Neue Versionen 2011 - Deutsche Gesellschaft für Medizincontrolling
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mdi: Was hat Sie dazu gebracht, mit ID die Systematisierung<br />
in der medizinischen und pflegerischen Dokumentation<br />
anzugehen?<br />
Diekmann: Mitverantwortlich <strong>für</strong> die Gesundheitsplanung<br />
in Berlin haben wir Krankenhäuser geplant und<br />
gebaut, ohne eigentlich zu wissen, warum die Patienten<br />
wie versorgt werden und welche Kosten da<strong>für</strong> angemessen<br />
sind.<br />
Es mussten Lösungen <strong>für</strong> das Gesundheitswesen erarbeitet<br />
werden, die das von Eco beschriebene Phänomen so<br />
systematisierten, dass eine Dokumentation ohne Mehraufwand<br />
gewährleistet wird, die <strong>für</strong> unterschiedliche Aufgabenstellungen<br />
verwendet werden kann und diese Prozessdaten<br />
nutzt. Das bedeutete jedoch eine jahrzehntelange<br />
kontinuierliche Arbeit.<br />
mdi: Was waren Schlüsselerlebnisse auf diesem Weg?<br />
Diekmann: Aus der GKV-Prozessforschung – geprägt<br />
durch IGES, Infratest und Dornier – wurde deutlich, dass<br />
mit konventionellen Dokumentationsmethoden keine<br />
Informationen in hoher Güte und Zuverlässigkeit zur Verfügung<br />
gestellt werden konnten.<br />
So entstanden die ersten Programmsysteme <strong>für</strong> die<br />
Diagnosendokumentation auf Basis von Thesaurusmodellen,<br />
ein sehr empirischer Ansatz. Auch weltweit wurden<br />
da<strong>für</strong> unterschiedliche Ansätze diskutiert u.a. von den<br />
amerikanischen Pathologen mit SNOP und SNOMED I.<br />
mdi: Und dann kam Wingert ins Spiel?<br />
Diekmann: Ja, als Mathematiker hatte er am Lehrstuhl <strong>für</strong><br />
Neuroanatomie der MH Hannover gearbeitet und Interesse<br />
am »Problemfeld« Medizin gewonnen. In seiner systematischen<br />
Art baute er den SNOMED I-Ansatz total um und<br />
publizierte 1984 SNOMED II. Diese wurde bis 1988 nochmals<br />
erheblich modifiziert und bildet heute die »Wingert-<br />
Nomenklatur«.<br />
mdi: Heißt das, Herr Diekmann, man kann mit einer einzigen<br />
Nomenklatur arbeiten?<br />
Diekmann: Damals glaubte man dies. Heute wissen wir,<br />
dass aufgrund der vielfältigen Herausforderungen unterschiedliche<br />
Ontologien genutzt müssen, um »Ordnungen«<br />
im Gesundheitswesen mit unterschiedlichen Klassifikationen,<br />
Terminologien und Wertesystemen bereitzustellen.<br />
Darüber hinaus ist dies ein dynamischer Vorgang, denn der<br />
Prozess in Diagnostik und Therapie verändert sich stetig.<br />
Auch die sogenannten »Standards« entwickeln sich weiter,<br />
wie die Diskussion z.B. um IHE, HL7 oder EHR beweist.<br />
mdi: Geht es dabei nur um Texte?<br />
Diekmann: Nein, natürlich nicht. Notwendig ist eine Vereinheitlichung<br />
der Informationen aus Bildern, Zahlen und<br />
Texten. Die Einbeziehung der nonverbalen Kommunikation<br />
in standardisierter Form, die ja auch Teil der Kommunikation<br />
ist, wird wohl noch eine Weile ein Traum bleiben.<br />
mdi: Was ist denn heute anders?<br />
Diekmann: Wie gesagt, die Basiskonzepte, die wir heute<br />
umsetzen, sind teilweise 20 Jahre alt. Der entscheidende<br />
Unterschied ist die technologische Veränderung. Das heißt<br />
nicht nur schnelle Rechner, sondern intuitive Oberflächen,<br />
Suchmaschinen, vor allem aber die Einbindung des Wissens<br />
aus semantischen Netzen. Ohne die Bereitstellung<br />
des Wissens mit Terminologieservern in den Routineprozessen<br />
von Klinik, eHealth und Analysetools blieben die<br />
o.g. Ansätze reine Theorie.<br />
mdi: Aber, was hat das nun mit Umberto Eco zu tun?<br />
Diekmann: Neben den genannten Paradigmenwechseln<br />
war und ist die theoretische Auseinandersetzung mit »Ordnungen«<br />
ein wesentlicher Bestandteil <strong>für</strong> die Arbeit des<br />
ID-Teams. Unter anderem in einer von der Wingert-Stiftung<br />
geförderten Tagung haben wir uns mit der Semiotik<br />
beschäftigt. »Semiotik und Sozialpsychiatrie – Über Sinn<br />
und Zeichen einer Fachsprache«.<br />
Und hier kommt Eco ins Spiel. Eco ist ein genialer<br />
Autor, aber auch Wissenschaftler, nicht nur im Bereich<br />
Semiotik, was u.a. auch seine Ausstellung »Die unendliche<br />
Liste« im Louvre zeigt. Durch die Definition der unterschiedlichen<br />
Ordnungssysteme über die in Jahrhunderten<br />
sich verändernden Logiken hinweg wird deutlich, wie<br />
wichtig Ordnungssysteme <strong>für</strong> die Beschreibung von Sachverhalten<br />
sind. Ohne »Listen« ist keine wissenschaftliche<br />
Arbeit möglich.<br />
Für unsere aktuelle Arbeit sind die vielfältigen »Listen«<br />
über 150 Klassifikationen in mehreren Sprachen und in<br />
vielfältigen Ausprägungen, die wir über ID MACS – medical<br />
semantic network und unsere Algorithmen erschließen,<br />
von großer Bedeutung. Neu ist, dass wir »Listen« im Kontext<br />
kombinieren können.<br />
mdi: Aber Listen sind doch nicht alles, oder?<br />
Diekmann: Das ist richtig. Natürlich sind auch Regeln <strong>für</strong><br />
die Prozessdokumentation erforderlich, insbesondere bei<br />
Fragen der Arzneimitteltherapiesicherheit oder bei nicht<br />
logischen rechtlichen Vorgaben. Kooperationen mit anderen<br />
Wissenschaftlern und Institutionen im In- und Ausland,<br />
aber auch die Einbeziehung von Arden Syntax sind weitere<br />
Bausteine in diesem Kontext. Entscheidend ist jedoch, wie<br />
Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_Informatik 4/2010 161<br />
Interview<br />
Überreichung der<br />
Urkunde <strong>für</strong> die<br />
Ehrenmitgliedschaft an<br />
Fritz Diekmann durch<br />
Dr. Carl Dujat