<strong>2013</strong>/14Als Kruzianer war ich stolz andreas scheibner war selbstmitglied im dresdner kreuzchor – heute singt er als solistWas ist das für ein Gefühl, wenn Sie heutzutage alsSolist in der Kreuzkirche auf der Bühne stehen?Das ist das Gefühl, was ich mir als Kruzianer in den kühnstenTräumen vorgestellt habe. Und immer etwas Besonderesin diesem Raum, was mit den Traditionen, aber auchmeinem eigenen Erleben zu tun hat. Wenn dieses e-Mollin der Matthäuspassion anhebt – das ist für mich das Zentrumder Musik überhaupt. Dabei sein zu können, ist mireine so große Freude, die mit zunehmendem Alter immerdemütiger wird.Inwiefern?Als junger Sänger denkt man ja schnell, toll, jetzt werdeich berühmt, und jetzt geht es los. Mehr und mehr gewinneich aber an Bewusstsein für die Verantwortung fürdie Musik. Je älter ich werde, desto mehr besinne ich michauf meine Ursprünge, woher ich komme und wo ich gelernthabe.Ist es nicht legitim, als junger Sänger noch„Was kostet die Welt“ zu rufen?Natürlich, aber mit der Zeit legt sich das, wenn man Zeithatte, Erfahrungen zu sammeln. Sich selbst hintanzustellen– hinter das Werk – lernt man erst später. Ich erinneremich noch, wie ich zu meinem Vater sagte, wenn ich baldim <strong>Kreuzchor</strong> singe, dann bin ich ja auch weltberühmt.Was hat er geantwortet?Wenn es um prinzipielle Dinge ging, sprach er „meinSohn“. Und dann ernst: „Das ist eine unbotmäßige Schlussfolgerung.“Aber ich verhehle nicht, dass ich als Kruzianerziemlich stolz war: Wer hatte schon in dem Alter das Privileg,aus der abgeschotteten Welt der DDR in den Westenzu kommen? Man fühlte sich als etwas Besonderes, unddas war – im Nachhinein – eine Gefahr für eine realistischeSelbsteinschätzung. Ein wenig Überheblichkeit ist bei vielendabeigewesen.
interview mit andreas scheibnerAb wann hatten Sie den Wunsch, Solist zu werden?Seit der Mutation, die bei mir sehr früh einsetzte; mit dreizehnJahren war ich schon zweiter Bass. Mein PatenonkelTheo Adam hatte meinen Eltern damals geraten, meinezwei Brüder und mich im <strong>Kreuzchor</strong> anzumelden, und soblieb das Sängerdasein auch später mein Ideal. Als Sechzehnjährigerdurfte ich schon kleine Soloaufgaben übernehmen,zum Beispiel, als Hans Werner Henze hier seine„Moralitäten“ aufführte. Er sagte mir, ich müsse unbedingtSänger werden. Und da dachte ich, na wenn der essagt… Als wir uns später in London trafen, konnte er sichnicht mehr daran erinnern.Wie erleben Sie den Chor heute aus Solistensicht?Was hat sich im Vergleich zu damals verändert?Das große Glück liegt in der Kontinuität, die er sich bewahrthat, und in der hohen Qualität, die Kreuzkantor RoderichKreile garantiert. Ich gehe auch oft in die Vespern und bineinfach froh, dass sich der Chor nach etwas dürrerenZeiten, in denen es dem Chor nicht so gut ging, auf sohohem Niveau halten kann.Gibt es Unterschiede im Klangbild?Ich bin da schlecht objektiv, aber ich glaube, der Chorklangist heutzutage weicher und voluminöser. Zu meinerZeit war er durch Mauersberger auf einen obertonreichen,glockengleichen Klang getrimmt. Wenn man es mit einerOrgel vergleicht: sehr silbrig, sehr hell. Das soll keine Abwertungsein, im Gegenteil, es gefällt mir heute sehr gut.Sind Knabenchöre heute noch zeitgemäß?Die Frage stellt sich mir gar nicht, weil sie so unverwechselbarsind.Und was macht sie so unverwechselbar?Der Klang der Knabenstimmen, die Seltenheit und die langeTradition, die sich lebendig erhält. Der <strong>Dresdner</strong> <strong>Kreuzchor</strong>lebt ja auch nicht auf einer Insel, er beschäftigt sichmit der Moderne, selbst Mauersberger hat schon Uraufführungengemacht und war da sehr offen.Wenn Sie jetzt auf dem Podium stehen – nehmen Siesich da anders wahr als damals in der großen Chormasse?Ich habe mich schon als Kruzianer als Individuum gefühlt,muss ich sagen. Das ging auch nicht nur mir so. Insofernist das gar nicht so anders als früher, im Gegenteil, ichbedauere manchmal, die Chöre nicht mitsingen zu dürfen.Zu Bachs Zeiten soll es ja so gewesen sein, dass dieSolisten aus dem Chor heraus besetzt wurden.