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Furios<br />

StudentiScheS campuSmagazin an der Freien univerSität Berlin<br />

Kostenlos<br />

06<br />

Jun 2011<br />

HEIMAT


Anzeige<br />

Ihre Stadt.<br />

Ihre Karriere.<br />

Ihre Chance!<br />

Eintritt frei!<br />

6. Juli 2011, Axel-Springer-Passage/Ullstein-Halle<br />

>>> Jetzt anmelden unter absolventenkongress.de/berlin<br />

Unter der Schirmherrschaft<br />

von Klaus Wowereit<br />

Regierender Bürgermeister von Berlin


Für die Optik sOrgen:<br />

Julia Schönheit<br />

Furios 06 impressum<br />

Rachel Edelstein<br />

studied fine art at the University<br />

of California Santa Cruz. She<br />

enjoys reading and exercising in<br />

her free time.<br />

Cora-Mae Gregorschewski<br />

studiert Biologie, malt leidenschaftlich<br />

gern und hat ihre Fotos<br />

aus <strong>FURIOS</strong> auch schon in der<br />

SZ und im TIP veröffentlicht.<br />

Christian Güse<br />

studiert Nordamerikastudien und<br />

fühlt sich am eigenen Zeichenbrett<br />

so heimelig, dass er dort auch gern<br />

mal übernachtet.<br />

studiert Spanisch und Nordamerikastudien<br />

im 4. Semester.<br />

Christoph Spiegel<br />

studiert Mathe und VWL und<br />

geht nächstes Semester nach<br />

Australien.<br />

Sarah Ungan<br />

studiert Geschichte und Kultur<br />

des Vorderen Orients und fotografiert<br />

auch mal ganz gerne.<br />

Herausgeber: Freundeskreis Furios e.V.<br />

Chefredakteur: Filip Tuma (V.i.S.d.P., Am Toch 6,<br />

26605 Aurich)<br />

Stellvertretender Chefredakteur: Hendrik Pauli<br />

Ressortleitung Campus: Anchalee Rüland<br />

Ressortleitung Kultur: Eliese Berresheim<br />

Ressortleitung Politik: Hendrik Pauli<br />

Layout: Christoph Spiegel, Christian Güse, David Goldwich<br />

Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Catharina Tews, Margarethe Gallersdörfer, Jonna<br />

Lüers, Valeria Schönian, Jonas Breng, Björn Stephan,<br />

Furios 06/2011<br />

MitMachen?<br />

www.fucAmpus.de/mitmAchen<br />

mitmAchen@furios-cAmpus.de<br />

Liebe KommiLitoninnen,<br />

Liebe KommiLitonen,<br />

lehnt Euch einen Moment zurück, macht es Euch bequem. Denkt<br />

an zu Hause, an den moosigen Geruch des Schwarzwaldes, die bayrische<br />

Blasmusik, den wohltuenden Kölner Dialekt: Fühlt Euch ganz<br />

daheim! Und – spürt ihr es, das Heimatgefühl?<br />

Selbst wenn es gerade für einen kleinen Moment da war, wurde es<br />

doch schon im nächsten von der gierigen Meute in der Mensa niedergetrampelt<br />

oder zwischen den anderen tausend unbekannten Gesichtern<br />

beim Spurt zum Seminar verpufft. Wer soll hier heimisch werden?<br />

Die meisten von uns haben ihr Zuhause zurückgelassen. Es zieht uns<br />

in die Ferne, neue Orte zu entdecken, Erfahrungen zu sammeln. Auf<br />

dieser ständigen Flucht nach vorn bleibt uns selten die Zeit, darüber zu<br />

sinnieren, wo wir uns tatsächlich zu Hause fühlen.<br />

Also begeben wir uns auf die Suche – nach einem Gefühl, das sehr<br />

flüchtig scheint, obwohl es doch eigentlich an einen festen Ort gekoppelt<br />

ist. Anchalee Rüland spürt den Wurzeln des Begriffs nach und<br />

erkennt, dass Heimat für uns umso mehr Bedeutung gewinnt, je weiter<br />

sie entfernt ist. Catharina Tews traf sich mit Moritz von Uslar, der für<br />

kurze Zeit die Hauptstadt gegen die brandenburgische Provinz eintauschte<br />

und dabei eine selbstverständliche Verbindlichkeit vorfand.<br />

Ein besonders vertracktes Gefühl ist es, fern von daheim zu sein, wenn<br />

sich dort gerade eine Revolution abspielt. Michael Wingens und Filip<br />

Tuma unterhielten sich mit zwei Studentinnen aus Kairo, die genau<br />

das durchleben mussten. Ob es letztlich möglich ist, sich in Berlin<br />

ein warmes Nest einzurichten, diese Frage stellt sich Hendrik Pauli<br />

und beschreibt dabei eine nicht ganz unkomplizierte Liaison. Der<br />

Flaneur schließlich ließ sich dazu bewegen, für uns ein paar Orte der<br />

Ruhe und Besinnung ausfindig zu machen. Auf was er dabei stieß –<br />

lest selbst!<br />

Wer mit dem Heft durch ist und nicht genug haben kann, findet<br />

aktuelle Nachrichten, Reportagen und Veranstaltungstipps rund um<br />

die FU auf www.furios-campus.de.<br />

In unserer Redaktion gibt es stets Platz für neue Furiose. Egal ob<br />

Ihr schreiben, fotografieren oder gestalten wollt – kommt vorbei!<br />

Die Termine für unsere Redaktionstreffen findet Ihr online.<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch<br />

Eure <strong>FURIOS</strong>-Redaktion<br />

Matthias Bolsinger, Max Krause, Katharina Hilgenberg,<br />

Henrice Stöbesand, Viktoria Deßauer, Rebecca<br />

Ciesielski, Fanny Gruhl, Konstanze Renken, Vincent<br />

Novak, Galina Haak, Laura Gertken<br />

Illustrationen: Rachel Edelstein, Christian Güse, Julia<br />

Schönheit, Cora-Mae Gregorschewski<br />

Fotografien: Sarah Ungan, Cora-Mae Gregorschewski,<br />

Christian Güse, Julia Schönheit<br />

Titelfoto: Sarah Ungan<br />

Lektorat: Carolin Benack<br />

Inserate: Michael Wingens – inserate@furios-campus.de<br />

� www.furios-campus.de<br />

� redaktion@furios-campus.de<br />

editoriaL<br />

Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den<br />

Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in<br />

den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht<br />

zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß<br />

dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen<br />

Werken bei den jeweiligen Autoren.<br />

3


4<br />

inhaLt<br />

inhalt 06<br />

titelthema: heimat<br />

Das Plan-B-Gefühl 6<br />

Jeder hat sie. Entziehen kann man sich ihr kaum. Doch woher<br />

kommt sie, die Heimat? Auf der Suche nach den Wurzeln<br />

eines schwer fassbaren Begriffs.<br />

Heimatgespräch 8<br />

Moritz von Uslar im <strong>FURIOS</strong>-Gespräch über sein neues<br />

Buch »Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung«.<br />

Für die Recherche verbrachte er drei Monate in der brandenburgischen<br />

Provinz Zehdenick alias »Oberhavel« – irgendwo<br />

zwischen Hartz IV-Avantgarde, magischen Spielautomaten<br />

und dem Witz des Dahingelaberten.<br />

Kairo Calling 10<br />

In Ägypten bricht die Revolution aus – alles über Nacht.<br />

Die Studentinnen Hend und Masouda müssen in Berlin<br />

mitverfolgen, was in ihrer Heimat passiert, abgeschnitten<br />

von ihren Familien.<br />

Berlin – so nah, so fern 12<br />

Sie kommen um zu bleiben. Jedes Jahr wird Berlin für zigtausende<br />

junge Menschen zur neuen Heimat.<br />

Politik<br />

Interview mit Peter-André Alt 16<br />

Der Präsident im Gespräch über Hochschulnovelle,<br />

Schleudersitze und politische<br />

Ambitionen.<br />

Atemnot im Hörsaal 18<br />

Wenn die Doppeljahrgänge kommen, rücken wir alle zusammen.<br />

Einsamer Protest 19<br />

Das Berliner Hochschulgesetz kommt und keiner geht hin.<br />

Akademische Ängste 20<br />

Was Hartz IV mit der Uni zu tun hat.<br />

CamPus<br />

24 »Eltern haften für<br />

ihre Kinder« – wen hat das je<br />

abgehalten?<br />

Furios tagesaktuell<br />

auF<br />

Fu-CamPus.de<br />

Gefundenes Fressen 22<br />

Frisches aus dem Müllcontainer.<br />

Licht aus in der großen Stadt 24<br />

Unsere Industrie verfällt. Zeit für eine Entdeckungsreise.<br />

Maybe Baby 26<br />

Eine gute WG zu finden, ist schwer...<br />

Hot Stuff 27<br />

…einen passenden Mitbewohner, umso mehr.<br />

Ein unmoralisches Angebot 30<br />

Ghostwriter verschaffen geplagten Studenten Atempausen.<br />

Furios 06/2011


8 »Warum sie aufgehört<br />

haben, Nazis zu sein? Weil<br />

sie endlich mal wieder einen<br />

Döner essen wollten.«<br />

kultur<br />

4 aus 40 000 14<br />

Liebe lieber Afrikanisch 28<br />

Die Sexkunst Kunyaza im Selbsttest.<br />

Warenfetisch: 31<br />

Moleskine – Leere Seiten statt Charakter.<br />

»Da kommste nich’ raus« 32<br />

Die Slam-Poeten Marc-Uwe Kling und Sebastian Lehmann im<br />

Gespräch.<br />

Tütensuppentotalitarismus 32<br />

Klings Känguru-Chroniken in der Rezension.<br />

Der Flaneur 33<br />

Im Rausch der grünen Triebe.<br />

Veranstaltungskalender 34<br />

10 Das ägyptische Regime wurde nicht im Internet<br />

zu Fall gebracht, sondern auf den Straßen Kairos. Hend und<br />

Masouda kennen die Menschen hinter den Medienberichten.<br />

Anzeige<br />

empörter student<br />

5


6<br />

titeLthema: heimat<br />

das plan-B-geFühl<br />

Jeder hat sie. Entziehen kann man sich ihr kaum. Doch woher kommt sie, die Heimat?<br />

Auf der Suche nach den Wurzeln eines schwer fassbaren Begriffs.<br />

Von AnchAlee rülAnd. Illustration von rAchel edelstein.<br />

550<br />

Kilometer. Der Weg nach Hause ist weit. So weit, dass Nina die<br />

Fahrt nur selten auf sich nimmt. Heute sitzt sie im Zug, die dunkle<br />

Nacht rauscht vorbei, drinnen herrscht gedämmtes Licht und dösige<br />

Stimmung. Noch drei Minuten. Ninas Herz klopft. Der Zug<br />

bremst ab, wird langsamer und dann endlich: die hell erleuchtete<br />

Skyline von Frankfurt am Main. »In dem Moment weiß ich, jetzt<br />

ist es nicht mehr weit«, sagt Nina, die im vierten Semester Geschichte<br />

und Publizistik an der Freien Universität studiert. Nicht<br />

mehr weit bis nach Hause meint sie, denn Nina kommt aus einem<br />

kleinen 200-Seelen-Dorf in der Nähe von Frankfurt am Main.<br />

So wie Nina geht es den meisten Menschen. Sei es der Dormitzer<br />

Kirchturm, das Freienwalder Ortsschild oder der Kölner Dom:<br />

Wenn sie in die Heimat zurückkehren, steigt der Adrenalinpegel<br />

und neben der Freude macht sich eine leichte Nervosität breit.<br />

Trotzdem bleibt Heimat für jeden etwas sehr Individuelles. Jeder<br />

hat sie – für sich. Doch es ist nahezu unmöglich, zu beschreiben, in<br />

welchem Verhältnis Gefühl, Erinnerung und Geografie zusammen<br />

kommen müssen. Das macht eine klare Definition schwierig. »Heimat<br />

ist dort, wo man sehr viele Erfahrungen zum ersten Mal hatte.<br />

Wo man also biologisch betrachtet in der Kindheit und Jugend<br />

möglichst viele Informationen wie Gerüche und Farben im Gehirn<br />

abspeichern konnte«, sagt Michael Cugialy, Diplom-Psychologe an<br />

der Freien Universität. Er arbeitet in der Zentraleinrichtung für<br />

Studienberatung und psychologische Beratung und hat dort häufiger<br />

mit Heimweh und Einsamkeitsgefühlen zu tun.<br />

Für Nina ist Heimat ein »Plan-B-Gefühl«. »Ich weiß, dass ich<br />

immer nach Hause kommen kann. Deshalb macht mich Heimat<br />

glücklich. Ich muss aber auch nicht bleiben, ich kann jederzeit wieder<br />

gehen«, sagt sie. Für sie ist am wichtigsten, dass ihre Familie<br />

und Freunde da sind, dann fühlt sie sich zu Hause. Thomas Stodulka<br />

sieht das ähnlich. Er ist Ethnologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

des Exzellenz-Clusters »Languagess of Emotion«– ein echter<br />

Gefühlsexperte also. »Auch wenn es heute in Mode gekommen ist,<br />

dass man sich von seiner Familie lossagen und sich eine Wahlfamilie<br />

suchen kann, gehören für mich Mutter, Vater und Geschwister<br />

zu Heimat dazu«, sagt er.<br />

•<br />

Der Begriff bereitet Kopfzerbrechen. Unzählige Literaten und<br />

Dichter, darunter Max Frisch und Joseph von Eichendorff, haben<br />

sich mit ihm beschäftigt. So lag für Max Frisch das Besondere in der<br />

Unübersetzbarkeit des deutschen Wortes »Heimat«. Ein Blick ins<br />

Wörterbuch genügt, um zu sehen, dass eine Übertragung in andere<br />

Sprachen schwierig ist. »Home« oder »homeland« im Englischen,<br />

»Patrie« im Französischen, »Roma« im Indonesischen. Gemeint ist<br />

entweder das Haus oder das Vaterland. Beides gibt die Bedeutung<br />

des Wortes »Heimat« nur unvollständig wieder. »Im Deutschen hat<br />

man eine sprachliche Repräsentation gefunden, die sowohl Ort als<br />

auch Gefühl einschließt, ohne dass eins von beiden linguistisch<br />

wirklich betitelt wird. Denn Heimat ist nicht gleich Heimatort<br />

oder Heimatgefühl, sondern beides«, sagt Thomas Stodulka und<br />

sieht darin die Besonderheit des deutschen Begriffs.<br />

Verfolgt man die Spur des Wortes zurück zu seinen Anfängen,<br />

dann zeigt sich ein gemeinsamer Ursprung des Begriffs in den verschiedenen<br />

Sprachen. Von dem germanischen Wort »heim«, das<br />

so viel bedeutete wie Wohnplatz oder Haus, leitet sich nicht nur<br />

das deutsche »Heim« ab, sondern auch das englische »home«. Beides<br />

bezeichnet den Ort, an dem man lebt. »Heimat« meint aber<br />

vor allem immaterielle Werte und damit mehr als das Gebäude, in<br />

dem man aufwächst. Dieser Aspekt kam im 8. Jahrhundert durch<br />

das althochdeutsche »heimoti« und später das mittelhochdeutsche<br />

»heimote« hinzu, das sich mit »zu dem Heim gehörig« übersetzen<br />

lässt.<br />

•<br />

Mit der Zeit wandelte sich die Bedeutung von Heimat stark – vor<br />

allem vergrößerte sie ihren Radius und bezog nun auch den rechtlichen<br />

und literarisch-sehnsüchtigen Zusammenhang ein. Denn wer<br />

im Mittelalter das »Heimatrecht« besaß, der durfte sich in einer<br />

Siedlung niederlassen: Heimat als klar definierter Rechtsbegriff.<br />

Im 18. Jahrhundert, der Epoche der Romantik, wurde Heimat als<br />

Gegenentwurf zur Realität entwickelt – eine vertraute Landschaft<br />

oder Natur, nach der man sich in der Fremde zurücksehnte. Ein<br />

Gedanke, der auch heute noch gilt: »Was einem Heimat bedeutet,<br />

merkt man vor allem dann, wenn man Mentalitätsunterschiede<br />

feststellt, wie zum Beispiel im Ausland oder in einer fremden<br />

Stadt«, sagt Michael Cugialy.<br />

Im 19. Jahrhundert, der Zeit der industriellen Revolution und<br />

der großen Bevölkerungswanderungen, erhielt der Begriff eine<br />

Furios 06/2011


politische Färbung. Der Ruf nach einer Deutschen Nation wurde<br />

laut. Dem französischen »Patrie« folgend wurde Heimat zum Synonym<br />

für Vaterland und Nation und hatte damit immer noch eine<br />

positive Bedeutung. So wie heute, weiß Cugialy und verweist auf<br />

die selektive Erinnerung: »Der Begriff Heimat und eine negative<br />

Beschreibung schließen sich eher aus. Negative Erfahrungen sind<br />

zwar nicht eliminierbar, aber ihre Bewertung kann sich ändern.<br />

Das Gedächtnis ist so organisiert, dass man sich an unangenehme<br />

Erfahrungen weniger gut erinnert als an positive.« Auch Nina fällt<br />

zu Heimat spontan nichts Negatives ein: »Seitdem ich ausgezogen<br />

bin, nehme ich störende Aspekte nicht mehr so wahr. Vielleicht<br />

sehe ich Zuhause durch die Entfernung auch etwas durch die rosarote<br />

Brille. Ich möchte einfach nicht negativ darüber denken.«<br />

Doch manche Erinnerungen sind so verstörend, dass sie nur<br />

negativ betrachtet werden können. So wurde Heimat im Dritten<br />

Reich für viele zu etwas abgrundtief Schlechtem. Von der Nazi-<br />

Propaganda missbraucht, bestimmte die Blut- und Bodenideologie<br />

den Einheitsgedanken. Heimat war gleichbedeutend mit<br />

dem Ausschluss aller Nicht-Deutschen. Für Millionen ein Todesurteil.<br />

Nach dem Krieg war Heimat für lange Zeit etwas sehr<br />

Konservatives. Der Heimatfilm feierte seine Erfolge und<br />

gaukelte der Nachkriegsgeneration eine heile Welt vor.<br />

Gleichzeitig sorgte die ständige Auseinandersetzung mit<br />

den deutschen Vertriebenen für politischen Zündstoff.<br />

Sie forderten das »Heimatrecht im Osten« – die Rückgabe<br />

von Pommern und Schlesien – und diskreditierten<br />

somit das Motiv für Jahrzehnte.<br />

»Heute wird der Begriff wieder sexy«, meint der<br />

Ethnologe Thomas Stodulka. »Vielleicht erfahren<br />

wir in Zukunft eine Zweiteilung entlang des<br />

Begriffs Heimat. Für eine kosmopolitische<br />

Klasse wird sich herausstellen, dass Heimat<br />

für sie nur noch wenig Bedeutung hat. Für<br />

die Meisten wird Heimat aber weiter von<br />

Bedeutung sein – vielleicht umso mehr.«<br />

Es ist kein Zufall, dass viele Menschen<br />

später an ihren Heimatort zurückkehren.<br />

Dies liege vor allem an<br />

positiven Erinnerungen, erklärt<br />

Michael Cugialy. »Die Leute<br />

Furios 06/2011<br />

•<br />

titeLthema: heimat<br />

erinnern sich daran, dass sie an diesem Ort eine gute Kindheit hatten.<br />

Im Gehirn wird bei der Rückkehr viel aktiviert, sodass einem<br />

Geschichten wieder einfallen, die vorher vielleicht nicht mehr präsent<br />

waren.«<br />

Diese Sehnsucht nach alten Zeiten verspürt auch Nina. Trotzdem<br />

soll Berlin noch für eine Weile ihr Zuhause bleiben. Zurückkehren<br />

möchte sie erstmal nicht. ■<br />

Anchalee Rüland ist Leiterin des Campus-Ressorts. Zu<br />

Hause fühlt sie sich in Bonn. Berlin ist aber auch ganz<br />

schön.<br />

7


8<br />

titeLthema: heimat<br />

Herr von Uslar, es ist 11.41 Uhr. Wäre<br />

es in Oberhavel jetzt schon Zeit für ein<br />

Hackepeterbrötchen?<br />

Absolut. Ich saß immer um neun Uhr in<br />

der Gaststätte Schröder und dann kamen<br />

ein Pott Kaffee, zwei »Hacke«, ein Marmeladenbrötchen<br />

und das Schönste auf der<br />

Welt: ein Eibrötchen.<br />

Sie hatten Lust auf ein Abenteuer und<br />

suchten sich einen Ort, an dem faktisch<br />

nichts passiert. Wie passt das zusammen?<br />

Mir ging es tatsächlich um eine andere<br />

Lebenswirklichkeit. Ich wollte andere<br />

Gespräche hören, einen anderen Beat,<br />

einen anderen Humor kriegen, als diesen<br />

super ironischen, abgehängten Berliner<br />

Hipsterquark. Eins härter, eins direkter, eins<br />

prolliger. Der angebliche Proll ist natür-<br />

lich auch keiner. Das musst du schreiben!<br />

(Lacht.) Der Proll ist mit seiner eigenen<br />

Selbstinszenierung so sehr beschäftigt, dass<br />

es ihn praktisch nicht mehr gibt.<br />

Wie haben Sie das hinbekommen, keine<br />

Stereotypenreportage zu schreiben?<br />

Ich wollte einfach kein scheiß Plattenbau-<br />

Tourist sein – der tausendste, der da mit<br />

der berühmten Reporter-Neugier und ganz<br />

viel tollem Verständnis gucken kommt, was<br />

die tätowierten Assi-Kids so treiben. Besser:<br />

sich einfach an die Theke mit hinstellen,<br />

mitsaufen, die Klappe halten, sehen, was<br />

passiert. Ich habe mich saufend zur Verfügung<br />

gestellt – so umschreibe ich meine<br />

Recherchetechnik. In der Wiederholung<br />

an sich liegt schon Unwahrheit. Jeder Tag,<br />

an dem man nicht urteilt, ist ein gewonnener<br />

Tag. Die Menschen in Oberhavel<br />

haben sich als äußerst kommunikativ und<br />

verbindlich herausgestellt. Meine Beziehung<br />

zu den Leuten geht bis heute weit über das<br />

Buch hinaus.<br />

Den Großteil Ihrer teilnehmenden Beobachtung<br />

verbrachten Sie mit den Mitgliedern<br />

der Band »5 Teeth Less«: Raoul,<br />

Eric, Rampa und Crooner. Was macht<br />

deren Freundschaft aus?<br />

Die heißen in echt Paul, Carl, Drüse und<br />

Spooner. I love the names! Der Ort und die<br />

Band hält diese Jungs zusammen. Wichtig<br />

»Jeder tag, an deM Man<br />

nicht urteilt, ist ein<br />

gewOnnener tag.«<br />

ist die Band natürlich auch deshalb, weil die<br />

Arbeit wenig taugt und auch sonst Wenig<br />

taugt. Alle die Jungs, die ich beschreibe,<br />

sind in der Kneipe Schröder zu Oberhavel<br />

großgeworden – ein fast mystischer Ort:<br />

Hier spielen sich am Freitagabend wahre<br />

Western-Szenen ab.<br />

Paul, der selbst Hartz IV bezieht, definiert<br />

den typischen Hartz IV-Empfänger<br />

als »dreckigen Hund, dicke Alte dazu,<br />

zwei Kinder und immer versoffen.« Reden<br />

sich alle ein, sie wären anders?<br />

Der Hartz-IV-Empfänger an sich nimmt<br />

sich immer als den untypischen Hartz-IV-<br />

Empfänger wahr. Der sagt: »Das ist nur ein<br />

Übergang bei mir, ich hab mit den Assis<br />

nichts zu tun«. Und logischerweise gibt es<br />

auch unter Hartz-IV-Empfängern verschiedene<br />

Stufen der Selbstwahrnehmung, aber<br />

auch des sozialen Absturzes. Das gehört zur<br />

Selbstbehauptung und zum Selbstschutz.<br />

Die Jungs aus der Band wirkten extrem<br />

unverzweifelt und untrostlos auf mich. Paul<br />

arbeitet jetzt sogar wieder.<br />

Es gibt so großartige Sätze in Ihrem Buch<br />

wie: »Alkoholiker: Kopfschmerzen habe<br />

ich heute. Weiß gar nicht von was. Vielleicht<br />

vom Fahrrad fahren ohne Mütze.«<br />

Genauso gefallen! Riesig! (Lacht.) Sowas<br />

hab ich gerne. Kann ich nicht genug hören.<br />

Das ist ja auch der Sinn, dass man einfach<br />

diesen Bla abschreibt.<br />

Es heißt, in Oberhavel leben nur drei<br />

Schwarze. Der Ethos der Jugend bleibt<br />

der Rechtsradikalismus – wie passt das<br />

zusammen?<br />

Ich habe dort alles andere als einen Naziort<br />

gefunden. Aber die Leute, mit denen ich<br />

rumhing, sagten von sich selbst, sie seien<br />

früher Nazis gewesen. Dabei war das echt<br />

Für die Recherche verbrachte er drei Monate in der brandenburgischen Provinz Zehdenick alias<br />

»Oberhavel« – irgendwo zwischen Hartz IV-Avantgarde und dem Witz des Dahingelaberten.<br />

MORITZ VON USLAR über sein neues Buch »Deutschboden/Eine teilnehmende Beobachtung«.<br />

Das Gespräch führte cAthArinA tews — Foto von corA-mAe gregorschewsKi<br />

inFo<br />

Moritz von Uslar, 40, ist der Erfinder der legendären<br />

»100 Fragen an...«-Interviews der<br />

Süddeutschen Zeitung. Er war Redakteur<br />

beim SPIEGEL und schreibt heute für die<br />

ZEIT die Beiträge »99 Fragen« und »Freitagnacht«.<br />

Nach Theaterstücken und einem Roman<br />

ist »Deutschboden« sein aktuellstes Buch.<br />

schwierig, meinten sie. Man wollte immer<br />

Ausländer hassen, es waren aber irgendwie<br />

gar keine da. Das sagten sie mit einem<br />

Lächeln und einem Kopfschütteln. Warum<br />

sie aufgehört haben? »Na ehrlich gesagt,<br />

wollten wir endlich mal wieder einen Döner<br />

essen.« Find ich so gut! (Lacht.) Das sagt<br />

mehr über die Nazizeit aus als viele lange<br />

Aufsätze. Ohne etwas verharmlosen zu<br />

wollen, erklärt es, was Rechtsradikalismus<br />

in den neuen Bundesländern damals auch<br />

sein konnte: ein Style, eine Jugendkultur,<br />

einfach die letzte Möglichkeit, seinen Eltern<br />

auf die Nerven zu gehen. Sie haben es selbst<br />

so beschrieben: »Es ging darum, dass man<br />

die Straße runtergelaufen ist und die Leute<br />

den Bürgersteig gewechselt haben.« Und<br />

wenn wir das so sagen, dann sind wir da,<br />

wo jede Jugendkultur seit Rockabilly, seit<br />

den Teds hin will: Leute erschrecken. Ein<br />

Alptraum sein.<br />

Furios 06/2011


Uslar erzählt von seinen Erfahrungen in der Kleinstadt, einer anderen Welt, an die er sich gewöhnen könnte.<br />

Welche Rolle spielt die Heimat in der<br />

Provinz?<br />

Es gibt eine ganz starke Verbundenheit<br />

zu der Kleinstadt und der Region. Die<br />

Einwohner werden da auch im Zweifelsfall<br />

nicht weggehen. Kennen jeden Baum,<br />

jedes Haus, jeden Typen, haben zu allem<br />

ne Geschichte. Ich als Reporter habe keine<br />

Heimat. Für mich ist Heimat so ein abstrakter<br />

Begriff wie Freiheit. Ich bin in Köln<br />

geboren, bin dann in Berlin aufgewachsen,<br />

dann ins Internat im Schwarzwald, später<br />

Hamburg, München und seit zehn Jahren<br />

bin ich wieder in Berlin. Einen Ankerpunkt<br />

im wörtlichen Sinne habe ich nicht. Um<br />

es kitschig zu sagen: Ich bin heimisch im<br />

Film, in der Literatur, in der Popkultur, im<br />

Lebensstil. Ich brauche keine Heimat, weil<br />

ich sie so nicht kenne. Gleichzeitig wirkt<br />

sie natürlich wahnsinnig attraktiv auf mich.<br />

Ein Zuhause zu haben, wie die Jungs es<br />

mir vorgelebt haben, finde ich unheimlich<br />

schön. So eine Ruhe liegt darin. Königlich.<br />

Rumgammeln an der Tanke und angeheiterte<br />

Autorennen – irgendwie hört sich<br />

das aus Ihrem Mund alles ganz romantisch<br />

und dufte an?<br />

Das kommt daher, weil ich es auch wirklich<br />

als dufte und romantisch erlebt habe. Ich<br />

bin ja Fan von diesem Leben da. Es hat<br />

Furios 06/2011<br />

Würde und Humor. Ich schaue voller Respekt<br />

darauf und ich kann wirklich irre gut<br />

nachvollziehen, warum die so leben. Man<br />

kann sich nicht aussuchen, wie man lebt.<br />

Es ist deswegen auch so ein wahnsinniger<br />

Luxus gewesen, dieses andere Leben mal<br />

drei Monate ausprobieren zu können. Mich<br />

berührt dieses Leben in Oberhavel, in der<br />

Kleinstadt, mehr als ein luxuriöses Leben.<br />

Ich überlege, ob man da nicht irgendwann<br />

mal ein Ferienhaus baut.<br />

In einem Absatz fragen Sie sich, ob die<br />

Randexistenzen der Gesellschaft in Wahrheit<br />

keine Problemfälle, sondern eine Art<br />

der Avantgarde sind. Wie jetzt?<br />

Der Begriff »Avantgarde« ist keine qualitative<br />

Aussage. Er meint, dass gewisse Leute<br />

gedanklich oder im Lebensstil einer großen<br />

Entwicklung vorausgehen. Wenn man sieht,<br />

wie sich in Brandenburg Orte entvölkern<br />

und wie Leute eine Lebenspraxis entwickeln,<br />

um damit zurecht zu kommen, dann<br />

würde ich das als Avantgarde bezeichnen.<br />

Sie haben keine Arbeit, hängen in Jungsgangs<br />

miteinander rum und dabei halten sie<br />

trotzdem ihre Würde und familiäre Strukturen<br />

hoch. Ich finde diese Art des Lebens<br />

total untrostlos und in Ordnung. Ich kann<br />

hier sagen, macht mal weiter so Männer!<br />

titeLthema: heimat<br />

Lässt sich in<br />

Ihrem Buch<br />

ein tieferer<br />

Sinn entdecken?<br />

Hoffentlich<br />

nicht. Also ich<br />

kenne ihn nicht.<br />

Ich darf ihn nicht kennen.<br />

So wie es Rainald Goetz sinngemäß<br />

Fortsetzung<br />

online auF<br />

Fu-CamPus.de<br />

immer gesagt hat: »Aller Sinn ist Erkennen,<br />

ist Festhalten der Gegenwart.« Die Aufgabe<br />

der Literatur liegt im genauen Abschreiben<br />

der Welt, der Gegenwart, der Wirklichkeit:<br />

Hierin sehe ich meine Aufgabe. Was im<br />

Alltag dieses Landes passiert, das ist das<br />

Dramatischste, Irrste, Überraschendste<br />

und gleichzeitig Poetischste, was ich als<br />

deutscher Autor beschreiben kann. Das<br />

im O-Ton festzuhalten und literarisch zu<br />

verdichten, was in gutgehenden Lokalen<br />

in Zehdenick um halb zwölf mittags beim<br />

fünften Pilsbier besprochen wird – gut, das<br />

ist der Traum. Schöner wird es nicht. ■<br />

Catharina Tews studiert Spanisch<br />

und Publizistik. Sie wird<br />

diesen Sommer ihr erstes Pils<br />

bei Schröder trinken gehen.<br />

9


10<br />

titeLthema: heimat<br />

kairO calling<br />

In Ägypten bricht die Revolution aus – alles über Nacht. Die Studentinnen Hend und<br />

Masouda müssen in Berlin mitverfolgen, was in ihrer Heimat passiert, abgeschnitten von<br />

ihren Familien. Von michAel wingens und filip tumA. Fotos von sArAh ungAn.<br />

Furios 06/2011


Ä<br />

gypten ist stabil. Das dachten zumindest alle. Doch Tunesiens Regierung<br />

war gerade erst gestürzt, als ein Facebook-Mitglied unter<br />

dem Pseudonym ElShaheed zum Protest aufrief: »Kommt zum<br />

Tahrir-Platz, am Samstag dem 25. Januar.« Die Nachricht verbreitete<br />

sich über die sozialen Netzwerke wie ein Lauffeuer. Innerhalb<br />

weniger Tage versammelten sich tausende Menschen in mehreren<br />

ägyptischen Städten und demonstrierten für Freiheit und Reformen.<br />

Auch für Hend Labib waren die Unruhen eine Überraschung.<br />

Jäh wurde sie aus ihrem Alltag an der Freien Universität gerissen.<br />

Die junge Ägypterin studiert Politikwissenschaft am Otto-Suhr-<br />

Institut. Was sie hier nur in der Theorie behandelt, wurde in ihrer<br />

Heimat plötzlich Realität. Hend wuchs in der Nachbarschaft<br />

des Tahrir-Platzes auf, der als Ausgangspunkt der Revolution zum<br />

Symbol für den arabischen Frühling wurde. Wenn sie nun die Berichte<br />

von den Straßen Kairos in den Medien verfolgt, dann sieht<br />

sie keine exotischen Plätze voller Demonstranten und Sicherheitskräfte,<br />

sondern Schauplätze ihrer Kindheit, wo ihre Familie noch<br />

immer wohnt.<br />

Die 24-jährige Masouda Stelzer ist Tochter eines deutschen Einwanderers.<br />

Zum Studieren ist sie nach Berlin gekommen. Viele ihrer<br />

Schulfreunde und Bekannte protestierten auf dem Tahrir-Platz<br />

gegen das Regime. Nichts konnte sie einschüchtern. Sie wichen<br />

auch nicht, als der Innenminister Scharfschützen postieren ließ<br />

und die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas auf sie losging.<br />

Masouda macht sich aber nichts vor. Sie ist sich bewusst, dass<br />

die Bewegung von einer privilegierten Jugend angetrieben wird.<br />

Anders als die Menschen, die am meisten unter dem Regime litten,<br />

haben sie die Zeit, Proteste zu organisieren und Zugang zu<br />

höherer Bildung. Gerade deshalb sehen sich die jungen Ägypter<br />

in der Verantwortung dafür zu kämpfen, auch den Ärmsten eine<br />

Perspektive zu geben – bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 30%<br />

keine einfache Aufgabe. »Das Mubarak-Regime hat zu lange versäumt,<br />

das Land zu reformieren. Jetzt hat sich der Unmut darüber<br />

entladen«, fasst Masouda die Situation zusammen.<br />

•<br />

Während sich der Druck auf den Straßen erhöhte, standen<br />

für Hend schlaflose Nächte bevor. Das Regime kappte sämtliche<br />

Kommunikationswege. »Ich hatte keine Möglichkeit mehr, meine<br />

Familie in Kairo zu erreichen, weder über Telefon noch per<br />

Internet.« Unterdessen rollten wenige Schritte vom Arbeitsplatz<br />

ihrer Mutter Panzer auf. Die Lage in Kairo eskalierte. Zur gleichen<br />

Zeit konnte Hend in Berlin lediglich Videozusammenschnitte im<br />

Internet verfolgen. Hend und Masouda war klar, dass sie sofort<br />

in ihre Heimatstadt zurückkehren mussten. Zu Tatenlosigkeit<br />

verdammt zu sein, während zuhause alles aus den Angeln gehoben<br />

wird, war für beide schwer zu ertragen. Schließlich waren es<br />

Furios 06/2011<br />

ihre Mütter, die sie davon abhielten, nach Ägypten zu kommen.<br />

Masouda erinnert sich: »Meine Mutter sagte mir immer wieder, es<br />

wäre gar nichts los.«<br />

Dabei war allen klar: Die Realität sah anders aus. Es gab massenhaft<br />

Überfälle und Plünderungen. Die Untätigkeit der Polizei<br />

war Kalkül des Regimes. »Ohne uns versinkt ihr im Chaos« lautete<br />

die Botschaft. Eine Drohgebärde, auf die sich die Bevölkerung<br />

nicht einließ. Sie bildete eine Bürgerwehr, um die Straßen<br />

und Geschäfte zu sichern. Masoudas Bruder, gerade erst achtzehn<br />

geworden, half Straßensperren zu errichten, um Plünderer aufzuhalten,<br />

während Hends Vater jede Nacht mit dem Gewehr in der<br />

Hand in der Nachbarschaft patroullierte. Derweil erreichte die<br />

revolutionäre Stimmung vom Tahrir-Platz auch Berlin. Dutzende<br />

demonstrierten vor der ägyptischen Botschaft und am Brandenburger<br />

Tor. Hend war oft dabei. »Ich hatte aber nicht das Gefühl,<br />

einen echten Beitrag zu leisten«, sagt sie.<br />

Die Anspannung entlud sich erst in dem Moment, als klar wurde:<br />

Mubarak war zurückgetreten. Jubel brandete auf am Brandenburger<br />

Tor.<br />

•<br />

titeLthema: heimat<br />

Mittlerweile sieht Masouda die Dinge nüchterner. »Ob das mit<br />

der Demokratie klappt, ist für mich die große Frage. Ein Regime<br />

ist schneller abgeschafft, als ein neuer Staat errichtet«, sagt sie.<br />

»Die Bevölkerung hat zwar eine Chance, sich neu zu orientieren,<br />

doch die Menschen sind sehr ungeduldig und fordern sofortige<br />

Ergebnisse.« In Ägypten stellt die Armee inzwischen eine Übergangsregierung,<br />

für den Herbst sind Neuwahlen geplant. Kritiker<br />

wie der Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei halten<br />

das für verfrüht. Den Parteien bleibe zu wenig Zeit, sich zu organisieren.<br />

Gespräche über Politik stehen in Kairo nun an der Tagesordnung.<br />

»Vor der Revolution waren alle Fußballexperten, nach der<br />

Revolution sind alle Politikexperten,« fasste es eine Freundin<br />

Masoudas zusammen. Fürs erste hat das Militär die Zügel in die<br />

Hand genommen und begleitet den politischen Wechsel. Die Sorge<br />

ist groß, dass der erfolgreiche Regime-Sturz nicht zu echten<br />

Reformen führt und der Umschwung versiegt. Neue Proteste formieren<br />

sich. Doch unabhängig davon, was in den nächsten Monaten<br />

geschieht, sind die beiden FU-Studentinnen stolz auf das,<br />

was bereits erreicht wurde. »Früher galt die ägyptische Jugend als<br />

passiv und politikverdrossen. In den letzten Monaten hat sich das<br />

als falsch erwiesen.« ■<br />

Michael Wingens studiert Politikwissenschaft im 2. Semester<br />

und freut sich darauf, nächstes Jahr das neue Kairo zu<br />

erkunden.<br />

Filip Tuma studiert Sinologie, Politik- und Musikwissenschaft.<br />

Er beobachtet mit Neugier, wie sich in China Netzaktivisten<br />

ihren Weg bahnen.<br />

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12<br />

titeLthema: heimat<br />

Berlin – sO nah, sO Fern<br />

Sie kommen um zu bleiben. Jedes Jahr wird Berlin für zigtausende junge Menschen zur<br />

neuen Heimat. hendriK pAuli kam vor anderthalb Jahren – und fremdelt immer noch.<br />

I<br />

ch bin kein gutes Vorbild. Für einen Berlinbewohner<br />

unter dreißig gehört es sich,<br />

von dieser Stadt uneingeschränkt begeistert<br />

zu sein. Vor allem als Zugezogener,<br />

für den Großstadtluft überall sonst kaum<br />

erschwinglich ist. Berlin ist keine Stadt,<br />

Berlin ist eine Marke, die mittlerweile als<br />

Lebensgefühl Karriere gemacht hat: arm,<br />

aber sexy. Ich bin nicht uneingeschränkt<br />

begeistert. Seit fast anderthalb Jahren versuche<br />

ich, mir die Stadt zu eigen zu machen,<br />

versuche ich heimisch zu werden. Der gute<br />

Vorsatz ist da, aber gelingen will es mir<br />

nicht so richtig. Begeisterte Neu-Berliner<br />

würden meine Integration wahrscheinlich<br />

für gescheitert erklären.<br />

Eigentlich habe ich mein ganzes Leben<br />

in der Provinz verbracht. Zuerst in der<br />

westfälischen, dann einige Jahre in der fränkischen,<br />

zwischendurch auch mal ein paar<br />

Monate in Düsseldorf und Mainz, was im<br />

Grunde auch Provinz ist. Nun also Berlin,<br />

das nicht wenige für die derzeit aufregendste<br />

Metropole der Welt halten. Großstadtabenteuer<br />

in einer Stadt mit 24-Stunden-BVG<br />

und flächendeckender Billig-Gastronomie.<br />

Wie viele andere hatte auch ich meinen<br />

persönlichen Berlin-Moment. Der<br />

Moment, in dem mir klar wurde: Da will<br />

ich hin – ohne zu bedenken, dass ich dort<br />

auch leben muss. Einfach so dahinleben,<br />

das geht in Berlin nicht. Jedenfalls nicht für<br />

Illustration von rAchel edelstein.<br />

einen Binnenmigranten wie ich es bin, der<br />

nicht nur zum Studieren hier ist, sondern<br />

auch auf seinem persönlichen Kreuzzug ins<br />

Glück. Die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten.<br />

»Give me your tired, your poor,<br />

your huddled masses«, das ist das Liebesversprechen<br />

am Fuß der New Yorker Freiheitsstatue<br />

für alle mit einer Idee von einem<br />

anderen, besseren Leben.<br />

Berlin will Neuankömmlingen auch<br />

etwas besonderes bieten, aber nicht unbedingt<br />

eine Aufstiegsgeschichte. Die Stadt<br />

ist arm und will sexy sein. Das klingt halb<br />

nach Versprechen, halb nach Warnung. Ein<br />

Flirt mit allen Vergnügungssüchtigen, mehr<br />

aus Verlegenheit, denn aus Überzeugung.<br />

Ich habe meine Flegeljahre längst hinter<br />

mir. Ich will nicht mehr flirten, sondern<br />

eine ernsthafte Beziehung, ein Glück, das<br />

länger hält, als die nächste Trendblase.<br />

Wer sein Glück machen und wer der<br />

Stadt etwas abtrotzen will, der muss sie<br />

mögen. Er muss sie verteidigen gegen ungerechtes<br />

Urteil und wenn er es wirklich<br />

ernst meint, muss er ihr irgendwann auch<br />

seine Liebe erklären. Doch Liebe wird nur<br />

gegenseitig oder sie wird gar nicht.<br />

Mit 3,4 Millionen Menschen teile ich<br />

diese Stadt, mit hundertzwanzigmal mehr<br />

als der Kleinstadt, aus der ich komme. Besonders<br />

viel Liebe kann ich wohl nicht erwarten.<br />

Wenn überhaupt.<br />

Mehr als 700 Jahre organische Stadtgeschichte.<br />

Geschichte quasi über Nacht getilgt;<br />

danach dreimal die Stunde Null: 1945<br />

Teilung, 1961 Mauerbau und 1989 Mauerfall.<br />

Berlin, die verspätete Hauptstadt, die<br />

ich vor 16 Jahren zum ersten Mal für ein<br />

paar Tage besuchte, ist also gerade erst der<br />

Pubertät entwachsen. Wer ist da schon zu<br />

wahrer Liebe fähig.<br />

»Die Stadt gibt dir nichts«, sagt der<br />

Schriftsteller Maxim Biller, »sie nimmt<br />

nur.« Vor zwei Jahren hat der Filmmacher<br />

Igor Paasch den Autor und andere Lokalprominente<br />

für seine Dokumentation<br />

»Willkommen in Berlin« zu ihrem Berlin-<br />

Gefühl befragt. Das reicht von seliger Verzückung<br />

bis blanker Verachtung. Berauscht<br />

sein, angewidert sein, verliebt sein – jede<br />

Empfindung ist oft nur eine Straßenecke<br />

entfernt.<br />

• •<br />

Man muss Ringen mit der Stadt, weil<br />

sie mit sich selbst ringt. »Frag die Leute aus<br />

New York, wo sie glauben, dass gerade alles<br />

passiert«, sagt Biller. Ich will gar nicht in<br />

New York nachfragen, sondern in Passau,<br />

Bonn und Braunschweig. Und ich will dabei<br />

in glänzende Augen sehen. Weil Berlin<br />

ihnen gefällt und nicht nur, weil sie leicht<br />

zu beeindrucken sind.<br />

Paris ist die Diva, Moskau die Hure und<br />

New York die Stadt, die niemals schläft.<br />

Was ist Berlin? Die Metropole mit den<br />

meisten innerstädtischen Grünflächen? Das<br />

Furios 06/2011


wäre eine ehrliche Marke. Patenschaften<br />

für Baumscheiben, Gemeinschaftsgärten<br />

auf dem Tempelhofer Feld und demnächst<br />

die erste Urban Farm auf einem Dach über<br />

der Stadt. Das ist die Versöhnung von<br />

Landkommunenhippies und grüner Bürgerlichkeit.<br />

Das klingt nett, aber nicht nach<br />

Weltstadt.<br />

Ich habe nicht das Gefühl, hier fehl am<br />

Platz zu sein – noch nicht. Wahrscheinlich<br />

auch, weil die Stadt jemanden, der auf der<br />

Suche ist, mit ihrer sich wandelnden Kulisse<br />

jederzeit neu verführen kann. So bin<br />

ich zur einen Hälfte der Dauertourist und<br />

zur anderen der Stadtaffe, den Peter Fox so<br />

kraftvoll-rotzig besang, der »die Stadt im<br />

Blut haben muss«.<br />

Doch nicht alles, was man im Blut hat,<br />

wirkt berauschend. Vieles betäubt bloß.<br />

Den warmen Dunst aus Öl und Stahl, den<br />

ich als Berlinbesucher in den U-Bahnhöfen<br />

förmlich aufgesogen habe, rieche ich schon<br />

lange nicht mehr. Oft spielt sich mein Leben<br />

tagelang zwischen Wohnung, U-Bahn<br />

und Hörsaal ab. Die Bundeskanzlerin und<br />

Furios 06/2011<br />

Wie sagt er es ihr bloß: der<br />

Mensch und seine Stadt.<br />

ihr Kabinett könnten eigentlich von einem<br />

beliebigen Ort aus über meinen Bildschirm<br />

flimmern. Mir fehlt jegliches Gefühl, dass<br />

alles nur ein paar Kilometer entfernt stattfindet.<br />

•<br />

Berlin ist weder im besseren Sinn quirlig<br />

noch im schlechteren Sinn gehetzt. Aber<br />

wo sonst kann man als junger Mensch<br />

mit überschaubarem Budget an einem<br />

Ort sein, wo sich das Leben so schnell<br />

dreht wie in Berlin. Die 25-jährige Autorin<br />

Juleska Vonhagen hat in ihrem Buch<br />

»Groß.Stadt.Fieber« 33 Geschichten von<br />

jungen Berlin-Einwanderern aufgeschrieben.<br />

»Nach Berlin zieht man nicht um,<br />

man geht nach Berlin«, schreibt sie. »Du<br />

willst was erleben, spüren, dass du in Berlin<br />

lebst«, erzählt Hannah, die Tanzlehrerin<br />

aus Wattenscheid, in einem Kapitel. Darum<br />

trifft sie sich mit einem mäßig attraktiven<br />

amerikanischen Schriftsteller, der eine<br />

Deutschnachhilfe sucht. Nach ein paar Mi-<br />

titeLthema: heimat<br />

nuten ungelenken Smalltalks landen sie im<br />

Bett. Diese Art von Vergnügungssucht ist<br />

mir fremd und soll es auch bleiben. Ich will<br />

etwas Dauerhaftes.<br />

Ein Freund sagte mir einmal: »Wenn im<br />

ersten Monat auch nur die kleinste Missstimmung<br />

aufkommt, dann kannst du eine<br />

Beziehung eigentlich vergessen. Dann wird<br />

das nichts mehr.« Die Frist ist schon seit<br />

langem vorbei. Es gab schöne Momente,<br />

aber gehadert habe ich auch. Wenn wir<br />

uns aber die ganze Zeit nur taxiert und gar<br />

nicht richtig aufeinander eingelassen haben,<br />

dann stünde unser erstes Rendezvous<br />

noch bevor.<br />

Es ist Sommer. Berlin, fass dir ein Herz,<br />

oder ich geh’ nach Braunschweig. ■<br />

Hendrik Pauli studiert<br />

Politikwissenschaft. Nebenbei<br />

lernt er Plattdeutsch, um seine<br />

Verwandten beim nächsten<br />

Heimatbesuch zu beeindrucken.<br />

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14<br />

4 / 40000<br />

4<br />

40 000*<br />

* 40.000 Menschen verirrten sich an die Freie Universität.<br />

4 von ihnen haben wir aufgestöbert.<br />

»ich sehe mich aLs europäer«<br />

Benjamin, 23, ist Franzose und studiert Geschichte und Philosophie. Seit<br />

April 2011 ist er Vizepräsident des Internationalen Clubs und leitet dort<br />

den Deutsch-Spanischen Stammtisch.<br />

Was für mich Heimat ist? Das ist eine schwierige Frage, weil ich denke, dass<br />

ich nicht der typische Franzose bin.<br />

Vor vier Jahren bin ich nach Berlin gekommen, um Deutsch zu lernen. Ich<br />

wollte Erfahrungen im Ausland sammeln. Mein Studium in Paris habe ich abgebrochen.<br />

Ich konnte mir nicht vorstellen, mein ganzes Leben in Frankreich<br />

zu verbringen, ohne eine Fremdsprache zu können.<br />

Ich bin vor allem an dem Austausch zwischen Studenten aus unterschiedlichen<br />

Kulturen interessiert. Als Dolmetscher begleite ich deutsch-französische<br />

Jugendbegegnungen. Ich habe auch ERASMUS in Madrid gemacht und habe<br />

Spanisch gelernt. Ich sehe mich als Europäer und ich bin für das Konzept<br />

Europa.<br />

In Berlin fühle ich mich heute heimisch. Ich habe mir hier was aufgebaut und<br />

mir teilweise die deutsche Kultur angeeignet. Manchmal fühle ich mich aber<br />

immer noch fremd – wegen der Sprache. Am Anfang habe ich mich nach<br />

jedem Seminar unverstanden und wie ein halber Mensch gefühlt.<br />

Meine Kultur und meine Sprache prägen mich. Ich denke wie ein Franzose.<br />

Aber das heißt nicht, dass ich mich in Frankreich wohler fühle als in Berlin.<br />

Heimat bezieht sich für mich nicht auf einen Ort, sondern auf eine Wertvorstellung.<br />

Weniger tabus und Fades gemüse<br />

Saki Kojima, 21, studiert für ein Jahr Germanistik an der FU. Hier sieht<br />

sie ihre japanische Heimat mit anderen Augen.<br />

Nach Berlin zu kommen war ein Kulturschock. Küssen in der Öffentlichkeit,<br />

das macht man in Japan nicht. Mittlerweile schätze ich es aber, dass das Leben<br />

hier mit weniger Tabus behaftet ist. Seit Ende des schrecklichen Winters<br />

fühle ich mich sogar wohl in Berlin. Schade nur, dass nicht alle Deutschen so<br />

offen sind. Ich bin vor allem mit Austauschstudenten befreundet.<br />

Das Bewusstsein für meine japanische Herkunft ist durch meinen Aufenthalt<br />

hier stark gewachsen. Vor allem durch die Atom-Katastrophe in Fukushima.<br />

Ich verfolge die deutschen und japanischen Medienberichte und kann die<br />

Passivität in meinem Land nur schwer nachvollziehen. In Deutschland wird<br />

die Meinung offener und mit weniger Rücksicht auf Hierarchien geäußert.<br />

Die Diskussionskultur an der Uni zum Beispiel war neu für mich.<br />

Das werde ich vermissen. Trotzdem freue ich mich auf meine Rückkehr nach<br />

Japan, auf meine Familie, Freunde und auf gut gewürztes Gemüse. Ich bin<br />

überzeugt, dass mich zu Hause ein erneuter Kulturschock erwartet!<br />

Furios 06/2011


Notiert von eliese Berresheim, mArgArethe gAllersdörfer, JonnA lüers und VAlerie schöniAn.<br />

»ich hab einen grossen stein«<br />

Doris, 25, studiert Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Afrika an der FU<br />

und Kultur und Religion an der HU.<br />

I bin jetza des fünfte Joar in Berlin, aber man hört immer no’ deutlich, wo i<br />

herkomm, also aus Regensburg in Bayern. Um halbwegs Hochdeutsch zu sprechen,<br />

muss ich mich schon ganz schön anstrengen. Ursprünglich komme ich<br />

aus einem Dorf mit sieben Häusern. Das ist der Ort, wo ich zur Ruhe komme.<br />

Heimat finde ich als Begriff schwierig. Für mich sind das kleine Dinge, die<br />

ein Kindheitsgefühl hervorrufen. Zum Beispiel Rinde vom Baum. Ich bin<br />

früher gern auf Bäume geklettert und wenn ich heute einen Ast anfasse, dann<br />

merke ich: Das habe ich schon hundert Mal gemacht. Mir ist es wichtig, dass<br />

ich Dinge von zu Hause um mich habe. Ich habe einen großen Stein mit<br />

nach Berlin genommen, auf dem ich früher immer gesessen bin. Der liegt<br />

jetzt in meinem Zimmer.<br />

Vom Freundeskreis her fühle ich mich eher in Berlin zu Hause. Aber zu<br />

sagen, ich bin in Berlin daheim, das geht irgendwie nicht. Schon allein, weil<br />

die Leute mir das nicht abkaufen würden. Die meisten, die mich hören,<br />

denken, ich bin erst seit ein paar Tagen hier!<br />

Was ich neben dem Dialekt mit meiner Heimat verbinde: ich brauche<br />

irgendwas, das den Horizont zustellt. Im Flachland, so ganz ohne Berge oder<br />

Hügel, werde ich unruhig. In der Stadt geht das aber. Schon witzig, wahrscheinlich<br />

können mir hohe Häuser die Berge ersetzen.<br />

»heimat ist Wie mami«<br />

Dima, 20, studiert Wirtschaftswissenschaften. Er schätzt sich glücklich,<br />

zwei Heimaten zu haben.<br />

Ich komme ursprünglich aus der Ukraine. Mit sechs Jahren bin ich mit meinen<br />

Eltern nach Magdeburg gezogen. Dort bin ich aufgewachsen, jedoch mit<br />

ukrainischem Pass. 2007 habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.<br />

Dreieinhalb Jahre später wurde sie mir durch den Magdeburger Oberbürgermeister<br />

überreicht.<br />

Magdeburg war schon meine Heimat, bevor ich die Staatsbürgerschaft<br />

bekam. Um ein Stück Papier gegen ein anderes zu tauschen, musste ich viel<br />

Zeit und Geld investieren. Jetzt habe ich sie, na und? Ich kann jetzt eben<br />

wählen gehen. Meinen Alltag tangiert das nicht. Trotzdem bin ich stolz. Vorher<br />

war ich auf Zeit hier. Jetzt habe ich alle Rechte und kann nicht zurück<br />

geschickt werden. Das gibt mir Sicherheit.<br />

Heimat ist für mich der Ort, an dem ich groß geworden bin. Es ist wie mit<br />

Mami: Sie geht einem nie auf die Nerven. Für mich ist das Magdeburg. Aber<br />

auch die Ukraine. In dieser Hinsicht bin ich doppelt glücklich. Seit eineinhalb<br />

Jahren lebe ich in Berlin. Aber meine Heimat kann ich es noch nicht<br />

nennen.<br />

Furios 06/2011<br />

4 / 40000<br />

Fotos: corA-mAe gregorschewsKi<br />

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poLitiK<br />

»poLitiKer sind reaLitätsFern«<br />

Präsident Peter-André Alt über die Berliner Hochschulnovelle, Schleudersitze im Turbostudium<br />

und warum er gerne mal Politiker wäre. Das Gespräch führten JonAs Breng und BJörn stephAn.<br />

Herr Alt, mal ehrlich, brauchte Berlin<br />

überhaupt ein neues Hochschulgesetz?<br />

Juristen sagen immer, Gesetze sollen das<br />

Nötigste regeln, aber nicht jedes Detail.<br />

Insofern hat das Gesetz eine Tendenz zur<br />

Überregulierung. Die Novellierung ist ein<br />

Vorhaben vom Anfang der Legislaturperiode,<br />

das dann erst einmal auf die lange<br />

Bank geschoben wurde. Was jetzt entstanden<br />

ist, ist ein Kompromiss zwischen<br />

den Koalitionspartnern, der zum Ende<br />

der Legislaturperiode noch verabschiedet<br />

werden sollte.<br />

Sie waren einer der größten Kritiker der<br />

Novelle. Bildungssenator Zöllner hat<br />

das Gesetz auch gegen Ihren Widerstand<br />

durchgeboxt. War es ein politischer<br />

Alleingang?<br />

Nicht ganz. Vieles, was ärgerlich ist, bleibt<br />

leider bestehen. Letzten Endes haben wir<br />

aber auch in einigen Punkten Verbesserungen<br />

erreicht. Es ist beispielsweise<br />

nicht mehr nötig, Prüfungsordnungen der<br />

Senatsverwaltung vorzulegen, wenn sie neu<br />

Fotos von corA-mAe gregorschewsKi.<br />

geschrieben werden. Das ist ein gewisser<br />

Fortschritt, den wir mit Mühe und Not<br />

ausgehandelt haben.<br />

Sie verbuchen den Ausgang nicht als<br />

persönliche Niederlage?<br />

Nein. Wir waren realistisch. Von Anfang<br />

an war klar, dass die Koalitionsfraktionen<br />

SPD und Linke die Novelle gemeinsam<br />

tragen – zwischen die beiden passte kein<br />

Blatt.<br />

Warum haben Sie die Studierendenvertreter<br />

dann nicht mit ins Boot geholt?<br />

Selbst Ihr Vorgänger Dieter Lenzen<br />

– nicht gerade als Freund der Studierenden<br />

bekannt – hatte zu Demonstrationen<br />

aufgerufen.<br />

Ich bin der Meinung, dass einige Zielsetzungen<br />

der Studierendenvertreter<br />

nicht richtig sind, zum Beispiel was<br />

die Zwangsexmatrikulation betrifft. In<br />

anderen Punkten wie der Einführung von<br />

Lehrprofessuren waren wir einer Meinung.<br />

Deshalb haben wir dazu im Akademischen<br />

Senat auch drei gemeinsame Resolutionen<br />

verabschiedet.<br />

Aber bei der letzten AS-Sitzung haben<br />

Sie verhindert, dass der Demonstrationsaufruf<br />

in die Resolution aufgenommen<br />

wurde.<br />

Jeder kann zu einer Demonstration gehen.<br />

Ich möchte dem aber nicht so ein Gewicht<br />

geben. Wir haben im AS über die<br />

einzelnen Punkte gesprochen. Am Tag der<br />

Verabschiedung des Gesetzes konnten die<br />

studentischen Proteste keinen Ausschlag<br />

mehr geben.<br />

Wenigstens in Sachen Überregulierung<br />

waren Sie sich mit den Studierenden einig,<br />

blieben aber ungehört. Wurden der<br />

Hochschulautonomie durch die Novelle<br />

die Flügel gestutzt?<br />

Ja, auf jeden Fall. Das ist der wesentliche<br />

Aspekt, bei dem das Gesetz in die falsche<br />

Richtung läuft. Denn die Botschaft, die<br />

davon ausgeht, ist falsch. Die lautet nämlich:<br />

Wir vertrauen euch nicht, deshalb<br />

müssen wir alles möglichst genau regeln.<br />

Furios 06/2011


Was bedeutet die Hochschulnovelle aus<br />

Ihrer Sicht konkret für die Studierenden?<br />

Ich nenne ein paar Beispiele. Erstens soll<br />

die Wahlfreiheit im Studium verbessert<br />

werden. Für die Bachelorstudiengänge ist<br />

das ganz klar ein Gewinn. Zweitens gibt es<br />

eine große Entlastung bei der Benotung.<br />

In Zukunft sollen in der Regel drei Viertel<br />

der Leistungen benotet werden, das heißt,<br />

es wird nicht mehr jedes Modul benotet.<br />

Gerade in der Studieneingangsphase ist<br />

das wichtig. Diese Entscheidungen müssen<br />

jetzt in den einzelnen Fachbereichen umgesetzt<br />

werden.<br />

Einer der Hauptkritikpunkte der Studierenden<br />

waren die Zwangsexmatrikulationen.<br />

Hat das Turbostudium nun auch<br />

noch einen Schleudersitz bekommen?<br />

Nein. Sie müssen sich mal überlegen,<br />

was das für Wenn-dann-Konstruktionen<br />

sind. Erst muss eine Studienvereinbarung<br />

geschlossen werden, die besagt: »Du musst<br />

innerhalb von drei Semestern bestimmte<br />

Anforderungen erfüllen.« Nur wenn Sie<br />

nicht einmal ein Drittel der Zielsetzung<br />

erreichen, würden Sie zu einer Studienberatung<br />

eingeladen werden. Und auch nur<br />

falls man dieser Einladung nicht nachkommt,<br />

würde eine Exmatrikulation drohen.<br />

Das ist ein sehr unwahrscheinlicher<br />

Fall. Ich glaube, dass Beratungen dabei das<br />

richtige Mittel sind. Ich habe in meinem<br />

Leben mindestens tausend Studienberatungen<br />

durchgeführt und die Betroffenen<br />

haben das als sehr sinnvoll empfunden.<br />

Aber ist es nicht dennoch eine subtile<br />

Kriegserklärung an die sogenannten<br />

Bummelstudenten?<br />

Ja. Bei der Formulierung stimme ich Ihnen<br />

zu. Aber das ist auch in unserem Sinne.<br />

Wir werden vom Land finanziert für Studienerfolg.<br />

Es ist unsere Aufgabe, gut zu<br />

betreuen und zum Erfolg zu führen.<br />

Bei den Teilzeitstudiengängen zaudern<br />

Sie auch. Muss eine fortschrittliche Uni<br />

solche Angebote nicht bereitstellen?<br />

Darüber streite ich mich auch mit Ihren<br />

Kommilitonen im Akademischen Senat. In<br />

der modernen Lebenswelt muss man solche<br />

Angebote unterbreiten – das stimmt.<br />

Es gibt viele Menschen, die berufstätig<br />

sind und die das Studium nicht in Vollzeit<br />

realisieren können. Aber es gibt einfach<br />

Studiengänge, die sich nicht in Teilzeit<br />

studieren lassen.<br />

Ist Herr Zöllner in dieser Hinsicht realitätsfern?<br />

Auch Herrn Zöllner fließen die Mittel<br />

nicht wie Milch und Honig zu, er hat nur<br />

begrenzte Möglichkeiten.<br />

Furios 06/2011<br />

Ein ähnlich kritischer Punkt bleibt<br />

die Einführung der Lehrprofessuren.<br />

Warum wehren Sie sich nach wie vor<br />

dagegen?<br />

Ich habe mich vor allem vehement gegen<br />

die Einführung des Typus des wissenschaftlichen<br />

Mitarbeiters für die Lehre ausgesprochen,<br />

weil der Nachwuchs immer in<br />

beiden Bereichen, also auch in Forschung,<br />

qualifiziert sein muss. Bei Lehrprofessuren<br />

würde ich mich für moderate zwölf<br />

Stunden Lehre pro Woche aussprechen.<br />

Das sollte das Limit sein. Wir sind ja keine<br />

Fachhochschule.<br />

Wozu diese Zurückhaltung?<br />

Wir befinden uns da in einem Zwiespalt.<br />

Wir wollen die Besten berufen und werden<br />

Probleme haben, wenn wir zu viele Lehrprofessuren<br />

ausschreiben, weil sie einfach<br />

nicht attraktiv für die Wissenschaftler sind.<br />

Bei zwölf Stunden Lehrdeputat findet man<br />

keine guten Naturwissenschaftler. Und<br />

wir können doch froh sein, wenn wir die<br />

herausragenden Leute überhaupt bekommen<br />

und sie nicht in die Welt gehen – das<br />

bringt doch auch den Studierenden was.<br />

Ist der Ton zwischen der Politik und den<br />

Hochschulen nun rauer geworden?<br />

Nein, das war in Berlin schon immer so.<br />

Wobei wir in vielen Punkten auch eine<br />

gemeinsame Linie haben. Wir wollen den<br />

Senator ja nicht brüskieren. Er unterstützt<br />

uns gegenüber dem Finanzsenator und vertritt<br />

uns über die Grenzen Berlins hinaus<br />

bei der Kultusministerkonferenz.<br />

Was denn nun? Ist Zöllner Verbündeter<br />

oder Gegner?<br />

Zöllner ist ein Verbündeter und Kenner<br />

der Hochschulen. Schwierigkeiten macht<br />

er nur dann, wenn er zu viele Detailregelungen<br />

vornehmen will.<br />

Warum tut er das?<br />

Herr Zöllner weiß, dass die drei Berliner<br />

Universitäten unter schwierigen Rahmenbedingungen<br />

vorzügliche Arbeit leisten.<br />

Aber als Ressortchef muss er auch die Forderungen<br />

des Koalitionspartners berücksichtigen.<br />

Vieles an der Hochschulnovelle<br />

war Wunsch der Linkspartei. Er kann ja<br />

nicht alles allein durchsetzen.<br />

Sie haben gesagt, Politik sei nichts für<br />

Sie. Aber wollen Sie Zöllner nicht mal<br />

zeigen, wie man es richtig macht und<br />

einfach tauschen?<br />

Rollentausch ist immer interessant, das<br />

sollte man viel öfter machen. Das bemerke<br />

ich schon, wenn ich im Hörsaal sitze, anstatt<br />

vorne zu stehen. Wir könnten ja mal<br />

eine Woche tauschen.<br />

Auch für eine ganze Legislaturperiode?<br />

Nein, das wäre zu lang. Es ist zwar eine<br />

interessante Aufgabe, aber man braucht ein<br />

hohes Frustrationspotential. Die Lebendigkeit<br />

der Hochschule würde mir fehlen<br />

– obwohl bestimmt auch die SPD sehr<br />

lebendig sein kann. ■<br />

»Bei zwölf Stunden Lehrdeputat finden sie einfach keinen guten Naturwissenschaftler«.<br />

Peter-André Alt über die Lehrprofessuren.<br />

poLitiK<br />

Jonas Breng studiert Politikwissenschaft<br />

im 4. Semester und leitet in seiner<br />

Freizeit Kochkurse für Paare.<br />

Björn Stephan hat ein halbes Jahr lang<br />

Waisenkinder in Ghana gehütet. Bis<br />

Oktober schlägt er sich mit Praktika<br />

durch, dann wird wieder studiert –<br />

diesmal an der HU.<br />

17


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poLitiK<br />

atemnot im hörsaaL<br />

Die Doppeljahrgänge kommen! Wegen eindimensionaler Umsetzung des<br />

Hochschulpaktes müssen auf dem Campus in Zukunft alle etwas enger<br />

zusammenrücken. Von mAtthiAs Bolsinger.<br />

Illustration stephAn gArin.<br />

Mehr Bildung, mehr Leistungsfähigkeit, das war das Ziel.<br />

Vor vier Jahren beschlossen Bund und Länder den<br />

»Hochschulpakt 2020«, um das Studienangebot der<br />

steigenden Nachfrage anzupassen. Ab Herbst drängen die doppelten<br />

Abiturjahrgänge an die Universitäten. Durch die Aussetzung<br />

der Wehrpflicht fehlt eine wichtige Entlastung. Den Universitäten<br />

drohen Engpässe.<br />

Noch in diesem Jahr sollen 1500 Studienplätze in Berlin geschaffen<br />

werden. Auch die Freie Universität stockt auf, auf den ersten<br />

Blick. »Die Aufnahmekapazität wird zeitlich befristet erhöht«,<br />

heißt es im feinsinnigen Verwaltungssprech. Nur so würden die<br />

Finanzierungshilfen des Bundes für Berlin bis 2013 gesichert. Mehr<br />

voll finanzierte Studienplätze wird es an der FU also nicht geben.<br />

Doch man bleibt gelassen. »Wir haben gelernt, wie man mit der<br />

Situation der Überlastung umgeht«, äußerte Präsident Peter-André<br />

Alt in der »Berliner Zeitung«. Sollten einzelne Fachbereiche mit<br />

dem Andrang überfordert sein, hat die Hochschulleitung zusätzliche,<br />

temporäre Mittel zugesagt.<br />

Das Schiff scheint auf Kurs. Doch da könnte der Käpt’n die<br />

Rechnung ohne die Matrosen gemacht haben. Die Verantwortlichen<br />

für die Umsetzung des Hochschulpaktes scheinen auf einem<br />

Auge blind zu sein, denn mit höherer Aufnahmekapazität allein<br />

ist nichts getan. Das werden sowohl die »alten Hasen« als auch die<br />

FU-Frischlinge zu spüren bekommen, denn für Lehrräume, Mensen<br />

und Wohnheime sind keine Mittel des Hochschulpaktes vorgesehen.<br />

»Immerhin müssen wir keine Container aufbauen, um den<br />

Ansturm der Doppeljahrgänge zu bewältigen«, so FU-Präsident Alt<br />

mit Blick auf die Raumkapazitäten. Obwohl die Raumkapazitäten<br />

Matthias Bolsinger studiert Politikwissenschaft<br />

und ist gespannt, wie solidarisch sich die FU in<br />

Engpässen wirklich erweisen wird.<br />

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anscheinend noch nicht ausgeschöpft sind, zeigt die Lernrealität<br />

der Studierenden ein anderes Bild. Schon jetzt verfolgen viele die<br />

Vorlesungen vom Boden aus. In Zukunft wird man zusammenrücken<br />

müssen auf dem Campus.<br />

Das wird Auswirkungen auf den Alltag der Studierenden haben:<br />

»Die Fachbereiche sind gehalten, die räumliche Kapazität auch in<br />

sogenannten Randzeiten voll auszunutzen«, heißt es von zentraler<br />

Stelle. Im Klartext: Mehr Veranstaltungen zu unbeliebten Zeiten,<br />

auch samstags. Besonders hart wird es die jobbenden Studierenden<br />

treffen. Auch Studierende mit Kind werden umdisponieren<br />

müssen.<br />

An chronischer Überfüllung werden nicht nur die Lehrveranstaltungen<br />

leiden. Noch garantiert die Mensa in der Silberlaube<br />

auch zu Stoßzeiten jedem einen Platz. In der Veggie-Mensa sieht<br />

das anders aus: Lange Schlangen an der Ausgabe und zur Neige<br />

gehende Gerichte. Freie Platzwahl hat man dort schon lange nicht<br />

mehr.<br />

Das Studentenwerk mahnte bereits<br />

vor vier Jahren, im Hochschulpakt<br />

würden die Mittel für<br />

soziale Infrastruktur fehlen –<br />

vergeblich. Das letzte Wohnheim<br />

wurde vor zehn Jahren<br />

eröffnet. Seither ist die Zahl<br />

der freien Wohnheimplätze stetig<br />

zurückgegangen. Insgesamt<br />

sind es zu wenige für eine Studentenstadt<br />

wie Berlin, in der günstiger<br />

Wohnraum immer knapper wird.<br />

Nicht nur in den Hörsälen heißt es<br />

Zusammenrücken. ■<br />

Furios 06/2011


einsamer protest<br />

Beim neuen Berliner Hochschulgesetz stand viel auf dem<br />

Spiel. Doch das Interesse daran blieb erstaunlich gering.<br />

Ein Rückblick von mAx KrAuse. Illustration christiAn güse.<br />

Der Protest gegen die Novelle des<br />

Berliner Hochschulgesetzes<br />

endete so, wie er begonnen<br />

hatte: leise. Gerade einmal 250<br />

Studierende gingen am 12. Mai, als<br />

das Gesetz beschlossen wurde, auf die<br />

Straße. Das unterbot selbst pessimistische<br />

Schätzungen. »Wir schaffen es nicht mal,<br />

die ganze Straße zu füllen«, berichtete ein<br />

Teilnehmer enttäuscht.<br />

Der Schlussakkord verhallte also so ungehört<br />

wie der gesamte Protest. Dabei war die<br />

Empörung groß, als Bildungssenator Jürgen<br />

Zöllner im Januar 2011 seinen ersten Entwurf<br />

zur Hochschulnovelle vorstellte. Viele an den<br />

Universitäten fühlten sich übergangen, forderten<br />

weitreichende Änderungen. Als der Protest<br />

im Februar jedoch konkret wurde, zeigte sich<br />

ein ungleiches Bild. Während an der Technischen<br />

Universität Berlin zur Informationsveranstaltung<br />

mehrere hundert Menschen kamen,<br />

blieb es an der FU still: lediglich 30 Menschen<br />

waren bei der Versammlung in der Silberlaube<br />

anwesend. Ein einsamer Protest.<br />

Der Kampf gegen die Novelle ist an der FU<br />

stets die Sache einiger Weniger geblieben. Arvid<br />

Peschel, damals Referent für Hochschulpolitik<br />

im AStA, war der Hauptakteur an der<br />

Freien Universität. Er und seine Mitstreiter an<br />

den anderen Berliner Hochschulen sorgten<br />

dafür, dass die schärfsten Veränderungen noch<br />

abgeschwächt wurden. Vor allem die neuen<br />

Regelungen zur Zwangsexmatrikulation, die<br />

es ermöglichen, Studenten schon vor Ablauf<br />

der Regelstudienzeit aus der Uni zu werfen,<br />

empörten Arvid. »Die Novelle widerspricht<br />

allen Forderungen nach einem selbstbestimmten<br />

Studium.«<br />

Gehört wurde Arvids Kritik aber nur von<br />

Wenigen. Zu einer zweiten Vollversammlung<br />

zum Thema kamen etwa 150 Menschen, eine<br />

leichte Steigerung immerhin. Doch Anfang<br />

Mai wurde dem Widerstand dann ganz der<br />

Wind aus den Segeln genommen. Der Grund:<br />

Rot-Rot veröffentlichte eine Änderung der<br />

Novelle, in der viele Kritikpunkte der Studierenden<br />

aufgenommen wurden. So wurden<br />

etwa die Möglichkeiten zur Zwangsexmatrikulation<br />

eingeschränkt oder der Passus zur<br />

Kürzung der Laufzeit studentischer Verträge<br />

gestrichen. Zöllner zeigte sich großherzig gegenüber<br />

den Studierenden – womöglich auch<br />

aus wahltaktischen Motiven.<br />

Furios 06/2011<br />

Denn auffällig ist, dass die Kritik der Landeskonferenz<br />

der Rektoren und Präsidenten<br />

(LKRP) und des akademischen Mittelbaus am<br />

Bildungssenator abperlte. Dabei hatten sich<br />

die Universitätspräsidenten viel Mühe gegeben,<br />

das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen<br />

und »die Beschneidung der Hochschulautonomie«,<br />

wie LKRP-Präsident Alt erklärte, heftig<br />

angeprangert. Auch die wissenschaftlichen<br />

Mitarbeiter beschwerten sich über die Einführung<br />

einer neuen Stellenkategorie, die kaum<br />

noch Raum für die Forschung lässt. Doch erhört<br />

wurden nur die leisen Stimmen der Studierenden.<br />

Vielleicht steckt dahinter ja, dass<br />

Zöllner vor dem Hintergrund der anstehenden<br />

Abgeordnetenhauswahlen den Grünen ein<br />

Bein stellen wollte. Schließlich hatten die die<br />

Novelle bis zuletzt abgelehnt und sich so als<br />

Fürsprecher studentischer Interessen profilieren<br />

können.<br />

Die Änderungen für die Studierenden sind<br />

also letztlich eher kosmetischer Natur. Für Präsident<br />

Alt dagegen bleibt das Gesetz eine bittere<br />

Pille, denn seine Strategie ist nicht aufgegangen:<br />

Bis zuletzt verteidigte er die neu geregelte<br />

Zwangsexmatrikulation und machte sich so<br />

für die Studenten zu einem unmöglichen<br />

Bündnispartner. Dabei hätte ein gemeinsamer<br />

Widerstand von Präsident und Studierenden<br />

gegen Zöllners Hochschulnovelle möglicherweise<br />

viel mehr bewirken können. ■<br />

Max Krause studiert Mathematik<br />

und Philosophie.<br />

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Von Prekariat spricht man, wenn die Unterschicht gemeint ist. Hartz IV ist<br />

nicht gerade das, was man an der Uni erwartet. Doch das akademische Prekariat<br />

ist bittere Realität.<br />

Von KAthArinA hilgenBerg. Foto von christiAn güse.<br />

Eva Lahnsteiner schmeißt hin. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

am Fachbereich Rechtswissenschaften liebt ihre<br />

Tätigkeit. »Ich wäre überglücklich, wenn ich diese bis ans<br />

Ende meines Lebens machen könnte«, sagt die 29-jährige. Aber der<br />

Unialltag macht die zierliche Doktorandin fertig. »Wenn ich noch<br />

zwanzig Jahre bleibe, bin ich ein Psychowrack.« Die Österreicherin<br />

zieht ihre Konsequenz und will der Uni endgültig den Rücken<br />

kehren.<br />

Eva ist kein Einzelfall. Es rumort im akademischen Mittelbau,<br />

dieser heterogenen Gruppe irgendwo zwischen Studienabschluss<br />

und Professur. Wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte, Stipendiaten,<br />

die vor allem eines eint: unsichere Zukunftsperspektiven<br />

und die Angst vor dem sozialen Abstieg.<br />

Der Mittelbau trägt die Hauptlast von Lehre, Forschung und<br />

Studierendenbetreuung, vor allem da der wissenschaftliche Sektor<br />

zwischen 1992 und 2009 expandierte: Während die Zahl der Professoren<br />

in dieser Zeit um 20 Prozent stieg, gab es bei den Stellen<br />

der wissenschaftlichen Mitarbeiter einen Zuwachs von 80 Prozent.<br />

Eine wissenschaftliche Karriere ist in Deutschland mit besonderen<br />

Risiken verbunden. Sichere Stellen unterhalb der Professur sind<br />

hierzulande selten. Britische und US-amerikanische Hochschulen<br />

hingegen bieten ihrem promovierten Nachwuchs sofort eigenverantwortliche<br />

Fünf-Jahres-Stellen mit guten Chancen auf Entfristung<br />

an.<br />

2009 waren laut einer Studie der Hochschul-Informations-System<br />

GmbH 83 Prozent der Arbeitsverträge wissenschaftlicher Mit-<br />

arbeiter befristet, über die Hälfte davon auf weniger als ein Jahr.<br />

Eva Lahnsteiner beklagt den enormen Druck. »Morgens wache ich<br />

auf und denke: Welche Stelle hast du in ein paar Wochen? Und:<br />

Ich muss endlich mit meiner Dissertation fertig werden! Dazu steht<br />

täglich ein Berg von Arbeit vor mir und ich weiß – das schaffe ich<br />

nie!«<br />

Eva hat eine halbe Stelle, 19,25 Wochenstunden laut Vertrag.<br />

Doch daran halten sich die wenigsten. Allein die Lehrverpflichtungen,<br />

Vor- und Nachbereitung, Studierendenbetreuung und<br />

Forschung sprengen meist den gesetzten Rahmen, ganz zu schweigen<br />

von Aufgaben, die nicht zum Stellenprofil gehören und<br />

trotzdem immer öfter von wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />

erledigt werden: vom Kopieren, über Hotelbuchungen<br />

bis zum Catering. Dabei sollte dem Nachwuchswissenschaftler<br />

ein Drittel der Arbeitszeit zur Anfertigung<br />

seiner Promitions- oder Habilitationsschrift zu<br />

Verfügung stehen. Das tatsächliche Arbeitspensum<br />

nähert sich dem einer vollen Stelle. Nur<br />

gerüchteweise hat Eva von Professoren gehört,<br />

die die Arbeitslast den bezahlten<br />

Wochenstunden anpassen.<br />

»Das Problem der unbezahlten<br />

Überstunden betrifft 99,9<br />

Prozent des Mittelbaus«, sagt<br />

Christof Mauersberger.<br />

Der Politikwissenschaftler<br />

ist Mitglied der<br />

Furios 06/2011


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Initiative FU-Mittelbau, in der sich auch Eva Lahnsteiner engagiert.<br />

»Wir fordern, dass die Arbeitsverträge realistischer gestaltet<br />

werden.« Die Initiative gründete sich 2009 als uniweiter Zusammenschluss<br />

des Mittelbaus. Problembewusstsein wollen sie schaffen<br />

und ein Netzwerk zur Artikulation ihrer Interessen organisieren.<br />

»Die Leute denken, sie stehen alleine da. Wir haben einen Blog eingerichtet<br />

um zu zeigen: Vielen geht es wie euch!« Die erste Aktion<br />

war ein Rundbrief, der die Situation des Mittelbaus thematisierte<br />

und mit 280 Unterschriften auf große Resonanz stieß. Daraufhin<br />

erklärte sich das Präsidium zu Gesprächen bereit. Das erste Treffen<br />

mit Präsident und Kanzler fand im Januar statt. »Mich hat wirklich<br />

überrascht, wie wenig Bewusstsein für die grundsätzlichen Strukturprobleme<br />

beim Präsidium existiert«, resümiert Mauersberger.<br />

Von Strukturproblemen mag FU-Präsident Peter-André Alt<br />

wirklich nicht sprechen. Er meint, die Universität biete hochattraktive<br />

Arbeitsbedingungen. »Wir bringen junge Menschen in eine Situation,<br />

in der sie sich unabhängig und selbstbestimmt ihre eigenen<br />

Ziele und Projekte setzen.« Natürlich verstehe er die Ängste des<br />

Nachwuchses, er war ja selbst einmal jung. Die Akademie brauche<br />

innerhalb ihrer »Qualifikationsdynamik« einen Mittelbau mit befristeten<br />

Stellen. Jeder müsse sich darüber im Klaren sein, welches<br />

Risiko er mit einer wissenschaftlichen Karriere eingehe, sagt Alt.<br />

Doch so sehr das Präsidium dies auch beschwört, manche Probleme<br />

sind mit ein bisschen Eigenverantwortung nicht zu lösen.<br />

Deutsche Universitäten produzieren seit langem einen Überschuss<br />

an Nachwuchswissenschaftlern, die auf lange Sicht keinen Platz im<br />

System haben. Doch die Entscheidung darüber, wer es letztendlich<br />

schafft, fällt spät. Nur die Berufung auf eine Professur bringt Sicherheit<br />

und ist im Durchschnitt erst mit 42 Jahren zu erwarten.<br />

Zwischen Studium und Berufung liegen Zeiten extremer Unsicherheit<br />

und häufiger Job- und Ortswechsel, die sich noch dazu mit der<br />

Phase der Familienplanung überschneiden.<br />

Was also zieht junge Menschen dennoch an die Uni? Für Eva<br />

war es der Traum von einer besseren Zukunft, sie spezialisierte sich<br />

auf Menschenrechte. »Wir sind Idealisten«, meint sie. Das wissenschaftliche<br />

Arbeiten, Schreiben und Lehren sei ein Traumjob. »Und<br />

die Professur ist immer noch eine attraktive Position«, ergänzt<br />

Christof Mauersberger.<br />

Doch die Zahl der Professuren ist eng begrenzt. Lange nicht jeder<br />

Nachwuchswissenschaftler kann darauf hoffen, berufen zu werden.<br />

Trotzdem bleibt die Professur die einzige Position im akademischen<br />

System, die die Möglichkeit bietet, unbefristet als Wissenschaftler<br />

tätig zu sein. Wer nicht berufen wird ist mit Mitte vierzig viel zu<br />

qualifiziert und spezialisiert für die freie Wirtschaft. Ein großer Teil<br />

Furios 06/2011<br />

poLitiK<br />

derjenigen, die hier aus dem System fallen, bleibt dennoch an der<br />

Uni und arbeitet als Privatdozent oder Lehrbeauftragter. Wenn sie<br />

überhaupt bezahlt werden, liegt das Honorar zwischen 800 und<br />

1000 Euro brutto pro Seminar.<br />

Von der Möglichkeit, Lehraufträge zu vergeben, wird inflationär<br />

Gebrauch gemacht. Sie leisten zwischen 10 und 50 Prozent der<br />

Lehre. In einer Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

Berlin geben 50 Prozent an, ihre Lehrtätigkeit hauptberuflich<br />

auszuüben. Zwei Drittel von ihnen haben ein monatliches<br />

Nettoeinkommen von unter 1000 Euro. Für die unter chronischer<br />

Finanznot leidende Universität lohnt sich das Konzept. Zum einen<br />

sind Lehraufträge mit geringen Lohnkosten verbunden, zum anderen<br />

stehen die Lehrenden in keinem Anstellungsverhältnis mit der<br />

Uni, weshalb diese keine Sozialversicherungsbeiträge leisten muss.<br />

So wirken sich die Unsicherheiten bis ins Rentenalter aus.<br />

Hier sieht auch Präsident Peter-André Alt Handlungsbedarf.<br />

Er spricht sich gegen unbezahlte Lehraufträge aus. Eine höhere<br />

Entlohnung sei allerdings nicht drin. Für vielversprechende Nachwuchswissenschaftler<br />

plant er das sogenannte Karrierewege-Modell<br />

mit flexiblen Fonds für die Übergangsperioden. Für die weniger<br />

Aussichtsreichen setzt er auf einen qualifizierten Ausstieg. »Wir stehen<br />

in der Pflicht, dem Nachwuchs auch eine Ausstiegsperspektive<br />

zu geben«, sagt Alt. Dazu gehöre die Vermittlung von Kompetenzen,<br />

die auch in anderen Berufen wichtig sind.<br />

Mehr Dauerstellen als Alternative zur Professur, wie sie der Mittelbau<br />

fordert, wird es nach dem Willen des Präsidiums nicht geben.<br />

Die Logik dahinter: Das System werde so nur verstopft und<br />

weniger Nachwuchswissenschaftler bekämen die Chance zum Einstieg.<br />

Eva Lahnsteiner, die Idealistin, hat das Vertrauen in diese Dynamik<br />

verloren. Doch zumindest ist sie keine perspektivlose<br />

Aussteigerin. Als Juristin hat sie viele Möglichkeiten. Unbezahlte<br />

Überstunden kann sie überall leisten, woanders allerdings mit der<br />

Aussicht auf eine sichere Zukunft. So verabschiedet sie sich vom<br />

Traumjob an der Uni. Denn dort herrscht eine Moral, die Brecht<br />

mit den Worten beschrieb: Die Mittel kärglich und die Menschen<br />

roh. Wer möchte nicht in Fried und Eintracht lehren – doch die<br />

Verhältnisse, sie sind nicht so! ■<br />

Katharina Hilgenberg studiert Sozial- und<br />

Kulturanthropologie und freut sich auf ihre eigene<br />

prekäre Zukunft. Sie wird mit 7 Katzen im brasilianischen<br />

Amazonasbecken leben.<br />

21


22<br />

campus<br />

geFundenes Fressen<br />

20 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr in deutschen Mülltonnen.<br />

Das meiste ist noch essbar. Wie einige verpasste Stunden Schlaf zu einem Festmahl<br />

verhelfen können, hat henrice stöBesAnd herausgefunden.<br />

Illustration von corA-mAe gregorschewsKi.<br />

Friederike und Josef sind auf der Pirsch.<br />

Sie haben Beute gewittert. Vermummt bewegen<br />

sich die beiden durch die Nacht, ihre<br />

Silhouetten sind kaum erkennbar, so dunkel<br />

ist es. In ihren Händen halten sie leere<br />

Plastiktüten, Josef umklammert eine kleine<br />

Taschenlampe.<br />

Die beiden sind Anhänger einer Bewegung,<br />

die vor einigen Jahren in den Vereinigten<br />

Staaten entstand und sich über<br />

das Internet bis nach Europa verbreitete:<br />

Sie holen ihr Essen<br />

aus dem Müll. Genauer: aus<br />

den Containern der Supermärkte.<br />

Alle ein bis zwei Wochen<br />

begeben sich die beiden auf<br />

nächtliche Exkursionen.<br />

Nur im tiefsten Winter,<br />

zwischen Januar<br />

und De-<br />

zember, setzen sie aus. »Bei der Kälte und<br />

dem Schnee hatten wir einfach keine Lust«,<br />

sagt Josef.<br />

Mit den Temperaturen steigt auch die<br />

Freude an der Sache – heute Nacht sind<br />

sie sichtlich aufgeregt. Zielgerichtet und<br />

schnellen Schrittes steuern die Studenten<br />

die umzäunte Ecke eines verlassenen Geländes<br />

an. Ihr Ziel: genügend Obst und<br />

Gemüse für die kommende Woche.<br />

Dabei können es sich die beiden<br />

eigentlich leisten, ganz normal<br />

im Supermarkt einzukaufen.<br />

Doch um Geld<br />

sparen geht es beim<br />

»Containern« nicht,<br />

jedenfalls nicht nur.<br />

Für viele steht der<br />

Protest im Vorder-<br />

grund – eine Gegenbewegung zur »Wegwerfgesellschaft«.<br />

»Es ist verrückt, wie viele gute Lebensmittel<br />

man in den Tonnen findet«, entrüstet<br />

sich Friederike.<br />

»In anderen Ländern ist die Nahrung<br />

knapp, während wir hier mit Essen umgehen,<br />

als sei es wertlos«. So öffnen Friederike<br />

und Josef in Zehlendorf nachts Mülltonne<br />

um Mülltonne und fördern das zutage, wofür<br />

der Rest der Gesellschaft keine Verwendung<br />

mehr findet: Äpfel mit Druckstellen,<br />

falsch abgepackte Tomaten, mitunter Gemüse<br />

und Obst ohne erkennbare Mängel<br />

– Überschussware.<br />

Die Tonnen quietschen leise, als Josef sie<br />

öffnet. Ein unangenehm stechender Geruch<br />

steigt aus dem dunklen Inneren hervor.<br />

Der Strahl der Taschenlampe fällt auf<br />

Berge von Obst und Gemüse – Orangen,<br />

Clementinen, Grapefruits, Brokkoli, Tomaten.<br />

Friederike zückt ihre gelben Gummihandschuhe:<br />

jetzt heißt es aussortieren.<br />

In Deutschland steht das Kramen im<br />

Müll, auch »Dumping« genannt, unter<br />

Strafe, denn die Container sind Privatbesitz<br />

der Supermärkte. Wer sich am Müll der<br />

Märkte bedient, macht sich also des Diebstahls<br />

schuldig.<br />

Um sich gegen diese vermeintlichen Diebe<br />

zu schützen, halten viele Supermärkte<br />

ihre Container versteckt, andere lassen ih-<br />

Furios 06/2011


en Müll von Videokameras überwachen.<br />

»Jeder Containerer ist ein potenzieller<br />

Kunde«, lautet das Credo der Eigentümer.<br />

Durch Schloss und Riegel versuchen sie,<br />

die Müllsammler an die Einkaufskassen zurückzuholen.<br />

In Schweden sollen Mitarbeiter<br />

eines Supermarkts die weggeworfenen<br />

Lebensmittel aus »Schutz vor Dumpstern«<br />

sogar vergiftet haben und in den USA werden<br />

mitunter Glasscherben auf den Müll<br />

gekippt, um die Müllsucher fern zu halten.<br />

Friederike und Josef ist so etwas noch<br />

nicht untergekommen. »Wir wurden zwar<br />

schon öfters erwischt«, so Friederike, »aber<br />

die Konfrontationen sind harmlos.«<br />

Auch die Reinigungskraft des Supermarktes<br />

lässt sich von den Dumpstern bei<br />

ihrer nächtlichen Raucherpause nicht stören.<br />

»Macht ruhig weiter«, winkt sie ab, als<br />

Josef sich entschuldigt. »Ist ja schließlich<br />

nur Müll, will ja eh keiner mehr haben.«<br />

Drei Tüten voller frischer Orangen, zwei<br />

Tüten zum Bersten gefüllt mit allerlei Gemüse,<br />

als besonderes Bonbon eine Mango<br />

aus Kenia und Pflaumen aus Süditalien:<br />

Die Schatzsuche von Friederike und Josef<br />

hat sich gelohnt. »Heute war mal wieder ein<br />

guter Tag«, meint Josef zufrieden. »Morgen<br />

können wir uns eine bunte Gemüsesuppe<br />

kochen.«<br />

Nur wenige Male hatten sie beim Containern<br />

weniger Erfolg. »Die Tonnen sind<br />

oft noch viel voller als heute«, erzählt Friederike.<br />

Eigentlich könne man seinen ganzen<br />

Bedarf an Vitaminen über das Containern<br />

decken – doch müsse man dann bereit<br />

sein, das zu essen, was man eben so finde.<br />

»In den nächsten Tagen werde ich mich<br />

wohl hauptsächlich von Orangen ernähren«,<br />

lacht Friederike.<br />

Rund 20 Millionen Lebensmittel werden<br />

in Deutschland jährlich weggeschmissen,<br />

betonte jüngst Ilse Aigner, Bundesministerin<br />

für Ernährung. Genauere Zahlen zur<br />

großen Verschwendung existieren allerdings<br />

noch nicht – doch auf das Problem<br />

mit dem Müll sind bereits zahlreiche Politiker<br />

und Verbraucherschützer aufmerksam<br />

geworden.<br />

Über Leute wie Josef und Friederike<br />

kann sich Kommilitonin Julia nur aufregen.<br />

»Ich kann ja wohl mal 1,49 Euro für<br />

Orangen hinblättern. Warum gibt man die<br />

Reste nicht an die Leute, die es wirklich nötig<br />

haben?« Das Wühlen im Müll kommt<br />

für sie nicht in Frage.<br />

»Man könnte das Essen doch an die Tafeln<br />

geben«, fügt ihre Freundin hinzu.<br />

Tatsächlich liefern einige Märkte die<br />

aussortierten Nahrungsmittel an Berliner<br />

Tafeln aus – doch oft ist es kostengünstiger,<br />

die Lebensmittel einfach in den Müll<br />

zu werfen.<br />

Sehr zur Freude von Josef und Friederike,<br />

die durch das nächtliche Containern<br />

zwar einiges an Schlaf einbüßen, aber auch<br />

Geld sparen. »Manchmal finden wir sogar<br />

Bio-Lebensmittel«, freut sich Friederike.<br />

Die seien im Alltag für einen Studenten fast<br />

unbezahlbar.<br />

Friederike lässt viel warmes Wasser in das<br />

Spülbecken laufen. Die Beute muss nun<br />

noch sorgfältig abgewaschen werden, denn<br />

Dunkelheit und Feuchtigkeit machen die<br />

Container für Bakterien und Pilze zum Paradies.<br />

Besonders gefürchtet unter Dumpstern<br />

sind Mykotoxine, Schimmelpilzgifte,<br />

die bereits in geringen Mengen schädlich<br />

sind. Drei Waschgänge sind da Mindest-<br />

PHAbo11_210x74_4c_SpreePresse:Layout 1 26.05.2011 11:03 Uhr Seite 1<br />

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Die Emanzipation<br />

vom Diktat<br />

der Lebensmittelindustrie hat ihre Tücken<br />

– schließlich kennen die Dumpster die genauen<br />

Gründe für den Wegwurf der Nahrungsmittel<br />

nicht. Die grassierende EHEC-<br />

Welle bereitet ihnen Bauchschmerzen.<br />

Deshalb verzichten Friederike und Josef zur<br />

Zeit lieber auf Gurken und Tomaten im<br />

Container.<br />

Josef schält währenddessen eine Blutorange.<br />

Schiebt sich ein Stück in den<br />

Mund und seufzt genüsslich: perfekt. »Ein<br />

Adrenalin-Kick ist natürlich auch immer<br />

mit im Spiel«, meint er. Man wisse nie, ob<br />

man nicht doch mal davonlaufen müsse.<br />

Und was in den Mülltonnen zu holen sei.<br />

Auf widerlichere Dinge als vergammeltes<br />

Obst sei er bisher aber zum Glück noch<br />

nicht gestoßen. Von tierischen Produkten<br />

wie Milch, Butter und Fleisch lässt er lieber<br />

gleich die Finger.<br />

Wenn Friederike und Josef containern,<br />

dann nur in den Bio-Tonnen. Der Mülltrennung<br />

sei Dank. ■<br />

Henrice Stöbesand studiert<br />

Politikwissenschaft und ist<br />

gestählt im Kampf gegen<br />

Amöben, Parasiten und<br />

Typhus – die Orangen hat sie<br />

trotzdem nicht gegessen.<br />

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H.-P. Nolting/P. Paulus · Psychologie lernen<br />

Die kompakte Einführung in die »Wissenschaft<br />

der Seele«. Anhand zahlreicher Beispiele erklären<br />

die Autoren sämtliche Themen, Fragestellungen<br />

und Lösungsvorschläge der Psychologie.<br />

23


24<br />

campus<br />

Licht aus in der<br />

grossen stadt<br />

Alte Industriegelände, Fabriken und Bunker vegetieren in der Hauptstadt vor sich hin.<br />

Eine handvoll Künstler und Abenteurer entdecken Berlin auf eigene Art. Furios-Reporterin<br />

ViKtoriA dessAuer begleitet eine Urban Explorerin auf Erkundungstour in einer alten Brauerei.<br />

Fotos von sArAh ungAn.<br />

Furios 06/2011


Anzeige<br />

Steffi steht an einer gut befahrenen Straße und blickt auf die<br />

bröckelnde Backsteinfassade einer verlassenen Brauerei. Das<br />

stillgelegte Gelände mitten in Berlin ist Anziehungspunkt für<br />

Graffitikünstler, Fotografen und Abenteuerlustige. Sie sind »Urban<br />

Explorer«, Erforscher alter Fabriken und Industriegelände und bewegen<br />

sich am Rande der Legalität. Der Reiz, Orte zu entdecken,<br />

die von anderen Menschen schon längst aufgegeben wurden, lässt<br />

sie immer wieder losziehen.<br />

Der Haupteingang der Brauerei ist abgesperrt. Aber Steffi kennt<br />

einen geheimen Eingang, der auf das Gelände führt. Das erste<br />

Highlight der Tour ist ein altes Bierlabor. Es ist völlig verwüstet.<br />

Auf dem Boden liegen Bieretiketten, leere Flaschen und Plastikschrott.<br />

Die vollen Bierflaschen, die sie vor kurzem noch hier gefunden<br />

hatte, sind inzwischen verschwunden. »Man klaut nichts,<br />

man zerstört nichts, man macht Fotos und dann geht man wieder!«<br />

So lautet das Credo der Urban Explorer, erklärt sie. Doch nicht alle<br />

halten sich daran.<br />

Urban Explorer bleiben eher unter sich. Außer in Internetforen,<br />

wo sie Erfahrungen, Fotos und Videos ihrer Touren austauschen,<br />

geben sie nicht viel über ihr Hobby preis. Sie möchten verhindern,<br />

dass die verlassenen Gelände in Undergroundclubs verwandelt<br />

oder verwüstet werden.<br />

Vom Labor aus führt eine Treppe in den Keller. Unter Steffis<br />

Füßen knirschen Glasscherben und mit jedem Schritt wirbelt<br />

Dreck auf, der sich langsam auf Kleidung, Haare und Hände legt.<br />

Die Luft im Keller ist feucht und muffig. In den finsteren Räumen<br />

riecht es nach Lack oder anderen Chemikalien. Aus solchen<br />

Gründen hat Steffi immer eine Atemschutzmaske parat. Sie knipst<br />

ihre Taschenlampe an. Im Schein des Lichtkegels tauchen riesige<br />

Wannen auf. »Wahrscheinlich haben sie hier das Bier gebraut«, sagt<br />

Steffi leise. Plötzlich knarrt eine Tür. Es raschelt. »Unheimliche Situationen<br />

hat man öfter«, erzählt sie. »Als ich hier einmal in einem<br />

alten Lagerraum war, sah ich plötzlich eine dunkle Gestalt. Da bin<br />

ich erstmal einen Schritt zurückgegangen und habe tief durchgeatmet.<br />

Das war dann aber nur ein Graffiti, das jemand aus Spaß an<br />

die Wand gemalt hat.« Inzwischen flüstert Steffi und muss lachen,<br />

weil es gar keinen Grund dazu gibt. Sie würde nie alleine auf so eine<br />

Tour gehen. Viel zu gefährlich: »Man weiß nie, worauf man tritt.<br />

luxemburg lecture<br />

raul ZeliK<br />

nach deM KaPita L iSMUS?<br />

PeRSPeKtiven deR eManziPatiOn<br />

04. jULi 2011, 20:00 UhR<br />

vORSteLLUnG deS neUen BUchS<br />

vOn RaUL zeLiK<br />

anschließend diskussion mit Gregor Gysi<br />

und Wolfgang engler<br />

Moderation: Silvia Fehrmann<br />

eine Kooperation von Rosa-Luxemburg-<br />

Stiftung und dem Literaturforum im<br />

Brecht-haus<br />

Kontakt Brecht-Haus: ChristiAn hippe hippe@lfbrecht.de<br />

Kontakt Rosa-Luxemburg-Stiftung: utA tACkenberg tackenberg@rosalux.de<br />

literaturforum im brecht-haus<br />

chaUSSeeStRaSSe 125, BeRLin-Mitte<br />

Furios 06/2011<br />

Außerdem könnte<br />

etwas einstürzen.<br />

Im Notfall<br />

ist es besser, zu<br />

zweit zu sein«,<br />

sagt sie ernst.<br />

In den nächsten<br />

Räumen finden<br />

sich noch allerlei<br />

Fundstücke:<br />

Alte Bierfässer,<br />

Schließfächer,<br />

Kaffeemaschi-<br />

Das Kapital lesen<br />

Seit 2006 wird in der Rosa-Luxemburg-<br />

Stiftung das Kapital von Karl Marx gelesen.<br />

Marx hat den Kapitalismus in<br />

seiner allgemeinsten Form analysiert.<br />

Räumlich und zeitlich haben kapitalistische<br />

Gesellschaften aber ganz verschiedene<br />

Gesichter. Um diese zu verstehen, werden<br />

ergänzend zur Kapitallektüre sogenannte<br />

«Satelliten seminare» angeboten.<br />

weitere informationen unter<br />

www.Das-Kapital-lesen.De<br />

Kontakt: AntonellA MuzzupAppA Referentin für<br />

Politische Öko nomie, Tel. 030 44310-421,<br />

muzzupappa@rosalux.de<br />

campus<br />

Bier wird hier schon lange nicht mehr gebraut. Ein Feld von<br />

Etiketten erinnert an vergangene Betriebsamkeit.<br />

nen, Schuhe und eine alte Schreibmaschine. Es blitzt. Steffi macht<br />

ein Foto nach dem anderen.<br />

Aus den dunklen Kellerräumen geht es nun nach oben aufs<br />

Dach. Auch hier muss sie genau aufpassen, wo sie hintritt. Manchmal<br />

ist das Dach morsch oder sogar löchrig. Hier oben holt sich<br />

die Natur alles wieder zurück, denn mitten auf dem Dach wachsen<br />

Bäume. Von hier aus erspäht Steffi andere Besucher. Auf dem<br />

gegenüberliegenden Dach liefern sich ein paar Golfer ein kleines<br />

Turnier.<br />

Das nächste Gebäude ist ein anliegendes Wohnhaus. Steffi wandert<br />

von Wohnung zu Wohnung. Sie findet fast unversehrte Badewannen<br />

oder Öfen. In den meisten Räumen hängt sogar noch die<br />

alte 70er-Jahre-Tapete an der Wand.<br />

Wieder draußen setzt sie sich kurz auf eine Treppe, die es vielleicht<br />

bald nicht mehr geben wird. Einige der Gebäude sollen abgerissen<br />

werden, um einem Baumarkt oder Möbelhaus Platz zu<br />

machen. Für Steffi endet die heutige Tour. Sie verlässt das Brauereigelände<br />

und steht wieder vor dem alten, unauffälligen Backsteingebäude<br />

an der gut befahrenen Straße. ■<br />

Viktoria Deßauer studiert im Master interdisziplinäre<br />

Lateinamerikastudien.<br />

SateLLitenSeMinaRe:<br />

11. jULi 2011, 19:30 UhR<br />

ra<br />

Kein Kapitalismus ohne<br />

na<br />

(hierarchische) geschlechter- Pe<br />

verhältnisse!<br />

Mit: ariane Brensell<br />

10. OKtOBeR 2011, 19:30 UhR<br />

natur als gratisproDuKt?<br />

daS veRhäLtniS vOn GeSeLLSchaFt<br />

Und natUR in deR KRitiK deR<br />

POLitiSchen ÖKOnOMie … and BeyOnd<br />

Mit: jana Flemming<br />

14. nOveMBeR 2011, 19:30 UhR<br />

politiK mit Dem «Kapital»?<br />

SOziaLe KäMPFe zWiSchen<br />

StRUKtUR Und handLUnG<br />

Mit: Frieder Otto Wolf<br />

veRanStaLtUnGSORt: rosa-luxemburg-stiftung FRanz-MehRinG-PLatz 1, BeRLinli<br />

anMeLdUnG UnteR: vaLeantO@daS-KaPitaL-LeSen.de<br />

ch<br />

25<br />

lu<br />

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ein<br />

St<br />

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Kon<br />

Kon<br />

ber


26<br />

campus<br />

maybe baby<br />

Wenn Naturalien zur Miete werden: reBeccA ciesielsKi stößt auf der Suche nach einer neuen<br />

WG auf einen besonders fürsorglichen Vermieter. Illustration von JuliA schönheit.<br />

Meine Mitbewohnerin guckt mich ungläubig an. »Da willst du<br />

nicht wirklich hingehen?« Wir sitzen in unserer Küche und studieren<br />

WG-Gesuche. »Wir sind eine coole WG aus netten, sportlich<br />

aussehenden, jungen Mädels und suchen eine Frau zwischen 17<br />

und 26 Jahren. Der Vermieter ist ein cooler Student«, heißt es in<br />

der Anzeige. Nur seine Nummer wird in der Kontaktspalte angezeigt.<br />

»Schau, da steht noch: ›Zimmer ist möbliert, mit breitem<br />

Futonbett.‹« Meine Mitbewohnerin deutet mit angewidert-belustigtem<br />

Gesichtsausdruck auf den Bildschirm. »Den solltest du<br />

als erstes fragen, ob du die Miete in Form von Dienstleistungen<br />

bezahlen musst.«<br />

Glücklicherweise suche ich eigentlich gar keine neue WG. Ich<br />

mache einen Selbstversuch. Und weder der Text noch die Bilder<br />

der Frauen mit den langen Fingernägeln, die ihre Cocktailgläser<br />

in die Kamera halten, können mich abschrecken. Ich suche die<br />

Herausforderung. »Kannst du mir die Nummer diktieren?«, frage<br />

ich, während ich bereits nach meinem Handy krame. »Nö, aber<br />

ich rufe gern die Polizei, wenn du nicht mehr wiederkommst.«<br />

Am nächsten Tag biege ich von der Karl-Marx-Allee in eine<br />

Straße, in der die realsozialistischen DDR-Prestigebauten der<br />

70er-Jahre-Durchschnittsplatte gewichen sind. Noch im Fahrstuhl,<br />

auf dem Weg in den 10. Stock, kommen mir Zweifel, ob die<br />

ganze Aktion wirklich eine gute Idee war.<br />

Meine Neugierde siegt. Oben angekommen stelle ich schnell<br />

fest, dass die Bezeichnung »cooler Student« gleich doppelt gelogen<br />

war. Cool? Student? Bezüglich der Coolness bin ich mir sicher:<br />

lichtes Haar, graues Hemd in hochgezogener Hose, Kölner Akzent<br />

– eine Nullnummer. Was den Studenten angeht, ist Spekulation<br />

im Spiel. Denn ein Studium ist bekanntlich nicht zwangsläufig an<br />

Alter oder Haarfülle gekoppelt.<br />

Die Wohnung hat normale Plattenbaugröße, ist also verdammt<br />

eng. Das Laminat im Flur ist nur bis zur Hälfte verlegt und in<br />

der Küche können sich kleine untergewichtige Personen mit etwas<br />

Übung sogar umdrehen, ohne nennenswerte Schäden zu verursachen.<br />

»Du siehst, es ist alles da: Spülmaschine, Mikrowelle und<br />

hier werde ich für die Mädchen noch einen Flatscreen anbringen«,<br />

er deutet auf den knappen Quadratmeter zwischen Kühlschrank<br />

und Spüle. »Ahhh, einen Flatscreen«, wiederhole ich die Essenz<br />

seiner Aussage so neutral wie möglich. Hat er gerade »die Mädchen«<br />

gesagt? Wo sind die eigentlich? In einer Parallelexistenz, in<br />

der ich erwägen würde, hier einzuziehen, müsste ich meine potentiellen<br />

Mitbewohnerinnen doch kennenlernen, oder? »So einen<br />

Zinnober wie WG-Castings machen wir hier nicht. Wenn ich ein<br />

Mädchen sehe, das mir gefällt, dann kann es hier auch einziehen.«<br />

Ein Mädchen, das mir gefällt. Aha.<br />

»Um Gebrauchsartikel wie Spülmittel brauchen sich die Mädchen<br />

übrigens nicht zu kümmern. Das besorge ich. Ich bin sowieso<br />

oft hier.« Sicher denkt er, er spräche von einer Nettigkeit.<br />

Für mich hört es sich mehr nach einer Drohung an. »Ich hab den<br />

Mädchen auch eine Waage besorgt, damit sie sich jeden Tag wiegen<br />

können.« Jetzt reichts.<br />

Ich überlege kurz, ob ich etwas sagen soll. Aber was würde es<br />

nützen, ihm zu erklären, dass er aus meiner Sicht ziemlich neben<br />

der Matrix läuft? Kurz bevor ich gehe, bittet er mich, ihn bei Facebook<br />

zu adden. »Ich heiße King Universum 1 und bin der Typ<br />

mit dem Surfbrett.« Als ich aus der Haustür trete, klingelt mein<br />

Handy. »Lebst du noch?« ■<br />

Rebecca Ciesielski studiert Kommunikationswissenschaften<br />

und Kulturanthropologie. Sie lebt glücklich<br />

in geordneten WG-Verhältnissen.<br />

1 Adelstitel von der Redaktion geändert<br />

Furios 06/2011


Mitbewohner gesucht. Umzugshelfer, Kampfsportler und Ahnenforscher gefunden. Wie<br />

sich der Casting-Marathon auf der anderen Seite anfühlt, durfte fAnny gruhl erleben.<br />

Wir hatten sie gefunden, die Traumwohnung, die unser neues<br />

Zuhause werden sollte. Freiheit und Selbständigkeit jenseits von<br />

Mamis Fittichen. Lediglich zwei Männer fehlten uns drei Mädels<br />

noch, um die 5er WG zu vervollständigen. Die Rechnung war<br />

einfach. Der Weg zum Ergebnis leider nicht. Dabei klang die Vorstellung<br />

von einem Casting so lustig: Ausgedehntes Kaffeekränzchen<br />

mit netten Leuten, denen wir ganz unverblümt Löcher in<br />

den Bauch fragen konnten. Pustekuchen! 78 Anfragen in 24 Stunden<br />

waren nur der Anfang der kräftezehrenden Wochen, die die<br />

absonderlichsten Exemplare der Gattung Mensch in unser neues<br />

Zuhause locken sollten.<br />

20 Minuten reichen für den ersten Eindruck. So der Plan.<br />

Screw the plan! Einer war spät dran, der andere zu früh und plötzlich<br />

saßen wir mit drei Bewerbern an einem Tisch oder wir wurden<br />

komplett sitzen gelassen.<br />

Furios 06/2011<br />

campus<br />

hot stuFF<br />

Der erste Bewerber stellte schon vorab klar: »Ich brauche eine<br />

Aufenthaltsgenehmigung um in Berlin zu studieren.« Fünf Minuten<br />

Smalltalk, dann wollte er wissen, wie schnell er den Mietvertrag<br />

unterschreiben könnte. Etwas übereilig, der Gute. Das Trauerspiel<br />

nahm seinen Lauf:<br />

Der Informatiker, der seinen Blick nicht von der Tischkante abwenden<br />

konnte, mit einer Hautfarbe die laut »Keller« zu schreien<br />

schien. »Naja, ich mache sehr viel im Internet.« Aha. Fast exotisch,<br />

seine Vorliebe für Gesellschaftsspiele.<br />

Schon mal was von Tang Lang Quan gehört? Nee? Der Hippie<br />

im Leinenhemd und mit Muschelkette beherrscht diese und 99<br />

weitere Kampfsportarten. »Ist klar, Frieden finden wir auch ganz<br />

gut. Ach und du wirst schadenfroh, wenn man nicht weiß, was<br />

man mit seinem Studium anfangen will?« Dickes Fettnäpfchen,<br />

mein Freund. Kein gelungener Gesprächseinstieg, wenn man<br />

Geisteswissenschaftlerinnen gegenübersitzt.<br />

Der Oldie war der Waghalsige. Mit 40 nochmal was ganz Verrücktes<br />

studieren. Optometrie zum Beispiel. Nein, du hättest es<br />

nicht dreimal erklären müssen! Oh, Ahnenforschung als Hobby,<br />

nicht schön, aber selten. »Ja, unsere Ur-Omas leben alle noch.<br />

Wie alt warst du gleich?«<br />

Der »Recall« wurde aus Mangel an Möbelpackern auf den Umzugstag<br />

gelegt. Während wir uns Gedanken machten, mussten die<br />

Bewerber unsere Sachen in den den vierten Stock schleppen. Toller<br />

Schachzug! Letzten Endes musste trotzdem das Los entscheiden:<br />

Der glückliche Gewinner war ein Jurastudent, der beim Umzug<br />

seine Muskeln spielen ließ. Und offen zugab »Die fabelhafte<br />

Welt der Amélie« schon viel zu oft gesehen zu haben. 12 Points!<br />

Die zweite Zusage ging an einen süßen Amerikaner, der sich auf<br />

dem Weg zur Wohnung gleich drei mal verlief. Unsere Mutterinstinkte<br />

waren geweckt.<br />

Fazit: Drei Meinungen sind zwei zu viel, 78 Bewerber viel zu<br />

viele, eine Packung Kaffee zehn zu wenig und umziehen werden<br />

wir sobald nicht mehr! ■<br />

Fanny Gruhl studiert PuK, Politikwissenschaft und<br />

Philosophie. Mit ihren Mitbewohnern kann sie<br />

Disneyfilme sehen, der gemeinsamen Knoblauchvorliebe<br />

frönen und gute Einzugsfeiern schmeißen.<br />

27


28<br />

KuLtur<br />

mit Furios 3x<br />

2 tiCkets Für theatersPort<br />

berlin<br />

gewinnen!<br />

Liebe Lieber aFriKanisch<br />

Bettgeflüster zu Forschungszwecken. Was passiert, wenn eine Studentin die Anleitung für die<br />

afrikanische Sexkunst Kunyaza in die Hände bekommt? Ein Erfahrungsbericht von moniKA p.<br />

Illustration von christiAn güse.<br />

Das mystische Bild einer nackten Frau, umhüllt von Nebelschwaden,<br />

fesselt meinen Blick. Das exotische Wort<br />

»Kunyaza« steht in orangefarbenen Lettern auf dem Flyer<br />

geschrieben. »Multiple Orgasmen und weibliche Ejakulation mit<br />

afrikanischer Liebeskunst.« Oha! Das ist auf jeden Fall was anderes<br />

als die ewigen Yoga-Flyer. Aus dem Text neben dem Bild erfahre<br />

ich, dass im Rahmen einer Studie Paare gesucht werden, die Kunyaza<br />

zu Hause ausprobieren möchten. Ich muss herzlich lachen. Die<br />

denken echt, wir Studierende wären zu allem bereit. Trotzdem stecke<br />

ich den Flyer ein. Mein Gefühl sagt mir, dass das doch nicht<br />

so unsinnig klingt, sogar reizvoll sein könnte. Und notfalls kann es<br />

immer noch als Partykuriosität herhalten.<br />

Abends beim Gespräch mit meinem Freund Lars fällt mir der<br />

Flyer wieder ein: »Das wäre doch ganz spannend, oder? Was meinst<br />

du?« Seine Antwort kommt prompt: »Lass uns das mal ausprobieren.«<br />

Ich verdutzt: »Wie, jetzt ernsthaft?« Das kam unerwartet. »Na<br />

klar, das hört sich doch interessant an«, meint Lars. Man könnte<br />

meinen, ich hätte ihm angeboten, mit mir zum Paragliding zu gehen.<br />

Ich habe das Gefühl, dass Männer da ziemlich spontan und<br />

unbekümmert sind. Habe ich das ernst gemeint? Will ich das überhaupt?<br />

Schließlich geht mir auf, dass es kein Zurück mehr gibt. Au-<br />

theatersport shoW<br />

1995 hat Theatersport Berlin die sportlichste<br />

aller Bühnenformen nach Berlin<br />

gebracht – und feiert über 15 Jahre später<br />

jeden Montag eine Premiere: Jede<br />

Woche neu, unerwartet, atemberaubend.<br />

Sei auch Du spontan und nimm Teil an unserer Verlosung<br />

von 3 x 2 Tickets für die Show am 11.07.2011<br />

um 19.30 im Admiralspalast. Schreib eine Mail bis<br />

zum 04.07.2011 an redAKtion@furios-cAmpus.de<br />

und versuch Dein Glück!<br />

ßerdem bin ich auch neugierig, ob diese afrikanische Liebeskunst<br />

tatsächlich erfüllt, was sie verspricht. »Lass es uns tun, Lars.«<br />

Der Link auf dem Flyer führt mich auf die Website des Afrikanischen<br />

Instituts für Sexualforschung. »Entfachen Sie das Feuer<br />

in Ihrer Frau!« lädt ein zum Weiterklicken. »70% der Frauen bekommen<br />

beim üblichen Geschlechtsverkehr, das heißt durch Penetration,<br />

keinen Orgasmus.« Das soll wahr sein? »Experten aus<br />

der ganzen Welt sind sich darüber einig.« Na dann. Bei näherem<br />

Hinsehen entpuppen sich diese Experten unter anderem als Katja<br />

Hertin, Textchefin bei der Zeitschrift »Cosmopolitan« und die ehemalige<br />

Pornodarstellerin Dolly Buster. Geballtes Fachwissen.<br />

Ich klicke weiter auf den Link »Was tun?«. Verschiedene »westliche<br />

und orientalische Lösungen« wie Oralverkehr oder Kamasutra<br />

werden vorgeschlagen. Doch dann die Verheißung: die »Lösung<br />

aus Afrika«! Das Geheimnis der Liebeskunst heißt Kunyaza. Das<br />

Klicken geht weiter. Ich erfahre, dass die Menschen in Afrika seit<br />

Jahrhunderten wissen, wie es richtig geht. Warum erfahre ich das<br />

erst jetzt? Bei Kunyaza sollen die Frauen nicht nur zum Orgasmus<br />

kommen. Das äußere »Klopfen« des Penis auf die Klitoris<br />

und die Scheidenwände regt angeblich auch die Produktion von<br />

Scheidenflüssigkeit an. Bis zu einem Liter. Ich setze »Bett mit Folie<br />

überziehen!« auf meine innere To-Do-Liste und scrolle hinunter zu<br />

Furios 06/2011


den Kommentaren von anderen Teilnehmern der Studie. Die sind<br />

meist niveaulos, bestätigen aber den Effekt von Kunyaza. Die Antwort<br />

auf meine Email an das Institut kommt prompt und liefert<br />

eine detaillierte Beschreibung der Technik von Kunyaza, begleitet<br />

von einer Skizze der bevorzugten Stellungen und einem Video.<br />

Letzteres öffne ich am nächsten Morgen nach dem Frühstück –<br />

ein Fehler. Lautes Seufzen und Stöhnen erfüllt das ganze Zimmer.<br />

Hoffentlich schlafen meine Mitbewohner tief.<br />

Am Abend kommt Lars vorbei. Es wird ein<br />

stinknormaler Pärchenabend: Essen, Film gucken<br />

und irgendwann ins Bett. Wir machen ziemlich<br />

lange rum – als ob jeder von uns den entscheidenden<br />

Moment so lange wie möglich herauszögern wollte.<br />

Nervosität auf beiden Seiten, auch Lars ist offenbar<br />

nicht so abgeklärt wie es den Anschein hatte. Der Anleitung<br />

folgend lege ich mich mit geöffneten Beinen an den Rand des<br />

Bettes. Lars kniet vor mir und beginnt mit seinem Glied meine<br />

Klitoris zu massieren. Die erste Berührung ist etwas ungewohnt,<br />

hart und weich zugleich. Als Lars seinen Rhythmus gefunden hat,<br />

spüre ich ganz deutlich das Klopfen. Ein warmes Kribbeln kriecht<br />

langsam meinen Bauch hinauf. Aber darüber hinaus spüre ich keine<br />

tiefere Erregung. Irgendwann brechen wir das Unterfangen erschöpft<br />

ab. Doch dabei wollen wir es nicht belassen. Beim zweiten<br />

Versuch benutzen wir Gleitgel. Das Massieren wird dadurch angenehmer<br />

und das Kribbeln setzt schneller ein. Ich versuche, mich<br />

zu entspannen, mich auf das angenehme Gefühl zu konzentrieren.<br />

Doch irgendwann treffen sich unsere Blicke und die Anspannung<br />

entlädt sich in lautes Gelächter.<br />

Furios 06/2011<br />

KuLtur<br />

Theatersport Show<br />

Immer montags & ein Mal im Monat<br />

Samstag Nacht Special im Admiralspalast<br />

Bühnenpiraten Jeden Sonntag<br />

in der Komödie am Kurfürstendamm<br />

Mit dem Stichwort »Jung & Spontan« Tickets<br />

zum Sonderpreis von 12 Euro unter<br />

030 43 72 00 918 & www.theatersport-berlin.de<br />

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Wir haben Kunyaza noch ein paar Mal ausprobiert, aber mein<br />

»inneres Feuer« hat es nicht zum Lodern gebracht. Wahrscheinlich<br />

haben wir uns zu verkrampft auf die Technik konzentriert,<br />

vielleicht waren wir zu zaghaft oder zu ungeduldig. Spaß hat es<br />

trotzdem gemacht. Diese Erfahrung hat uns gezeigt, dass wir miteinander<br />

offen über Sex reden können. Let´s do it! ■<br />

29


30<br />

campus<br />

ein unmoraLisches angebot<br />

Als Student muss man nicht alles wissen, denn viele Wege führen zum Erfolg.<br />

Darauf setzen Ghostwriting-Agenturen und verdienen an unserer Bequemlichkeit<br />

ihr Geld. Dürfen sie das? VAlerie schöniAn auf der Suche nach der Lücke im Gesetz.<br />

Foto von JuliA schönheit.<br />

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt unwirsch: »Ich<br />

hab’ nur zwei Minuten«, plärrt es in den Apparat. Die Begeisterung<br />

von Karl-Heinz Smuda über studentische Anrufe hält sich offenbar<br />

in Grenzen. Es sei denn es handelt sich, wie in diesem Fall, um<br />

ein journalistisches Anliegen. Smuda lacht. Fragen beantworte er<br />

gerne. »Dann habe ich natürlich länger Zeit!«<br />

Karl-Heinz Smuda ist Ghostwriter. Für ihn heißt Ghostwriting<br />

Bücher schreiben – andere Menschen liefern den Inhalt, er das<br />

schriftstellerische Können. Die Studenten, die bei ihm anrufen,<br />

wollen jedoch etwas anderes. Sie sind auf der Suche nach jemandem,<br />

der für sie eine wissenschaftliche Arbeit erstellt, einem akademischen<br />

Ghostwriter. Tatsächlich gibt es die wie Sand am Meer.<br />

Von wegen zwielichtige Kontakte oder geheime Codewörter: Bei<br />

Google erscheinen in 0,23 Sekunden 175.000 Treffer. Allein die ersten<br />

sechs Ergebnisse genügen für alle Haus- bis Doktorarbeiten der<br />

gesamten Studienzeit.<br />

Ganz oben mit dabei, die Textagentur Steven aus Duisburg. Auf<br />

ihrer Internetseite werben sie: »Wir bieten Ihnen ein kompetentes<br />

und fachlich hochklassiges Ghostwriting von Hausarbeiten und<br />

allen anderen Arten von akademischen Arbeiten«. Christoph Steven<br />

ist Leiter der Agentur. Der Kontakt zu seinen Kunden läuft<br />

nur telefonisch über ihn oder mit einem seiner 50 Mitarbeiter per<br />

E-Mail. Ganz bequem und einfach.<br />

Die Vorstellungen der Hilfesuchenden sind sehr unterschiedlich.<br />

Bei einigen lautet die Devise »Hauptsache bestehen«, andere bieten<br />

ältere Hausarbeiten zur Einsicht an, damit es auch ja so klingt, als<br />

sei die Arbeit »aus eigener Feder«. Nach dem ersten Kontakt folgt<br />

das Anmeldeformular. Ausgefüllt und eingereicht, erhält der Student<br />

ein paar Tage später ein auf seine Wünsche zugeschnittenes<br />

Angebot mit entsprechenden Honorarvorstellungen zurück. Ist der<br />

Sack einmal zugezurrt, geht es ans Eingemachte: Themenschwerpunkt,<br />

Gliederung – auf Wunsch wird auch ein Exposé erstellt.<br />

Von nun an erhält der Student Teillieferungen zu zehn Seiten, um<br />

alles mit dem Professor abklären zu können. Und ein paar Wochen<br />

Nebulöse Schreibwerkstatt:<br />

Wenn die Kasse klingelt aber<br />

andere die Lorbeeren ernten.<br />

später ist alles geschafft! Alles natürlich streng geheim, so wie in<br />

den AGB der Agenturen vorgeschrieben.<br />

Der Clou des Ganzen: Die Texte sind nur Vorlagen, die noch<br />

einmal bearbeitet und »an den eigenen Stil angepasst« werden<br />

müssen. Laut Steven kostet so eine »Vorlage« ungefähr 1000 Euro,<br />

ein akademisches Schnäppchen also. Das Oberlandesgericht Düsseldorf<br />

hingegen rechnet mit dem zehnfachen Betrag. Es bezeichnet<br />

Ghostwriting als Sittenwidrigkeit, die von der Rechtsordnung<br />

nicht gebilligt werden dürfe. Damit sei der geschlossene Vertrag<br />

zwischen Agentur und Student zwar nichtig, aber weitere rechtliche<br />

Folgen blieben aus.<br />

Christoph Steven hat das Recht auf seiner Seite. Schuldig macht<br />

sich nur der Student, der die Arbeit als die eigene einreicht. Ohne<br />

Stevens Wissen versteht sich. Das hält er für legitim. »Sie müssen<br />

sich ja trotzdem mit dem Thema beschäftigen«, beschwichtigt er.<br />

»Einige haben einfach nicht gelernt, wie«, sagt Stevens. Studenten<br />

in der Not unter die Arme greifen – so definiert er seine Dienstleistung.<br />

Smuda ist von diesen Studenten genervt. Bis zu fünf Mal täglich<br />

erhält er diese Art von Anfragen. »Einmal hat mich eine Mutter<br />

angefleht, für ihre Tochter eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen.<br />

Die arbeite bei McDonalds und habe einfach keine Lust nach<br />

Feierabend noch an ihrer Arbeit zu schreiben.«<br />

Es gibt viele Ausreden. Es ist natürlich selten die Faulheit, sondern<br />

die Arbeit, Sprachprobleme oder Desinteresse an nur diesem<br />

einen Thema. »Dann such dir doch einfach was anderes«, sagt Smuda<br />

und löscht die Studenten-Anfragen aus seinem E-Mail-Account.<br />

■<br />

Valerie Schönian studiert Deutsche Philologie und Politikwissenschaft<br />

im zweiten Semester. Diesen Beitrag<br />

hat sie ohne die Hilfe einer Ghostwriting Agentur<br />

geschrieben.<br />

Furios 06/2011


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WarenFetisch:<br />

moLesKine<br />

Leere Seiten statt Charakter.<br />

Von cAthArinA tews. Illustration: JuliA schönheit<br />

Gott, wie arty-farty wir wieder sind! Der<br />

FU-Möchtegern-Trendsetter ist hochgradig<br />

verliebt: in sich selbst und in die Idee etwas zu<br />

besitzen, das auch Hemingway, Picasso und<br />

Wilde in der Tasche hatten. »Ce n’est pas un<br />

livre, c’est Moleskine«, wispert er. »Dit heest<br />

Maulwurfshaut, du Vollpfosten!«, nölt das Krömerchen<br />

in mir zurück. Warum wird ein Artefakt<br />

der Avantgarde zum Sammlerobjekt der<br />

Markenaffinen und Pseudokreativen?<br />

Moleskine ist zwar eher der Gérard Depardieu<br />

unter den Notizbüchern – verwechselbar,<br />

wären da nicht die vielen Rundungen – doch<br />

gerade die Exklusivität des Simplen sichert dem<br />

Büchlein den Platz im Hipster-Herz.<br />

Ursprünglich in kleinen Pariser Buchbinderläden<br />

gefertigt, bekamen die Bücher ihren<br />

Namen von Bruce Chatwin, einem britischen<br />

Schriftsteller, Ende der 80er. Mit dem einstigen<br />

Underdog-Image hat Moleskine heute bei über<br />

20 Millionen verkauften Exemplaren weltweit<br />

nur noch wenig am Hut. Und bei den heutigen<br />

Preisen hätte Moleskine-Besitzer Picasso seine<br />

Entwürfe wohl lieber zusammengetackert und<br />

Hemingway seine Romane auf einen Stapel<br />

Barservietten geschrieben.<br />

Vor falscher Bescheidenheit bewahrt neben<br />

dem stolzen Preis auch ein bedrucktes Ex-libris-Kärtchen:<br />

»Dieses Moleskine gehört XY, einem<br />

Genie, das seine Einfälle für die Nachwelt<br />

festhalten sollte.«<br />

Wer dem cleveren Produktmarketing vollends<br />

erliegen möchte, dem sei hiermit die<br />

Moleskine-Umhängetasche, Nerdbrille und der<br />

unverzichtbare Clip Pen wärmstens empfohlen.<br />

Charakter wird nachgeliefert!<br />

Auch dieser Trend symbolisiert nur die stete<br />

Suche des Hipsters nach dem einen Farbklecks,<br />

der ihn von der grauen Masse abhebt. Zu schade,<br />

dass das meistverkaufte Moleskine-Exemplar<br />

einfach nur schwarz ist. ■<br />

Bücher.<br />

Medien.<br />

eBooks.<br />

Furios 06/2011<br />

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KuLtur: WarenFetisch<br />

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31


32<br />

KuLtur: WarenFetisch<br />

»da Kommste nich’ raus«<br />

Ein Gespräch mit Marc-Uwe Kling und Sebastian Lehmann über ihre Bücher, ihre Lesebühne<br />

»Lesedüne« und lustige bis kritische Geschichten aus der anstrengenden Welt des Kapitalismus.<br />

Von reBeccA ciesielsKi und KonstAnze renKen. Fotos von corA-mAe gregorschewsKi.<br />

Ihr steht beide oft auf der Bühne. Du, Marc-Uwe, mit Deiner<br />

Band »die Gesellschaft«, Ihr beide bei der »Lesedüne« und moderierend<br />

beim »Kreuzberg Slam«. Wie geht Ihr mit Lampenfieber<br />

um?<br />

MU.: Je mehr schiefgehen kann, desto<br />

nervöser bin ich. Wenn ich ohne die<br />

Band auftrete, bin ich eigentlich nicht<br />

aufgeregt. Irgendwann lernt man,<br />

damit umzugehen. Jedenfalls gehe ich<br />

mit dem Gefühl auf die Bühne, dass<br />

ich das kann und hinkriege.<br />

SL.: Bei der Lesedüne geht ständig<br />

etwas schief.<br />

MU.: Hinterher kommen die Leute<br />

immer und fragen: »Das war geplant,<br />

oder?«. Die Leute glauben sowieso<br />

immer, dass alles geplant war. Wenn du<br />

mit Ironie arbeitest, kannst du die Fehler thematisieren.<br />

Ihr habt beide jeweils Euer erstes Buch veröffentlicht. Was ist das<br />

für ein Gefühl?<br />

MU: Ich schreibe gerade an meinem zweiten Buch. Ich weiß jetzt<br />

schon, dass es ein verdammt gutes Gefühl sein wird, es endlich<br />

fertigzustellen. Komisch fühlt es sich aber an, wenn man das Manuskript<br />

abgibt und weiß, dass es noch Monate dauern wird, bis man<br />

das gedruckte Buch in den Händen hält. Natürlich gibt es immer<br />

Geschichten, die ich im Nachhinein nochmal überarbeiten würde.<br />

tütensuppentotaLitarismus<br />

Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken. Ansichten eines<br />

vorlauten Beuteltiers. Rezensiert von VAlerie schöniAn.<br />

Marc-Uwe Kling wohnt mit einem Känguru zusammen. Wehren<br />

konnte er sich dagegen nicht: »Das Känguru ist bei mir eingezogen.<br />

Es hat einfach sein ganzes Zeug rübergeschafft und danach<br />

gesagt: ›Is’ okay, oder?‹« Eine Wohngemeinschaft<br />

auf Abwegen: der Kleinkünstler, der keinen Fisch mag<br />

und das kommunistische Känguru, das nur Fischstäbchen<br />

zubereitet. Von »Olé«-rufenden Fußballfans bis<br />

zum Axel-Springer-Verlag, das Känguru hat sich die<br />

Abschaffung des Kapitalismus als sein täglich Ziel<br />

gesetzt. In der Fahrschule wehrt es sich gegen die<br />

Rechts-vor-links-Regel und bei Monopoly besetzt es<br />

Marc-Uwes Häuser auf der Schlossallee.<br />

Der nimmt das alles erstaunlich gelassen hin. Er<br />

arbeitet weiter an seinen Gedichten, leistet in der<br />

Hängematte passiven Widerstand gegen den Kapitalismus<br />

oder seilt sich vom Balkon ab. Trotz der unterschiedlichen<br />

Gesinnung: Die beiden schließen schnell Freundschaft.<br />

Am Ende wirken sie wie ein altes Ehepaar, das seine Zeit<br />

zumeist mit Bud-Spencer- und Terence-Hill-Filmen zubringt und<br />

dabei über die Welt philosophiert.<br />

Gut, dass der Verlag mir eine Frist setzt, sonst würde ich alles ewig<br />

überarbeiten und nie veröffentlichen.<br />

Marc-Uwe, in einer Geschichte meint das Känguru: »Wenn alle<br />

nichts tun würden, gäbe es keinen Kapitalismus<br />

mehr. […] Gilt Bud-Spencer-<br />

Filme gucken noch als nichts tun?« Wie<br />

politisch wollt Ihr sein? Oder sind eure<br />

Geschichten eher postpolitisch-selbstreflexivironisch?<br />

SL.: Postpolitisch-selbstreflexivironisch?<br />

Das finde ich gut. Das möchte ich sein.<br />

MU.: Ich denke, wenn man Systemkritik<br />

üben will, muss man mitreflektieren,<br />

dass man Teil des Systems ist. Dadurch<br />

ist diese Art der Kritik zwangsläufig<br />

gebrochen. Diesen Bruch kittet man mit<br />

Ironie. Oder man macht ihn durch Ironie<br />

sichtbar. Systemkritik muss Selbstkritik sein, weil niemand außerhalb<br />

des Systems steht. Selbst die Kritik wird im Kapitalismus zur Ware.<br />

Da kommste nich’ raus.<br />

Wie würdet Ihr es finden, in 10 Jahren unter der Rubrik »Poetry<br />

Slam« in Deutschlehrbüchern aufgeführt zu werden?<br />

SL.: Es gibt schon Poetry Slam-Texte für den Unterricht. Vielleicht<br />

sind Slam-Texte näher an der Lebenswirklichkeit der Schüler als zum<br />

Beispiel »Der Henker und sein Richter« von Dürrenmatt. Slam-Texte<br />

sind wahrscheinlich die gegenwärtigste Gegenwartsliteratur. ■<br />

Der Kleinkünstler dokumentiert die Erlebnisse des ganz gewöhnlichen<br />

WG-Alltages natürlich nicht, ohne dass das Känguru<br />

seinen Senf dazu gibt. Daraus entstanden sind schließlich<br />

»Die Känguru Chroniken«. Wäre es nach dem<br />

Känguru gegangen, würde das Buch »HITLER,<br />

TERROR, FICKEN« heißen, gemäß der »Essenz<br />

der Spiegelbestsellerliste«.<br />

Bei ihren philosophischen Streifzügen kommen<br />

sie zu ein paar erstaunlichen Erkenntnissen: Es gibt<br />

keine wirklichen Wahlen. Eigentlich ist alles vergleichbar<br />

mit einer Entscheidung zwischen Tütensuppe<br />

von Maggi oder Tütensuppe von Knorr. Aber<br />

es ist sowieso alles Nestlé. Das ist der Tütensuppentotalitarismus.<br />

Der trockene Humor und der schräge Blick auf das<br />

Leben tragen von der ersten bis zur letzten Seite. So wird<br />

das Buch zu einem Highlight der Gesellschaftssatire, das man nicht<br />

aus der Hand legen kann. Wenn es ein Buch gibt, das Menschen in<br />

der U-Bahn laut zum Lachen bringt, dann ist es dieses. ■<br />

Furios 06/2011


FLaneur:<br />

Im Rausch deR gRünen TRIebe<br />

Der Flaneur im Liebeswahn. Sonnentrunken streift er durch Dahlems<br />

Grünanlagen, auf der Suche nach Mutter Natur. Dabei schlägt er hin<br />

und wieder über die Stränge und nimmt es auch mit der Wahrheit<br />

nicht so genau. Widerwillig aufgezeichnet von cAthArinA tews.<br />

Illustration und Foto von christiAn güse.<br />

Mein Herz gehört nur einer einzigen Dame.<br />

Betörend schön ist sie, in all ihren schillernden<br />

Farben, ihr Odeur duftet nach tausend Fluren<br />

frischer Wiese, getragen von schwungvollen Sommerwinden.<br />

Meine Schöne lockt mich zu sich ins<br />

Freie. Oh Mutter Natur, drücke mich an deinen<br />

grünen Busen, nimm mich gefangen! Ich stürze<br />

aus den engen, düsteren Räumen der silbernen<br />

Laube in den Hof. Ich will die Alma Mater mit<br />

dir betrügen und spüre unter meinen nackten<br />

Sohlen den saftigen, gräsernen Teppich. Bunte<br />

Skulpturen tun sich wie Windmühlen vor mir<br />

auf, die Hügel werden zu einem Gebirge, ich<br />

muss sie überwinden um bei dir zu sein.<br />

Freiheit, versuche mich nicht! Ich muss zum<br />

Sünder werden, meinem zehrenden Verlangen<br />

nachgeben. Efeuranken krallen sich meine Bücher<br />

und Hefte und ziehen sie die Fassade empor,<br />

bis sie im Blattwerk verschwinden. Trunken<br />

vor Liebe wandele ich über steinerne Pfade hin<br />

zum Thiel-Tal der Verliebten. Küssend räkeln sie<br />

sich zwischen den Halmen, wispern sich ewig geltende<br />

Treueschwüre zu, während Sonnenstrahlen<br />

Schweißperlen auf ihrer Stirn tanzen lassen. Einst<br />

war ich genau an diesem Ort unfreiwilliger Beobachter<br />

der Zeugung von Alfred Konrad Seiler. Ein<br />

kluger Junge mit Hasenscharte und erster Student<br />

der Freien Universität.<br />

Deine Gesandte, die Biene, kann nicht von<br />

mir lassen. Leichtes Weib, flieg fort mit deinen<br />

Pollen bestäubten Beinchen! Und ihr, scharlachrote<br />

Feuerkäfer, liebt ihr euch zu zweit, zu dritt,<br />

zu viert? Eine hexapodische Orgie des Sommers!<br />

Das lodernde Feuer der Leidenschaft wird euch<br />

bald in Asche wandeln! Deinen Verlockungen<br />

kann ich nicht standhalten, Mutter Natur! Die<br />

kleine Amsel verschwindet im Geäst. Versteckst<br />

Furios 06/2011<br />

•<br />

du dich? Machst du dich rar? Willst mich um den<br />

Verstand bringen?<br />

Ich muss weiterziehen. Will dabei die Rinde<br />

deiner Pappeln kitzeln und das frische Grün<br />

deiner jungfräulichen Blättchen liebkosen. Du<br />

vernebelst meinen Sinn, ich möchte die Augen<br />

schließen und deinen Duft verschlingen. Meine<br />

Füße verlieren die Haftung. Ich taumele. Welch<br />

Narr hat diese monströse Skulptur aus rostigen<br />

Spießen mitten in dein Herz gestochen? Erdolcht<br />

liegst du da. Die Ameise flüstert: »Es war eine<br />

Gabe.« Doch wer verschenkt, was der Ästhet auf<br />

die Deponie brächte? Ein blinder Betriebswirt<br />

soll es einst seiner Maid zuliebe losgeworden sein.<br />

•<br />

Meine Augen brauchen Ruhe. Ich schreite voran.<br />

Doch dort, konzentrische Kreise aus Menschen.<br />

Sozialistische Revolutionen und kapitalistische<br />

Verirrungen kriechen aus ihren Mündern.<br />

Deine Butterblumen, gepeinigt und erschlagen<br />

von einer marmornen Marx-Gedenkplatte.<br />

Alma Mater, herrisches, wankelmütiges Weibsbild,<br />

du bist vergessen. Hiermit breche ich mit<br />

dir und will mich Größerem hingeben. Mutter<br />

Natur, das kühle Nass deiner Krummen Flanke<br />

schreit willig nach mir, wie der Säugling nach der<br />

Brust. Ich hänge mein Beinkleid über ein Gänseblümchen<br />

und stürze mich tollkühn in deine<br />

Fluten. Wir vereinen uns. Ich möchte in dir ertrinken.<br />

■<br />

Die Gedanken des Flaneurs notierte<br />

Catharina Tews. Für ihre Richtigkeit<br />

übernimmt sie keine Verantwortung.<br />

FLaneur<br />

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34<br />

VeranstaLtungsKaLender<br />

got Plans?<br />

Veranstaltungen von, für und mit Studenten der FU. Gesammelt von eliese Berresheim,<br />

mArgArethe gAllersdörfer, lAurA gertKen, gAlinA hAAK und Vincent noVAK<br />

Mehr Veranstaltungstipps unter www.furios-cAmpus.de/KAlender Eure Veranstaltungen an redAKtion@furios-cAmpus.de<br />

Jul<br />

ein arztbesuCh mit risiken<br />

und nebenwirkungen<br />

The Rat Trap: englisches Uni-Theater. Dienstag 5. Juli<br />

und Mittwoch 6. Juli, 19 Uhr, JFK Institut Berlin<br />

Lansstraße 7-9, Eintritt frei.<br />

Schauplatz: Wartezimmer. Die Patienten lesen Zeitung oder sehen<br />

betreten zu Boden. Nicht gerade ein Ort des Wohlfühlens. Umso<br />

unangenehmer, wenn alle im Raum einen kennen, man selbst jedoch<br />

keinen blassen Schimmer hat, wer die anderen sind. Genauso<br />

ergeht es George, Protagonist des Theaterstücks »The Rat Trap«. Er<br />

versucht herauszufinden, wo er den anderen Personen schon mal begegnet<br />

ist. Eine Erinnerungsreise beginnt, auf der George nicht nur<br />

etwas über die Fremden erfährt, sondern auch seinen Ängsten nachspürt.<br />

Die neugegründete Theatergruppe des JFK Instituts bringt<br />

nach kurzer Probezeit dieses skurrile Chaos auf die Bühne. Ein<br />

Muss für Theaterfreunde mit Sinn fürs Surreale. jfki.fu-berlin.de<br />

Jun<br />

gemeinsam sind wir<br />

sChriFtsteller<br />

»Tentative Experiment to Form a Literary Collective«<br />

– Seminar von Daniel Kehlmann und Adam<br />

Thirlwell, Veranstaltung in englischer Sprache. Erster<br />

von fünf Terminen: 20. Juni, KL 32/202, 12:00h<br />

Große Literatur wird allein im stillen Kämmerlein geschrieben.<br />

Ist auf dem Buchdeckel eines Romans mehr als ein Autor verzeichnet,<br />

kann man sich die Lesezeit getrost sparen – oder?<br />

An der FU soll der Gegenbeweis angetreten werden. Die<br />

Forschungsleiter des Seminars sind keine anderen als Daniel<br />

Kehlmann (»Die Vermessung der Welt«) und Adam Thirlwell<br />

(»Strategie«). Diese beiden Stars der deutschen und britischen<br />

Gegenwartsliteratur hat das Peter-Szondi-Institut für seine<br />

Sommersemester-Gastprofessur gewonnen. Kehlmann und<br />

Thirlwell wollen der Frage nachgehen, ob kollektives Arbeiten<br />

in der Literatur überhaupt möglich ist. Die prominenten Profs<br />

sind offen für alles: ein Magazin, einen Pop-Up-Store oder eine<br />

Radionsendung können produziert werden. Jeder kreative Kopf<br />

ist willkommen! geisteswissenschaften.fu-berlin.de<br />

Jun<br />

im singenden klang<br />

des gayageum<br />

Gayageum-Ensemble Sagye. Vier junge<br />

koreanische Musikerinnen auf traditionellen<br />

Instrumenten. 28. Juni, 20<br />

Uhr, Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek<br />

Berlin, Haus Potsdamer Str. 35,<br />

Eintritt 10/12/15 €<br />

Jul<br />

kiez – gesChiChte(n)<br />

Ausstellung: stud.berlin: 200 Jahre Studieren in<br />

Berlin. Organisiert von Studenten und Absolventen<br />

der FU, HU und TU Berlin. Bis 31.7. Außerdem:<br />

Stadtführungen ab Juni durch die Berliner Lieblingskieze.<br />

Unigebäude der HU am Hegelplatz, Dorotheenstraße 24,<br />

Mo-Fr 8-22 Uhr, Sa 10-18 Uhr.<br />

Wie sich Studieren seit 1750 verändert hat und wie Studierende<br />

Universitäten und Wissenschaft beeinflusst haben, das zeigt die<br />

aktuelle Ausstellung stud.berlin. Besonders spannend sind die<br />

verschiedenen Stadtrundgänge, unter anderem die »Hain- und<br />

Bergführungen« durch die studentischen Lieblingsstadtteile<br />

Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Oder auch die<br />

Dahlem-Tour, die mit Geschichten und Fakten zu Orten und<br />

Gebäuden auf unserem Campus aufwartet. Einige werden auch<br />

von Zeitzeugen oder Experten begleitet. Die Touren können<br />

mithilfe des jeweiligen Faltblatts (gibt’s bei der Ausstellung) auch<br />

selbst unternommen werden. studberlin.de<br />

Jul<br />

absChlusskonzerte des<br />

Collegium musiCum<br />

Freitag, 01.07.2011 und Samstag, 02.07.2011, jeweils<br />

um 20 Uhr. Philharmonie Berlin Großer Saal.<br />

Karten 12,- / erm. 9,- Euro<br />

Es ist soweit: Nach über 20 Jahren reicht der derzeitige Leiter<br />

des Collegium Musicum Manfred Fabricius den Dirigierstab<br />

weiter. Um diesen Abschied in besonderem Maße zu würdigen,<br />

finden sich Ende dieses Semesters alle vier klassischen Ensembles<br />

des CM zu zwei großen Abschlusskonzerten im Großen<br />

Saal der Philharmonie Berlin zusammen. Neben ausgewählten<br />

Beiträgen der einzelnen Ensembles wird es am Ende ein<br />

großes Finale unter Beteiligung aller Musizierenden geben.<br />

Ein besonderes Konzert-Event zu einem besonderen Anlass.<br />

collegium-musicum-berlin.de<br />

Nicht nur das koreanische Essen in der Mensa dürfen wir uns zu Gemüte führen.<br />

Auch die traditionelle Musik Koreas kommt nach Berlin. Nach dem Abschluss<br />

ihres Studiums an der National Universität in Seoul haben sich JungMin Song,<br />

SunYoung Hwang, DoHui Yaun und JiEun Lee zum Sagye-Ensemble zusammengeschlossen.<br />

Seit 1999 reisen sie um die Welt; sie sind unter anderem schon in<br />

Vancouver, San Francisco und Spanien aufgetreten. Die vier Musikerinnen spielen<br />

das Gayageum, eine Wölbbrettzitter, die durch ihre seltsam gebogene Form beeindruckt.<br />

Eine Gelegenheit für all jene, die einen Einblick in die klassische koreanische<br />

Musik bekommen möchten.<br />

Furios 06/2011


Rein ins Erlebnis!<br />

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Mit Ihrem<br />

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Brandenburg-Berlin-Ticket<br />

in die Freizeit – für nur 28 Euro.<br />

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Hans Otto Theater, Potsdam; Foto: Prof. Dieter Leistner<br />

Mit uns zu den schönsten Ausflugszielen<br />

in Berlin und Brandenburg.<br />

Bis zu 5 Personen oder Eltern/Großeltern (max. 2 Erwachsene)<br />

mit beliebig vielen eigenen Kindern/Enkeln unter 15 Jahren<br />

Weitere Informationen, Tickets und Ausflugstipps unter<br />

www.bahn.de/brandenburg<br />

Die Bahn macht mobil.<br />

Bis zu 5 Personen. 1 Tag. 28 Euro.<br />

Tickets und Tipps: www.bahn.de/brandenburg<br />

Ticket gilt im Verkehrsverbund<br />

Berlin-Brandenburg auch in:<br />

Foto: Manfred Reschke Saarow Therme

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