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gativen und zwei positiven Überlegungen<br />
ein wenig deutlicher erkennen.<br />
Zuerst die negative: Unsere natürliche<br />
und geistige Kraft, von der ich keinen<br />
Grund habe, schlecht zu denken, hat<br />
uns bislang nicht in den Stand versetzt,<br />
unsere Pommersche Kirche zu wecken.<br />
Was wir tun können, vollbringt diese<br />
Aufgabe nicht. Aber nun gleich ein erster<br />
positiver Gesichtspunkt dazu: Es<br />
finden auch bei uns Begegnungen mit<br />
<strong>Menschen</strong> statt, die bezeugen, daß sie<br />
durch Christus geweckt und errettet<br />
worden sind. In unserem Bereich wird<br />
über die Maßen getrunken, und es sind<br />
vor allem gerettete Trinker, die offen<br />
von ihren Erfahrungen erzählen. Das<br />
ist etwas sehr Überraschendes und Bewegendes<br />
in den Gruppen, in denen<br />
sie zus<strong>am</strong>menkommen. Man spürt:<br />
Die haben keine „wasserdichte“ Theologie;<br />
die haben auch keine Fähigkeit,<br />
in wohlgesetzten Worten von ihrem<br />
Glauben zu erzählen. Aber sie wissen,<br />
wovon sie reden, wenn sie sagen:<br />
„Gott hat mir in Christus geholfen!“<br />
Sie gehören außerdem auf eine herzbewegende<br />
Weise zus<strong>am</strong>men. Sie kümmern<br />
sich umeinander.<br />
Und noch eine weitere positive Überlegung.<br />
Nach meiner Einsicht macht<br />
die Schriftauslegung von Dietrich<br />
Boenhoeffer, besonders in den beiden<br />
Büchern „Nachfolge“ und „Gemeins<strong>am</strong>es<br />
Leben“, in einer Weise mit dem<br />
Zeugnis der Bibel ernst, von der ich<br />
zwar selber weit entfernt bin, aber diese<br />
Schriftauslegung ist von einer Art,<br />
daß ich den Eindruck habe: Dort ist<br />
ein Weg zum Neuwerden, wobei mir<br />
deutlich ist: Die teilweise strengen und<br />
scheinbar steilen Äußerungen in diesen<br />
beiden Büchern haben ihren Ursprung<br />
nicht in einer Gesetzlichkeit,<br />
sondern in der Überzeugung, daß es<br />
einzig der lebendige Jesus Christus ist,<br />
der und mit dem die Gemeinde wirbt.<br />
Einige Empfehlungen<br />
Ich glaube fest, daß uns nur zu helfen<br />
ist, wenn wir selber anfangen, aus der<br />
bestimmenden Gegenwart des lebendigen<br />
Christus zu leben. Und wenn dabei<br />
die erste Adresse das Herz ist, dann<br />
heißt dies auch: Pfarrer sein geht unter<br />
unseren Umständen nicht ohne Vorbild<br />
sein. Die Orientierungsfunktion der<br />
Pfarrerschaft hängt nicht nur, aber<br />
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auch mit ihrer Vorbildfunktion zus<strong>am</strong>men.<br />
Es ist allerdings ein bitteres Problem,<br />
daß insbesondere im Blick auf<br />
die Fülle zerbrechender Ehen und des<br />
menschlichen Umgangs miteinander<br />
die Vorbildfunktion der Pfarrerschaft<br />
oftmals nicht gut ist. Intellektuell – das<br />
kann man fast durchweg sagen – reichen<br />
nicht viele außerhalb und innerhalb<br />
der Gemeinden den Pfarrerinnen<br />
und Pfarrern das Wasser. Was jedoch<br />
die Qualität des Lebens und der Lebensvollzüge<br />
angeht, so ist das leider<br />
nicht so. Und das ist ein Problem.<br />
Ein weiterer Gesichtspunkt. Die Kategorie<br />
des „Einzelnen“ ist keine christliche<br />
Kategorie. Man kann nicht allein<br />
Christ sein. Das heißt: Wir brauchen<br />
Zellen; Gemeinschaften, die in Offenheit<br />
und Kritik Christus mehr vertrauen<br />
als sich selbst. Daher haben wir<br />
versucht, solche Zellen in das Gebiet<br />
des Pommerschen Kirche zu bekommen.<br />
Die Pfarrkonvente sind bei uns<br />
so wie vermutlich überall: durchschnittlich,<br />
manchmal unausstehlich,<br />
manchmal erfreulich. So wie das eben<br />
mit uns Pfarrern ist, die wir ja doch<br />
alle kritisch überbegabt und zudem<br />
eigensinnig sind. Aber wir brauchen<br />
dringend Zellen gemeinschaftlichen<br />
Lebens. Das hat nichts mit „Kuhstallwärme“<br />
oder Klebrigkeit zu tun, aber<br />
ohne solche Zellen wird es nicht gehen.<br />
Drittens: Wir brauchen Beweglichkeit<br />
und Lernbereitschaft. Das ist etwas,<br />
was uns Deutschen sehr schwer fällt.<br />
Was wir nicht selber erfunden haben,<br />
kann eigentlich nicht gut sein. Dabei<br />
geht es ja nicht einfach darum, von anderen<br />
abzugucken, sie zu imitieren und<br />
dann zu sagen: „Jetzt hab ich den Dreh<br />
auch raus und mach das selbst“. Es<br />
geht um Veränderungsprozesse im<br />
Lernen, und darin haben wir viel<br />
Nachholbedarf. Lehrer und Pfarrer lernen<br />
selber <strong>am</strong> schwersten, weil sie so<br />
viel lehren. Gerade um ihres Amtes<br />
willen aber ist die Lernbereitschaft so<br />
nötig.<br />
Schließlich will ich das Ganze noch<br />
einmal in wenigen Sätzen versuchen<br />
auf den Punkt zu bringen. In unserer<br />
Situation im Osten Deutschlands besteht<br />
kein Mangel an der Emanzipation<br />
des Denkens, des Kopfes, der Sinne<br />
und selbst der Sexualität. Das alles<br />
ist bis zum Exzeß erfolgt. Aber die<br />
Korrektur der Auswüchse, die die gedankliche<br />
und sinnliche Emanzipation<br />
nach sich gezogen hat, erfolgt nicht als<br />
Selbstkorrektur. Ich bin der festen<br />
Überzeugung: Sie kann nur vom<br />
Herzen her erfolgen. Das Herz ist aus<br />
meiner Sicht der entscheidende Punkt,<br />
auf den sich die Evangelisierung richtet<br />
und dessen die Evangelisierung bedarf.<br />
Wenn es dort nicht stimmt, dann<br />
wird keine rhetorische und gedankliche<br />
Professionalität uns entschädigen<br />
und auch keine sinnliche und erlebnisorientierte<br />
Dichte. Wenn es dort nicht<br />
stimmt, dann nützt alles andere uns<br />
nicht.<br />
Umgekehrt gilt, Gott sei Dank, im<br />
Blick auf die Geschichte der Kirche<br />
im Ganzen wie auch für unsere heutige<br />
Situation: Die Mängel gedanklich<br />
rationaler Argumentation und Darlegung,<br />
Planung und Tätigkeit können<br />
durch uns ausgeglichen werden. Ein<br />
Mangel an Sinnlichkeit und reifer<br />
Emotionalität ist jedoch bei einer vom<br />
Herzen her bestimmten und zu Herzen<br />
gehenden Evangelisation nicht hinnehmbar<br />
und zugleich nicht von uns<br />
selbst, sondern nur von <strong>Gottes</strong> Herz<br />
her ausgleichbar.<br />
Eduard Berger, Greifswald<br />
Während des<br />
Kongresses<br />
wurden an zwei<br />
Nachmittagen<br />
mehr als<br />
15 Workshops<br />
angeboten,<br />
die auf die<br />
Praxis einer<br />
kontextuellen<br />
Evangelisation<br />
zielten.<br />
Es würde<br />
den Rahmen<br />
des vorliegenden<br />
Heftes<br />
sprengen, diese<br />
Workshops hier<br />
vollständig und<br />
umfassend<br />
zu dokumentieren.<br />
So<br />
haben wir<br />
uns auf einen<br />
Querschnitt<br />
beschränkt<br />
und dabei die<br />
unterschiedliche<br />
Präsentation der<br />
wesentlichen<br />
Inhalte dieser<br />
Workshops<br />
auch für die<br />
Veröffentlichung<br />
beibehalten.<br />
WORKSHOPS<br />
Thomasmesse<br />
Auf dem Kongreß gab es als „lokales“<br />
Angebot der Evangelischen Versöhnungs-Kirchengemeinde<br />
Iserlohn auch<br />
eine Thomasmesse außer der Reihe<br />
<strong>am</strong> Dienstagabend (21. 9. 99), die<br />
ansonsten immer <strong>am</strong> dritten S<strong>am</strong>stag<br />
im ungeraden Monat um 18 Uhr in der<br />
dortigen Obersten Stadtkirche gefeiert<br />
wird.<br />
Dabei wurde das Kongreßthema aufgenommen:<br />
„<strong>Gottes</strong> <strong>Lust</strong> <strong>am</strong> <strong>Menschen</strong>“<br />
und mit Hilfe einer Bildinterpretation<br />
von Chagall zum Hohen Lied<br />
der Liebe, einer Lesung in verteilten<br />
Rollen sowie einer Tanzinterpretation<br />
des Iserlohner Ballettförderzentrums<br />
unter Leitung von Miri<strong>am</strong> Glock dargestellt.<br />
Neben dem so gestalteten thematischen<br />
Teil und der Form des Abendmahls<br />
mit vier runden Austeilungstischen<br />
(1 x Gemeinschaftskelch/<br />
3 x Einzelkelche), dem stimmungsvollen<br />
Rahmen mit viel Blumenschmuck<br />
und Kerzenlicht an vielen<br />
Stationen in der Kirche und in den<br />
Händen der Teilnehmenden sowie<br />
Chorgesang aus Taizé und Finnland<br />
nahm die sogenannte „Offene Zeit“<br />
einen besonderen Raum ein, bei der<br />
über ca. 30 Minuten zahlreiche Stationen<br />
in der Kirche aufgesucht werden<br />
konnten (siehe Seite 44):<br />
Die Wurzeln der<br />
Thomasmesse<br />
Die Idee kommt aus Finnland. Dort<br />
wurde 1988 die erste Thomasmesse<br />
gefeiert. Der N<strong>am</strong>e des <strong>Gottes</strong>dienstes<br />
stellt den Bezug zu dem zweifelnden<br />
Jünger Jesu, dem Thomas, her.<br />
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