Interdisziplinarität: Forschen in den Zwischenräumen
Interdisziplinarität: Forschen in den Zwischenräumen
Interdisziplinarität: Forschen in den Zwischenräumen
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4 2012<br />
<strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong>:<br />
Segen oder trübe Mischung?<br />
IAESTE: Praktisch <strong>in</strong> die weite Welt<br />
Detektivarbeit im Bundeskrim<strong>in</strong>alamt<br />
E<strong>in</strong> Dozent und Dichter zwischen Halle und Bagdad<br />
www.magaz<strong>in</strong>.uni-halle.de<br />
D A S M A G A Z I N D E R M A R T I N� L U T H E R� U N I V E R S I T Ä T H A L L E� W I T T E N B E R G
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Wir stehen für Sie Kopf !
Liebe Leser<strong>in</strong>nen,<br />
liebe Leser,<br />
eben noch waren auf dem Uniplatz fast nur Tagungsgäste<br />
und Theaterbesucher anzutreffen. Die<br />
Mensen wirkten geradezu leer. Anfang Oktober<br />
kehren Urlauber und Ferienjobber, Praktikanten<br />
und Hausarbeitenschreiber, Feldforscher und Konferenzteilnehmer<br />
an die MLU zurück. Andere starten<br />
im W<strong>in</strong>tersemester 2012/13 zum ersten Mal<br />
<strong>in</strong>s Stu<strong>den</strong>tenleben. Allen Erstsemestern an dieser<br />
Stelle e<strong>in</strong> herzliches Willkommen!<br />
Zu Studienbeg<strong>in</strong>n gilt es, sich zurechtzuf<strong>in</strong><strong>den</strong> – an<br />
der Uni, im eigenen Stun<strong>den</strong>plan und <strong>in</strong> <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en<br />
Fächern. Gerade für diejenigen, die sehr<br />
unterschiedliche Diszipl<strong>in</strong>en mite<strong>in</strong>ander komb<strong>in</strong>ieren,<br />
wird das zur Herausforderung – und zur Bereicherung,<br />
wie die Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> Marie-Therese Werner<br />
(Titelbild) im Heft erzählt. Wer se<strong>in</strong>e Kenntnisse<br />
aus Biologie und Theologie komb<strong>in</strong>iert, um z. B. <strong>in</strong><br />
Fragen der Bioethik e<strong>in</strong>en eigenen fächerübergreifen<strong>den</strong><br />
Standpunkt zu entwickeln, der schafft neue<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Verb<strong>in</strong>dungen.<br />
<strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> der Wissenschaft<br />
heute unverzichtbar zu se<strong>in</strong>. Geradezu <strong>in</strong>flationär<br />
wird das Wort <strong>in</strong> Projektanträgen und Förderausschreibungen<br />
gebraucht. Egal ob Klimawandel, alternde<br />
Gesellschaft oder Ressourcenknappheit – die<br />
drängen<strong>den</strong> Fragen unserer Zeit können offenbar<br />
nur beantwortet wer<strong>den</strong>, <strong>in</strong>dem Forscher verschie<strong>den</strong>er<br />
Diszipl<strong>in</strong>en zusammenarbeiten. Aber ist<br />
<strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> überhaupt möglich? Bezweifelt<br />
IMPRESSUM<br />
scientia halensis<br />
Magaz<strong>in</strong> der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg (MLU)<br />
Ausgabe 4/12, 20. Jahrgang<br />
Auflage 6.500 Expl.<br />
ISSN 0945-9529<br />
ersche<strong>in</strong>t viermal im Jahr<br />
sowie im Internet:<br />
www.magaz<strong>in</strong>.uni-halle.de<br />
Herausgeber:<br />
Rektor der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
Redaktion:<br />
Cor<strong>in</strong>na Bertz (red. Koord<strong>in</strong>ierung),<br />
Carsten Heckmann (V.i.S.d.P.),<br />
Kathar<strong>in</strong>a Deparade, Christian Günther,<br />
Sarah Huke, Ute Olbertz, Maria<br />
Preußmann, Melanie Zimmermann<br />
Kontakt:<br />
Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
Stabsstelle des Rektors / Pressestelle<br />
Universitätsplatz 9, 06108 Halle (S.)<br />
Telefon: 0345 55 21004<br />
Fax: 0345 55 27066<br />
E-Mail: magaz<strong>in</strong>@uni-halle.de<br />
wurde und wird das bis heute: „Der Punkt, an dem<br />
zwei Diszipl<strong>in</strong>en –zwei Galaxien, könnte man sagen –<br />
zusammenstoßen, sollte kreative Gelegenheiten erzeugen.<br />
Aber sie existieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vakuum, <strong>den</strong>n<br />
die Angehörigen der zwei Kulturen können nicht<br />
mite<strong>in</strong>ander sprechen“, me<strong>in</strong>te der Schriftsteller<br />
und Physiker Charles P. Snow. Als e<strong>in</strong>er der ersten<br />
machte er sich 1959 öffentlich Gedanken über das<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Arbeiten.<br />
Welche Strukturen e<strong>in</strong> solches Arbeiten braucht<br />
und welche Risiken das Loblied auf die <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong><br />
mit sich br<strong>in</strong>gt, darüber sprechen zwei<br />
MLU-Forscher im vorliegen<strong>den</strong> Heft. Wie <strong>in</strong> Halle<br />
fächerübergreifend e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Sprache<br />
gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> kann, wird anhand des „WissenschaftsCampus<br />
Halle“ beschrieben. Weitere<br />
Themen der Ausgabe: e<strong>in</strong>e „Nature“-Publikation,<br />
Praktika im Ausland, „functional food“, Weiterbildung<br />
und die erste Professor<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Serie über<br />
musizierende Hochschullehrer.<br />
Außerdem gibt es Zuwachs zum Jahresende: Mitte<br />
November dürfen wir mit dem ersten Gründermagaz<strong>in</strong><br />
der MLU e<strong>in</strong> neues Mitglied <strong>in</strong> der Magaz<strong>in</strong>familie<br />
begrüßen.<br />
Viel Spaß beim Lesen und Entdecken wünscht<br />
Cor<strong>in</strong>na Bertz<br />
Redakteur<strong>in</strong><br />
Grafik-Design:<br />
Sisters of Design<br />
www.sistersofdesign.de<br />
Designkoord<strong>in</strong>ierung:<br />
Christian Günther<br />
Mediadaten:<br />
www.pr.uni-halle.de/mediadaten<br />
Anzeigen / Satz / Gesamtherstellung:<br />
Digital Druckservice Halle GmbH<br />
Telefon: 0345 47 88 601<br />
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scientia halensis 4/2012 editorial<br />
Druck:<br />
IMPRESS Druckerei Halbritter KG<br />
www.impressonl<strong>in</strong>e.de<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge<br />
geben die Me<strong>in</strong>ung der Autoren<br />
wieder. Bei unverlangt e<strong>in</strong>gesandten<br />
Texten/Fotos besteht ke<strong>in</strong>e Gewähr für<br />
e<strong>in</strong>en Abdruck.<br />
Die Redaktion behält sich Änderungen<br />
e<strong>in</strong>gesandter Texte vor. Der Nachdruck<br />
von Artikeln ist bei Angabe der Quelle<br />
gestattet. Die Redaktion bittet um e<strong>in</strong><br />
Belegexemplar.<br />
Cor<strong>in</strong>na Bertz<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
scientia halensis ersche<strong>in</strong>t mit freundlicher<br />
Unterstützung der Vere<strong>in</strong>igung<br />
der Freunde und Förderer der Mart<strong>in</strong>-<br />
Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
e. V. (VFF)<br />
Titelbild:<br />
Marie-Therese Werner studiert Biologie<br />
und Theologie auf Lehramt. Was<br />
sie an der Komb<strong>in</strong>ation reizt, verrät sie<br />
auf Seite 10. Das Bild entstand <strong>in</strong> der<br />
St. Georgs-Kapelle <strong>in</strong> <strong>den</strong> Franckeschen<br />
Stiftungen, wo u. a. auch die Sem<strong>in</strong>argottesdienste<br />
stattf<strong>in</strong><strong>den</strong>.<br />
(Foto: Thomas Me<strong>in</strong>icke)<br />
3
4 <strong>in</strong>haltsverzeichnis scientia halensis 4/2012<br />
Strukturdebatte im<br />
Onl<strong>in</strong>emagaz<strong>in</strong><br />
Über das Strukturkonzept der<br />
MLU wird uni-<strong>in</strong>tern bereits heftig<br />
debattiert. Am 10. Oktober will<br />
das Rektorat das Konzept im Akademischen<br />
Senat vorstellen. Unter<br />
www.magaz<strong>in</strong>.uni-halle.de begleitet<br />
scientia halensis die Diskussion.<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Praktisch <strong>in</strong> die weite Welt<br />
{20}<br />
Warum nicht mal fürs Praktikum<br />
nach Ghana? Dorit Bennmann<br />
(Foto: Michael Deutsch) wollte<br />
nach Afrika, Michael A<strong>in</strong>oo wollte<br />
nach Deutschland – die Stu<strong>den</strong>tenorganisation<br />
IAESTE verhalf<br />
bei<strong>den</strong> zu ihren Wunschpraktika.<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
<strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong>:<br />
<strong>Forschen</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Zwischenräumen</strong> {6}<br />
Andere Diszipl<strong>in</strong>en, andere Fachsprachen, andere Metho<strong>den</strong>.<br />
Wie kann <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Arbeit überhaupt funktionieren?<br />
Zum Beispiel zwischen Pflanzenforscher Prof. Dr. Klaus<br />
Pillen und Chemieprofessor Ludger Wessjohann: Sie forschen<br />
geme<strong>in</strong>sam für <strong>den</strong> „WissenschaftsCampus Halle - Pflanzenbasierte<br />
Bioökonomie“ ‒ wie, lesen Sie ab Seite 6.<br />
Über Vor- und Nachteile, über Gefahren und H<strong>in</strong>dernisse bei<br />
ihrer <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Arbeit sprechen auch zwei MLU-<br />
Forscher aus <strong>den</strong> Geistewsissenschaften (S. 10). Interdiszipl<strong>in</strong>ärität<br />
hat auch im Studium se<strong>in</strong>en Reiz, f<strong>in</strong>det Marie-<br />
Therese Werner. Denn wer Biologie und zugleich Theologie<br />
studiert, kann aus ihrer Sicht von <strong>den</strong> verme<strong>in</strong>tlichen Gegensätzen<br />
nur profitieren. (S. 9). (Foto: Maike Glöckner)
<strong>in</strong>halt<br />
titelthema<br />
6 Im Diskurs zwischen <strong>den</strong> Fächern:<br />
Der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
WissenschaftsCampus Halle<br />
9 Bio mit Bibel:<br />
Das Unerklärbare erklären<br />
10 Das i-Tüpfelchen und se<strong>in</strong>e<br />
Kehrseite<br />
Varia<br />
12 Die Personal-Entwicklungshelfer:<br />
Weiterbildungsangebote<br />
für Beschäftigte<br />
14 Sprachsalat / Bilderrätsel<br />
15 Univations Gründerservice geht<br />
an <strong>den</strong> Start / E<strong>in</strong> alter und e<strong>in</strong><br />
neuer Grundste<strong>in</strong><br />
17 Serviceangebote der Stabsstelle<br />
besser im Blick / MLU ist<br />
„familiengerecht“<br />
18 Kapriolen der Baugeschichte:<br />
E<strong>in</strong> Architekturkritiker am<br />
We<strong>in</strong>berg Campus<br />
studieren,<br />
lehren, leben<br />
20 „Die Welt wird kle<strong>in</strong>er mit IAESTE“:<br />
Studierende organisieren<br />
Praktika weltweit<br />
QR-Codes und Webcodes im Heft<br />
Some stories are also available <strong>in</strong> English:<br />
www.<strong>in</strong>ternational.uni-halle.de/magaz<strong>in</strong>e Please look for the flag!<br />
23 Promovieren<strong>den</strong><strong>in</strong>itiative:<br />
„Wir wollen Promovieren<strong>den</strong><br />
e<strong>in</strong>e Stimme geben“<br />
24 Musizierende Professoren:<br />
Das Date mit Duke<br />
26 Tanz um Freiheit:<br />
E<strong>in</strong> Bild und se<strong>in</strong>e Geschichte<br />
<strong>Forschen</strong> und<br />
publizieren<br />
28 Von Anti-Ag<strong>in</strong>g-Bier und<br />
Uromas Vollwertkost:<br />
Was ist dran an „functional food“?<br />
30 Detektivarbeit im Bundeskrim<strong>in</strong>alamt:<br />
Interview mit Patrick Wagner<br />
33 Fachliteraturfabrik<br />
34 Das tierische Geheimnis der<br />
Pflanzen:<br />
E<strong>in</strong>e „Nature“-Publikation aus Halle<br />
Personalia<br />
36 „Bagdad wiederzusehen war e<strong>in</strong><br />
Schock“<br />
Dr. Hamid Jassim im Porträt<br />
39 Neu berufen / Universitätsarchiv<br />
mit neuem Leiter<br />
40 20 Fragen an Dr. Hagen F<strong>in</strong>deis<br />
42 Dr. Usus Zeitgeist<br />
Unter www.magaz<strong>in</strong>.uni-halle.de ist das Unimagaz<strong>in</strong> im Internet zu f<strong>in</strong><strong>den</strong>. Mit Hilfe der QR- und Webcodes<br />
neben <strong>den</strong> Beiträgen gelangen Sie direkt zur entsprechen<strong>den</strong> Internetseite. QR-Codes funktionieren ähnlich<br />
wie Barcodes. Mit e<strong>in</strong>em Tastendruck bzw. e<strong>in</strong>er Fotoaufnahme des Mobiltelefons können Sie die verl<strong>in</strong>kte Webseite<br />
aufrufen. Für die E<strong>in</strong>gabe der Webcodes nutzen Sie e<strong>in</strong>fach die Internetseite www.uni-halle.de/webcode.<br />
scientia halensis 4/2012 <strong>in</strong>haltsverzeichnis<br />
Von Anti-Ag<strong>in</strong>g-Bier und<br />
Uromas Vollwertkost {28}<br />
Kann man sich schön, klug und<br />
sexy essen? Ökotrophologe Dr. Edmund<br />
Semler über <strong>den</strong> Wandel der<br />
Ernährungswissenschaften und <strong>den</strong><br />
S<strong>in</strong>n und Uns<strong>in</strong>n von „functional<br />
food“. (Foto: © Liddy Hansdottir / Fotolia)<br />
„Bagdad wiederzusehen war<br />
e<strong>in</strong> Schock“ {36}<br />
Als junger regimekritischer Journalist<br />
wurde Hamid Jassim im<br />
Irak verfolgt. Seit 1988 lehrt er am<br />
Orientalischen Institut. Nach dem<br />
dritten Golfkrieg ist der Dozent<br />
zum ersten Mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Heimatland<br />
zurückgekehrt.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
5
6 titelthema scientia halensis 4/2012<br />
titelthema<br />
Der Diskurs zwischen<br />
<strong>den</strong> Fächern<br />
Der „WissenschaftsCampus Halle – Pflanzenbasierte Bioökonomie“ wurde Anfang Juni offiziell eröffnet. Er<br />
vere<strong>in</strong>igt die Fächer Agrarwissenschaften und Agrarökonomie, Biologie und Biochemie sowie die Wirtschafts-<br />
und Sozialwissenschaften. Ohne <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> funktioniert das nicht. Wie f<strong>in</strong>det sie statt? Dieser Frage<br />
g<strong>in</strong>g scientia halensis nach und sah sich auf dem virtuellen Campus um.<br />
Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> Dr. Claudia<br />
Flügel (Mitte) mit zwei<br />
Doktora<strong>den</strong> des WissenschaftsCampus<br />
Halle: Denitsa<br />
Angelova und Sven Grüner<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Der WissenschaftsCampus Halle (WCH) ist e<strong>in</strong><br />
virtueller Campus, weil er ke<strong>in</strong>en geografischen<br />
Standort hat. Er setzt sich zusammen aus <strong>den</strong> vier<br />
regionalen Leibniz-Instituten, <strong>den</strong> Naturwissenschaftlichen<br />
Fakultäten I und III der Universität,<br />
dem Agrochemischen Institut Piesteritz e. V. und<br />
dem Interdiszipl<strong>in</strong>ären Zentrum für Nutzpflanzen-<br />
forschung. So liegt es nah, dass scientia halensis als<br />
ersten Anlaufpunkt die Geschäftsstelle <strong>in</strong> der Betty-<br />
Heimann-Straße 3 aufsucht. Der Weg führt über <strong>den</strong><br />
ehemaligen Appellplatz der früheren Heeres- und<br />
Luftnachrichtenschule vorbei an Gewächshäusern<br />
<strong>in</strong> die Gefilde der MLU-Agrarwissenschaftler. Im<br />
Erdgeschoss des Neubaus treffen wir fast am Ende
des langen Flurs Dr. Claudia Flügel, die wissenschaftliche<br />
Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> des WCH, <strong>in</strong> ihrem Büro. „Erstmals<br />
gibt es hier <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e Kooperation<br />
pflanzenwissenschaftlicher und biotechnologischer<br />
mit wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschungsbereichen“,<br />
sagt Claudia Flügel. „Dabei ist<br />
es ganz natürlich, dass Naturwissenschaftler e<strong>in</strong>e<br />
andere Sprache sprechen als Wirtschaftswissenschaftler.<br />
Aber genau daraus ergibt sich das große<br />
Potenzial und natürlich die besondere Herausforderung<br />
für <strong>den</strong> WCH.“ Um erfolgreich <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
arbeiten zu können, müssen Diszipl<strong>in</strong>grenzen gelockert<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
„E<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiver Austausch ist nur möglich, wenn<br />
die Bereitschaft und das grundlegende Interesse<br />
an dem anderen Fachbereich vorhan<strong>den</strong> s<strong>in</strong>d und<br />
man sich gegenseitig zuhört. Wichtig ist, dass die<br />
Wissenschaftler <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, ihre komplizierten<br />
Sachverhalte für e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressierten fachfrem<strong>den</strong><br />
Zuhörer verständlich auszudrücken. Es ist unverzichtbar,<br />
bei regelmäßigen Treffen e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />
Sprache zu f<strong>in</strong><strong>den</strong>“, weiß die Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong>,<br />
und ihr ist bewusst, dass der Erfolg davon abhängt.<br />
Claudia Flügel hat zusätzlich zu ihrem Studium und<br />
ihrer Promotion im Bereich der Pflanzenphysiologie<br />
kürzlich e<strong>in</strong> Fernstudium im Bereich Wissenschaftsmarket<strong>in</strong>g<br />
an der TU Berl<strong>in</strong> absolviert. So sieht sie<br />
es speziell als ihre Aufgabe an, moderierend und<br />
vermittelnd zwischen <strong>den</strong> Fächern tätig zu wer<strong>den</strong>.<br />
„Außerdem soll der WCH e<strong>in</strong>e Plattform für <strong>den</strong><br />
Wissens- und Technologietransfer <strong>in</strong> die Wirtschaft,<br />
Politik und Öffentlichkeit darstellen“, erklärt Flügel.<br />
Nicht zuletzt seien auch hier bei Fragen zur Bedeutung<br />
pflanzlicher Produktion und zu <strong>den</strong> Möglichkeiten<br />
und Potenzialen der pflanzenbasierten<br />
Bioökonomie allgeme<strong>in</strong>verständliche Darstellungen<br />
unverzichtbar. „Der WCH steht noch am Anfang.<br />
Die gegenwärtige Aufbruchsstimmung und <strong>den</strong><br />
Schwung wollen wir nutzen, um die hochgesteck-<br />
„Es ist unverzichtbar,<br />
bei regelmäßigen Treffen e<strong>in</strong>e<br />
geme<strong>in</strong>same Sprache zu f<strong>in</strong><strong>den</strong>“<br />
ten Ziele zu erreichen“, so Flügel. Derzeit laufen am<br />
WCH zwei diszipl<strong>in</strong>übergreifende Verbundprojekte,<br />
e<strong>in</strong> weiteres bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der Begutachtung und<br />
wird zum 1. Januar 2013 starten. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
f<strong>in</strong>anziert der WissenschaftsCampus e<strong>in</strong>e Nachwuchsgruppe<br />
am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie.<br />
Der WCH will vor allem junge Leute für<br />
das Zukunftsthema pflanzenbasierte Bioökonomie<br />
begeistern und zu <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är geschulten Fachkräften<br />
ausbil<strong>den</strong>.<br />
Die Vernetzung der verschie<strong>den</strong>en Institute <strong>in</strong>nerhalb<br />
des WCH ermöglicht es, über <strong>den</strong> eigenen<br />
Tellerrand h<strong>in</strong>aus zu sehen. Als e<strong>in</strong>er der ersten Promoven<strong>den</strong><br />
des WissenschaftsCampus hat der junge<br />
Volkswirt Sven Grüner, der gerade <strong>in</strong> Halle se<strong>in</strong>en<br />
Master erworben hat, hier e<strong>in</strong>e Forschungsheimat<br />
gefun<strong>den</strong>. „Der thematische Schwerpunkt me<strong>in</strong>er<br />
Arbeit liegt auf bioökonomischen Innovationen,<br />
die im Kontext von begrenzter Rationalität und<br />
Mehrfachzielen betrachtet wer<strong>den</strong>, um e<strong>in</strong>e Politikfolgenabschätzung<br />
zu ermöglichen“, sagt Grüner.<br />
Er verfolgt damit e<strong>in</strong>s von zwei Teilprojekten <strong>in</strong>nerhalb<br />
e<strong>in</strong>es bioökonomischen Verbundprojekts zu<br />
pflanzenbasierten Innovationen und Klimawandel.<br />
Betreut wird die Arbeit von <strong>den</strong> Agrarökonomen<br />
und MLU-Professoren Norbert Hirschauer und Peter<br />
Wagner. Kurze Wege zwischen Universität und<br />
Leibnitz-Instituten haben sich schon <strong>in</strong> der Anfangsphase<br />
als vorteilhaft erwiesen, <strong>den</strong>n das Verknüpfen<br />
von Untersuchungsergebnissen der verschie<strong>den</strong>en<br />
Fachdiszipl<strong>in</strong>en spielt für das Projekt e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle.<br />
Mitten <strong>in</strong> der Sommerpause – Anfang August – treffen<br />
sich die bei<strong>den</strong> WissenschaftsCampus-Sprecher<br />
Klaus Pillen, Professor für Pflanzenzüchtung an der<br />
MLU, und Ludger Wessjohann, Professor für Natur-<br />
und Wirkstoffchemie und Geschäftsführender<br />
Direktor des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie<br />
(IPB), im Tagungsraum des IPB, um die nächsten<br />
scientia halensis 4/2012 titelthema<br />
Dr. Claudia Flügel<br />
Halles WissenschaftsCampus<br />
im Internet: www.<br />
sciencecampus-halle.de<br />
Informationen zum Modell<br />
WisseschaftsCampus:<br />
www.leibniz-geme<strong>in</strong>schaft.de/forschung/hochschulkooperationen<br />
7
8 titelthema scientia halensis 4/2012<br />
Ziele abzustecken. Bei strahlendem Sonnensche<strong>in</strong><br />
leuchten vor dem Gebäude <strong>in</strong> der parkähnlichen<br />
Umgebung weith<strong>in</strong> die prächtigen Geranien. In voller<br />
Blüte stehen Petunien und Fuchsien. „Der WissenschaftsCampus<br />
hat drängende gesellschaftliche<br />
Probleme im Blick“, sagt Wessjohann. „Es geht um<br />
die Anforderungen an die Erzeugung pflanzlicher<br />
Produkte angesichts der wachsen<strong>den</strong> Weltbevölkerung.<br />
Um die D<strong>in</strong>ge komplett zu verstehen und viele<br />
Facetten e<strong>in</strong>es Phänomens beleuchten zu können,<br />
ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten e<strong>in</strong>e unverzichtbare<br />
Grundvoraussetzung. Unsere gesamte Ernährung<br />
und e<strong>in</strong> Großteil unserer Baustoffe, Energie und<br />
Medikamente s<strong>in</strong>d bereits heute pflanzlichen Ursprungs.<br />
Daraus ergeben sich Wechselspiele mit<br />
verschie<strong>den</strong>sten fachlichen Komponenten.“<br />
Lediglich die Drittmittele<strong>in</strong>werbung für <strong>den</strong> WCH<br />
könnte sich problematisch gestalten, me<strong>in</strong>t Wessjohann.<br />
„Hier wer<strong>den</strong> derzeit die Mittel meist noch<br />
nach Fächern getrennt vergeben und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
Projekte haben es oft schwer. Viel hängt von<br />
der Geschicklichkeit des Antragstellers ab.“ Auch<br />
Professor Pillen f<strong>in</strong>det, dass <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> mehr<br />
Chancen als Risiken bietet. Er me<strong>in</strong>t, dass der WCH<br />
derzeit „eher Transdiszipl<strong>in</strong>arität praktiziert“, <strong>den</strong>n<br />
die Forschung soll hier <strong>in</strong>tegrativ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eng mite<strong>in</strong>ander<br />
verflochtenen Prozess ablaufen. „Es versteht<br />
sich, dass dabei Sprachbarrieren zu überw<strong>in</strong><strong>den</strong><br />
s<strong>in</strong>d. Geme<strong>in</strong>sam im offenen und transparenten<br />
Dialog am Modell arbeiten, verschie<strong>den</strong>e Aspekte<br />
betrachten, bei <strong>den</strong>en die Ebenen der Pflanzenforschung<br />
und der Volkswirtschaft <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander übergehen,<br />
so sollen sich hier die Forschungen gestalten“,<br />
erklärt Pillen. Bei der Züchtung von Pflanzen spiele<br />
nicht zuletzt die Verbraucherakzeptanz e<strong>in</strong>e entschei<strong>den</strong>de<br />
Rolle. „Die sozioökonomische Sicht ist<br />
hier sehr wichtig und wurde <strong>in</strong> <strong>den</strong> vergangenen<br />
Jahren zu sehr vernachlässigt. Wenn zum Beispiel<br />
Pflanzenzüchter e<strong>in</strong>e neue Sorte von Weizen entwickeln,<br />
die <strong>den</strong> gesundheitsfördern<strong>den</strong> roten<br />
Farbstoff Anthocyan enthält, ist das sehr s<strong>in</strong>nvoll.<br />
Aber wer will schon rotes Brot essen?“ Ute Olbertz<br />
Kontakt: Dr. Claudia Flügel<br />
Wissenschaftliche Koord<strong>in</strong>ation WissenschaftsCampus<br />
Telefon: 0345 55 22682<br />
E-Mail: claudia.fluegel@sciencecampus-halle.de
Bio mit Bibel: Das Unerklärbare erklären<br />
Mit e<strong>in</strong>em etwas unsicheren Gefühl betrat die<br />
Lehramtsstu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> Marie-Therese Werner vor acht<br />
Semestern <strong>den</strong> Sem<strong>in</strong>arraum des Instituts für Katholische<br />
Theologie an der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität:<br />
„Ist es schlimm, dass ich auch noch Biologie<br />
studiere?“ Schnell wurde sie von ihren Dozenten<br />
beruhigt, die sich auf <strong>den</strong> Austausch zwischen <strong>den</strong><br />
Wissenschaften und <strong>den</strong> Input freuten. Heute kann<br />
die 22-Jährige selbst mit Vorurteilen aufräumen. Für<br />
sie ist die Theologie e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Wissenschaft, die<br />
auch das Nicht-Sichtbare betrachtet und dadurch<br />
Raum schafft für die unbeantwortbaren Fragen der<br />
Biologie.<br />
Nicht nur das enorme Potenzial an Diskussionsstoff<br />
der Fächerkomb<strong>in</strong>ation reizt die Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong>, auch die<br />
verschie<strong>den</strong>en Arbeitsweisen. „Die Biologie fragt<br />
nach dem Wie des Lebens und bietet dafür Fakten<br />
an. Die Theologie h<strong>in</strong>gegen fragt nach dem Warum<br />
und lässt Platz für Diskussionen und Spekulationen“,<br />
erklärt Werner. Für sie ist die Biologie der beruhigende<br />
Part im Studium, der Ausgleich zu <strong>den</strong> manchmal<br />
nicht abzuschließen<strong>den</strong> Denkprozessen <strong>in</strong> der<br />
Theologie. Dies zeigt sich auch <strong>in</strong> der unterschiedlichen<br />
Gestaltung der Studienfächer. An e<strong>in</strong>em der<br />
kle<strong>in</strong>sten Institute der Uni Halle – der Katholischen<br />
Theologie und ihrer Didaktik – herrscht e<strong>in</strong>e famili-<br />
äre Atmosphäre, die sich <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Sem<strong>in</strong>argruppen<br />
und dem direkten Kontakt zu <strong>den</strong> Lehren<strong>den</strong> niederschlägt.<br />
Anders dagegen <strong>in</strong> der Biologie: Dort sitzt<br />
sie mit 400 anderen Studieren<strong>den</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hörsaal.<br />
Die Arbeit im Labor bietet ihr h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>en sehr<br />
praktischen Ansatz.<br />
Seit 2011 ist Marie-Therese Werner Mitglied der<br />
„Stu<strong>den</strong>tischen Förder<strong>in</strong>itiative der Naturwissenschaften<br />
e.V“ und organisiert für das W<strong>in</strong>tersemester<br />
2012/13 e<strong>in</strong>e Allgeme<strong>in</strong>e Schlüsselqualifikation<br />
(ASQ) zum Thema Bioethik. Dieses Projekt soll angehende<br />
Wissenschaftler anregen ihr Handeln ethisch<br />
und moralisch zu h<strong>in</strong>terfragen – e<strong>in</strong>e Arbeitsweise,<br />
die für Werner eng mit der Theologie verbun<strong>den</strong> ist.<br />
„Ich wünsche mir, dass dieser Weg von mehr Naturwissenschaftlern<br />
e<strong>in</strong>geschlagen wird“, erklärt die<br />
Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong>. Als angehende Lehrer<strong>in</strong> möchte Werner<br />
ihren zukünftigen Schülern e<strong>in</strong>en offenen Umgang<br />
mit Religion vermitteln, deren Stärken sowie Schwächen<br />
herausarbeiten. „Die Schüler sollen lernen, reflektiert,<br />
begründet und vorurteilsfrei über Religion<br />
zu re<strong>den</strong>, ob sie sich nun am Ende für oder gegen<br />
<strong>den</strong> Glauben entschei<strong>den</strong>“, erklärt sie weiter. Sie<br />
will ihren Schülern zeigen, dass das Leben nicht auf<br />
vorgefertigten Bahnen verläuft und nur durch Formeln<br />
und Fakten erklärt wer<strong>den</strong> kann. Sarah Huke<br />
scientia halensis 4/2012 titelthema<br />
Zwischen biologischen Fakten<br />
und theologischen Diskussionen:<br />
Ihre bei<strong>den</strong> Studienfächer<br />
ergänzen sich gut, f<strong>in</strong>det<br />
Marie-Therese Werner.<br />
(Foto: Thomas Me<strong>in</strong>icke)<br />
9
10 titelthema scientia halensis 4/2012<br />
Das i-Tüpfelchen<br />
und se<strong>in</strong>e Kehrseite<br />
Mehr als 1,1 Millionen Treffer bei Google. Für e<strong>in</strong>en Begriff, der das Nonplusultra wissenschaftlicher Kooperation<br />
darstellt. Oder schlicht als Werbewort dient. Je nach Lesart. <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> – Heilsbr<strong>in</strong>ger oder Worthülse?<br />
Zwei MLU-Wissenschaftler, die <strong>in</strong> der Aufklärungs- und der Afrika-Forschung stark <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
arbeiten, antworten.<br />
„Man darf die Diszipl<strong>in</strong>arität<br />
nicht vernachlässigen.“<br />
Germanistik-Professor Daniel<br />
Fulda <strong>in</strong> der Bibliothek des<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>ären Zentrums<br />
für die Erforschung der Europäischen<br />
Aufklärung.<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
„Oberflächliche Augenwischerei“. Das saß. Professor<br />
Peter-André Alt, Präsi<strong>den</strong>t der Freien Universität<br />
Berl<strong>in</strong>, machte vor knapp zwei Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Grundsatzbeitrag für die Süddeutsche Zeitung klar,<br />
was er von der <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> hält, genauer:<br />
von der unh<strong>in</strong>terfragten Nutzung des Begriffs. Er<br />
plädierte dafür, die diszipl<strong>in</strong>ären Eigentümlichkeiten<br />
der Fächer zu sichern – und Nachwuchswissenschaftler<br />
nicht zu früh <strong>in</strong> Zwischenbereiche<br />
der Wissenschaft e<strong>in</strong>treten zu lassen. „Sonst droht<br />
uns aus schw<strong>in</strong><strong>den</strong>der diszipl<strong>in</strong>ärer I<strong>den</strong>tität e<strong>in</strong><br />
wissenschaftlicher Substanzverlust, <strong>den</strong> auch die<br />
Beschwörungsformeln der Antragsprosa nicht ver-<br />
bergen können.“ MLU-Germanistikprofessor Daniel<br />
Fulda mag nicht widersprechen. „Er hat natürlich<br />
Recht, dass man über <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> die Diszipl<strong>in</strong>arität<br />
nicht vernachlässigen darf“, sagt der<br />
Geschäftsführende Direktor des Interdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung<br />
(IZEA). „Das Zuhausese<strong>in</strong> im eigenen Fach“<br />
sei unabd<strong>in</strong>gbar. Noch deutlicher formuliert das<br />
Ethnologieprofessor Richard Rottenburg, Sprecher<br />
des MLU-Forschungsschwerpunkts Gesellschaft und<br />
Kultur <strong>in</strong> Bewegung: „Die Ten<strong>den</strong>z, das Loblied der<br />
<strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> sehr laut zu s<strong>in</strong>gen und darüber<br />
zu vergessen, dass man die Grundlagen e<strong>in</strong>es Faches
eherrschen sollte, gibt auch mir zu <strong>den</strong>ken. Dann<br />
wird systematisch Inkompetenz produziert.“ E<strong>in</strong>e<br />
sechssemestrige Sozialisation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fach reiche<br />
zum Beispiel nicht aus für Masterstudiengänge,<br />
„die alle möglichen diszipl<strong>in</strong>ären Mischungen darstellen“.<br />
Und dann wäre da noch die „Antragsprosa“. Inklusive<br />
<strong>in</strong>flationärer Nutzung des i-Wortes, das damit<br />
zu e<strong>in</strong>er Worthülse verkomme, wie viele Kritiker<br />
klagen. Ist <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong> überhaupt e<strong>in</strong> Qualitätskriterium?<br />
Eher e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit,<br />
me<strong>in</strong>t Richard Rottenburg, unter dessen Leitung<br />
im DFG-Schwerpunktprogramm „Adaption und<br />
Kreativität <strong>in</strong> Afrika“ gerade e<strong>in</strong>e „transdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
Sprache“ entwickelt wird. „Wenn <strong>in</strong> Deutschland<br />
Forschungsgelder mehrheitlich an Verbundprojekte<br />
gehen und es Forderungen gibt, dass diese<br />
mehrheitlich <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är zu se<strong>in</strong> haben, dann<br />
ist irgendetwas nicht mehr <strong>in</strong> Ordnung“, sagt der<br />
Ethnologe. „Wissenschaftler muss man nicht dazu<br />
ermutigen, mite<strong>in</strong>ander zu re<strong>den</strong>. Das bedarf ke<strong>in</strong>er<br />
pädagogischen Handführung.“<br />
Aufklärungsforscher Daniel Fulda merkt allerd<strong>in</strong>gs<br />
an: „Wenn e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Wissenschaftler <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
zu arbeiten versucht, ist das weniger<br />
selbstverständlich, <strong>den</strong>n der e<strong>in</strong>zelne Forscher soll<br />
sich ja der Metho<strong>den</strong> se<strong>in</strong>er Diszipl<strong>in</strong> bedienen<br />
und adressiert se<strong>in</strong>e Ergebnisse <strong>in</strong> der Regel an die<br />
eigenen Fachkollegen. Trotzdem sehe ich <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Arbeit des E<strong>in</strong>zelnen das eigentlich<br />
Spannende. Es kommen Ergebnisse heraus, die bei<br />
der Beschränkung auf die eigene Diszipl<strong>in</strong> nicht<br />
möglich wären.“<br />
Es gibt aber noch e<strong>in</strong>en ganz anderen Aspekt,<br />
der Fulda und Rottenburg Sorgen bereitet: „An<br />
Instituts- und Fakultätsgrenzen können sich geisteswissenschaftliche<br />
Forschungsverbünde bei uns<br />
noch weniger halten als an anderen Universitäten,<br />
weil die meisten Fächer vergleichsweise wenige<br />
Professuren haben. Wichtig fände ich daher, dass<br />
die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Forschungse<strong>in</strong>richtungen und<br />
-verbünde e<strong>in</strong>e bessere Repräsentanz <strong>in</strong> der Universität<br />
bekommen“, führt Fulda aus. „Für die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
E<strong>in</strong>richtungen gibt es ke<strong>in</strong>e Möglichkeit,<br />
regulär die Stimme zu erheben <strong>in</strong> <strong>den</strong> Gremien. Das<br />
ist me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong> Konstruktionsfehler des<br />
Landeshochschulgesetzes.“<br />
Richard Rottenburg sieht die MLU selbst <strong>in</strong> der<br />
Pflicht: „Die Strukturen an der MLU passen wirklich<br />
nicht zur Arbeit <strong>in</strong> <strong>den</strong> vier Forschungsschwerpunkten<br />
und <strong>den</strong> Interdiszipl<strong>in</strong>ären Zentren. Auf der<br />
e<strong>in</strong>en Seite will beziehungsweise muss sich die MLU<br />
e<strong>in</strong> bestimmtes Profil erarbeiten – aber sie tut viel<br />
zu wenig, um es systematisch herbeizuführen. Und<br />
an der laufen<strong>den</strong> Strukturdebatte s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Forschungsschwerpunkte und Zentren<br />
überhaupt nicht beteiligt.“ Carsten Heckmann<br />
Kontakt: Prof. Dr. Daniel Fulda<br />
Literaturwissenschaft<br />
Telefon: 0345 55 23592<br />
E-Mail: daniel.fulda@germanistik.uni-halle.de<br />
Kontakt: Prof. Dr. Richard Rottenburg<br />
Sem<strong>in</strong>ar für Ethnologie<br />
Telefon: 0345 55 24200<br />
E-Mail: richard.rottenburg@ethnologie.uni-halle.de<br />
scientia halensis 4/2012 titelthema<br />
Unterschiedliche Perspektiven,<br />
h<strong>in</strong>dernde Scheuklappen,<br />
f<strong>in</strong>anzielle Panikattacken<br />
– Daniel Fulda<br />
und Richard Rottenburg<br />
re<strong>den</strong> Klartext zum<br />
Thema <strong>Interdiszipl<strong>in</strong>arität</strong>.<br />
Im Onl<strong>in</strong>emagaz<strong>in</strong><br />
f<strong>in</strong><strong>den</strong> Sie die Interviews<br />
<strong>in</strong> voller Länge. Dazu<br />
weitere Stimmen aus Wissenschaftlichen<br />
Zentren<br />
der MLU: www.magaz<strong>in</strong>.uni-halle.de/category/<br />
titelthema<br />
QR� CODE<br />
11
12 varia scientia halensis 4/2012<br />
varia<br />
Gesundheit<br />
Büromanagement<br />
Über 100 Kurse bietet das<br />
Referat 3.2 halbjährlich an.<br />
In der Grafik s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige<br />
der Weiterbildungsschwerpunkte<br />
dargestellt. (Montage:<br />
Steffen Schenk, Foto: Norbert<br />
Kaltwaßer, Grafik: Alexander<br />
Bryljaev / Fotolia)<br />
Datenverarbeitung<br />
Wie man Konflikte oder emotional aufgela<strong>den</strong>e<br />
Situationen als Sem<strong>in</strong>arleiter auflöst, das haben<br />
die wenigsten Hochschullehrer gelernt. In ihrer<br />
wissenschaftlichen Laufbahn s<strong>in</strong>d andere D<strong>in</strong>ge<br />
ausschlaggebend: Publikationslisten, akademische<br />
Erfolge, <strong>in</strong>ternationale Kontakte. Fachliche Kompetenzen<br />
alle<strong>in</strong> reichen im Arbeitsalltag aber oft nicht<br />
aus. „Im November wird erstmals e<strong>in</strong> hochschuldidaktisches<br />
Sem<strong>in</strong>ar angeboten, das sich mit solchen<br />
Konfliktsituationen <strong>in</strong> der wissenschaftlichen Lehre<br />
Kommunikation<br />
Führung<br />
Erfolgreich<br />
Lehren<br />
Sprachen<br />
Die Personal-Entwicklungshelfer<br />
Betretenes Schweigen im Sem<strong>in</strong>arraum. E<strong>in</strong>e Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> kurz vor dem We<strong>in</strong>krampf, ihr gegenüber sitzt e<strong>in</strong><br />
überforderter Dozent. Was tun? Auch Lehrer brauchen manchmal Lehrer. Wenn Fachwissen alle<strong>in</strong> nicht ausreicht,<br />
wenn Azubi, Sekretär<strong>in</strong> oder Führungskraft nach beruflicher Weiterentwicklung streben, dann ist an<br />
der MLU das Referat 3.2 gefragt. Das Referat für Personalentwicklung will alle Uni-Beschäftigten <strong>in</strong>dividuell<br />
und bedarfsorientiert fördern.<br />
ause<strong>in</strong>andersetzt“, sagt Sandra Maihöfner, die seit<br />
Oktober 2011 das Referat für Personalentwicklung,<br />
<strong>in</strong>sbesondere Aus- und Weiterbildung, leitet.<br />
Neben <strong>den</strong> hochschuldidaktischen Sem<strong>in</strong>aren, die<br />
sich vorrangig an Wissenschaftler richten, wer<strong>den</strong><br />
mit Angeboten zu Themen wie Büromanagement,<br />
Datenverarbeitung, Sprachenförderung, Gesundheit<br />
oder Führungskräfteentwicklung auch die<br />
nicht-wissenschaftlichen Beschäftigten der MLU<br />
angesprochen.
„Bei <strong>den</strong> Doktoran<strong>den</strong> nimmt das Bewusstse<strong>in</strong><br />
dafür zu, dass auch Soft Skills sehr wichtig s<strong>in</strong>d“,<br />
me<strong>in</strong>t Professor Kay Saalwächter. Regelmäßig weist<br />
er <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelgesprächen oder <strong>in</strong> der Gruppe se<strong>in</strong>e<br />
Promoven<strong>den</strong> und Mitarbeiter auf die Weiterbildungsangebote<br />
an der MLU h<strong>in</strong> oder schlägt Kurse<br />
vor – etwa zum Büro- oder Zeitmanagement, zur<br />
Englisch- oder Rhetorikverbesserung. „Ich habe vor<br />
me<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> Halle selbst sehr gute Erfahrungen<br />
mit solchen Angeboten gemacht“, sagt der Experimentalphysiker.<br />
Besonders schnell ausgebucht s<strong>in</strong>d die Zertifikatskurse<br />
für Hochschuldidaktik. „Hier führen wir<br />
Wartelisten, damit jedem Doktoran<strong>den</strong> garantiert<br />
wer<strong>den</strong> kann, dass er während se<strong>in</strong>er Promotion<br />
diesen Kurs belegen kann“, erklärt Verona Mikesch,<br />
die für das Sem<strong>in</strong>armanagement verantwortlich<br />
ist. Über 100 Kurse stehen jedes Jahr im <strong>in</strong>ternen<br />
Weiterbildungskalender zur Auswahl. Auch externe<br />
Weiterbildungskurse wer<strong>den</strong> vom Referat 3.2 gefördert.<br />
„Jeder kann sich mit se<strong>in</strong>en Wünschen und<br />
Anregungen an uns wen<strong>den</strong> und sich e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen“,<br />
sagt Sandra Maihöfner nachdrücklich. „Wir wollen<br />
unser eigenes Programm stetig erweitern und dem<br />
Bedarf anpassen.“ Langfristig möchte sie e<strong>in</strong>e universitätsweite<br />
Kultur der Weiterbildung etablieren.<br />
Das müsse bei <strong>den</strong> neuberufenen Professoren anfangen.<br />
Ab 2013 wer<strong>den</strong> neue Beschäftigte deshalb<br />
mit spezifischen Begrüßungsmappen empfangen.<br />
Denn ob Mitarbeiter sich weiterqualifizieren, hänge<br />
entschei<strong>den</strong>d von <strong>den</strong> Führungskräften ab.<br />
„Es ist gut, wenn die Initiative zur Weiterbildung<br />
vom Gruppenleiter ausgeht, weil e<strong>in</strong> solches Sem<strong>in</strong>ar<br />
dann für alle selbstverständlich ist“, f<strong>in</strong>det<br />
Doktorand<strong>in</strong> Annekatr<strong>in</strong> Richter. Seit November<br />
2011 promoviert die 25-Jährige <strong>in</strong> der Abteilung für<br />
Allgeme<strong>in</strong>e Pflanzengenetik. Abteilungsleiter<strong>in</strong> und<br />
Leibnizpreisträger<strong>in</strong> Prof. Dr. Ulla Bonas hatte sich<br />
im Frühjahr bei Sandra Maihöfner erkundigt, ob e<strong>in</strong><br />
Rhetoriksem<strong>in</strong>ar für ihre Doktoran<strong>den</strong> angeboten<br />
wer<strong>den</strong> könne. Daraufh<strong>in</strong> fand e<strong>in</strong>e mehrtägige<br />
Veranstaltung statt, die zum Teil aus dem Referatsbudget<br />
und zum Teil von Professor<strong>in</strong> Bonas f<strong>in</strong>anziert<br />
wurde.<br />
„Wir haben im Kurs zunächst geme<strong>in</strong>sam ergründet,<br />
wo die <strong>in</strong>dividuellen Probleme liegen und dann <strong>in</strong><br />
Kle<strong>in</strong>gruppen oder E<strong>in</strong>zelgesprächen an Lösungen<br />
gearbeitet“, erzählt Annekatr<strong>in</strong> Richter. Ihr sei es<br />
zuvor manchmal schwer gefallen, sich bei Vorträgen<br />
bis zum Schluss konsequent an ihr Konzept<br />
zu halten. „Dann überhole ich mich gedanklich<br />
selbst. Im Kurs habe ich gelernt, me<strong>in</strong>e Stärken im<br />
Vortrag besser zu nutzen. Ich glaube, dass es mir<br />
jetzt besser gel<strong>in</strong>gt, locker vorzutragen.“ Nach dem<br />
Sem<strong>in</strong>ar g<strong>in</strong>g es für die meisten Teilnehmer direkt<br />
<strong>in</strong> <strong>den</strong> Praxistest. „Wir haben gegenseitig sehr darauf<br />
geachtet, ob sich der e<strong>in</strong>zelne verbessert hat“,<br />
sagt sie. Das Urteil sei e<strong>in</strong>hellig positiv ausgefallen.<br />
„Weiterbildung bedeutet e<strong>in</strong>en Wertezuwachs an<br />
sich. Sie bietet jedem die Chance, frischen W<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>e Arbeit zu br<strong>in</strong>gen und steigert <strong>den</strong> eigenen<br />
Marktwert“, sagt Sandra Maihöfner.<br />
Qualifizierungsangebote zur Lehre und Organisation<br />
würde Annekatr<strong>in</strong> Richter auch zukünftig gerne<br />
<strong>in</strong> Anspruch nehmen. „Voraussetzung ist natürlich,<br />
dass die Weiterbildung mit dem Arbeitsalltag<br />
vere<strong>in</strong>bart wer<strong>den</strong> kann.“ Aber wie lässt sich e<strong>in</strong>e<br />
mehrstündige Veranstaltung über Wochen <strong>in</strong> die Arbeitsabläufe<br />
<strong>in</strong>tegrieren? Nur e<strong>in</strong> möglichst vielfältiges<br />
Angebot könne helfen, f<strong>in</strong>det Kay Saalwächter:<br />
„Die e<strong>in</strong>en bevorzugen Kurse <strong>in</strong> <strong>den</strong> Abendstun<strong>den</strong>,<br />
andere möchten diese Zeit mit ihrer Familie verbr<strong>in</strong>gen.<br />
Das erfordert zuerst e<strong>in</strong>e genaue Abfrage unter<br />
<strong>den</strong> Teilnehmern.“<br />
Bislang haben Maihöfner und ihre Kollegen jedes<br />
Sem<strong>in</strong>ar am Ende evaluieren lassen. Jetzt sollen die<br />
Teilnehmer bereits im Vorfeld nach ihren Erwartungen<br />
befragt wer<strong>den</strong>. „Wir wollen sicherstellen,<br />
dass diese Erwartungen vom Dozenten berücksichtigt<br />
wer<strong>den</strong> können. 90 Prozent der Teilnehmer s<strong>in</strong>d<br />
mit <strong>den</strong> Kursen zufrie<strong>den</strong>, aber schlechte Bewertungen<br />
ärgern uns natürlich“, sagt Verona Mikesch,<br />
die seit zwölf Jahren an der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
im Bereich Personalentwicklung arbeitet. „Wenn<br />
die Teilnehmerzahl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kurs stetig s<strong>in</strong>kt und die<br />
Veranstaltung schlecht evaluiert wird, dann verabschie<strong>den</strong><br />
wir uns auch mal von e<strong>in</strong>em Dozenten.“<br />
Cor<strong>in</strong>na Bertz<br />
Kontakt: Sandra Maihöfner<br />
Personalentwicklung<br />
Telefon: 0345 55 21292<br />
E-Mail: sandra.maihoefner@verwaltung.uni-halle.de<br />
scientia halensis 4/2012 varia<br />
Referatsleiter<strong>in</strong> Sandra<br />
Maihöfner (Foto: Maike<br />
Glöckner)<br />
Wie schreibe ich e<strong>in</strong> Arbeitszeugnis?<br />
Wie arbeite ich<br />
e<strong>in</strong>en neuen Mitarbeiter e<strong>in</strong>?<br />
Wie wird e<strong>in</strong> strukturiertes<br />
Mitarbeitergespräch geführt?<br />
Seit diesem Jahr bietet das<br />
Referat dazu hilfreiche<br />
Leitfä<strong>den</strong> und Checklisten an:<br />
http://personal.verwaltung.<br />
uni-halle.de/service/<br />
personalentwicklung<br />
13
14 varia scientia halensis 4/2012<br />
bilderrätsel<br />
Was zeigt dieses<br />
Bild?<br />
Des Rätsels Lösung ist<br />
wieder im Unimagaz<strong>in</strong><br />
versteckt.<br />
Wer der Redaktion als<br />
Erste(r) per Telefon,<br />
E-Mail, Fax oder Post<br />
die richtige Lösung übermittelt,<br />
auf die oder <strong>den</strong><br />
wartet e<strong>in</strong> Gutsche<strong>in</strong> im<br />
Wert von 15 Euro, e<strong>in</strong>zulösen<br />
im Uni-Shop im<br />
Marktschlösschen.<br />
Viel Glück!<br />
Das Rätselfoto <strong>in</strong> der scientia<br />
halensis 3/12, Seite<br />
10, zeigte e<strong>in</strong>en Ausschnitt<br />
der Historischen Kulissenbibliothek<br />
auf Seite<br />
12. Die Schnellste, die das<br />
Rätsel löste, war Heike<br />
Nowak. Sie arbeitet als<br />
Sekretär<strong>in</strong> der Abteilung<br />
Sozial- und Organisationspsychologie<br />
am Institut<br />
für Psychologie. Den versprochenen<br />
Gutsche<strong>in</strong> für<br />
<strong>den</strong> nächsten E<strong>in</strong>kauf im<br />
Uni-Shop hat sie bereits<br />
erhalten.<br />
Zeichnung: Oliver Weiss<br />
„Bitte e<strong>in</strong>mal gemischten Sprachsalat …“<br />
diesmal mit sehr<br />
anschaulichen Zutaten<br />
Wer schreibt, will gelesen wer<strong>den</strong>. Wer liest, möchte<br />
sich angesprochen fühlen. Ansprechend wirken<br />
auf <strong>den</strong> ersten Blick viele Mittel; doch ob sie halten<br />
was sie versprechen und wirklich praxistauglich<br />
s<strong>in</strong>d? Das entscheidet letztlich der Leser, wenn er<br />
liest. Sprachliche Bilder sche<strong>in</strong>en von jeher sehr<br />
probat, weil sie Fantasie und Neugier anregen und<br />
selbst trockenen Fakten Lebendigkeit verleihen –<br />
vorausgesetzt die bildhaften Wendungen passen<br />
zur übermittelten Information und stimmen <strong>in</strong> sich.<br />
Andernfalls ist dem Autor der Spott des Volksmunds<br />
sicher: „Das schlägt dem Fass die Krone <strong>in</strong>s Gesicht!“<br />
Fehlgriffe <strong>in</strong> Presse, Rundfunk und Fernsehen zu<br />
f<strong>in</strong><strong>den</strong>, ist leicht; doch sollte man <strong>den</strong> Redakteuren<br />
zugute halten, dass sie unter enormem Zeitdruck<br />
stehen. Wen<strong>den</strong> wir die Scha<strong>den</strong>freude lieber <strong>in</strong>s<br />
Positive, betrachten das eigene „Schreibzeug“ mit<br />
mehr Sorgfalt und kritischer als bisher! So wird<br />
die Gefahr m<strong>in</strong>imiert, Misslichkeiten wie diese zu<br />
kreieren:<br />
→ Im Wahlaufruf für die 2. Runde der Oberbürgermeisterwahl<br />
<strong>in</strong> der größten Stadt Sachsen-Anhalts<br />
im Juli 2012 hieß es: „Das Recht, <strong>in</strong> Freiheit zu wählen,<br />
ist e<strong>in</strong>es der Grundrechte [...] Es ist e<strong>in</strong>e Säule<br />
der Demokratie und gleichsam ihr Schmiermittel.“<br />
(Amtsblatt der Stadt Halle, Nr. 12/2012, Seite 1)<br />
→ Will man im Pillnitzer Schlosspark flanieren, soll<br />
das künftig 2 Euro E<strong>in</strong>tritt kosten! MDR Figaro berichtete<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Morgensendung am 10. Juli 2012<br />
über die lokalen Bürgerproteste und kommentierte:<br />
„Die Dresdner s<strong>in</strong>d mit Sicherheit etwas verunsichert.“<br />
→ Curt Goetz und se<strong>in</strong>e Mama lieferten <strong>den</strong> Stoff<br />
für e<strong>in</strong>e Kolumne zur Theater-Historie. In der Komödie<br />
„Das Haus <strong>in</strong> Montevideo“ irritiert Madame de<br />
la Rocco „<strong>den</strong> prü<strong>den</strong> Professor, <strong>in</strong>dem sie galant<br />
Briefe aus ihrem Dekolleté fischt“. (MZ, 04.07.2012,<br />
Seite 29)<br />
→ In e<strong>in</strong>er sehr schön illustrierten und <strong>in</strong>formationsreichen<br />
Broschüre aus dem Kunstverlag PEDA über<br />
die Stiftsbibliothek <strong>in</strong> Waldsassen wird e<strong>in</strong>gangs<br />
dies mitgeteilt: „Als Folge der erzwungenen Anerkennung<br />
der pfälzischen Oberhoheit setzte Anfang<br />
des 16. Jh. der Niedergang des Klosters e<strong>in</strong>. Den Höhepunkt<br />
fand dies <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>setzung e<strong>in</strong>es weltlichen<br />
Adm<strong>in</strong>istrators im Jahre 1537. (Seite 2)<br />
→ „Halle greift mal wieder nach <strong>den</strong> Sternen – diesmal<br />
sozusagen nach grünen Sternen. Im Strategiedialog<br />
2025 [...] steht nun als konkreteste Vision<br />
zu diesem Thema, dass Halle sich als Austragungsort<br />
der Bundesgartenschau bewerben soll.“ (MZ,<br />
26.07.2012, Seite 7)<br />
Merke: Man hüte sich vor geschmierten Säulen,<br />
unsichren Sicherheiten, Meeresfrüchten im Ausschnitt,<br />
dem Zenit der Niederungen und strategischen<br />
Kampfblumen – es blühen ja genügend<br />
andre Stilblüten und warten drauf, gepflückt zu<br />
wer<strong>den</strong>. Margarete We<strong>in</strong>
Univations Gründerservice geht an <strong>den</strong> Start<br />
Das Thema „Gründung und Unternehmertum“<br />
steht im W<strong>in</strong>tersemester 2012/13 ganz oben auf<br />
der Agenda der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität. Geme<strong>in</strong>sam<br />
mit dem Univations Institut für Wissens-<br />
und Technologietransfer hat die MLU ihr Konzept<br />
der ganzheitlichen Förderung von Innovation und<br />
Unternehmertum <strong>in</strong> Form des neuen Univations<br />
Gründerservice umgesetzt.<br />
Der offizielle Startschuss für die Aktivitäten des<br />
Gründerservice erfolgt zur Univations Gründerwoche<br />
vom 12. bis 16. November 2012. Hier können<br />
sich Studienanfänger aller Fachbereiche bei <strong>den</strong><br />
Univations Starter-Tagen über das Thema Gründung<br />
und Selbstständigkeit <strong>in</strong>formieren. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
bietet die Gründerakademie <strong>in</strong> Kooperation mit<br />
dem Hochschulgründernetzwerk Sachsen-Anhalt<br />
Süd Studieren<strong>den</strong>, wissenschaftlichen Mitarbeitern,<br />
Absolventen und Gründern die Möglichkeit, sich<br />
<strong>in</strong> zahlreichen Workshops und Sem<strong>in</strong>aren mit <strong>den</strong><br />
Grundlagen von Selbstständigkeit und Unterneh-<br />
mensgründung vertraut zu machen. Zukünftig will<br />
der Univations Gründerservice verstärkt Studierende<br />
und Wissenschaftler für unternehmerisches Denken<br />
und Handeln sensibilisieren, praxisorientierte<br />
Angebote der Gründungslehre entwickeln sowie<br />
helfen, Innovationspotenziale <strong>in</strong> <strong>den</strong> Fachbereichen<br />
zu erschließen und zu verwerten.<br />
Gründer wer<strong>den</strong> <strong>in</strong>tensiv bei der Realisierung ihres<br />
Vorhabens betreut und bei der Beschaffung von<br />
Gründungs- und Wachstumskapital unterstützt.<br />
Dabei können die Gründungs<strong>in</strong>teressierten auf e<strong>in</strong><br />
überregionales Expertennetzwerk aus Mentoren,<br />
Multiplikatoren, Investoren und Wertschöpfungspartnern<br />
zurückgreifen. Anlässlich der Univations<br />
Gründerwoche im November wird mit dem ersten<br />
Gründermagaz<strong>in</strong> der MLU die Magaz<strong>in</strong>familie bestehend<br />
aus „scientia halensis“, „alumni halenses“ und<br />
Jahresmagaz<strong>in</strong> um e<strong>in</strong>e weitere Publikation ergänzt.<br />
Bert-Morten Arnicke<br />
scientia halensis 4/2012 varia<br />
Das neue Logo des<br />
Univations Gründerservice.<br />
Angebote und Ansprechpartner<br />
unter www.gruendung.<br />
uni-halle.de.<br />
Anzeige<br />
15
16 varia scientia halensis 4/2012<br />
WERDEN SIE FREUND UND FÖRDERER!<br />
Seit fast 20 Jahren unterstützt die Vere<strong>in</strong>igung der Freunde und<br />
Förderer der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg e.V. (VFF)<br />
wichtige Projekte <strong>in</strong> Forschung und Lehre der halleschen<br />
Universität und fördert <strong>den</strong> Gedankenaustausch zwischen<br />
Wissenschaft und Öffentlichkeit. Zum Sommersemester 2012<br />
erhielten fünf Studierende für jeweils e<strong>in</strong> Jahr aus Mitteln der<br />
Vere<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong> Deutschlandstipendium. Um <strong>in</strong> kommen<strong>den</strong><br />
Jahren ebenfalls als Stipendiengeber dabei se<strong>in</strong> zu können,<br />
benötigen wir Sie.<br />
Auch Sie können die Arbeit der VFF unterstützen. Wer<strong>den</strong> Sie<br />
Mitglied und damit nicht nur e<strong>in</strong> Freund, sondern auch e<strong>in</strong><br />
Förderer der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität. Helfen Sie mit e<strong>in</strong>er Spende,<br />
unsere Vorhaben auf e<strong>in</strong>e solide fi nanzielle Basis zu stellen. Oder<br />
setzen Sie Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten <strong>in</strong> Form ehrenamtlicher<br />
Tätigkeit e<strong>in</strong>.<br />
Mehr über die VFF, wie Sie Mitglied wer<strong>den</strong> oder uns<br />
anderweitig unterstützen können, erfahren Sie unter:<br />
www.vff.uni-halle.de<br />
Vere<strong>in</strong>igung der Freunde und<br />
Förderer der Mart<strong>in</strong>-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg e.V.<br />
Geschäftsführer<strong>in</strong>:<br />
Ramona Mitsch<strong>in</strong>g<br />
Tel.: 0345 5522912<br />
Fax: 0345 5527076<br />
E-Mail:<br />
ramona.mitsch<strong>in</strong>g@vff.uni-halle.de
E<strong>in</strong> neuer und e<strong>in</strong> alter Grundste<strong>in</strong><br />
Drei Wochen, bevor der Grundste<strong>in</strong> für das Geistes-<br />
und Sozialwissenschaftliche Zentrum verschweißt<br />
und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Betonblock versenkt wurde, förderten<br />
Bauarbeiter auf dem zukünftigen Ste<strong>in</strong>tor Campus<br />
e<strong>in</strong>e Zeitkapsel aus dem Jahr 1878 zu Tage. Dar<strong>in</strong><br />
befan<strong>den</strong> sich e<strong>in</strong> Hallesches Tageblatt, e<strong>in</strong>e Fünf-<br />
Pfennigmünze, Dokumente und e<strong>in</strong>e stu<strong>den</strong>tische<br />
Zeichnung des Bo<strong>den</strong>profils untern dem damals<br />
neu errichteten Gebäude der Landwirtschaftlichen<br />
Fakultät. Das Gebäude wurde bereits vor Jahr-<br />
MLU als „familiengerechte<br />
hochschule“ zertifiziert<br />
Die MLU darf das Zertifikat „familiengerechte hochschule“<br />
weiterh<strong>in</strong> tragen. Ihre Re-Auditierung ist<br />
damit erfolgreich abgeschlossen. Das hat die Begutachtung<br />
durch die berufundfamilie gGmbH im<br />
August ergeben. Vor drei Jahren wurde das Zertifikat<br />
erstmals an die MLU verliehen. Über 140 Maßnahmen<br />
für mehr Familienfreundlichkeit wur<strong>den</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>den</strong> Zielvere<strong>in</strong>barungen im Mai 2009 festgeschrieben<br />
und bereits umgesetzt. Im Mai 2013 wird das<br />
Zertifikat <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> öffentlich an die MLU verliehen.<br />
Mit neuen Zielvere<strong>in</strong>barungen setzt die audit-Projektgruppe<br />
<strong>in</strong>des ihre Arbeit fort. Auf der Agenda<br />
stehen unter anderem: die Ausweitung der K<strong>in</strong>derbetreuung,<br />
die Sensibilisierung von Führungskräften<br />
und Professoren sowie e<strong>in</strong>e verstärkte Unterstützung<br />
von Beschäftigten bei der Pflege ihrer Angehörigen.<br />
„Das Zertifikat ist Ansporn und Ermutigung<br />
zugleich, aktiv für mehr Familienfreundlichkeit zu<br />
arbeiten“, sagt Prorektor<strong>in</strong> Ges<strong>in</strong>e Foljanty-Jost. cb<br />
zehnten abgerissen, die Kartusche lag jedoch auf<br />
dem Gehweg an der Emil-Abderhal<strong>den</strong>-Straße vergraben.<br />
(Mehr über <strong>den</strong> Fund im Alumnimagaz<strong>in</strong><br />
2/12). Am 18. Juli wur<strong>den</strong> dann Zeitungen, Baupläne<br />
und hallesches Salz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kapsel gegeben, die<br />
Wissenschafts- und Wirtschaftsm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Birgitta<br />
Wolff, Rektor Udo Sträter, Oberbürgermeister<strong>in</strong><br />
Dagmar Szabados und F<strong>in</strong>anzsstaatssekretär Jörg<br />
Felgner mit Hammerschlägen <strong>in</strong> <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> verabschiedeten.<br />
cb<br />
Neu: Serviceangebote der Stabsstelle<br />
besser im Blick<br />
Alle Serviceleistungen der Stabsstelle des Rektors<br />
s<strong>in</strong>d jetzt auf e<strong>in</strong>er neuen Serviceseite zu f<strong>in</strong><strong>den</strong>.<br />
Mit Hilfe e<strong>in</strong>er A-Z-Suche und prägnanter Kategorien<br />
können die Angebote der Alumni- und Messebeauftragten,<br />
des Hochschulmarket<strong>in</strong>gs, der Pressestelle<br />
und des Veranstaltungsmanagements mit e<strong>in</strong>em<br />
Klick aufgerufen wer<strong>den</strong>. Im Überblick unter: www.<br />
rektor.uni-halle.de/stabsstelle/service. cb<br />
scientia halensis 4/2012 varia<br />
Die Grundste<strong>in</strong>legung am<br />
Ste<strong>in</strong>tor Campus (Foto:<br />
Maike Glöckner) und der<br />
Ausschnitt e<strong>in</strong>er Zeichnung<br />
aus der entdeckten Zeitkapsel<br />
von 1878 (Scan: Uniarchiv)<br />
Bild: mipan / Fotolia<br />
17
18 varia scientia halensis 4/2012<br />
Kapriolen der Baugeschichte<br />
Im Heft 3/2012 begann Günter Kowa se<strong>in</strong>en Rundgang über <strong>den</strong> We<strong>in</strong>berg Campus. Im zweiten Teil se<strong>in</strong>er<br />
Architekturkritik schreibt er über das Biologicum, Biotechnikum und Biozentrum, über das Max-Planck-Institut<br />
und die We<strong>in</strong>berg Mensa. Zwischen stürzen<strong>den</strong> L<strong>in</strong>ien und Stahlblech f<strong>in</strong>det er Spuren von Bauhaus,<br />
DDR-Moderne und der „architecture brut“.<br />
Max-Planck-Institut für<br />
Mikrostrukturphysik<br />
(Foto: M. Deutsch)<br />
Im ersten Teil se<strong>in</strong>er Architekturkritik<br />
schreibt Günter<br />
Kowa über die Ursprünge des<br />
We<strong>in</strong>berg Campus und plädiert<br />
„wider das Symmetrie-<br />
Diktat“:<br />
WEBCODE MAG� 14465<br />
QR� CODE<br />
Das Biotechnikum und das Max-Planck-Institut für<br />
Mikrostrukturphysik s<strong>in</strong>d bei weitem die ehrgeizigsten<br />
der technoid auftrumpfen<strong>den</strong> Bauten der<br />
neunziger Jahre auf dem We<strong>in</strong>berg-Campus. Doch<br />
sie führen auch tief <strong>in</strong> die Anfänge von dessen Architekturgeschichte<br />
zurück.<br />
So knüpft Richard Pentlehner mit se<strong>in</strong>em Neubau<br />
von 1995 bis 1999 für das Max-Planck-Institut<br />
nicht nur an die dekonstruktivistische Ader se<strong>in</strong>es<br />
Stuttgarter Lehrers Günter Behnisch an, sondern<br />
er schlägt auch buchstäblich die Brücke zu e<strong>in</strong>em<br />
Gebäude, das mit dem Namen Franz Ehrlich (1907-<br />
1984) verbun<strong>den</strong> ist. Der <strong>in</strong> der DDR zu Ehren<br />
gekommene Bauhaus-Schüler gilt als Ideengeber<br />
für das Gebäude des vormaligen Instituts für Elektronenmikroskopie<br />
von 1961, an das Pentlehners<br />
Neubau nun andockt.<br />
E<strong>in</strong>ziger s<strong>in</strong>nlicher Reiz <strong>in</strong> Ehrlichs schlichtem Bau ist<br />
die leichtfüßig geschwungene Freitreppe im Foyer.<br />
Dieses <strong>in</strong> Ost wie West zeittypische Architekturelement<br />
zählt aber auch Treppenhäuser wie das von<br />
Sagebiel im Kas<strong>in</strong>obau zu se<strong>in</strong>en Ahnen (1937, siehe<br />
Teil I <strong>in</strong> Heft 3/2012), übertragen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e moderate<br />
Moderne. Pentlehner macht im Foyer se<strong>in</strong>es Max-<br />
Planck-Flügels daraus e<strong>in</strong>e im Raum schwebende<br />
Glas- und Stahlkonstruktion. Innen von konventioneller<br />
Bürostruktur, spielt der geschwungene Riegelbau<br />
außen <strong>in</strong> Behnisch-Manier mit stürzen<strong>den</strong><br />
L<strong>in</strong>ien und e<strong>in</strong>er auf „arm“ getrimmten Optik von<br />
Stahlblech und Sperrholz.<br />
Ehrlich brach mit der stal<strong>in</strong>istischen Phase der<br />
DDR-Nachkriegsarchitektur. Deren Kapriolen s<strong>in</strong>d<br />
am Chemischen Institut zu Ste<strong>in</strong> gewor<strong>den</strong>. An<br />
diesem Bau setzt der hallesche Architekt Wolfgang<br />
Fraustadt 1952 bis 1955 die Berl<strong>in</strong>er Vorgaben der<br />
„Nationalen Tradition“ um, verkörpert etwa von der<br />
Stal<strong>in</strong>-Allee oder dem Wiederaufbau Magdeburgs.<br />
Doch 1965 fügt Fraustadt das Pharmazeutische<br />
Institut als Querriegel an – nun <strong>in</strong> re<strong>in</strong>ster DDR-<br />
Moderne. Der Bruch geht auch durch die Kunst<br />
am Bau: historisierendes Mosaik im Foyer der Chemie,<br />
geometrische Abstraktion am Schaugiebel der<br />
Pharmazie, die im Foyer zeittypische Details wie die<br />
kelchförmigen, <strong>in</strong> Mess<strong>in</strong>g gefassten Deckenlampen<br />
wahrt.<br />
Von der Mensa gegenüber, e<strong>in</strong>em Flachbau des<br />
Dresdner Architekten Ulf Zimmermann von 1972<br />
bis 1974, haben hallesche Projektierungsbüros nach<br />
dem Umbau 1998 bis 2005 dagegen kaum mehr<br />
als die Form übrig gelassen. Wo Zimmermann <strong>den</strong><br />
aufgesockelten Quader <strong>in</strong> Waschbeton ausführte<br />
und mit e<strong>in</strong>em Fensterband sowie Stahlprofilen<br />
gliederte, lassen sie seltsamerweise Spiegel über die<br />
glatt weiß verputzte Fläche tanzen. Zimmermanns<br />
Mensa war baugleich mit fünf anderen, die er zwischen<br />
1968 und 1977 mit jeweils abgewandelter<br />
Ausstattung baute. Orig<strong>in</strong>al erhalten ist nur die <strong>in</strong><br />
Dres<strong>den</strong>. Letztlich an Mies van der Rohe und Le<br />
Corbusier geschult, bezeugten sie <strong>den</strong> Drang der<br />
DDR, zur Moderne aufzuschließen.<br />
In ihrer Endzeit baute die DDR unter anderem im<br />
Rückgriff auf die „Architecture brut“ der siebziger<br />
Jahre, so am Institutskomplex am Hohen Weg 8 und<br />
am Biotechnikum am We<strong>in</strong>bergweg. Horst Letzel<br />
und das „Wohnungsbaukomb<strong>in</strong>at Halle“ wer<strong>den</strong><br />
als Urheber dieser riegelförmigen, horizontal gegliederten<br />
Hochbauten genannt. Baugebun<strong>den</strong>e<br />
Kunst heftet ihnen e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Thematik<br />
an. Als Schlaglichter auf die Vorwendezeit s<strong>in</strong>d<br />
im Haus Hoher Weg 8 Uwe Pfeifers allegorisches<br />
Wandbild und im Foyer die Glaswand von „Burg“-<br />
Glasgestalter Rüdiger Re<strong>in</strong>er von Interesse. Am<br />
We<strong>in</strong>bergweg setzt Jürgen Kunz’ Umbau des straßenseitigen<br />
Laborflügels von 1998 „organismische
Assoziationen“ frei (Brülls, siehe Teil I): Walfischartig<br />
ist das aufgestockte Technikgeschoss überwölbt, die<br />
Fassa<strong>den</strong> s<strong>in</strong>d mit lamellenartigen Sonnenblen<strong>den</strong><br />
„geschuppt“.<br />
E<strong>in</strong> Hauch von Pompeji<br />
Zur Synthese von spezialisierter Funktion und architektonisch-städtebaulich<br />
überzeugender Gestalt<br />
kommt es eigentlich nur am Biologicum. Im Kontrast<br />
mit dem gegenüberliegen<strong>den</strong> „Biozentrum“, e<strong>in</strong>em<br />
1998 eröffneten Ableger des Technologie- und<br />
Gründerzentrums, wird das umso deutlicher. Schon<br />
dessen Zentrale an der Straßenecke gegenüber fand<br />
<strong>in</strong> architektonischer Haltung nicht über e<strong>in</strong> übergroßes<br />
Vorstadt-Siedlerhaus h<strong>in</strong>aus. Das Biozentrum<br />
trumpft mit Halb- und Vollsäulen postmodern auf,<br />
der Eckturm wird aufgebläht und der funktional<br />
s<strong>in</strong>nfreie Innenhof mit Glas überwölbt, während e<strong>in</strong><br />
keramisches „Genband“ ihn ebenso bedeutungsschwanger<br />
wie kunsthandwerklich <strong>in</strong>szeniert.<br />
Beim Backste<strong>in</strong>-Doppelbau des Biologicums von<br />
1999, e<strong>in</strong>em Entwurf des Kölner Architekten Jürgen<br />
Kisters für die Institute der Genetik sowie der Pflanzen-<br />
und Zellphysiologie, wirken die strenge Würfelform,<br />
die klare Gliederung und der überlegte E<strong>in</strong>satz<br />
von Backste<strong>in</strong> und Beton souverän und beherrscht.<br />
Ausstülpungen an <strong>den</strong> Fenstern und prismatisch<br />
geformte W<strong>in</strong>dfänge an <strong>den</strong> Seitenfronten beleben<br />
<strong>den</strong> modernistischen Purismus mit expressionistischen<br />
Anklängen. Der glasüberdachte Innenhof<br />
trägt die Materialität des Äußeren nach <strong>in</strong>nen und<br />
erschließt sich als kommunikativer Raum beider Institute.<br />
Die künstlerische Thematik entwickelt sich<br />
organisch aus der holzverkleideten Innengestaltung<br />
und dem Wasserbecken <strong>in</strong> der Mitte. E<strong>in</strong> Hauch von<br />
Pompeji erfüllt <strong>den</strong> akademischen Alltag, Sitzstufen<br />
la<strong>den</strong> zum Verweilen e<strong>in</strong>. Der idyllische Geist von<br />
Hoffmanns We<strong>in</strong>berg-Schlösschen f<strong>in</strong>det hier e<strong>in</strong>e<br />
demokratische Entsprechung. Günter Kowa<br />
Der Innenhof des Biozentrums,<br />
mit keramischem „Genband“<br />
kunsthandwerklich <strong>in</strong>szeniert.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
scientia halensis 4/2012 varia<br />
19
20 studieren, lehren, leben scientia halensis 4/2012<br />
studieren, lehren, leben<br />
„Die Welt wird kle<strong>in</strong>er<br />
mit IAESTE“<br />
Praktika im Ausland vermitteln nicht nur wichtige E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Berufsleben. Sie erweitern <strong>den</strong> Blick auf die<br />
Welt. Um Studieren<strong>den</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternationalen Austausch zu erleichtern, vermittelt die Organisation IAESTE<br />
Fachpraktika auf der ganzen Welt. Studierende aller naturwissenschaftlichen und technischen Fächer können<br />
sich bewerben. Neben „Outgoern“ wie Dorit Bennmann, die <strong>in</strong> Ghana gearbeitet hat, wer<strong>den</strong> auch „Incomern“<br />
wie Michael A<strong>in</strong>oo, der aus Ghana nach Halle gekommen ist, Praktika <strong>in</strong> Deutschland vermittelt.<br />
H<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er grauen Stahltür <strong>in</strong> der Ludwig-Wucherer-Straße<br />
versteckt sich der E<strong>in</strong>gang zum Büro<br />
des IAESTE-Lokalkomitees Halle. H<strong>in</strong>ter der Abkürzung<br />
steckt die „International Association for the<br />
Exchange of Stu<strong>den</strong>ts for Technical Experience“.<br />
Um e<strong>in</strong>en großen Tisch versammeln sich Betreuer<br />
der Organisation sowie junge Leute aus Ghana,<br />
Tschechien und F<strong>in</strong>nland. Der Raum füllt sich mit<br />
lauten Gesprächen <strong>in</strong> englischer Sprache. E<strong>in</strong>mal<br />
wöchentlich treffen sie sich hier, um sich vertraut<br />
zu machen oder um Organisatorisches und Probleme<br />
zu besprechen. Wer e<strong>in</strong> Fahrrad oder Haus-
haltsgeräte braucht, kann sich diese hier ausleihen.<br />
Michael A<strong>in</strong>oo sitzt auf e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gesunkenen Couch<br />
und unterhält sich angeregt mit e<strong>in</strong>em Freund. Der<br />
Geographiestu<strong>den</strong>t aus Ghana wohnt seit Mitte Juni<br />
<strong>in</strong> Halle. „Ich b<strong>in</strong> froh, dass die Bewerbung für me<strong>in</strong><br />
Wunschpraktikum am We<strong>in</strong>berg Campus erfolgreich<br />
war“, sagt er. Bei IAESTE bewerben sich die Studieren<strong>den</strong><br />
nämlich nicht auf e<strong>in</strong> ganz bestimmtes Praktikum.<br />
Stattdessen geben sie e<strong>in</strong>e Vorbewerbung<br />
ab, die <strong>in</strong> <strong>den</strong> Bewerberpool aufgenommen wird.<br />
Da die Praktika <strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong> <strong>den</strong> Sommermonaten<br />
absolviert wer<strong>den</strong>, muss die Vorbewerbung bis<br />
zum 30. November abgeschickt wer<strong>den</strong>. Im Januar<br />
bekommen die Studieren<strong>den</strong> e<strong>in</strong>e Liste mit Praktikumsangeboten,<br />
aus <strong>den</strong>en sie fünf Plätze wählen<br />
können. Diese s<strong>in</strong>d abhängig von Länderwünschen,<br />
angegebenem Zeitraum oder Qualifikationen des<br />
Interessenten. Welches der Praktika dann vermittelt<br />
wird, kann der Bewerber nicht bee<strong>in</strong>flussen.<br />
Michael A<strong>in</strong>oo arbeitet während se<strong>in</strong>es Praktikums<br />
bei Prof. Dr. Cornelia Gläßer im Fachgebiet Geofernerkundung<br />
und thematische Kartographie. Mit der<br />
speziellen Software ArcGis wertet er verschie<strong>den</strong>e<br />
Daten aus, um Gold <strong>in</strong> Ghana zu lokalisieren. Die<br />
Daten wer<strong>den</strong> auf e<strong>in</strong>er Karte zusammengefügt, um<br />
zu zeigen, wo <strong>in</strong> Ghana nach Gold gegraben wird und<br />
wie sich die M<strong>in</strong>en fortbewegen. „Mit der Software<br />
zu arbeiten, ist wirklich e<strong>in</strong>e gute Erfahrung. Nach<br />
me<strong>in</strong>em Studium möchte ich gern für e<strong>in</strong>e Bergbaufirma<br />
arbeiten. Das Praktikum hilft mir jetzt sehr,<br />
me<strong>in</strong>e Fähigkeiten zu verbessern“, sagt er.<br />
Während Michael A<strong>in</strong>oo sich <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>lebt,<br />
erkundet Dorit Bennmann aus Halle das<br />
Heimatland von Michael A<strong>in</strong>oo. „Ghana war me<strong>in</strong><br />
Wunschland, ich wollte unbed<strong>in</strong>gt Afrika kennenlernen“,<br />
schwärmt die Diplombiochemiker<strong>in</strong> aus<br />
Halle. Neun Wochen arbeitet sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Labor im<br />
„Medical Diagnostic Center“ <strong>in</strong> Effiduase. Nach nur<br />
drei Tagen E<strong>in</strong>arbeitungszeit wurde sie als vollwertige<br />
Arbeitskraft e<strong>in</strong>gesetzt. „Zu me<strong>in</strong>en täglichen<br />
Aufgaben gehören Patientenaufnahme, Probenentnahme<br />
verschie<strong>den</strong>ster Körperflüssigkeiten und<br />
Probenuntersuchungen auf Erkrankungen, die<br />
typisch für tropische Länder s<strong>in</strong>d.“<br />
Um <strong>den</strong> Patienten anschließend die Ergebnisse mitzuteilen<br />
und Behandlungen vorzuschlagen, hat sich<br />
Dorit auch mit der lokalen Muttersprache ause<strong>in</strong>andergesetzt.<br />
Amtssprache <strong>in</strong> Ghana ist eigentlich<br />
Englisch, „aber das braucht man <strong>den</strong> alten Dorfbewohnern<br />
nicht erzählen. Da muss man sich schon<br />
scientia halensis 4/2012 studieren, lehren, leben<br />
anpassen. Gerade wenn man Patienten nach ihren<br />
Problemen fragen möchte.“<br />
Wenn Dorit Bennmann nicht <strong>in</strong> Effiduase oder <strong>den</strong><br />
umliegen<strong>den</strong> Dörfern arbeitet, ist sie im ganzen<br />
Land unterwegs. „E<strong>in</strong> Tipp, <strong>den</strong> ich jedem geben<br />
kann: reisen, reisen, reisen! Die Natur ist unglaublich.“<br />
Obwohl Wasser oder Strom mehrmals<br />
wöchentlich ausfallen, bleibt Dorit gelassen. „Das<br />
gehört zum täglichen Leben. Wenn man plötzlich<br />
im Dunkeln sitzt, wird e<strong>in</strong>fach weitergeredet.“ Untergebracht<br />
ist die Hallenser<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wohnheim<br />
<strong>in</strong> Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas. Neben<br />
anderen IAESTE-Praktikanten wohnen dort vorrangig<br />
e<strong>in</strong>heimische Stu<strong>den</strong>ten. „Das war genau das<br />
Richtige, um nicht nur e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> <strong>den</strong> ghanaischen<br />
Alltag zu bekommen, sondern auch um<br />
sich zu <strong>in</strong>tegrieren.“<br />
„E<strong>in</strong> unvergessliches Erlebnis“<br />
Um e<strong>in</strong>e Unterkunft musste sie sich nicht selbst<br />
kümmern. Denn das übernimmt das jeweilige Lokalkomitee.<br />
Als Michael A<strong>in</strong>oo <strong>in</strong> Halle ankam,<br />
wurde er wie üblich bei IAESTE von zwei Betreuern<br />
abgeholt und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Unterkunft gebracht.<br />
E<strong>in</strong> Zimmer <strong>in</strong> der Sportlervere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> der Nähe<br />
der Universitäts- und Landesbibliothek wurde se<strong>in</strong><br />
neues Zuhause. „Gleich am ersten Tag wurde ich<br />
von <strong>den</strong> Deutschen e<strong>in</strong>gela<strong>den</strong>, im Hof die Fußball-<br />
Europameisterschaft zu verfolgen. Ich wurde gut<br />
aufgenommen und habe mich sehr wohl gefühlt.“<br />
Trotz der vielen Kontakte zu Deutschen nimmt der<br />
Ghanaer auch an organisierten Fahrten von IAES-<br />
TE teil. So kam er nach Jena, Erfurt, Weimar oder<br />
München. „Als ich am Hauptbahnhof <strong>in</strong> München<br />
ankam, wurde ich gleich von Polizisten nach me<strong>in</strong>en<br />
Papieren gefragt.“ Er nahm es gelassen. „Ich f<strong>in</strong>de<br />
es gut, dass kontrolliert wird, ob sich jemand illegal<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land aufhält.“<br />
Nicht nur um <strong>den</strong> Studieren<strong>den</strong> das fremde Land näher<br />
zu br<strong>in</strong>gen, sondern auch gegen mögliche Langeweile<br />
bieten die Lokalkomitees Verschie<strong>den</strong>es an.<br />
„Ich war bereits <strong>in</strong> Ed<strong>in</strong>burgh und Stirl<strong>in</strong>g. Und <strong>in</strong> der<br />
Woche s<strong>in</strong>d besondere Abende geplant, wie Kneipentouren<br />
oder Besuche im Comedyclub“, erzählt<br />
Nicole Schwarzer, die <strong>in</strong> Halle „International Area<br />
Studies“ am Institut für Geowissenschaften studiert.<br />
Während ihres sechswöchigen Praktikums an der<br />
schottischen University of Glasgow untersucht sie<br />
Bild l<strong>in</strong>ks: „Ghana war<br />
me<strong>in</strong> Wunschland, ich wollte<br />
unbed<strong>in</strong>gt Afrika kennenlernen“,<br />
sagt Dorit Bennmann.<br />
Neun Wochen hat sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Labor <strong>in</strong> Effiduase gearbeitet.<br />
Mit e<strong>in</strong>er Trommel als<br />
Souvenir ist sie <strong>in</strong>zwischen<br />
nach Halle zurückgekehrt.<br />
(Foto: Michael Deutsch)<br />
IAESTE Halle trifft<br />
sich immer dienstags ab<br />
20 Uhr <strong>in</strong> der Ludwig-<br />
Wucherer-Straße 81.<br />
Mehr unter:<br />
www.iaeste-halle.de<br />
21
22 studieren, lehren, leben scientia halensis 4/2012<br />
Manchmal klappt es auch<br />
ohne IAESTE: Tim Rödel<br />
hat es für se<strong>in</strong> Praktikum<br />
nach Grönland verschlagen.<br />
Über Eisbären, Helikopterflüge<br />
und se<strong>in</strong>e Arbeit <strong>in</strong> der<br />
Arktis berichtet der Geo-Stu<strong>den</strong>t<br />
im Onl<strong>in</strong>emagaz<strong>in</strong>:<br />
WEBCODE MAG� 14602<br />
QR� CODE<br />
Burgstraße 6 | 06114 Halle (Saale)<br />
Tel 0345 68454394<br />
Montag — Freitag 10.00 — 18.30 Uhr<br />
Samstag 10.00 — 13.00 Uhr<br />
Alter Markt 1 —2 | 06108 Halle (Saale)<br />
Telefon 0345 1212491<br />
Montag — Freitag 10.00 — 19.00 Uhr<br />
Samstag 10.00 — 13.00 Uhr<br />
<strong>in</strong>fo@surfi n-bikeout.de<br />
www.surfi n-bikeout.de<br />
zurzeit <strong>den</strong> Zerfall von historischen Sandste<strong>in</strong>fassa<strong>den</strong><br />
<strong>in</strong> Glasgow und Umgebung. „Me<strong>in</strong> Arbeitgeber<br />
ist darauf bedacht, das Praktikum so anschaulich<br />
wie möglich zu machen“, sagt Nicole Schwarzer. „Es<br />
ist e<strong>in</strong> unvergessliches Erlebnis.“<br />
Vorteil e<strong>in</strong>es IAESTE-Praktikums ist nicht nur die <strong>in</strong>tensive<br />
Betreuung bei der Vorbereitung und Durchführung<br />
des Praktikums, sondern auch, dass die<br />
Praktika <strong>in</strong> der Regel bezahlt wer<strong>den</strong>. Der Verdienst<br />
richtet sich dabei nach <strong>den</strong> landestypischen Lebenshaltungskosten.<br />
E<strong>in</strong>e Fahrtkostenpauschale für<br />
Reisen <strong>in</strong> außereuropäische Länder kann beantragt<br />
wer<strong>den</strong>. „Die Praktikumsplätze wer<strong>den</strong> regelmäßig<br />
von IAESTE e<strong>in</strong>geworben“, sagt Anne F<strong>in</strong>ck, ehrenamtliche<br />
Mitarbeiter<strong>in</strong> des Lokalkomitees Halle. Die<br />
meisten Stellen wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> Universitäten angeboten,<br />
aber e<strong>in</strong>ige Praktika wer<strong>den</strong> auch von Firmen<br />
Korrektur<br />
vergeben. Im Idealfall f<strong>in</strong>anziert die jeweilige Firma<br />
das Praktikum. Wird es von der Universität angeboten,<br />
wer<strong>den</strong> die Kosten vom DAAD, dem Deutschen<br />
Akademischen Austauschdienst, getragen.<br />
Da Nicole Schwarzer selbst seit Mai 2011 bei IA-<br />
ESTE arbeitet, hat sie bereits <strong>in</strong> Deutschland viel<br />
über andere Kulturen gelernt. „Der Austausch mit<br />
<strong>den</strong> <strong>in</strong>ternationalen Studieren<strong>den</strong> ist e<strong>in</strong>e große<br />
Bereicherung für mich. Man knüpft Kontakte auf<br />
der ganzen Welt. Die Welt wird kle<strong>in</strong>er mit IAESTE.“<br />
Um <strong>den</strong> ausländischen Studieren<strong>den</strong> weiterh<strong>in</strong> die<br />
<strong>in</strong>tensive Betreuung zu gewährleisten, sucht das<br />
Lokalkommitee Halle weitere engagierte Mitarbeiter.<br />
„Ich b<strong>in</strong> seit drei Jahren dabei. Schön ist, dass<br />
man viele englische Dialekte kennenlernt“, so Anne<br />
F<strong>in</strong>ck. „Wer Lust auf <strong>in</strong>teressante Menschen hat, ist<br />
bei uns gern gesehen.“ Maria Preußmann<br />
In dem Text „Per Tandem über Sprachbarrieren“ (scientia halensis 3/2012) s<strong>in</strong>d der Redaktion leider<br />
Fehler unterlaufen. Richtig ist: Der erste Sprachtandem-Abend wurde vom Internationalen Büro<br />
<strong>in</strong> der Evangelischen Studieren<strong>den</strong>geme<strong>in</strong>de durchgeführt und von 50 Interessierten besucht. Die<br />
Webseite www.contactus.uni-halle.de wird ab dem W<strong>in</strong>tersemester als Anmeldeportal für Tandempartner<br />
und als „Schwarzes Brett“ für Angebote und Gesuche (z.B. zum Thema Wohnung) dienen. cb<br />
Wir reparieren (fast) alles!
scientia halensis 4/2012 studieren, lehren, leben<br />
Promovieren<strong>den</strong><strong>in</strong>itiative: „Wir wollen Promovieren<strong>den</strong> e<strong>in</strong>e Stimme geben“<br />
Die Promovieren<strong>den</strong>-Initiative Halle erregt zunehmend<br />
Aufmerksamkeit an der Universität. Ihr Sprecher<br />
Frank Urs<strong>in</strong>, der im Fachgebiet Alte Geschichte<br />
promoviert, sagt: „An der MLU gibt es derzeit<br />
ke<strong>in</strong>e Promovieren<strong>den</strong>vertretung, die sich unserer<br />
Belange annimmt und unsere Positionen <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
unterschiedlichen Gremien der Universität vertritt.<br />
Doktoran<strong>den</strong> der MLU haben sich deshalb im November<br />
2011 zur Promovieren<strong>den</strong>-Initiative Halle<br />
zusammengeschlossen.“ Ihre Mitglieder aus <strong>den</strong><br />
Geistes-, Sozial-, Ingenieur- und Naturwissenschaften<br />
promovieren <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb von<br />
strukturierten Graduiertenstudiengängen.<br />
„Wir wollen die Situation der Promovieren<strong>den</strong> verbessern<br />
und ihnen e<strong>in</strong>e Stimme geben. Unser Ziel<br />
ist die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Promovieren<strong>den</strong>rats. Er<br />
soll der Information, der Me<strong>in</strong>ungs- und Willensbildung<br />
und als Interessenvertretung der Promovieren<strong>den</strong><br />
<strong>in</strong> der Universität und gegenüber dem Land<br />
dienen“, erklärt Urs<strong>in</strong>. Dazu hat die Initiative e<strong>in</strong><br />
Positionspapier erarbeitet, das auf der Internetseite<br />
der Internationalen Graduiertenakademie (InGra)<br />
nachzulesen ist. Im Rahmen der Hochschulwahlen<br />
strebt die Initiative e<strong>in</strong>e demokratische Legitimation<br />
und somit universitäres Mitspracherecht an.<br />
Dafür müssten die Promovieren<strong>den</strong> langfristig im<br />
Landeshochschulgesetz und <strong>in</strong> der Grundordnung<br />
der MLU als Statusgruppe anerkannt wer<strong>den</strong>. Am<br />
zweiten Promovieren<strong>den</strong>tag im Juli, der sich <strong>in</strong>sbe-<br />
sondere der Promotionskultur an der Uni widmete,<br />
brachte die Initiative e<strong>in</strong> wichtiges Anliegen auf <strong>den</strong><br />
Weg: Betreuungsvere<strong>in</strong>barungen sollten obligatorisch<br />
wer<strong>den</strong>, aber ihr Inhalt frei gestaltbar se<strong>in</strong>.<br />
Es geht weniger um <strong>den</strong> bürokratischen Akt der<br />
Unterzeichnung e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>barung, sondern mehr<br />
um das Bewusstse<strong>in</strong> für das geme<strong>in</strong>same Vorhaben<br />
– die Partnerschaft, die Betreuer und Promovend<br />
mite<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>gehen. „Bis Mitte des nächsten<br />
Jahres könnten die entsprechen<strong>den</strong> Vorlagen <strong>den</strong><br />
Weg durch die Gremien und <strong>in</strong> die Promotionsordnungen<br />
genommen haben“, so die Prorektor<strong>in</strong><br />
Ges<strong>in</strong>e Foljanty-Jost. Ute Olbertz<br />
Frank Urs<strong>in</strong>, Sprecher der<br />
Promovieren<strong>den</strong>-Initiative<br />
Halle (Foto: Ute Olbertz)<br />
Das Positionspapier der<br />
Initiative: www.<strong>in</strong>gra.<br />
uni-halle.de/phd_stu<strong>den</strong>t_<br />
<strong>in</strong>itiative_halle<br />
Mehr zur Initiative:<br />
WEBCODE MAG� 14541<br />
QR� CODE<br />
23
24 studieren, lehren, leben scientia halensis 4/2012<br />
Das Date mit Duke<br />
Sie kam 1999 an die Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität und arbeitet <strong>in</strong> der Nachbarschaft von mehr als 12.000<br />
Pflanzen aus der ganzen Welt. Isabell Hensen fühlt sich wohl <strong>in</strong> ihrem Büro am Kirchtor, <strong>in</strong> <strong>den</strong> Gewächshäusern<br />
des Botanischen Gartens, auf Reisen <strong>in</strong> tropische Bergwälder. Aber die Professor<strong>in</strong> für Pflanzenökologie<br />
hat noch e<strong>in</strong>e Lei<strong>den</strong>schaft, die nichts mit Pflanzenblättern zu tun hat. Sondern mit Notenblättern. Sie spielt<br />
Querflöte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Band, die ihren Namen trägt.<br />
Bild rechts:<br />
„Diese Musik macht e<strong>in</strong>fach<br />
Spaß.“ Isabell Hensen mit<br />
ihrer Querflöte im großen<br />
Gewächshaus des Botanischen<br />
Gartens.<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
Die „Hensen Bigband“ beim<br />
Festival „Leipzig macht<br />
Musik“ (YouTube):<br />
QR� CODE<br />
Wenn Isabell Hensen an e<strong>in</strong>em Dienstagmorgen<br />
pfeifend und s<strong>in</strong>gend ihr Büro ansteuert, lächeln<br />
viele Kollegen wissend. Ihr Date mit Duke Ell<strong>in</strong>gton<br />
hat sich herumgesprochen.<br />
Montag ist Jazz-Tag. Statt Pflanzen hat die 52-Jährige<br />
dann Noten im Blick bei der abendlichen Probe <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Leipziger Musikschule. E<strong>in</strong>e bunt gemischte<br />
Truppe trifft sich dort. E<strong>in</strong>e Architekt<strong>in</strong> ist<br />
dabei, e<strong>in</strong> Baumkletterer, e<strong>in</strong> Ingenieur, e<strong>in</strong>e Ärzt<strong>in</strong><br />
und e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dergärtner<strong>in</strong>. Zwischen 28 und 56 Jahre<br />
s<strong>in</strong>d die Musiker alt. Zusammen bil<strong>den</strong> sie die „Hensen<br />
Bigband“. Für <strong>den</strong> Namen könne sie nichts, betont<br />
Isabell Hensen, die die 2008 gegründete Band<br />
als e<strong>in</strong>geschworenen Freundeskreis beschreibt. „13<br />
der 15 Bandmitglieder haben sich dafür ausgesprochen.<br />
Me<strong>in</strong> Mann und ich waren überstimmt.“<br />
Die geschäftsführende Direktor<strong>in</strong> des Instituts für<br />
Biologie spielt Querflöte. Als Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> <strong>in</strong> Ol<strong>den</strong>burg<br />
hat sie sich <strong>in</strong> <strong>den</strong> 1980er Jahren ihr erstes Exemplar<br />
gekauft. „Nur Geld für Unterricht hatte ich nicht.“<br />
2005 lag dann e<strong>in</strong> Gutsche<strong>in</strong> ihres Mannes unterm<br />
Weihnachtsbaum. „Er schenkte mir fünf Querflötenstun<strong>den</strong>.<br />
So ist das Ganze <strong>in</strong>s Rollen gekommen.“<br />
Perfekt sei sie noch immer nicht. „E<strong>in</strong>en schönen<br />
Ton rauszukriegen, ist richtig schwer – da b<strong>in</strong> ich mit<br />
mir oft auch heute noch e<strong>in</strong> bisschen unzufrie<strong>den</strong>.“<br />
Zeit zum Üben sei viel zu selten. „Aber wenn ich<br />
abends nach Hause komme, sitzt me<strong>in</strong> Mann oft<br />
schon am Klavier und spielt, dann geselle ich mich<br />
dazu.“ Auf ihre Forschungsreisen <strong>in</strong> tropische Bergwälder<br />
Boliviens oder neuerd<strong>in</strong>gs auch <strong>in</strong> die südwestsibirische<br />
Kulundasteppe nimmt Isabell Hensen<br />
ihre Querflöte <strong>in</strong> der Regel nicht mit. „In La Paz<br />
hatte ich sie e<strong>in</strong>mal dabei, habe dort bei Freun<strong>den</strong><br />
übernachtet. Aber an Proben war kaum zu <strong>den</strong>ken<br />
– das Haus war ganz schön hellhörig.“<br />
Das Musizieren sei der perfekte Ausgleich für <strong>den</strong><br />
Uni-Alltag, sagt die Pflanzenökolog<strong>in</strong>. Noch besser<br />
als Radfahren und Wandern. Allerd<strong>in</strong>gs stelle<br />
sich bei Auftritten e<strong>in</strong>e besondere Anspannung<br />
e<strong>in</strong>. Vor dem alljährlichen Weihnachtskonzert auf<br />
der kle<strong>in</strong>en Bühne im Leipziger Café Schiller sei ihr<br />
Lampenfieber groß. „Ich kann mich besser vor 300<br />
Studierende stellen und e<strong>in</strong>en Vortrag halten, obwohl<br />
beim Weihnachtskonzert nur Freunde und<br />
Familienmitglieder kommen.“ Immerh<strong>in</strong> hat die<br />
„Hensen Bigband“ <strong>in</strong>zwischen auch schon e<strong>in</strong>ige<br />
öffentliche Auftritte absolviert, so bei der Eröffnung<br />
der Leipziger Notenspur im Frühjahr.<br />
Anlässlich des 50. Geburtstags der Professor<strong>in</strong><br />
spielte die Band für Kollegen und Studierende im<br />
Botanischen Garten. „Alle waren begeistert“, er<strong>in</strong>nert<br />
sich Hensen. „Ke<strong>in</strong> Wunder, diese Musik<br />
macht e<strong>in</strong>fach Spaß.“ Als Beweis schickt sie wenige<br />
Tage nach unserem Gespräch e<strong>in</strong>e DVD vom Weihnachtskonzert<br />
2011. Dem Sog des Bigband-Sounds<br />
kann man sich <strong>in</strong> der Tat kaum entziehen, sobald die<br />
ersten Takte erkl<strong>in</strong>gen. Es ist der „C-Jam-Blues“, mit<br />
dem die Band das Konzert begann. So e<strong>in</strong> Date mit<br />
Duke Ell<strong>in</strong>gton zaubert e<strong>in</strong>em gleich e<strong>in</strong> Lächeln <strong>in</strong>s<br />
Gesicht. Carsten Heckmann<br />
Kontakt: Prof. Dr. Isabell Hensen<br />
Lehrstuhl für Pflanzenökologie<br />
Telefon: 0345 55 26210<br />
E-Mail: isabell.hensen@botanik.uni-halle.de
scientia halensis 4/2012 studieren, lehren, leben<br />
25
26 studieren, lehren, leben scientia halensis 4/2012<br />
Tanz um Freiheit:<br />
E<strong>in</strong> Bild und se<strong>in</strong>e Geschichte<br />
Die monochrome, sehr ausdrucksstarke Aufnahme, mit der Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> Ina Müller beim diesjährigen Fotowettbewerb<br />
der ostdeutschen Stu<strong>den</strong>tenwerke zum Thema „Begegnungen“ <strong>den</strong> dritten Platz <strong>in</strong> der Kategorie E<strong>in</strong>zelbild<br />
belegte, zeigt e<strong>in</strong>e junge Frau im Rollstuhl, die geme<strong>in</strong>sam mit e<strong>in</strong>er anderen jungen Frau tanzt – vor<br />
allem mit Armen und Hän<strong>den</strong>. Das Foto mit dem Titel „u can't touch this“ ist das Abbild e<strong>in</strong>es Befreiungsakts.<br />
Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> Ina Müller (Foto:<br />
Melanie Zimmermann)<br />
Die im Rollstuhl tanzende Anna Müller, die zur Zeit<br />
der Aufnahme <strong>in</strong> Leipzig Soziologie, Psychologie und<br />
Betriebswirtschaftslehre studierte, ist e<strong>in</strong>e von fünf<br />
teils schwerbeh<strong>in</strong>derten Rollstuhlfahrer<strong>in</strong>nen und<br />
-fahrern, die sich geme<strong>in</strong>sam mit vier Tänzer<strong>in</strong>nen<br />
aus Leipzig zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegrativen Tanzprojekt zusammengefun<strong>den</strong><br />
hatten. „Der Titel des Fotos ist<br />
der Name der Tanzgruppe, die zu MC Hammers Hit<br />
„U Can't Touch This“ von 1990 zu tanzen begonnen<br />
hat“, erklärt Ina Müller. Das Tanzen gebe ihnen Mut,<br />
helfe ihnen die Angst zu überw<strong>in</strong><strong>den</strong>, mit ihren Beh<strong>in</strong>derungen<br />
nicht akzeptiert zu wer<strong>den</strong>. „Der Name<br />
der Gruppe ist e<strong>in</strong>e Form fröhlicher Selbstironie.“<br />
Vor über dreie<strong>in</strong>halb Jahren begann Ina Müller<br />
während ihres Amerikanistik-Studiums <strong>in</strong> Leipzig<br />
mit digitaler Spiegelreflexkamera die Welt und ihr<br />
Umfeld neu zu erkun<strong>den</strong> und wahrzunehmen. „Etwa<br />
zu dieser Zeit begann me<strong>in</strong> Freund, für die unabhängige<br />
Leipziger Hochschulzeitung „stu<strong>den</strong>t!“ zu<br />
schreiben und schlug vor, ich solle e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>mal<br />
mitkommen“, erzählt die gebürtige Schwanefelder<strong>in</strong>.<br />
„Ich wußte nicht, was ich zu der Zeitung hätte<br />
beitragen können, zufälligerweise suchten sie aber<br />
gerade nach Fotografen.“<br />
So kam es, dass sie die Fotografien zu e<strong>in</strong>em Artikel<br />
über eben jene Tanzperformance „U can't touch<br />
this“ anfertigte („Jeder Körper ist schön“, stu<strong>den</strong>t!,<br />
Januar 2009). „Die Bilder waren e<strong>in</strong>e Auftragsarbeit,<br />
die mir sehr viel Freude bereitet hat“, berichtet die<br />
24-Jährige, die seit 2010 <strong>in</strong> Halle <strong>den</strong> Masterstudiengang<br />
Angloamerikanische Sprache, Literatur und<br />
Kultur besucht. „Die Idee und Performance der Rollstuhltänzer<br />
hat mich sehr bewegt; ich hatte auch<br />
noch e<strong>in</strong>e Zeit lang Kontakt zu Anna.“<br />
Auf die Ausschreibung zum <strong>in</strong>zwischen dritten Fotowettbewerb<br />
der ostdeutschen Stu<strong>den</strong>tenwerke<br />
ist die lei<strong>den</strong>schaftliche Fotograf<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mensa<br />
gestoßen. „Ich hatte noch nie zuvor an e<strong>in</strong>em<br />
Wettbewerb teilgenommen und hätte auch nicht<br />
damit gerechnet, gew<strong>in</strong>nen zu können“, erzählt sie.<br />
„Ich wollte es nur e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>mal ausprobieren, da<br />
ich das zum Thema Begegnungen passende Bild ja
ereits hatte.“ Insgesamt 346 Studierende von 46<br />
Hochschulen sandten ihre Fotos e<strong>in</strong> – e<strong>in</strong> Teilnehmerrekord<br />
<strong>in</strong> der Geschichte des Wettbewerbs. In<br />
der Jury saßen Fotografen, Redakteure, Dozenten<br />
und Stu<strong>den</strong>tenwerksvertreter. Als Müller Ende Juni<br />
die Benachrichtigung bekam, zu <strong>den</strong> Gew<strong>in</strong>nern zu<br />
gehören, war die Überraschung umso größer: „Zu<br />
dem Zeitpunkt hatte ich schon wieder vergessen,<br />
dass ich teilgenommen hatte!“<br />
Welchen Platz sie belegt und was sie gewonnen hatte,<br />
sollte sie wie alle anderen Gew<strong>in</strong>ner erst bei der<br />
Preisverleihung <strong>in</strong> Leipzig erfahren. „Es war schon<br />
e<strong>in</strong> wenig geme<strong>in</strong>, bis zum Ende nichts Genaues<br />
mitgeteilt zu bekommen“, er<strong>in</strong>nert sich die Drittplatzierte.<br />
„Aber natürlich auch umso spannender.“<br />
Der Platz auf dem Siegertreppchen br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> Ina<br />
scientia halensis 4/2012 studieren, lehren, leben<br />
Müllers Fall schließlich nicht nur e<strong>in</strong> Preisgeld, e<strong>in</strong><br />
Buch über Fotografie und e<strong>in</strong> Jahresabo e<strong>in</strong>er Fotografie-Zeitschrift<br />
mit sich, sondern darüber h<strong>in</strong>aus<br />
e<strong>in</strong>en Platz für ihr Foto <strong>in</strong> der Wanderausstellung,<br />
die noch bis e<strong>in</strong>schließlich Februar 2014 durch die<br />
teilnehmen<strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>tenwerke tourt.<br />
Vom 1. März bis zum 26. April 2013 wird man die 50<br />
ausgewählten Fotografien im Stu<strong>den</strong>tenwerk Halle<br />
bestaunen können. Die Gew<strong>in</strong>nerbilder und mehr<br />
Informationen zum Wettbewerb gibt es auch unter<br />
www.fotowettbewerb-stu<strong>den</strong>tenwerke.de.<br />
Melanie Zimmermann<br />
Zwei Mitglieder des Tanzprojekts<br />
„u can’t touch this“ bei<br />
e<strong>in</strong>er Performance. Fotograf<strong>in</strong><br />
Ina Müller belegte mit ihrem<br />
Bild <strong>den</strong> dritten Platz beim<br />
Fotowettbewerb der Stu<strong>den</strong>tenwerke<br />
2012.<br />
Anna Müller und „U can’t<br />
touch this“ <strong>in</strong> Aktion (You-<br />
Tube):<br />
QR� CODE<br />
27
28 forschen und publizieren scientia halensis 4/2012<br />
forschen und publizieren<br />
Anti-Ag<strong>in</strong>g-Bier<br />
und Uromas Vollwertkost<br />
„Iss dich schön, klug und sexy! Mit Erotic Food, Bra<strong>in</strong> Food und Beauty Food zum neuen Ich!?“ lautete der Titel<br />
des Vortrags, <strong>den</strong> Ökotrophologe Dr. Edmund Semler vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften<br />
der MLU bei der diesjährigen Langen Nacht der Wissenschaften vor überfülltem Hörsaal hielt. Wir lechzen<br />
nach e<strong>in</strong>em Mehrwert am Nährwert. Was ist dran am und dr<strong>in</strong> im „functional food“?<br />
Entschei<strong>den</strong>d ist nicht das<br />
Lebensmittel – „entschei<strong>den</strong>d<br />
ist das Ernährungsmuster“,<br />
me<strong>in</strong>t Dr. Edmund Semler.<br />
(Bild: Liddy Hansdottir /<br />
Fotolia)<br />
Bis vor 100 Jahren war die Ernährungswissenschaft<br />
eher mit grundlegen<strong>den</strong> Fragen nach der Deckung<br />
des Prote<strong>in</strong>- und Energiehaushaltes beschäftigt; sie<br />
fragte bis <strong>in</strong> die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts<br />
nach <strong>den</strong> wesentlichen Nahrungsstoffen<br />
und <strong>den</strong> richtigen Mengen. Nach und nach rückte<br />
der potenzielle präventive Nutzen von Nahrung <strong>in</strong>s<br />
Zentrum. „Im 21. Jahrhundert beschäftigt uns die<br />
Frage, wie wir e<strong>in</strong> hohes Alter bei möglichst bester<br />
Gesundheit erreichen können. Wir wollen fit <strong>in</strong> die<br />
Kiste“, erklärt Dr. Semler.<br />
Das hänge unter anderem mit e<strong>in</strong>em extremen<br />
Wandel <strong>in</strong> der Lebensführung zusammen. „E<strong>in</strong>st<br />
waren wir gewohnt, h<strong>in</strong> und wieder zu essen, um<br />
<strong>den</strong> Hunger zu stillen und das Überleben zu sichern,<br />
während man sich viel bewegte. Heute essen wir
ständig und bewegen uns nur h<strong>in</strong> und wieder“, so<br />
der Ernährungswissenschaftler. Wir verlangen nach<br />
e<strong>in</strong>em Zusatznutzen von Nahrungsmitteln: Sie sollen<br />
etwa chronischen Krankheiten vorbeugen und als<br />
„Happy Food“, „Comfort Food“ oder „Mood Food“<br />
unser Wohlbef<strong>in</strong><strong>den</strong> steigern.<br />
Nahrungsmittel, die e<strong>in</strong>en solchen Zusatznutzen<br />
aufweisen, wer<strong>den</strong> auch als „functional foods“<br />
bezeichnet. „Beauty to go“-Quellwasser, „Erotik<br />
Senf“, „Anti-Ag<strong>in</strong>g-Bier“ und pulverförmige „Glücksnahrung“<br />
s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige der unzähligen Produkte,<br />
die uns der Markt als solche anbietet. Was hat es<br />
tatsächlich damit auf sich? „Israel Goldberg def<strong>in</strong>iert<br />
functional food <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em gleichnamigen<br />
Buch als jegliches Lebensmittel, das zusätzlich zu<br />
se<strong>in</strong>em Nährwert e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss auf die<br />
Gesundheit, die physische Leistungsfähigkeit oder<br />
die Gemütsverfassung e<strong>in</strong>es Individuums hat. Damit<br />
kann aber praktisch jedes Nahrungsmittel potenziell<br />
e<strong>in</strong> funktionelles se<strong>in</strong> – ob Kaffee, Tomate oder<br />
Schokolade“, sagt Semler. Was aber macht uns nun<br />
schön, klug und sexy?<br />
„Studien haben gezeigt, dass die Hautoberflächenstruktur<br />
stark mit der Konzentration von Carot<strong>in</strong>oi<strong>den</strong><br />
zusammenhängt, die der Haut darüber h<strong>in</strong>aus<br />
<strong>den</strong> gelblichen Te<strong>in</strong>t geben“, so Semler. Diese Carot<strong>in</strong>oid-Konzentration<br />
sei bei Vegetariern im Durchschnitt<br />
deutlich höher. Wer also regelmäßig Obst<br />
und Gemüse verzehre, erzeuge e<strong>in</strong>en effektiven<br />
Eigenschutz der Haut gegen schädliche Umwelte<strong>in</strong>flüsse<br />
und beuge so der Hautalterung vor. „Zudem<br />
wirkt man gesünder und attraktiver auf andere.“<br />
E<strong>in</strong>e Ernährungsweise, die sich zu großen Teilen aus<br />
frischen pflanzlichen Komponenten zusammensetzt,<br />
ist die mediterrane Ernährung. Sie gilt als präventiv<br />
und therapeutisch wirksam. Dabei spielen aber auch<br />
andere Faktoren e<strong>in</strong>e sicherlich nicht unwichtige<br />
Rolle: „Die Lebensmittel wer<strong>den</strong> frisch zubereitet,<br />
wenig verarbeitet und <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft verzehrt,<br />
und die Menschen leben aktiver und stressärmer<br />
mit Zeiten der Muße“, erklärt Semler. „Der soziale<br />
Aspekt spielt dabei e<strong>in</strong>e besonders große Rolle.“<br />
Ob e<strong>in</strong>e solche Ernährung uns auch klüger macht,<br />
lässt sich schwer sagen. Sie vermag aber wohl der<br />
Alzheimer-Demenz vorzubeugen, wie e<strong>in</strong>e Studie<br />
mit über 2200 Proban<strong>den</strong> mitunter hohen Alters<br />
zeigte. „Je mediterraner die Menschen sich<br />
ernährten, desto ger<strong>in</strong>ger fiel ihr Risiko aus, an<br />
Alzheimer-Demenz zu erkranken.“ In positivem<br />
Verdacht stehen diesbezüglich vor allem Omega-<br />
scientia halensis 4/2012 forschen und publizieren<br />
3-Fettsäuren, die <strong>in</strong> Fisch wie etwa Sardellen oder<br />
Lachs, <strong>in</strong> Walnüssen oder Rapsöl vorkommen. „Stu<strong>den</strong>tenfutter“,<br />
Bananenchips und Brokkoli gelten als<br />
„Bra<strong>in</strong> Food“. Während es als gesichert gilt, dass die<br />
Ernährung aufs Gehirn wirkt, s<strong>in</strong>d die genauen Wirkmechanismen<br />
bislang jedoch nicht geklärt.<br />
Bereits Ovid beschreibe e<strong>in</strong>e „Kost zur Aufrechterhaltung<br />
des ehelichen Liebesfeuers“, bestehend<br />
aus Eiern, Zwiebeln, grünem Gemüse, Honig und<br />
P<strong>in</strong>ienkernen, wie Semler weiter berichtet. „Diese<br />
Kost ist zum<strong>in</strong>dest gesund, tatsächlich aber genauso<br />
wenig aphrodisierend wie die <strong>in</strong> der Signaturenlehre<br />
beschriebenen Aphrodisiaka Ananas, Möhre<br />
oder St<strong>in</strong>kmorchel.“ Nachweislich wirke neben dem<br />
sehr giftigen Cantharid<strong>in</strong>, das <strong>in</strong> der pulverisierten<br />
Spanischen Fliege enthalten ist, nur das aus der<br />
R<strong>in</strong>de des Yohimbebaums gewonnene Alkaloid Yohimb<strong>in</strong><br />
anregend. Doch auch ohne entsprechende<br />
Inhaltsstoffe könnten diese Pflanzen aphrodisierend<br />
wirken – der psychische Effekt sei nicht zu unterschätzen.<br />
„Ist die Grundstimmung positiv, wer<strong>den</strong><br />
mehr stimmungsbee<strong>in</strong>flussende Hormone wie Endorph<strong>in</strong>,<br />
Noradrenal<strong>in</strong>, Seroton<strong>in</strong> oder Dopam<strong>in</strong><br />
ausgeschüttet.“<br />
Diverse Lebensumstände und Inhaltsstoffe der<br />
Nahrung wirken also zusammen. Wir wer<strong>den</strong> nicht<br />
schöner, <strong>in</strong>dem wir uns hauptsächlich von Möhren<br />
oder Tomaten ernähren, nicht klüger durch eifriges<br />
Nüsseknabbern, wenn wir dabei andere Nährstoffe<br />
ermangeln. „Entschei<strong>den</strong>d ist die Ernährung als Ganzes,<br />
das Ernährungsmuster“, so Semler. Er hält sich<br />
an Regeln wie „Essen Sie nichts, was ihre Urgroßmutter<br />
nicht als Nahrungsmittel erkennen würde“<br />
oder Konfuzius' „Hara hachi bu“ (grob: „zu 80 Prozent<br />
satt essen“), mit dem die Bewohner Ok<strong>in</strong>awas<br />
ihrer Heimat <strong>den</strong> Titel „Insel der Hundertjährigen“<br />
e<strong>in</strong>handelten bzw. „e<strong>in</strong>-aßen“. Der Ernährungswissenschaftler<br />
bilanziert: „Wer hauptsächlich frische<br />
und frisch zubereitete Nahrungsmittel verzehrt,<br />
sich regelmäßig bewegt, auf Nachschlag verzichtet,<br />
normalgewichtig bleibt und h<strong>in</strong> und wieder fastet,<br />
hat gute Chancen, lange gesund zu leben.“ Und damit<br />
fit, vital und vielleicht auch glücklich. Melanie<br />
Zimmermann<br />
Kontakt: Dr. Edmund Semler<br />
Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften<br />
Tel.: 0345 55 22702<br />
E-Mail: edmund.semler@landw.uni-halle.de<br />
Dr. Edmund Semler<br />
(Foto: privat)<br />
29
30 forschen und publizieren scientia halensis 4/2012<br />
Detektivarbeit<br />
im Bundeskrim<strong>in</strong>alamt<br />
Welche Rolle spielten ehemalige Nazis bei der Gründung des Bundeskrim<strong>in</strong>alamts (BKA) im Jahr 1951? Lange<br />
Zeit ließ man diese Frage ruhen. Vor fünf Jahren begann im BKA die wissenschaftliche Aufarbeitung. Daraus<br />
g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Forschungsauftrag an <strong>den</strong> Historiker Prof. Dr. Patrick Wagner von der MLU hervor. Drei Jahre suchten<br />
er und se<strong>in</strong> Team <strong>in</strong> Archiven und Kellern der Wiesba<strong>den</strong>er Behörde nach Quellen. Die Ergebnisse dieser<br />
Detektivarbeit liegen nun vor.<br />
Herr Professor Wagner, Ihr Projekt erregte große<br />
Aufmerksamkeit <strong>in</strong> der Fachwelt und <strong>in</strong> <strong>den</strong> Medien.<br />
Wie entstand es?<br />
Patrick Wagner: Angestoßen wurde es im BKA<br />
selbst. Zunächst wur<strong>den</strong> dort wissenschaftliche<br />
Kolloquien veranstaltet, die das Thema NS-Vergangenheit<br />
auf die Agenda hoben. Damit sollten die<br />
Mitarbeiter sensibilisiert wer<strong>den</strong>, außerdem wollte<br />
man die Akzeptanz dem Thema gegenüber <strong>in</strong>nerhalb<br />
der Belegschaft erhöhen.<br />
Ist das gelungen?<br />
Ja. Zwar haben viele BKA-Mitarbeiter e<strong>in</strong> Projekt zur<br />
Geschichte ihres Amtes zunächst kritisch gesehen,<br />
getreu dem Motto: Damit haben wir doch nichts<br />
mehr zu tun. Doch es gelang schließlich, die Kritiker<br />
e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong><strong>den</strong>, weil sie die Möglichkeit erhielten, sich<br />
zu äußern.<br />
Wieso erhielten ausgerechnet Sie <strong>den</strong> Zuschlag für<br />
e<strong>in</strong> weiterführendes Projekt?<br />
Es wird e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben, dass ich viel zur<br />
Geschichte der Polizei <strong>in</strong> der NS-Zeit geforscht habe.<br />
Außerdem wollte man jeman<strong>den</strong>, der der Polizei als<br />
Institution eher fern steht und von außen auf das<br />
System BKA schaut.<br />
Wie wurde Ihre Arbeit f<strong>in</strong>anziert?<br />
Das Geld, etwa 238.000 Euro, kam vom BKA selbst.<br />
Für e<strong>in</strong>en Zeitraum von zwei Jahren gab dafür jede<br />
Abteilung e<strong>in</strong>en bestimmten Prozentsatz ab. Davon<br />
konnten wir anderthalb Mitarbeiterstellen und e<strong>in</strong>en<br />
Werkvertrag f<strong>in</strong>anzieren. Anfang 2009 konnte<br />
es losgehen.<br />
Wie s<strong>in</strong>d Sie vorgegangen?<br />
Zunächst mussten wir uns e<strong>in</strong>en Überblick über die<br />
Quellenlage verschaffen. Die Frage, welche Akten<br />
wo gelandet s<strong>in</strong>d, war nicht e<strong>in</strong>fach zu beantworten.<br />
Das lag daran, dass das BKA von anfangs 300 Mitarbeitern<br />
auf heute 5000 gewachsen ist. E<strong>in</strong>e Behörde<br />
<strong>in</strong> der Größe wird regelmäßig umorganisiert.<br />
E<strong>in</strong>zelne Referate wur<strong>den</strong> anderen Abteilungen<br />
zugeschlagen oder zogen um.<br />
Dadurch konnte es passieren, dass Akten verlegt<br />
oder sogar vernichtet wur<strong>den</strong>. Auch galt es zu klären,<br />
ob Mitarbeiter bei Versetzungen <strong>in</strong>nerhalb des<br />
BKA „ihre“ Akten mitgenommen haben. Unsere<br />
Recherchen waren sehr aufwändig und glichen oft<br />
e<strong>in</strong>er Detektivarbeit.<br />
Was war die zentrale Fragestellung Ihrer Arbeit?<br />
Wir haben nicht gefragt: S<strong>in</strong>d viele NS-Polizisten<br />
beim BKA gelandet? Das stand bereits fest. Interessiert<br />
hat uns, welche Folgen das für die Arbeit<br />
des BKA hatte. Außerdem wollten wir klären, ob<br />
das Wissen um die Vergangenheit ehemaliger NS-<br />
Polizisten <strong>in</strong> der Behörde überhaupt e<strong>in</strong> Thema war.<br />
Was haben Sie herausgefun<strong>den</strong>?<br />
Es wurde deutlich, dass man <strong>in</strong> <strong>den</strong> fünfziger Jahren<br />
<strong>in</strong>tern viel über die NS-Zeit sprach – und zwar recht
positiv. In <strong>den</strong> schriftlichen Quellen f<strong>in</strong>det man das<br />
aber oft nur angedeutet oder zwischen <strong>den</strong> Zeilen.<br />
Etwa, wenn e<strong>in</strong> Beamter sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weihnachtsansprache<br />
aus dem Jahr 1952 daran er<strong>in</strong>nerte, dass<br />
man früher <strong>in</strong> der SS statt Weihnachten das Julfest<br />
so schön gefeiert habe – wobei er das Wort „SS“<br />
selbst nicht aussprach, aber alle <strong>den</strong> Bezug verstan<strong>den</strong><br />
haben müssen.<br />
Wie wirkte sich die Anwesenheit der ehemaligen<br />
NS-Polizisten <strong>in</strong> <strong>den</strong> fünfziger Jahren auf die direkte<br />
Arbeit im BKA aus?<br />
E<strong>in</strong> Beispiel: 1957 wurde <strong>in</strong> Salzgitter e<strong>in</strong> jüdischer<br />
Friedhof geschändet. Das BKA nahm Ermittlungen<br />
auf. Wir konnten nachweisen, dass zwei der drei dafür<br />
abgestellten Beamten vor 1945 <strong>in</strong> Osteuropa bei<br />
Polizeie<strong>in</strong>heiten gewesen waren, die am Ju<strong>den</strong>mord<br />
teilgenommen hatten.<br />
Die zentrale Frage für uns war, wie sie nun 1957 e<strong>in</strong>e<br />
antisemitische Friedhofsschändung bewertet und<br />
ermittelt haben. Insgesamt haben wir – e<strong>in</strong>em Puzzle<br />
gleich – viele Details gefun<strong>den</strong>, die sich schließlich<br />
zu e<strong>in</strong>em nicht lückenlosen, jedoch erkennbaren<br />
Bild fügten.<br />
scientia halensis 4/2012 forschen und publizieren<br />
Und wie sieht das aus?<br />
Die NS-Vergangenheit vieler Beamter hat <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
fünfziger Jahren beim BKA e<strong>in</strong>deutige Spuren h<strong>in</strong>terlassen.<br />
Viele dieser Polizisten glaubten noch nicht,<br />
dass das neue System lange hält. Daher hielten sie<br />
es nicht für nötig, ihre Ges<strong>in</strong>nung zu ändern. Im<br />
Alltagshandeln mussten sie sich <strong>den</strong> neuen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
anpassen, aber sie bezogen sich<br />
<strong>in</strong>tern doch recht offen auf verme<strong>in</strong>tlich positive<br />
Seiten der NS-Diktatur. Das änderte sich erst Ende<br />
der fünfziger Jahre.<br />
Zum e<strong>in</strong>en wurde zu dieser Zeit klar, dass die Bundesrepublik<br />
stabil bleiben, und – für Beamte ganz<br />
wichtig – Pensionen zahlen würde. Zum anderen<br />
setzte nun e<strong>in</strong>e ernsthaftere Strafverfolgung von<br />
NS-Verbrechen e<strong>in</strong>.<br />
1959 wurde erstmals e<strong>in</strong> BKA-Beamter wegen<br />
Kriegsverbrechen verhaftet. Dadurch änderten die<br />
noch im Dienst bef<strong>in</strong>dlichen Beamten ihr Verhalten.<br />
Selbst, wenn sie mit dem NS-System <strong>in</strong>nerlich nicht<br />
brachen, so galt es fortan wenigstens nicht aufzufallen.<br />
Dadurch wurde altes Gedankengut nicht mehr<br />
weitergegeben.<br />
„Die NS-Vergangenheit vieler<br />
Beamter hat <strong>in</strong> <strong>den</strong> fünfziger<br />
Jahren beim BKA e<strong>in</strong>deutige<br />
Spuren h<strong>in</strong>terlassen.“ –<br />
Historiker Prof. Dr. Patrick<br />
Wagner (Foto: Andreas<br />
Stedtler)<br />
31
32 forschen und publizieren scientia halensis 4/2012<br />
Ab 1961 gab es dann beim BKA sogar <strong>in</strong>terne Ermittlungen<br />
gegen alle, die vor 1945 im Polizeidienst<br />
waren. Im Zuge dessen wur<strong>den</strong> e<strong>in</strong>ige Beamte<br />
<strong>in</strong> andere Behör<strong>den</strong> „entsorgt“. Zum Beispiel <strong>in</strong>s<br />
Bundesamt für Geodäsie. Dort fielen sie nicht auf.<br />
In <strong>den</strong> 70er Jahren gab es dann beim BKA e<strong>in</strong>en<br />
massiven Neuanfang. Es kamen viele neue und gut<br />
ausgebildete junge Leute und sie bildeten schnell<br />
die Mehrheit. Doch mit dem Neuanfang gab es <strong>in</strong><br />
der Behörde zugleich e<strong>in</strong> großes Vergessen.<br />
Mit welchen Folgen?<br />
Dass man sich vieler Aspekte des NS-Erbes e<strong>in</strong>fach<br />
nicht mehr bewusst war. E<strong>in</strong> Beispiel dafür ist die Kategorisierung<br />
von Angehörigen ethnischer Gruppen<br />
<strong>in</strong> polizeilichen Datensammlungen. Das Bewusstse<strong>in</strong><br />
dafür, dass diese Sortierung aus der Nazizeit her<br />
rührt, g<strong>in</strong>g nach 1970 verloren. Zwar änderte sich<br />
alle paar Jahre die Sprachregelung, wie man zum<br />
Beispiel S<strong>in</strong>ti und Roma bezeichnet, jedoch ihre<br />
spezielle Kennzeichnung <strong>in</strong> <strong>den</strong> Akten blieb noch<br />
lange Zeit bestehen.<br />
Wie g<strong>in</strong>g das BKA mit Ihren Forschungsergebnissen<br />
um?<br />
Die Reaktionen waren positiv. Schon unsere ersten<br />
Zwischenberichte flossen <strong>in</strong> die Ausbildung des<br />
Nachwuchses e<strong>in</strong>.<br />
Ihr BKA-Projekt hat bundesweit großes Medien<strong>in</strong>teresse<br />
hervorgerufen. Nun steht Ihnen bereits das<br />
nächste große Vorhaben <strong>in</strong>s Haus.<br />
Ja. Geme<strong>in</strong>sam mit Wissenschaftlern anderer deutscher<br />
Universitäten sowie Forschern aus Yale und<br />
Oxford beteiligen wir uns an e<strong>in</strong>em Projekt zur<br />
Geschichte des Reichsf<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isteriums. Das wird<br />
sicher genauso spannend.<br />
Interview: Ines Godazgar<br />
Kontakt: Prof. Dr. Patrick Wagner<br />
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Lebendig seit dreihundert Jahren<br />
Seit 250 Jahren tot se<strong>in</strong> kann jeder irgendwann<br />
– aber die Ästhetik erf<strong>in</strong><strong>den</strong>, das konnte nur er:<br />
Alexander Gottlieb Baumgarten. Hans-Joachim Kertscher<br />
– emeritierter Professor für deutsche Literaturgeschichte<br />
an der MLU – brachte nun die authentische<br />
Darstellung „Alexander Gottlieb Baumgartens<br />
Leben“ von Georg Friedrich Meier als Band 3 der<br />
Reihe „Perspektiven der Aufklärung“ neu heraus.<br />
Meier versprach „dem geneigten Leser die Lebensgeschichte<br />
e<strong>in</strong>es der würdigsten Weltweisen …“<br />
In Berl<strong>in</strong> geboren, kam Baumgarten 1727 als 13jährige<br />
Waise nach Halle, „wo se<strong>in</strong> ältester Bruder<br />
[Siegmund Jacob – d. V.] damals Inspector der late<strong>in</strong>ischen<br />
Schule war“. Meier berichtete: „Herr Doctor<br />
Francke [Gotthilf August, Sohn von August Hermann<br />
– d. V.] nahm ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Haus, und an se<strong>in</strong>en Tisch.“<br />
Im Herbst 1730 „bezog er die Universität <strong>in</strong> Halle.<br />
In der Gottesgelahrtheit hörte er Breithaupten,<br />
E<strong>in</strong> Berg, e<strong>in</strong>e Straße, e<strong>in</strong>e Polikl<strong>in</strong>ik …<br />
… wur<strong>den</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wahlheimatstadt nach ihm<br />
benannt. Mehr wissen nur wenige Hallenser über<br />
Johann Christian Reil zu sagen. Das muss anders<br />
wer<strong>den</strong>!<br />
Davon waren die bei<strong>den</strong> promovierten Literaturwissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />
Heidi Ritter und Eva Scherf<br />
überzeugt und brachten letztes Jahr im Hasenverlag<br />
e<strong>in</strong>e bestens recherchierte und kurzweilig zu<br />
lesende Hommage des angesehenen Mediz<strong>in</strong>ers<br />
heraus. Sollte diese dann nicht mehr vorrätig se<strong>in</strong>,<br />
rechtfertigt der 200. Todestag im kommen<strong>den</strong> Jahr<br />
e<strong>in</strong>e Nachauflage gewiss!<br />
Für Mediz<strong>in</strong>historiker war Reil von jeher <strong>in</strong>teressant:<br />
als Direktor des halleschen Kl<strong>in</strong>ikums, Amts- und<br />
Badearzt (!), Hirnanatom und als Begründers der<br />
Psychiatrie. Der Mensch <strong>in</strong>des blieb – sicher auch<br />
wegen der dürftigen Quellenlage – h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>em<br />
segensreichen Wirken immer merkwürdig blass.<br />
Langen, Zimmermann, und Herrn D. Francken.“<br />
Er lernte Griechisch, Arabisch und Syrisch. Mit 21<br />
Jahren erwarb er durch se<strong>in</strong>e Meditationes die venia<br />
legendi und lehrte an der Fridericiana – bis ihn<br />
der König 1740 nach Frankfurt berief. Dort wirkte<br />
er (wie <strong>in</strong> Halle als Mittler zwischen Pietismus und<br />
Wolffianismus) bis zu se<strong>in</strong>em Tod und publizierte<br />
als wichtigste Schrift die Aesthetica. Welcher Platz<br />
dem aufgeklärten Universalgelehrten damals zukam<br />
und welche Bedeutung ihm bis heute beizumessen<br />
ist, analysiert der Herausgeber im ausführlichen<br />
Nachwort „E<strong>in</strong> ‚christlicher Sokrates’: Alexander<br />
Gottlieb Baumgarten“. Margarete We<strong>in</strong><br />
Georg Friedrich Meier: Alexander Gottlieb<br />
Baumgartens Leben, kommentiert und mit e<strong>in</strong>em<br />
Nachwort versehen von Hans-Joachim Kertscher<br />
(Hg.), Halle ����, �� Seiten, �,�� Euro<br />
Um ihn für uns Heutige lebendig zu machen, haben<br />
ihm die Autor<strong>in</strong>nen „e<strong>in</strong>ige Injektionen Wirklichkeit<br />
verpasst“.<br />
Mit gehörigem Gruseln liest man von rigorosen<br />
„psychischen Curmetho<strong>den</strong>“, mit Mitgefühl von<br />
Reils Engagement <strong>in</strong> der „Gesellschaft freywilliger<br />
Armenfreunde“, mit Verwunderung vom Plan, Halle<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Kurort zu verwandeln. Und die heute<br />
unübersehbare Menge mediz<strong>in</strong>ischer Ratgeberliteratur<br />
hat m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e ihrer Wurzeln bei Reil.<br />
„Diaetetischer Hausarzt für me<strong>in</strong>e Landsleute“ hieß<br />
se<strong>in</strong> Ratgeber über Ernährung, Bewegung und Sexualität,<br />
der 1785 erschien. Margarete We<strong>in</strong><br />
Heidi Ritter, Eva Scherf: Habe unbändig viel zu tun<br />
…, Halle ����, ��� Seiten, ��,�� Euro<br />
Lese-Empfehlungen querbeet<br />
Zur ausführlichen Rezension:<br />
WEBCODE MAG� 14611<br />
Zur ausführlichen Rezension:<br />
WEBCODE MAG� 14612<br />
33
34 forschen und publizieren scientia halensis 4/2012<br />
Das tierische Geheimnis<br />
der Pflanzen<br />
Für Wirbeltiere und somit auch für Menschen gilt: Ihre Embryonen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Entwicklungsphase<br />
kaum zu unterschei<strong>den</strong>. Vorher und nachher s<strong>in</strong>d die Unterschiede zwischen <strong>den</strong> Arten h<strong>in</strong>gegen groß. Daher<br />
spricht man vom Sanduhr-Pr<strong>in</strong>zip der embryonalen Entwicklung. Dieses Pr<strong>in</strong>zip haben Wissenschaftler des<br />
Leibniz-Institutes für Pflanzenbiochemie (IPB) und der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität jetzt auch für Pflanzen<br />
nachgewiesen. Die Forschungsergebnisse der Hallenser s<strong>in</strong>d nachzulesen im renommierten Magaz<strong>in</strong> „Nature“.<br />
Prof. Dr. Ivo Große (l<strong>in</strong>ks)<br />
und Dr. Marcel Qu<strong>in</strong>t mit<br />
e<strong>in</strong>em Exemplar der Ackerschmalwand<br />
im Universitätsrechenzentrum.<br />
(Foto: Maike<br />
Glöckner)<br />
Es handelt sich um e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames molekulares<br />
Phänomen. E<strong>in</strong>e Erkenntnis, die e<strong>in</strong>en Beitrag zum<br />
Verständnis der Entstehung von Biodiversität leisten<br />
kann. „Befruchtete Eizellen können selbst zwischen<br />
nah verwandten Arten sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>,<br />
dann wer<strong>den</strong> die sich entwickeln<strong>den</strong> Embryonen<br />
ähnlicher und ähnlicher, bis sie irgendwann fast ununterscheidbar<br />
s<strong>in</strong>d. Und dann platzt aus ihnen die<br />
Biodiversität hervor, die wir auf unserem Planeten<br />
vorf<strong>in</strong><strong>den</strong>.“ So beschreibt MLU-Bio<strong>in</strong>formatik-Pro-<br />
fessor Ivo Große das Sanduhr-Pr<strong>in</strong>zip. „Was da auf<br />
molekularer Ebene passiert, wissen wir allerd<strong>in</strong>gs<br />
erst seit knapp zwei Jahren durch die Arbeiten zweier<br />
Gruppen aus Dres<strong>den</strong> und Plön. In der Phase der<br />
Ähnlichkeit wer<strong>den</strong> die wichtigen Organe angelegt,<br />
weswegen aktive Gene <strong>in</strong> dieser Phase besonders<br />
anfällig für Mutationen und damit eventuelle Missbildungen<br />
s<strong>in</strong>d. Im Embryo wird das kompensiert<br />
durch die Aktivierung von evolutionär alten Genen,<br />
die zwischen Arten hochkonserviert s<strong>in</strong>d. Die Em-
yonen gleichen sich demzufolge e<strong>in</strong>e Zeit lang <strong>in</strong><br />
Form und Struktur.“ Ivo Großes langjähriger Kooperationspartner<br />
Dr. Marcel Qu<strong>in</strong>t, Biologe am IPB<br />
, hatte die Idee, das Ganze auch bei Pflanzen zu untersuchen.<br />
„Die Evolution hat zweimal unabhängig<br />
vone<strong>in</strong>ander Embryogenese entwickelt“, sagt Qu<strong>in</strong>t.<br />
„Das Ziel ist jeweils das gleiche: die Koord<strong>in</strong>ation der<br />
Entwicklung von der Eizelle bis h<strong>in</strong> zum komplexen<br />
Organismus. Aber die Grundvoraussetzungen s<strong>in</strong>d<br />
unterschiedlich. Pflanzenzellen haben zum Beispiel<br />
Zellwände, tierische Zellen nicht. Wir fragten uns:<br />
Gibt es <strong>den</strong>noch Geme<strong>in</strong>samkeiten? Muster, die für<br />
Tiere und Pflanzen essentiell s<strong>in</strong>d, damit e<strong>in</strong> Individuum<br />
durch die Embryogenese kommt?“<br />
Die Antwort lautet ganz klar: Ja. Große und Qu<strong>in</strong>t<br />
haben geme<strong>in</strong>sam mit zwei Doktoran<strong>den</strong> und<br />
zwei Bachelor-Stu<strong>den</strong>ten <strong>den</strong> molekularen Beweis<br />
erbracht, anhand von Gensequenzen der Ackerschmalwand<br />
(Arabidopsis thaliana). Durch Sequenzvergleiche<br />
konnten sie jedem der rund 28.000 Gene<br />
dieser Modellpflanze e<strong>in</strong> evolutionäres Alter zuweisen.<br />
Und im vergangenen Frühjahr wur<strong>den</strong> Daten<br />
verfügbar, die die Aktivität aller Gene <strong>in</strong> <strong>den</strong> ver-<br />
scientia halensis 4/2012 forschen und publizieren<br />
schie<strong>den</strong>en Stadien der Embryogenese beschreiben.<br />
E<strong>in</strong>e echte Herausforderung für die Bio<strong>in</strong>formatiker<br />
der MLU: Mehr als 200 Milliar<strong>den</strong> Sequenzvergleiche<br />
waren nötig, um die entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Zusammenhänge<br />
nachweisen zu können.<br />
Nun steht also fest: Tierische und pflanzliche Embryonen<br />
müssen, wenn ihr jeweiliger Bauplan<br />
angelegt wird, durch e<strong>in</strong> und dasselbe Nadelöhr<br />
schlüpfen - und sie tun das auf e<strong>in</strong> und dieselbe Art<br />
und Weise. Wie es dazu kommt, bleibt vorerst das<br />
geme<strong>in</strong>same Geheimnis von Tieren und Pflanzen.<br />
„Das ist unsere Herausforderung für die Zukunft:<br />
<strong>den</strong> Mechanismus zu entschlüsseln, der dafür sorgt,<br />
dass <strong>in</strong> der entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Phase die jungen Gene<br />
weitgehend abgeschaltet und die alten aktiv s<strong>in</strong>d“,<br />
erklärt Marcel Qu<strong>in</strong>t. „Wobei uns klar ist, dass sich<br />
viele Wissenschaftlicher weltweit dieser Herausforderung<br />
stellen wer<strong>den</strong>“, ergänzt Ivo Große. „Nicht<br />
nur Entwicklungsbiologen wer<strong>den</strong> das Geheimnis<br />
lüften wollen. Auch für Wissenschaftler, die die<br />
Entstehung von Biodiversität erforschen, damit wir<br />
Menschen sie besser schützen können, ist das e<strong>in</strong><br />
heißes Thema.“ Carsten Heckmann<br />
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„Nature“ unter dem<br />
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hourglass <strong>in</strong> plant embryogenesis“<br />
(DOI: 10.1038/<br />
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35
36 forschen und publizieren scientia halensis 4/2012<br />
personalia<br />
„Bagdad wiederzusehen<br />
war e<strong>in</strong> Schock“<br />
Die Entfernung zur Heimat kann nicht immer mit Kilometern beschrieben wer<strong>den</strong>. Sie ist für Dr. Hamid Jassim<br />
eher 33 Jahre weit. Solange ist es her, dass der Dozent für moderne arabische Literatur und Sprache aus dem<br />
Irak floh. Mit se<strong>in</strong>en Stu<strong>den</strong>ten diskutiert er über die Kultur und Geschichte e<strong>in</strong>es Landes, das ihm heute fremd<br />
sche<strong>in</strong>t.<br />
Seit 24 Jahren lehrt Hamid<br />
Jassim am Orientalischen<br />
Institut der MLU. (Foto:<br />
Michael Deutsch)<br />
Wie so viele Intellektuelle stand er damals als regimekritischer<br />
Autor und Journalist auf der Schwarzen<br />
Liste des Diktatoren-Regime Saddam Husse<strong>in</strong>s.<br />
Über <strong>den</strong> Schriftstellerverband durfte er 1979 <strong>in</strong> die<br />
damalige DDR e<strong>in</strong>reisen. Nach se<strong>in</strong>em Studium und<br />
der Promotion an der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
lehrt er seit 1988 als Dozent am Orientalischen In-<br />
stitut. Und er schreibt Gedichte mit dem Fleiß e<strong>in</strong>er<br />
Biene. Se<strong>in</strong>e Seele, die stets vom h<strong>in</strong>- und hergerissenen<br />
Herzen angetrieben wird, kann der Liebhaber<br />
arabischer Poesie am besten <strong>in</strong> Versen ausschütten.<br />
Mit funkeln<strong>den</strong> Augen erzählt er von Halle. „Halle<br />
ist im Grunde e<strong>in</strong> arabischer Name, ich erzähle das<br />
immer me<strong>in</strong>en Stu<strong>den</strong>ten“, überrascht er. „Das Wort
Halle bedeutet Helligkeit und ist bei uns e<strong>in</strong> beliebter<br />
Mädchenname.“ Doch es kommt noch besser.<br />
„Im Nor<strong>den</strong> des Iraks“, erzählt er weiter, „gibt es<br />
e<strong>in</strong>en Kurort mit e<strong>in</strong>er heilen<strong>den</strong> Wasserquelle. Und<br />
wissen sie, wie diese heißt? Saale.“ Als er damals mit<br />
diesen Bildern im Kopf nach Halle kam, war die Stadt<br />
als graue Diva im Chemiedreieck wenig hell. Auch<br />
die Saale war da eher e<strong>in</strong>e Enttäuschung.<br />
„Es mag seltsam kl<strong>in</strong>gen, ich träumte vom Sozialismus.<br />
Ich hatte Armut und Unrecht erlebt“, sagt Hamid<br />
Jassim. Geboren als Sohn e<strong>in</strong>er armen Bauernfamilie<br />
<strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z Karbala, nahe dem Euphrat,<br />
bestimmte harte Arbeit das Leben. K<strong>in</strong>dheit im<br />
glücklichen S<strong>in</strong>ne? – Fehlanzeige! Es herrschte Feudalherrschaft.<br />
„Ich musste als K<strong>in</strong>d mit ansehen, wie<br />
der Großgrundbesitzer me<strong>in</strong>en Vater auspeitschen<br />
ließ.“ Das war ke<strong>in</strong> Leben. Man sah sich gezwungen,<br />
nach Bagdad umzuziehen. Vom Feudalismus rutschte<br />
man <strong>in</strong> <strong>den</strong> Kapitalismus. Beim Vater, der fortan<br />
als fliegender Händler arbeitete, musste er als K<strong>in</strong>d<br />
weiter mit anpacken. Arbeit g<strong>in</strong>g immer vor. Doch<br />
es sollte e<strong>in</strong>e Weichenstellung geben, mit der sich<br />
Jassim vom vorgelebten Elend und vom allgegenwärtigen<br />
Analphabetismus befreien konnte. Mit<br />
sechs Jahren kam er auf e<strong>in</strong>e Koranschule, wo er<br />
lesen und schreiben lernte. Hier entdeckte er auch<br />
das Buch, dass se<strong>in</strong>e Phantasie und Vorliebe für Poesie<br />
anregte. Es war die Liebesgeschichte zwischen<br />
Paris und Helena aus der griechischen Mythologie<br />
der Ilias von Homer.<br />
Wissen bereichert und macht gierig auf mehr.<br />
Bald kam es zum Bruch mit dem Vater. „Er lehnte<br />
es ab, mich auf e<strong>in</strong>e staatliche Schule zu schicken.<br />
Doch ich wechselte ohne se<strong>in</strong> Wissen“, erzählt der<br />
Arabistik-Dozent. Es sollte e<strong>in</strong> Bruch für immer se<strong>in</strong>.<br />
Nie wieder sah er <strong>den</strong> Vater und war als Schüler der<br />
sechsten Klasse <strong>in</strong> allen Lebensbelangen auf sich<br />
alle<strong>in</strong> gestellt. Mit Jobs habe er sich über Wasser<br />
„Ich habe gespürt,<br />
dass ich me<strong>in</strong>e Heimat<br />
für immer verloren habe“<br />
gehalten, es gelang ihm auch, se<strong>in</strong> Studium der Literaturwissenschaft<br />
<strong>in</strong> der arabischen Sprache zu f<strong>in</strong>anzieren.<br />
Die Karriere war vorgezeichnet. Als Journalist<br />
der Bagdader Rundfunk- und Fernsehstation,<br />
als <strong>in</strong>tellektueller Autor und Vorstandsmitglied im<br />
irakischen Schriftstellerverband begann er immer<br />
mehr, auch se<strong>in</strong>e modernen politischen Ansichten<br />
<strong>in</strong> Tageszeitungen zu veröffentlichen. 1976 kam<br />
es zwischen Intellektuellen und <strong>den</strong> Politkern der<br />
Baath-Partei zum Eklat. „Fortan stand ich auf der<br />
Schwarzen Liste.“<br />
Zurück zur DDR. „Ich habe hier nach me<strong>in</strong>er Ankunft<br />
schnell bemerkt, dass auch dieser Sozialismus nicht<br />
me<strong>in</strong> Traum ist. Ich b<strong>in</strong> aber dankbar für das Studium<br />
außerhalb des Iraks. Ich lernte dadurch, me<strong>in</strong>e<br />
Kultur, die Geschichte me<strong>in</strong>es Landes ganz anders<br />
zu betrachten“, sagt er. Erst 2004, nach 25 Jahren,<br />
war er wieder im Irak. „Bagdad wiederzusehen,<br />
war für mich e<strong>in</strong> Schock. Ich habe gespürt, dass ich<br />
me<strong>in</strong>e Heimat für immer verloren habe“, sagt Hamid<br />
Jassim. Die Veränderungen durch das Regime, das<br />
Embargo und die s<strong>in</strong>nlosen Kriege waren fatal. Das<br />
Leben, das Bild der Stadt und der Geist der Menschen<br />
hätten sich im negativen S<strong>in</strong>ne verändert. Es<br />
gebe e<strong>in</strong>e Rückkehr zur Religion, aber nicht im S<strong>in</strong>ne<br />
der Aufklärung. „Als ich damals <strong>in</strong> Bagdad studierte,<br />
trug an der Uni kaum e<strong>in</strong>e Stu<strong>den</strong>t<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Kopftuch.<br />
Jetzt s<strong>in</strong>d fast alle Frauen verschleiert. Ja, es ist e<strong>in</strong><br />
gna<strong>den</strong>los strenger Glaube übers Land gezogen“,<br />
beschreibt er es düster. „Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e der nobleren<br />
Gegen<strong>den</strong>, wo früher Sunniten, Schiiten, Christen<br />
zusammenlebten, s<strong>in</strong>d die emanzipierten Menschen<br />
von früher verschwun<strong>den</strong>. Me<strong>in</strong>e Frau war auf e<strong>in</strong>mal<br />
die e<strong>in</strong>zige, die ohne Kopftuch lief. Und es ist<br />
schon irgendwie komisch, als sie nach vier Tagen<br />
zu mir sagte: Hamid lass uns nachhause, nach Halle<br />
zurückkehren. Ich fühle mich hier fremd.“<br />
scientia halensis 4/2012 personalia<br />
Dr. Hamid Jassim<br />
37
38 personalia scientia halensis 4/2012<br />
Neue Stadt? Neues Leben? Neue Wohnung!<br />
Immobilienmakler<br />
Hausverwaltung<br />
WEG-Verwaltung<br />
Hamid Jassim fordert für se<strong>in</strong>e Heimat geistige Modernisierung<br />
und Aufklärung, ebenso die Trennung<br />
zwischen Staat und Kirche. In e<strong>in</strong>em arabischen<br />
Artikel schrieb er jüngst „Säkularisierung ist e<strong>in</strong><br />
Gottesgeschenk für se<strong>in</strong>e Religionen.“ Warum?<br />
Natürlich weil er se<strong>in</strong>e Religionen damit vor der<br />
Vormundschaft des Klerus rettet. „Die Botschaft<br />
der Religion kann nur Menschlichkeit se<strong>in</strong>. Das gilt<br />
auch für <strong>den</strong> Islam.“ Und wenn er als Dozent heute<br />
mit Stu<strong>den</strong>ten spricht, versucht er die geschichtliche<br />
und kulturelle Entwicklung se<strong>in</strong>er Heimat stets <strong>in</strong><br />
Kontext mit politischen und religiösen Ersche<strong>in</strong>ungen<br />
zu stellen. Der Arabistik-Dozent drückt sich<br />
nicht vor Diskussionen. Auch zum Thema Integration<br />
hat er e<strong>in</strong>e klare Me<strong>in</strong>ung. „Sie ist ke<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>nahmung,<br />
ke<strong>in</strong>e Zerstörung der eigenen I<strong>den</strong>tität. Wer<br />
das behauptet, liegt falsch. Die Begegnung mit e<strong>in</strong>er<br />
anderen Kultur kann natürlich e<strong>in</strong> Schock se<strong>in</strong>. Dabei<br />
verliert man etwas, gew<strong>in</strong>nt aber auch etwas h<strong>in</strong>zu“,<br />
sagt er. Das größte H<strong>in</strong>dernis sei die Unwissenheit.<br />
Viele Auswanderer s<strong>in</strong>d modern, gut ausgebildet<br />
und aufgeklärt - bei anderen, vor allem die aus<br />
ländlichen Gegen<strong>den</strong> kommen, sei das umgekehrt.<br />
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Sie neigten <strong>in</strong> der Fremde gern dazu, sich Landsleute<br />
zu suchen und sich abzukapseln. „Ich würde mir<br />
wünschen, dass e<strong>in</strong>e Bewegung <strong>in</strong> Schwung kommt,<br />
bei der moderne, aufgeklärtere Ausländer ihre weniger<br />
erfolgreicheren Landsleute auf dem Weg der<br />
Integration mitnehmen. Aber auch auf der anderen<br />
Seite muss man um<strong>den</strong>ken. Der Terrorismus hat<br />
alles schwieriger gemacht. Und ich habe Verständnis,<br />
dass unter e<strong>in</strong>igen Deutschen die Neigung zu<br />
Vorurteilen floriert.“<br />
Jassim, der auf so viele Sachen e<strong>in</strong>e Antwort weiß,<br />
muss bei e<strong>in</strong>er Zahl passen: bei se<strong>in</strong>em Alter. „Ich<br />
weiß nicht, wann ich geboren wurde“, sagt er. Iraker,<br />
die zu se<strong>in</strong>er Zeit auf dem Lande <strong>in</strong> armen Umstän<strong>den</strong><br />
zur Welt kamen, wur<strong>den</strong> später zur Volkszählung<br />
geschätzt. Demnach sei er jetzt 65 Jahre.<br />
Der Meister der Poesie hat se<strong>in</strong>en Geburtstag nie<br />
gefeiert, erst <strong>in</strong> Deutschland – wie schön. „Schön?“,<br />
fragt Hamdi Jassim zurück und beg<strong>in</strong>nt zu lächeln.<br />
„Wissen sie, als ich die Geburtstage noch nicht gezählt<br />
habe, hatte ich das Gefühl, dass ich ewig lebe.“<br />
Michael Deutsch
Daniel Cyranka erforscht die moderne Religionsgeschichte<br />
„Die Religionswissenschaft bietet e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />
Anknüpfungspunkten für heutige Debattenlagen“,<br />
sagt Dr. Daniel Cyranka, der zum 1. August 2012<br />
dem Ruf auf die Professur für Religionswissenschaft<br />
und Interkulturelle Theologie an der halleschen<br />
Universität gefolgt ist. Se<strong>in</strong> fachliches Spezialgebiet<br />
widmet sich der modernen Religionsgeschichte.<br />
„Besonders spannend ist die Beobachtung, dass<br />
oftmals völlig disparat beschriebene Phänomene<br />
<strong>in</strong> historisch zusammenhängen<strong>den</strong> Diskurslagen zu<br />
f<strong>in</strong><strong>den</strong> s<strong>in</strong>d. Man nehme etwa <strong>den</strong> Zusammenhang<br />
von Religion, Wissenschaft und Esoterik im 19.<br />
Jahrhundert.“ Daniel Cyranka wurde 1969 <strong>in</strong> Crivitz<br />
(Mecklenburg) geboren. Nach dem Theologiestudium<br />
war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
an der Theologischen Fakultät der MLU tätig und<br />
wurde hier 2004 promoviert mit dem Thema „Less<strong>in</strong>g<br />
im Re<strong>in</strong>karnationsdiskurs“. In <strong>den</strong> Jahren 2006<br />
bis 2011 hatte er das Amt als Studien<strong>in</strong>spektor am<br />
Evangelischen Studienhaus Halle (Ev. Konvikt) <strong>in</strong>ne,<br />
daneben erfüllte er e<strong>in</strong>en Lehrauftrag für das Fach<br />
Universitätsarchiv mit neuem Leiter<br />
Dr. Michael Ruprecht ist der neue Leiter des halleschen<br />
Universitätsarchivs. Der 33-jährige Alumnus<br />
der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität kehrte im August aus<br />
Regensburg <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Heimatstadt zurück. „Mich reizen<br />
die Herausforderungen, die es <strong>in</strong> <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong><br />
Jahren zu bewältigen gilt – und natürlich die<br />
e<strong>in</strong>zigartigen Bestände des Archivs", sagt Michael<br />
Ruprecht. „Ich b<strong>in</strong> dankbar dafür, dass ich me<strong>in</strong>e<br />
neue Aufgabe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt wahrnehmen darf, der<br />
ich mich sehr verbun<strong>den</strong> fühle."<br />
Ruprecht leitete bis Juli das Universitätsarchiv Regensburg.<br />
Von 2009 bis 2011 war er im Landesarchiv<br />
Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen tätig. Er studierte an der<br />
MLU Geschichte, Historische Hilfswissenschaften<br />
und Prähistorische Archäologie und wurde 2009<br />
promoviert. In se<strong>in</strong>er Dissertation beschäftigte er<br />
sich mit Stiftungen im mittelalterlichen Halle. Der<br />
Archivar ist verheiratet und Vater e<strong>in</strong>er zweijährigen<br />
Tochter. ch<br />
Religionswissenschaft an der Uni. Se<strong>in</strong>e Habilitationsschrift<br />
„Studien zum deutschen Mohammed-<br />
Bild im 18. Jahrhundert“ legte er 2010 vor. Zuletzt<br />
war er Fachreferent im Landeskirchenamt der Evangelischen<br />
Kirche <strong>in</strong> Mitteldeutschland (EKM), Erfurt.<br />
„Besonders reizvoll an me<strong>in</strong>er neuen Aufgabe ist<br />
es, an der Grenze zwischen evangelischer Theologie<br />
und anderen religionsbezogenen Wissenschaften<br />
zu arbeiten und unterschiedliche Perspektiven <strong>in</strong><br />
Forschung und Lehre aufe<strong>in</strong>ander zu beziehen“,<br />
me<strong>in</strong>t Cyranka. Hervorragend könne er dafür <strong>in</strong><br />
Halle die etablierten Forschungsschwerpunkte, die<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>ären Zentren und erstklassigen Quellenbestände<br />
nutzen.<br />
Der verheiratete Vater dreier K<strong>in</strong>der Emil (13), Alfred<br />
(11) und Lilly Mathilde (6) versucht, sich <strong>in</strong> der<br />
noch außerhalb des Schreibtischs und des Hörsaals<br />
verbleiben<strong>den</strong> Zeit möglichst oft im Freien zu bewegen.<br />
Das kann durchaus auch <strong>in</strong> der Stadt se<strong>in</strong>,<br />
und dabei verstärkt sich der positive E<strong>in</strong>druck „Halle<br />
verändert“. Ute Olbertz<br />
scientia halensis 4/2012 personalia<br />
Prof. Dr. Daniel Cyranka<br />
Sem<strong>in</strong>ar für Religionswissenschaft<br />
und Interkulturelle<br />
Theologie<br />
E-Mail: daniel.cyranka@<br />
theologie.uni-halle.de<br />
Dr. Michael Rupprecht<br />
(Foto: Maike Glöckner)<br />
39
40 personalia scientia halensis 4/2012<br />
Verbales Porträt e<strong>in</strong>es Zeitgenossen … Unzählige Varianten des Fragebogens, der durch die Antworten von<br />
Marcel Proust so berühmt gewor<strong>den</strong> ist, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>den</strong> Medien (FAZ, Forschung & Lehre, UNICUM etc.) zu<br />
f<strong>in</strong><strong>den</strong>. scientia halensis spielt ebenfalls mit. Diesmal ist unser Match-Partner Dr. Hagen F<strong>in</strong>deis, wissenschaftlicher<br />
Koord<strong>in</strong>ator der Graduiertenschule „Gesellschaft und Kultur <strong>in</strong> Bewegung“.<br />
Bild rechts: Dr. Hagen<br />
F<strong>in</strong>deis vor dem Standort<br />
der Graduiertenschule<br />
„Gesellschaft und Kultur <strong>in</strong><br />
Bewegung“, Reichardtstraße<br />
6 (Foto: Maike Glöckner)<br />
Dr. Hagen F<strong>in</strong>deis<br />
1 | Warum leben Sie <strong>in</strong> Halle und nicht anderswo?<br />
Das hat sich aus der Chancenstruktur des<br />
Arbeitsmarktes so ergeben. Aber seit ich <strong>in</strong> Halle<br />
arbeite, habe ich die Stadt schätzen gelernt.<br />
2 | Wenn nicht Wissenschaftler, was wären<br />
Sie dann gewor<strong>den</strong>? Das weiß ich nicht. Die<br />
Berufsf<strong>in</strong>dung ist bekanntlich schwer planbar. Ich<br />
habe auch nicht damit gerechnet, dass ich mal im<br />
Wissenschaftsmanagement lande.<br />
3 | Was war an Ihrer Studienzeit am besten?<br />
Das war für mich <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e<br />
großartige Zeit. Als Schüler <strong>in</strong> der DDR stand ich<br />
mit me<strong>in</strong>en Ansichten oft alle<strong>in</strong> da. 1986 kam ich<br />
dann zum Studium nach Leipzig und traf dort auf<br />
Gleichges<strong>in</strong>nte. Das war e<strong>in</strong> Aufbruch, politisch,<br />
persönlich und später auch <strong>in</strong>tellektuell. Diese<br />
Zeit hat mich geprägt.<br />
4 | Welchen Rat fürs Überleben wür<strong>den</strong> Sie<br />
Stu<strong>den</strong>ten geben? Naja, also fürs Überleben<br />
empfehle ich Freundschaften zu schließen und<br />
substantielle geistige Nahrung zu sich zu nehmen.<br />
Und fürs Studieren empfehle ich, sich auf se<strong>in</strong>e<br />
Neugier zu verlassen und nicht gleich auf die berufliche<br />
Verwertbarkeit zu schielen. Wissenschaft<br />
ist e<strong>in</strong> mühseliges Geschäft, das neben Neugier<br />
auch e<strong>in</strong>en langen Atem erfordert. Das Studium,<br />
zumal das <strong>in</strong> Deutschland noch beträchtlich<br />
alimentierte, ist aber auch e<strong>in</strong> Moratorium, <strong>in</strong><br />
dem man sich noch relativ gefahrlos ausprobieren<br />
kann.<br />
5 | Wenn Sie Rektor e<strong>in</strong>er Universität wären,<br />
was wür<strong>den</strong> Sie als erstes tun?<br />
Der Universität e<strong>in</strong>e Blut-Schweiß-und-Tränen-<br />
Rede halten, <strong>in</strong> der klare Kriterien für die Berufungspolitik<br />
der nächsten Jahre sowie für e<strong>in</strong>e<br />
nachhaltige Förderung des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses, über die Promotionsphase h<strong>in</strong>aus,<br />
angekündigt wer<strong>den</strong>.<br />
6 | Was ist für Sie die erste Aufgabe der Wissenschaft?<br />
Wissenschaft hat die Aufgabe, bestehendes<br />
Wissen zu überprüfen und neues Wissen<br />
zu produzieren. Sie operiert im Medium der<br />
Wahrheitsf<strong>in</strong>dung und unterscheidet sich von anderen<br />
Formen der Erkenntnis durch das Kriterium<br />
methodisch kontrollierter Nachvollziehbarkeit.<br />
7 | Was haben Intelligenz und Menschlichkeit<br />
mite<strong>in</strong>ander zu tun? Da gibt es leider ke<strong>in</strong>en<br />
kausalen Zusammenhang. Intelligenz ist messbar<br />
und wird nach ihrem <strong>in</strong>strumentellen Wert beurteilt,<br />
während Menschlichkeit sich elementaren<br />
Erfahrungen verdankt.
8 | Worüber ärgern Sie sich am meisten? Wenn<br />
Macht mehr zählt als Argumente und sich gegenüber<br />
Kritik abschirmt.<br />
9 | Was br<strong>in</strong>gt Sie zum Lachen? Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der<br />
und die Absurditäten des Alltags.<br />
10 | Was schätzen Sie an Ihren Freun<strong>den</strong>? Aufrichtigkeit.<br />
11 | Wo sehen Sie Ihre Stärken? Analytisches<br />
Denken, Kommunikationsfähigkeit.<br />
12 | Was erwarten Sie von der Zukunft?<br />
Dass sie erträglich wird.<br />
13 | Woran glauben Sie? Freiheit ist für mich<br />
e<strong>in</strong> hoher Wert. Sie auszuhalten und verantwortlich<br />
zu gestalten, erfordert Selbstdiszipl<strong>in</strong>.<br />
Aber man soll es damit auch nicht übertreiben.<br />
Ich glaube, dass man die wichtigsten D<strong>in</strong>ge oder<br />
Erfahrungen im Leben nicht aus eigener Kraft erreichen<br />
kann. Sie wer<strong>den</strong> e<strong>in</strong>em geschenkt oder<br />
kommen als Schicksal über e<strong>in</strong>en. Es kommt<br />
darauf an, sich ihnen zu stellen.<br />
14 | Welchen bedeuten<strong>den</strong> Menschen unserer<br />
Zeit hätten Sie gern als Gesprächspartner?<br />
Die Menschen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Umgebung s<strong>in</strong>d mir<br />
bedeutend genug.<br />
15 | Wer war oder ist (bisher) für Sie der wichtigste<br />
Mensch <strong>in</strong> Ihrem Leben? Me<strong>in</strong>e Frau.<br />
16 | Welchen Ort der Welt möchten Sie unbed<strong>in</strong>gt<br />
kennen lernen? Diese Frage war für mich<br />
vor dem Mauerfall von großer Bedeutung, weil<br />
damals die Möglichkeit freien Reisens nicht bestand.<br />
Heute h<strong>in</strong>gegen, wo man im Pr<strong>in</strong>zip je<strong>den</strong><br />
Ort der Welt kennen kann, ist mir diese Frage<br />
nicht mehr so wichtig. Mir genügt die Existenz der<br />
Möglichkeit.<br />
17 | Womit verbr<strong>in</strong>gen Sie Ihre Freizeit am<br />
liebsten? Mit me<strong>in</strong>er Familie oder Freun<strong>den</strong> zu<br />
wandern und mich dabei zu unterhalten. Auch<br />
Bootfahren und Schwimmen. Auf dem Wasser<br />
fühle ich mich mit der Welt mehr verbun<strong>den</strong> als<br />
am Schreibtisch – das „ozeanische Gefühl“.<br />
18 | Was wären Ihre drei Bücher für die Insel?<br />
Die Bibel, Camus´ Mythos von Sisyphos und das<br />
Tagebuch für me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der.<br />
19 | Wenn Sie e<strong>in</strong>en Wunsch frei hätten …?<br />
Dann <strong>den</strong>, weniger zu wünschen.<br />
20 | Ihr Motto? „Wir müssen uns Sisyphos als<br />
e<strong>in</strong>en glücklichen Menschen vorstellen.“<br />
scientia halensis 4/2012 personalia<br />
Aus der Vita<br />
Geboren am 19. 8. 1966<br />
<strong>in</strong> Wermsdorf (Sachsen).<br />
Verheiratet, vier K<strong>in</strong>der<br />
1986 – 1991 Studium<br />
der Ev. Theologie an der<br />
Universität Leipzig<br />
2000: Promotion zum Dr.<br />
phil., anschließend wiss.<br />
Mitarbeiter am Lehrstuhl<br />
für Wirtschaftspolitik der<br />
Universität Magdeburg<br />
seit 2005 wissenschaftlicher<br />
Koord<strong>in</strong>ator<br />
der Graduiertenschule<br />
„Gesellschaft und Kultur<br />
<strong>in</strong> Bewegung“, seit 2011<br />
auch des gleichnamigen<br />
Forschungsschwerpunkts<br />
der MLU<br />
W<strong>in</strong>tersemester 2012/<br />
2013 Brown Foundation<br />
Fellow und Visit<strong>in</strong>g<br />
Professor of International<br />
and Global Studies <strong>in</strong><br />
Sewanee, University of the<br />
South, USA<br />
41
42 zeitgeist scientia halensis 4/2012<br />
Der Zeitgeist, Jahrgang<br />
1760, tauchte zuerst bei<br />
Johann Gottfried Herder<br />
auf. Auch Johann Wolfgang<br />
von Goethe setzte<br />
ihm e<strong>in</strong> Denkmal, <strong>in</strong>dem<br />
er Faust vom „Geist der<br />
Zeiten“ sprechen ließ.<br />
Inzwischen wirkt er -<br />
unübersetzt oder als „spirit<br />
of the times“ - längst auch<br />
<strong>in</strong> der englischsprachigen<br />
Welt.<br />
Geschenke, die das Leben schöner machen: Süßigkeiten,<br />
Brezeln und süße Buchstaben lockten e<strong>in</strong>st<br />
zum Spielen mit Klanghölzern, zum Umgraben des<br />
Schulgartens und zum Toben im Sportunterricht. Oft<br />
fallen die Anreize heute e<strong>in</strong> wenig üppiger aus: Fahrräder,<br />
Kle<strong>in</strong>wagen, Helikopter. Ich habe schon seit<br />
längerem die Vermutung, dass das ABC schwerer<br />
gewor<strong>den</strong> se<strong>in</strong> muss. Prall gefüllte Zuckertüten und<br />
etliche Beigaben entreißen die angehen<strong>den</strong> Schüler<br />
<strong>den</strong> klebrig-süßen Armen des K<strong>in</strong>dergartens. Ihr Dase<strong>in</strong><br />
müssen sie von nun an auf harten Holzstühlen<br />
fristen und: „Stillsitzen und zuhören!“ – Der Ernst<br />
des Lebens beg<strong>in</strong>nt.<br />
Willkommensgaben auch nach dem Schulabschluss:<br />
Notebooks und Fahrräder <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>-Waal, Bahncards<br />
<strong>in</strong> Potsdam, e<strong>in</strong> Semester mietfrei wohnen <strong>in</strong> Frankfurt<br />
an der Oder. Den Übergang vom Schüler-Dase<strong>in</strong><br />
zum Stu<strong>den</strong>tenleben federt die Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
lediglich mit e<strong>in</strong>em Gutsche<strong>in</strong>heft im Wert<br />
von 300 Euro ab, hübsch verpackt <strong>in</strong> weiß-magentafarbenen<br />
„stu<strong>den</strong>ts welcome bags“ – Orientierungshilfen<br />
und Infomaterial <strong>in</strong>klusive. Haben die<br />
süßen Kle<strong>in</strong>en die „Heiligen Hallen“ der Universität<br />
betreten, wer<strong>den</strong> Selbstständigkeit, Strebsamkeit<br />
Dr. Usus Zeitgeist<br />
der ernst des lebens<br />
Zeichnung: Oliver Weiss<br />
und Lernbereitschaft vorausgesetzt. Von nun an<br />
heißt es: „Stillsitzen, zuhören und mit<strong>den</strong>ken!“ – Der<br />
Ernst des Lebens beg<strong>in</strong>nt.<br />
Von der Zimmerpflanze bis zum Dienstwagen: nach<br />
dem Studium können die Anreize recht unterschiedlich<br />
ausfallen. Zum e<strong>in</strong>en die für <strong>den</strong> verschmähten<br />
Geisteswissenschaftler, der im Überangebot der Arbeitskräfte<br />
das unterirdische Angebot des Marktes<br />
wahrnehmen muss. Zum anderen die Lockmittel<br />
für <strong>den</strong> gefragten Ingenieur, der sich vom Speichel<br />
der Großfirmen, die sich die F<strong>in</strong>ger nach ihm lecken,<br />
befreien muss. Im Büro, Labor oder auf dem Arbeitsamt<br />
heißt es nun: Verantwortung übernehmen<br />
und „Stillsitzen, zuhören, mit<strong>den</strong>ken und mitre<strong>den</strong>!“<br />
– Der Ernst des Lebens beg<strong>in</strong>nt.<br />
Seniorenteller, Leselupe und High-Tech-Hörgerät:<br />
Hat man 40 Jahre harter Arbeit h<strong>in</strong>ter sich gebracht,<br />
s<strong>in</strong>d die Anreize für <strong>den</strong> nächsten Lebensabschnitt<br />
fast unüberschaubar. Und es wer<strong>den</strong> immer mehr.<br />
Ke<strong>in</strong> Wunder, die Zielgruppe wächst ja stetig mit.<br />
Im Angesicht des Lebensabends gilt: Verantwortung<br />
abgeben und „Zuhören, <strong>den</strong>ken, re<strong>den</strong> und machen.<br />
Lassen.“ – Im Ernst.
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