42 Text und Fotos: Peter Krebs In <strong>der</strong> europäischen Gebirgsliga spielen sie nur die zweite Geige. Doch zum Weitwan<strong>der</strong>n sind sie erste Wahl. In vierzehn Tagen durch die zentralen und östlichen Pirineos. Vierzehn Tage weg
Aufstieg über die vom Gletscher glattgeschliffenen Kalkformationen <strong>der</strong> Hochpyrenäen in Richtung Tuc de Molières. vom Fernseher P Y R E N Ä E N Weitwan<strong>der</strong>n Ich erschrecke auf einmal ein bisschen, als mir bewusst wird, auf was ich mich eingelassen habe. Vierzehn Tage zu Fuss unterwegs in den Bergen, meist oberhalb von 2000 Metern, mit Leuten, die ich nicht kenne, durch eine Gegend, von <strong>der</strong> ich keinen blassen Dunst habe und von <strong>der</strong>en herb-exotischem Namen ich mich verführen liess. Los Pirineos! Das heisst vierzehn Tage weg vom Fernsehen, ohne Nachricht von <strong>der</strong> Liebsten und von <strong>der</strong> Lieblingsfussballmannschaft, die sich wie<strong>der</strong> einmal und bestimmt erneut erfolglos um den Meistertitel balgt. Wie weit weg ist jetzt diese <strong>Schweiz</strong>er Super Liga im Refugio de la Renclusa in <strong>der</strong> spanischen Provinz Huesca, in <strong>der</strong> Autonomen Region Aragón, wo muskulöse Föhren, aber keine Antennen für den Mobilfunkempfang in den Himmel wachsen! Wir spielen hier in einer ganz an<strong>der</strong>en Liga. Der Alltag, <strong>der</strong> Komfort, die gewohnte Umgebung und die damit verbundenen Freuden und Sorgen, die das halbe Leben ausmachen, sind vom Bergwind weggeblasen und verschwunden. Genau so wie <strong>der</strong> Wildbach, <strong>der</strong> unterhalb <strong>der</strong> Hütte in einer Karstgrotte verschwindet, um erst drüben im Val d’Aran wie<strong>der</strong> aufzutauchen. Immerhin ist <strong>der</strong> lange Tisch zu unserer Überraschung mit Papiertischtüchern gedeckt. Das Refugio ist für eine Berghütte sehr komfortabel. Es hat einen Treppengiebel wie ein gotisches Stadthaus. Vor <strong>der</strong> Tür suchen frei herumlaufende Esel nach etwas Essbarem und einem Nachtlager. Exakt wie wir. Wir sind am Morgen mit dem Taxi vom alten französischen Kurort Luchon aus, den man mit dem Zug erreicht, nach dem Hospice de France gefahren. Das liegt etwa in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Pyrenäen, dort, wo eine <strong>der</strong> schönsten Wan<strong>der</strong>ungen beginnt, die man sich wünschen kann. Aber das wussten wir noch nicht, als wir auf dem Zickzackweg steil zum ersten Pass hinaufstiegen, auf den 2444 Meter hohen Port de Venasque. Wir ahnten es nur. Denn die Gegend wurde immer urtümlicher, je weiter wir in die Pirineos hineingerieten. Es begannen sich jene Pyrenäenstimmung und jene Pyrenäenfarbe auszubreiten, die nur schwer zu beschreiben sind. Die Pyrenäen sehen von Nahe ähnlich aus wie die Alpen. Sie sind auch ziemlich hoch und steil und felsig und mit allen Wassern gewaschen. Und doch weiss man immer, dass man in den Pyrenäen ist. Sie haben, sagen wir, etwas Zurückhalten<strong>der</strong>es, Nachdenklicheres. Sie erinnern an das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t. Sie haben weniger Starallüren als die Alpen, denn sie spielen in Europas Gebirgsliga nur die zweite Geige. Es gibt hier keine Matterhörner, keine Heidis und keine Kufsteinerlie<strong>der</strong>. Das merkt man den Gipfeln und den Tälern an. Wun<strong>der</strong>schön sind viele trotzdem. Und sie machen zusammen auch ein richtiges grosses Gebirge aus, in dem man wochenlang marschieren kann, ohne sich zu langweilen. <strong>VCS</strong> MAGAZIN / MAI 2012 43