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kursiv 3x 09 - Wochenschau Verlag

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Perspektiven durch Indoktrination, Manipulation<br />

oder Überwältigung aufzwingen.<br />

Die Frage ist zunächst, worin die Ambivalenz dieses<br />

Kontroversitätsprinzips eigentlich liegt. Einerseits<br />

ist das Kontroversitätsprinzip mit dem Beutelsbacher<br />

Konsens der Politikdidaktiker aus dem Jahre<br />

1976 zu einer handlungsleitenden Selbstverständlichkeit<br />

des professionellen Selbstverständnisses<br />

von politischen Bildnerinnen und Bildnern geworden.<br />

Ein hessischer Lehrer hat dieses paradigmatische<br />

Selbstverständnis am Beispiel seiner Behandlung<br />

der Wehrmachtsausstellung im Unterricht so<br />

beschrieben:<br />

„[...] das ist mir auch wieder deutlich geworden<br />

jetzt bei der [...] Diskussion um die Wehrmachtsausstellung<br />

[...] nämlich viele Lehrer besuchen<br />

vielleicht die Ausstellung [...] und haben hinterher<br />

die Angst, dass ihre Schüler nicht den richtigen<br />

Weg [...] angesichts dieser Ausstellung erkennen.<br />

Das halte ich für problematisch, ich finde es ist<br />

sinnvoller [...] die Menschen dorthin zu führen<br />

und [...] sie auf bestimmte Situationen vorzubereiten<br />

und sie in die Lage zu versetzen, dass sie dann<br />

auch [...] in der Lage sind ein eigenes [...] Urteil<br />

nach und nach zu bilden und das auch überprüfen<br />

zu können.“<br />

Exemplarisch wird in diesem Interviewausschnitt<br />

deutlich, was viele schulische und außer schulische<br />

politische Bildnerinnen und Bildner heute in ihrer<br />

Berufspraxis mit dem Prinzip der Kontroversität<br />

verbinden: Dass politische Bildung kontroverse<br />

Themen und politischen Streit aufgreifen muss,<br />

statt solche Themen auszugrenzen; dass es in der<br />

politischen Bildung darum geht, für die Adressaten<br />

politischer Bildung solche Lerngelegenheiten und<br />

Lernumge bungen zu arrangieren, die ihnen eine<br />

eigene Urteilsbildung ermöglichen, so dass sie ihre<br />

eigenen Interessen erkennen und aktiv vertreten<br />

können; dass Methoden, Sozialformen, Materialien<br />

und Medien der politischen Bildung diesem<br />

Anspruch entgegenkommen müssen.<br />

Zur Realität der politischen Bildung gehört allerdings<br />

wohl auch, dass es in der alltäglichen Praxis<br />

nach wie vor und immer wieder zu Brechungen<br />

und Verletzungen dieses Prinzips kommt. So erin-<br />

<strong>kursiv</strong> JOURNAL FÜR POLITISCHE BILDUNG 3/<strong>09</strong><br />

nert z.B. ein sächsischer Student die folgende Lernerfahrung<br />

aus seiner politi schen Bildung in der<br />

Schule: …<br />

„Mein Gemeinschaftskundelehrer war und ist politisch<br />

sehr aktiv und musste seine Meinung, egal<br />

wo, seinen Schülern unterjubeln. Der Schüler hatte<br />

im Unterricht gar keine Alternativen kennen<br />

gelernt und ist nicht über solche informiert worden.<br />

[...]. Was vielen, sehr vielen Lehrern auch sehr<br />

schwerfällt, ist der kritische Umgang mit Politik<br />

und den Parteien sowie sich selbst.“<br />

Die empirische Forschung in der politischen Bildung<br />

zeigt, dass eine solche Episode kein Einzelfall<br />

aus der Vergangenheit ist, im Gegenteil: Neigungen<br />

zur Mission, zur Predigt, zur „moralischen Dauernötigung<br />

des Guten“ (Guggenberger) treten<br />

wohl nicht nur bei Lehrerin nen und Lehrern, sondern<br />

wohl auch in der außerschulischen politischen<br />

Bildung immer wieder auf. Zur Realität der politischen<br />

Bildung gehört, dass es in der schulischen<br />

wie außerschulischen Bildung nach wie vor politische<br />

Bildnerinnen und Bildner gibt, die zu einer<br />

offenen und kon troversen Verhandlung unterschiedlicher<br />

Gesellschafts- und Politikvorstellungen<br />

nicht bereit oder in der Lage sind – entweder<br />

weil sie von ihrer Mission überzeugt sind oder<br />

weil sie aus Furcht vor Streit und Kontroversen<br />

flüchten. Insofern ist auch heute noch die Einhaltung<br />

des Kontroversitätsgebots in der politischen<br />

Bildung einerseits notwendig und andererseits<br />

schwierig.<br />

Zum Sinn des Kontroversitätsprinzips:<br />

Politische Bildung als pädagogische<br />

Situation<br />

Die Idee der Kontroversität ist nicht neu. Die Griechen<br />

bevorzugten es, Probleme kontrovers zu<br />

durchdenken und dadurch zu Lösungen zu gelangen.<br />

Der politischen Entscheidung ging in der antiken<br />

Demokratie die meist kontroverse Debatte<br />

voraus. Die Bürger in der Volksver sammlung übten<br />

permanent, entgegengesetzte Meinungen auszuhalten,<br />

und erlernten Takti ken des Widerlegens und<br />

Begründens. Kontroverses Denken gehört zum<br />

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