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Fotografik Neue Realitäten

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<strong>Neue</strong><br />

RealitäteN<br />

WIENAND<br />

FotoGrafik<br />

von Warhol bis Havekost<br />

herausgegeben für das Kupferstichkabinett<br />

der Staatlichen Museen zu Berlin<br />

von Andreas Schalhorn<br />

mit weiteren Beiträgen von Hubertus Butin<br />

und Zara Reckermann


Diese publikation erscheint anlässlich der Ausstellung<br />

»<strong>Neue</strong> <strong>Realitäten</strong>. fotoGrafik von Warhol bis Havekost«<br />

Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin<br />

10. Juni bis 9. Oktober 2011<br />

galerie Stihl Waiblingen<br />

18. februar bis 27. Mai 2012<br />

Ausstellung und Katalog<br />

Andreas Schalhorn<br />

Verlagsredaktion<br />

Julia frohnhoff<br />

lektorat<br />

ulrike Bleicker-Honisch<br />

Hella Neukötter<br />

grafik<br />

Martina Zelle<br />

gesamtherstellung<br />

Wienand Verlag, Köln<br />

www.wienand-verlag.de<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese publikation<br />

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

ISBN 978-3-88609-704-3 (Museumsausgabe)<br />

ISBN 978-3-86832-061-9 (Buchhandelsausgabe)<br />

© 2011 Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung preußischer Kulturbesitz,<br />

Wienand Verlag, Köln, und die Autoren<br />

Ausstellung in Berlin<br />

Direktion<br />

Heinrich Schulze Altcappenberg<br />

Ausstellungskonzeption<br />

Andreas Schalhorn<br />

Ausstellungssekretariat<br />

Ira fröhlich, Mara Johanna Weiß<br />

Restaurierung/Rahmung<br />

udo Schade<br />

Bildredaktion<br />

Andreas Heese, Bildarchiv preußischer Kulturbesitz<br />

Ausstellungsaufbau<br />

Marion Stenzel, Bettina gojowczyk, thomas Schreiber, Ingo Valls,<br />

Michel Hansow, christian liehm<br />

Beleuchtung<br />

Reiner Reis<br />

www.kupferstichkabinett.de<br />

www.smb.museum<br />

www.museumsshop.smb.museum<br />

Ausstellung in Waiblingen<br />

leitung<br />

Ingrid-Sibylle Hoffmann<br />

Ausstellungskonzeption<br />

Ingrid-Sibylle Hoffmann, Zara Reckermann<br />

Ausstellungsaufbau<br />

Stefan Heuer, Jürgen griesheimer<br />

Ausstellungssekretariat<br />

Stephanie Hansen, Doris Orgonas<br />

www.galerie-stihl-waiblingen.de<br />

fotonachweis<br />

Archiv Hubertus Butin: S. 55 (rechts), 58, 62; Archiv gerhard Richter:<br />

S. 55 – 57; Artax Kunsthandel Kg, Düsseldorf: S. 69; Martin Borowski, Berlin:<br />

S. 80; Johan Deumens, Haarlem: S. 77; Edition copenhagen, Kopenhagen:<br />

S. 78, 79, 86, 87; Edition René Block, Berlin: S. 37; galerie Niels Borch<br />

Jensen, Berlin: S. 24, 25; Werner lieberknecht, Dresden: S. 74, 75, 76;<br />

Jochen littkemann, Berlin: S. 6 (unten), 10, 13, 16, 17, 63, 82.<br />

Alle übrigen Aufnahmen der publikation erstellten Volker-H. Schneider, Berlin,<br />

und Jörg p. Anders, Berlin.<br />

Bildnachweis<br />

für die Werke von Bernd & Hilla Becher: © Hilla Becher, Düsseldorf;<br />

Marcel Duchamp: © Succession Marcel Duchamp/Vg Bild-Kunst, Bonn<br />

2011; Eberhard Havekost: © der Künstler und galerie gebr. lehmann,<br />

Dresden/Berlin; R. B. Kitaj: © the Estate of R. B. Kitaj/Marlborough gallery,<br />

New York; Sigmar polke: © the Estate of Sigmar polke/Vg Bild-Kunst, Bonn<br />

2011; Robert Rauschenberg: © Estate of Robert Rauschenberg/Vg<br />

Bild-Kunst, Bonn 2011; Dieter Roth: © Dieter Roth foundation, Hamburg;<br />

Al taylor: © the Estate of Al taylor/David Zwirner, New York; Andy Warhol:<br />

© 2011 the Andy Warhol foundation for the Visual Arts, Inc./Artists Rights<br />

Society (ARS), New York<br />

für die Werke von christiane Baumgartner, christian Boltanski, Kp Brehmer,<br />

Marcel Broodthaers, Hans-peter feldmann, Richard Hamilton, carsten Höller,<br />

Jasper Johns, thomas Kilpper, Roy lichtenstein, Michael Morgner, Eduardo<br />

paolozzi, Mel Ramos, peter Sorge, Klaus Staeck, Rosemarie trockel, Wolf<br />

Vostell: © Vg Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

für alle übrigen Werke liegen die Bildrechte bei den Künstlern bzw. deren<br />

Rechtsnachfolgern. Der Verlag und die Autoren haben sich bemüht, alle<br />

Rechteinhaber ausfindig zu machen. Eventuell bestehende Ansprüche werden<br />

selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.<br />

umschlagabbildungen: carsten Höller (Kat. 31, vorne),<br />

Kai Schiemenz (Kat. 54, hinten)<br />

frontispiz: Jan Svenungsson (Kat. 58)<br />

iNhalt<br />

7 HeinricH ScHulze AltcAppenberg<br />

DAS KupfERStIcHKABINEtt:<br />

EIN ORt DES MEDIENDISKuRSES<br />

11 AndreAS ScHAlHorn<br />

NEuE REAlItätEN.<br />

fOtOgRAfIScHE BIlDER IM MEDIuM DER DRucKgRAfIK<br />

47 HubertuS butin<br />

EINE »SüNDE WIDER DEN gEISt DER gRApHIK«?<br />

Der Offsetdruck und seine unterschätzten Möglichkeiten<br />

83 zArA reckermAnn<br />

Zu DEN DRucKgRAfIScHEN VERfAHREN<br />

90 literAtur<br />

92 kAtAlog der AuSgeStellten Werke


RIcHARD HAMIltON i‘m Dreaming of a White christmas 1967 (Kat. 20)<br />

RIcHARD HAMIltON i‘m Dreaming of a black christmas 1971 (Kat. 21)<br />

Das KupFeRstichKabiNett:<br />

6 7<br />

eiN ORt Des<br />

meDieNDisKuRses<br />

Vor 30 Jahren griffen Alexanders Dückers im Kupferstichkabinett<br />

Dahlem (Druckgraphik. Wandlungen eines Mediums seit 1945)<br />

und Anita Kühnel im Kupferstichkabinett auf der Museumsinsel<br />

(Das Photo in der Graphik. Montagen – Adaptationen – Korrespondenzen)<br />

das Thema Fotografie in der Druckgrafik in zwei<br />

Ausstellungen auf. Was damals – motiviert von den Impulsen der<br />

Konkreten Kunst, der Pop Art, Optical Art und Concept Art sowie<br />

den technischen Möglichkeiten der Serigrafie und diverser Rasterdruckverfahren<br />

– zum Ende des ersten, von Walter Benjamin<br />

angestoßenen Mediendiskurses der Moderne offensichtlich systemübergreifend<br />

hoch interessant erschien, das wird in der diesjährigen<br />

Sommerausstellung des seit 20 Jahren wiedervereinigten Berliner<br />

Kupferstichkabinetts vor dem Hintergrund des »digital turn« und<br />

neuerer Diskussionen zu aktualisieren sein. Es ist seit langem die<br />

erste Ausstellung zu diesem spannenden Thema in Berlin – und<br />

überhaupt im deutschen Sprachraum.<br />

Bekanntermaßen ist das, was wir heute »Mediendiskurs in den Künsten«<br />

nennen und mit bildgebenden grafischen Verfahren assoziieren,<br />

kein wirklich neues Phänomen. Dieser Diskurs ist seit Erfindung<br />

der Druckgrafik um die Mitte des 15. Jahrhunderts in der künstlerischen<br />

Praxis, bald auch in der Theorie und Kritik, später in der<br />

musealen Arbeit virulent. Denn mehr als andere Gattungen, ja selbst<br />

mehr als die hochmobile Zeichnung war die Druckgrafik in ihren<br />

mit der Zeit feinstens ausgebildeten Verästelungen des Hoch-, Tiefund<br />

Flachdrucks »das« Medium der Bildkommunikation in Europa.<br />

Vor der Folie einer so reichen und bis heute zunehmend reflektierten<br />

Geschichte haben sich die technische und künstlerisch-ästhetische<br />

Einbindung auch neuer Medien wie der klassischen Fotografie und<br />

des Films, in jüngerer Zeit auch der unmittelbare Ausdruck digitaler<br />

Bildvorlagen oder gar nur ihr flüchtiger »Abdruck« auf dem Bildschirm<br />

als zusätzliche Varianten der grafischen Künste etabliert.<br />

Natürlich ist der Mediendiskurs nicht nur an Grafischen Sammlungen<br />

beheimatet, sondern auch an anderen Forschungs-, Bildungsund<br />

Lehreinrichtungen, in Gelehrtenstuben und Künstlerateliers.<br />

Das Museum aber hat das einzigartige Privileg und die wunderbare<br />

Aufgabe, die entsprechenden Objekte zu sammeln, auf Dauer zu bewahren<br />

und öffentlich zugänglich zu machen. So rekrutiert sich die<br />

hier vorgestellte Auswahl fast ausschließlich aus den Beständen des<br />

Berliner Kupferstichkabinetts. Die maßgeblichen Konvolute insbesondere<br />

an nordamerikanischer, aber auch deutscher Druckgrafik<br />

der 1960er- bis 1990er-Jahre konnte mein Vorgänger im Amt, Alexander<br />

Dückers, mit ebenso großer Passion wie Kennerschaft zusammentragen.<br />

Bedeutende Zuwächse der letzten Zeit verdanken<br />

sich in erster Linie dem privaten Engagement: den Schenkungen<br />

von Hans + Uschi Welle (vermittelt von Clemens Fahnemann), der<br />

Sammlung Paul Maenz Gerd de Vries (vermittelt von Erika Hoffmann),<br />

der Sammlung der Schering Stiftung im Kupferstichkabinett<br />

und den Erwerbungen der Graphischen Gesellschaft zu Berlin –<br />

Vereinigung der Freunde des Kupferstichkabinetts e.V. Ein überaus<br />

verlässlicher Partner, die Kulturverwaltung des Landes Berlin<br />

und deren Förderkommission, half uns, bedeutende Erwerbungen<br />

mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie Berlin zu tätigen.<br />

Aus dem Kreis der engen Freunde des Hauses unterstützten das<br />

Vorhaben in großartiger Weise Wolfgang Wittrock (Berlin), dessen<br />

Schenkung von 30 Editionen Sigmar Polkes im Jahr 2007 Ausgangspunkt<br />

und Anregung für Buch und Ausstellung war, und Hubertus<br />

Butin (Berlin) durch den kompetenten fachlichen Austausch<br />

und mit seinem Textbeitrag. Unser Dank geht ferner an die Autorin<br />

Zara Reckermann (Waiblingen) und die Galerie Stihl Waiblingen<br />

mit ihrer Leiterin Ingrid-Sibylle Hoffmann, welche die Präsentation<br />

im Rahmen einer ausbaufähigen Kooperation 2012 übernimmt.<br />

Die professionelle und engagierte Betreuung durch den Wienand<br />

Verlag, hier besonders Julia Frohnhoff und bezüglich der Gestaltung<br />

Martina Zelle, garantierte das gute und schöne Buch.<br />

Ein weiterer Dank gebührt dem Medienkünstler Rozbeh Asmani,<br />

der zusammen mit Studenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst<br />

in Leipzig – dankenswerterweise vermittelt durch Katrin von<br />

Maltzahn – eine medienreflexive Dokumentation zum Verfahren<br />

der Fotogravüre erstellte, welche unsere Ausstellung begleitet.<br />

Mein Respekt gilt allen, die am Berliner Kupferstichkabinett in<br />

das Projekt involviert waren: Andreas Heese (Bildbeschaffung), Ira<br />

Fröhlich (Sekretariat), Mara Weiß (Ausstellungsorganisation) und<br />

besonders Udo Schade, dem langjährigen Restaurator der Moderne<br />

am Haus, der zum Ende des Jahres in den Ruhestand treten<br />

wird. Und natürlich meinem Kollegen Andreas Schalhorn, dem Referenten<br />

für die moderne und zeitgenössische Kunst am Kabinett.<br />

Er zeichnet nicht nur für die Qualität von Ausstellung und Buch<br />

verantwortlich, sondern auch für die Entwicklung des Sammlungsprofils<br />

in den letzten Jahren. Mit der Entscheidung für Themenausstellungen,<br />

die kontext- und anlassbezogen auch monografische<br />

Akzente aufweisen können, war immer die Aufgabe verbunden, gezielt<br />

auf das jeweilige Vorhaben hin zu erwerben. So gehen der Auftrag<br />

des Sammelns, des Forschens, der öffentlichen Ausstellung und<br />

des Einmischens in den zeitgenössischen Diskurs Hand in Hand.<br />

Das ist Andreas Schalhorn mit seinen <strong>Neue</strong>rwerbungen, Studien<br />

und Präsentationen etwa zu »Wittgenstein in New York«. Stadt<br />

und Architektur in der neueren Kunst auf Papier (2005), Based on<br />

Paper. Die Sammlung Marzona (2007) oder Vom Esprit der Gesten.<br />

Hans Hartung, das Informel und die Folgen (2010) und nun<br />

mit den <strong>Neue</strong>n <strong>Realitäten</strong> hervorragend gelungen.<br />

HEINRIcH ScHulZE<br />

AltcAppENBERg


Kp BREHMER aufsteller 25 1967 (Kat. 11)<br />

tischen Malerei mit größter Radikalität der Neukonstitution fotografisch<br />

erfasster Figuren- und Landschaftsmotive, die nun aus einzelnen<br />

»Lichtpunkten« gleichsam pointillistisch aufgebaut werden<br />

(Abb. S. 10). Das farbige Foto (in seiner Projektion als Diapositiv)<br />

wird in eine ganz neue Bildwirklichkeit überführt.<br />

Die in Ausstellung und Katalog vorgestellten druckgrafischen<br />

Werke aus den Beständen des Berliner Kupferstichkabinetts, die nur<br />

eine Auswahl darstellen9 , lassen erkennen, dass sich die einzelnen<br />

Künstler mit dem verwendeten, teils vorgefundenen, teils eigens angefertigten<br />

Fotomaterial zum einen auf einer formal-ästhetischen<br />

Ebene auseinandersetzen. Zum anderen aber greifen sie auch auf<br />

die Inhalte dieser Bilder zurück, die über die druckgrafische Aufbereitung<br />

neue Sichtbarkeit und Bedeutung erlangen.<br />

Die FotoGrafik lässt sich im weitesten Sinne als aneignendes Medium<br />

begreifen, das fotografische Bilder in der Reproduktion verändert<br />

und über die weitere künstlerische Bearbeitung neu konfiguriert.<br />

Beispielhaft und in Form eines Streifzuges soll dieses Vorgehen<br />

im Folgenden verdeutlicht werden. Da sich viele der Arbeiten trotz<br />

aller stilistischen und technischen Unterschiede bestimmten Themengruppen<br />

(Porträt, Ereignisbild), Funktionen und Fragestellungen<br />

zuordnen lassen, bietet es sich an, sie anhand dieser Aspekte<br />

auf ihren künstlerischen Gehalt hin zu untersuchen, ohne dabei nur<br />

eine Drucktechnik zu fixieren. Im Gegenteil macht erst der Kontrast<br />

etwa zwischen einem Siebdruck und einer Heliogravüre die<br />

einem Druckverfahren immanenten Möglichkeiten deutlich. Auf<br />

diese Weise werden die unterschiedlichen Grade der Veränderung<br />

des Fotomaterials sichtbar – und deren neuer Realitätsgrad in der<br />

Druckgrafik. Denn FotoGrafiken sind nur in den seltensten Fällen<br />

– darin dem Poster oder Kunstdruck vergleichbar – allein hochwertige<br />

Editionen, die der Reproduktion dienen wie etwa bei Bernd<br />

und Hilla Becher oder Eduardo Paolozzi (Abb. S. 89, 30 – 31).<br />

Dabei kommen folgende Strategien der Bearbeitung fotografischer<br />

Bilder in der Druckgrafik zum Einsatz: Unschärfe, Raster, Vergrößerung,<br />

Fragmentierung, Collagierung und farbliche Veränderung.<br />

Zu letztgenannter Strategie gehört etwa auch die im Druck erfolgende<br />

Rückübersetzung eines Fotos in sein Negativ, wie etwa Rosemarie<br />

Trockels Siebdruck Frottee (Abb. S. 70) bezeugt. Das Alltäglich-Häusliche,<br />

das sich in der Wäsche an der Leine manifestiert,<br />

kippt hier ins Unheimliche, die Realität wird befremdlich.<br />

Eine wichtige Option, die Strategien der druckgrafischen Bearbeitung<br />

fotografischen Materials aufzuzeigen und zu variieren, stellt übrigens<br />

die Serie dar – eine Werkform, die sich in der Druckgrafik auch in<br />

Gestalt des Mappenwerks häufig findet (vgl. Abb. S. 17, 28 – 29).<br />

pORtRäts: Das Gesicht als pROjeKtiONsFläche<br />

Die Printmedien der Konsumgesellschaft lieferten der Pop Art das<br />

Fundament für die Erstellung von Gemälden, Objekten und druckgrafischen<br />

Arbeiten. Die Faszination für das triviale Bildmaterial<br />

aus vor allem US-amerikanischen Zeitschriften und Comics belegen<br />

die frühen Collagen von Eduardo Paolozzi, einem der Protagonisten<br />

der britischen Pop Art, die er 1950 zusammenstellte und 1972 in<br />

dem Mappenwerk Bunk (übersetzt Quatsch) in Form von aufwändigen,<br />

auf farbige Papiere montierten Reproduktionen (Siebdruck<br />

und Lithografie) veröffentlichte (Abb. S. 30 – 31). Sie dienten ihm<br />

auch als Inspirationsquelle für weitere druckgrafische Arbeiten, die<br />

im Laufe der 1960er-Jahre entstanden.<br />

Der Einsatz von Bildmaterial aus den Printmedien findet sich auch<br />

bei Andy Warhol, der seine Karriere in New York in den 1950er-<br />

Jahren als Werbegrafiker begonnen hatte. 1964 schuf er mit dem<br />

Porträt von Elizabeth Taylor (Liz) seinen ersten Siebdruck auf Papier,<br />

der sich einer Prominenten seiner Zeit widmet. Drei Jahre später<br />

entstand die zehnteilige Siebdruck-Folge der Marilyns (Abb. S. 32,<br />

34 – 35). Sie basiert auf einem Schwarzweißfoto Marilyn Monroes<br />

von Gene Kornman aus dem Jahr 195210 , das von Warhol auf einen<br />

quadratischen Ausschnitt reduziert wurde. 1962 hatte er das Motiv<br />

erstmals zur Anfertigung mehrerer Siebdruckbilder auf Acryl und<br />

Leinwand genutzt, welche das Gesicht der in diesem Jahr aus dem<br />

Leben geschiedenen US-amerikanischen Schauspielerin darstellen –<br />

teilweise auch mittels serieller Reihungen. Warhol ließ seine Folge<br />

von zehn mehrfarbigen Siebdrucken der Marilyn von seiner Factory<br />

ausführen, war also nicht manuell involviert. Der farbige Expressionismus,<br />

der die Serie auszeichnet, ist ein konzeptueller, geplanter<br />

Akt. Das Gesicht des zur Ikone gewordenen Sex-Idols, das 1953 das<br />

Cover des ersten Playboy geziert hatte, wird von Warhol jeweils neu<br />

eingefärbt und damit verfremdet. Für jeden Druck wurden mehrere<br />

Siebe verwendet, die als Schablonen miteinander kombiniert wurden,<br />

sodass verschiedene, interagierende Farbflächen entstehen, die<br />

der Monroe (aber auch dem quadratischen Bildfeld als solchem)<br />

als »Schminke« dienen – das künstliche Muttermal der Monroe<br />

eingeschlossen. Das Gesicht wird für Warhol zum Ausgangspunkt<br />

farbiger Manipulationen, die sich beliebig fortführen ließen. Es entstehen<br />

maskenhafte Setzungen, welche die Monroe wie eine Ware<br />

immer wieder neu verpacken.<br />

Warhol setzte mit dem Bild der Schauspielerin Monroe zwar motivisch<br />

auf einen der in den Medien gefeierten Stars seiner Zeit.<br />

Gleichwohl will er mit seinen posthum erschienenen Marilyns, die<br />

der Werkgruppe der Todesbilder zugerechnet werden, keinen Starkult<br />

betreiben: »Ich finde nicht, dass ich auf einigen meiner Bilder<br />

– etwa auf denen von Marilyn Monroe oder Elizabeth Taylor<br />

– die großen Sexsymbole unserer Zeit darstelle. Für mich ist die<br />

Monroe nichts anderes als eine Person unter vielen. Und was die<br />

Frage angeht, ob es ein symbolischer Akt ist, die Monroe in derart<br />

grellen Farben zu malen, so kann ich nur sagen: Mir kam es auf die<br />

Schönheit an, und sie ist schön; und wenn etwas schön ist, dann<br />

sind’s hübsche Farben. Das ist alles. So oder ähnlich verhält sich<br />

die Geschichte.« 11<br />

Der weibliche Körper als sexualisiertes Kaufargument wurde in der<br />

Druckgrafik der Pop-Ära, die an der Wirklichkeit der Bilder und<br />

Produkte der Konsumwelt ansetzte, mehr oder minder affirmativ<br />

aufgegriffen, wie die beiden Siebdrucke von Mel Ramos (Abb. S. 33)<br />

und KP Brehmer (Abb. S. 14) belegen. Beide Werke beruhen auf der<br />

fotomechanischen Adaptation von Bildern aus der Werbung. Bei<br />

Ramos kommt als Besonderheit hinzu, dass er bei der Schaffung der<br />

Grafik auf eines seiner Gemälde zurückgriff. 12 Sein Werk entstand<br />

im Kontext eines zweiteiligen Mappenwerks mit Arbeiten von elf<br />

Pop-Art-Künstlern, das der US-amerikanische Tabakkonzern Philip<br />

Morris herausgab. Das Verhältnis zur Werbung und dem beworbenen<br />

Produkt ist dementsprechend als unkritisch zu begreifen – die<br />

Rolle der Frau inklusive.<br />

KP Brehmer, wie Sigmar Polke und Gerhard Richter ein Vertreter<br />

des Kapitalistischen Realismus, nutzte als gelernter Drucker in den<br />

frühen 1960er-Jahren vor allem den Lichtdruck, bei farbigen, plakativer<br />

angelegten Arbeiten später jedoch auch den Siebdruck und<br />

den Linolschnitt. Er betont den Warenbezug seiner Arbeit dadurch,<br />

dass er sie als »Aufsteller« konstruiert, mit dem verschiedene Samentütchen<br />

scheinbar zum Verkauf angeboten werden. Allerdings<br />

korrespondieren diese Waren keineswegs mit dem frivolen Motiv<br />

einer Zigarre rauchenden Frau samt dazugehörigem Slogan, die<br />

15<br />

ANDREAS ScHAlHORN


RONAlD B. KItAJ<br />

What is a comparison? 1964 – 67 (Kat. 35)<br />

RONAlD B. KItAJ Go and Get Killed comrade –<br />

We Need a byron in the movement 1964 – 67 (Kat. 34)<br />

29


34 35<br />

ANDY WARHOl marilyn 1967 (Kat. 67)


48 dahingestellt, ob sich der Künstler mit den dargestellten Bettlern<br />

als gesellschaftlichen Außenseitern in ihrer prekären und ungesicherten<br />

Situation ein Stück weit identifizierte oder ob er vor allem<br />

den Umgang unserer Gesellschaft mit den Armen und Obdachlosen<br />

reflektieren wollte. Zumindest medientechnisch kann festgehalten<br />

werden, dass die Blätter auf eigenen Fotografien von Polke basieren,<br />

dass der Druck im Offsetverfahren auf edlem Karton erfolgte und<br />

die Motive trotzdem eine spezifisch trashige Erscheinung aufweisen:<br />

Sie zeigen Flecken, Fusseln, Kratzer, Unschärfen, Unterbelichtungen<br />

und Solarisationen 10 , die teils bei der Aufnahme der Motive oder<br />

bei der Belichtung des Fotopapiers im Labor entstanden und teils<br />

im chemischen Entwicklerbad hervorgerufen wurden. Die Effekte<br />

der Verunklärung und Auflösung der Motive konnte der Künstler<br />

bei einer hohen Auflage am besten im Offsetverfahren reproduzieren,<br />

was die Verwendung dieser Technik plausibel erscheinen lässt.<br />

Zwar lebt auch die Fotografie von der Serie, von der Möglichkeit<br />

mehrerer Abzüge, doch die identische Wiederholung etwa der Solarisationen<br />

im dritten Motiv der Reihe wäre in einer Fotoedition<br />

kaum möglich gewesen.<br />

III. DIe VIsualItät Des RasteRpunktes<br />

Die berühmteste und bedeutendste Druckgrafik Sigmar Polkes gab<br />

der Galerist August Haseke 1967 in seiner Galerie h in Hannover<br />

heraus. Mit dem gesellschaftspolitischen Impetus einer Demokratisierung<br />

der Kunst bot er damals den schwarz-weißen Offsetdruck<br />

Freundinnen I für nur 40 DM an (Abb. S. 54). Das Motiv geht auf<br />

eine kleine Zeitungsabbildung im Offsetverfahren zurück, die der<br />

Künstler fotografiert hatte, um davon einen sehr stark vergrößerten<br />

Papierabzug11 herzustellen, der dann wiederum im Offsetdruck reproduziert<br />

wurde. Martin Hentschel meint, dass die originale Vorlage<br />

»ein Ausschnitt aus einer Reklame« 12 , »eine Offerte neuer Bademode«<br />

13 sei, was sich jedoch als unwahrscheinlich herausgestellt<br />

hat. Wie sich August Haseke kürzlich erinnern konnte, 14 handelt<br />

es sich bei der blonden Frau links im Bild um Elke Sommer, was<br />

diese in Los Angeles mittlerweile bestätigt hat. 15 Sommer war in den<br />

1960er-Jahren eine erfolgreiche Hollywood-Schauspielerin und trat<br />

in ihren Filmen sehr häufig leicht bekleidet auf. Da sie es aufgrund<br />

ihres internationalen Erfolges nicht nötig hatte, Modewerbung zu<br />

machen, scheint es sich bei dem Motiv wohl eher um ein Film Still<br />

zu handeln. Der Titel des Blattes anonymisiert die dargestellten zwei<br />

Frauen allerdings, sodass der grundsätzliche Sachverhalt, dass es sich<br />

um ein Bild aus den Massenmedien handelt, für Polke wohl wichtiger<br />

gewesen ist als die Frage, welche Personen abgebildet sind. 16<br />

Der Künstler hat hier das Offsetverfahren als fotomechanisches<br />

Reproduktionsverfahren eingesetzt, um ganz deutlich werden zu<br />

lassen, dass die Übernahme und Verarbeitung gefundener Bildvorlagen<br />

die Auseinandersetzung mit einer Realität aus zweiter Hand,<br />

also mit einer medial vermittelten Wirklichkeit, bedeutet. Charles<br />

W. Haxthausen hebt treffend hervor, dass Polke, »immer wenn er<br />

sich ein Bild aneignet, auch die Kennzeichen von dessen Reproduktionstechnik<br />

als integralen Bestandteil dieses Bildes übernimmt«. 17 setdrucken allerdings Ausnahmen. Jasper Johns hat zwischen 1971<br />

und 1973 das Offsetverfahren für fotomechanische Reproduktionen<br />

eingesetzt, jedoch nur in Verbindung mit Kreide- und Tuschelithografien,<br />

die den Drucken eine betont malerische Anmutung geben<br />

(Abb. S. 49). Bei anderen Künstlern wie etwa Robert Rauschenberg,<br />

Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Ed Ruscha finden sich – wenn<br />

man von Künstlerbüchern und Ausstellungsplakaten absieht – nur<br />

ganz vereinzelt Offsetdrucke. In den 1960er- und 1970er-Jahren<br />

nahm in Europa das Verhältnis zu dieser Drucktechnik auffälligerweise<br />

eine etwas andere Entwicklung. Die offsetbasierte Transformation<br />

fotografischer Vorlagen lässt sich bei einigen Künstlern mit<br />

zahlreichen Beispielen belegen: bei Marcel Broodthaers ab 1964, bei<br />

Dieter Roth und Gerhard Richter ab 1966, bei Joseph Beuys, Sigmar<br />

Polke und Richard Hamilton ab 1967 sowie bei Christo ab 1968. Im<br />

Folgenden sollen einige beispielhafte Arbeiten vorgestellt werden.<br />

1972 gaben die Münchener Galeristen Heiner Friedrich und Fred<br />

Jahn von Marcel Broodthaers eine schwarz-weiße Druckgrafik mit<br />

dem Titel Ein Eisenbahnüberfall heraus (Abb. S. 46). Das Blatt zeigt<br />

mehrere kurze Filmstreifen mit Szenen von zwei Männern, die neben<br />

einem Zug stehen oder verdächtig an Bahngleisen hantieren.<br />

Unter den Abbildungen werden in einem Textstreifen Titel, Regisseur,<br />

Darsteller, Kamera und Produktion genannt. Der Titel spielt<br />

auf den berühmten US-amerikanischen Film Der große Eisenbahnraub<br />

von 1903 an, der als der erste Western der Filmgeschichte<br />

gilt. Im Stil erscheint Broodthaers’ Offsetdruck allerdings wie ein<br />

artifizielles Kinoplakat des Film noir. Seinen Film hat es in Wirklichkeit<br />

nie gegeben, denn die Druckgrafik als Plakat ist ein Fake.<br />

Der Drucktechnik kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da<br />

sie auf perfekte Weise auf eine filmische Arbeit verweist, deren Existenz<br />

durch das Blatt überzeugend vorgetäuscht wird.<br />

1976 und 1977 produzierte Hans-Peter Feldmann 21 schwarz-weiße,<br />

unbetitelte Drucke im Offset- und einige im Siebdruckverfahren,<br />

die anschließend in der Kölner Galerie von Paul Maenz und Gerd<br />

de Vries ohne Rahmen an die Wand gehängt wurden. Die fotografischen<br />

Motive sind vor allem Liebespaare, Sonnenuntergänge,<br />

Blumenwiesen, Palmenstrände, Tierbabys, Schloss Neuschwanstein<br />

und ein junges Mädchen, das sich Ballettschuhe anzieht. Die Galeristen<br />

nannten die Blätter aufgrund der sentimentalen, ja kitschigen<br />

Inhalte und Ästhetik Sonntagsmotive<br />

.<br />

Bei den Freundinnen I wird dies sofort sichtbar durch die das Bild<br />

konstituierenden Elemente: die unterschiedlich großen, schwarzen<br />

Punkte. Sie bildeten in der Zeitung das Raster, das notwendig war,<br />

um die fotografische Vorlage in eine Druckform übertragen zu<br />

können. Die Tonwerte des Halbtonbildes wurden dabei in einzelne<br />

Punkte zerlegt, die im Druck das Bild entstehen ließen und mehr oder<br />

weniger weiche Übergänge zwischen Hell und Dunkel erzeugten.<br />

9 (Abb. S. 52 und 53).<br />

Feldmann hatte sie von banalen Postern oder Kalenderblättern<br />

übernommen. Indem solche sehr verbreiteten Motive in sprödem<br />

Schwarz-Weiß reproduziert und im Kunstkontext platziert wurden,<br />

konnten sie zu anschaulichen Objekten der Reflexion werden. Die<br />

höchst stereotypen Bildformen besitzen einen penetrant affirmativen<br />

Charakter und bedienen somit spezifische gesellschaftliche<br />

Sehnsüchte. Sie sind aufgrund ihrer allgemeinen Lesbarkeit Teil unseres<br />

kollektiven Bewusstseins, wodurch ihnen eine große kulturelle<br />

Definitionsmacht zukommt. Die zum Teil grob gerasterten und somit<br />

billig wirkenden Blätter betonen das Prinzip des Reproduktiven<br />

sowohl in Bezug auf die Druckgrafik als auch auf die Populärkultur,<br />

in der solche Motive in riesigen Auflagen hergestellt wurden.<br />

Unter den deutschen Künstlern sind es vor allem Sigmar Polke und<br />

Gerhard Richter, die sich seit Mitte der 1960er-Jahre besonders intensiv<br />

und nachhaltig mit dem Offsetverfahren auseinandergesetzt<br />

haben. So produzierte Polke 1972 eine Reihe von vier ein- und<br />

zweifarbigen Druckgrafiken, die Klaus Staeck in Heidelberg unter<br />

dem Titel Kölner Bettler I – IV herausgab (Abb. S. 50, 51). Es sei Jasper Johns Decoy 1971 (kat. 32)


hans-peter Feldmann<br />

Ohne titel (Ballerina) 1976 – 77 (kat. 18)<br />

hans-peter Feldmann<br />

Ohne titel (Wasserfall) 1976 – 77 (kat. 17)<br />

53


Die Darstellung und Thematisierung des Druckrasters ist in der<br />

Kunst der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein fester Topos und<br />

wurde etwa von Sigmar Polke – der sich damit besonders intensiv<br />

auseinandersetzte – keineswegs erfunden, sondern gleichzeitig auch<br />

von vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen praktiziert. Bereits<br />

1932 stellte Kurt Kranz am Dessauer Bauhaus mit einer Repro-<br />

Kamera ein Selbstportrait mit einem sehr groben Punktraster her<br />

(Abb. unten). Hier verselbstständigen sich die Punkte fast gänzlich<br />

zu autonomen Bildelementen und lassen nur noch aus einem gewissen<br />

Abstand das Gesicht des Künstlers erkennen. 1945 und 1946<br />

griff Marcel Duchamp dieses Prinzip auf, als er die Umschläge für<br />

einen Ausstellungskatalog von Man Ray (Abb. S. 58) und für einen<br />

Gedichtband von André Breton entwarf. 18 54<br />

Als Zeitgenossen Polkes,<br />

die in den 1960er-Jahren in ihren Druckgrafiken den Rasterpunkt<br />

ebenfalls deutlich visualisiert haben, sind in England etwa Harold<br />

Cohen, Gerald Laing, Eduardo Paolozzi, Colin Self und Joe Tilson<br />

zu nennen, in Frankreich Alain Jacquet, in den USA Jim Dine und<br />

Roy Lichtenstein sowie in Deutschland Gerhard Richter, KP Brehmer<br />

und Wolf Vostell.<br />

55<br />

sigmar polke freundinnen I 1967 (kat. 40)<br />

gerhard richter elisabeth II 1966<br />

Je feiner ein Raster ist, umso größer wird der Umfang der Tonwerte<br />

und umso besser wird die Wiedergabe der Details. Eigentlich soll<br />

dieses technische Mittel als bildnerischer Darstellungsmodus nicht<br />

sichtbar sein. Doch durch Polkes starke Vergrößerung des Motivs<br />

im Offsetdruck sind die Rasterpunkte der ursprünglichen Vorlage<br />

nun unübersehbar geworden.<br />

Die eigene Visualität des Druckrasters wird bei Gerhard Richters<br />

Offsetdruck Elisabeth II von 1966 auf andere Weise vermittelt<br />

(Abb. oben). Der Künstler nahm das Motiv der amtierenden englischen<br />

Königin aus einer Zeitung mit einem unscharf eingestellten<br />

Kameraobjektiv auf und reproduzierte das Foto anschließend mit<br />

zwei versetzten Druckplatten im Offsetdruck. Somit erscheint die<br />

Dargestellte leicht verdoppelt und die weichzeichnende Unschärfe<br />

wird noch verstärkt. Vor der Belichtung der Druckplatten hatte<br />

Richter die Lithofilme so überlagert beziehungsweise verschoben,<br />

dass das feine Raster des Offsetdrucks in sich ein gitterartiges Muster<br />

aufweist. Bei einer normalen Reproduktion gilt ein solches als Moiré<br />

bezeichnetes Raster als Fehler, als drucktechnisch unerwünschtes<br />

Malheur. Richter hingegen setzt das Moiré als bewusstes künstlerisches<br />

Mittel ein, um die optische Auflösung der Figur zu verstärken<br />

und gleichzeitig das normalerweise nicht sichtbare Raster als die<br />

drucktechnische Grundvoraussetzung des Bildes zu betonen.<br />

In ihrer Offenheit der Form changieren die Freundinnen I- und<br />

Elisabeth II- Grafiken zwischen gegenständlichem Abbild und fast<br />

abstraktem Bild. Diese visuelle Ambivalenz von illusionistischer<br />

Darstellung auf der einen Seite und Eigenwertigkeit der bildnerischen<br />

Mittel auf der anderen Seite lässt die Konstruiertheit und<br />

Scheinhaftigkeit von Bildern der Massenmedien deutlich werden.<br />

Somit können Polkes und Richters Blätter als sinnliche Reflexionen<br />

der Wahrnehmungsbedingungen von gedruckten Fotografien aufgefasst<br />

werden. Dabei ist die künstlerisch eingesetzte Technik des<br />

Offsetverfahrens die Bedingung für das demonstrative Sichtbarwerden<br />

der jeweils spezifischen Rasterästhetik mit ihren großen Punkten<br />

oder mit dem Effekt des Moiré.<br />

IV. DIe RaffInesse OptIscheR täuschungen<br />

Seit Mitte der 1960er-Jahre setzt Gerhard Richter für seine Druckgrafiken<br />

ausschließlich fotomechanische Reproduktionstechniken<br />

ein: Offsetdruck, Siebdruck, Heliogravüre und Lichtdruck. Damit<br />

hat er – wie auch die genannten Künstlerkollegen – den Gegensatz<br />

von industrieller Technik und künstlerischer Handarbeit untergraben.<br />

Außerdem wurden auf diese Weise die traditionellen Vorstellungen<br />

von Autonomie, Authentizität und Originalität hinterfragt<br />

und der Produktionsprozess entmystifiziert. Denn eine betont subjektzentrierte<br />

Handschrift mit ihrem individuellen Ausdruckswert,<br />

wie man sie von der Kaltnadelradierung oder vom Holzschnitt kennt,<br />

wird hier verweigert, zumal Richters Druckgrafiken meist auf fotografischen<br />

Vorlagen basieren, die die genannten Reproduktions-<br />

kurt kranz selbstportrait 1932 hubertus butin


66 67<br />

al taylor shrunken head 1995 (kat. 62)<br />

al taylor Brigitte 1995 (kat. 62)

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