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Haftungsfragen in der Behandlungspflege - Werner Sellmer

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<strong>Haftungsfragen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><strong>Behandlungspflege</strong>H.-W. Röhlig, Jurist, Sem<strong>in</strong>aris Mediz<strong>in</strong>rechtE<strong>in</strong> engmaschiges ärztliches und pflegerisches Zusammenwirkenist die Grundvoraussetzung für e<strong>in</strong> effektiv wirkendesBehandlungskonzept. Was helfen beste Diagnostik und Therapieanordnung,wenn <strong>der</strong> Therapieerfolg an den Unzulänglichkeitene<strong>in</strong>er nicht abgesicherten pflegerischen Durchführungscheitert? – In Krankenhäusern, stationären und ambulantenPflegee<strong>in</strong>richtungen haben sich ärztlich-pflegerisch abgesicherteübergreifende Behandlungsstandards weitgehenddurchgesetzt. Defizite s<strong>in</strong>d zuweilen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e noch <strong>in</strong> Polikl<strong>in</strong>ikenund nie<strong>der</strong>gelassenen Arztpraxen festzustellen, woe<strong>in</strong>erseits die je<strong>der</strong>zeitige Verfügbarkeit des Patienten nichtgewährleistet ist, an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> organisatorische Ablauf nichtso planbar ist wie bei <strong>der</strong> Versorgung e<strong>in</strong>es mehr o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong>für längere Zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung verweilenden Patientenklientels.Wenn hier die rechtliche Seite <strong>der</strong><strong>Behandlungspflege</strong> angesprochenwird, soll dies nicht verschrecken.Ziel <strong>der</strong> Abhandlungist nicht, haftungsträchtige Gefahrenpflegerischen Handelns <strong>in</strong>den Vor<strong>der</strong>grund zu stellen, son<strong>der</strong>nvielmehr Lösungen aufzuzeichnen,um sowohl dem Patientenanspruchauf sichere Versorgungals auch dem Gebot zu entsprechen, dem pflegerischenPersonal Rechtssicherheit und Schutz vor unangemessenerrechtlicher Haftung zu gewähren.Anspruch, Verantwortung und Haftung<strong>in</strong> <strong>der</strong> pflegerischen Praxis„Recht und Gesetz wissenwohl darum, dass mancheVerschlechterung im Befundwe<strong>der</strong> auf ärztlichenoch pflegerische Fehlerzurückzuführen ist“„Ziel <strong>der</strong> Abhandlung istnicht, haftungsträchtigeGefahren pflegerischenHandelns <strong>in</strong> denVor<strong>der</strong>grund zustellen,son<strong>der</strong>n vielmehr Lösungenaufzuzeichnen“Das pflegerische Team – gleich ob als Schwestern, Pfleger,Arzthelfer<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> technisches Funktionspersonal <strong>in</strong> die Behandlunge<strong>in</strong>gebunden – schuldet dem Patienten <strong>in</strong> vertrauensvollerZusammenarbeit mit den ärztlichen Kollegen pflichtgemäßsorgfältiges Bemühen um Hilfe und Heilung. Dabei wirdnicht verkannt, dass es selbst bei größter Anstrengung nichtimmer möglich se<strong>in</strong> wird, dem e<strong>in</strong>zelnen Patienten die erhoffteL<strong>in</strong><strong>der</strong>ung se<strong>in</strong>er Beschwerden zu verschaffen und befürchteteKomplikationen auszuschließen. Recht und Gesetz wissenwohl darum, dass manche Verschlechterung im Befundwe<strong>der</strong> auf ärztliche noch pflegerische Fehler zurückzuführenist, son<strong>der</strong>n oft <strong>der</strong> nicht voll beherrschbarenkörpereigenen Risikosphäredes Patienten entspr<strong>in</strong>gt.So werden Komplikationenwie Wundheilstörungen, Dekubitus,Infektionen und Thrombosenjedenfalls dann nicht zumHaftungsproblem, wenn transparentnachweisbar ist, dass Behandlungund Pflege mit höchst möglicher Sorgfalt und <strong>in</strong> Beachtung<strong>der</strong> jeweils im E<strong>in</strong>zelfall erkennbaren Risiken durchgeführtwurde. Nur e<strong>in</strong> schuldhafter Verstoß gegen anerkannteRegeln sicherer <strong>Behandlungspflege</strong> kann zu haftungsrechtlichenKonsequenzen führen.In diesem Zusammenhang stellen sich mehrere Fragen: wieweit geht <strong>der</strong> Patientenanspruch? Ist er <strong>in</strong> Beachtung <strong>der</strong> knappenwirtschaftlichen Ressourcen auf e<strong>in</strong>e mittlere, mitunter vielleichtso nicht gewünschte o<strong>der</strong> trotz aller organisatorischenund f<strong>in</strong>anziellen Schwierigkeiten auf e<strong>in</strong>e hoch anzusetzendeQualität gerichtet? Wie steht es dann etwa um die Verantwortung<strong>der</strong> Pflege, wenn <strong>der</strong> <strong>in</strong> die häusliche Versorgung e<strong>in</strong>zuweisendePatient gefahrträchtige Schwierigkeiten z. B. mit denverordneten Antithrombosestrümpfen, <strong>der</strong> Medikamentenversorgungo<strong>der</strong> im Umgang mit den Penkanülen zur Verabreichung<strong>der</strong> Insul<strong>in</strong>gabe bekommt? Wer haftet bei mehr o<strong>der</strong>m<strong>in</strong><strong>der</strong> voraussehbaren Schäden und was heißt überhauptHaftung?Im mediz<strong>in</strong>isch ausgerichteten pflegerischen Bereich setzt Haftunge<strong>in</strong>en je nach straf- o<strong>der</strong> zivilrechtlicher Betrachtung mehro<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong> vermeidbaren Patientenschaden voraus. DerSchadensbegriff umfasst dabei nicht nur klassische Befundverschlechterungen;auch unnötige Verzögerungen im Heilungsverlaufwie auch physisch und/o<strong>der</strong> psychisch belastende Maßnahmenzählen bei <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er eher schonenden<strong>Behandlungspflege</strong> zum Begriff <strong>der</strong> Herbeiführung e<strong>in</strong>es vermeidbarenSchadens. Als gravierende Fehler seien hierzu exemplarische<strong>in</strong> schmerzhafter Verbandswechsel unter Missachtung<strong>der</strong> Pflicht zum E<strong>in</strong>satz mo<strong>der</strong>ner Wundauflagen aus<strong>der</strong> Rubrik Mediz<strong>in</strong>produkte erwähnt o<strong>der</strong> die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis hoffentlichnicht mehr festzustellende Art bedenklicher Wundversorgungdurch nicht dem Standard entsprechenden E<strong>in</strong>satz lediglichvon Zucker, Honig o<strong>der</strong> Mercuchrom unter Außerachtlassenaktueller Versorgung im Rahmen feuchter Wundbehandlungmit Hydrokolloidverbänden, etc.Strafrechtlich verwirklicht e<strong>in</strong> nicht h<strong>in</strong>nehmbares pflegerischesHandeln mit Aufrechterhalten e<strong>in</strong>es gefährlichen Status o<strong>der</strong>durch Herbeiführen e<strong>in</strong>er Befundverschlechterung objektiv denTatbestand e<strong>in</strong>er fahrlässigen Körperverletzung (§§ 223 ff., 230Strafgesetzbuch) – bei Todese<strong>in</strong>tritt – wie z. B. bei unangemessenerDekubitusbehandlung nicht von <strong>der</strong> Hand zu weisen– sogar den e<strong>in</strong>er fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB). Unter H<strong>in</strong>weisauf das im Falle e<strong>in</strong>er Verurteilung heranzuziehende Strafmaßzwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahrensei auf den Fall e<strong>in</strong>er Krankenschwester verwiesen, die bei <strong>der</strong>Verabreichung Blutdruck regulieren<strong>der</strong> Medikamente die imDesign ähnlichen Produkte des identischen Pharmaherstellersverwechselte und bei tödlichem Ausgang für zwei von dieserFehlerhaftigkeit betroffene Patienten zu e<strong>in</strong>er auf Bewährungausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zuzüglich e<strong>in</strong>erGeldstrafe bei Übernahme <strong>der</strong> Verfahrenskosten verurteilt wur-Praxis aktuell 17


de. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Krankenschwester wirtschaftlich zu tragendeSchaden belief sich ohne die zu regulierenden Folgekostenaus zivilrechtlicher Verantwortlichkeit (u.a. Beerdigungskosten,etc.) auf über 5.000 €. Daneben sei am Rande vermerkt,dass die Schwester <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> vom E<strong>in</strong>richtungsträgerverfolgten weiteren arbeitsrechtlichen Schritte bei weiterer gerichtlicherÜberprüfung die fristlose Kündigung ihres Arbeitsverhältnissesakzeptieren musste. Nach <strong>der</strong> gerichtlichen Begründungerschien es <strong>der</strong> Reputation e<strong>in</strong>er Gesundheitse<strong>in</strong>richtungabträglich, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> so schwere Fehlerhaftigkeiten verstrickteKrankenschwester weiter beschäftigen zu müssen. –Der Krankenschwester hatte es auch nicht geholfen, sich aufe<strong>in</strong>e Stresssituation und die leicht mögliche Verwechslungsgefahr<strong>der</strong> nahezu im gleichen Design vertriebenen Medikamentezu berufen. Im H<strong>in</strong>blick auf das mit e<strong>in</strong>er Verabreichung vonMedikamenten verbundene Gefahrenpotentialentspricht es <strong>der</strong> Pflichte<strong>in</strong>er Pflegekraft wie <strong>in</strong> praktisch allenBereichen dieser Tätigkeit, sichzunächst <strong>der</strong> Richtigkeit ihres Tunszu versichern. Auf den Punkt gebrachtheißt dies selbst bei höchster Anspannungund Arbeitsbelastung:„Erst denken, dann handeln“.„Auf den Punkt gebrachtheißt diesselbst bei höchsterAnspannung und Arbeitsbelastung:„Erstdenken, dann handeln“Bei aller Schärfe strafrechtlicher Haftung bleibt anzumerken,dass Verurteilungen von Pflegepersonal wegen fahrlässiger Körperverletzungo<strong>der</strong> Tötung äußerst selten s<strong>in</strong>d, da dies bei e<strong>in</strong>emim Strafprozess – mit Ausnahme des noch zu behandelndenMediz<strong>in</strong>produkterechts – geltenden Beweisgrundsatzes voraussetzt,dass <strong>der</strong> beschuldigten Pflegekraft voll nachgewiesenwird, dass ihr Fehler mit an Sicherheit grenzen<strong>der</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitohne erkennbare Zweifel zum konkret fassbarenPatientenschaden geführt hat. Dies wird nur bei gröbsten Pflichtverletzungenwie Verwechslungen, etc. <strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong>. Selbstbei fehlerhafter Antidekubitus-, Antithromboseprophylaxe o<strong>der</strong>nicht sachgerechter Wundversorgung kann <strong>der</strong> une<strong>in</strong>geschränkteNachweis <strong>der</strong> Kausalität des Schadense<strong>in</strong>tritts durch Pflegefehlerkaum geführt werden.Diese Sicht des Strafrechts darf nicht dazu verleiten, haftungsrechtlicheFragen auf die leichte Schulter zu nehmen. Neben<strong>der</strong> strafrechtlichen Haftung kommt zusätzlich die zivilrechtlicheVerantwortlichkeit zum Zuge. Hier geht es um nicht unerheblicheSchadenersatz- und Schmerzensgeldbeträge, wennPflegefehler zu konstatieren s<strong>in</strong>d. Der fehlende Nachweis sichererProphylaxe und Versorgung hat <strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällenzu Schmerzensgeldansprüchen von bis zu 18.000 €und Schadenersatzbeträgen von bis zu ca. 80.000 € beiDekubitusschäden geführt. Die Liste von Schäden undRegulierungsfor<strong>der</strong>ungen ließe sich beliebig fortsetzen. Zur Erklärung<strong>der</strong> Ansprüche nur so viel: Schmerzensgeld wird zugesprochenu.a. für entgangene Lebensfreude, was durchausnachvollziehbar ersche<strong>in</strong>t, wenn e<strong>in</strong> Patient über Wochen undMonate <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lebensführung durch e<strong>in</strong> Dekubitalgeschwüräußerst bee<strong>in</strong>trächtigt ist. Schadenersatz umfasst die gesamtenFolgebehandlungskosten e<strong>in</strong>es möglicherweise vermeidbarenGesundheitsschadens bis h<strong>in</strong> zu den Beerdigungskostenim Todesfall des Patienten. Dabei stehen die Pflege, E<strong>in</strong>richtungenund Träger für den Nachweis ihrer patientengerechtenLeistung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beweispflicht. Bei pflegerischen Defiziten mittypischem Schadense<strong>in</strong>tritt wird im Rahmen e<strong>in</strong>er Beweiserleichterungzu Gunsten e<strong>in</strong>es geschädigten Patienten vermutet,dass die Schädigung auf erkennbare Pflegefehler zurückzuführenist. Der Rechtsgrundsatz hierzu heißt seit e<strong>in</strong>er fortgeltendenGrundsatzentscheidung aus den achtziger Jahren:„Wer grundlos von Standardmethodenzur Bekämpfung möglicher bekannterRisiken abweicht, muss Schadenersatzansprücheund die Folgen e<strong>in</strong>erBeweislastumkehr im Schadensfallfürchten“ (BGH NJW – Bundesgerichtshof,Neue Juristische Wochenschrift -1983, S. 2080, 2081).Die Vorgabe des höchsten deutschenGerichts <strong>in</strong> Zivilsachen zum E<strong>in</strong>halt desjeweiligen Behandlungsstandards lässtaufhorchen und h<strong>in</strong>terfragen, was„Die Leistungenmüssen dem jeweiligenStand <strong>der</strong>wissenschaftlichenErkenntnisseentsprechen und <strong>in</strong><strong>der</strong> fachlich gebotenenQualität erbrachtwerden“denn überhaupt <strong>der</strong> verpflichtende Standard e<strong>in</strong>er Versorgungist. Hierzu sei vermerkt, dass die zu leistende Versorgungsqualitätsowie <strong>in</strong> Gesetzen wie auch von <strong>der</strong> Rechtsprechunge<strong>in</strong>deutig formuliert ist. So heißt es <strong>in</strong> § 135 a SozialgesetzbuchV ausdrücklich zur gefor<strong>der</strong>ten Behandlungs- und Pflegequalität:„Die Leistungen müssen dem jeweiligen Stand <strong>der</strong> wissenschaftlichenErkenntnisse entsprechenund <strong>in</strong> <strong>der</strong> fachlich gebotenenQualität erbracht werden.“ DiesePflicht stellt höchste Anfor<strong>der</strong>ungenan das fachlich zu gewährleistendeLeistungsprofil aller <strong>in</strong> die mediz<strong>in</strong>ischeVersorgung e<strong>in</strong>gebundenenKräfte e<strong>in</strong>schließlich je<strong>der</strong> Pflegekraftvon <strong>der</strong> Leitung h<strong>in</strong> bis zu den e<strong>in</strong>gesetztenHilfskräften. Bei je<strong>der</strong> pflegerischenVersorgung ist zum Ausschlusse<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>s nicht beherrschbarenHaftungsrisikos nachzuweisen, dass die am Patientenarbeitende Kraft ihren Teil zur sicheren Patientenversorgungfachlich kompetent geleistet hat. Je<strong>der</strong> im therapeutischen Teame<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Pflege bleibt nach Vorgabe <strong>der</strong> Rechtsprechungstets dem Gebot verpflichtet, dengrößtmöglichen therapeutischen Nutzenbei den ger<strong>in</strong>gst möglichen Belastungenzu gewährleisten. Es stellt <strong>in</strong> <strong>der</strong>Regel e<strong>in</strong>en Behandlungsfehler dar, wirdunter mehreren Alternativen die risikoreicheregewählt. We<strong>der</strong> Wirtschaftlichkeitsgebotnoch Negativlisten undBudgetierungen können diese normativeRegelung außer Kraft setzen. Derabsolute Vorrang <strong>der</strong> effizienten Behandlungsqualitätvor f<strong>in</strong>anziellen Ressourcenrechtfertigt sich aus dem Umstand,dass gemäß § 823 BGB (BürgerlichesGesetzbuch) mit verfassungsrechtlichemSchutz die an erster Stelle„Wer grundlos vonStandardmethoden zurBekämpfung möglicherbekannter Risikenabweicht, mussSchadenersatzansprücheund die Folgen e<strong>in</strong>erBeweislastumkehrim Schadensfallfürchten“„Je<strong>der</strong> im therapeutischenTeam e<strong>in</strong>schließlich<strong>der</strong> Pflegebleibt nach Vorgabe<strong>der</strong> Rechtsprechungstets demGebot verpflichtet,den größtmöglichentherapeutischenNutzen bei den ger<strong>in</strong>gstmöglichenBelastungen zu gewährleisten“angeführten absoluten Rechte des Menschen auf Leben undGesundheit höherwertiger s<strong>in</strong>d als f<strong>in</strong>anzielle Aspekte und nichtzum Spielball e<strong>in</strong>er verme<strong>in</strong>tlichen Wirtschaftlichkeit gemachtwerden dürfen.18 Praxis aktuell


„Als Zwischenbilanz bleibt festzuhalten: Der qualitativeAnspruch an die Pflege ist hoch, die Verantwortung riesig;Haftung ist möglich, jedoch – wie noch aufzuzeigen se<strong>in</strong>wird – mit e<strong>in</strong>em guten Qualitätsmanagement zum Schutzevon Patienten und Pflegenden <strong>in</strong> E<strong>in</strong>halt <strong>der</strong> rechtlichenVorgaben vermeidbar“Auf Dauer dokumentierte kont<strong>in</strong>uierlicheLeistungsqualitätDie angemessene Qualität <strong>der</strong> <strong>Behandlungspflege</strong> ist transparentnachvollziehbar zu erfassen. Nicht umsonst heißt es so <strong>in</strong>Leitfäden <strong>der</strong> Pflege zur Umsetzung <strong>der</strong> gesetzlich normiertenPflicht zur Qualitätssicherung. Zum Pflichtenbereich des gesamtenmediz<strong>in</strong>ischen Personals hat <strong>der</strong> Bundesgerichtshofdiesbezüglich formuliert: „Ebenso wie <strong>der</strong> Verwalter fremdenVermögens exakte Auskunft über den sicheren Umgang undVerbleib des Fremdkapitals zu erteilen hat, ist es die selbstverständlicheAufgabe des vertrauensvoll zusammenarbeitendenBehandlungsteams ärztlicher und nichtärztlicher Mitarbeiter,Rechenschaft über den Umgang mit dem höchsten Gut e<strong>in</strong>esMenschen abzulegen – über den gewissenhaften Umgang mitLeib und Leben des Patienten“ (BGH, Neue Juristische Wochenschrift1978, 2337 f.).Rechenschaft ablegen über die sichere Patientenversorgungist dabei e<strong>in</strong> komplexes Thema, das nicht so e<strong>in</strong>fach nebenbeierledigt werden kann.Es gehört e<strong>in</strong>iges dazu: So bedarf es zunächst fortgebildeterPflegekräfte, die den aktuellen Standard<strong>der</strong> Versorgung kennen undumzusetzen wissen. Es genügt nicht,pflegerische Grundversorgung e<strong>in</strong>malgelernt zu haben und womöglich e<strong>in</strong>estaatlich anerkannte Prüfqualifikatione<strong>in</strong>mal erworben zu haben. Pflege istwie das Recht nicht statisch, son<strong>der</strong>n„Pflege ist wiedas Recht nichtstatisch, son<strong>der</strong>nsie entwickelt sichdynamisch fort“sie entwickelt sich dynamisch fort. Dies zeigt nicht nur die Entwicklung<strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wundversorgung. Verwiesen wirdweiter auf die seit 1995 e<strong>in</strong>geführten Neuerungen zum sicherenE<strong>in</strong>satz von Mediz<strong>in</strong>produkten mit E<strong>in</strong>führung des Mediz<strong>in</strong>produktegesetzes1995, e<strong>in</strong>er dazu erlassenen Betreiberverordnungim Jahr 1998 und weiteren gesetzlichen Än<strong>der</strong>ungenmit Auswirkungen auf die Pflege <strong>in</strong> den Jahren 2001 und2002. Nicht zu vergessen s<strong>in</strong>d auch neue Herausfor<strong>der</strong>ungen,die e<strong>in</strong>er noch so qualifizierten Kraft vor 10 Jahren auch nichtansatzweise bekannt waren, so zum Beispiel <strong>der</strong> sichere Umgangmit MRSA unter dem Aspekt <strong>der</strong> Versorgung betroffenerPatienten e<strong>in</strong>schließlich zu treffen<strong>der</strong> Schutzmaßnahmen fürKontaktpersonen und Mitpatienten. Aus diesem Grunde for<strong>der</strong>tes die Rechtsprechung e<strong>in</strong>, dass sich pflegerische Mitarbeiter<strong>in</strong> allen Gesundheitse<strong>in</strong>richtungen ebenso wie Ärzte undsonstige nichtärztliche Mitarbeiter über neue Erkenntnisse <strong>in</strong><strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>isch-pflegerischen Versorgung „bis zur Grenze desZumutbaren fortzubilden“ haben (vgl. Rieger, Verantwortlichkeitdes Arztes und des Pflegepersonals ... , NJW 1979,S. 582 mit H<strong>in</strong>weis auf BGH Versicherungsrecht. 1975, S.2245; BGH NJW 1968, S. 1181; 1977, S. 1103). Es soll hiernicht <strong>in</strong> epischer Breite erörtert werden, wo die Grenze desZumutbaren liegt. E<strong>in</strong>deutig und ohne rechtliche Zweifel verbleibtfestzustellen, dass sich die Fortbildungspflicht über dieAngebote und Möglichkeiten <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Arbeitszeit auf dieFreizeit erstreckt, soweit es zur Erlangung notwendiger Kenntnisseerfor<strong>der</strong>lich ersche<strong>in</strong>t. Zudem haben Gesundheitse<strong>in</strong>richtungen,gleich ob Krankenhäuser, Heime, ambulantePflegedienste, Polikl<strong>in</strong>iken o<strong>der</strong> Arztpraxen im Falle <strong>der</strong> gerichtlichenAuse<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung über die gewährte Behandlungsqualitätzur Vermeidung e<strong>in</strong>er eventuellen Beweislastumkehrim Schadensfall den Nachweis zu erbr<strong>in</strong>gen, dass z. B. die<strong>Behandlungspflege</strong> von kompetenten, fachlich versierten undauf den aktuellen Erkenntnisstand fortgebildeten Mitarbeiternerbracht wurde. E<strong>in</strong>em eventuellen Erstaunen über diese weitgehendePflicht sei e<strong>in</strong>e Entscheidung über die persönlicheEigenverantwortung von Pflegepersonal zum Wissen um neueErkenntnisse entgegen gehalten, die vor über siebzig Jahrenergangen ist. Damals hatte das Reichsgericht e<strong>in</strong>e Schwesterrechtlich für e<strong>in</strong>en Schaden verantwortlich gezeichnet, die e<strong>in</strong>ezwei Jahre vor ihrem gefahrträchtigen Handeln e<strong>in</strong>geführteSpritzentechnik we<strong>der</strong> kannte noch beherrschte und ihr wiefolgt die zur Verurteilung führende Inkompetenz vorgehalten:„Schwestern und Pfleger müssen sich über die Fortschritte <strong>der</strong>Heilkunde unterrichten und sich mit den neuesten Heilmittelnvertraut machen. Es geht nicht an, sich aus Bequemlichkeit,Eigens<strong>in</strong>n o<strong>der</strong> Hochmut den neuen Lehren und Erfahrungenzu verschließen“ (vgl. Jensen/Röhlig, Das neue Betreuungsrechtmit H<strong>in</strong>weis auf RGSt – Reichsgericht, Entscheidungen <strong>in</strong>Strafsachen – 64, S. 263 ff., 269). Nebenbei bemerkt: Essteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflicht <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>richtungen, des ärztlichenund pflegerischen Leitungspersonals ebenso wie im Aufgabenbereichdes e<strong>in</strong>zelnen pflegerischen Mitarbeiters, diesehochwertige Kompetenz pflegerischer Durchführung <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>eim Haftungsprozess zur Frage vermeidbarer o<strong>der</strong> schuldhaftherbeigeführter Komplikationen aufzeigen zu können.Diese Aufgabe ist nicht so leicht zu meistern. Alle<strong>in</strong> die Aussage:„Das haben wir und unsere Mitarbeiter sicher beherrscht“,genügt nicht. Die Nachweispflicht for<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e Nachvollziehbarkeitunter Bezugnahme <strong>der</strong> klassischen Beweismittel. Hiersteht eigentlich nur die ordnungsgemäße Dokumentation alsMöglichkeit rechtlich abgesicherter Transparenz zur Verfügung.Angaben von Mitarbeitern als verwertbare Zeugenaussagen stehenoft zum Zeitpunkt <strong>der</strong> gerichtlichen Überprüfung nicht zurVerfügung. Es ist nicht nur so, dass die Merkfähigkeit e<strong>in</strong>esZeugen mit Zeitablauf erheblich leidet. E<strong>in</strong>deutig klare Bekundungenzu bedeutsamen E<strong>in</strong>zelfragen s<strong>in</strong>d Jahre nach <strong>der</strong>Patientenversorgung bei e<strong>in</strong>em täglich umfangreichen Behandlungsspektrume<strong>in</strong>fach nicht möglich. Es ist nicht nur so, dassdie meisten gerichtlichen Prüfungen auf mögliche Fehler <strong>in</strong> <strong>der</strong><strong>Behandlungspflege</strong> <strong>in</strong> aller Regel drei bis zehn Jahre nach <strong>der</strong>Versorgung erfolgen; die tatsächliche Rechenschaftsverpflichtung<strong>der</strong> Verantwortlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Behandlungspflege</strong> wie<strong>in</strong> <strong>der</strong> gesamten mediz<strong>in</strong>ischen Versorgung geht zeitlich vielweiter. So heißt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neuregelung <strong>der</strong> im Rahmen desSchuldrechtsmo<strong>der</strong>nisierungsgesetzes 2002 <strong>in</strong> Kraft getretenenneuen Verjährungsvorschrift zur zivilrechtlichen Geltendmachungvon Gesundheitsschäden im Bürgerlichen Gesetzbuch:Praxis aktuell 19


BGB § 199Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> regelmäßigen Verjährungsfrist und Höchstfristen(2) Schadenersatzansprüche, die auf <strong>der</strong> Verletzung desLebens, des Körpers, <strong>der</strong> Gesundheit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiheitberuhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehungund die Kenntnis o<strong>der</strong> grob fahrlässige Unkenntnis <strong>in</strong> 30Jahren von <strong>der</strong> Begehung <strong>der</strong> Handlung, <strong>der</strong> Pflichtverletzungo<strong>der</strong> dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignisan.Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, e<strong>in</strong>en verme<strong>in</strong>tlichenBehandlungsfehler auch noch 30 Jahre nach <strong>der</strong> Versorgungbei weiter normierter Vererblichkeit dieser Ersatzansprüchegeltend zu machen erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> transparentes Dokumentationssystem,um e<strong>in</strong>e Überziehung mit nicht gerechtfertigtenKlageansprüchen sicher auszuschließen. In rechtlicher Ausgestaltungdieser Pflicht hat <strong>der</strong> Bundesgerichtshof <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Grundsatzentscheidungausgeführt: „Es muss organisatorisch sichergestelltse<strong>in</strong>, dass die Prophylaxe überwacht und die Durchführung<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> o<strong>der</strong> für den speziellen Fall angeordnetenMaßnahmen <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise schriftlich festgehaltenwerden“ (BGH NJW 1988, S.762, 763). Klarstellend sei hierzuvermerkt, dass <strong>in</strong> Fortentwicklung des technischen Fortschrittsdie Dokumentation heute nicht nur schriftlich, son<strong>der</strong>nauch <strong>in</strong> entsprechen<strong>der</strong> EDV-Form erstellt werden kann, wenndie Orig<strong>in</strong>alität <strong>der</strong> Aufzeichnungen bei Reproduzierbarkeit <strong>der</strong>Speichermedien über 30 Jahre sicher gestellt ist.Die verpflichtende Dokumentation sicherer <strong>Behandlungspflege</strong>ist mith<strong>in</strong> nicht nur e<strong>in</strong>e lästige Nebenaufgabe, son<strong>der</strong>n entsprechend<strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>in</strong> jedem E<strong>in</strong>zelfalle<strong>in</strong>e unverzichtbare therapeutische Pflicht. Mit angemessenerDokumentation erhalten <strong>in</strong> die Versorgung e<strong>in</strong>bezogeneärztliche und nicht-ärztliche Mitarbeiter notwendige Informationenüber die speziellen Risiken des Patienten, erhobenetherapeutische Daten, angeordnete und durchgeführte Versorgungsmaßnahmen,um <strong>in</strong> die Lage versetzt zu se<strong>in</strong>, Gefahrenbesser und rechtzeitig zu erkennen und die Weiterbehandlungmöglichst komplikationsfrei durchzuführen.Weitere rechtliche Auswirkungen <strong>der</strong> Dokumentationspflichtsollen hier nicht außer Acht gelassen werden: Die angemesseneund nachvollziehbare zeitnah am Tag <strong>der</strong> Versorgung erstellteDokumentation bietet umfassenden Rechtsschutz. Nachdem nur durch den kaum zu befürchtenden Beweis des Gegenteilszu erschütternden Ansche<strong>in</strong>sbeweis <strong>der</strong> Richtigkeit <strong>der</strong>erbrachten <strong>Behandlungspflege</strong> entsprechend <strong>der</strong> Dokumentationführt sie für Pflegende und ihre E<strong>in</strong>richtungen zu höchstemRechtsschutz. Dokumentationsmängel wie e<strong>in</strong> Auslassen<strong>der</strong> Aufzeichnung notwendiger Maßnahmen <strong>der</strong> <strong>Behandlungspflege</strong>bergen e<strong>in</strong> hohes Risiko, denn: Als pflegerisch ausgeführtgilt nur, was ordnungsgemäß dokumentiert ist. E<strong>in</strong>efehlende Dokumentation führt zu dem rechtlichen Ergebnis,dass davon ausgegangen wird, die Leistung sei auch nicht erbrachtworden.Dokumentation mit Behandlungsstandardsnach Recht und PraxisDie Dokumentation ist we<strong>der</strong> Selbstzweck noch darf sie zurunbeherrschbaren Last werden. Dabei ist die Fülle <strong>der</strong> zu erhebendenDaten erheblich. Alle<strong>in</strong> die <strong>in</strong> den letzten Jahrene<strong>in</strong>geführten Neuerungen mit dem Infektionsschutzgesetz(IfSG), dem Mediz<strong>in</strong>produktegesetz (MPG) und <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>produkte-Betreiberverordnunghaben dazu geführt, dass zur Vermeidungrechtlicher Inanspruchnahmeund Absicherung komplikationsfreierPflege <strong>der</strong> E<strong>in</strong>halt <strong>der</strong> gesetzlichenSicherheitsvorschriften nachweislich zubelegen ist. So heißt es als Pflichtaufgabefür Krankenhäuser, Heime, ambulanteDienste, Polikl<strong>in</strong>iken und ambulanteArztpraxen im Gesetz:§ 36 IfSGE<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Infektionshygiene„Die Dokumentationist we<strong>der</strong> Selbstzwecknoch darf sie zur unbeherrschbarenLastwerden“(1) Die … E<strong>in</strong>richtungen ... legen <strong>in</strong> Hygieneplänen <strong>in</strong>nerbetrieblicheVerfahrensweisen zur Infektionshygiene fest.Die genannten E<strong>in</strong>richtungen unterliegen <strong>der</strong> <strong>in</strong>fektionshygienischenÜberwachung durch das Gesundheitsamt.In Erfüllung dieser gesetzlichen Pflichtaufgabe bedarf es umfassen<strong>der</strong>Dokumentationssysteme, die ohne allzu großenAufwand <strong>in</strong> die Praxis umgesetzt werden können. Hierzu genügtes dann nicht, e<strong>in</strong>en Hygieneplan <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schublade zuhaben, vielmehr ist Qualitätsmanagement gefragt. So ist etwazum Schutze vor <strong>der</strong> Übertragung von MRSA organisationstechnischfestzulegen, welche Schutzmaßnahmen e<strong>in</strong>zuleitens<strong>in</strong>d; e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Aufbereitung am Patienten e<strong>in</strong>gesetzterMediz<strong>in</strong>produkte, nicht zu vergessen die sachliche Informationan Kontaktpersonen h<strong>in</strong>sichtlich des Umgangs mit Keimträgern.Anhaltspunkt für e<strong>in</strong>en Maßnahmenkatalog, <strong>der</strong> dannnachweislich allen Mitarbeitern verpflichtend zur Ausführungzu vermitteln ist, ist zu diesem Thema die Empfehlung des RKI(Robert-Koch-Institut) zur MRSA-Problematik („Empfehlung zurPrävention und Kontrolle von Methicill<strong>in</strong>-resistenten Staphylococcusaureus-Stämmen <strong>in</strong> Krankenhäusern und an<strong>der</strong>enmediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>richtungen“, abzufragen im Internet unter http://www.rki.de). Dabei ist dann <strong>der</strong> E<strong>in</strong>halt des Hygieneplans zumSchutze vor Regressen und zum Sicherheitsnachweis bei e<strong>in</strong>ergesetzlich vorgesehenen Prüfung durch das Gesundheitsamtfortlaufend etwa durch dokumentierte wöchentliche Kontrollenbei erkennbarem Gefahrenpotential prüfbar festzuhalten.Entsprechende Behandlungsstandards empfehlen sich grundsätzlichbei allen Maßnahmen <strong>der</strong> <strong>Behandlungspflege</strong>, und zwarvon <strong>der</strong> Risikoe<strong>in</strong>schätzung bei <strong>der</strong> Patientenübernahme anüber die durchzuführende Prophylaxe bis h<strong>in</strong> zu den weiterführendentherapeutischen Maßnahmen im E<strong>in</strong>zelfall. Die Notwendigkeitqualifizierter Organisationspläne lässt sich exemplarischan e<strong>in</strong>zelnen Maßnahmen <strong>der</strong> <strong>Behandlungspflege</strong>aufzeigen, wobei die Aufzählung <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesamten Fülle <strong>der</strong> Problematikfür alle E<strong>in</strong>richtungen nicht auch nur annähernd undansatzweise aufgezeichnet werden kann.So kommt es bei Auswahl e<strong>in</strong>es Katheters neben <strong>der</strong> nicht zuvernachlässigenden hygienischen Seite und Anwendungstechnikdurch geschultes Personal auf die richtige Produktauswahl an,da nicht jedes <strong>der</strong> zur Auswahl stehenden Mediz<strong>in</strong>produkte z.B. für den E<strong>in</strong>satz als Dauerkatheter geeignet ersche<strong>in</strong>t. Beie<strong>in</strong>er Antidekubitusmatratze s<strong>in</strong>d Gefährdungsstatus und nicht20 Praxis aktuell


zuletzt das Gewicht des Patienten zu berücksichtigen. Schondie Auswahl e<strong>in</strong>es für den konkreten Behandlungsfall nichtgeeigneten Mediz<strong>in</strong>produkts wird nach <strong>der</strong> 1995 durch dasMediz<strong>in</strong>produktegesetz e<strong>in</strong>geführten Gefährdungshaftung strafrechtlichsanktioniert. Dabei steht zu erwarten, dass nach weiterenVorgaben des MPG’s <strong>der</strong> E<strong>in</strong>halt dieses Gesetzes spätestensab dem Jahr 2004 verstärkt durch die Kontrollbehörden<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> überwacht wird. E<strong>in</strong>schlägig ist <strong>in</strong> diesem Bereich:§ 4 MPGVerbote zum Schutz von Patienten, Anwen<strong>der</strong>n und Dritten(1) Es ist verboten, Mediz<strong>in</strong>produkte … anzuwenden, wenn1. <strong>der</strong> begründete Verdacht besteht, dass sie die Sicherheitund die Gesundheit <strong>der</strong> Patienten, <strong>der</strong> Anwen<strong>der</strong> o<strong>der</strong>Dritter bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung undihrer Zweckbestimmung entsprechen<strong>der</strong> Verwendung übere<strong>in</strong> nach den Erkenntnissen <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Wissenschaftenvertretbares Maß h<strong>in</strong>ausgehend gefährden o<strong>der</strong>...2. e<strong>in</strong> Zuwi<strong>der</strong>handeln – ohne dass es zum Patientenschadenkommen müsste – gegen § 4 I 1 MPG ist nach §40 MPG mit Geld- o<strong>der</strong> Freiheitsstrafe – bei fahrlässigemHandeln bis zu e<strong>in</strong>em Jahr, <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s schweren Fällenbis zu fünf Jahren – sanktioniert.Da im Rahmen des Gebots <strong>der</strong> Qualitätssicherung nach Vorgabe<strong>der</strong> höchstrichterlichen Rechtsprechung „das Gefahrenpotentialauf das für Patienten unvermeidbare Restrisiko zuverm<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ ist (von Deutsch, NJW 1991, S. 1937 unter H<strong>in</strong>weisauf BGH NJW 1991, S. 1948), führt im Falle <strong>der</strong> Überprüfungschon die Auswahl e<strong>in</strong>es für die Versorgung nicht geeignetenMediz<strong>in</strong>produkts, sei es nun <strong>der</strong> nicht optimale Kathetero<strong>der</strong> die dem Patientenstatus nicht angemesseneAntidekubitusmatratze, zu strafrechtlichen Sanktionen.Am Rande sei darauf verwiesen, dass auch die Aufbereitungmehrfach genutzter Mediz<strong>in</strong>produkte e<strong>in</strong>em festgelegten Standardzu unterziehen ist, seien es nun Instrumente, nach <strong>in</strong>fektiöserBelastung etwa durch MRSA, an weiteren Patienten e<strong>in</strong>gesetzteMediz<strong>in</strong>produkte wie z. B. Antidekubitusauflagen undInfusionsgeräte o<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ische Antithrombosestrümpfe. ZurAbsicherung des funktionalen und hygienischen Risikos for<strong>der</strong>thier <strong>der</strong> Gesetzgeber e<strong>in</strong> „validiertes“ und dokumentiertes Aufbereitungsverfahren“zum komplikationsfreien Nachweis deswie<strong>der</strong>holten E<strong>in</strong>satzes von Mediz<strong>in</strong>produkten. So heißt es hierzu<strong>in</strong>:Mediz<strong>in</strong>produkte-Betreiberverordnung§ 41) Der Betreiber darf nur Personen, … mit <strong>der</strong> Instandhaltung(Wartung ... und Aufbereitung) von Mediz<strong>in</strong>produktenbeauftragen, die die Sachkenntnis, Voraussetzungen unddie erfor<strong>der</strong>lichen Mittel zur ordnungsgemäßen Ausführungdieser Aufgabe besitzen.2) Die Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm o<strong>der</strong>steril zur Anwendung kommenden Mediz<strong>in</strong>produkten istunter Berücksichtigung <strong>der</strong> Angaben des Herstellers mitgeeigneten validierten Verfahren so durchzuführen, dass<strong>der</strong> Erfolg ... nachvollziehbar gewährleistet ist und die Sicherheitund Gesundheit ... nicht gefährdet wird. ... E<strong>in</strong>eordnungsgemäße Aufbereitung nach Satz 1 wird vermutet,wenn die ... Empfehlung <strong>der</strong> Kommission ... am RKI zu denAnfor<strong>der</strong>ungen an die Hygiene bei <strong>der</strong> Aufbereitung vonMediz<strong>in</strong>produkten beachtet wird. ...E<strong>in</strong> Verstoß gegen §§ 4 Abs. 1 und 2 wird gemäß §§ 13Mediz<strong>in</strong>produkte-Betreiberverordnung, 42 Abs. 2 Nr. 1 MPGim Rahmen <strong>der</strong> Gefährdungshaftung mit e<strong>in</strong>em Bußgeldbis zu 25.000,- € sanktioniert.E<strong>in</strong> im E<strong>in</strong>zelfall nachzuweisendes und <strong>der</strong>art „validiertes“ Verfahren(vgl. hierzu die entsprechende im Internet wie obendargestellt abrufbare RKI-Empfehlung) ist z. B. bei mehrfach(bis zu 10 x) e<strong>in</strong>zusetzenden Antithrombosestrümpfen unabd<strong>in</strong>gbar.Validiert im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> normierten Vorgabe heißt dabeian diesem Beispiel verdeutlicht, dass <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holt e<strong>in</strong>gesetzteStrumpf auch bei höchster hygienischer und materialtechnischerBelastung e<strong>in</strong>schließlich möglicher Defektrisikenwie Überdehnung und sonstiger Beschädigungen auch beimletztmaligen E<strong>in</strong>satz noch die zum Therapiezweck erfor<strong>der</strong>licheHerstellungsqualität e<strong>in</strong>es neuen Orig<strong>in</strong>alprodukts sicher ohnejeden Zweifel aufweist.Klarstellend sei vermerkt, dass es <strong>der</strong> Anwen<strong>der</strong>pflicht, also<strong>der</strong> Aufgabe des pflegerischen Personals entspricht, dieseproduktspezifischen Sicherheitsmerkmale bei Durchführung vonMaßnahmen <strong>der</strong> <strong>Behandlungspflege</strong> zu beachten und zu gewährleisten.E<strong>in</strong> Fehlverhalten wird dabei im H<strong>in</strong>blick auf denabzusichernden E<strong>in</strong>satz, z. B. von Antithrombosestrümpfen, nichtnur mit dem angeführten Bußgeld (bei nicht vorbestraften Ersttäternvielleicht nur mit 1.000 €) geahndet. E<strong>in</strong> nicht validiertaufbereiteter und dann gefahrträchtig e<strong>in</strong>gesetzter Antithrombosestrumpfist dazu noch als e<strong>in</strong> „Mängel aufweisendesMediz<strong>in</strong>produkt“ zu sehen. Dann greift weitergehend dienachfolgende gesetzliche Regelung durch:§ 14 MPGErrichten, Betreiben, Anwenden und Instandhalten vonMediz<strong>in</strong>produktenMediz<strong>in</strong>produkte … dürfen nicht … angewendet werden,wenn sie Mängel aufweisen, durch die Patienten … gefährdetwerden können.Im Falle e<strong>in</strong>er so zu erfassenden Fehlerhaftigkeit gilt:E<strong>in</strong> Zuwi<strong>der</strong>handeln gegen § 14 Satz 2 MPG ist nach § 40MPG mit Geld- o<strong>der</strong> Freiheitsstrafe – bei fahrlässigemHandeln bis zu e<strong>in</strong>em Jahr, <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s schweren Fällenbis zu fünf Jahren – sanktioniert.Der an wenigen Beispielen aufgezeigte dokumentationspflichtigePflichtenkreis ist von e<strong>in</strong>em <strong>der</strong>artigen Ausmaß, dass diesePflicht unmöglich durch E<strong>in</strong>zelerfassung bei jedem Patientenerfüllt werden kann. Daher ist e<strong>in</strong> organisiertes Qualitätsmanagement<strong>in</strong> Form überlegter, ausgewogener und zugleichverpflichten<strong>der</strong> Behandlungsstandards unabd<strong>in</strong>gbar. Dies zeigenschon die aufgeführten E<strong>in</strong>zelfälle auf, wobei ergänzendzur sicheren therapeutischen Versorgung mit mediz<strong>in</strong>ischenAntithrombosestrümpfen <strong>der</strong> dokumentarische Nachweis zuPraxis aktuell 21


erbr<strong>in</strong>gen ist, dass die eigenverantwortlich handelnde Pflegekraftdarauf geschult und <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong>gewiesen ist, die passendeGröße zu wählen und den Strumpf sicher zum therapeutischenSchutz z.B. ohne gefahrträchtige Überdehnung demPatienten anzupassen. Entsprechendes gilt je nach Risiko undGefahrenspektrum <strong>in</strong> allen mediz<strong>in</strong>isch-pflegerischen Tätigkeitsbereichen.ResümeeDie <strong>Behandlungspflege</strong> ist e<strong>in</strong> komplexes Feld mit umfassendenPflichten unter rechtsorganisatorischer Vorgabe umfassen<strong>der</strong>Dokumentation <strong>der</strong> qualitätssicheren Versorgung. DieseAufgabe ist zu bewältigen, doch bedarf es hierzu neuer Strukturen.Der Fortschritt hat vor Mediz<strong>in</strong> und Pflege nicht Haltgemacht. Patientenversorgung ist Teamarbeit. Ärztliche undpflegerische Kompetenzen und Verantwortlichkeiten wie <strong>in</strong> <strong>der</strong>Wundversorgung, beim Gipsen, etc. s<strong>in</strong>d festzulegen Hierzubedarf es umfassen<strong>der</strong> Organisation und Planung. Auf den aktuellenStand gebrachte, praxisorientiert umgesetzte und <strong>in</strong> <strong>der</strong>sicheren Handhabung dokumentierte Behandlungsstandardsführen zum therapeutischen Ziel höchster Patientensicherheitmit Rechtsschutz für ärztliche, pflegerische und mediz<strong>in</strong>-technischeAnwen<strong>der</strong> <strong>in</strong> allen Gesundheitse<strong>in</strong>richtungen. Auf an<strong>der</strong>weitigeAbsicherung zu vertrauen, wäre leichts<strong>in</strong>nig: selbstBerufshaftpflichtversicherungen haben ihre Grenzen; bei teilsreduzierter Haftungspflicht <strong>in</strong> zivilrechtlich ausgestalteten Schadenfällenist e<strong>in</strong>e strafrechtliche Verantwortung niemals versicherbaro<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitig auszuschalten.In sorgfältiger Beachtung <strong>der</strong> hier skizzierten Pflichtenkreiselösen Rechts- und <strong>Haftungsfragen</strong> we<strong>der</strong> Furcht noch Schrekkenaus. Vielmehr bieten Guidel<strong>in</strong>es, wie dokumentiert praktizierteBehandlungsstandards, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege Schutz vor den Gefahrene<strong>in</strong>er befürchteten Beweislastumkehr im Mediz<strong>in</strong>rechtund nicht angemessener Haftung.Verfasser:Hans-<strong>Werner</strong> RöhligSem<strong>in</strong>aris Mediz<strong>in</strong>rechtSeilerstraße 10646047 Oberhausen22 Praxis aktuell

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