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Wenn das Entflammen im Ausbrennen endet …

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Medizin und Gesundheit Burn-out<br />

FACts: Laut Angaben des Wissenschaftlichen<br />

Instituts der AOK (WIdO) nehmen Fehltage<br />

aufgrund von Burn-out, Stress und Erschöpfung<br />

zu: Allein mit Burn-out waren <strong>im</strong> letzten<br />

Jahr knapp 100.000 Arbeitnehmer krankgeschrieben.<br />

Damit seien die Burn-out-Fehltage<br />

fast um <strong>das</strong> Neunfache auf insgesamt 1,8 Millionen<br />

angestiegen. Wie erklären Sie sich diese<br />

Entwicklung?<br />

stefan Büscher: Für mich gibt es zwei Sichtweisen.<br />

Zum einen rückt <strong>das</strong> Thema durch<br />

prominente Fälle wie etwa Robert Enke, Miriam<br />

Meckel und auch Ralf Rangnick mehr<br />

in die Öffentlichkeit. Daneben hat sich die<br />

Zahl der Frühverrentungen in Deutschland<br />

126 FACTS SPECIAL<br />

FACts-Serie: Prävention<br />

<strong>Wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>Entflammen</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Ausbrennen</strong> <strong>endet</strong> <strong>…</strong><br />

in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt:<br />

37,7 Prozent davon werden wegen seelischer<br />

Erkrankungen verrentet, wegen physischer<br />

Probleme dagegen weniger als 20<br />

Prozent. Alles in allem sagen diese Statistiken<br />

sehr viel über die Aufklärung in der Medizin<br />

und der Bevölkerung aus. Wir achten<br />

bereits heute mehr auf uns und unsere körperliche<br />

Fitness – wenn wir es zulassen und<br />

es auch erkennen wollen.<br />

FACts: Ein Problem in diesem Zusammenhang<br />

ist sicherlich, <strong>das</strong>s es bislang noch keine präzise<br />

Diagnostik für Burn-out-Betroffene gibt.<br />

Welches sind typische Symptome?<br />

termindruck, umsatzziele, Kompetenzgerangel<br />

– beruflicher dauerstress<br />

kann für Betroffene zu psychischen<br />

erkrankungen bis hin zur völligen<br />

erschöpfung oder zum Burn-out führen.<br />

stefan Büscher, Außendienstmitarbeiter<br />

und trainer be<strong>im</strong><br />

Büromöbelhersteller haworth, hat sich<br />

intensiv mit dem thema beschäftigt<br />

und erläutert, welche Personengruppen<br />

besonders gefährdet sind, wie<br />

sich ein „Burn-out“-syndrom konkret<br />

äußert und welche Möglichkeiten der<br />

Prävention es gibt.<br />

Büscher: Müdigkeit bis hin zur Erschöpfung<br />

und Antriebslosigkeit sind in der Regel erste Anzeichen<br />

eines Burn-outs. Diese werden aber<br />

nicht wahrgenommen oder als alltäglich abgetan.<br />

Kommt hierzu eine nachlassende Leistungsfähigkeit<br />

verbunden mit Motivationslosigkeit,<br />

sollten diese Anzeichen aber ernst<br />

genommen werden. Die heutige Psychologie<br />

orientiert sich an zwölf Phasen <strong>im</strong> Burn-out-<br />

Prozess, beginnend mit einer Phase der Begeisterung<br />

und dem verstärktem Einsatz für<br />

best<strong>im</strong>mte Ziele. Schon hier beginnt der eigentliche<br />

Prozess, denn in unserer Begeisterung<br />

vernachlässigen wir eigene Bedürfnisse. Das<br />

Gefühl, diese Bedürfnisse gar nicht mehr zu ha-


en, wird deutlicher. Nicht umsonst lautet eine<br />

Erkenntnis: Nur jemand, der einmal entflammt<br />

war, kann auch ausbrennen.<br />

FACts: Wie gestaltet sich ein weiterer typischer<br />

Verlauf?<br />

Büscher: Ein typischer Verlauf ist, <strong>das</strong>s Probleme,<br />

Konflikte und Bedürfnisse verdrängt werden<br />

und es zu eigenen Fehlleistungen kommt,<br />

die der Betroffene selbst gar nicht wahrn<strong>im</strong>mt,<br />

denn dieser sieht sich selbst stets als der<br />

Pünktliche, der Berechenbare, der Zielstrebige.<br />

Zusätzlich werden Lebensziele und Ideale<br />

verschoben, und der Einsatz für eine Sache<br />

geht so weit, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> private Umfeld, die Ehe,<br />

die Familie oder Hobbys nicht mehr wichtig<br />

erscheinen, weil diese dann eher als belastend<br />

empfunden werden. Eigene Probleme, die<br />

sich zwangsläufig ergeben, werden von den<br />

Betroffenen geleugnet: Schlaflosigkeit lässt<br />

sich leicht mit Schlaftabletten behandeln, <strong>das</strong><br />

ständige Gereiztsein wird als alltäglich erlebt<br />

und ist eben der „normale“ Stress. Infekte, Erkältungskrankheiten,<br />

Rücken- oder Kopfschmerzen<br />

– hat doch jeder.<br />

FACts: Was empfehlen Sie in einer solchen Situation<br />

als Arbeitskollege oder Vorgesetzter zu tun?<br />

Büscher: In der eben beschriebenen Phase<br />

sollten Kollegen, Vorgesetzte und auch Betriebsräte<br />

unbedingt geeignete Gegenmaßnahmen<br />

einleiten. Freunde und Kollegen des<br />

Betroffenen sollten an die früheren Grundwerte<br />

erinnern und zum Beispiel frühere Freunde<br />

und Kontakte reaktivieren – ansonsten manifestiert<br />

sich der Rückzug des Betroffenen aus<br />

seiner Umwelt. Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit<br />

bleiben und eine Ersatzbefriedigung<br />

durch Alkohol, Drogen und Medikamente<br />

kann einsetzen, so<strong>das</strong>s der Betroffene mehr<br />

und mehr vereinsamt. Das Leben verflacht zusehends<br />

und Zuwendung und Aufmerksamkeit<br />

von außen werden als Angriff verstanden. In<br />

einer solchen Situation sollten Vorgesetzte und<br />

Kollegen versuchen, professionelle psychologische<br />

Hilfe einzuschalten, um nach geeigneten<br />

Wegen zu einer Umkehr zu suchen.<br />

FACts: Forscher des Instituts für angewandte<br />

Innovationsforschung (IAI) der Ruhr-Universität<br />

„Um einer dauerhaften beruflichen<br />

Überbeanspruchung<br />

entgegenzuwirken, müssen klare<br />

Grenzen zwischen Arbeit und<br />

Privatleben gezogen werden.<br />

Zusätzlich empfiehlt es sich, einen<br />

Ausgleich zum Beruf zu suchen.“<br />

Bochum haben festgestellt, <strong>das</strong>s<br />

sich vor allem Führungskräfte<br />

aus dem mittleren Management<br />

auf eine sogenannte vitale Erschöpfung<br />

zubewegen. Wer ist<br />

darüber hinaus besonders gefährdet<br />

und woran liegt <strong>das</strong>?<br />

Büscher: Gefährdet ist eigentlich<br />

jeder, der sich zunehmend<br />

nur noch auf seine Arbeit konzentriert<br />

und sich aus dem Privatleben<br />

zurückzieht. In der stEFan BüscHER, außendienstmitarbeiter und<br />

trainer be<strong>im</strong> Büromöbelhersteller Haworth<br />

Tat trifft dies häufig auf die<br />

mittlere Managementebene<br />

zu. Denn diese steckt oft zwischen<br />

den Fronten: Führungskräfte<br />

dieser Ebene müssen<br />

sowohl die Ziele der Unternehmensleitung<br />

erfüllen als<br />

auch die „Messlatte“ für ihre<br />

Mitarbeiter auflegen. Um eine<br />

höhere Hierarchieebene zu erreichen,<br />

setzen sie sich selbst<br />

unter Druck. Daraus entwickelt<br />

sich meist schleichend<br />

ein Dauerstress, mit Phasen<br />

vermehrter Aktivität und Anstrengung,<br />

getrieben von dem<br />

Wunsch, <strong>das</strong> Überforderungsgefühl<br />

irgendwie zu bewältigen.<br />

Bleibt der Erfolg aus, bekommt<br />

der Betroffene keine<br />

Anerkennung und seine Karrierehoffnungen<br />

schwinden. Der<br />

Betroffene läuft <strong>im</strong> Leerlauf –<br />

wie ein Auto mit durchgetretenem<br />

Gaspedal. Er fühlt sich<br />

innerlich leer, weil er sich auch auf nichts Büscher: Wichtig ist in jedem Fall, klare Gren-<br />

mehr einlassen kann. Ängste davor, beruflizen zwischen Arbeit und dem Privatleben zu<br />

che Ziele nicht zu erreichen, oder auch vor ziehen und in der Freizeit einen Gang zurück-<br />

Einsamkeit, Krankheit oder Arbeitslosigkeit zuschalten und einen Ausgleich zum Beruf zu<br />

nehmen mehr und mehr zu, Depressionen suchen. Dabei empfiehlt es sich, zum Beispiel<br />

und Verzweiflung herrschen vor. Der völlige Sport zu treiben, zu musizieren oder Hobbys<br />

Zusammenbruch, Burn-out, droht.<br />

nachzugehen, die nicht exzessiv betrieben werden<br />

und Zeit und Raum zum Ausruhen und<br />

FACts: Was kann man präventiv tun, um einer Regenerieren schaffen. Ein weiterer wichtiger<br />

dauerhaften Überbeanspruchung und den ne- Punkt, den Vorgesetzte beachten sollten: Anergativen<br />

Folgeerscheinungen entgegenzuwirken? kennung und Lob für seine Arbeit zu erhalten,<br />

Und welche Rolle spielt die Fürsorgepflicht des ist ein sehr wesentlicher Bereich der Prävention<br />

Arbeitgebers in diesem Zusammenhang? eines Burn-outs.<br />

SPECIAL FACTS 127


Medizin und Gesundheit Burn-out<br />

FACts: Inwieweit kommen Ihnen Ihre Er-<br />

fahrungen und Kenntnisse mit dem Thema<br />

„Burn-out“ für Ihre übrigen Tätigkeiten als Außendienstmitarbeiter<br />

und Coach zugute?<br />

Büscher: Auf der einen Seite stehe ich als Außendienstmitarbeiter<br />

in der Umsatzverantwortung<br />

und somit auch <strong>im</strong>mer unter Leistungsdruck.<br />

Also beobachte ich mich <strong>im</strong>mer<br />

wieder selbst kritisch, betrachte meinen derzeitigen<br />

Standpunkt und weiß vielleicht genauer,<br />

wie weit ich <strong>im</strong> Ausbrennprozess bereits<br />

stehe. Dadurch habe ich jedoch auch<br />

keinen Freibrief gegen diesen Prozess. Auf der<br />

anderen Seite gebe ich <strong>im</strong> Coaching und bei<br />

meinen Trainings den Teilnehmern <strong>im</strong>mer<br />

wieder Hinweise und Anregungen, wie sie mit<br />

diesem Thema umgehen sollten. Ich empfehle<br />

ihnen, sich selbst zu analysieren und genau<br />

hinzusehen, wo sie gerade stehen. Weiterhin<br />

sollten sie lernen, Arbeit abzugeben, an andere<br />

zu delegieren. Um es mit einem Zitat des<br />

französischen Gelehrten Voltaire zu halten:<br />

Wir sind für <strong>das</strong> verantwortlich, was wir tun,<br />

aber auch für <strong>das</strong>, was wir nicht tun.<br />

FACts: Mittlerweile wurden bereits einige Fälle<br />

prominenter Erschöpfungs- und Burn-out-<br />

Opfer in der Öffentlichkeit stark diskutiert. Wie<br />

ist Ihre persönliche Meinung: Kann dieser öffentliche<br />

Diskurs dazu beitragen, die Zahl der<br />

Gefährdeten in Zukunft zu verringern?<br />

Büscher: Ja. Dadurch, <strong>das</strong>s Prominente wie die<br />

Kommunikationswissenschaftlerin Miriam<br />

pRäVEntion: gesundheitsmaßnahmen<br />

wie zum Beispiel Rückenschulungen<br />

spielen eine wichtige<br />

Rolle, um auch psychische<br />

krankheiten gar<br />

nicht erst entstehen<br />

zu lassen.<br />

128 FACTS SPECIAL<br />

FACts-Serie: Prävention<br />

Rückzug und isolation: Burn-out-Betroffene<br />

ziehen sich häufig aus ihrer umwelt zurück<br />

und setzen alkohol, drogen und Medikamente<br />

als Ersatzbefriedigung ein. Eine zunehmende<br />

Vereinsamung ist die Folge.<br />

Meckel, der Musiker Peter Plate oder der Fußballtrainer<br />

Ralf Rangnick mit ihren Problemen<br />

an die Öffentlichkeit gehen, wird <strong>das</strong><br />

Thema verstärkt diskutiert. Man merkt, <strong>das</strong>s<br />

sich die Medien und auch die Bevölkerung<br />

mehr mit dieser Krankheit beschäftigen. Das<br />

trägt meiner Meinung dazu bei, Akzeptanz<br />

und Mitgefühl für die Betroffenen zu stärken<br />

und die Ängste der Betroffenen, mit ihrer<br />

Krankheit alleingelassen zu werden, abzubauen.<br />

Sie versinken nicht noch mehr in ihrer<br />

Depression und ihnen kann verstärkt geholfen<br />

werden.<br />

FACts: Welche konkreten Maßnahmen werden<br />

bei Haworth hinsichtlich des Themas Gesundheitsförderung<br />

ergriffen?<br />

Büscher: Bei Haworth sind alle Vorgesetzten da-<br />

zu angehalten, sehr sensibel mit dem Thema<br />

Burn-out umzugehen. Zusätzlich wurde vor einigen<br />

Jahren <strong>das</strong> Projekt Gesundheitsmanagement<br />

eingeführt. Bestandteil dessen sind ein<br />

regelmäßig stattfindender Gesundheitstag am<br />

Standort in Ahlen und eine Kooperation mit einem<br />

benachbarten Fitnessstudio. Außerdem<br />

gibt es verschiedene Gesundheitszirkel. Hier<br />

treffen sich die Mitarbeiter einer best<strong>im</strong>mten<br />

Abteilung ebenfalls regelmäßig mit dem Gesundheitsbeauftragten<br />

und erarbeiten Vorschläge<br />

zur Verbesserung der Ablauforganisation an<br />

den Arbeitsplätzen sowie der Zusammenarbeit.<br />

Für die neuen Auszubildenden werden neben<br />

der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsunterweisung<br />

Gesundheitsmaßnahmen durchgeführt<br />

wie etwa Rückenschulungen oder Nichtraucherprogramme.<br />

Außerdem bekommt jeder der Auszubildenden<br />

einen sogenannten „Ergo-Pass“. In<br />

Zusammenarbeit mit Krankenkassen und dem<br />

Gesundheitsbeauftragten werden die Mitarbeiter<br />

unterwiesen, sich nach entsprechenden<br />

Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz gesundheitsbewusst<br />

zu verhalten. Aufgrund der<br />

positiven Resonanz sollen diese Maßnahmen<br />

zukünftig noch erweitert werden.<br />

Daniel Müller g

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