09.12.2012 Aufrufe

PDF-Download - FURIOS Online

PDF-Download - FURIOS Online

PDF-Download - FURIOS Online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

12<br />

titeLthema: heimat<br />

Berlin – sO nah, sO Fern<br />

Sie kommen um zu bleiben. Jedes Jahr wird Berlin für zigtausende junge Menschen zur<br />

neuen Heimat. hendriK pAuli kam vor anderthalb Jahren – und fremdelt immer noch.<br />

I<br />

ch bin kein gutes Vorbild. Für einen Berlinbewohner<br />

unter dreißig gehört es sich,<br />

von dieser Stadt uneingeschränkt begeistert<br />

zu sein. Vor allem als Zugezogener,<br />

für den Großstadtluft überall sonst kaum<br />

erschwinglich ist. Berlin ist keine Stadt,<br />

Berlin ist eine Marke, die mittlerweile als<br />

Lebensgefühl Karriere gemacht hat: arm,<br />

aber sexy. Ich bin nicht uneingeschränkt<br />

begeistert. Seit fast anderthalb Jahren versuche<br />

ich, mir die Stadt zu eigen zu machen,<br />

versuche ich heimisch zu werden. Der gute<br />

Vorsatz ist da, aber gelingen will es mir<br />

nicht so richtig. Begeisterte Neu-Berliner<br />

würden meine Integration wahrscheinlich<br />

für gescheitert erklären.<br />

Eigentlich habe ich mein ganzes Leben<br />

in der Provinz verbracht. Zuerst in der<br />

westfälischen, dann einige Jahre in der fränkischen,<br />

zwischendurch auch mal ein paar<br />

Monate in Düsseldorf und Mainz, was im<br />

Grunde auch Provinz ist. Nun also Berlin,<br />

das nicht wenige für die derzeit aufregendste<br />

Metropole der Welt halten. Großstadtabenteuer<br />

in einer Stadt mit 24-Stunden-BVG<br />

und flächendeckender Billig-Gastronomie.<br />

Wie viele andere hatte auch ich meinen<br />

persönlichen Berlin-Moment. Der<br />

Moment, in dem mir klar wurde: Da will<br />

ich hin – ohne zu bedenken, dass ich dort<br />

auch leben muss. Einfach so dahinleben,<br />

das geht in Berlin nicht. Jedenfalls nicht für<br />

Illustration von rAchel edelstein.<br />

einen Binnenmigranten wie ich es bin, der<br />

nicht nur zum Studieren hier ist, sondern<br />

auch auf seinem persönlichen Kreuzzug ins<br />

Glück. Die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten.<br />

»Give me your tired, your poor,<br />

your huddled masses«, das ist das Liebesversprechen<br />

am Fuß der New Yorker Freiheitsstatue<br />

für alle mit einer Idee von einem<br />

anderen, besseren Leben.<br />

Berlin will Neuankömmlingen auch<br />

etwas besonderes bieten, aber nicht unbedingt<br />

eine Aufstiegsgeschichte. Die Stadt<br />

ist arm und will sexy sein. Das klingt halb<br />

nach Versprechen, halb nach Warnung. Ein<br />

Flirt mit allen Vergnügungssüchtigen, mehr<br />

aus Verlegenheit, denn aus Überzeugung.<br />

Ich habe meine Flegeljahre längst hinter<br />

mir. Ich will nicht mehr flirten, sondern<br />

eine ernsthafte Beziehung, ein Glück, das<br />

länger hält, als die nächste Trendblase.<br />

Wer sein Glück machen und wer der<br />

Stadt etwas abtrotzen will, der muss sie<br />

mögen. Er muss sie verteidigen gegen ungerechtes<br />

Urteil und wenn er es wirklich<br />

ernst meint, muss er ihr irgendwann auch<br />

seine Liebe erklären. Doch Liebe wird nur<br />

gegenseitig oder sie wird gar nicht.<br />

Mit 3,4 Millionen Menschen teile ich<br />

diese Stadt, mit hundertzwanzigmal mehr<br />

als der Kleinstadt, aus der ich komme. Besonders<br />

viel Liebe kann ich wohl nicht erwarten.<br />

Wenn überhaupt.<br />

Mehr als 700 Jahre organische Stadtgeschichte.<br />

Geschichte quasi über Nacht getilgt;<br />

danach dreimal die Stunde Null: 1945<br />

Teilung, 1961 Mauerbau und 1989 Mauerfall.<br />

Berlin, die verspätete Hauptstadt, die<br />

ich vor 16 Jahren zum ersten Mal für ein<br />

paar Tage besuchte, ist also gerade erst der<br />

Pubertät entwachsen. Wer ist da schon zu<br />

wahrer Liebe fähig.<br />

»Die Stadt gibt dir nichts«, sagt der<br />

Schriftsteller Maxim Biller, »sie nimmt<br />

nur.« Vor zwei Jahren hat der Filmmacher<br />

Igor Paasch den Autor und andere Lokalprominente<br />

für seine Dokumentation<br />

»Willkommen in Berlin« zu ihrem Berlin-<br />

Gefühl befragt. Das reicht von seliger Verzückung<br />

bis blanker Verachtung. Berauscht<br />

sein, angewidert sein, verliebt sein – jede<br />

Empfindung ist oft nur eine Straßenecke<br />

entfernt.<br />

• •<br />

Man muss Ringen mit der Stadt, weil<br />

sie mit sich selbst ringt. »Frag die Leute aus<br />

New York, wo sie glauben, dass gerade alles<br />

passiert«, sagt Biller. Ich will gar nicht in<br />

New York nachfragen, sondern in Passau,<br />

Bonn und Braunschweig. Und ich will dabei<br />

in glänzende Augen sehen. Weil Berlin<br />

ihnen gefällt und nicht nur, weil sie leicht<br />

zu beeindrucken sind.<br />

Paris ist die Diva, Moskau die Hure und<br />

New York die Stadt, die niemals schläft.<br />

Was ist Berlin? Die Metropole mit den<br />

meisten innerstädtischen Grünflächen? Das<br />

Furios 06/2011

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!