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Ausgabe 3/2011 - plan B

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KrisenpflegeZu Beginn der Anbahnung ist es wichtig, dass Pflegeelternsich Zeit lassen und sich am Kind orientieren. Esbraucht Akzeptanz dafür, dass das Vertrauen und dieSicherheit des Kindes zu ihnen erst wachsen müssen. Esist wichtig zu wissen, dass eine „Annahme des Kindes“nicht dadurch erfolgt, dass die neue Erzieherumwelt dasKind an die Hand nimmt, sondern dass sie sich von denWünschen und Bedürfnissen des Kindes führen lässt.Die Pflegeeltern müssen zulassen, dass das Kind sie,die es erst zu seinen Eltern macht, „manipuliert“. DieseFormulierung mag sich für manche im ersten Momentirritierend, ja fast abschreckend anhören. Diese„Manipulation“ ermöglicht unserer Menschheit aberdas Überleben: Wir kommen als hilflose kleine Wesenauf die Welt und sind auf die Versorgung durch andereangewiesen. Wenn ein Säugling weint, zeigt er damitseine Bedürfnisse (nach Nahrung, Nähe, einer frischenWindel etc.) an und veranlasst die Mutter zu einer Reaktion,welche dann im Optimalfall möglichst promptseine Bedürfnisse befriedigt. Dieses feinfühlige undangemessene Reagieren auf die Bedürfnisse des Kindesist die Grundlage des Bindungsaufbaus eines Babieszu seiner Mutter und so wird seine biologische Mutterauch zu seiner sozialen Mutter.Auch bei einem Pflegekind funktioniert der Bindungsaufbauin gleicher Weise. Indem die Eltern sich vomKind an die Hand nehmen lassen, ermöglichen sie ihm,dass es Einfluss auf sie gewinnt und damit auch Sicherheitund Vertrauen.Bereits beim ersten Besuch des Kindes in der Pflegefamiliesollte das Kinderzimmer grundsätzlich fertigeingerichtet sein. Das Kind soll vom ersten Moment ansehen, wo sein Platz sein wird. Vielleicht hinterlässt esauch schon einmal ein Stofftier im Bett bis zu seinemnächsten Besuch. Nach und nach können Kleidung undSpielzeug übersiedelt und mit dem Kind gemeinsameingeräumt werden.Während der Anbahnung und auch nach der Übersiedelungsollen die Pflegeeltern mit dem Kind die Zeitnutzen, um gut mit ihm in Beziehung treten zu können.Hier gilt es häufig die neugierigen Verwandten undBekannten auf später zu vertrösten. Unsere Erfahrungzeigt, dass die Qualität der Anbahnungsbesuche undsomit der Beziehungsaufbau leidet, wenn ständig vielePersonen anwesend sind oder schon bald viele Aktivitätenmit dem Kind außer Haus stattfinden.Das Kind soll nach der Übersiedlung die Trennung vonden Krisenpflegeeltern betrauern dürfen. Mitgegebenepersönliche Dinge, Fotos und Geschichten von frühersind Teil seines Lebens und helfen dem Kind im Trauerprozess.Sind leibliche Kinder in der Pflegefamilie, ist es wichtig,die Kinder auch gelegentlich auseinanderzudividieren,damit das Pflegekind ohne Konkurrenz Einflussauf die Pflegeeltern nehmen kann. Das Pflegekind ist imVergleich zum leiblichen Kind in der eindeutig schwierigerenPosition, weil es noch keine sichere Bindungzu den Eltern hat. Rivalität sollte nicht wegdiskutiert,sondern einfühlend wahrgenommen werden. LeiblicheKinder haben ein Recht auf Wut und Eifersucht. DasPflegekind hat das Recht auf das gleiche Gefühl. DasGleichbehandlungsprinzip wird bei einem Pflegekindinsofern in Frage gestellt, als es andere Vorerfahrungenund Bedürfnisse hat als ein leibliches Kind.Beziehung kommt vor Erziehung.Regeln, Grenzen und Konsequenz sind wichtig, denndas Kind braucht einen Rahmen, an dem es sich orientierenund festhalten kann. In erster Linie braucht dasKind aber zuerst Sicherheit und Vertrauen. Dies gewinntes durch den Alltag, durch Regelmäßigkeiten, vertrauteRituale, durch feinfühliges Reagieren der Pflegeelternund durch das Gefühl des Angenommenseins. Ein zurascher Übergang beim Erziehungsverhalten führt beimKind oft zum Aufrechterhalten der Überanpassung undzum Scheitern des Beziehungsaufbaus.Der Integrationsprozess eines Pflegekindes ist ein langwieriger,der viel Geduld und Verständnis von denPflege eltern erfordert. In Anbetracht der komplexenVorgänge und der vielschichtigen Emotionen, wird klar,vor welchen Anforderungen Pflegeeltern und Pflegekindhier stehen und welch großartige Leistungen sie vollbringen.Ein geglücktes Pflegeverhältnis ist eine Chancefür ein Pflegekind, bisher Erlebtes zu verarbeiten und„heilende“, positive Bindungserfahrungen zu machen.Ein Scheitern des Bindungsaufbaus oder gar ein abgebrochenesPflegeverhältnis haben weitreichende Folgenfür das Kind, das dadurch einmal mehr erfährt, dass eskein angenommenes Kind ist. Es geht hier um viel undin diesem Zusammenhang muss hervorgehoben werden,wie unerlässlich eine umfassende weiterführende Unterstützungund Begleitung von Pflegefamilien durch Fachpersonalmit entsprechender Expertise ist.Martina Zölzer[1] Der Begriff des Kohärenzgefühls wurde vom israelischenSoziologen Aaron Antonovsky geprägt und meint im Wesentlichendie Fähigkeit, dem Leben einen Sinn, eine Bedeutung und aucheinen Zusammenhang geben zu können. Je stärker nun diesesKohärenzgefühl bei einem Menschen ausgeprägt ist, desto höherist die Wahrscheinlichkeit, dass er mit Belastungen konstruktiv undnicht selbstschädigend umgehen kann.Pflege und Adoption 03/<strong>2011</strong>Seite 7

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