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Kanapee

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<strong>Kanapee</strong><br />

Im 5. Jahrhundert v. Chr. berichtet Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“,<br />

wie die alten Ägypter mit der Mückenplage im Niltal fertig<br />

werden: Die weiter oben am Nil Wohnenden bauen sich hohe Schlaftürme<br />

und bleiben dort von Stichen verschont, weil die Mückenschwärme wegen der<br />

starken Winde so hoch gar nicht hinaufkommen; die weiter unten im<br />

Delta Wohnenden helfen sich anders: „Jeder von ihnen besitzt ein Netz,<br />

mit dem er am Tag auf Fischfang geht, und in der Nacht gebraucht er es so:<br />

Er stellt das Netz um sein Bett auf, und dann schlüpft er hinein und schläft<br />

darunter ... Und durch dieses Netz versuchen die Mücken gar nicht erst zu stechen.“<br />

Soweit Herodot zur ägyptischen Mückenplage, und von hier geht<br />

eine Wortgeschichte um drei Ecken aus, die uns von diesen Fischerhütten<br />

im Nildelta über orientalische Purpurbaldachine, das Luxusleben des Antonius<br />

und der Kleopatra und die komfortablen Interieurs des 18. Jahrhunderts<br />

bis in die vergleichsweise anspruchslose zeitgenössische Partyszene<br />

führt.<br />

Zunächst ist hier buchstäblich eine Mücke, wenn schon nicht zu einem<br />

Elefanten mit vier Beinen, so doch zu einem Prunkbett mit vier Pfosten geworden.<br />

Im Griechischen heißt die Stechmücke kónops; das davon abgeleitete<br />

konópion bezeichnet zunächst das über dem Bett aufgespannte<br />

Stechmücken- oder Moskitonetz und dann das ganze Bett mit einem solchen<br />

Mückennetz darüber. In der alten Literatur ist öfter von Palästen als<br />

von Hütten die Rede, und so bezieht sich das ohnehin seltene Wort in der<br />

Folge eher auf prachtvolle Prunkbetten und kostbare Baldachine. Von einem<br />

solchen konópion der besonderen Art lesen wir etwa in der griechischen<br />

Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, in der apokryphen<br />

Erzählung von Judith und Holofernes: „Holofernes ruhte auf ei-<br />

- 89 -


nem Bett unter einem konópion, einem Baldachin aus Purpur und Gold, in<br />

den Smaragde und andere edle Steine eingewoben waren.“ Nur eingefleischte<br />

Etymologen oder Entomologen können hier noch an eine<br />

Stechmücke denken.<br />

Im späteren 1. Jahrhundert v. Chr. ist das Wort ins Lateinische übergegangen,<br />

nicht zufällig zu der Zeit, in der sich das senatorische Rom über<br />

das Luxusleben des Antonius und der Kleopatra und ihre „unnachahmlichen<br />

Lebenskünste“ weidlich entrüstete. Der Augusteische Dichter Horaz<br />

empört sich bei der Vorstellung, das „schändliche conopium“, das Prachtund<br />

Prunkbett, Schimpf- und Schandbett dieser beiden unter römischen<br />

Feldzeichen zu sehen; den etwas jüngeren Properz schaudert es bei dem<br />

Gedanken, die „königliche Dirne des blutschänderischen Kanopus“ hätte<br />

ihr „abscheuliches conopium“ auf dem Kapitol aufstellen können. Der Anklang<br />

des Wortes an den Namen der leichtlebigen Stadt Kanobos alias Canopus<br />

kam dem Dichter noch gut zupass, die Empörung zu schüren.<br />

Im Lateinischen ist neben dieses conópium später ein conopéum getreten; danach<br />

erscheint im 12. Jahrhundert im Französischen ein conopé im Sinne<br />

eines Bettvorhangs und im 17. Jahrhundert im Französischen und bald<br />

auch im Deutschen ein canapé im Sinne eines eleganten Salonmöbels. Die<br />

Zeiten ändern sich: Derlei üppig gepolsterte „<strong>Kanapee</strong>s“ mit ein paar raffiniert<br />

drapierten Kissen darauf sind Lifestyle von gestern. Doch das Wort hat sich<br />

in der Partywelt behauptet, und so kommen die <strong>Kanapee</strong>s neuerdings mit<br />

dem Catering Service in Gestalt quadratischer oder kreisrunder, getoasteter<br />

oder ungetoasteter Weißbrotschnittchen daher, und statt mit kunstvoll arrangierten<br />

Kissen sind sie nun üppig mit Tartar und Roastbeef, Lachsmousse<br />

und Crevetten und anderen Unwiderstehlichkeiten befrachtet. Die sind<br />

ja allemal gut; aber Hand aufs Herz: Schmecken sie nicht noch einmal so<br />

gut, wenn die Gedanken dabei in die Jahrhunderte und Jahrtausende<br />

zurückschweifen: zu Ludwig XVI. und seiner Marie Antoinette, zu Antonius<br />

und Kleopatra, zu Judith und Holofernes und schließlich zu Herodot<br />

und den selig unter ihren Mückennetzen träumenden Fischern im Nildelta?<br />

- 90 -


Karneval<br />

Juxdaten: Am glückverheißenden 07. 07. 07 und wieder am 08. 08. 08 hat<br />

der Run auf die Standesämter um sieben Uhr sieben oder doch um acht<br />

Uhr acht begonnen; im September 09 und Oktober 10 werden die Standesbeamten<br />

etwas länger schlafen können. Und dann kommt das Traumdatum<br />

des 11. 11. 11, Punkt elf Uhr elf: Da wird man rechtzeitig reservieren<br />

müssen, die Partnerin und den Termin. Doch an dem Tag wird nicht<br />

nur geheiratet; diesen 11. 11. haben längst schon andere für sich reserviert<br />

und geradezu abonniert: An diesem 11. 11., „seinem“ 11. 11., pünktlich<br />

um Elf Uhr elf feiert Prinz Karneval mit seinem ehrenwerten Elferrat alljährlich<br />

den Einstieg in die närrische Karnevalssaison, und wir erweisen<br />

dem Prinzen auf unsere Art die Reverenz: Wir fragen uns, woher sein<br />

Name stammt und was der heißt.<br />

Bis in die frühe Neuzeit sehen wir noch zurück: Da bekommen wir im<br />

15. Jahrhundert ein italienisches carnevale und dann wieder gegen Ende<br />

des 16. Jahrhunderts ein französisches carnaval zu fassen. Im 17. Jahrhundert<br />

ist das Wort ins Deutsche gekommen, mit Bezug zuerst auf die farbenprächtigen<br />

Karnevalsumzüge in Florenz, Rom und Venedig, dann auch auf die<br />

schlichter gehaltenen Prozessionen im Norden der Alpen. Anfangs wusste<br />

man nicht recht, ob man da „einen“, „eine“ oder „ein Karneval“, einen<br />

Prinzen, eine Prinzessin oder gar ein Neutrum, feiern solle, bis man sich<br />

schließlich fürs Maskulinum, für „den“ Karneval entschied. Noch in der<br />

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts veranstalteten die „Würzburger Juriscandidaten“<br />

ein „Venetianisches (!) Karneval“; im Jahr 1779 hält Prinz<br />

„Karneval“ unter diesem zukunftsträchtigen Namen Einzug in seinen rheinischen<br />

Hochburgen: im karnevalsfrohen Köln und bald danach in dem<br />

nicht minder karnevalsfrohen Mainz.<br />

- 91 -


Die Spuren dieses italienischen carnevale führen offensichtlich ins Lateinische<br />

zurück. Aber hier wird das Wort zu einem doppeldeutigen, uns<br />

fröhlich narrenden Vexierbild. Die einen drehen es so herum, dass ihnen<br />

aus diesem carnevale das lateinische Substantiv caro mit dem Genitiv carnis,<br />

„Fleisch“, samt dem Verb levare, „aufheben, wegnehmen“, in die Augen<br />

springt. So verstanden bezeichnete das Wort, wortwörtlich verdolmetscht,<br />

das „Fleisch-Wegnehmen“ vom Speisezettel am Aschermittwoch, und nach<br />

dieser Deutung hätte es sich von Anfang an auf die vierzigtägige vorösterliche<br />

Fastenzeit bezogen.<br />

Die anderen drehen das Vexierbild dieses „Karnevals“ so herum, dass<br />

daraus ein lateinischer carrus, ein „Karren“, samt dem Adjektiv navalis,<br />

„zum Schiff gehörig“, herauszuschauen scheint; diese Deutung bezieht das<br />

Wort auf die volkstümlichen Umzüge, mit denen man in Italien nach dem Abklingen<br />

der Winterstürme die Wiederaufnahme der Schifffahrt feierte. So<br />

verstanden bezöge sich das Wort ursprünglich auf die bei diesen Umzügen<br />

mitgeführten beräderten „Schiffskarren“, und dann wäre es irgendwann,<br />

irgendwo in einer volksetymologischen Umdeutung vom Beginn des<br />

Schifffahrtsjahres im Frühjahr auf den Beginn der Fastenzeit vor Ostern<br />

übertragen worden.<br />

Gemeinhin gilt ist die erste, näherliegende Erklärung als die wahrscheinlichere;<br />

aber vielleicht haben sich die Wege der Wörter auch irgendwie<br />

gekreuzt. Das Nebeneinander der zwei Deutungen verrät, wie sehr wir da<br />

im Dunkeln tappen. Eines aber ist gewiss: dass die große Menge der<br />

Karnevals narren, denen die sprachliche Herkunft ihres „Karnevals“ vom<br />

„Fleisch“ oder vom „Schiff“ Jacke wie Hose oder Hans wie Heiri war, sich<br />

bald ihren eigenen Reim auf das Wort gemacht hat. Die hörte aus diesem<br />

carnevale ganz einfach vorn ein carne und hinten ein vale! heraus und verstand<br />

das Wort als einen Aschermittwochs-Abschiedsgruß an das üppige<br />

Leben, als ein „Fleisch Ade!“ Aber das ist natürlich eine närrische Jux-Etymologie,<br />

die eher zu einer launigen Büttenrede als zu einer ernsthaften<br />

Wortgeschichte taugt, so närrisch wie jene Jux-Heiratstermine. Dazu sei<br />

nur noch angemerkt, dass dieser „Jux“ auch selbst ein Jux-Wort ist: eine<br />

– doch wohl studentische – Verhohnepipelung des lateinischen iocus,<br />

„Scherz, Spaß“.<br />

- 92 -


Kassieren und kassieren<br />

Wenn die erste Instanz gegen einen Angeklagten eine Geldstrafe verhängt<br />

und das Urteil rechtskräftig wird, hat die Gerichtskasse etwas zu kassieren.<br />

Doch wenn der Verurteilte dagegen Berufung einlegt und die zweite Instanz<br />

das Urteil der ersten kassiert, hat der Kassierer doch noch das Nachsehen.<br />

Aber nehmen wir uns ein „Kassieren“ nach dem anderen vor: Hinter jenem<br />

ersten, bei dem der Euro in der Kasse klingelt, steht zunächst natürlich ebendiese<br />

„Kasse“, sodann im Italienischen, der Muttersprache der Finanzen und<br />

Bilanzen, die gleichbedeutende cassa und schließlich im Lateinischen, der<br />

Großmuttersprache aller dieser Wörter, ein eher seltenes Substantiv capsa für einen<br />

kleineren oder größeren Behälter und das Allerweltsverb capere mit der<br />

allgemeinen Bedeutung „nehmen“. Da haben wir des Pudels Kern: Unserer<br />

„Kasse“ ist von Hause aus das „Nehmen“ auf den blechernen oder stählernen<br />

Leib geschrieben, und das ist für eine Kasse ja kein schlechtes Omen.<br />

In der Antike bezeichnete die capsa, in der Verkleinerungsform capsula,<br />

vornehmlich einen trommelförmigen Behälter zur Aufnahme von Buchrollen.<br />

Solche Bücher-„Kapseln“ standen in einer Bibliothek nebeneinander im<br />

Regal; ein fest schließender Deckel schützte die kostbaren Papyrusrollen vor<br />

Staub und Licht, ein Etikett auf der Vorderseite verzeichnete die Autoren und<br />

die Buchtitel. Eine solche capsa diente offenbar auch als Schulranzen:<br />

Während der griechisch benannte, oft selbst griechischsprachige paedagogus,<br />

wortwörtlich der „Kinderführer“, den jungen Römer in die Schule des Grammaticus<br />

begleitete, trug der capsarius, ein Sklave minderen Ranges, dem kleinen<br />

Gaius oder Lucius seine Schullektüre, seinen Homer oder seinen Vergil,<br />

seinen Demosthenes oder seinen Cicero, in der Schul-„Kapsel“ hinterdrein.<br />

In den dunklen Jahrhunderten zwischen Spätantike und Frühmittelalter,<br />

als die Papyruslieferungen aus dem östlichen Mittelmeerraum ausblieben<br />

- 93 -


und der Pergament-Codex, dieser gewichtige Buch-„Klotz“, an die Stelle der<br />

dünneren oder dickeren Buchrolle trat, hatte die alte Bücher-„Kapsel“ ausgedient.<br />

In der Folge wurde die lateinische capsa im Italienischen zur cassa,<br />

im Französischen zur caisse und im Deutschen zur „Kasse“ und füllte sich<br />

statt mit klassischer Literatur nun mit klingenden Gold- und Silbermünzen<br />

und schließlich, als das Papiergeld aufkam, auch mit knisternden Scheinen.<br />

Auf diese lateinische capsa geht im Französischen auch die châsse, der kostbar<br />

geschmückte Reliquienschrein, und im Englischen das weltweit geläufige<br />

cash zurück.<br />

Die Verkleinerungsformen sind ihre eigenen Wege gegangen: Die lateinische<br />

capsula, die alte „Büchertrommel“, hat in der vergleichsweise winzigkleinen<br />

Medikamenten-„Kapsel“ und in der vergleichsweise riesengroßen<br />

Astronauten-„Kapsel“ ihre angestammte Lautgestalt und ihre kreisrunde<br />

oder ovale Form bewahrt. Freilich: Wer wollte angesichts solch einer<br />

Mini-Kapsel aus dem Schrank des Apothekers oder solch einer Maxi-Kapsel<br />

an der Spitze der Rakete noch an jene alte Büchertrommel denken? Die italienische<br />

cassetta, unsere „Kassette“, hat dem Wort jüngst noch einmal zu<br />

einem unverhofften großen Comeback verholfen; da mochte eine Audiooder<br />

Videokassette mit einem „Ilias“-Hörbuch oder einer „Odyssee“-Verfilmung<br />

auf der Rolle unversehens ihren alten Inhalt wiederfinden.<br />

Aber was hat es mit jenem anderen „Kassieren“ auf sich, und was besagt<br />

es, wenn eine höhere Instanz das Urteil der ersten Instanz kassiert? Hat der<br />

hohe Gerichtshof da etwa eine trommelförmige römische Reißwölfin stehen,<br />

einen sogenannten Papierwolf (wohl zu unterscheiden von einem<br />

harmlosen Papiertiger), der die nicht ganz hieb- und stichfesten Urteile der<br />

ersten Instanz glattweg verschlingt und in seinem Innern auf Nimmerwiederlesen<br />

verschnippelt und verschnetzelt? Nein, da haben wir es mit einem<br />

ganz anderen „Kassieren“ zu tun: Dahinter steht ein lateinisches Adjektiv<br />

cassus mit der Bedeutung „leer, hohl; eitel, nichtig“, und daraus ist in der<br />

Folge ein Verb cassare, „für nichtig erklären“, und eine cassatio, eine „Nichtigkeitserklärung“,<br />

und schließlich im Jahre 1738 der französische „Cour de<br />

cassation“, der „Kassationshof“, hervorgegangen, der dann wieder zum Muster<br />

aller späteren Kassationsgerichte wurde. Die sind, wo es sie gibt, die<br />

höchste und letzte Instanz, und wenn die eine zu Unrecht verhängte Geldstrafe<br />

kassieren, gilt allemal die Regel: Kassieren geht über Kassieren!<br />

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