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Initiative FU-Mittelbau, in der sich auch Eva Lahnsteiner engagiert.<br />
»Wir fordern, dass die Arbeitsverträge realistischer gestaltet<br />
werden.« Die Initiative gründete sich 2009 als uniweiter Zusammenschluss<br />
des Mittelbaus. Problembewusstsein wollen sie schaffen<br />
und ein Netzwerk zur Artikulation ihrer Interessen organisieren.<br />
»Die Leute denken, sie stehen alleine da. Wir haben einen Blog eingerichtet<br />
um zu zeigen: Vielen geht es wie euch!« Die erste Aktion<br />
war ein Rundbrief, der die Situation des Mittelbaus thematisierte<br />
und mit 280 Unterschriften auf große Resonanz stieß. Daraufhin<br />
erklärte sich das Präsidium zu Gesprächen bereit. Das erste Treffen<br />
mit Präsident und Kanzler fand im Januar statt. »Mich hat wirklich<br />
überrascht, wie wenig Bewusstsein für die grundsätzlichen Strukturprobleme<br />
beim Präsidium existiert«, resümiert Mauersberger.<br />
Von Strukturproblemen mag FU-Präsident Peter-André Alt<br />
wirklich nicht sprechen. Er meint, die Universität biete hochattraktive<br />
Arbeitsbedingungen. »Wir bringen junge Menschen in eine Situation,<br />
in der sie sich unabhängig und selbstbestimmt ihre eigenen<br />
Ziele und Projekte setzen.« Natürlich verstehe er die Ängste des<br />
Nachwuchses, er war ja selbst einmal jung. Die Akademie brauche<br />
innerhalb ihrer »Qualifikationsdynamik« einen Mittelbau mit befristeten<br />
Stellen. Jeder müsse sich darüber im Klaren sein, welches<br />
Risiko er mit einer wissenschaftlichen Karriere eingehe, sagt Alt.<br />
Doch so sehr das Präsidium dies auch beschwört, manche Probleme<br />
sind mit ein bisschen Eigenverantwortung nicht zu lösen.<br />
Deutsche Universitäten produzieren seit langem einen Überschuss<br />
an Nachwuchswissenschaftlern, die auf lange Sicht keinen Platz im<br />
System haben. Doch die Entscheidung darüber, wer es letztendlich<br />
schafft, fällt spät. Nur die Berufung auf eine Professur bringt Sicherheit<br />
und ist im Durchschnitt erst mit 42 Jahren zu erwarten.<br />
Zwischen Studium und Berufung liegen Zeiten extremer Unsicherheit<br />
und häufiger Job- und Ortswechsel, die sich noch dazu mit der<br />
Phase der Familienplanung überschneiden.<br />
Was also zieht junge Menschen dennoch an die Uni? Für Eva<br />
war es der Traum von einer besseren Zukunft, sie spezialisierte sich<br />
auf Menschenrechte. »Wir sind Idealisten«, meint sie. Das wissenschaftliche<br />
Arbeiten, Schreiben und Lehren sei ein Traumjob. »Und<br />
die Professur ist immer noch eine attraktive Position«, ergänzt<br />
Christof Mauersberger.<br />
Doch die Zahl der Professuren ist eng begrenzt. Lange nicht jeder<br />
Nachwuchswissenschaftler kann darauf hoffen, berufen zu werden.<br />
Trotzdem bleibt die Professur die einzige Position im akademischen<br />
System, die die Möglichkeit bietet, unbefristet als Wissenschaftler<br />
tätig zu sein. Wer nicht berufen wird ist mit Mitte vierzig viel zu<br />
qualifiziert und spezialisiert für die freie Wirtschaft. Ein großer Teil<br />
Furios 06/2011<br />
poLitiK<br />
derjenigen, die hier aus dem System fallen, bleibt dennoch an der<br />
Uni und arbeitet als Privatdozent oder Lehrbeauftragter. Wenn sie<br />
überhaupt bezahlt werden, liegt das Honorar zwischen 800 und<br />
1000 Euro brutto pro Seminar.<br />
Von der Möglichkeit, Lehraufträge zu vergeben, wird inflationär<br />
Gebrauch gemacht. Sie leisten zwischen 10 und 50 Prozent der<br />
Lehre. In einer Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
Berlin geben 50 Prozent an, ihre Lehrtätigkeit hauptberuflich<br />
auszuüben. Zwei Drittel von ihnen haben ein monatliches<br />
Nettoeinkommen von unter 1000 Euro. Für die unter chronischer<br />
Finanznot leidende Universität lohnt sich das Konzept. Zum einen<br />
sind Lehraufträge mit geringen Lohnkosten verbunden, zum anderen<br />
stehen die Lehrenden in keinem Anstellungsverhältnis mit der<br />
Uni, weshalb diese keine Sozialversicherungsbeiträge leisten muss.<br />
So wirken sich die Unsicherheiten bis ins Rentenalter aus.<br />
Hier sieht auch Präsident Peter-André Alt Handlungsbedarf.<br />
Er spricht sich gegen unbezahlte Lehraufträge aus. Eine höhere<br />
Entlohnung sei allerdings nicht drin. Für vielversprechende Nachwuchswissenschaftler<br />
plant er das sogenannte Karrierewege-Modell<br />
mit flexiblen Fonds für die Übergangsperioden. Für die weniger<br />
Aussichtsreichen setzt er auf einen qualifizierten Ausstieg. »Wir stehen<br />
in der Pflicht, dem Nachwuchs auch eine Ausstiegsperspektive<br />
zu geben«, sagt Alt. Dazu gehöre die Vermittlung von Kompetenzen,<br />
die auch in anderen Berufen wichtig sind.<br />
Mehr Dauerstellen als Alternative zur Professur, wie sie der Mittelbau<br />
fordert, wird es nach dem Willen des Präsidiums nicht geben.<br />
Die Logik dahinter: Das System werde so nur verstopft und<br />
weniger Nachwuchswissenschaftler bekämen die Chance zum Einstieg.<br />
Eva Lahnsteiner, die Idealistin, hat das Vertrauen in diese Dynamik<br />
verloren. Doch zumindest ist sie keine perspektivlose<br />
Aussteigerin. Als Juristin hat sie viele Möglichkeiten. Unbezahlte<br />
Überstunden kann sie überall leisten, woanders allerdings mit der<br />
Aussicht auf eine sichere Zukunft. So verabschiedet sie sich vom<br />
Traumjob an der Uni. Denn dort herrscht eine Moral, die Brecht<br />
mit den Worten beschrieb: Die Mittel kärglich und die Menschen<br />
roh. Wer möchte nicht in Fried und Eintracht lehren – doch die<br />
Verhältnisse, sie sind nicht so! ■<br />
Katharina Hilgenberg studiert Sozial- und<br />
Kulturanthropologie und freut sich auf ihre eigene<br />
prekäre Zukunft. Sie wird mit 7 Katzen im brasilianischen<br />
Amazonasbecken leben.<br />
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