6 <strong>afk</strong> Update 3/20<strong>09</strong>Psychische Ges<strong>und</strong>heit von Asylsuchenden in der Schweiz:erste Bef<strong>und</strong>e unserer StudieNicht-klinische Asylsuchendein der Schweizweisen eine sehr hohepsychiatrische Morbiditätauf. Früherkennung<strong>und</strong> adäquate Behandlungwürde Leid mindern<strong>und</strong> helfen, Folgekosteneinzusparen.Asylsuchende, die an unser Ambulatorium überwiesenwerden, sind vielschichtigen psychischen Belastungenausgesetzt. Zu prämigratorischen traumatischenErfahrungen kommen postmigratorische Faktorenhinzu, die ihre Lebensbedingungen auch in derSchweiz erschweren. Unbekannt ist bislang, wie vieleAsylsuchende in der Schweiz – unabhängig von einerÜberweisung an uns – tatsächlich psychisch kranksind. Studien aus anderen Aufnahmeländern zeigenfür Asylsuchende hohe Raten an psychischen Störungen,insbesondere posttraumatischer Belastungsstörung(PTSD). Trotz der hohen globalen Relevanz desThemas gibt es im deutschsprachigen Raum kaumentsprechende Untersuchungen.Untersuchung von 90 Asylsuchenden mittelsklinischer InterviewsZwischen August 2008 <strong>und</strong> April 20<strong>09</strong> führte das <strong>afk</strong>mit 90 nicht-klinischen Asylsuchenden dolmetschergestützteklinische Interviews durch. Es handelte sichhierbei um eine zufällig generierte Stichprobe von erwachsenenAsylsuchenden im Kanton Zürich, die seitmaximal zwei Jahren in der Schweiz leben. Teilnehmendewurden unabhängig vom Herkunftsland anhand deszentralen Registers des B<strong>und</strong>esamtes für Migration(BfM) rekrutiert. Diagnosen stellten wir aufgr<strong>und</strong> vonDSM-IV Kriterien (Mini International NeuropsychiatricInterview MINI; Sheehan et al., 1997). Zusätzlich wurdendie Asylsuchenden nach prämigratorischen traumatischenErfahrungen <strong>und</strong> ihrer aktuellen Situation inder Schweiz befragt. Im Durchschnitt hatten die befragtenAsylsuchenden sechs verschiedene Traumatisierungenerlebt. Am häufigsten wurde Gewalt durchFremde <strong>und</strong> der gewaltsame Tod eines Familienmitgliedesangegeben. Foltererlebnisse waren ebenfalls unerwartethäufig, ein Viertel der Befragten gab Foltererfahrungenan.Sehr hohe psychiatrische Morbidität innicht-klinischer StichprobeWir fanden ein erschreckend hohes Ausmass an psychiatrischerMorbidität in unserer Stichprobe: 4 von10 Asylsuchenden erfüllen die Kriterien für mindestenseine psychische Störung. Nebenstehende Graphikzeigt die Anzahl Diagnosen. Am häufigsten diagnostiziertwurde Depression, fast ein Drittel der Stichprobeist davon betroffen. 22 % leiden an PTSD, <strong>und</strong>10 % an einer Schmerzstörung. Asylsuchende, die bereitsseit ein bis zwei Jahren in der Schweiz lebten,zeigten nicht weniger psychische Störungen als solche, die erst vor ein paar Monaten eingereist waren.Im Gegenteil, die Rate von PTSD war höher bei solchen,deren Einreise länger zurückliegt. Das Ausmassan anderen psychischen Störungen ist in beiden Gruppengleich gross. Die Frage drängt sich auf, welcheFaktoren mit der Ausbildung von psychischen Störungenzusammenhängen. In unserer Stichprobe zeigtesich: die Situation in der Schweiz – hierunter fällt dieAufenthaltsdauer, die Arbeitssituation, Deutschkenntnisse<strong>und</strong> soziale Kontakte – zeigte keine Assoziationenmit psychiatrischer Morbidität. Als einziger Faktorerwies sich die Anzahl erlebter Traumata vor derFlucht als ursächlich in der Ausbildung von psychischenStörungen.Früherkennung <strong>und</strong> Behandlung wäre wichtigWelche Schlüsse können aus diesen Resultaten gezogenwerden? Es handelt sich hier um eine kleine Studie,die allerdings aufgr<strong>und</strong> der klinischen Einschätzungdurch psychologisch geschulte Assessoren <strong>und</strong>aufgr<strong>und</strong> der Zufallsrekrutierung dennoch eine gewisseAussagekraft besitzt. Die Ergebnisse deutendarauf hin, dass es sich bei Asylsuchenden in derSchweiz um eine hochvulnerable Population handelt,von der ein grosser Teil unter starken psychischen Beschwerdenleidet. Da die Asylverfahren meist längerals 2 Jahre dauern, ist vertiefte <strong>und</strong> grösser angelegteForschung zur Entwicklung der psychischen Ges<strong>und</strong>heitim Verlauf des gesamten Asylverfahrens <strong>und</strong> derdaran anschliessenden Integrationsphase dringendnotwendig. Damit auf politischer, sozialer <strong>und</strong> medizinischerEbene Präventionsstrategien entwickelt werdenkönnen, müssen Faktoren identifiziert werden,die die Ges<strong>und</strong>heit dieser Bevölkerungsgruppe beeinflussen.Martina SchmidtPsychiatrische Morbidität bei Asylsuchenden(N=90)16 %18 %8 %58 %keine Diagnose1 Diagnose2 Diagnosen›2 Diagnosen
7 <strong>afk</strong> Update 3/20<strong>09</strong>Warteliste im <strong>afk</strong> aus Sicht des Sekretariats:Die «never ending Story»Fast täglich müssenwir Zuweisende aufdie langen Wartezeitenim <strong>afk</strong> hinweisen <strong>und</strong>raten, die Patienten wennmöglich andernorts inBehandlung zu schicken.Unsere lange Warteliste ist Ihnen ja allen bekannt (vgl.S. 2). Manchmal bekomme ich täglich Anrufe von Ärztenoder Institutionen, es wird ein rascher Termin im Ambulatoriumfür Folter- <strong>und</strong> Kriegsopfer gewünscht <strong>und</strong> jedesMal muss ich leider schweren Herzens auf unsereWarteliste verweisen. Wir können eigentlich im Momentkeine Patienten mehr aufnehmen, die Wartezeit beträgtca. 9 Monate.Um in unserer Institution auf die Warteliste zu kommen,benötigen wir eine schriftliche Anmeldung mit denDaten des Patienten, die Dolmetscherbedürftigkeit (jaoder nein, welche Sprache), den Aufenthaltstatus <strong>und</strong>falls nötig die Gatekeeperüberweisung. Leider ist esmanchmal so, dass ich nach der langen Wartezeit diePatienten an dem angegebenen Wohnort nicht findenkann (umgezogen) oder dass Patienten dann unabgemeldetnicht zum Erstgespräch erscheinen. So verpufftdie reservierte Zeit für den Arzt <strong>und</strong> den Dolmetscher,der natürlich trotzdem bezahlt werden muss. Das istgerade auch angesichts unserer begrenzten Ressourcensehr bedauerlich.Ich bitte alle weiterhin um Geduld <strong>und</strong> darum, sich zuüberlegen, ob eventuell andernorts eine Lösung für denPatienten/die Patientin gef<strong>und</strong>en werden kann. Gernestehe ich für telefonische Auskünfte zur Verfügung.Margret Jansen, Sekretärin <strong>afk</strong>Support for Torture Victims:Verb<strong>und</strong> der Schweizer BehandlungszentrenUnter dem Namen«Support for TortureVictims» haben sichvier spezialisierteBehandlungszentrenin der Schweiz zueinem Verb<strong>und</strong> zusammengeschlossen.In der Schweiz existieren neben dem <strong>afk</strong> Zürich nochweitere Institutionen, die sich auf die Behandlung vonFolter- <strong>und</strong> Kriegsopfern spezialisiert haben: Das <strong>afk</strong>Bern ist das älteste spezialisierte Zentrum <strong>und</strong> spieltein der Schweiz eine Pionierrolle bei der Therapie vonFolter- <strong>und</strong> Kriegsopfern. Als SRK-Behandlungszentrum1995 gegründet, ist es heute das grösste <strong>und</strong> traditionsreichsteAmbulatorium der Schweiz. Das SRKwar auch die treibende Kraft hinter der Gründung des<strong>afk</strong> Zürich <strong>und</strong> unterstützt unsere Institution nach wievor. In Genf <strong>und</strong> in Lausanne gibt es weitere vom SRKunterstützte spezialisierte Behandlungseinrichtungen(ctg Lausanne, ctg Genève), die sich mit den <strong>afk</strong>’sin Bern <strong>und</strong> Zürich zum nationalen Verb<strong>und</strong> «Supportfor Torture Victims» zusammengeschlossen haben.Dieser Verb<strong>und</strong> betreibt unter anderem eine Homepage(www.torturevictims.ch), auf der Informationen<strong>und</strong> Links zu Themen im Zusammenhang mit der Rehabilitationvon Folter- <strong>und</strong> Kriegsopfern zu finden sind.Als weitere Aktivität organisiert der Verb<strong>und</strong> am kommenden10. Dezember 20<strong>09</strong> (Tag der Menschenrechte)in Bern eine Fachtagung mit dem Titel «Das vergesseneTrauma – Umgang mit traumatisierten Kindern,Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen in Migrationsfamilien».Nähere Angaben <strong>und</strong> Anmeldemöglichten findenSie auf der erwähnten Internet-Site.