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die gegenseitige Durchlässigkeit zwischen<br />
Wirtschaft und Verwaltung in der Schweiz<br />
beträchtlich höher.<br />
Überwiegen die Gemeinsamkeiten oder<br />
die Unterschiede?<br />
Das hängt wahrscheinlich vom Standpunkt<br />
ab. In Deutschland ist das Beamtenstatut<br />
im Grundgesetz verankert. Die Einstellung<br />
auf Lebenszeit ist nach wie vor<br />
die Regel. In der Schweiz hat man demgegenüber<br />
den Beamtenstatus abgeschafft.<br />
Im Gegensatz zu Deutschland, aber auch<br />
zu Österreich, ist die Schweizer Verwaltung<br />
in ihrem Handeln pragmatischer.<br />
Der NPM (New Public Management)-<br />
Prozess hat in den vergangenen Jahren<br />
allerdings Bewegung in die Verwaltungslandschaft<br />
gebracht. Und diese Bewegung<br />
dürfte auch in absehbarer Zukunft das Geschehen<br />
prägen.<br />
Was ist der größte Verdienst der Verwaltungswissenschaften<br />
in der Schweiz?<br />
Das Verdienst der Gesellschaft ist es wohl,<br />
dass besser kommuniziert wird und dass<br />
mittlere und höhere Kader und weitere Betroffene<br />
– wie z.B. die Politik – möglichst<br />
frühzeitig mit aktuellen und – im Sinne<br />
der Vordenkerrolle - absehbaren Problemen<br />
konfrontiert werden.<br />
Man muss sich allerdings im Klaren sein,<br />
dass die Universitäten, die Fachhochschulen<br />
und die Beratungsfirmen ebenfalls<br />
sehr wichtige Beiträge leisten.<br />
Verwaltungswissenschaft ist durch Terminologie<br />
geprägt. In Deutschland ist<br />
der Begriff Neues Steuerungsmodell<br />
(NSM) vorherrschend, in der Schweiz<br />
die wirkungsorientierte Verwaltungsführung<br />
(woV). Brauchen wir mehr<br />
Einheitlichkeit in Europa?<br />
Verwaltungskultur und Politikkultur hängen<br />
eng zusammen. Bei der Einführung<br />
des NPM wurde vereinzelt die Befürchtung<br />
einer uniformen Verwaltungskultur<br />
geäußert. Diese Entwicklung hat eindeutig<br />
nicht stattgefunden. Wir haben in Europa<br />
mindestens sechs Verwaltungskulturkreise.<br />
Und innerhalb derselben gibt<br />
es markante nationale Besonderheiten.<br />
Das ist gut so und das soll auch so bleiben.<br />
Wir müssen nur sicherstellen, dass<br />
wir gegenseitig voneinander lernen können.<br />
Aktuelle Trends in der Verwaltungswissenschaft<br />
Verwaltungswissenschaft ist durch<br />
Modeerscheinungen geprägt. New Public<br />
Management (NPM) ist jedoch bereits<br />
wieder auf dem Rückzug. Woran<br />
liegt das?<br />
NPM war mehr als eine Modeerscheinung.<br />
Auch wenn sich heute die Euphorie<br />
in Grenzen hält, war und ist es ein<br />
wichtiger Schritt im Entwicklungsprozess<br />
des öffentlichen Sektors, welcher übrigens<br />
nicht binnengesteuert abläuft, sondern<br />
wiederum in Abhängigkeit von übergeordneten<br />
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Prozessen. Richtig ist allerdings,<br />
dass dieser Entwicklungsprozess von<br />
Schlagwörtern geprägt wird und nicht<br />
hinter jedem neuen Begriff auch neue<br />
Substanz zu finden ist. Die Wirtschaft<br />
sieht sich mit dem gleichen Problem konfrontiert.<br />
Reformen sind ein Markt und<br />
in diesem Markt versuchen verschiedene<br />
Anbieter sich günstig zu positionieren.<br />
„Neue Produkte“ bzw. neuer Wein in alten<br />
Schläuchen haben hier durchaus ihre<br />
Bedeutung. Es ist Aufgabe der jeweils<br />
Betroffenen zu wissen, was sie wollen und<br />
wie sie es zu realisieren gedenken.<br />
Ist New Public Management letztendlich<br />
an dem Anspruch gescheitert, die<br />
Privatwirtschaft 1:1 auf die Verwaltung<br />
zu übertragen?<br />
Dieser Anspruch wäre töricht, denn die<br />
beiden Makrosysteme funktionieren nach<br />
sehr unterschiedlichen Bedingungen und<br />
Regeln. Im öffentlichen Bereich fehlt die<br />
Referenzgröße des Marktes. In der privaten<br />
Wirtschaft finden wir demgegenüber<br />
nicht so ausgeprägt das Spannungsfeld<br />
zwischen politischer, rechtlicher und ökonomisch-administrativer<br />
Rationalität.<br />
NPM hat insofern die gesetzten Ziele nicht<br />
erreicht, als die geforderte Arbeitsteilung<br />
zwischen Politik – für die Ziele/ das Strategische<br />
zuständig - und Verwaltung –<br />
für die Umsetzung/ das Operative zuständig<br />
– nicht umgesetzt werden konnte. Die<br />
Politik lässt sich nicht über die Ökonomie<br />
disziplinieren. Die Differenzierung<br />
Neues<br />
nach ‚strategisch’ und ‚operativ’ ist eine<br />
betriebswirtschaftliche, keine politische<br />
Sichtweise. Die Politik unterscheidet nach<br />
‚wichtig’ – Bereich der Politik - und ‚unwichtig’<br />
– Bereich der Verwaltung - und<br />
behält sich vor, selber zu entscheiden, was<br />
wichtig ist.<br />
Gibt es denn auch Dinge, welche die<br />
Privatwirtschaft vom öffentlichen<br />
Dienst lernen könnte?<br />
Wahrscheinlich schon: Die Globalisierung<br />
weckt beim Bürger Ängste. Hinreichende<br />
soziale Sicherheit für den Arbeitnehmer<br />
ist ein wichtiges Anliegen. Hier kann und<br />
soll der öffentliche Sektor eine vorbildliche<br />
Rolle spielen, desgleichen bei der Sicherstellung<br />
von Transparenz und der<br />
Einhaltung von ethischen Grundsätzen.<br />
Wichtig ist, dass sich beide Seiten ihrer<br />
unterschiedlichen Rollen und Rahmenbedingungen<br />
bewusst sind und im Sinne von<br />
Gover-nance eine gegenseitige Lernfähigkeit<br />
und –bereitschaft besteht. Staat<br />
und Wirtschaft brauchen sich gegenseitig.<br />
Was sind derzeit die aktuellen Entwicklungen<br />
in der Verwaltungswissenschaft?<br />
Ist ‚Governance’ wirklich der neue<br />
Trend oder gibt es schon Nachfolger?<br />
Aktuell steht sicher der Übergang vom<br />
Dienstleistungsstaat zum Gewährleisungsstaat<br />
im Vordergrund. Der Staat muss<br />
seine Rolle überdenken und den neuen<br />
Verhältnissen anpassen. Dieser Prozess<br />
betrifft auch die Politik. Neue Formen der<br />
Arbeitsteilung und der Zusammenarbeit<br />
werden an Bedeutung gewinnen. Und damit<br />
verbunden sind wiederum neue Anforderungen<br />
an die Beschäftigten. Der<br />
Begriff fasst diese Entwicklung zusammen.<br />
Sie wäre ohne das vorangehende<br />
NPM nicht möglich gewesen und sie wird<br />
mit Sicherheit nicht den Abschluss der<br />
Entwicklung bilden. Wir stehen hier erst<br />
am Anfang einer sehr großen Herausforderung.<br />
Spekulationen über das Danach<br />
sind deshalb zum heutigen Zeitpunkt<br />
müßig.<br />
Herzlichen Dank für das Gespräch!<br />
Das Interview führte Tilman Holke<br />
<strong>KonText</strong> 20 I April 2007 19