. Wittenberg 04-05 gesamt - Lutherstadt Wittenberg

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Nr. 2/2005 - 3 - wittenberg.de Rede des Oberbürgermeisters zum Neujahrsempfang 2005 Foto: Studio Kirsch zum Neujahrsempfang der Lutherstadt Wittenberg begrüße ich Sie, auch im Namen des Stadtrates im “Alten Rathaus”. Nachdem wir im vergangenen Jahr in das KTC wechseln mussten, sind wir wieder am traditionellen Ort! Das “Alte Rathaus” wurde saniert. Sie können sich heute Abend davon überzeugen, dass hier im besten Sinne des Wortes ganze Arbeit geleistet wurde. Die Versorgungsleitungen sind neu, ein Fahrstuhl wurde eingebaut. Das Rathaus erstrahlt in neuem Glanz. Doch wie heißt es in einem Sprichwort: “Bürger machen eine Stadt, nicht ihre Mauern!” Ich freue mich, dass sich die Bürgerschaft heute Abend in ihrem Haus versammelt hat. Sie alle sind die Stadt. Wir erfüllen sie mit Leben. Unsere Mauern sind eine wunderbare Kulisse. 2004 war ein Jahr der Reformdiskussion und von Reformbeschlüssen für viele Lebensbereiche. Gesundheitsreform, Steuerreform, Arbeitsmarktreform, Einwanderungsreform, Föderalismusreform, EU-Erweiterung u. a. waren und sind heiß diskutierte bundespolitische Themen. Haushaltskonsolidierung, 35-h-Woche ohne Lohnausgleich, Gebiets- und Funktionalreform, Kommunalwahl ist eine kleine Auswahl lokaler Reformthemen. Ich weiß, das sind abstrakte Politbegriffe, aber es gibt kein unpolitisches Leben. Jeder Einzelne ist von den Wirkungen betroffen. Ich hoffe, dass viele Ängste vor Veränderungen nicht bestätigt werden, sondern dass Veränderungen und Reformen als Chance verstanden und wahrgenommen werden. Wenn etwas besser werden soll, muss es sich ändern. Den kritischen Mut zur Veränderung wünsche ich uns allen, aber auch den Mut zum Fehler! Dazu gehört für mich auch die Toleranz gegenüber Fehlern. Die Suche nach neuen Lösungen schließt den Irrtum nicht aus. Beharren, Besitzstandswahrung und Privilegien werden uns nicht dauerhaft weiterbringen. All unsere Probleme, Ängste und Bedenken werden jedoch relativiert angesichts der Naturkatastrophe in Südostasien und ihrer furchtbaren existenziellen Auswirkungen auf Millionen von Menschen. Wie selten zuvor liegen unsere eingebildete Allmacht und unsere grenzenlose Ohnmacht so dicht beieinander. Diese Flut ist eine globale Katastrophe. Weltweit sind Menschen und Familien von dem Unglück betroffen. Es gab kein Warnsystem, die Menschen hatten keine Chance. Wir denken an die Opfer. Wir trauern um unsere deutschen Landsleute. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen. Durch die Schnelligkeit der Medien ist eine globale Betroffenheit eingetreten. Wir erleben eine bisher nie erlebte globale Hilfsbereitschaft. Der kalte bedrohende Begriff der Globalisierung erhält durch diese Hilfsbereitschaft eine zusätzliche positive Bedeutung, die von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Politische und religiöse Grenzen werden überwunden. Vielleicht gibt es ja einen nachhaltigen Impuls zu mehr globaler Partnerschaft. Wir dürfen dabei nicht übersehen, dass die Opferzahlen der vielen Krisen und sozialen Ungerechtigkeiten, insbesondere in Afrika, nicht weniger schrecklich sind und der nachhaltigen globalen Solidarität bedürfen. Weil wir aus Erfahrung vom Elbehochwasser wissen, was es bedeutet, in den Stunden schwerer Not eine ebenso unglaubliche Welle der Solidarität zu erfahren, wissen wir wie Hilfe und Solidarität Mut machen können in Stunden der Verzweiflung und Hilflosigkeit. Wir können aber auch ermessen, was den Ländern dort an Aufbauarbeit bevorsteht. Und im Gegensatz zur reichen Bundesrepublik wird es in den asiatischen Ländern viel, viel schwieriger die Schäden zu beseitigen. Deshalb ist nach der Nothilfe Hilfe für einen nachhaltigen Wiederaufbau nötig. Daran sollten und wollen wir uns beteiligen. Die Stadt hat ein Spendenkonto bei der Sparkasse Wittenberg eingerichtet, Kto. Nr. 1805, Kennwort: “Schule Babah Nipah - Asien”. Mit den Spenden soll über UNICEF der Wiederaufbau einer Schule in Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, verehrte Gäste, Babah Nipah auf Sumatra mitfinanziert werden. Dank an dieser Stelle für das Engagement des Piesteritzer Hofes, I.D.Reisen, Mitteldeutsche Zeitung und Kulturmagazin INGO. Wie Sie vielleicht schon gesehen haben, sind im Foyer einige Informationstafeln zum betroffenen Gebiet aufgestellt. Wenn auch Sie zum Wiederaufbau der Schule beitragen möchten, liegen dort Überweisungsträger zum Mitnehmen bereit. Am 22.01.2005 wird außerdem im Piesteritzer Hof eine Benefizgala zu Gunsten der Schule durchgeführt. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich diesen Termin vormerken würden. Trotz Katastrophe bleiben natürlich auch andere Fragen und Wünsche für 2005 - Bleibe ich und meine Familie gesund? - Werden wir von Unglücken und Katastrophen verschont? - Bleibt der Frieden erhalten, bzw. sicher? - Wie entwickelt sich unsere Demokratie unter den vielfältigen Belastungen und neuen Anforderungen? - Wird die Reform der sozialen Marktwirtschaft unter den Bedingungen der Globalisierung gelingen, sodass sie weiterhin als sozial empfunden und erlebt werden kann? - Gelingt es Bedingungen zu schaffen, dass jeder der arbeiten will auch arbeiten kann und dadurch seine Existenz sichern kann? - Wird der weltweite Terror gebannt und bleiben wir verschont? - Werden unsere Kinder und Enkel Lebensperspektiven haben? - Wie bewältigen wir den dominierenden Prozess der Schrumpfung in unserer Stadt? - Wie entwickelt sich unsere Stadt, unser unmittelbares Lebensumfeld? Alles Fragen, die uns bewegen. Die meisten unterliegen nicht unserer direkten oftmals nicht mal unserer indirekten Einflussnahme. Aber eine kurze Anmerkung sei mir gestattet! Politische Fragen sind mit politischen Mitteln zu beantworten. Die Stärkung von individueller Freiheit und individueller Verantwortung in demokratischen Regeln ist das beste Mittel zur Lösung vieler Fragen. Politiker und Staat sind begrenzt. Schnelle, einfache Lösungen sind mit Misstrauen zu betrachten, insbesondere vor Wahlen. Es geht um die Wahrung und Entwicklung der Demokratie auf allen Ebenen, hier in Wittenberg, in Deutschland, in der EU oder im Irak. Obwohl ich um die Mühen, die Mängel, das Frustpotenzial und die Grenzen des demokratischen, politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses weiß, bin ich der Überzeugung, dass es keine wirkliche Alternative zu ernst genommener, gelebter Demokratie gibt! Wenden wir jetzt den Blick auf unsere Stadt! Nur einige Aspekte möchte ich gleichsam wie ein Streiflicht ansprechen. Wie bewältigen wir den Prozess des Schrumpfens mit all seinen Begleitumständen in unserer Stadt? Das ist eine der zentralen Fragen der nächsten Jahre! Wenn der jetzige Trend unverändert anhält, hat Wittenberg nach neuesten Prognosen 2023 noch ca. 30.000 Einwohner. Diese Prognose muss sich nicht bestätigen, denn wir können und müssen etwas tun, nicht weil wir Größe brauchen, sondern die Stadt und ihre Bewohner brauchen Entwicklungsperspektiven, die Alten und die Jungen. Erste und wichtigste Frage ist die Existenzsicherung. Wer will einen Vorwurf erheben wenn Menschen der Arbeit nachziehen? Hier existenzsichernde Arbeit zu ermöglichen, ist und bleibt die größte Herausforderung. Wir dürfen uns nicht an die hohe Arbeitslosigkeit gewöhnen. Hinter jeder Zahl stehen menschliche Schicksale.
Seite 1: Jahrgang 12 Freitag, den 28. Januar
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