung betreffen, informiert werden.Ihnen steht das Recht zu, in allen universitären Gremien mitzuarbeiten.An der HU und der TU erfolgte die Bestellung der Beauftragtenschon wenige Monate nach Inkrafttreten desGesetzes. Die FU dagegen zögert – und darf das prinzipiellauch, weil für die Einsetzung keine Frist festgelegt ist.Welche Hindernisse Classen dadurch entstehen, zeigendie Verhandlungen um die kürzlich erlassene Rahmenstudien-und Prüfungsordnung (RSPO). »Erst durch die studentischenProteste habe ich überhaupt von den Plänen zurErarbeitung einer RSPO erfahren«, erzählt er. Seine Beteiligunghabe er nachdrücklich einfordern müssen.Schließlich habe er mit viel Einsatz erreichen können,dass Nachteilsausgleiche in der neuen Ordnung nicht wiebisher nur auf körperliche Behinderungen begrenzt sind,sondern auch bei psychischen Einschränkungen gewährtwerden. Als offizieller Beauftragter hätte Classen die RSPOwomöglich stärker zugunsten behinderter Studierenderbeeinflussen können. Das Präsidium habe im Vorfeld ausführlicheGespräche mit Experten geführt und sich beratenlassen, erklärt Präsidiumssprecher Goran Krstin die Verzögerung.Das Einsetzen eines Behindertenbeauftragtensolle noch in diesem Sommersemester erfolgen. Trotz derbisher nicht erfolgten Bestellung nehme die Universität dieBelange behinderter Studierender sehr ernst, sagt er undverweist auf das weitreichende Beratungsangebot.Das Sozialreferat des Astas sieht diese Darstellung kritisch.Auf der Internetseite der FU werde Classen fälschlicherweisebereits als Beauftragter präsentiert. »Es ist eineSchande, dass das Präsidium diesen Posten benutzt, umsich nach außen hin zu profilieren«, kommentiert ein Referentdie Verzögerung. »Ein wirkliches Interesse für die Belangebehinderter Studierender scheint die Unileitung nichtzu zeigen.« Mehrere Versuche, den Fall Georg Classen imAkademischen Senat zur Sprache zu bringen, seien ohneErfolg geblieben.Doch selbst wenn offiziell ein Behindertenbeauftragtereingesetzt wird, muss Georg Classen nicht zwangsweiseauf den Posten rücken. Zwar kennt Classen die Bedürfnissebehinderter Studierender mittlerweile sehr genau, doch essteht dem Präsidium frei, die Stelle neu auszuschreiben.Melanie Böff studiert Publizistik und Politik.Zurzeit ist sie auf Krücken unterwegs – undfreut sich daher über jedes Stückchen Barrierefreiheitan der FU.Foto: Cora-Mae GregorschewskiMehr Infos zum Thema auffurios-campus.de/campus


Campus27Auf einen Kaffeebei KommilitonenKeine Lust auf die große, volle Mensa? Studentische Cafès bieteneine Alternative. Wo es gemütlich ist und wo es die Mate am günstigstengibt, verraten Lisa Paul, Laura Betram und Helena Moser.PI-CAFÉWer sich einmal am Ende des K-Ganges dieTreppe ganz hoch zum Pi-Café verläuft, solltehier auf jeden Fall eine kleine Pause einlegen.Die große Terrasse und viele grünePflanzen laden über den Dächern der RostundSilberlaube zum sonnigen Ausspannenmit Urlaubsflair ein.Betreiber: StudierendeSpecials: Rundum-Dachterrasse mit Blicküber die SilberlaubeUnser Tipp: Veganer KuchenKaffeepreis: 1 € Matepreis: 1,60 €Angebotsvielfalt:Ökoindex (vegan, vegetarisch):CALEDONIAN CAFÉDas Caledonian Café im Raum JK 29/231in der Rost- und Silberlaube lädt vor allemdurch seine helle und freundliche Atmosphäreein. In dem großen Raum kann mansich seiner Arbeit widmen oder mit seinenKommilitonen einen fair gehandelten Kaffeetrinken.Betreiber: FSI AnglistikSpecials: Antisexistische LeseeckeUnser Tipp: Sandwiches mit hausgemachtenvegetarischen und veganen AufstrichenKaffeepreis: 0,60 € Matepreis: 1,20 €Angebotsvielfalt:Ökoindex:ROTES CAFÉDas kleine rote Häuschen mit Café im Hinterhofder Ihnestraße 22 hat unter anderemeinen Raucher- und einen Frauenraum. Statteines festen Angebotes findet man hier täglichetwas Neues, donnerstags kochen Studierendeveganes Essen für Kommilitonen inder VoKü.Betreiber: FSI OSISpecials: im Sommer auch Party-LocationUnser Tipp: Erst Tischkicker spielen, dannauf der Wiese rund um das Café chillenKaffeepreis: 0,50 € Matepreis: -Angebotsvielfalt:Ökoindex:Weitere Cafes undzusätzliche Informationenfindet ihr auffurios-campus.deCAFÉ TRICKYWer einen günstigen Kaffee sucht, sollte ander Garystraße 55 einen Blick ins Café Trickywerfen. Hierbei handelt es sich um ein kleines,neu eingerichtetes Café, das im Sommeraußerdem mit seinem Außenbereichzum gemeinsamen Lernen mit den Kommilitoneneinlädt. Nichtstun ist auch ok.Betreiber: FSI PuKSpecials: BierUnser Tipp: Jeden Dienstag FilmabendKaffeepreis: 0,50 € Matepreis: 1,50 €Angebotsvielfalt:Ökoindex:CAFÉ TATORTDas Café Tatort in der Boltzmannstraße 3lässt nicht nur Juristenherzen höher schlagen.Die studentenfreundlichen Preise unddie gemütliche Atmosphäre machen dasCafé zu einem angenehmen Ort für eineentspannte Pause.Betreiber: FSI JuraSpecials: PC mit Internet für BesucherUnser Tipp: Hier gibt‘s die billigste Mateund den billigsten Kaffee - trotzdem BioKaffeepreis: 0,30 € Matepreis: 1,15 €Angebotsvielfalt:Ökoindex:Laura Bertram, HelenaMoser und Lisa Paulstudieren Publizistik.Die Nase voll vomMensa-Essen, suchtensie nach Alternativen: Studentische Cafés!Fotos: Christopher Hirsch undChristoph Spiegel


28 Campuswo binhier gelandet?ichKämpfen wie Mary PoppinsPrügeleien waren bisher nicht geradeIsabelle Caps-Kuhns Sache. Trotzdemtraute sich die Filmwissenschaftsstudentinin eine Trainingseinheit der asiatischenKampfsportart »Arnis Stockkampf«.Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon mitaufgeklapptem Regenschirm gegen eine Hordephilippinischer Macheten-Kämpfer antreten. DieKampfsportler des philippinischen Arnis-Stockkampfs übenihre Kampfkunst nämlich auch mit Alltagsgegenständen wieHut, Stock oder Regenschirm, um sich auf der Straße verteidigenzu können. Mary Poppins lässt grüßen!Als ich jedoch bei meinen 15 Mitkämpfern im Sportzentrumankomme, sehen die Stöcke zum Glück nicht angsteinflößendaus. Sie sind auch viel kleiner, als ich gedacht hatte.Erst einmal ist alles ganz simpel: Die Kampfgeräte liegenauf dem Boden, wir springen darüber. Das kann ich! Wer dieStöcke berührt, muss Liegestützen machen.Jetzt folgen Koordinationsübungen: In jeder Hand einStock, den wir in unterschiedliche Richtungen kreisen lassen.Klingt einfacher als es ist. Sieht auch ziemlich dämlichaus. Aber zum Glück nicht nur bei mir.Danach fangen wir tatsächlich an zu kämpfen: Wir lerneneine Schlagabfolge, die es anschließend zu parieren gilt.Links, rechts, oben, unten, über Kreuz – falsche Handhaltung!Links, rechts, oben, unten. Mir schwirrt der Kopf. DieÜbung ist zu Ende, ich inspiziere meine Übungspartnerin:Puh, sie atmet noch. Ich bin stolz auf mich.Nach 90 Minuten habe ich dann vor allem eines:schmerzende Füße. Erschöpft fahre ich nach Hause; im Bustreffe ich einen meiner Mitkämpfer. Aus seiner Tasche ragtein philippinischer Holzstock. Sieht gefährlich aus, meineneu antrainierten Reflexe springen an. Mist! Nie habe ichmeinen Regenschirm dabei, wenn ich ihn brauche.Algorithmus im BlutVon Gameboys und Gigahertz haben auchPolitikstudenten schon mal gehört. DieDetails sollten sie aber doch besser denInformatik-Nerds überlassen, wie InesKüster merkte.Zuallererst bin ich maßlos enttäuscht: Wir hacken unsnicht auf CIA-Seiten ein. Wir bauen nicht einmal Computerzusammen! Mein Sitznachbar klärt mich auf:»Hier geht’s darum, wie Computer aus technischer Sichtaufgebaut sind.« Langweilig!Etwas geknickt schaue ich mich in der Einführungsvorlesungfür Informatiker um. Mit mir sitzen noch 200 andereStudierende im Hörsaal. Einige von ihnen sind allem Anscheinnach sogar weiblich. Es gibt sie also: Frauen in derInformatik! Eine davon bin heute ich.Das Modul ist für Erst- und Zweitsemester gedacht.Theoretisch also könnte sogar ich als Politologin etwas verstehen– dachte ich. Praktisch scheitere ich schon an derersten Folie: »Principle of Operation of Computer InstructionExecution«. Aha. Jedes Mal, wenn ich etwas Bekannteshöre, freue ich mich dafür umso mehr: Daten, Befehle, PlayStation 2, Game Boy, Gigahertz. Als es ans Rechnen geht,schaffe ich es sogar, eine Zahl ins Zehnersystem umzurechnen– Nerd-Feeling pur.Eins aber fehlt mir noch: mysteriöse Formeln. Doch ichhabe Glück! Der Dozent erklärt einen »euklidischen Algorithmus«– Fragezeichen in meinem Kopf. Die anwesendenInformatiker scheint es nicht zu stören. Die haben wohl denAlgorithmus im Blut.Um eins beneide ich Informatik-Studierende jedoch definitiv:um ihre Dozenten. Wenn meine Profs auch so lebendigvortrügen, könnte mich selbst »Politische Ideengeschichte«vom Hocker reißen!


Campus29Kiffen mit KafkaAnfang der 1970er-Jahre gingen die meisten Studierenden auf die Straße statt zur Vorlesung. MatthiasMatussek blieb im Hörsaal. Maik Siegel fragte den Journalisten warum.Matthias Matussek wurde1954 in Münster geboren. Ander FU studierte der JournalistAnglistik, Germanistik, Amerikanistik,Komparatistik und Publizistik.Nach Stationen beim»Berliner Abend«, »TIP« und»Stern« landete Matussek beim»Spiegel«. Er lebte als Korrespondentu.a. in New York, Riode Janeiro und London. Von2003 bis 2007 leitete er dasKulturressort des Spiegels undarbeitet dort heute als freierAutor. Matussek lebt in Hamburg.ewigerehemaligerWest-Berlin im Jahr 1973: Hausbesetzer,Drogenabhängige,RAF-Anhänger, Aussteiger. Undmittendrin: Matthias Matussek, der einfachnicht zur Bundeswehr wollte. Deswegenschrieb sich der damals 19-Jährige an derFU ein. Der heutige »Spiegel«-Journalist wardamals noch genauso unruhig wie seineZeit: Am Anfang studierte er fünf Fächer aufeinmal, zog gleichzeitig etliche Male um –ziellos, immer unterwegs. Am Ende landeteer in Neukölln, von wo aus er täglich in dieU-Bahn Richtung FU stieg, um Vorlesungenin Germanistik und Anglistik zu hören.In Dahlem lag zu dieser Zeit noch einHauch der 60er in der Luft. Viele Studierendehatten die Revolution vor Augen,gingen auf die Straße um Deutschland zuverändern. Doch der Student Matussek, dermit 17 »Das Kapital« von Karl Marx gelesenhatte, erklärte seine revolutionäre Laufbahnschon mit 20 für beendet. Die Protestkulturan der FU ging ihm auf die Nerven: »Das warteilweise unerträglich«, sagt der 59-Jährigeheute. »Diskussion war nicht mehr möglich,es ging um fest umrissene Welt- und Feindbilder.«Matussek ging stattdessen voll in seinemStudium auf: Er vertiefte sich in Kafka-Lektüre,betete Gedichte von den Beat-Poetenvor sich her und lauschte der Musik von JimMorrison oder The Cream. »Die hat man ambesten verstanden, wenn man bekifft war«,sagt er und lacht. Ein Seminar zu Adornosästhetischer Theorie beeinflusste ihn nochJahre später zu seiner Zeit als Theaterkritiker.Am meisten aber hat ihn ein privater Zirkelvon gleichgesinnten Studenten geprägt.Dort haben sie sich mit den Dingen beschäftigt,die damals dem politischen Aktionismusgeopfert wurden, erzählt Matussek.Sie schrieben Kurzgeschichten und lasenGedichte, sprachen über Sehnsüchte undEmpfindungen, diskutierten die Schönheitund die Literatur. »Wir haben gespürt: Daswar das eigentlich Wichtige.«Bald jedoch fragte er sich, was er mitder Kombination seiner Orchideenfächernanfangen sollte. An einem Gymnasium inSteglitz probierte Matussek sich als Lehrer.Schnell aber merkte er, dass er dafür nichtgeboren war – er wollte einen antiautoritärenUnterricht. »Aber das Diskutieren imStuhlkreis hat die Schüler nicht interessiert«,sagt er. »Und als Solo-Entertainer an der Tafelhabe ich mich nicht wohl gefühlt.«Also begann Matussek neben seinemStudium als freier Mitarbeiter bei Stadtteilzeitungenzu arbeiten. Das Journalisten-Dasein wurde schnell zu seinem Traumberuf.Und er hatte großes Glück: Mitten imStudium wurde Matussek an der DeutschenJournalistenschule in München angenommen.Sein Plan, parallel seine Magisterarbeitzu schreiben, ging neben seiner journalistischenArbeit unter. Auch, wenn er es damalsnoch nicht wusste – er ist nie an die FU zurückgekehrt.»Mein Weg war eben ein anderer«,schaut Matussek heute zurück. Er stand damalserst am Anfang seiner journalistischenKarriere. Auch ohne Studienabschluss.Maik Siegel wohnt in Neukölln– und ist richtig froh,dass er keinen Kohleofenhat.Foto: Frank Siemens (Pressefoto)


30 Kultur Matthias Nizinski (Mitte) und Tilman Kalckhoff (übrige Aufnahmen)entwickeln in der Dunkelkammer ihre Fotos»Besser als Photoshop«Fotografie ist einfach und für alle da. Das zumindest sagt TilmanKalkhoff, FU-Student, Fotoliebhaber und der Begründer der einzigen»Dunkelkammer für alle«. Von Kirstin MacLeodAbgedunkelte alte Kellerräume sindTilman Kalkhoffs Lieblings- undArbeitsplatz: Nein, der 29-jährigeFU-Student ist nicht professioneller Dark-Room-Betreiber – wobei die Bezeichnungnicht ganz falsch ist. Denn wörtlich übersetztarbeitet Tilman genau dort, in einer Dunkelkammer.Im Kellerraum der »Ida Nowhere«, einemProjektraum für Kunst und Kultur inNeukölln, können Fotoliebhaber und Laienlernen, dass zur analogen Fotografie mehrgehört, als im richtigen Moment den Auslöserzu drücken. Das Konzept der »Dunkelkammerfür alle«, wie Tilman sagt, seiin Berlin einzigartig. Zusammen mit vieranderen Fotonarren betreibt der EnglischundGeschichtsstudent das Labor seit knappzwei Jahren.Zwar gebe es in der Stadt viele sogenannte»Laborgemeinschaften«. Deren Benutzungsei mit 25 Euro jedoch sehr teuer,sagt Tilman. Im »Ida Nowhere« können Bilderfür etwa 8 Euro entwickelt werden. KompletteFoto-Ausstellungen sind schon in demKeller entwickelt worden.Das Fotolabor gehört zu einem gemeinnützigenVerein. »Unser Equipment setztsich komplett aus Mitglieds- und Spendenbeiträgenzusammen«, erklärt der Student.Manche Teile der Ausrüstung lassen sich imFachhandel kaum noch erwerben.Tilman betritt die Dunkelkammer underklärt, wie ein authentisches Bild entsteht,ganz ohne Instagram: Das fertige Bild, dieKontraste, die Helligkeit, der Schatten – alleshänge nur noch von der Fähigkeit desEntwicklers ab. »Das ist doch viel besser alsPhotoshop«, sagt Tilman und grinst. »Unddas Schöne ist: Bei uns kannst du mit denBildern machen, was du willst.«Das Entwickeln allein sei eigentlich ganzeinfach. Zunächst müsse man die Bilder unterdem Vergrößerer belichten, erklärt er.Dann legt Tilman das noch weiße Fotopapiernacheinander in verschiedene Chemikalien:Im »Entwickler« wird plötzlich das Bild sichtbar,der »Stopper« beendet diesen Prozessund der »Fixierer« sorgt dafür, dass die Motivenicht verschwimmen. Ein Wasserbadreinigt das Fotopapier schließlich von denverbliebenen Chemikalien. Das Ganze gehtso schnell, dass man gern noch ein zweitesMal hinsehen würde, um zu verstehen, wieaus dem Nichts plötzlich ein Bild entsteht.Auch Matthias Nizinski fasziniert das.Der 30-Jährige, der an der FU Theaterwissenschaftstudiert, ist von Anfang an bei»Ida Nowhere« dabei. »Ida Nowhere heißtfür mich, raus aus der Realität und rein ineine Wirklichkeit, für die man selbst verantwortlichist.« Es sei ein zwangloser Vereinmit wenigen Regeln, sagt Tilman. An denWochenenden gibt es Fotografieworkshops,unter der Woche Konzerte und Lesungen.Tilman und die anderen setzen dabei auf dieMotivation der Gruppe: »Hier ist nicht einerder Lehrer und der Rest hört zu. Jeder kannsich einbringen«, ergänzt der Student.Mit dem eigenen Bild zufrieden sein –das ist für Tilman besonders wichtig. So ist»Ida Nowhere« wohl für jeden Fotoliebhaberetwas, der sich nicht vor ein bisschen Kollektivcharakterscheut und am Ende etwasandere Bilder mitnehmen möchte – als »Andenkenan die Parallelwelt«, wie Mathias siebeschreibt. Tilman fügt hinzu: »Klar, was wirhier machen ist Spielerei für Liebhaber –aber eben eine authentische Spielerei.«Kirstin MacLeod wurde endlichaufgeklärt: Nicht nur mitInstagram lassen sich guteFotos »entwickeln«.Fotos: Cora-Mae Gregorschewski


Kultur31Der anonyme Blog-PoetEin FU-Student gewährt auf seinem Blog intime Einblicke in seineseelischen Abgründe. Die Leserschaft wächst stetig. Wer ist dieserAnton Mila?, fragen Ute Rekers und Bente Staack.Ganz hinten in der Ecke sitzt er, denobligatorischen Jutebeutel neben sichauf dem Sofa, entspannt das Kneipenlebenbeobachtend. Dichter Zigarettenqualmhängt in der kleinen Bar, das bunteSzenevolk von Friedrichshain tummelt sichan der Theke.Seit geraumer Zeit geistert der NameAnton Mila durch die virtuelle Welt des Internets.Seine Kurzgeschichten begeisternzahlreiche Leser. Er veröffentlicht sie aufseinem Blog. »In unregelmäßiger Regelmäßigkeit«,sagt er lässig. Das Blog, das in eineralkoholgeschwängerten Nacht im Juni 2012Gestalt annahm, gibt Einblicke in das emotionaleInnenleben des Mittzwanzigers, deran der FU studiert. Zum Erhalt seiner Privatsphäreschreibe er unter Pseudonym. Auchseinen Studiengang will er nicht nennen. Dasmache ihn interessanter, sagt Anton undgrinst.Nicht selten bekommen seine Lesereinen Spiegel vorgehalten. Als »jungen Erwachsenenin einer Welt voller schlechterSachen« bezeichnet sich der Blogger. Damitkann sich wohl jeder im Studentenalter identifizieren,von nächtlichen Begegnungen mitFrauen bis hin zu Abschied und Selbstzweifeln.Kritiker warfen ihm dafür schon einmalan den Kopf, ein »Ikea-Baukasten-Autor« zusein, weil er sich immer wieder mit diesenInhalten beschäftige. Darauf angesprochenzuckt Anton nur mit den Schultern. Das lassesich doch auf viele Künstler übertragen, sagter. »Die drei großen Themen Tod, Liebe undAngst kommen vermutlich in 95 Prozent derPopliteratur vor.«Seit der junge Literat mit elf Jahren »Herrder Ringe« gelesen hat, sei er dem Schreibenverfallen, erzählt er. Zunächst war alles nurein »Dummer-Jungen-Quatsch«. Bis ihm dasHerz gebrochen und seine Texte zur Selbsttherapiewurden - auch präventiv: »Bevorich nackt über den Alexanderplatz renne,schreibe ich lieber«, erklärt Anton, währender an seinem Bier nippt. Oft kommen Frauenaus seinem Leben in den Texten vor. Nichtselten muss er sich auf Diskussionen mit ihneneinlassen, wenn sie sich in seinen Textenwiedererkennen.Unter seinem ersten Pseudonym»berlin_bombay« begann er vor knapp dreiJahren auf »Neon.de« seine biografisch angehauchtenTexte zu veröffentlichen. EinigeMale schaffte er es sogar auf die Startseitedes Magazins. Wenn er schwierige Phasendurchlebt, küsse ihn besonders häufig dieMuse. Doch statt in langen Monologen vorSelbstmitleid zu zerfließen, versuche er sichknapp zu halten: »Ich will mit möglichst wenigWorten möglichst große Bilder malen.«Es mag der Digitalisierung und den immerkürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannengeschuldet sein, dass Anton mitseinen Kurzgeschichten den Nerv der Zeitund des Publikums trifft. Auf seinem Blogweiß er das geschickt zu nutzen.Für die Zukunft plant er den Sprung hinausaus der Virtualität und aufs Papier. Mitanderen Nachwuchsautoren arbeitet er am»Projekt Projekt 13«. Für die Produktion einesKurzgeschichtenbandes suchen sie derzeiteinen Verlag, um dem großen Traumvon einem eigenen Buch ein Stückchen näherzu kommen. Ganz unrealistisch scheintdas nicht. Denn schon Antons Blogbeschreibungtitelt: Buchstaben, nichts als Buchstaben.Und darauf versteht er sich.Foto: jujurocksUte Rekers und Bente Staackhaben trotz eines Treffensmit Anton Mila noch so ihreProbleme damit, sich in ihrenTexten kurz zu fassen.Anton Mila ist ein Phantom.Sein wahres Gesicht gibt ernicht zu erkennen


32 KulturKunst aus der BoxEine Berliner Galerie macht auf die Lebensbedingungen von jungenSchuhputzern in Äthiopien aufmerksam. Auch ein Mitarbeiter der FUstellt aus. Von Inga Stange und Julia BrakelBis zur Decke stapeln sich die vielen kleinen Holzkistenan den Wänden der Berliner Galerie Listros. Wer genauerhinsieht, erkennt in ihnen Schuhputzboxen. Alleaus altem Holz und ähnlich groß. Ihre ehemaligen Besitzer,Jugendliche aus Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba, habensie selbst zusammengebaut und auf ihnen die Schuhe unzähligerPassanten geputzt. Hinter jeder einzelnen Box steckteine Geschichte – in der Galerie Listros findet sie nun Gehör.Vor zehn Jahren gründete der gebürtige Äthiopier DawitShanko die Galerie Listros und den gleichnamigen gemeinnützigenVerein in Berlin. »Listros« werden in Äthiopienmeist noch sehr junge Menschen genannt, die sich durchdas Schuhputzen ihren Lebensunterhalt finanzieren. AuchDawit Shanko hat sich so neben der Schule etwas dazu verdient.Nach Deutschland kam er als 17-Jähriger mit einemStipendium.»Der Verein Listros möchte die Sicht auf Äthiopien in einepositivere Richtung lenken«, beschreibt der 46-Jährige seinZiel. »Außerdem sollen die Schuhputzer für ihre harte ArbeitAnerkennung erhalten, unterstützt werden und genauso alsZukunft Äthiopiens angesehen werden wie die so genannteElite.« Obwohl die jungen Schuhputzer zum alltäglichen Straßenbildin Addis Abeba gehörten, sei ihr Dasein von Vorurteilenund einem Leben am Rande der Gesellschaft geprägt.Listros engagiert seit einigen Jahren Mentoren, die in zehnSchulen den Schülern helfen, Arbeit und Lernen miteinanderzu vereinbaren.Während der Verein vor Ort in Äthiopien mit lokalenAkteuren arbeitet, konzentriert sich die Galerie in Berlin aufKunst mit afrikanischem Kontext. Christophe Ndabananiyenutzte diese Ausrichtung. Der 36-Jährige ist wissenschaftlicherMitarbeiter in der Abteilung Kunst Afrikas am kunsthistorischenInstitut der Freien Universität Berlin. Christophekommt aus Ruanda; dort hat er in der Hauptstadt Kigali an einerKunstschule studiert. Nach dem Genozid der Hutu an denTutsi im Jahr 1994 verließ er das Land, kam nach Deutschlandund begann, freie Kunst in Saarbrücken zu studieren.Unter dem Titel »Überreste« zeigt er in der Galerie nun Fotografienund mit Bootslack gemalte Bilderaus Ruanda. »2011 bin ich ein weiteres Malnach Ruanda zurückgekehrt«, berichtet er.»Meine Werke handeln von den Eindrückenund Erlebnissen dieses Besuchs.« Die Arbeitmit Bootslack gebe ihm die Möglichkeit,Veränderung darzustellen. Der Lackverändert sich, er arbeitet weiter undzeigt so den Prozess der Alterungin den Gesichtern. Inspiriert habenihn die Menschen, Städte und dieKunst Ruandas. »Es ist auch eineSpurensuche nach Vergangenheit,um die Gegenwart zu gestalten«,sagt Christophe. Ihre afrikanischen Wurzelnverbinden Christophe und die neunanderen Künstler der Reihe »Von dortbis hier«. Sie thematisieren in ihrenWerken ihr Leben in Deutschland, dieeigene Herkunft und ihre persönlichenErfahrungen in den jeweiligenKulturen. Sie wollen zum Nachdenkenanregen und eine Brücke bauen- von hier nach dort.Hinweis: Eine der Autorinnen arbeitetin der Galerie Listros. Ander beschriebenen Ausstellung ist sienicht beteiligt.Julia Brakel und IngaStange sind dankbar,dass sie nicht für ihrAbitur arbeiten mussten undhaben umso mehr Respekt fürdie Arbeit in Äthiopien.Foto: Cora-Mae GregorschewskiUnzählige Schuhputzkistenwie diese zeigt dieGalerie »Listros« in derKurfürstenstraßeAm besten, Sie schreiben sich auch bei uns ein.Unser Einsteigermodell – das VR-StartKonto:- mit Guthabenverzinsung- mit BankCard und InternetBanking- mit Dispo (ab 18 Jahre, einwandfreie Bonität)Wir beraten Sie gern.Besuchen Sie uns in unserer Filiale inDahlem oder vereinbaren Sie telefonischeinen Termin unter 30 6 30.Adresse:Filiale DahlemKönigin-Luise-Straße 4414195 BerlinMieze MustermannMax MustermannDie Wunschbild BankCard! Machen Sie sich Ihre ganz persönlicheBankCard. Mehr Infos unter www.berliner-volksbank.de


Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen.An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken im Blätterwaldund füllen sie mit unseren Inhalten. Folge III: »Post von Wagner«,»Bild-Zeitung«POST VON FlorianMatthias WagnerLiebe ZEIT-Campus-Redaktion,ich mochte Euch. Bis vor kurzemzumindest.Bis ich vor wenigen WochenEure aktuelle Ausgabe aus demBriefkasten gefingert habe. Einegutaussehende Frau mit scheuemBlick schaute vom Cover zu mirhoch. Frauen mögen mich.Dann wanderten meine Augenzu der Schlagzeile, die Ihr nebenihr hübsches Gesicht gesetzthabt. Und mir blieb fast meinDoppelkorn im Rachen stecken!Ich musste husten! »Leben stattLebenslauf!«Warum macht Ihr das immer?Warum müsst Ihr uns immerdas Titelthema klauen?Ich weiß genau: Euch läuft stetsdas Wasser in den Backentaschenzusammen, wenn Euch der<strong>FURIOS</strong>-Maulwurf mal wiederdas geheime nächste Titelthemadurchfaxt.Als wir 2011 über Geld schrieben,da wart Ihr mit der Ausgabe03/12 noch einen Tick zu langsam.Ihr seid schneller geworden.Dieses Mal hatten wir unsschon im Januar auf das Thema»Lebensläufe« für unser Heftfestgelegt – und dann habt Ihrabgeschrieben! Genau so wieGuttenberg! Ihr seid gewissermaßendie Guttenbergs des Campusjournalismus!Pfui!Schämt Euch, ZEIT Campus!Schämt Euch!Das Geld für mein Abo werdeich in Zukunft sparen. Davonkaufe ich mir lieber Korn. Kornmacht mich betrunken. Ihr nicht.Herzlichst,Ihr Florian Matthias WagnerKünstler-, Bastel undHandarbeitsartikelin großer AuswahlIm KaDeWePassauer Straße 1 – 3Mo – Do 10.00 – 20.00 UhrFr 10.00 – 21.00 UhrSa 9.30 – 20.00 Uhrt 030 . 21 23 56 15Im Kant-CenterWilmersdorfer Straße 108 – 111Mo – Sa 10.00 – 20.00 Uhrt 030 . 31 9970 35www.idee-shop.de


34 WissenschaftCopy, Pasteund die wirklichen ProblemeWo über Doktorarbeiten geredet wird, ist eine Plagiatsdebatte nicht weit. Dabei habenPromovierende ganz andere Probleme. Von Valerie SchönianHans Brittnacher braucht keine schlaue Software,um Plagiate zu finden. Wenn eine Hausarbeit aufden ersten Seiten vor Grammatikfehlern strotztund dann drei Seiten makelloser Prosa folgen; wenn eineOrtsangabe in der Fußnote blau und unterstrichen ist; oderwenn zwei Studierende eine komplett identische Hausarbeitabgeben – dann erkennt er die Kopie auch mit bloßem Auge.Brittnacher ist Professor für Neuere Deutsche Philologiean der Freien Universität. Er hat schon einige Betrugsversuchegesehen – in Master- und Bachelorarbeiten. In einerDoktorarbeit aber noch nie. Während ganz Deutschlandimmer wieder medienwirksam über neue Plagiatsskandalebei Promotionen diskutiert, weiß Brittnacher: Die wichtigenProbleme des wissenschaftlichen Arbeitens von Doktorandensind nicht die Plagiate – sie liegen ganz woanders.Etwa bei der Betreuung: Für 21 Doktoranden ist Brittnacherzurzeit verantwortlich. Zu viele? »Es ist zumindest grenzwertig«,sagt er. »Aber wenn ich es nicht mache, macht eskeiner.«Denn nicht jeder Professor ist bereit, Doktorarbeiten zuübernehmen. Der Grund: Für das Betreuen eines Doktorandengibt es kein Geld. Wer promoviert, steht am Ende deruniversitären Nahrungskette. Unter dem Geldmangel leidetaber nicht nur die Betreuung, sondern auch das Portemonnaieder Promovierenden. Wissenschaftliche Mitarbeiter anLehrstühlen haben meist nur eine halbe Stelle, laut Vertragknapp zwanzig Stunden pro Woche. De facto arbeiten dreiViertel von ihnen 40 Stunden und mehr. Dafür bekommensie brutto je nach Dauer der Beschäftigung 1100 bis 1300Euro.Christof Mauersberger und Frithjof Stöppler sind nachihrem Master dennoch im Unibetrieb geblieben. Mauersbergerpromoviert in Internationaler Politischer Ökonomie(IPÖ) am Otto-Suhr-Institut, Stöppler über Unternehmensnetzwerkeam Fachbereich Wirtschaftswissenschaft. Beidehaben eine halbe Stelle, glücklich schätzen sie sich trotzdem.Stöppler ist Anfang 30. Begonnen hat er seine Promotion2008 in einem Graduiertenkolleg. Diese Schulen sindstärker strukturiert als eine Individualpromotion. Mit gemeinsamenKursen und Forschungen ähnelt diese Promotionsformeinem fortgesetzten Studium. »Das System bietetviele Vorteile«, sagt Stöppler. So gebe es statt eines Betreuersganze Betreuungsteams. »Ein einzelner Professor kannschließlich nicht in allen Themen ein Experte sein.« Dochauch an den Graduiertenschulen ist die Förderung ein Problem:Die Promovierenden haben keinen arbeitsrechtlichen


Wissenschaft35Schutz, da die Stipendien eine Schenkung sind. Wer Pechhat, bekommt nach einem Jahr einfach keinen Anschlussvertrag.Meistens würden die Stipendien zwar fortgesetzt,sagt Stöppler. »Aber krank werden kann man sich nicht leisten.«Denn die Finanzierung werde nicht verlängert – »wenndir ein halbes Jahr fehlt, fehlt es.«Stöppler ist nach drei Jahren im Graduiertenkolleg seit2011 am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft angestellt. Inseinem fünften Promotionsjahr hat er den fünften Vertragmit der FU. Für ihn waren das fünf Mal Hoffen und Bangen,ob er sich im kommenden Jahr noch finanzieren kann. Ersagt, er hatte Glück: »Ich kenne Doktoranden, die hatten invier Jahren zehn verschiedene Verträge.«Mauersberger promoviert am Lehrstuhl IPÖ über Medienregulierungin Lateinamerika. Er geht also den klassischenWeg der Individualpromotion. Fragt man ihn nachseiner persönlichen Situation, kommt er ins Schwärmen:»Ich kann zu einem Thema forschen, das mich interessiertund werde dafür bezahlt.« Ihm gefällt die Kombination ausLehre und Forschung. Und er mag die Freiheiten einer Individualpromotion.Seine Betreuerin unterstütze ihn, fordere,aber überlaste ihn nicht.Fragt man ihn jedoch nach den strukturellen Bedingungen,klingt sein Urteil anders. Wer frisch von der Unikomme wie er, freue sich über das Gehalt. »Aber ich kennegenug Leute, die eine Familie gründen wollen oder keinegünstige Wohnung haben – dann kann es knapp werden.«Auch die Perspektiven der Nachwuchswissenschaftlersind nicht rosig. »Unbefristete Stellen haben nur die Professoren«,sagt Mauersberger. »Alle anderen erhalten Zeitverträgeund hoffen, dass irgendwann irgendwo eine Professurausgeschrieben wird, die nicht schon intern vergeben ist.«Nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz dürfen wissenschaftlicheMitarbeiter, die nicht durch Drittmittel finanziertwerden, maximal sechs Jahre lang auf Basis befristeterVerträge arbeiten. Dann müssten sie unbefristet angestelltwerden – theoretisch. Praktisch müssen viele vorher, spätestensaber dann, gehen. Ihre größte Hoffnung: Weiter ander Uni als Juniorprofessor arbeiten – wieder befristet.»Du bist promoviert, Anfang 30 und willst eine Familiegründen. Und du weißt: Es wird nicht besser, sondernschlimmer«, beklagt sich Stöppler. Ein Witz unter Doktorandengeht so: »Und, was machst du, wenn du fertig bist?«Antwort: »Anderer Job oder anderes Land.«Wer in Deutschland im Wissenschaftsbetrieb arbeitenwill, hat Überstunden ohne Ende, dazu Geldsorgen und unsichereZukunftsaussichten. Wozu all diese Faktoren im Zusammenspielführen ist absehbar und hat sogar schon einenNamen: »Brain Drain« – das Abwandern qualifizierter Arbeitskräfteins Ausland, wo sie besser bezahlt werden undeine Perspektive haben. »Und das fängt gerade erst an – imgroßen Stil«, sagt Stöppler.Er selbst will in der Wissenschaft bleiben. Er weiß, dasser dafür regional sehr flexibel sein muss. Trotzdem: »Es istder Job, in dem du dich am besten selbst verwirklichenkannst.« Professor Brittnacher nennt das »pädagogischenIdealismus.« Der Impuls dabei: die Wissenschaft voran bringenund sie anderen Menschen vermitteln.Die meisten Doktoranden besitzen diesen Idealismus,vor allem in den Geisteswissenschaften, wo der Nutzeneines solchen Titels fraglich ist. Promovierende, denen esum die Wissenschaft geht, plagiieren nicht. Deswegen trifftes sie, wenn einige »Titelhascher« den Ruf des Doktors beschädigen.»Wir Wissenschaftler besitzen nicht viel«, sagtProfessor Brittnacher. »Ich habe nur meine Redlichkeit undmein intellektuelles Kapital.« Das werde ihm durch Plagiatsskandalegenommen.Insofern hatte sogar die Causa Guttenberg und diejüngste Debatte um FU-Honorarprofessorin Anette Schavanihr Gutes: Das Plagiieren ist eine zu ahndende Straftatgeworden – es ist Diebstahl. Aber vielleicht ist jetzt der richtigeZeitpunkt gekommen, um auf die alltäglichen Sorgender Doktoranden um Arbeit und Zukunft aufmerksam zumachen.Illustration: Robin KowalewskyValerie Schönian würde niemals eineDoktorarbeitschreiben. Sie braucht schonfür ihre Hausarbeiten Jahre.Proband sein bei Parexel!HEUTE FÜR DIE MEDIZIN VON MORGEN.PAREXEL ist das führende Auftragsforschungsinstitutin Berlin mit mehr als 30 Jahren Erfahrung in derArzneimittelforschung.Gesunde Frauen und Männer gesuchtWir suchen ständig für kurz- und langstationäre Studien:Gesunde Frauen und Männer ab 18 JahreNichtraucher und leichte Raucher bis 5 Zigaretten/Tag.Selbstverständlich werden Sie während dergesamten Studie umfassend medizinisch betreut.Für die Studienteilnahme erhalten Sie einsehr gutes Honorar.Sie erreichen uns unter:030 306 853 61 oder 0800 1000 376 *(* gebührenfrei, Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr)Oder Sie besuchen uns im Internet:www.probandsein.de


36 WissenschaftDer Mensch macht EpocheStrände aus Plastik, Fleisch aus dem Labor – Geologen fragen sich nun, ob es genügendGründe gibt, ein neues Zeitalter auszurufen: das Anthropozän, das Zeitalter der Menschen.Von Fan Ye und Josta van Bockxmeerbezeichnet werden können«, sagt Leinfelder. Der Einflussdes Menschen sei nicht mehr wegzudenken, geschweigedenn zu widerrufen. Das Anthropozän bedeute für ihn auchein systematisches Umdenken: Die Trennung zwischenMensch und Natur werde aufgehoben.Die Macht, die der Mensch über die Natur ausübt, könne»ins Positive gedreht werden«, sagt Leinfelder. Dabeigehe es nicht darum die Erde komplett nach unserem Willenzu gestalten, sondern anzuerkennen, dass sieein komplexes System ist und es viele Umweltproblemekeine einfachen Lösungen gibt. ErEin monotones Brummen irritiert das Trommelfell.Dann steigt die Pilzwolke auf. Obwohl ihr Anblick eigentlichbekannt ist, schockiert sie: die Atombombe.Ein Film über sie ist derzeit im Rahmen der Ausstellung »TheWhole Earth« im Haus der Kulturen der Welt zu sehen. DieAtombombe ist vielleicht das beste Zeugnis davon, wie derMensch Natur und Umwelt beeinflusst hat.Im »Anthropozän« ist der Mensch der wichtigste Einflussfaktorauf unserem Planeten. Der Begriff stammt vondem Nobelpreisträger für Chemie, Paul Crutzen. Er schlugvor, das Anthropozän als Nachfolge-Erdzeitalter des Holozänseinzuführen, das vor mehr als 11 000 Jahren begann.Es wäre wahrhaft der Beginn einer neuen Erd-Epoche.2017 soll die »International Commission on Stratigraphy«über den Vorschlag entscheiden.Im Haus der Kulturen der Welt diskutieren Wissenschaftlerund Künstler im Rahmen des »Anthropozän-Projekts« darüber, was die Einführung des Begriffes für dieGesellschaft bedeuten würde. Die Ausstellung »The WholeEarth« ist Teil einer zweijährigen Reihe von Konferenzenund Ausstellungen.Auch an der Freien Universität denkt man bereitsüber das neue Zeitalter nach. Reinhold Leinfelder, Professorfür Paläontologie und Geobiologie an der FU, sitzt imLeitungsteam des Anthropozän-Projekts. In seinem hellenArbeitszimmer auf dem Campus Lankwitz erläutert er dieRelevanz des Begriffes »Anthropozän«.»Bereits 77 Prozent der eisfreien Erde sind vom Menschenso benutzt worden, dass sie nicht mehr als Urnaturplädiert für das »Vorsorgeprinzip«: Der Mensch soll Räumeschaffen, in denen die Natur sich erholen kann.Was die Vorsorge an der FU betrifft, platzt Leinfeldergeradezu vor Ideen: Er möchte ein Urban-Gardening-Projektstarten, an dem sich Studierende beteiligen können.Auch ist er im Gespräch über den Aufbau einer interdisziplinärenAnthropozän-Arbeitsgruppe, die zu dem Themalehren und forschen soll. Die institutionellen Hindernisseentmutigen ihn nicht: «Ich bin inzwischen an meiner fünftenUniversität. Ich gebe da nicht so schnell auf.« Das ist derGeist des Zeitalters: Der Mensch gestaltet seine Welt.Illustration: Luise SchrickerFan Ye und Josta van Bockxmeer freuensich schon darauf, im Unigarten ihre eigenenKartoffeln anzubauen.


Wissenschaft37Zurück zur NachtDie Dauerbeleuchtung in Städten wirkt sich negativ auf Mensch undUmwelt aus. Gemeinsam mit Schülern will der Physiker ChristopherKyba das Problem angehen. Von Francis LaugstienModerne Städte wie Berlin sind heute 24 Stundenlang hell erleuchtet. Mit der Erfindung der Glühbirnehat der Mensch die Nacht erobert, gleichzeitigaber auch eine neue Art der Umweltverschmutzung erfunden:Lichtverschmutzung. Der kanadische Physiker ChristopherKyba untersucht am Institut für Meteorologie der FU,wie sich die künstliche Aufhellung des Nachthimmels aufden Menschen und seine Umwelt auswirkt.Die Erforschung der Lichtverschmutzung steckt nochin den Kinderschuhen, doch es gibt viele Hinweise darauf,dass die Wissenschaftler hier auf ein gewichtiges Problemgestoßen sind. Ein Beispiel ist der Einfluss der Dauerhelligkeitauf den circadianen Rhythmus, die innere Uhr desMenschen: Bei Dunkelheit produziert unser Gehirn das HormonMelatonin. Dieser körpereigene Müdemacher sorgtdafür, dass wir einschlafen. Das ist wichtig, weil im Schlafdas Immunsystem den Körper repariert und so auch Krebsvorbeugt. Licht blockiert die Ausschüttung von Melatonin,hält uns wach und scheint auf diese Weise tatsächlich dasKrebsrisiko zu erhöhen. »Es gibt einen mehr als starken Verdacht,dass Licht in der Nacht zu einem Anstieg von Brustkrebserkrankungenführt«, sagt Kyba.Doch nicht nur die menschliche Gesundheit ist beeinträchtigt;die nächtliche Bestrahlung stört auch Tiere undPflanzen. Nachtaktive Lebewesen sind ohne den Schutz derDunkelheit ihren natürlichen Feinden ausgeliefert.Das Problem ist in der Bevölkerung noch weitgehendunbekannt. Auch deshalb ist es eines von Christoph KybasHauptanliegen, Nicht-Wissenschaftler in die Forschungeinzubeziehen. Mit seinem Projekt »Skyglow Berlin« möchteKyba zusammen mit Schülern aus Berlin und Brandenburgdie Helligkeit des Nachthimmels messen. Die Schüler erhaltentragbare Lichtmessgeräte, mit denen sie nachts insFreie gehen und die Lichtbelastung dokumentieren. Aufdiese Weise sollen sie nicht nur für das Problem sensibilisiertwerden, sondern auch praktische Erfahrung in wissenschaftlicherFeldforschung sammeln. »Mit etwas Glückwerden einige dieser Schüler später zu Lichtdesignern, Astronomenoder Biologen«, hofft Kyba. Die ermittelten Datenwerden über eine <strong>Online</strong>plattform Wissenschaftlern und interessiertenPersonen weltweit zur Verfügung gestellt.Finanziert wird das Projekt durch Crowdfunding im Internet– also nicht durch eingeworbene Drittmittel aus derIndustrie, sondern durch eine interessierte Öffentlichkeit.Bis zum 10. Juni müssen mindestens 5000 Euro eingegangensein. Mit dieser Summe könnten vier Schulen eingebundenund 20 Lichtmessgeräte angeschafft werden. Momentansucht der FU-Forscher nach Partnerschulen, die andem Projekt teilnehmen wollen. Mit seiner unkonventionellenArt der Finanzierung geht er allerdings ein hohes Risikoein. Wird der erforderliche Betrag nicht erreicht, wären alleMühen umsonst gewesen.Um die Lichtverschmutzung zu minimieren, so Kyba,müsste Licht sinnvoller eingesetzt werden. So ließe sichdie Verschwendung etwa verringern, indem man großeLeuchtreklamen in der Nacht abstellt. Eine düstere Zukunftschwebt Kyba dabei nicht vor. Wohl aber ein kluger Einsatzder Leuchtmittel, mit denen wir die Nacht erobert haben.Francis Laugstien geht nachts joggen. NatürlichenFeinden ist er bis jetzt zum Glück nochnicht begegnet.Berlin bei Nacht: ESA/NASA (André Kuipers)Nachthimmel und Bearbeitung: Christoph SpiegelBerlin bei Nacht ist alles andere alsdunkel. Sogar die Teilung der Hauptstadtist auf dieser Aufnahme vonder Internationalen Raumstationnoch erkennbar – im Osten leuchtendie Laternen in einer anderen Farbeals im Westteil der Stadt


38 Der empörte Studentder empörte studentMorgenstund hat Gold im Mund? Nicht für Max Krause. Er würde morgens lieber einpaar unflätige Beschimpfungen in den Mund nehmen – wenn er nur nicht so müde wäre.Guten Morgen liebe Frühaufsteher,wisst ihr, ich bin ein umgänglicherMensch – von mittags bis abends. Morgensbrauche ich aber einfach meine Ruhe.Der Wecker klingelt einmal, zweimal, dreimalund mit jedem Mal sinkt meine Laune.Wenn ich dann aus dem Bett krieche und indie Küche schlurfe – die Schrecken des anstehendenTages schon vor Augen – bin ichsowieso schon spät dran und habe keinenNerv für ausführliche Zwiegespräche mit dir,liebe Mitbewohnerin.Du hast erst in zwei Stunden Uni, konntestaber seit sechs Uhr nicht mehr schlafen?Das Leben ist ungerecht und ich fühle mitdir. Das bedeutet aber nicht, dass ich jetztdie Zusammenfassung der vergangenen 16Stunden deines Daseins hören will. In denenist nämlich erstaunlich viel Nichts passiert.Nachdem du fünf Minuten lang mit derverschlossenen Badtür gesprochen hast,hinter der ich mich zwischendurch verschanzthabe, ist wohl auch dir klar geworden,dass ich deine Ausführungen nur mäßigspannend finde. Zur Strafe für mein Desinteresseerinnerst du mich süffisant daran, dassich heute noch bei unserem Vermieter anrufensoll, um meinen verlorenen Schlüsselnachmachen zu lassen. Danke! Darf ich vielleichterst einmal richtig die Augen öffnen,ehe du mir ein schlechtes Gewissen machst?Am U-Bahnsteig steht mir dann dasnächste Treffen bevor, diesmal mit dir, meinquirliger Frühaufsteher-Kommilitone. Ichhabe schon in den ersten Wochen unseresStudiums beschlossen, deine Existenz zwarzu akzeptieren, nicht jedoch zu beachten.Eigentlich dachte ich immer, dass dieses Gefühlauf Gegenseitigkeit beruht. Aber heuteist es früh, du bist allein am Bahnsteig undbrauchst offensichtlich jemanden, dem dudein übervolles Herz ausschütten kannst.Selbstverständlich ergehst auch du dichausschließlich in Belanglosigkeiten. Glaubeich jedenfalls. Nach dem dritten Satz habeich aufgehört zuzuhören. Alles, was michdavon abhält jetzt in der Bahn einzudösen,ist meine anerzogene Höflichkeit und deineunangenehm quiekende Stimme, die jedeszweite Wort betont als würde es die Weltbedeuten.Als die U-Bahn schließlich am BahnhofDahlem-Dorf ankommt, wartet dort dasnächste Ärgernis. Das seid ihr, liebeBaumtöter vom U-Bahnausgang.Den fünf Kilo Totholz, die ihr mir in dieHand drückt, entnimmt mein weichesHirn Folgendes: Ich soll eine Zeitungabonnieren, die Welt retten, den Henry-Ford-Bau besetzen und irgendein neoliberalesCampusmagazin lesen. Leiderbin ich nicht Chamäleon genug, umeuren geschulten Blicken zu entgehen.Und eine schlagfertige Entgegnung aufeure dubiosen Angebote wird mir aucherst in einer halben Stunde einfallen.Wehrlos nehme ich alles entgegen.Ich habe nichts gegen euch alle.Wirklich nicht. Aber könnt ihr euchnicht einfach für die erste Stunde, nachdemich aufgestanden bin, kollektiv inLuft auflösen? Wenn es gar nicht andersgeht, dürft ihr danach auch wieder materialisieren.Dann werde ich mit blanken Augendeinen Ausführungen lauschen, liebeMitbewohnerin, glaubwürdig Interesse andeiner Existenz heucheln, lieber Kommilitoneund euch geben, was ihr verdient, liebeZeitungswegelagerer.Nur morgens hätte ich gerne meineRuhe. Klar? Denn so, wie es jetzt abläuft,laugt mich der Weg zur Uni regelrecht aus.Dann komme ich in meiner Vorlesung an –und muss mich erstmal erholen. Indem ich inder ersten Stunde selig schlummere.Illustration: Robin Kowalewsky<strong>FURIOS</strong> 10 IMPRESSUMHerausgeber: Freundeskreis Furios e.V. i.G.Chefredakteur: Florian Schmidt (V.i.S.d.P, FreieUniversität Berlin, JK 26/222a, Habelschwerdter Allee45, 14195 Berlin)Stellv. Chefredakteurin: Veronika VöllingerRessortleitung: Max Krause und Valerie Schönian(Politik), Katharina Fiedler (Campus),Kirstin Mac-Leod (Kultur), Matthias Bolsinger (Wissenschaft)Layout: Christopher Hirsch und Christoph SpiegelChef vom Dienst: Fabian HinsenkampRedaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe:Laura Bertram, Mara Bierbach, Josta van Bockxmeer,Melanie Böff, Matthias Bolsinger, Julia Brakel,Isabelle Caps-Kuhn, Rebecca Eickfeld, Katharina Fiedler,Margarethe Gallersdörfer, Fanny Gruhl, HannahKnuth, Max Krause, Ines Küster, Francis Laugstien,Vanessa Ly, Kirstin MacLeod, Helena Moser, FriederikeOertel, Lisa Paul, Ute Rekers, Thomas Rostek,Tycho Schildbach, Florian Schmidt, Valerie Schönian,Mareike-Vic Schreiber, Maik Siegel, Bente Staack,Inga Stange, Björn Stephan, Veronika Völlinger, FriederikeWerner, Fan YeFotografien: Cora-Mae Gregorschewski, ChristopherHirsch, Christoph SpiegelTitelgestaltung: Christopher Hirsch, Robin Kowalewsky,Friederike Oertel, Luise Schricker, ChristophSpiegelAutorenfotografien: Cora-Mae Gregorschewski,Christoph SpiegelIllustrationen: Cora-Mae Gregorschewski, Chris-topher Hirsch, Robin Kowalewsky, Friederike Oertel,Luise Schricker, Christoph Spiegel, Clara StraessleLektorat: Lisa EbinghausInserate: Katharina Fiedler, Fabian HinsenkampISSN: 2191-6047www.furios-campus.deredaktion@furios-campus.deJeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für denInhalt seines Artikels selbst verantwortlich. 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