Jugendsprache in Berlin-Neukölln: Wir sagen "Du ... - Theater Strahl
Jugendsprache in Berlin-Neukölln: Wir sagen "Du ... - Theater Strahl
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Spaaaß!<br />
Materialien
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Inhalt<br />
Stück<strong>in</strong>formationen 3<br />
Vorwort 4<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g?<br />
Modul zur Vor- und Nachbereitung 8<br />
Mobb<strong>in</strong>gphasen 9<br />
Szenenspiegel 10<br />
Betreiber – Helfer – Möglichmacher 12<br />
Ursachen von Mobb<strong>in</strong>g 13<br />
Folgen von Mobb<strong>in</strong>g 14<br />
Was man tun kann | Rat und Hilfe 15<br />
<strong>Theater</strong>praktische Übungen 16<br />
Weiterführende Informationen 20<br />
Anlage 1: <strong>Du</strong> bist schlimm! Handreichung des Medienprojekt Wuppertal<br />
Anlage 2: Hurensohn! Stück Scheiße! Arschloch! Süddeutsche Zeitung<br />
Magaz<strong>in</strong>, 2009<br />
Anlage 3: <strong>Wir</strong> <strong>sagen</strong>: <strong>Du</strong> Opfer! Die Tageszeitung, 2008 28<br />
6<br />
21<br />
24<br />
Inhaltsverzeichnis | 2
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Informationen zum Stück<br />
Spaaaß! Wer bestimmt, was lustig ist…<br />
InterAktives <strong>Theater</strong> von Christian Giese und Ensemble, empfohlen für Jugendliche der 7. bis 10. Klasse<br />
Uraufführung: 26. Mai 2010, THEATER STRAHL Probebühne<br />
Regie: Christian Giese<br />
Dramaturgie: Oliver Kahrs<br />
<strong>Theater</strong>pädagogik/Regieassistenz: Angelika Andrzejewski<br />
Kostüme: Mandy Kiefer<br />
Es spielen: Krist<strong>in</strong> Becker [Annika], Andreas Schwankl [Elias], Oliver Moritz [Simon], Yvonne Yung Hee<br />
[Mira], Alfred Hartung [Moderator, Lehrer]<br />
Inhalt<br />
Die Klasse wartet auf Herrn Reimann. Sport steht auf dem Plan. Es wird geplaudert: über Schuhmarken<br />
und „wer mit wem”. E<strong>in</strong> Tag also, wie jeder andere. Als der Lehrer auftaucht, hat Elias bunte Spangen im<br />
Haar. „Voll pe<strong>in</strong>lich” eben – und zum Kreischen komisch!<br />
Freeze! Der Moderator unterbricht das Spiel. Das junge Publikum befragt die Figuren zu ihren Motiven,<br />
gibt Handlungstipps. Dann startet die Szene mit erweitertem Blick auf die Ereignisse neu. Denn <strong>in</strong> der<br />
Zwischenzeit waren wir bei Simon zu Hause und <strong>in</strong> Miras Zukunft. Nun wieder die Gegenwart: Turnen<br />
bei Reimann. Handstand, abrollen, Strecksprung! Und immer ist Elias der „Trottel”, erntet Gelächter,<br />
Hohn und Spott. Anfangs wird „nur” gelästert, doch langsam eskalieren die Übergriffe bis h<strong>in</strong> zur<br />
offenen Schikane.<br />
Mit den Mitteln des Improvisations- und Forumtheaters wird e<strong>in</strong>e Laborsituation geschaffen, <strong>in</strong> der das<br />
Publikum gruppendynamische Prozesse untersucht und im Austausch mit den SchauspielerInnen<br />
alternative Lösungsstrategien umsetzt.<br />
Über die Inszenierung<br />
„Wichtige allgeme<strong>in</strong>e Ratschläge werden aktualisiert und e<strong>in</strong>sichtig – vor allem aber: sie werden szenisch<br />
erprobt! Denn die Vorschläge aus dem Publikum werden von den SchauspielerInnen immer wieder<br />
virtuos als Verhaltensvarianten umgesetzt und auf ihre <strong>Wir</strong>kung h<strong>in</strong> überprüft; sie reproduzieren die<br />
Ursprungssituationen exakt und arbeiten dann die Veränderungswünsche des Publikums bruchlos e<strong>in</strong>.<br />
Das ist kommunikationstheoretisch wie theaterästhetisch überaus <strong>in</strong>teressant: Wenn nämlich<br />
Anfangsszenen noch e<strong>in</strong>mal genau wiederholt werden, lässt sich erahnen, wie viele Details hier schon<br />
gestaltet s<strong>in</strong>d, die erst im Lauf der Entwicklung wichtig wurden, wie sich Entwicklungen (beim Thema<br />
Mobb<strong>in</strong>g spezifische Interaktionspositionen und Machtverschiebungen) schon im „harmlosen” Geplänkel<br />
ankündigen – und wie viel der Zuschauer schlichtweg „übersehen” hat. Also e<strong>in</strong>e szenisch spannende, <strong>in</strong><br />
vielfacher H<strong>in</strong>sicht wichtige und überaus sorgfältig vorbereitete Produktion. ” Berl<strong>in</strong>er Lehrerzeitung<br />
Impressum<br />
Redaktion: Oliver Kahrs<br />
Mitarbeit: Karen Giese<br />
Kontakt: o.kahrs@theater-strahl.de<br />
Informationen zum Stück | 3
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Wo hört Spaß auf,<br />
wann fängt Mobb<strong>in</strong>g an?<br />
Von Monika Hirsch-Sprätz, Leiter<strong>in</strong> der Mobb<strong>in</strong>g Beratung Berl<strong>in</strong>-Brandenburg<br />
Hänseln, Nachäffen, Drohen, Herabsetzen, Bloßstellen, Schikanieren oder Gerü̈chte verbreiten, Ruf<br />
schädigen, Ausgrenzen .... Wer bestimmt bei Mobb<strong>in</strong>g, was Spaß macht, wo der Spaß beg<strong>in</strong>nt und wo<br />
er aufhört?<br />
„Spaß ist augenblicksorientiert und im Kern selbstsüchtig. Außerdem bedarf der Spaß der steten Reizerneuerung,<br />
sonst kehrt permanent Langeweile e<strong>in</strong>. Spaß ist das Vertreiben von Zeit. So jedenfalls<br />
erschließt sich auch sprachgeschichtlich das Wort Spaß. Aus dem italienischen „spasso” (lat. expassare<br />
= zerstreuen; expandere = ausbreiten) kommend, heißt es nichts anderes als „Vergnügen und<br />
Zeitvertreib”. 1<br />
Mobb<strong>in</strong>g, als e<strong>in</strong>e Form der Gewalt, gehört ebenfalls für manche Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler zum Zeitvertreib.<br />
In und vor den Schulen gehören Mobb<strong>in</strong>gsituationen mittlerweile zum Schulalltag. Fast jeder<br />
3. Schüler ist Opfer, laut diverser Statistiken. Es gibt bundesweit kaum noch Klassen, die solche<br />
Situationen nicht kennen. Die Folgen wirken sich auf die gesamte Persönlichkeit der Betroffenen aus<br />
und das häufig e<strong>in</strong> Leben lang. Der Verlust der Würde, des Selbstvertrauens, der Gesundheit, Leistungsfähigkeit,<br />
häufig mit dem Resultat der Schulverweigerung, s<strong>in</strong>d der Preis, den von Mobb<strong>in</strong>g<br />
betroffene K<strong>in</strong>der und Jugendliche zahlen. Manch e<strong>in</strong>e/r wird später dann selbst zum Täter.<br />
Die Täter, Möglichmacher und Mitläufer s<strong>in</strong>d die Entscheider im Mobb<strong>in</strong>gspiel. Sie geben vor wer<br />
angepöbelt, belästigt, bedroht, geschlagen oder fertiggemacht wird. Solange, bis jemand aktiv wird<br />
und den Kreislauf unterbricht, <strong>in</strong>dem er Mut und Zivilcourage zeigt, dem Mobb<strong>in</strong>gopfer beiseite steht<br />
und hilft.<br />
Was bedeutet das für die verantwortlichen Erwachsenen, <strong>in</strong>sbesondere die Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer?<br />
BEOBACHTEN, ZUHÖREN, SPRECHEN und HANDELN!<br />
Die Mobb<strong>in</strong>gberatung Berl<strong>in</strong>-Brandenburg begleitet Schüler/<strong>in</strong>nen, Lehrer/<strong>in</strong>nen und Eltern bei<br />
Mobb<strong>in</strong>gvorfällen über Klassenentwicklungsmaßnahmen. Das Medium des Improvisiationstheaters,<br />
wie das <strong>Theater</strong> <strong>Strahl</strong> Berl<strong>in</strong> es e<strong>in</strong>setzt, ist ausgesprochen gut für die Bearbeitung der Thematik<br />
geeignet.<br />
E<strong>in</strong>e zukünftige Vision ist, dass Politiker und die breite Öffentlichkeit den gesellschafts-politischen<br />
Beitrag erkennen, der auf der Ebene der Anti-Mobb<strong>in</strong>garbeit geleistet wird und diese Arbeit aktiv<br />
unterstützen – so wie die Jugend- und Familienstiftung des Landes Berl<strong>in</strong> es im Fall des <strong>Theater</strong>stücks<br />
„Spaaaß!“ tut! Entscheidend ist die reflektierte Haltung von Menschen mit Vorbildfunktion, von Politikern,<br />
Chefs, Lehrenden, Eltern - Erwachsenen überhaupt und deren Verantwortung <strong>in</strong> Konflikt- und<br />
Mobb<strong>in</strong>gsituationen. Bei deren klarem NEIN zu Mobb<strong>in</strong>g, auch mit Blick auf ihr eigenes Verhalten,<br />
erkennen Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ganz genau wo der Spaß endet.<br />
1 Zitat aus: „PISA und die Spaßgesellschaft. E<strong>in</strong> Plädoyer für Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit.”, Josef Kraus, Präsident<br />
des Deutschen Lehrerverbandes (DL), <strong>in</strong>: Forschung & Lehre, 2002, H.2<br />
Vorwort | 4
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Vorwort<br />
Liebe Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer,<br />
mit dieser Materialsammlung möchten wir Sie dabei unterstützen, e<strong>in</strong>en Aufführungsbesuch von<br />
„Spaaaß! Wer bestimmt, was lustig ist?“ im Unterricht <strong>in</strong>haltlich und thematisch zu vertiefen.<br />
Neben wichtigen Informationen zum Thema Mobb<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Schule enthalten die Materialien Anregungen<br />
für lebhafte Diskussionen, e<strong>in</strong>en Szenenspiegel sowie Module für e<strong>in</strong>e Nachbereitung des<br />
Aufführungsbesuchs mit den Mitteln des Improvisationstheaters.<br />
Wenn Sie Fragen, Kritik oder Anregungen haben, können Sie sich sehr gerne mit mir <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
setzen.<br />
Ich wünsche Ihnen und Ihren Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern e<strong>in</strong>en spannenden <strong>Theater</strong>besuch.<br />
Oliver Kahrs<br />
Dramaturg am THEATER STRAHL BERLIN<br />
Tel.: 030 – 695 06 255<br />
o.kahrs@theater-strahl.de<br />
Foto: Jörg Metzner<br />
Vorwort | 5
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g?<br />
Der Begriff „Mobb<strong>in</strong>g“ kommt aus dem Englischen von to mob = „anpöbeln, angreifen, bedrängen,<br />
über jemanden herfallen“ und mob = „Meute, Ges<strong>in</strong>del, Pöbel, Bande.“ Im englischen Sprachraum<br />
verwendet man statt Mobb<strong>in</strong>g jedoch die Wendung „Bully<strong>in</strong>g“, e<strong>in</strong> Begriff, der <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>gesetzt<br />
wird, um Mobb<strong>in</strong>gvorgänge zu beschreiben, die mit körperlicher Gewalt verbunden s<strong>in</strong>d.<br />
Begriffsgeschichte: Ursprünglich wurde mit „Mobb<strong>in</strong>g“ e<strong>in</strong> Verteidigungsverhalten von Tieren bezeichnet.<br />
Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hatte 1963 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz den Gruppenangriff von<br />
Tieren auf e<strong>in</strong>en Fressfe<strong>in</strong>d oder e<strong>in</strong>en anderen überlegenen Gegner als „Mobb<strong>in</strong>g“ bezeichnet, z.B.<br />
von Gänsen auf e<strong>in</strong>en Fuchs. Der schwedische Arzt Peter-Paul He<strong>in</strong>emann führte den Begriff 1969<br />
erstmals <strong>in</strong> die Soziologie e<strong>in</strong>. Er verwendete den Begriff „Mobb<strong>in</strong>g“, um die Angriffe von Kollektiven<br />
auf von der Norm abweichende Personen zu beschreiben.<br />
Quelle: Wikipedia.de<br />
Was Mobb<strong>in</strong>g ist<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Dan Olweus def<strong>in</strong>iert: „E<strong>in</strong> Schüler oder e<strong>in</strong>e<br />
Schüler<strong>in</strong> ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt,<br />
wenn er oder sie wiederholt und über<br />
e<strong>in</strong>e längere Zeit den negativen Handlungen<br />
e<strong>in</strong>es oder mehrerer anderer Schüler und<br />
Schüler<strong>in</strong>nen ausgesetzt ist.“<br />
Für Horst Kasper s<strong>in</strong>d fünf Merkmale Kennzeichen<br />
von Mobb<strong>in</strong>g:<br />
1. E<strong>in</strong> Konflikt hat sich verfestigt.<br />
2. Von zwei Konfliktparteien ist e<strong>in</strong>e, zumeist<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne Person, <strong>in</strong> die Unterlegenheit<br />
geraten.<br />
3. Diese Person wird häufig und<br />
4. über e<strong>in</strong>e längere Zeit angegriffen oder<br />
drangsaliert.<br />
5. Diese Person hat kaum die Möglichkeit, sich<br />
aus eigener Kraft aus ihrer Situation zu befreien.<br />
Nicht jeder Streit ist Mobb<strong>in</strong>g. Gewöhnliche<br />
Konflikte entstehen und vergehen. Bei Mobb<strong>in</strong>g<br />
wiederholt sich e<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>dseligkeit, meistens<br />
gegenüber e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d, es entsteht<br />
e<strong>in</strong> Dauerkonflikt. E<strong>in</strong>malige, auch<br />
mehrmalige Unverschämtheiten s<strong>in</strong>d noch<br />
ke<strong>in</strong> Mobb<strong>in</strong>g. Es muss das Systematische<br />
dazu kommen und die Dauer.<br />
Mobb<strong>in</strong>g ist e<strong>in</strong>e asymmetrische Beziehung.<br />
Kennzeichen s<strong>in</strong>d Macht und Ohnmacht, sowie<br />
die Willkür der Mächtigen.<br />
Mobb<strong>in</strong>g ist der vorsätzliche heimtückische<br />
Angriff auf das soziale Ansehen und die seelische<br />
Gesundheit der Zielperson.<br />
Mobb<strong>in</strong>g beschädigt Selbstvertrauen, Lernmotivation,<br />
Gesundheit, Menschenwürde.<br />
Mobb<strong>in</strong>g ist nützlich als Entlastungsventil für<br />
Aggression, als Möglichkeit, sich zu den Starken<br />
zu gesellen, als Vehikel für e<strong>in</strong> verme<strong>in</strong>tliches<br />
Zugehörigkeitsgefühl, für die eigene<br />
Aufwertung.<br />
Mobb<strong>in</strong>g hilft gegen Langeweile.<br />
Mobb<strong>in</strong>g ist Lust am Quälen, am Missbrauch<br />
von Macht.<br />
Mobb<strong>in</strong>g vergeht nie von alle<strong>in</strong>.<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 6
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Wie gemobbt wird<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Man unterscheidet fünf Arten von Angriffen:<br />
1. Angriffe auf das soziale Ansehen<br />
2. Angriffe auf die Kommunikation<br />
3. Gewaltandrohung und Gewaltanwendung<br />
4. Angriffe auf die sozialen Beziehungen<br />
5. Angriffe auf die Arbeitssituation.<br />
Die häufigsten Handlungen:<br />
� H<strong>in</strong>ter dem Rücken sprechen<br />
� Gerüchte und Lügen<br />
� Schimpfworte und Spitznamen<br />
� Lächerlich machen<br />
� Von der Lehrkraft „übersehen“ werden<br />
� Abwertende Blicke, Gesten; Nachäffen<br />
� Für dumm erklären<br />
� Nicht zu Wort kommen lassen<br />
� Von der Lehrkraft angeschrien werden<br />
� Ausgrenzung aus der Klassengeme<strong>in</strong>schaft<br />
� Wegnehmen, Verstecken, Beschädigen<br />
von Schulmaterial und/oder Kleidung<br />
� Ungerechtfertigte Beschuldigungen<br />
� Knuffen, Schlagen<br />
� Erpressen<br />
� Sexuell belästigen<br />
� 20% der Gemobbten geben Lehrkräfte<br />
als (Mit-)Täter an: Sie wollen siegen.<br />
Sie mahnen, aber handeln nicht. Sie<br />
ignorieren das Falsche. Sie fixieren<br />
E<strong>in</strong>zelne. Sie strafen unangemessen.<br />
Direktes, aktives Mobb<strong>in</strong>g: Hänseln, Drohen,<br />
Abwerten, Beschimpfen, Herabsetzen, Bloßstellen,<br />
Schikanieren.<br />
Indirektes, passives Mobb<strong>in</strong>g: Ausgrenzen,<br />
Ruf schädigen, Gerüchte verbreiten, Beschädigen<br />
und Wegnehmen von Eigentum.<br />
Bully<strong>in</strong>g: Körperliche Gewalt, mit der die Opfer<br />
gequält werden, Täter s<strong>in</strong>d körperlich<br />
überlegen<br />
Cyber-Mobb<strong>in</strong>g: Nutzung moderner Kommunikationsmittel<br />
(z. B. dem Internet) um anderen<br />
Menschen zu schaden. Die Opfer werden<br />
durch Bloßstellung, permanente Belästigung<br />
oder durch Verbreitung von falschen Behauptungen<br />
im Internet gemobbt. Videos oder<br />
Bilder von Lehrkräften werden <strong>in</strong>s Internet<br />
gestellt.<br />
Foto: Jörg Metzner<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 7
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Modul zur Vor- und Nachbereitung<br />
„Was ist Mobb<strong>in</strong>g?“<br />
Mobb<strong>in</strong>g beschreiben, def<strong>in</strong>ieren, erkennen<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? Jede Schüler<strong>in</strong> und jeder Schüler kennt den Begriff, fast jeder hat ihn schon e<strong>in</strong>mal<br />
benutzt. Doch e<strong>in</strong>e genaue Def<strong>in</strong>ition und Abgrenzung des Phänomens ist gar nicht so e<strong>in</strong>fach. Denn<br />
man kann sich auch „beleidigen“, „ärgern“, „Knuffis geben“ oder „lästern“ ohne, dass diese Handlungen<br />
zugleich „Mobb<strong>in</strong>g“ s<strong>in</strong>d – oder? Die Frage lautet also: Was muss h<strong>in</strong>zu kommen, damit Gewalt<br />
– physische wie psychische – zum Mobb<strong>in</strong>g wird? Unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen darf nicht mehr<br />
von e<strong>in</strong>em gewöhnlichen Konflikt gesprochen werden, wann muss e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung klar als<br />
Mobb<strong>in</strong>g bezeichnet werden?<br />
Das folgende Modul stellt e<strong>in</strong>en niedrig-schwelligen didaktischen Ansatz für e<strong>in</strong>e Diskussion vor, <strong>in</strong><br />
deren Verlauf die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler selbständig zu e<strong>in</strong>er eigenen Def<strong>in</strong>ition von Mobb<strong>in</strong>g<br />
gelangen.<br />
Vorbereitung des Aufführungsbesuchs<br />
Zusammenfassung: Zunächst werden Beispiele für konkrete Mobb<strong>in</strong>ghandlungen gesammelt und für<br />
alle sichtbar aufgeschrieben. In der anschließenden Diskussion und Analyse der Mobb<strong>in</strong>gsituationen<br />
erkennen die Jugendlichen geme<strong>in</strong>same Merkmale und sich wiederholende Muster.<br />
1. „Welche Mobb<strong>in</strong>ghandlungen und Mobb<strong>in</strong>gsituationen kennt ihr?“<br />
Die Jugendlichen nennen konkrete Aktionen und Ereignisse, die sie spontan mit dem Begriff<br />
„Mobb<strong>in</strong>g“ assoziieren, z.B. „lästern“, „Spitzname geben“ oder „schlagen“.<br />
Die Begriffe werden auf Moderationskarten geschrieben und an die Tafel geheftet (z.B. mit Magneten).<br />
Das Ziel ist, möglichst viele potentielle Mobb<strong>in</strong>ghandlungen zu sammeln, ohne bereits <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e kontroverse Diskussion e<strong>in</strong>zusteigen.<br />
Natürlich können die Begriffe auch direkt an die Tafel geschrieben werden. Der Vorteil von Moderationskarten<br />
besteht jedoch <strong>in</strong> ihrer flexibleren Handhabung und variablen Ordnungsmöglichkeiten.<br />
Außerdem können die Jugendlichen ihre Beiträge selbst aufschreiben, ohne dass e<strong>in</strong> ständiger<br />
Verkehr zur Tafel entsteht.<br />
2. Die Jugendlichen e<strong>in</strong>igen sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er KURZEN Diskussion auf zwei bis vier Kategorien, unter denen<br />
die noch unsortierten Mobb<strong>in</strong>ghandlungen nach Geme<strong>in</strong>samkeiten geordnet werden. In der<br />
Regel wird vorgeschlagen, „körperliche“ von „verbaler Gewalt“ zu unterscheiden. Oft werden<br />
auch „direkte“ von „<strong>in</strong>direkten“ Angriffen unterschieden (wie beispielsweise „Gerüchte streuen“,<br />
„h<strong>in</strong>ter dem Rücken lästern“). Siehe auch die auf Seite 7 vorgestellten Kategorien.<br />
3. „Wie unterscheidet sich e<strong>in</strong> gewöhnlicher Konflikt von Mobb<strong>in</strong>g?“ „Wann wird e<strong>in</strong>e Beleidigung<br />
oder e<strong>in</strong> Knuff zum Mobb<strong>in</strong>g?“<br />
Die verschiedenen Aktionen stehen nach Geme<strong>in</strong>samkeiten sortiert an der Tafel. Doch jede e<strong>in</strong>zelne<br />
stellt für sich genommen noch ke<strong>in</strong> Mobb<strong>in</strong>g dar. Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler sollen nun<br />
herausf<strong>in</strong>den, welche Bed<strong>in</strong>gungen h<strong>in</strong>zukommen müssen, damit die genannten Beispiele, wie<br />
„beschimpfen“ oder „Sachen wegnehmen“, die Qualität von Mobb<strong>in</strong>g bekommen.<br />
E<strong>in</strong>er fitten Klasse wird es relativ leicht fallen, allgeme<strong>in</strong>e Merkmale von Mobb<strong>in</strong>gsituationen zu<br />
benennen. Entscheidend ist jedoch der Verlauf der Diskussion. Denn um Mobb<strong>in</strong>g von re<strong>in</strong>en Gewaltakten<br />
zu unterscheiden, kommen die Jugendlichen nicht umh<strong>in</strong>, sich auf Erfahrungen aus<br />
dem eigenen Umfeld zu berufen und komplexe Situationen zu beschreiben. Es entwickelt sich e<strong>in</strong><br />
lebendiges Gespräch!<br />
Modul: Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 8
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Die Aufgabe des Moderators besteht dar<strong>in</strong>, Reizpunkte zu setzen, nachzuhaken, Beziehungen zu<br />
knüpfen und e<strong>in</strong>en regen Austausch zu <strong>in</strong>itiieren. Die Informationen im Kapitel „Was ist Mobb<strong>in</strong>g“<br />
können e<strong>in</strong> hilfreicher Leitfaden se<strong>in</strong>.<br />
Alles, was die Jugendlichen als kennzeichnend für Mobb<strong>in</strong>gsituationen bestimmen, wird auf Moderationskarten<br />
geschrieben und an die Tafel geheftet. Es bietet sich an, die allgeme<strong>in</strong>en Bestimmungen<br />
mittig zu gruppieren und die konkreten Beispiele am Rand anzuordnen.<br />
Die wichtigsten Merkmale –„dauerhafter Konflikt“, „ritualisierte Angriffe“ (die selben Personen <strong>in</strong><br />
den selben Rollen, meist die selben Orte und Zeiten), „asymmetrische Machtbeziehung“ (viele gegen<br />
e<strong>in</strong>en), „systematischer Ausschluss e<strong>in</strong>er Person aus der Geme<strong>in</strong>schaft“ (sozialer Tod) – sollten<br />
auf e<strong>in</strong>e (für die Jugendlichen) griffige Formulierung gebracht und unter der Vielzahl der Bestimmungen<br />
herausgehoben werden.<br />
Am Ende der Diskussion haben die Jugendlichen auf der Basis eigener Kenntnisse und Erfahrungen<br />
das Phänomen Mobb<strong>in</strong>g def<strong>in</strong>itorisch erfasst und auf e<strong>in</strong> ganzes Spektrum möglicher Mobb<strong>in</strong>gsituationen<br />
bezogen.<br />
Nachbereitung des Aufführungsbesuchs<br />
Anstatt aus eigenen Erfahrungen zu schöpfen, er<strong>in</strong>nern die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler Aktionen aus<br />
„Spaaaß!“, die sie als Mobb<strong>in</strong>ghandlungen identifiziert haben. Abgesehen vom E<strong>in</strong>stieg bleibt der<br />
Diskussionsverlauf derselbe.<br />
E<strong>in</strong>e umfangreiche Aufzählung von Mobb<strong>in</strong>ghandlungen <strong>in</strong> „Spaaaß!“ ist im Szenenspiegel auf Seite<br />
10 enthalten.<br />
Modul: Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 8
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Mobb<strong>in</strong>gphasen<br />
Wie sich Mobb<strong>in</strong>g etabliert<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Phase 1<br />
Geme<strong>in</strong>heiten werden platziert.<br />
Konflikte s<strong>in</strong>d normale menschliche Lebensäußerungen.<br />
In Schulklassen geht es häufig<br />
um Macht und E<strong>in</strong>fluss. Es entstehen Ungerechtigkeiten<br />
und Parteilichkeiten. E<strong>in</strong>zelne<br />
Unverschämtheiten und Geme<strong>in</strong>heiten werden<br />
platziert. Wenn dieser <strong>in</strong>szenierte Konflikt<br />
nicht beachtet und nicht bearbeitet wird, kann<br />
er sich zu Mobb<strong>in</strong>g weiter entwickeln.<br />
Phase 2<br />
Mobb<strong>in</strong>g wird möglich durch Möglichmacher.<br />
Der Konflikt kann zu Mobb<strong>in</strong>g werden, wenn<br />
er sich dazu entwickeln darf. E<strong>in</strong> wichtiger<br />
Grund für das Entstehen von Mobb<strong>in</strong>g ist das<br />
sich-nicht-darum-Kümmern. Es werden die,<br />
die zuschauen, zu Möglichmachern. In der<br />
zweiten Phase wird das Opfer präpariert. Die<br />
physische Verfassung wird immer schlechter.<br />
Die Person gerät immer mehr <strong>in</strong> Verteidigungshaltung.Sie<br />
wird immer auffälliger und<br />
liefert dadurch immer mehr Anlässe zum Ausgrenzen<br />
und Ärgern.<br />
Phase 3<br />
Destruktives Handeln<br />
Die Person gerät endgültig <strong>in</strong> Unterlegenheit.<br />
Es tritt e<strong>in</strong> Gewöhnungseffekt e<strong>in</strong>, auftretendes<br />
Fehlverhalten und Fehlleistungen werden<br />
als selbstverschuldet gedeutet. Die Person<br />
beg<strong>in</strong>nt, selbst zu glauben, was man ihr vorwirft.<br />
Sie kann sich aus eigener Kraft nicht<br />
mehr aus der Situation befreien. Gesundheitliche<br />
Schäden treten e<strong>in</strong>.<br />
Phase 4<br />
Ausschluss<br />
Völlig hilflos und demoralisiert wechseln gemobbte<br />
K<strong>in</strong>der dann oft die Schule. Es kommt<br />
für Lehrkräfte sowie Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />
Mitschüler meistens überraschend, weil sie<br />
nichts bemerkt hatten. Aber die Täter haben<br />
ihr Ziel erreicht, den Ausschluss.<br />
E<strong>in</strong> Anfang<br />
<strong>Du</strong> hast aber e<strong>in</strong>en schönen Pulli an!<br />
Ist der aus dem Rot-Kreuz-Conta<strong>in</strong>er?<br />
Heute schon wieder den Rot-Kreuz-Pulli<br />
an?<br />
Holt ihr eure Sachen immer beim Roten<br />
Kreuz?<br />
Es müffelt hier so komisch.<br />
Da kommt wieder die St<strong>in</strong>ker<strong>in</strong>.<br />
<strong>Du</strong>sch dich mal!<br />
Iih!<br />
Es ist ja nicht auszuhalten neben der!!<br />
Da setze ich mich nicht h<strong>in</strong>!!<br />
Die ist ja asozial!!<br />
Hau ab!!<br />
E<strong>in</strong> Lob und e<strong>in</strong>e Frage. Was kann daran<br />
schlecht se<strong>in</strong>? Sie kann ja „Ne<strong>in</strong>!“ <strong>sagen</strong>.<br />
Was zählt, ist die Absicht. Alle spüren die<br />
Absicht, das gesagte Wort ist unangreifbar.<br />
Der Konflikt verfestigt sich und das<br />
gekränkte Mädchen fängt an, an sich zu<br />
zweifeln. Sie wird mehrmals am Tag duschen<br />
und an ihren Kleidern riechen. Sie<br />
wird Kopfschmerzen bekommen, unregelmäßig<br />
zur Schule kommen und<br />
schlechte Zensuren schreiben. Irgendwann<br />
wird sie die Klasse verlassen. Sehr<br />
zur Überraschung aller.<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Mobb<strong>in</strong>gphasen | 9
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Szenenspiegel<br />
Spaaaß! Wer bestimmt, was lustig ist…<br />
Im Mittelpunkt von „Spaaaß!“ stehen vier Szenen. Sie s<strong>in</strong>d der Ausgangspunkt der Improvisationen<br />
und bilden die Basis für den „<strong>in</strong>teraktiven Rücklauf“ am Ende der Inszenierung. Gezeigt wird der Verlauf<br />
e<strong>in</strong>er „typischen“ Sportstunde: vom Warten auf den Unterrichtsbeg<strong>in</strong>n, über das geme<strong>in</strong>same<br />
Turnen, bis h<strong>in</strong> zum Umkleiden <strong>in</strong> der Kab<strong>in</strong>e. Tatsächlich vers<strong>in</strong>nbildlichen die vier Szenen jedoch <strong>in</strong><br />
zeitlich verdichteter Form die Phasen e<strong>in</strong>es typischen Mobb<strong>in</strong>gprozesses, der sich normalerweise<br />
über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum allmählich entwickelt. E<strong>in</strong>e Schulstunde Sport, komprimiert auf 20<br />
M<strong>in</strong>uten <strong>Theater</strong>zeit: e<strong>in</strong> Schüler gerät <strong>in</strong>s Abseits, sieht sich zunehmend verbalen Anfe<strong>in</strong>dungen<br />
ausgesetzt und wird schließlich offen attackiert und gedemütigt.<br />
Im Folgenden ist der Handlungsverlauf von „Spaaaß!“ im H<strong>in</strong>blick auf die drei Mobb<strong>in</strong>gphasen Ausgrenzung<br />
e<strong>in</strong>er Person aus der Geme<strong>in</strong>schaft – Verfestigung des Außenseiterstatus – offene und ungebremste<br />
Gewalt po<strong>in</strong>tiert zusammengefasst.<br />
Szene 1 | Turnbank<br />
Anika und Mira sitzen auf e<strong>in</strong>er Turnbank und warten auf den Beg<strong>in</strong>n des Sportunterrichts. Elias<br />
kommt dazu und setzt sich neben Mira.<br />
Annika zu Elias „Na tust du wieder so, als ob du dich umziehst?“ Elias: „Ist doch praktisch.“Annika:<br />
„Deswegen riecht es hier auch so männlich.“<br />
Simon kommt dazu und gibt Elias e<strong>in</strong>en Nackenklatscher. Simon, Mira, Anika: „Ooooh! E<strong>in</strong>e Tüte<br />
Mitleid!“ Alle lachen, Elias lacht mit.<br />
Simon zu Elias: „Liest du wieder de<strong>in</strong>e Vogelscheiße?“ Simon lacht, Anika lacht mit.<br />
Anika zu Simon: „Coole Schuhe.“ Simon: „Besser als de<strong>in</strong>e.“ Anika zieht Simons Schnürsenkel auf,<br />
lacht. Anika zeigt auf Miras Schuhe: „Die s<strong>in</strong>d scheiße.“ Mira: „Me<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d jedenfalls nicht so billig<br />
wie de<strong>in</strong>e.“ Anika: „Und de<strong>in</strong>e hat de<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Schwester ausgesucht.“ Elias: „Me<strong>in</strong>e Schuhe s<strong>in</strong>d<br />
auch schick.“ Anika: „Schick von KIK.“ Alle lachen. Mira: „Die hat er im Wald gefunden.“<br />
Elias steht auf und setzt sich neben Anika. Anika steht auf und stellt sich h<strong>in</strong>ter Simon. Elias erkundigt<br />
sich bei Simon nach dessen Roller. Ohne zu antworten wendet sich Simon ab und beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong> Gespräch<br />
mit Mira (was Elias nicht weiß: vor Kurzem wurde Simon der Rollerführersche<strong>in</strong> entzogen, zu<br />
Hause gab es deswegen Ärger). Elias versucht mit Anika <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen und probiert e<strong>in</strong>e<br />
Bemerkung über den „Zopf-Fimmel“ des Sportlehrers: „…b<strong>in</strong>det euch lieber die Haare hoch.“ Anikas<br />
Reaktion: „Witzig.“ Mira: „Dir hängen die Haare doch selber <strong>in</strong>s Gesicht.“ Simon: „Gib dir mal Mühe.“<br />
Anika: „Genau, mach du dir mal `nen Zopf!“ Mira lachend: „Genau, mach dir Spängchen re<strong>in</strong>.“<br />
Anika spr<strong>in</strong>gt auf und beg<strong>in</strong>nt Elias kle<strong>in</strong>e Zöpfe zu flechten. Mira, Simon und Anika lachen. Elias<br />
wirkt irritiert, lässt es aber geschehen. Anika: „Germanys next Topmodel!“ Simon mimt e<strong>in</strong>en Starfotografen<br />
und knipst e<strong>in</strong> imag<strong>in</strong>äres Foto, während Mira und Anika h<strong>in</strong>ter Elias posieren. Alle lachen.<br />
Simon zu Elias: „Ey, du siehst voll pe<strong>in</strong>lich aus, nimm mal die Spangen raus.“<br />
Mobb<strong>in</strong>gphasen | 10
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Szene 2 | Sportunterricht<br />
Herr Reimann kommt <strong>in</strong> die Turnhalle. Er sieht Elias mit Spangen im Haar und muss unwillkürlich<br />
lachen. „Oh, Elise, hast du dich schick gemacht?“ Alles kreischt vor Lachen, außer Elias.<br />
Simon, Anika und Mira sitzen auf der Turnbank und schauen zu, wie Elias von Herrn Reimann angeleitet<br />
wird, e<strong>in</strong>en Handstand zu machen. Anika (rhythmisch anfeuernd): „…Elise, Elise!“ Simon (mit verstellter<br />
Stimme): „E-li-as, E-li-as!“ Reimann wendet sich zur Bank – strenger Blick – sagt aber nichts.<br />
Elias steht wie angewurzelt vor der Turnmatte. Reimann ermuntert Elias, während Anika und Simon<br />
tuscheln und kichern. Schließlich fasst sich Elias e<strong>in</strong> Herz und probiert e<strong>in</strong>en Handstand, es wird aber<br />
eher e<strong>in</strong>e Rolle vorwärts. Alle lachen. Reimann: „Komm, das versuchen wir noch mal. Guck‘ auf de<strong>in</strong>e<br />
F<strong>in</strong>ger.“ Anika: „Gucken kann er ja.“ Reimann zu Anika: „Spar dir de<strong>in</strong>e Energie auf, du bist als nächstes<br />
dran.“ Simon zu Elias: „Jetzt mach dich nicht wieder zum Obst.“ Elias unternimmt e<strong>in</strong>en zweiten<br />
Versuch. Es klappt wieder nicht. Gelächter. Mira (aufmunternd): „Na komm, mit Power.“ Anika: „Power<br />
kennt der doch nur aus dem Müsliriegel.“ Reimann scharf: „Lasst uns bitte konzentriert arbeiten.“<br />
Simon macht h<strong>in</strong>ter Reimanns Rücken Faxen mit e<strong>in</strong>em Seil. Anika und Mira kreischen. Reimann<br />
missversteht die Situation und weist heftig Anika und Mira zurecht: „Ihr lacht hier niemanden aus,<br />
klar. Elias kann schließlich nichts für se<strong>in</strong>en Körper.“ Anika: „Ja, aber für se<strong>in</strong>en Körpergeruch.“<br />
Reimann bedeutet Elias sich zu setzen. „Na gut Anika, dann zeig du uns doch mal de<strong>in</strong>en Handstand.“<br />
Anika entsetzt: „Bitte?“ Reimann: „Handstand.“ Betont langsam beg<strong>in</strong>nt Anika sich die Haare hoch zu<br />
stecken. Reimann: „Komm mal aus dem Knick.“ Anika: „Herr Reimann, mir geht es auf e<strong>in</strong>mal nicht so<br />
gut. Wenn ich jetzt e<strong>in</strong>en Handstand mache, kotze ich auf die Matte.“ Reimann: „<strong>Du</strong> erzählst doch<br />
Quatsch, oder?“ Anika: „Ich habe gesagt, ich kann nicht! Akzeptieren sie das!“ Sie rennt aus der<br />
Turnhalle.<br />
Szene 2.1 | Zusammenbruch<br />
Simon, Mira und Elias bleiben alle<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Turnhalle zurück.<br />
Simon reißt e<strong>in</strong>en sexistischen Witz. Mira wendet sich angewidert ab, nur Elias lacht. Daraufh<strong>in</strong> Simon<br />
zu Elias: „Man ke<strong>in</strong> Wunder, dass dich alle scheiße f<strong>in</strong>den, wenn du über so `ne Scheiße lachst!“<br />
Simon äfft Elias Lachen nach. Der ist irritiert, weiß nicht, was er <strong>sagen</strong> soll und knufft Simon versöhnlich<br />
<strong>in</strong> den Bauch. Simon kreischt „iih“ und „buäh“, schüttelt se<strong>in</strong> T-Shirt, als hätte Elias e<strong>in</strong>e ansteckende<br />
Krankheit. Elias verzweifelt: „Entschuldige!“ Simon zu Mira: „Der hat mich so ganz hässlich<br />
geboxt.“ Simon zieht nun ungebremst über Elias her.<br />
Elias versucht, die Situation wegzulachen, bricht aber zusammen und fängt an zu schluchzen. Simon:<br />
„Was ist denn, Elise? Hast du was?“ Elias: „Ich heiße Elias.“ Mira: „Sag mal, we<strong>in</strong>st du?“ Elias steht<br />
auf und macht e<strong>in</strong>en Handstandabroller. Simon: „Na, siehste. Geht doch.“<br />
Szene 3 | Eskalation<br />
Anika kommt zurück. Wütend berichtet sie, dass sie wegen Arbeitsverweigerung e<strong>in</strong>e 6 bekommen<br />
hat. Simon f<strong>in</strong>det das komisch und provoziert Anika mit sexistischen Anspielungen. Anika weiß nicht,<br />
was sie erwidern soll; stattdessen geht sie auf Elias los: „Hey, Elias zieht sich heute aber auch mal<br />
um!“ Elias: „Was denn?“ Anika: „Weil du <strong>in</strong> Physik vor mir sitzt und müffelst.“ Elias: „Jetzt hör mal<br />
auf, ich st<strong>in</strong>ke doch nicht.“<br />
Simon und Anika nähern sich ihm bedrohlich. Als Elias versucht seitlich zu entkommen, stürzen sie<br />
sich auf ihn. Simon nimmt ihn <strong>in</strong> den Schwitzkasten, während Anika von h<strong>in</strong>ten se<strong>in</strong>e Sporthose packt<br />
und herunter zieht. Anschließend zückt Anika ihr Handy und filmt Elias, <strong>in</strong> Unterhose, zitternd. Mira<br />
rennt aus der Turnhalle. Anika: „Ich hab’s. Voll fett!“ Simon und Anika gehen ab.<br />
Mobb<strong>in</strong>gphasen | 11
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Betreiber – Helfer – Möglichmacher<br />
Typische Rollen <strong>in</strong><br />
Mobb<strong>in</strong>gprozessen<br />
Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler distanzieren<br />
sich aus Sorge um das eigene Ansehen oft<br />
vom Opfer und sympathisieren mit dem<br />
„mächtigen“ Angreifer, den sie unterstützen<br />
und häufig werden sie sogar selbst zum Angreifer,<br />
um „beliebt“ zu se<strong>in</strong>.<br />
An jedem Mobb<strong>in</strong>gfall s<strong>in</strong>d pr<strong>in</strong>zipiell immer<br />
drei „Rollen“ oder Typen beteiligt: die Täter<br />
oder Betreiber, die Möglichmacher (die Mehrzahl<br />
der sche<strong>in</strong>bar Unbeteiligten) und das<br />
Opfer.<br />
Der Betreiber genießt meistens hohes Ansehen<br />
<strong>in</strong> der Gruppe. Er setzt die Standards für<br />
das Mobb<strong>in</strong>g und ist Vorbild. Die Helfer ahmen<br />
das Verhalten des Betreibers nach und<br />
sonnen sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ausstrahlung und se<strong>in</strong>em<br />
E<strong>in</strong>fluss. Je mehr Personen sich am Mobb<strong>in</strong>g<br />
beteiligen, desto mehr reduziert sich das<br />
Schuldgefühl der E<strong>in</strong>zelnen<br />
Die Möglichmacher beobachten das Treiben<br />
hilflos und manchmal mit Abscheu, oft aber<br />
mit Gleichgültigkeit und Genugtuung. Meistens<br />
s<strong>in</strong>d sie e<strong>in</strong>fach nur froh, nicht selbst<br />
Opfer zu se<strong>in</strong>.<br />
Jungen und Mädchen mobben unterschiedlich.<br />
Jungen eher direkt und aggressiv, Mädchen<br />
eher subtil und <strong>in</strong>direkt.<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Wer ist besonders gefährdet Opfer<br />
zu werden?<br />
Gefährdet s<strong>in</strong>d vor allem K<strong>in</strong>der, die kle<strong>in</strong>er<br />
oder schwächer s<strong>in</strong>d als der <strong>Du</strong>rchschnitt. Die<br />
ängstlich oder schüchtern s<strong>in</strong>d. Die sozial nicht<br />
akzeptierte Merkmale haben (ke<strong>in</strong>e Markenkleidung,<br />
ärmlich aussehen usw.). Die selbst<br />
gerne „austeilen“.<br />
Der Mobb<strong>in</strong>gforscher Dan Olweus unterscheidet<br />
das passive und das provozierendes Opfer.<br />
E<strong>in</strong> passives Opfer fällt im Schulalltag dadurch<br />
auf, dass es deutlich unsicherer ist als se<strong>in</strong>e<br />
Altersgenossen. Olweus bestimmt Empf<strong>in</strong>dlichkeit,<br />
Vorsichtigkeit und Schweigsamkeit als<br />
weitere Merkmale. <strong>Du</strong>rch se<strong>in</strong>e zurückhaltende<br />
Art signalisiert das passive Opfer, dass es<br />
Übergriffen nur wenig entgegensetzen wird<br />
und Schikanen still erduldet.<br />
Seltener ist das sogenannte provozierende<br />
Opfer. Nach Olweus fällt es oft durch Unkonzentriertheit<br />
und Nervosität. Insbesondere<br />
K<strong>in</strong>der mit ADHS-Syndrom sähen sich demnach<br />
negativen Reaktionen ihrer Klassenkameraden<br />
ausgesetzt.<br />
Quelle: Mobb<strong>in</strong>g-Wiki.de<br />
Weitere Informationen zur Opfertypologie s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> der Anlage 1 „<strong>Du</strong> bist schlimm“ enthalten.<br />
Foto: Jörg Metzner<br />
Betreiber – Helfer – Möglichmacher | 12
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Ursachen von Mobb<strong>in</strong>g<br />
In jeder Klasse kann Mobb<strong>in</strong>g auftreten. Der<br />
potentielle Täter sucht nach Stellen, an denen<br />
das potentielle Opfer empf<strong>in</strong>dlich ist, heftig<br />
reagiert und verfolgt dann se<strong>in</strong>en Wunsch,<br />
Macht zu spüren. Erst später zieht er etwaige<br />
Äußerlichkeiten des Opfers (Ossi, Wessi,<br />
schwarz, schwul, Kleidung) zu se<strong>in</strong>er verme<strong>in</strong>tlichen<br />
Rechtfertigung heran. Am wenigsten<br />
schuld hat das Opfer selbst.<br />
Mögliche Gründe für Mobb<strong>in</strong>ghandlungen:<br />
� Lust auf Mobb<strong>in</strong>g<br />
� Herrschsucht<br />
� Aggressivität, Frustration, Suche nach<br />
Ventil für eigenes Ver<strong>sagen</strong>, Weitergabe<br />
erlittenen Unrechts an Schwächere<br />
� Neid<br />
� Langeweile<br />
Mögliche H<strong>in</strong>tergründe von Mobb<strong>in</strong>g:<br />
� Schwach entwickelte<br />
Empathiefähigkeit<br />
� Fehlende Konfliktlösungsstrukturen<br />
� Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit, Rassismus<br />
� Angst, selbst Mobb<strong>in</strong>g-Opfer zu werden<br />
� Konkurrenz<br />
� Def<strong>in</strong>ition von Freundschaft <strong>in</strong> der Ablehnung<br />
anderer<br />
Auch Lehrkräfte können e<strong>in</strong>en Anteil<br />
am Entstehen von Mobb<strong>in</strong>g haben durch:<br />
� Ignorieren der Vorgänge<br />
� Delegation der Macht an Mobb<strong>in</strong>gstrukturen<br />
� Verweigern direkter Hilfe<br />
� Fehlende Wahrnehmung<br />
� Rohes Sprachvorbild<br />
� E<strong>in</strong> schlechtes Lernklima <strong>in</strong> der Klasse<br />
� Missbrauch von Macht<br />
� Starken Leistungsdruck<br />
Die Rolle der Gesellschaft<br />
Filme, Videoclips, Songtexte haben zum Teil<br />
e<strong>in</strong>e bewusst f<strong>in</strong>stere, gewaltverherrlichende<br />
Botschaft. Mediale „Vorbilder“ signalisieren<br />
Stärke, Potenz, Regellosigkeit und Gefühllosigkeit<br />
und laden zur Identifikation e<strong>in</strong>. Verrohtes<br />
Verhalten ist für K<strong>in</strong>der unter Umständen<br />
schwer als solches zu erkennen, weil es konform<br />
gehen kann mit den eigenen alltäglichen<br />
Beobachtungen, die nicht relativiert worden<br />
s<strong>in</strong>d. Die genannten f<strong>in</strong>steren Vorbilder tragen<br />
zur Verrohung bei, weswegen sie zur „kulturellen<br />
Gewalt“ gezählt werden müssen.<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Gewalt macht Schule<br />
„Unsere K<strong>in</strong>der beobachten tagtäglich, dass<br />
bei uns Erwachsenen im Beruf und <strong>in</strong> der Politik<br />
nur die konsequente Verfolgung eigener<br />
Interessen zählt. Sie erfahren <strong>in</strong> den von Erwachsenen<br />
produzierten Medien, dass Konflikte<br />
am besten mit Gewalt zu lösen s<strong>in</strong>d. Ist<br />
es da verwunderlich, dass Gewalt „Schule“<br />
macht und immer mehr um sich greift?“<br />
„Offenbar hat sich das Klima des Zusammenlebens<br />
verändert. K<strong>in</strong>der und Jugendliche<br />
schlagen heute schon bei nichtigen Anlässen<br />
schneller und mitleidloser als früher zu. Besonders<br />
beunruhigend s<strong>in</strong>d die schleichend<br />
wachsende ganz alltägliche Gewaltbereitschaft<br />
unter Schülern, ihr fehlendes Mitgefühl<br />
und ihre s<strong>in</strong>kende Hemmschwelle. Große Sorgen<br />
bereiten das fehlende Unrechtsbewusstse<strong>in</strong><br />
und die fehlende Verantwortung für den<br />
anderen. Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen<br />
werden häufig nur als Schikane empfunden,<br />
die Täter-Opfer-Situation wird auf den<br />
Kopf gestellt: der Angeklagte macht sich zum<br />
Kläger.“<br />
Quelle: Hurrelmann, Klaus; Brünel, Heidrun: Gewalt<br />
macht Schule, S. 9 und S. 26.<br />
Ursachen | 13
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Die Folgen von Mobb<strong>in</strong>g<br />
Mobb<strong>in</strong>g macht Stress<br />
Wer gemobbt wird, gerät unter psychischen<br />
Stress. Stress entsteht, wenn wir glauben, mit<br />
dem, was um uns vorgeht, nicht umgehen zu<br />
können. <strong>Wir</strong> greifen auf drei elementare Verhaltensmuster<br />
zurück: Flucht, Kampf oder<br />
Totstellen. Der Körper reduziert nun se<strong>in</strong>e<br />
Funktionen auf das Nötigste. Er aktiviert<br />
das Hormon Adrenal<strong>in</strong>, das mehrfach wirkt:<br />
Es schaltet die Verdauung ab, denn bei Gefahr<br />
muss man nicht essen. Die Folge ist e<strong>in</strong> komisches<br />
Gefühl im Magen.<br />
Es erhöht die Herzfrequenz, um dem Gehirn<br />
mehr Blut und Sauerstoff zuzuführen. <strong>Wir</strong><br />
spüren e<strong>in</strong> vermehrtes Herzklopfen. Der<br />
Denkapparat wird abgeschaltet, massive<br />
Denkblockaden s<strong>in</strong>d die Folge. <strong>Wir</strong><br />
können uns nicht bes<strong>in</strong>nen (Blackout).<br />
Es schaltet das Immunsystem ab (gute Voraussetzung,<br />
um krank zu werden). Hält der Stress<br />
Foto: Jörg Metzner<br />
über Tage oder Wochen an, ist Krankheit die<br />
unvermeidliche Folge.<br />
Mobb<strong>in</strong>g hat oft gesundheitliche Beschwerden<br />
zur Folge: Kopfschmerzen, Magenbeschwerden,<br />
Schlafstörungen, allgeme<strong>in</strong>e Störung<br />
des vegetativen Nervensystems<br />
Der Volksmund weiß, wie die Organe sprechen:<br />
Sich den Kopf zerbrechen, viel um die<br />
Ohren haben, verbissen se<strong>in</strong>, etwas nicht<br />
mehr sehen können, die Luft bleibt weg, die<br />
Nase voll haben, schwer im Magen liegen,<br />
herzzerreißend, die Galle läuft über, auf die<br />
Nieren gehen, unter die Haut gehen, sich grün<br />
und blau ärgern, weiche Knie bekommen,<br />
Gänsehaut bekommen, nicht zu Potte (Stuhle)<br />
kommen.<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Die Folgen von Mobb<strong>in</strong>g | 14
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Was man tun kann…<br />
Der Mythos von der<br />
Selbsthilfe<br />
Quelle: Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel<br />
Warum das Opfer Mobb<strong>in</strong>g nicht alle<strong>in</strong> bewältigen<br />
kann.<br />
Mobb<strong>in</strong>g erzeugt Stress. Die Psyche wird geschwächt,<br />
es fällt schwer, klug zu reagieren.<br />
Selbstvertrauen nährt sich von der E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong><br />
die Welt. Dieses wird aber gerade vom Mobb<strong>in</strong>g<br />
<strong>in</strong> Frage gestellt und attackiert. Sicherheit<br />
bietet nur noch die Person, die die Macht hat,<br />
das Mobb<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>zustellen. Alle<strong>in</strong> schon die<br />
Angst vor weiteren Angriffen verunsichert die<br />
betroffene Person. Beim Gemobbten nimmt<br />
das Ansehen rapide ab. Das Opfer beg<strong>in</strong>nt zu<br />
verzweifeln und gleitet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Verteidigungsverhalten<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, das die Umgebung als unangenehm<br />
empf<strong>in</strong>det. Das Opfer wird stigmatisiert.<br />
Die Psyche wird dadurch geschwächt,<br />
dass nun die Bestätigung der eigenen Person<br />
durch andere ausbleibt. Das Opfer weiß <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er verunsicherten Lage<br />
Rat und Hilfe<br />
Bewährte Methoden und Programme zur<br />
Mobb<strong>in</strong>g-Prävention und -Intervention werden<br />
<strong>in</strong> der Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel des LISUMS<br />
Berl<strong>in</strong>-Brandenburg und dem Anti-Mobb<strong>in</strong>g-<br />
Buch von Mustafa Jannan vorgestellt. Informationen<br />
zum Bezug der Medien f<strong>in</strong>den Sie <strong>in</strong><br />
der Literaturliste.<br />
Mobb<strong>in</strong>gberatung Berl<strong>in</strong>-Brandenburg<br />
Uhlandstraße 127, 10717 Berl<strong>in</strong>,<br />
Ansprechpartner<strong>in</strong>: Monika Hirsch-Sprätz<br />
Tel. 049(0)30.86 39 15 72<br />
Fax 049(0)30.86 39 15 73<br />
<strong>in</strong>fo@mb-berl<strong>in</strong>brandenburg.de<br />
www.mobb<strong>in</strong>gberatung-bb.de<br />
nicht, woh<strong>in</strong> es sich wenden soll, weil sich alle<br />
bisherigen Kontakte als nicht vertrauenswürdig<br />
erweisen.<br />
Kennzeichnend ist, dass das Opfer zusehends<br />
vere<strong>in</strong>samt. Mobb<strong>in</strong>gopfer geraten verstärkt<br />
unter Stress und reagieren manchmal heftig.<br />
Diese Reaktionen werden dann als Beleg für<br />
die eigene ablehnende Haltung herangezogen.<br />
Dadurch entsteht e<strong>in</strong> Kreislauf, aus dem weder<br />
Täter noch Opfer ohne Hilfe von außen herauskommen.<br />
E<strong>in</strong> Mythos ist es zu <strong>sagen</strong>, das<br />
Opfer „hätte doch . . . machen können“.<br />
Eltern s<strong>in</strong>d die wichtigsten Ansprechpartner<br />
ihrer K<strong>in</strong>der im Mobb<strong>in</strong>gfall. Sie müssen sich<br />
klar machen, dass Mobb<strong>in</strong>g nicht von alle<strong>in</strong><br />
vergeht, den Beistand und das entschlossene<br />
Handeln Erwachsener erfordert.<br />
Die Nummer gegen Kummer (K<strong>in</strong>der- und<br />
Jugendtelefon). Die Anrufe s<strong>in</strong>d kostenlos und<br />
die Anrufer bleiben anonym (die Telefonnummer<br />
ersche<strong>in</strong>t nicht auf der Rechnung).<br />
Telefonnummer für K<strong>in</strong>der: 0800 111 0333<br />
(Mo bis Sa 14.00 - 20.00 Uhr)<br />
Telefonnummer für Eltern: 0800 111 0550<br />
(Mo und Mi 9.00 - 11.00 Uhr, Di und Do 17.00<br />
- 19.00 Uhr)<br />
Was man tun kann | 15
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
<strong>Theater</strong>praktische Übungen<br />
Improvisationstheater mit<br />
Jugendlichen<br />
Von Karen Giese<br />
In „Spaaaß! Wer bestimmt, was lustig ist“ s<strong>in</strong>d<br />
Elemente des Forumtheaters durch <strong>in</strong>teraktive<br />
Spielformen des Improvisationstheaters erweitert<br />
worden.<br />
Viele Übungen des Improvisationstheaters<br />
s<strong>in</strong>d hervorragend für die theaterpraktische<br />
Arbeit mit Jugendlichen geeignet. Die nachfolgenden<br />
Spiele und Szenenimprovisationen<br />
hat das Produktionsteam während der Probenphase<br />
selber ausprobiert und ihren<br />
„Spaaaß!“ damit gehabt – den wir Ihnen nun<br />
auch wünschen!<br />
Warm Up‘s<br />
„Beim Improvisationstheater entstehen im<br />
Zusammenspiel von Publikum und Spielern<br />
immer neue Geschichten. Die Spieler brauchen<br />
Teamgeist und dürfen nicht versuchen,<br />
nur ihre eigenen Ideen auf der Bühne umzusetzen.<br />
Spontaneität ist gefragt und vorgefertigte<br />
Ideen s<strong>in</strong>d eher h<strong>in</strong>derlich. (…) Improvisationsübungen<br />
fördern die Kreativität und<br />
Spontaneität und ermutigen zur Verwendung<br />
<strong>in</strong>nerer Bilder. Man lernt die eigenen Stärken<br />
und Schwächen zu akzeptieren, andere Personen<br />
besser wahrzunehmen und sich auf sie<br />
e<strong>in</strong>zustellen und Angebote anderer nicht abzublocken,<br />
sondern anzunehmen.“<br />
Keith Johnstone<br />
Bei diesen Übungen steht das geme<strong>in</strong>same Spiel mite<strong>in</strong>ander im Mittelpunkt. Die Aufwärmung ist<br />
gelungen, wenn viel gelacht wurde! Fehler dürfen passieren und sollen passieren –das macht gar<br />
nichts! E<strong>in</strong>fach weitermachen und Spaß haben.<br />
Spaaaß<br />
Gruppengröße: m<strong>in</strong>d. 5 – 25<br />
Ziel: Auflockerung, geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> Aktion gehen, sich gegenseitig wahrnehmen<br />
Dauer: 5 – 10 M<strong>in</strong>uten<br />
<strong>Du</strong>rchführung: Die Gruppe steht im Kreis. Der Spielleiter gibt e<strong>in</strong>e Bewegung und e<strong>in</strong> Geräusch vor<br />
(es kann auch e<strong>in</strong> kurzes Wort se<strong>in</strong>). Diese kle<strong>in</strong>e Aktion soll vom Nachbarn möglichst genau kopiert<br />
werden und an den rechts von ihm stehenden Teilnehmer weitergegeben werden (wie „Stille Post“ –<br />
nur laut!). Hat der Spielleiter also den rechten Arm gehoben, so hebt se<strong>in</strong> Nachbar auch den rechten<br />
Arm (und nicht den l<strong>in</strong>ken). Der Nachbar des Nachbarn kopiert nun ebenfalls die Aktion – aber Achtung:<br />
es wird wirklich die Aktion der Person kopiert, die neben e<strong>in</strong>em steht und nicht etwa die des<br />
Spielleiters. Macht also der Vorgänger etwas anders, so wird dies kopiert. Da wir alle Menschen s<strong>in</strong>d<br />
und ke<strong>in</strong>e Kopiergeräte, wird sich also die Aktion verändern und unter Umständen bis zum Irrwitz<br />
steigern. Das ist auch gewünscht! Der Spielleiter lässt die Aktion zwei- bis dreimal durch den Kreis<br />
laufen, bis sich ihr Potential erschöpft hat. Dann gibt er - oder e<strong>in</strong> anderer Spieler – e<strong>in</strong>e neue Aktion<br />
vor.<br />
Variante I: Bei Gruppen, die sich nicht so leicht aus der Reserve locken lassen, kann man auch die<br />
Vorgabe machen, dass sich die Aktion bei jedem Nachmachen e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es bisschen „vergrößern“<br />
muss.<br />
<strong>Theater</strong>praktische Übungen | 16
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Variante II: Der Spielleiter gibt vor, dass die Aktion mit e<strong>in</strong>er Emotion verbunden se<strong>in</strong> muss. Es ist<br />
<strong>in</strong>teressant zu beobachten, wie sich e<strong>in</strong>e verschmitzte Freude <strong>in</strong> hysterisches Gelächter steigern kann<br />
– oder <strong>in</strong> unglaubliche Trauer.<br />
Bipeldibipeldibopp<br />
Gruppengröße: m<strong>in</strong>destens 8 – 25<br />
Ziel: Auflockerung; Fröhliches Scheitern!<br />
Dauer: 10 – 15 M<strong>in</strong>uten<br />
<strong>Du</strong>rchführung: E<strong>in</strong> Spieler steht <strong>in</strong> der Mitte e<strong>in</strong>es Kreises.<br />
Er sagt zu irgende<strong>in</strong>em Bipeldibipeldibop. Dieser muss <strong>in</strong> der Zeit des Auf<strong>sagen</strong>s schnell Bop <strong>sagen</strong>,<br />
wenn er es verpasst, tritt er <strong>in</strong> die Mitte. Sagt der <strong>in</strong> der Mitte nur Bop und der im Kreis stehende<br />
sagt trotzdem auch Bop, muss nun der Bopsager <strong>in</strong> die Mitte.<br />
Variante: Der Spieler <strong>in</strong> der Mitte zeigt auf e<strong>in</strong>en der im Kreis stehenden Spieler. Mit dem Zeigen sagt<br />
er e<strong>in</strong>en bestimmten Begriff. Nun muss der Spieler, auf den gezeigt wurde geme<strong>in</strong>sam mit den Spielern<br />
l<strong>in</strong>ks und rechts von ihm schnellstmöglich die mit der Nennung des Begriffs geforderte Figur<br />
darstellen. Wenn es bei e<strong>in</strong>em der drei Beteiligten zu langsam geht oder er e<strong>in</strong>e falsche Figur stellt,<br />
muss der Betreffende <strong>in</strong> die Mitte des Kreises.<br />
Um die Rechtszeitigkeit festzustellen, kann der Spieler <strong>in</strong> der Mitte auch zählen. Z.B. "Waschmasch<strong>in</strong>e<br />
1 2 3 4 5". Der Spieler und se<strong>in</strong>e beiden Nachbarn haben solange Zeit, die Figur zu formen, bis die<br />
"5" gefallen ist.<br />
Man fängt mit wenigen Figuren an, damit sich diese e<strong>in</strong>prägen und steigert dann deren Anzahl.<br />
Folgende Figuren s<strong>in</strong>d möglich (ergänzbar): M=Mittlerer Spieler N=die Nachbarn, also die beiden<br />
Spieler l<strong>in</strong>ks und rechts<br />
� James Bond M: Steht lässig auf e<strong>in</strong>em Fuß, mit dem anderen angew<strong>in</strong>kelte Be<strong>in</strong> nur auf den<br />
Fußspitzen. Den gestreckten Zeigef<strong>in</strong>ger (= Waffe) hält er unter den Mund und bläst <strong>in</strong> diesen,<br />
das heißt <strong>in</strong> die "Mündung" der Waffe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. N: stützen sich mit beiden Händen auf die<br />
Schulter von M und <strong>sagen</strong> dah<strong>in</strong> schmelzend: "Oh James!" .<br />
� Elefant M: Fasst mit der e<strong>in</strong>en Hand se<strong>in</strong>e Nase, der andere - gestreckte - Arm geht über die<br />
Armbeuge des Armes schräg nach unten/vorn (Rüssel). N: Stellen mit beiden Armen, die jeweils<br />
e<strong>in</strong>en zu M offenen Halbkreis bilden, die Ohren dar.<br />
� Känguru M: Streckt die gefalteten Hände weit von sich (Beutel). N: Stecken die Köpfe von unten<br />
durch die Arme, als würden sie aus dem Beutel schauen.<br />
� kotzendes Känguru M: Streckt die gefalteten Hände weit von sich (Beutel). N: Beugen sich<br />
über den Beutel und kotzen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />
� Toaster M: Hüpft mehrfach mit angelegten gestreckten Armen hoch. N: Fassen sich an die<br />
Hände, M. hüpft also <strong>in</strong>nerhalb der Arme.<br />
� Mixer M: Streckt die Arme gerade nach oben. N: Drehen sich im Kreis.<br />
Geme<strong>in</strong>sam zählen<br />
Gruppengröße: m<strong>in</strong>d. 8 – 25<br />
Ziel: Konzentration fördern, Gespür für die Mitglieder der Gruppe bekommen<br />
Dauer: 5 - 10 M<strong>in</strong>uten<br />
<strong>Du</strong>rchführung: Die Spieler stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engen Kreis mit geschlossenen Augen. Nun wird <strong>in</strong> der<br />
Gruppe bis 21 gezählt. Jeder Spieler sagt jeweils e<strong>in</strong>e Zahl, es ist ke<strong>in</strong>e Reihenfolge vorgegeben.<br />
Wenn zwei oder mehrere Spieler dieselbe Zahl gleichzeitig <strong>sagen</strong>, wird wieder von vorne begonnen.<br />
Variante I: Es wird so lange gezählt, bis die Zahl der im Kreis stehenden Spieler erreicht ist (bei 15<br />
Spielern also bis 15) und jeder darf nur e<strong>in</strong>e Zahl <strong>sagen</strong>. So verh<strong>in</strong>dert man, dass sich e<strong>in</strong>ige davor<br />
„drücken“, e<strong>in</strong>e Zahl <strong>in</strong> den Raum zu <strong>sagen</strong>.<br />
<strong>Theater</strong>praktische Übungen | 17
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Variante II: Die Spieler stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren Kreis mit geschlossenen Augen. Nun macht e<strong>in</strong><br />
Spieler den Anfang und macht e<strong>in</strong>en Schritt <strong>in</strong> die Mitte des Kreises h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Zweiter folgt. Machen<br />
zwei Spieler gleichzeitig e<strong>in</strong>en Schritt, wird wieder von vorne begonnen.<br />
Achtung: Dieses Spiel hört sich leichter an als es ist. Wenn man bei der E<strong>in</strong>haltung der Spielregeln<br />
wirklich streng ist (und das sollte man se<strong>in</strong>!), schaffen es ungeübte Gruppen häufig nur bis fünf zu<br />
zählen. Das macht nichts! E<strong>in</strong> paar Runden versuchen und das Spiel beenden, bevor die Gruppe frustriert<br />
ist und es beim nächsten Mal wieder machen. Mit e<strong>in</strong> bisschen Übung klappt es – und die<br />
Gruppe bekommt e<strong>in</strong>e ganz neue Aufmerksamkeit füre<strong>in</strong>ander!<br />
Szenische Improvisation<br />
Das <strong>in</strong>teraktive <strong>Theater</strong>stück „Spaaaß!“ behandelt das Thema Mobb<strong>in</strong>g. Zu diesem oder auch anderen<br />
Konflikten lässt sich szenisch arbeiten und man kann Lösungsstrategien herausf<strong>in</strong>den.<br />
Gruppengröße: 6 – 35 (bei mehr Teilnehmern braucht man m<strong>in</strong>destens zwei Spielleiter!), <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen<br />
von m<strong>in</strong>destens 3 höchstens 7 Spielern e<strong>in</strong>geteilt<br />
Dauer: Je nach Spielerzahl sehr unterschiedlich. M<strong>in</strong>destens 30 M<strong>in</strong>uten bei wenig Spielern<br />
<strong>Du</strong>rchführung:<br />
1. Schritt: In der ganzen Gruppe unterhält man sich über den zu behandelnden Konflikt – was<br />
wissen wir darüber? Welche Opfertypen gibt es und welche Tätertypen? Warum kann es zu<br />
solch e<strong>in</strong>em Konflikt kommen?<br />
2. Schritt: In den Kle<strong>in</strong>gruppen überlegen sich die Spieler konkrete kurze Geschichten und<br />
schreiben sie stichpunktartig auf. Sie legen fest: Wer ist daran beteiligt? Was genau passiert?<br />
Wo passiert es? Wie beg<strong>in</strong>nt und wie endet die Szene?<br />
3. Schritt: Die Kle<strong>in</strong>gruppen proben ihre Szene und legen e<strong>in</strong>en Ablauf fest (nach Möglichkeit<br />
auf e<strong>in</strong>em großen Blatt Papier)<br />
4. Schritt: Die Kle<strong>in</strong>gruppen präsentieren sich ihre Szenen gegenseitig.<br />
5. Am Schluss der Szene bleiben sie als Standbild stehen. Der Spielleiter geht zu jedem Spieler,<br />
legt ihm die Hand auf die Schulter und fragt, wie es demjenigen geht. Jeder Spieler sagt e<strong>in</strong>en<br />
kurzen Satz über die momentane Bef<strong>in</strong>dlichkeit se<strong>in</strong>er Rolle.<br />
6. Jede Gruppe bekommt nach dem Applaus (den jede natürlich erhält!) e<strong>in</strong>e positive Rückmeldung:<br />
was war gut und warum? Dann wird die Szene <strong>in</strong>haltlich betrachtet: Was ist geschehen?<br />
Wo liegen die Gründe für den Konflikt? Welchen Weg kann es aus der Situation h<strong>in</strong>aus<br />
geben?<br />
7. Schritt: Die Kle<strong>in</strong>gruppen tauschen ihre Geschichten. Jede Gruppe muss nun für den Konflikt<br />
e<strong>in</strong>er anderen Gruppe e<strong>in</strong>e Lösungsstrategie entwickeln. Dabei kann entweder die ursprünglich<br />
gezeigte Szene verändert werden oder e<strong>in</strong>e weiterführende Szene erarbeitet werden.<br />
Wichtig dabei ist, dass lösungsorientiert gearbeitet wird. Dies wird auch <strong>in</strong> Stichpunkten aufgeschrieben.<br />
8. Schritt: Wieder präsentieren sich die Gruppen gegenseitig ihre Szenen. Jede Gruppe erhält<br />
e<strong>in</strong>e Rückmeldung – ihre Lösungsstrategie wird diskutiert. Wichtig: Bei der Rückmeldung<br />
muss immer getrennt werden zwischen der „schauspielerischen Leistung“ und der <strong>in</strong>haltlichen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung! Der Spielleiter muss die Teilnehmer immer vor negativer Kritik die Darstellungskunst<br />
betreffend schützen!<br />
<strong>Theater</strong>praktische Übungen | 18
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Abschlussrunde<br />
Nach der szenischen Improvisation <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen und der <strong>in</strong>haltlichen Ause<strong>in</strong>andersetzung ist es<br />
wichtig, zum Schluss der E<strong>in</strong>heit noch e<strong>in</strong>mal zusammenzukommen und e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Abschluss<br />
zu f<strong>in</strong>den.<br />
Tschüüüß!<br />
Dieses Spiel wird gespielt wie Spaaaß am Anfang, nur dass nun das Wort „Tschüüüß“ und e<strong>in</strong>e Geste<br />
verwendet wird.<br />
Variante: E<strong>in</strong> Spieler sagt „Tschüüüß“ komb<strong>in</strong>iert mit e<strong>in</strong>er Geste und der gesamte Kreis macht diese<br />
Aktion gleichzeitig nach. Jeder Spieler kommt e<strong>in</strong>mal ran.<br />
Ich b<strong>in</strong> klasse!<br />
Gruppengröße: 5 – 20 Spieler<br />
<strong>Du</strong>rchführung: Die Spieler stehen gegenseitig untergehakt im Kreis. Sie zeigen mit den Zeigef<strong>in</strong>ger<br />
auf die eigene Brust und <strong>sagen</strong> laut im Chor: „Ich b<strong>in</strong> klasse“. Dann schauen sie die anderen Spieler<br />
im Kreis an, zeigen auf e<strong>in</strong>en und rufen laut im Chor: „<strong>Du</strong> bist klasse“. Schließlich brüllen sie laut:<br />
„<strong>Wir</strong> s<strong>in</strong>d klasse!“. Sie lösen sich vone<strong>in</strong>ander, strecken die Handflächen <strong>in</strong> die Mitte des Kreises und<br />
schleudern sie mit e<strong>in</strong>em lauten, sich steigernden „ooooooooooooo“ <strong>in</strong> die Höhe.<br />
Bücher zum Improvisations- und Forumtheater<br />
� Keith Johnstone, <strong>Theater</strong>spiele, Alexander Verlag<br />
� Keith Johnstone, Improvisation und <strong>Theater</strong>, Alexander Verlag<br />
� Augusto Boal, <strong>Theater</strong> der Unterdrückten, Reclam ???<br />
Interessante Internetseite:<br />
� www.improwiki.de<br />
<strong>Theater</strong>praktische Übungen | 19
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Weiterführende Informationen<br />
Websites und Downloads<br />
Materialien für den Unterricht und die Projektarbeit<br />
� Berl<strong>in</strong>-Brandenburger Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Fibel. LISUM Landes<strong>in</strong>stitut für Schule und Medien<br />
Berl<strong>in</strong>-Brandenburg. Kostenloser Download:<br />
http://www.lisum.berl<strong>in</strong>-brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb2.c.527667.de<br />
� Achtsamkeit und Anerkennung. Materialien zur Förderung des Sozialverhaltens.<br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).<br />
Kostenloser Download: http://www.bzga.de/botmed_20470000.html<br />
� Mobb<strong>in</strong>g – Themenblätter im Unterricht. Bundeszentrale für politische Bildung (BpB).<br />
Kostenloser Download: http://www.bpb.de/publikationen/0279DN,0,0,Nr_16_Mobb<strong>in</strong>g.html<br />
Informative Websites und Mobb<strong>in</strong>g-Foren<br />
� www.schuelermobb<strong>in</strong>g.de<br />
� www.mobb<strong>in</strong>g-seitenstark.de<br />
� www.schueler-gegen-mobb<strong>in</strong>g.de<br />
� www.mobb<strong>in</strong>g-wiki.de<br />
� Informationen über Cybermobb<strong>in</strong>g: http://www.gew.de/Internet-Mobb<strong>in</strong>g.html<br />
Literatur<br />
Zum Thema Mobb<strong>in</strong>g und Gewalt <strong>in</strong> Schulen<br />
� Jannan, Mustafa: Das Anti-Mobb<strong>in</strong>g-Buch. Gewalt an der Schule - vorbeugen, erkennen,<br />
handeln. K<strong>in</strong>dler, Wolfgang: Man muss ke<strong>in</strong> Held se<strong>in</strong> - aber…! Verhaltenstipps für Lehrer <strong>in</strong><br />
Konfliktsituationen und bei Mobb<strong>in</strong>g.<br />
� Hurrelmann, Klaus; Brünel, Heidrun: Gewalt macht Schule.<br />
� K<strong>in</strong>dler, Wolfgang: Den haben wir voll abgezogen. (Lesestoff für die Sekundarschule)<br />
Zum Improvisations- und Forumtheater<br />
� Nickel, Hans-Wolfgang; Dörger, Dagmar: Improvisationstheater. Das Publikum als Autor.<br />
� Boal, Augusto: <strong>Theater</strong> der Unterdrückten.<br />
Dokumentarfilm<br />
� <strong>Du</strong> bist Schlimm! Gewalt und Mobb<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Schule. Videofilm des Medienprojekts<br />
Wuppertal e.V. (<strong>in</strong>kl. didaktischer Begleitmaterialien). Kann über zahlreiche Berl<strong>in</strong>er<br />
Stadtbibliotheken bezogen werden.<br />
Weiterführende Informationen | 20
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Anlage 1<br />
<strong>Du</strong> bist schlimm!<br />
Gewalt und Mobb<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Schule<br />
Handreichung zum E<strong>in</strong>satz des gleichnamigen<br />
Videofilms <strong>in</strong> Schule und Unterricht, Medienprojekt<br />
Wuppertal, Arne Brassat und Maternus<br />
Honnen<br />
Wie wird e<strong>in</strong> Schüler zum Außenseiter?<br />
Kommen Schüler <strong>in</strong> Klassen neu zusammen, so<br />
ist für sie zunächst weit wichtiger als der Unterricht,<br />
wer <strong>in</strong> der Klasse welche Position e<strong>in</strong>nehmen<br />
wird. Sie beobachten sich, schirmen<br />
sich ab, bemühen sich um <strong>Wir</strong>kung, lauern,<br />
kämpfen. Bei diesem für den Lehrer nicht sichtbaren<br />
R<strong>in</strong>gen um Positionen spielen die (nicht<br />
bewussten) Vorerfahrungen der E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>e<br />
große Rolle. Wer <strong>in</strong> der vorhergehenden Gruppe<br />
etwas galt, etwas zu <strong>sagen</strong> hatte, geht weniger<br />
ängstlich und verspannt an die neue Gruppe<br />
heran. Wer sich vorher schon als gemobbten<br />
Außenseiter gesehen hat, will diesmal ke<strong>in</strong>e<br />
Zielscheibe abgeben und bemüht sich deshalb,<br />
unter ke<strong>in</strong>en Umständen <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung zu treten,<br />
und will die angenehmere Rolle des Mitläufers<br />
e<strong>in</strong>nehmen. Wesentliche Signale der<br />
Schwäche kommen aus der weniger leicht zu<br />
verbergenden Körpersprache: Wer wirkt souverän<br />
und gelassen, wer aufgeregt und unsicher?<br />
Wer spielt sich auf und drängt sich ständig <strong>in</strong><br />
den Mittelpunkt? Wer ist verkrampft, weicht<br />
den Blicken der anderen aus, setzt sich abseits?<br />
Schon auf dieser Ebene werden wesentliche<br />
Signale ausgesandt, die e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />
Platz <strong>in</strong> der sozialen Rangfolge der Klasse bestimmen.<br />
Überdurchschnittlich <strong>in</strong> Gefahr, Außenseiter zu<br />
werden, s<strong>in</strong>d diejenigen, die von der jeweiligen<br />
Norm abweichen: Sie kommen aus e<strong>in</strong>er anderen<br />
Gegend, e<strong>in</strong>em anderen Land, sprechen<br />
e<strong>in</strong>en hier nicht üblichen Dialekt, weisen e<strong>in</strong>e<br />
körperliche Besonderheit auf, benehmen sich<br />
anders, vertreten andere politische oder religiöse<br />
Ansichten, s<strong>in</strong>d Fan e<strong>in</strong>es Fußballvere<strong>in</strong>s<br />
e<strong>in</strong>er anderen Stadt usw. Diese Besonderheiten<br />
können e<strong>in</strong>e Rolle spielen, müssen es aber<br />
nicht. E<strong>in</strong> Verhalten, das <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Gruppe<br />
großes Ansehen gewähren mag (z.B. das Auflehnen<br />
gegen den Lehrer), kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen<br />
zu vollständiger Ablehnung führen (wenn<br />
der Lehrer <strong>in</strong> der Klasse z.B. großes Ansehen<br />
genießt). Denn von weitaus größerer Bedeutung<br />
als das Verhalten des E<strong>in</strong>zelnen ist das jeweilige<br />
Wertsystem und Sozialverhalten der Gruppe.<br />
Die eigene Norm wird als die e<strong>in</strong>zig akzeptable<br />
betrachtet. Es ist offensichtlich, und doch wird<br />
es selten zur Kenntnis genommen: In erster<br />
L<strong>in</strong>ie ist es die Gruppe, die zum Außenseiter<br />
stempelt, weniger der E<strong>in</strong>zelne selbst. Se<strong>in</strong> abweichendes<br />
Verhalten ist <strong>in</strong> der Regel vielmehr<br />
die Folge se<strong>in</strong>er Ausgrenzung.<br />
Typische Verhaltensmuster von Außenseitern.<br />
Trotz aller <strong>in</strong>dividueller Unterschiede, die es bei<br />
Menschen gibt, lassen sich dennoch Stereotypen<br />
von Verhaltensweisen aufzeigen, nichtbewusste<br />
Mechanismen, die dann e<strong>in</strong>setzen,<br />
wenn e<strong>in</strong>er „ausgeguckt“ ist, Außenseiter zu<br />
se<strong>in</strong>. Außenseiter ist also nicht als Charakter zu<br />
verstehen (misszuverstehen), sondern als Verhaltensmuster<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besonderen Situation,<br />
die jedem widerfahren kann. Es sei betont, dass<br />
wirklich jeder zum Mobb<strong>in</strong>g-opfer werden kann.<br />
Die im Folgenden zusammengestellten Verhaltensweisen<br />
kommen so re<strong>in</strong> und ausschließlich<br />
nicht immer vor. <strong>Wir</strong> stellen sie aber so absolut<br />
(und fast als Karikatur) dar, damit sie leichter<br />
erkannt und <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>neren Logik erfasst werden<br />
können. Wenn jemand <strong>in</strong> die unerträgliche<br />
Situation des Gemobbten gerät, versucht er sich<br />
durch unterschiedliche Strategien zu retten:<br />
Strategie 1: Kampf gegen die Rollenzuweisung<br />
„Außenseiter“<br />
Körperlich starke Schüler können sich mit körperlicher<br />
Gewalt wehren. Das macht sie zwar<br />
nicht beliebt, verh<strong>in</strong>dert im Allgeme<strong>in</strong>en aber,<br />
dass sie dauerhaft zu Mobb<strong>in</strong>gopfern werden.<br />
Geistig überlegene, rhetorisch starke Schüler<br />
können sich (theoretisch) ebenfalls wehren.<br />
Doch auch die überzeugendsten Argumente<br />
fruchten <strong>in</strong> der Klasse meist nichts, weil nicht<br />
die Logik, sondern die Mehrheit zählt - und die<br />
kann e<strong>in</strong>en brillianten Intellektuellen als<br />
„<strong>Du</strong>mmschwätzer“ def<strong>in</strong>ieren. Dagegen können<br />
gewandte Redner, die die Technik des Herabsetzens<br />
und der Häme besitzen, durchaus erfolgreiche<br />
Demagogen se<strong>in</strong>. Am verbreitetsten<br />
ist aber e<strong>in</strong>e andere Art, sich aus der ger<strong>in</strong>ggeschätzten<br />
Position zu befreien. <strong>Du</strong>rch besonderen<br />
Besitz oder ungewöhnliche Leistungen<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 21
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
(wahr oder erdichtet) versuchen sich manche <strong>in</strong><br />
den Augen der Mitschüler besser darzustellen:<br />
Markenkleidung, MP3-Player, neuste Handymodelle,<br />
alles mit Betonung herausgestellt.<br />
Verbreitet ist auch der Bericht von „Heldentaten“:<br />
Wie z.B. e<strong>in</strong> teurer Videorecorder aus<br />
e<strong>in</strong>em bewachten Kaufhaus geschmuggelt worden<br />
sei, oder wie viele Mädchen sie am Wochenende<br />
wieder abgeschossen hätten oder mit<br />
welcher Geschw<strong>in</strong>digkeit sie mit ihrem selbst<br />
getunten Auto durch die Innenstadt gefegt seien.<br />
Wahr oder erfunden: <strong>Du</strong>rch ihre Prahlerei<br />
verstärken sie nur ihre Außenseiterposition<br />
(„Unerträglicher Angeber“). 1<br />
Strategie 2: Sich mit der Rolle arrangieren<br />
Die Klassenclowns sche<strong>in</strong>en ihre Rolle frei gewählt<br />
zu haben. Würden sie sich sonst so erf<strong>in</strong>dungsreich<br />
ständig neuen Uns<strong>in</strong>n ausdenken?<br />
Sie wissen doch, wie die Klasse reagiert (und<br />
der Lehrer!). In <strong>Wir</strong>klichkeit haben sie aber die -<br />
manchmal nur verme<strong>in</strong>tliche - Erfahrung gemacht,<br />
dass sie bei Annahme ihrer Rolle weniger<br />
drangsaliert werden. Somit haben sie ihre<br />
Rolle nicht frei gewählt, sondern hoffen vielmehr,<br />
dass die anderen dieses denken mögen.<br />
Die e<strong>in</strong>genommene Rolle wirkt wie e<strong>in</strong>e<br />
Schutzmauer vor der eigentlichen Persönlichkeit.<br />
E<strong>in</strong> weiterer - meist nicht erkannter - Aspekt ist,<br />
dass der Lehrer sich dem Klassenclown (wenngleich<br />
diszipl<strong>in</strong>ierend) zuwendet wie kaum e<strong>in</strong>em<br />
anderen. In der Term<strong>in</strong>ologie der Lernpsychologie<br />
gesprochen erhält der Schüler (vom<br />
Lehrer unbeabsichtigte) Verstärkung.<br />
Je nach Ausprägung der Rolle „Klassenclown“<br />
(z.B. eher witzig als doof) und je nach Reaktion<br />
der Mitschüler kann es zudem vorkommen,<br />
dass der Lehrer den E<strong>in</strong>druck erhält, es handele<br />
sich bei dem Gemobbten um e<strong>in</strong>en angesehenen<br />
Wortführer und es besteht die Gefahr, dass<br />
der Lehrer (vor allem, wenn ihn der ständige<br />
Uns<strong>in</strong>n des Schülers nervt) durch se<strong>in</strong>e Reaktionen<br />
das Mobb<strong>in</strong>g der Mitschüler unterstützt.<br />
1 E<strong>in</strong> Gruppenführer könnte u.U. das gleiche bieten<br />
und würde dafür noch bewundert. Meist prahlen<br />
diese aber raff<strong>in</strong>ierter: Sie zeigen ihr Handy nicht<br />
vor, sondern lassen es andere entdecken und geben<br />
sich dann ganz cool - „nichts Besonderes“.<br />
Strategie 3: Den Lehrer als Bündnispartner<br />
gew<strong>in</strong>nen<br />
Außenseiter versuchen manchmal <strong>in</strong> die Gruppe<br />
aufgenommen zu werden, <strong>in</strong>dem sie auf e<strong>in</strong>zelne<br />
Mitläufer zugehen, um sie für sich zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Da diese jedoch häufig große Angst haben,<br />
selber out-group zu werden, scheitert dieser<br />
Versuch meist.<br />
So bieten sich nur noch die Erwachsenen als<br />
Bündnispartner an: Wenn sich e<strong>in</strong> Schüler im<br />
Unterricht <strong>in</strong>teressiert und leistungswillig zeigt<br />
und eilfertig allen Anforderungen nachzukommen<br />
sucht, wird er zwar von den Mitschülern<br />
als Streber abqualifiziert, von Lehrern aber<br />
meist geschätzt. Se<strong>in</strong>e Außenseiterrolle wird<br />
damit natürlich noch verstärkt.<br />
Strategie 4: Flucht aus der Gruppe<br />
Ertragen Mobb<strong>in</strong>gopfer ihre Behandlung nicht<br />
mehr, laufen manche buchstäblich davon.<br />
Schuleschwänzen ist jedoch mit zahlreichen<br />
Strafen bedroht. Und so kommen sie immer<br />
wieder, bis sie es erneut nicht mehr aushalten.<br />
Schließlich ist e<strong>in</strong>e wirklich echte, ke<strong>in</strong>e vorgeschobene,<br />
Erkrankung dann nur noch e<strong>in</strong>e Frage<br />
der Zeit. Migräne, Gastritis, Darmerkrankungen,<br />
neurotische Störungen s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Ausnahmen<br />
(vgl. dazu die Aus<strong>sagen</strong> e<strong>in</strong>es Mobb<strong>in</strong>gopfers im<br />
Film). Kommt e<strong>in</strong> solcher Schüler nach e<strong>in</strong>er<br />
längeren Fehlzeit wieder <strong>in</strong> die Schule, wird er<br />
als Drückeberger und oft auch als Sonderl<strong>in</strong>g<br />
begrüßt.<br />
Im Teufelskreis des Mobb<strong>in</strong>g – Stabilisierung<br />
der Außenseiterrolle<br />
Es ist wichtig zu erkennen, dass bei all diesen<br />
Mustern im Verhältnis zwischen dem E<strong>in</strong>zelnen<br />
und der Gruppe e<strong>in</strong> Kreisprozeß abläuft:<br />
1. Die Gruppe weist E<strong>in</strong>em oder Mehreren<br />
e<strong>in</strong>e Außenseiterrolle zu.<br />
2. Der- oder diejenigen reagieren mit den<br />
oben genannten Mustern.<br />
3. Die Gruppe begründet ihre Ausgrenzung mit<br />
dem Verhalten des Außenseiters (das nicht<br />
als Abwehrverhalten erkannt wird).<br />
4. Die Ausgrenzung wiederum bewirkt e<strong>in</strong>e<br />
Verstärkung des Abwehrverhaltens des Betroffenen<br />
usw.<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 22
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Die Gruppe rationalisiert also ihre Ausgrenzung,<br />
<strong>in</strong>dem sie sie als Reaktion auf Eigenschaften<br />
und Verhalten des Betroffenen bezeichnen. (Die<br />
Gruppenmitglieder s<strong>in</strong>d davon überzeugt, dass<br />
dies so sei; der Kreisprozess ist ihnen nicht bewusst.)<br />
Dem Außenseiter h<strong>in</strong>gegen ist nur <strong>in</strong><br />
den Fällen, <strong>in</strong> denen er mit Aggression oder<br />
Flucht reagiert, die Ursache für se<strong>in</strong> Verhalten<br />
bekannt, nämlich die Abweisung der Mehrheit<br />
ihm gegenüber. Wenn es jedoch um Prahlen,<br />
Clownerie oder die Suche nach Bündnispartnern<br />
geht, ist ihm die Ursache se<strong>in</strong>es Verhaltens nur<br />
selten bekannt. Hier rationalisiert er ebenfalls,<br />
beschönigt oder streitet es gar ab. Auch e<strong>in</strong>e<br />
gelegentliche Integration <strong>in</strong> die Gesamtgruppe,<br />
vor allem, wenn es sich um e<strong>in</strong>e Aktion gegen<br />
Außenstehende handelt, gewährleistet nicht,<br />
dass die Außenseiterposition auf Dauer abgelegt<br />
wurde (vgl. dazu die Aus<strong>sagen</strong> der Anführer<br />
im Film).<br />
Die Haltung der Schüler ist das Resultat unbewusster<br />
psychischer Vorgänge, die nicht leicht<br />
zu vermitteln s<strong>in</strong>d, da den Jugendlichen psychologische<br />
Kenntnisse und Betrachtungsweisen<br />
wenig vertraut s<strong>in</strong>d. <strong>Wir</strong> wollen hier e<strong>in</strong>ige Erkenntnisse<br />
zusammenstellen, die man, mit Beispielen<br />
veranschaulicht, auch Schülern nahebr<strong>in</strong>gen<br />
kann, um e<strong>in</strong>en Anti-Mobb<strong>in</strong>g-<br />
Unterricht zu gestalten. Oftmals werden e<strong>in</strong>em<br />
Schüler von der Klasse negative Eigenschaften<br />
zugeschrieben, die er gar nicht hat oder nicht<br />
mehr hat als die anderen auch. So wird bei dem<br />
e<strong>in</strong>en Schüler e<strong>in</strong> Missgeschick als Ausnahme,<br />
bei dem anderen als schon zu erwartende typische<br />
Handlung etikettiert. Bei dem e<strong>in</strong>en Schüler<br />
wird e<strong>in</strong>e uns<strong>in</strong>nige oder ungeschickte Formulierung<br />
belacht und dann wieder vergessen,<br />
bei dem anderen als „typisch für diesen Blödmann“<br />
bezeichnet und immer wieder zitiert<br />
(weiter unten: Filterwirkung des Vorurteils).<br />
Diese E<strong>in</strong>seitigkeit, diese Vorurteilsbereitschaft<br />
wird nicht als solche wahrgenommen. Sie hat<br />
psychologische Ursachen und Funktionen, sie<br />
wirkt gegenüber der M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> der Klasse<br />
genauso wie gegenüber der M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> der<br />
Gesellschaft.<br />
Außenseiter übernehmen (natürlich gegen ihren<br />
Willen) e<strong>in</strong>ige für die Mehrheit nützliche Funktionen.<br />
Die E<strong>in</strong>stellung ihnen gegenüber ist <strong>in</strong><br />
Kle<strong>in</strong>- wie <strong>in</strong> Großgruppen von Vorurteilen geprägt,<br />
die der Masse psychischen Gew<strong>in</strong>n br<strong>in</strong>gen.<br />
So wird der Klassenzusammenhalt gewähr-<br />
leistet, wenn alle geme<strong>in</strong>sam gegen e<strong>in</strong>en zusammenhalten<br />
(Integration). Regungen und<br />
Eigenschaften, die man sich selbst nicht zugestehen<br />
will, werden auf andere übertragen (Projektion).<br />
<strong>Du</strong>rch die Ausgrenzung werden Außenseiter<br />
erniedrigt, man selbst steht damit automatisch<br />
höher (Selbstwerterhöhung). Die Konflikte<br />
dort auszutragen, wo sie entstanden s<strong>in</strong>d,<br />
würde bedeuten, <strong>in</strong> Bereichen <strong>in</strong> Streit zu leben,<br />
wo man auf Harmonie aus ist. Wenn ich mich<br />
mit me<strong>in</strong>er Familie, mit den Freunden verkrache,<br />
ist das von großem Nachteil für mich.<br />
Wenn ich me<strong>in</strong>e Aggressionen, die von dort<br />
herrühren, an M<strong>in</strong>derheiten auslasse, verschafft<br />
mir das (zunächst) <strong>in</strong>nere Erleichterung, ohne<br />
dass ich mich mit me<strong>in</strong>em Innenkreis anlegen<br />
müsste. Objekt dieser Aggressionsrealisation<br />
kann im Kle<strong>in</strong>gruppenbereich das Mobb<strong>in</strong>gopfer<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Es fällt e<strong>in</strong>em Lehrer schwer, die negative E<strong>in</strong>stellung<br />
der Klasse gegenüber e<strong>in</strong>em Außenseiter<br />
zu ändern. Denn das Bewusstse<strong>in</strong> des Menschen<br />
nimmt all die Ereignisse, die das Vorurteil<br />
stärken, als Beweis für die Richtigkeit ihrer Ansicht<br />
auf. Wahrnehmungen, die gegen das Vorurteil<br />
sprechen, werden unbewusst als Ausnahme<br />
abgetan. Diese Filterwirkung ist übrigens<br />
im täglichen Leben, wenn damit nicht M<strong>in</strong>derheiten<br />
diskrim<strong>in</strong>iert werden, geradezu unentbehrlich.<br />
2<br />
2 Aus der Attitude-Forschung wissen wir, dass K<strong>in</strong>der<br />
zuerst die Handlung, dann das Gefühl und erst zum<br />
Schluss die rationale Begründung dafür lernen. Darum<br />
ist es so schwer, beim Abbau von Vorurteilen<br />
am Verstand (Aufklärung, Information usw.) anzusetzen,<br />
weil dies bei der Genese der negativen E<strong>in</strong>stellung<br />
erst die letzte Schicht darstellt und ke<strong>in</strong>eswegs<br />
die wichtigste.<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 23
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Anlage 2<br />
Hurensohn! Stück Scheiße!<br />
Arschloch!<br />
Süddeutsche Zeitung Magaz<strong>in</strong>, Heft 10/2009<br />
Über Mobb<strong>in</strong>g am Arbeitsplatz wird ständig<br />
diskutiert - aber wie Schüler sich gegenseitig<br />
fertig machen, das ist hundertmal brutaler. Mit<br />
den Folgen kämpfen die Opfer oft noch als<br />
Erwachsene.<br />
Als Julia T.* alles daransetzt, e<strong>in</strong>en Platz für<br />
Lukas an e<strong>in</strong>er sehr beliebten Grundschule <strong>in</strong><br />
München zu bekommen, glaubt sie, das Allerbeste<br />
für ihren Sohn zu tun. Aber e<strong>in</strong> Jahr später<br />
s<strong>in</strong>d Mutter und Sohn durch die Hölle gegangen.<br />
Der Junge, weil er von se<strong>in</strong>er Klasse fix und<br />
fertig gemacht wurde, und die Mutter, weil sie<br />
ihm nicht helfen konnte.<br />
Dabei ist die Schule ke<strong>in</strong>e schlechte Schule. Sie<br />
bef<strong>in</strong>det sich mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em k<strong>in</strong>derreichen<br />
Viertel, das Schulhaus ist alt und ehrwürdig, auf<br />
dem Hof stehen kle<strong>in</strong>e Hütten und Klettergerüste.<br />
Patenklassen empfangen die Erstklässler,<br />
und sogenannte Tröster gehen <strong>in</strong> den Pausen<br />
auf dem Schulhof herum, um sofort zur Stelle zu<br />
se<strong>in</strong>, wenn mal jemand h<strong>in</strong>fällt und sich wehtut.<br />
Für ihre vorbildliche Pädagogik wurde die Schule<br />
sogar ausgezeichnet.<br />
Und doch stand sie dem, was mit Lukas geschah,<br />
machtlos gegenüber: Mobb<strong>in</strong>g kommt<br />
auch an den besten Schulen vor; und das Problem<br />
wird <strong>in</strong> deutschen Lehrerzimmern nach wie<br />
vor dramatisch unterschätzt. Entweder die Fälle<br />
werden gar nicht bemerkt, oder aber sie werden<br />
verdrängt. Dabei s<strong>in</strong>d sie oft ke<strong>in</strong>eswegs<br />
harmlos. »Wenn K<strong>in</strong>der mobben«, sagt<br />
Mechthild Schäfer, Entwicklungspsycholog<strong>in</strong> der<br />
Universität München, »bedienen sie sich teilweise<br />
Methoden, für die man – wenn man<br />
strafmündig ist und angezeigt wird – <strong>in</strong>s Gefängnis<br />
wandern kann.«<br />
Im Sommer 2002 zieht Julia T. mit Lukas von<br />
Hamburg nach München. Lukas ist vorher <strong>in</strong><br />
Norddeutschland und im Rhe<strong>in</strong>land zur Schule<br />
gegangen. Es hat nie Probleme gegeben. Er war<br />
ke<strong>in</strong> brillanter, aber e<strong>in</strong> problemloser Schüler.<br />
Nun kommt Lukas, zehn Jahre alt, <strong>in</strong> die vierte<br />
Klasse der Münchner Grundschule. Die Lehrer<strong>in</strong><br />
fragt ihn: »Wo kommst du her?« Er sagt: »Aus<br />
Hamburg.« Sie sagt, unbedacht: »Ach, dann<br />
kannst du ja sowieso nichts.«<br />
Irgendwie war das der Anfang vom Ende, me<strong>in</strong>t<br />
Lukas heute. Er ist jetzt 17 und sieht aus, wie<br />
17-Jährige heute so aussehen: halblange Haare,<br />
die Jeans sitzt auf den Hüften. An der rechten<br />
Hand trägt er e<strong>in</strong>en breiten silbernen R<strong>in</strong>g, den<br />
er selbst gemacht hat, er überlegt, vielleicht<br />
Goldschmied zu werden. Er wirkt sanft und<br />
spricht bedächtig. Er hat jetzt ke<strong>in</strong>e Angst mehr<br />
vor der Schule, aber es hat Jahre gedauert, bis<br />
er wieder Vertrauen fassen konnte <strong>in</strong> Mitschüler<br />
und Lehrer.<br />
Im vergangenen Jahr hat er den Hauptschulabschluss<br />
gemacht, <strong>in</strong> diesem Jahr steht die mittlere<br />
Reife bevor – es hätte e<strong>in</strong>en leichteren Weg<br />
für ihn geben können, wären se<strong>in</strong>e Noten <strong>in</strong> der<br />
vierten Klasse nicht so schlecht geworden, dass<br />
es nicht e<strong>in</strong>mal mehr für die Realschule reichte.<br />
Nach dem Spruch der Lehrer<strong>in</strong> fangen die coolen<br />
Jungs aus der Klasse an, Lukas zu hänseln.<br />
»<strong>Du</strong> bist neu, du bist doof, du kannst nichts.«<br />
Die Mädchen verhalten sich erst mal neutral.<br />
E<strong>in</strong> Mitschüler ist nett zu Lukas. Doch nach e<strong>in</strong>er<br />
Weile distanziert auch er sich. »Man muss sich<br />
entscheiden, ob man Täter oder Opfer se<strong>in</strong><br />
will«, sagt e<strong>in</strong> Junge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Umfrage des<br />
Deutschlandfunks zum Thema Mobb<strong>in</strong>g. Wenn<br />
man mobbt, geht man wenigstens sicher, nicht<br />
gemobbt zu werden – und ist außerdem nie<br />
alle<strong>in</strong>. Denn es s<strong>in</strong>d nie E<strong>in</strong>zelpersonen, die<br />
mobben, es s<strong>in</strong>d nicht e<strong>in</strong>fach böse oder<br />
schlecht erzogene Jungs oder Mädchen, es ist<br />
immer e<strong>in</strong>e Gruppe, e<strong>in</strong>e Klasse, e<strong>in</strong> System.<br />
Die Jungs nehmen Lukas se<strong>in</strong>en Stift weg, und<br />
wenn er ihn sich wieder holen will, werfen sie<br />
ihn durch die Klasse und lachen sich kaputt. Sie<br />
klauen se<strong>in</strong>e Schuhe und stecken sie <strong>in</strong>s Klo. Sie<br />
nennen ihn »Hurensohn« oder »Idiot«. Lukas<br />
sieht jünger aus, als er ist, er ist unsportlich und<br />
schüchtern – ke<strong>in</strong> Kerl, der mit e<strong>in</strong>em Spruch<br />
kontert, wenn er angegriffen wird, sondern<br />
e<strong>in</strong>er, der verstummt.<br />
»Die Täter zeichnen sich durch großes Geschick<br />
aus, potenzielle Opfer zu erkennen, und sie<br />
beschreiben die Merkmale e<strong>in</strong>es Opfers so: Das<br />
s<strong>in</strong>d die, die sich nicht wehren, nicht sehr stark<br />
s<strong>in</strong>d und sich zu sehr fürchten, Lehrern oder<br />
ihren Eltern davon zu erzählen«, sagt Mechthild<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 24
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Schäfer. »Das Opfer wird mit jeder Episode<br />
mehr zur albernen Figur und ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Reaktionen<br />
zunehmend e<strong>in</strong>geschränkt.«<br />
Irgendwann kann der Betroffene überhaupt<br />
nichts mehr richtig machen. Zu Hause erzählt<br />
Lukas wenig von der Schule. Das passt <strong>in</strong>s Bild:<br />
Nur die Hälfte der betroffenen K<strong>in</strong>der berichten<br />
den Eltern, wenn sie <strong>in</strong> der Schule gemobbt<br />
werden. Sie haben das Gefühl, selbst an ihrer<br />
Situation schuld zu se<strong>in</strong>, und leiden unter<br />
Selbstwertverlust. Außerdem glauben sie nicht,<br />
dass sich die Situation verbessert, wenn Erwachsene<br />
sich e<strong>in</strong>mischen. Und tatsächlich geraten<br />
die Eltern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sehr schwierige Position,<br />
da sie selbst so gut wie nichts machen können,<br />
sondern auf die Hilfe der Schule angewiesen<br />
s<strong>in</strong>d. Dennoch kann überhaupt nur etwas geschehen,<br />
wenn die Probleme angesprochen<br />
werden.<br />
E<strong>in</strong>es Mittags kommt Lukas als Letzter aus der<br />
Schule und wird auf dem Pausenhof zusammengeschlagen.<br />
Die Jungs lassen erst von ihm<br />
ab, als er am Boden liegt und e<strong>in</strong> paar Mädchen<br />
<strong>sagen</strong>: »Jetzt hört mal auf, das ist nicht mehr<br />
lustig.« Erst jetzt erzählt er, was passiert ist. In<br />
den Gesprächen mit den Lehrern und der Direktor<strong>in</strong><br />
heißt es: »So etwas gibt es <strong>in</strong> jeder Klasse.«<br />
E<strong>in</strong>er der Rädelsführer wird <strong>in</strong> die Parallelklasse<br />
strafversetzt, doch die <strong>in</strong> der Klasse verbliebenen<br />
Jungs machen Lukas weiterh<strong>in</strong> fertig.<br />
Das Mobb<strong>in</strong>g endet für Lukas erst, als er die<br />
Grundschule nach der vierten Klasse verlässt.<br />
Wenn e<strong>in</strong> Schüler über längere Zeit gemobbt<br />
worden ist, s<strong>in</strong>d die Folgen für ihn gravierend:<br />
Er ist traumatisiert, neigt verstärkt zu Depressionen<br />
und Selbstmordgedanken. Noch Jahre<br />
nach Abschluss der Schule pflegen ehemalige<br />
Mobb<strong>in</strong>gopfer oft e<strong>in</strong>en ängstlichen Beziehungsstil.<br />
Um Mobb<strong>in</strong>g handelt es sich per Def<strong>in</strong>ition<br />
dann, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d – die Hauptbetroffenen<br />
s<strong>in</strong>d zwischen acht und 14 Jahre alt – von<br />
e<strong>in</strong>er Gruppe oder von der ganzen Klasse über<br />
e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum h<strong>in</strong>weg ausgegrenzt<br />
wird.<br />
Bully<strong>in</strong>g – so lautet die Bezeichnung für Mobb<strong>in</strong>g<br />
im anglo-amerikanischen Raum – wird<br />
def<strong>in</strong>iert als »Missbrauch von sozialer Macht<br />
auf Basis systematischer und wiederholter Attacken<br />
gegen Schwächere«.<br />
Fünfhunderttausend Mobb<strong>in</strong>gopfer gibt es laut<br />
Statistik momentan an Deutschlands Schulen.<br />
Das wäre, e<strong>in</strong>facher ausgedrückt, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d pro<br />
Schulklasse. Alle gängigen Schulformen s<strong>in</strong>d<br />
gleichermaßen betroffen: Hauptschulen genauso<br />
wie Realschulen, Gymnasien oder Grundschulen.<br />
Mobb<strong>in</strong>g oder Bully<strong>in</strong>g an Schulen ist ke<strong>in</strong> neues<br />
Phänomen; so richtig <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> rückte es<br />
aber erst zu Beg<strong>in</strong>n der Achtzigerjahre. Man<br />
kann nicht <strong>sagen</strong>, ob die Zahl der Mobb<strong>in</strong>gopfer<br />
seitdem tatsächlich gestiegen ist, es werden<br />
aber mehr Fälle gemeldet als früher. Und es<br />
sche<strong>in</strong>t, als wären die Methoden der K<strong>in</strong>der<br />
härter geworden.<br />
Peter Silbernagel, Vorsitzender des<br />
Philologenverbandes <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen,<br />
sagt, K<strong>in</strong>der seien heute mitleidloser, weil das<br />
Bloßstellen zu e<strong>in</strong>er Art Volkssport geworden<br />
ist: Wenn bei TV Total e<strong>in</strong> Mädchen e<strong>in</strong>geladen<br />
werde, weil sie mal vor der Kamera gewe<strong>in</strong>t hat,<br />
und man dazu das Lied We<strong>in</strong>e nicht, Michaela<br />
spiele, werde das Mädchen zur Unterhaltung<br />
anderer verhöhnt. Wie sollen K<strong>in</strong>der ermessen<br />
lernen, wie schmerzhaft e<strong>in</strong>e Situation für die<br />
Betroffenen ist, wenn sich alle Welt an der Demütigung<br />
von Menschen <strong>in</strong> Germany’s Next<br />
Topmodel ergötzt?<br />
Wenn <strong>Du</strong>tzende Sendungen Wettstreit, Konkurrenzdenken,<br />
Ausgrenzung, Ellbogen- und<br />
Zickenmentalität propagieren, dann braucht<br />
man sich nicht zu wundern, wenn die Jugend<br />
e<strong>in</strong>es Landes solche Methoden ver<strong>in</strong>nerlicht<br />
und radikalisiert. Dazu kommt, dass durch das<br />
Internet völlig neue Mobb<strong>in</strong>gmethoden überhaupt<br />
erst möglich werden. Das sogenannte<br />
»Cyberbully<strong>in</strong>g« ist besonders leicht, die<br />
Hemmschwelle extrem niedrig, weil es ke<strong>in</strong>en<br />
Mut und ke<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung erfordert.<br />
Man muss dem Opfer nicht mehr <strong>in</strong> die Augen<br />
sehen, kann se<strong>in</strong>e Demütigungen anonym platzieren.<br />
Die Attacken s<strong>in</strong>d virtuell, h<strong>in</strong>terlassen<br />
aber echte Wunden: Im Sommer des vergangenen<br />
Jahres erhängte sich die 13-jährige Amerikaner<strong>in</strong><br />
Megan Meier, weil sie sich <strong>in</strong> ihre Internet-Bekanntschaft<br />
Josh verliebt hatte und nach<br />
kurzer Zeit von ihm so gekränkt wurde, dass sie<br />
nicht damit fertig wurde. Doch Josh gab es gar<br />
nicht: Die Mutter ihrer ehemals besten Freund<strong>in</strong>,<br />
die sich an Megan rächen wollte, hatte sich<br />
diesen fatalen Scherz e<strong>in</strong>fallen lassen.<br />
Gegen e<strong>in</strong> Mädchen mit dem Onl<strong>in</strong>e-Namen<br />
»Chrissi« wurde im Internetforum »SchülerVZ«<br />
e<strong>in</strong>e ganze Gruppe gebildet, um das Opfer kol-<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 25
Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
lektiv zu beschimpfen und zu demütigen; e<strong>in</strong><br />
Jugendlicher aus dem Kreis Trier/Saarburg ließ<br />
sich filmen, wie er e<strong>in</strong>en anderen brutal gegen<br />
das K<strong>in</strong>n trat, und stellte das Video <strong>in</strong>s Netz;<br />
Schüler montieren die Köpfe von Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> Pornofilme und veröffentlichen sie<br />
bei Youtube.<br />
Die Täter geben meist an, dass ihnen nicht bewusst<br />
gewesen sei, wie verletzend ihre Handlungen<br />
waren. E<strong>in</strong>e Umfrage der Universität<br />
Koblenz ergab: Jeder fünfte Schüler zwischen<br />
sechs und 19 Jahren war schon e<strong>in</strong>mal Opfer<br />
von Cyberbully<strong>in</strong>g.<br />
Wenn K<strong>in</strong>der andere K<strong>in</strong>der fertigmachen, geht<br />
es um die Demonstration von Macht und Überlegenheit.<br />
Die Täter haben meist e<strong>in</strong> schwaches<br />
Selbstbewusstse<strong>in</strong>. Um eigene Defizite zu überspielen<br />
und ihren Status aufzuwerten, suchen<br />
sie sich physisch oder psychisch Schwächere als<br />
Opfer aus und nutzen ihre manipulativen Fähigkeiten<br />
gegenüber den Mitschülern, um soziale<br />
Macht <strong>in</strong> der Klasse zu gew<strong>in</strong>nen. Je hierarchischer<br />
e<strong>in</strong> System ist, desto erfolgreicher kann<br />
Macht missbraucht werden – unter Erwachsenen<br />
gibt es Mobb<strong>in</strong>g besonders im Arbeitsleben,<br />
beim Militär, im Gefängnis.<br />
Diese Erkenntnis hat e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> England sehr erfolgreichen<br />
pädagogischen Ansatz hervorgebracht,<br />
der die Suche nach der Schuld e<strong>in</strong>zelner<br />
Täter ablehnt: Der »No Blame Approach« basiert<br />
auf der Theorie, dass es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n hat,<br />
die Aggressoren an den Pranger zu stellen –<br />
Strafmaßnahmen und Schuldzuweisungen stärken<br />
das Mobb<strong>in</strong>g nur. Zweitens: Es gibt ke<strong>in</strong>e<br />
Rechtfertigung für Bully<strong>in</strong>g, egal, wie sich e<strong>in</strong><br />
Schüler verhält. Und wie ernst es ist, kann nur<br />
derjenige ermessen, der gemobbt wird. Drittens:<br />
Es wird nicht nach den Ursachen des<br />
Mobb<strong>in</strong>gs geforscht, sondern an das Gute im<br />
Menschen appelliert: Der Lehrer – übrigens die<br />
zentrale Figur der »No Blame«-Methode – stellt<br />
e<strong>in</strong>e Gruppe aus Tätern und Mitläufern zusammen<br />
und fordert sie auf, ihm dabei zu helfen,<br />
das Opfer wieder zu e<strong>in</strong>em glücklicheren Menschen<br />
zu machen. Er fragt das Opfer, ob es<br />
möchte, dass er hilft. Wenn das Opfer zustimmt,<br />
stellt der Lehrer e<strong>in</strong>e Gruppe von sechs,<br />
sieben Schülern zusammen, bestehend aus denen,<br />
von denen sich das Opfer am meisten und<br />
am wenigsten bedroht fühlt, und aus Schülern,<br />
die sich der Lehrer aussucht.<br />
Dieser Gruppe wird nun erklärt, dass e<strong>in</strong> Schüler<br />
sehr unglücklich <strong>in</strong> der Klasse sei und dass man<br />
ihm geme<strong>in</strong>sam helfen müsse. Nun wird die<br />
Gruppe gefragt, was man tun könnte. Meistens<br />
kommen von den Schülern sofort Vorschläge:<br />
Man könnte sich mal <strong>in</strong> der Pause zum ihm stellen<br />
oder: »Ich könnte ja mal mit ihm nach Hause<br />
gehen.« Bevor sich die Gruppe wieder trennt,<br />
macht der Lehrer jeden E<strong>in</strong>zelnen dafür verantwortlich,<br />
dass sich der Schüler <strong>in</strong> der Klasse<br />
bald besser fühlt. E<strong>in</strong>e Woche später trifft man<br />
sich wieder – und untersucht, ob schon Erfolge<br />
zu verzeichnen s<strong>in</strong>d. Für e<strong>in</strong>e Studie der Organisation<br />
»Aktion Mensch« wurde die Methode<br />
gerade bei 220 Fällen <strong>in</strong> Deutschland angewandt<br />
– mit e<strong>in</strong>er Erfolgsquote von 87 Prozent.<br />
Auch die Psycholog<strong>in</strong> Mechthild Schäfer glaubt,<br />
dass bei solchen gruppendynamischen Problemen<br />
besonders die Lehrer und nicht unbed<strong>in</strong>gt<br />
die Eltern gefragt s<strong>in</strong>d: »Lehrer sollten e<strong>in</strong>e<br />
Intervention bei Mobb<strong>in</strong>g nicht wie bisher als<br />
Zusatzaufgabe, sondern als Bestandteil ihrer<br />
Rolle betrachten.« Sie schlägt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige<br />
Rechtsgrundlage vor, die die Verantwortung<br />
von Lehrern und Schulen formuliert – etwa wie<br />
<strong>in</strong> Schweden, wo Schulen e<strong>in</strong> Mobb<strong>in</strong>g-<br />
Bekämpfungskonzept vorlegen müssen und mit<br />
Konsequenzen zu rechnen haben, wenn K<strong>in</strong>der<br />
bei der zuständigen Ombudsfrau das Ver<strong>sagen</strong><br />
der Schule e<strong>in</strong>klagen.<br />
Maximilian, elf Jahre alt, wäre so e<strong>in</strong> Kandidat.<br />
Maximilian ist hochbegabt, er spielt nicht Fußball,<br />
sondern reitet und liest Sachbücher über<br />
den Holocaust. Maximilian ist vier Jahre lang <strong>in</strong><br />
der Grundschule von se<strong>in</strong>en Mitschülern gequält<br />
worden, obwohl er dort e<strong>in</strong>mal sogar die<br />
Klasse gewechselt hat. »Als die Mitschüler <strong>in</strong><br />
der neuen Klasse von se<strong>in</strong>en Hobbys erfuhren,<br />
war es dort auch sofort vorbei«, sagt se<strong>in</strong>e Mutter.<br />
Seit Sommer 2008 besucht Maximilian e<strong>in</strong>e<br />
Realschule <strong>in</strong> der Nähe von Wolfsburg und wird<br />
weiter schikaniert. Zwei Jungs aus se<strong>in</strong>er Grundschule<br />
s<strong>in</strong>d wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Klasse.<br />
Maximilian ist als Hurensohn, Stück Scheiße,<br />
Arschloch, Scheißbullensohn, Idiot beschimpft<br />
worden. Se<strong>in</strong>e Mitschüler haben ihm <strong>in</strong>s Gesicht<br />
gespuckt, ihn im Handarbeitsunterricht mit<br />
Nadeln gestochen, ihm <strong>in</strong> den Arm gebissen,<br />
sodass die Wunde verbunden werden musste,<br />
und sie haben ihm e<strong>in</strong>en Zahn ausgeschlagen.<br />
E<strong>in</strong> Lehrer hat mal zu Maximilian gesagt: »Dann<br />
darfst du halt nicht so schlau tun«, e<strong>in</strong> anderer<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 26
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hat ihn »verwöhntes Früchtchen« genannt.<br />
Maximilian antwortet auf die Frage, wie es ihm<br />
geht: »Nicht so prickelnd.« Er ist e<strong>in</strong> Zyniker –<br />
mit elf Jahren. Er hält die K<strong>in</strong>der, die ihn plagen,<br />
mittlerweile für m<strong>in</strong>derbemittelt. »Reden br<strong>in</strong>gt<br />
bei denen nichts.« Wenn se<strong>in</strong>e Mutter ihn morgens<br />
wecken will, öffnet sie e<strong>in</strong>e Tür, auf die<br />
Totenköpfe gemalt s<strong>in</strong>d, daneben steht: »Weckt<br />
mich nicht!« Wenn man se<strong>in</strong> Zimmer betritt,<br />
muss man Angst haben, dass se<strong>in</strong>e aus Legoste<strong>in</strong>en<br />
gebaute Selbstschussanlage losgeht.<br />
»Ich gehe dem Mobb<strong>in</strong>g aus dem Weg, <strong>in</strong>dem<br />
ich oft nicht <strong>in</strong> die Schule gehe«, sagt Maximilian.<br />
Die Schule stellt fest: »Maximilian ist seit<br />
Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres Schüler unserer Schule.<br />
<strong>Wir</strong> wurden gleich <strong>in</strong> den ersten Wochen von<br />
den Eltern über Maximilians ›Andersse<strong>in</strong>‹ <strong>in</strong>formiert.<br />
Sehr bald wurden Fehlzeiten, Konflikte<br />
und se<strong>in</strong> Verhalten anderen gegenüber auffällig.«<br />
Die Schule verfuhr nach Vorschrift: Sie forderte<br />
Maximilian auf, e<strong>in</strong> Mobb<strong>in</strong>gtagebuch zu<br />
führen. »Se<strong>in</strong>e Aufzeichnungen waren aber<br />
wenig konkret. Die Vielzahl der Vorwürfe machte<br />
e<strong>in</strong>e detaillierte Aufarbeitung unmöglich.«<br />
Weil Maximilian die Beratungslehrer<strong>in</strong> nur<br />
zweimal aufgesucht hat, weil er immer wieder<br />
fehlt und die Schule me<strong>in</strong>t, die Eltern würden es<br />
ihm zu leicht machen; weil er konfliktfreie Beziehungen<br />
zu fünf bis sechs Jungen aus der Klasse<br />
hat und »höchst sensibel und unvorhersehbar<br />
reagiert, wobei er auch andere ärgert und<br />
provoziert«, kann die Schule e<strong>in</strong> »systematisches<br />
Mobb<strong>in</strong>g nicht verifizieren«. Maximilian<br />
bezeichnet sich als »dauerpessimistisch«. Es ist<br />
also davon auszugehen, dass er leidet und dass<br />
se<strong>in</strong> Leid nur von ihm alle<strong>in</strong> zu ermessen ist.<br />
Außerdem ist davon auszugehen, dass Eltern<br />
sehr hilflos s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation. »Im<br />
letzten Monat haben wir ihn jeden Morgen zur<br />
Schule gebracht, weil wir Angst hatten, dass er<br />
sich etwas antut, wenn wir ihn alle<strong>in</strong> losschicken«,<br />
sagt se<strong>in</strong>e Mutter. Längst wirken sich<br />
Maximilians Schulprobleme auf die ganze Familie<br />
aus. Se<strong>in</strong> Vater will ihn morgens zw<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong><br />
die Schule zu gehen. Maximilian flippt aus, wird<br />
aggressiv, auch gegen die beiden älteren<br />
Schwestern. Oder er verzweifelt und wendet<br />
sich Hilfe suchend an se<strong>in</strong>e Mutter. Aber die<br />
verstummt nur. Was soll sie tun? Sie spürt die<br />
Nöte ihres Sohnes und ist trotzdem machtlos.<br />
Ob er sich wünscht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Klasse zu gehen, <strong>in</strong><br />
der er gemocht wird? Maximilian überlegt: »Ich<br />
glaub schon. Aber ich glaub, das geht nicht<br />
mehr.« Was würde er sich denn überhaupt<br />
wünschen? Maximilian überlegt wieder. Soll er<br />
cool se<strong>in</strong>, den Zyniker geben? Das kann er doch<br />
so gut. Aber dann sagt er: »Dass es e<strong>in</strong>fach aufhört.«<br />
Pause. Und ergänzt, ganz leise: »Es wäre<br />
besser, wenn ich nicht existieren würde.«<br />
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Anlage 3<br />
<strong>Jugendsprache</strong><br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Neukölln:<br />
<strong>Wir</strong> <strong>sagen</strong> "<strong>Du</strong> Opfer!"<br />
James Redfield, <strong>in</strong>: Die Tageszeitung,<br />
02.04.2008<br />
"Opfer" ist e<strong>in</strong>e beliebte Beleidigung, auch<br />
"Jude" hat Konjunktur. Junge Neuköllner Rapper<br />
setzen Täterposen gegen alltägliche Ausgrenzung.<br />
Jeder glaubt Neukölln zu kennen - den<br />
schlimmsten Berl<strong>in</strong>er "Problembezirk" der "Parallelgesellschaften",<br />
e<strong>in</strong> Ghetto islamistischer<br />
Ausländer, deutscher Hartz-IV-Empfänger und<br />
tapferer Studenten, das rasant im Wachsen<br />
begriffen ist. Als Gast aus Chicagos berüchtigter<br />
South Side kenne ich jedoch das amerikanische<br />
Ghetto etwas besser als die Neuköllner Jugendbanden<br />
wie etwa die Ausländischen Ganxta<br />
Boys 44, die sich mit Gangsta-Rap-Stars aus<br />
Übersee identifizieren.<br />
Seit achtzehn Monaten betreibe ich Feldforschung,<br />
als ich an e<strong>in</strong>er Neuköllner Grundschule<br />
als freiwilliger Aushilfs-Englischlehrer anf<strong>in</strong>g.<br />
Seither habe ich wöchentlich die Gelegenheit,<br />
als Teilzeit-HipHop-Produzent mit "Gangstern"<br />
zusammenzuarbeiten. "Sev<strong>in</strong>ç, du sagst immer<br />
,Opfer, Opfer!' Hör auf damit, ich hasse das!",<br />
sagt die zwölfjährige Julia, als ihre Mitschüler<strong>in</strong><br />
sie zum We<strong>in</strong>en gebracht hat. Sev<strong>in</strong>ç sitzt <strong>in</strong> der<br />
Ecke und gr<strong>in</strong>st. Me<strong>in</strong> Englischunterricht läuft<br />
aus dem Ruder. "Opfer" ist e<strong>in</strong> mächtiges Wort,<br />
das häufig zu solchen Konflikten führt. Aber was<br />
bedeutet es eigentlich? Die Klasse bietet folgende<br />
Def<strong>in</strong>itionen an: (1) e<strong>in</strong> Loser, jemand<br />
der dumm ist, ke<strong>in</strong> Geld hat und ke<strong>in</strong>e Frau<br />
kriegt; (2) e<strong>in</strong> Schwächl<strong>in</strong>g, der sich verprügeln<br />
lässt und dem man se<strong>in</strong>e Sachen vollkritzeln<br />
kann; (3) e<strong>in</strong> Tier, das <strong>in</strong> islamischen Ritualen<br />
geschlachtet wird, beim Opferfest. So haben<br />
ausländischstämmige K<strong>in</strong>der das Wort bestimmt.<br />
Sie setzen es <strong>in</strong> unterschiedlichen Zusammenhängen<br />
e<strong>in</strong>: als freundlichen Gruß<br />
("Opfer! Jalla, wir gehen Cafeteria!"), als Fluch<br />
("Waallah, Opfer, ich b<strong>in</strong> müde") oder als direkte<br />
Provokation ("<strong>Du</strong> Opfer!").<br />
Die M<strong>in</strong>derheit der deutschstämmigen K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />
der Klasse versteht das Wort aber ganz anders -<br />
das heißt: nicht so gut. Daher Julias Reaktion,<br />
auch wenn das Wort nicht direkt an sie gerichtet<br />
war. Ähnlich verhält es sich bei Lars, der<br />
nicht mehr Torwart se<strong>in</strong> möchte: "Die schießen<br />
e<strong>in</strong> Tor, und ich werde rausgeschmissen, die<br />
<strong>sagen</strong> ,Opfer, Opfer!' Und ich weiß nicht, was<br />
das heißen soll!" In me<strong>in</strong>em Unterricht haben<br />
Sev<strong>in</strong>ç und Hans e<strong>in</strong>e kurze Liebesgeschichte<br />
mit dem Titel "The Victim" geschrieben: Dar<strong>in</strong><br />
sieht sie ihn als Erwachsene wieder und gibt<br />
ihm e<strong>in</strong>en Korb; denn "der Opfer ist e<strong>in</strong>fach zu<br />
dumm!" "Opfer" lässt sich schwer übertragen.<br />
"Victim" trifft es allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass es<br />
ebenfalls e<strong>in</strong>e starke transitive Bedeutung hat.<br />
Man wird geopfert. Es gibt e<strong>in</strong>en Täter, der<br />
se<strong>in</strong>e Macht demonstriert.<br />
Die K<strong>in</strong>der wissen aber auch, dass das Wort<br />
"Opfer" <strong>in</strong> der deutschen Geschichte e<strong>in</strong>e besondere<br />
Bedeutung hat - dass es Mitgefühl mit<br />
Menschen ausdrückt, die ausgestoßen wurden.<br />
Das erfährt man z. B. im Deutschunterricht, wo<br />
viele, <strong>in</strong>sbesondere die Mädchen, sich stark mit<br />
Anne Frank, der kreativen und humorvollen<br />
Kamerad<strong>in</strong> identifizieren. Zugleich wollen andere,<br />
vor allem die Jungs, nichts mit dieser von<br />
ihren Lehrern hervorgehobenen Sympathie zu<br />
tun haben, denn sie wollen sich nicht als "Opfer<br />
der Gesellschaft" vorstellen. "Ich stecke eure<br />
Faces <strong>in</strong> den Ofen", sagt e<strong>in</strong> Rapper den unbekannten<br />
"Opfern" se<strong>in</strong>es Textes. Obwohl er<br />
behauptet, das sei "nur e<strong>in</strong> Satz", äußert se<strong>in</strong>e<br />
Schwester sofort, dass er auf den Holocaust<br />
h<strong>in</strong>deutet. Auf diese ambivalente Weise beschäftigen<br />
sich die Jugendlichen mit dem Opfer-<br />
Status – teils als unbewusste Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit der deutschen Vergangenheit, teils als<br />
e<strong>in</strong>e bewusste Selbstbestimmung als Deutschlands<br />
heutige "Andere". Indem sie sich als "Täter"<br />
<strong>in</strong>szenieren, "Opfer" ständig wiederholen<br />
und es <strong>in</strong> unerwarteten Zusammenhängen e<strong>in</strong>setzen<br />
(etwa als Grußformel), versuchen sie,<br />
sich das Wort anzueignen.<br />
"Die Deutschen reden immer so nett und höflich<br />
mit uns", sagt Sev<strong>in</strong>ç. "Na und? Die Türken,<br />
die Araber haben unsre eignen Wörter. <strong>Wir</strong><br />
<strong>sagen</strong> ,<strong>Du</strong> Hund!' oder ,Fick de<strong>in</strong>e Mutter!' oder<br />
,<strong>Du</strong> Opfer!' Das gehört zu unserm Slang." Mitschüler<strong>in</strong><br />
Hikmet sagt es noch deutlicher: "Die<br />
Deutschen nehmen daran Anstoß, weil sie es<br />
nicht verstehen. Es ist e<strong>in</strong>fach nicht ihr Wort.<br />
Sie regen sich auf. ,Warum nennst du mich Opfer?<br />
Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Opfer! <strong>Du</strong> bist es!'" Besonders<br />
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wichtig ist dieses Selbstbild für drei zwölfjährige<br />
Jungen paläst<strong>in</strong>ensischer und libanesischer Herkunft,<br />
die e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Woche mit mir zusammen<br />
Rap-Musik schreiben und bei mir zu Hause<br />
und im Büro aufnehmen. Für sie ist wichtig,<br />
dass die Figur des Opfers so gut wie nie von<br />
e<strong>in</strong>em Deutschen e<strong>in</strong>gesetzt wird. Ihre Haltung<br />
den Deutschen gegenüber ist defensiv. "Ich b<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Rütlischule, ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Hitlerschule",<br />
sagt e<strong>in</strong> Klassenkamerad. "Spaaaß!" In ihren<br />
Raps heißt es: "<strong>Wir</strong> haben ke<strong>in</strong>e Lust, mit Deutschen<br />
rumzuhängen." Und es geht noch<br />
schlimmer. "Die Ausländer haben die Macht,<br />
und wer darüber lacht, wird umgebracht", ruft<br />
e<strong>in</strong> älterer Bruder. In se<strong>in</strong>em Rap sagt er den<br />
Deutschen: "Es ist dumm, Respekt vor euch zu<br />
haben, wenn ihr ke<strong>in</strong>en Respekt vor mir habt."<br />
Besteht die Figur des "Opfers" also nur aus Fantasie<br />
und Aggression oder gibt es doch jemanden,<br />
der damit geme<strong>in</strong>t ist? In dieser H<strong>in</strong>sicht<br />
hat die Identität der Neuköllner Rapper zwei<br />
Seiten: e<strong>in</strong>e lokale und e<strong>in</strong>e globale. Die Ausländischen<br />
Ganxta Boys sehen sich selbst <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em "Ghetto", wo sie sich <strong>in</strong> immer engeren<br />
Kreisen drehen, auch wenn die Jungs betonen:<br />
"Me<strong>in</strong>e Freunde kommen groß raus." Auch Jugendbanden<br />
wie die Ganxta Boys wissen, dass<br />
sie <strong>in</strong> den Medien als "Ausländer" beschrieben<br />
werden. Ich wohne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für sie völlig unbekannten<br />
Bezirk, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Mitte, wo die Menschen<br />
angeblich <strong>sagen</strong>: "Hier gibt es ke<strong>in</strong>e Ausländer!<br />
Es ist so schön hier!" "<strong>Wir</strong> werden de<strong>in</strong>e<br />
Nachbarn abstechen", scherzen die Jungs, als<br />
sie zu mir kommen, aber sie s<strong>in</strong>d doch beleidigt,<br />
wenn deutsche Senior<strong>in</strong>nen sie <strong>in</strong> der Straßenbahn<br />
wie Insekten anschauen. "Bei uns <strong>in</strong> Neukölln<br />
ist alles kaputt!" Jugendliche, die sich ihre<br />
Idee von Respekt bewahren wollen, sehen sich<br />
gezwungen, <strong>in</strong> ihrer Geme<strong>in</strong>de die "Täter"-Rolle<br />
anzunehmen. Und ihr "Opfer" ist fast immer e<strong>in</strong><br />
anderer Ausländer. "Egal ob Araber oder Türke,<br />
du wirst getötet / von mir und me<strong>in</strong>er Crew",<br />
rappt der e<strong>in</strong>e. Und der andere: "Kle<strong>in</strong>e Kids<br />
s<strong>in</strong>d am Dealen, so ist es hier. / Wo s<strong>in</strong>d die<br />
K<strong>in</strong>der, wann beg<strong>in</strong>nt die Schule? Sie s<strong>in</strong>d alle<br />
am Spielen, und sie suchen den S<strong>in</strong>n." (…)<br />
Die Identität dieser Neuköllner Kids ist von Widersprüchen<br />
geprägt. Sie träumen von ihrer fast<br />
mythisch gewordenen Heimat, können aber<br />
weder aus ihrem "Ghetto" fliehen noch sich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e noch sehr "deutsch"-normative, immer<br />
islamfe<strong>in</strong>dlichere Mehrheitsgesellschaft <strong>in</strong>teg-<br />
rieren, denn ihren Familien fehlen die grundsätzlichen<br />
Zugangsmittel (u. a. F<strong>in</strong>anzen, Bildung,<br />
Sprachfähigkeiten). Sie eignen sich also<br />
Zeichen ihres Außenseiterstatus an und f<strong>in</strong>den<br />
sich damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em endlosen Kampf mit ihren<br />
lokalen Fe<strong>in</strong>den (Jugendbande, deutsche Lehrer)<br />
und globalen Unterdrückern („Juden“,<br />
Bush-Regierung) wieder. Diese Strategie führt<br />
aber nur dazu, dass sie sich selbst opfern, <strong>in</strong>dem<br />
sie als "Täter" auf der Suche nach "Respekt"<br />
s<strong>in</strong>d, der wiederum nur mittels symbolischer<br />
und körperlicher Gewalt e<strong>in</strong>zufordern ist. Obwohl<br />
ihre fantasievolle Inszenierung verschiedener<br />
gesellschaftlicher Rollen ihnen theoretisch<br />
die Möglichkeit anbieten könnte, aus ihrem<br />
"Ghetto"-Selbstbild herauszukommen,<br />
werden Rollen immer auf e<strong>in</strong>e dualistische Opfer-Täter-Spannung<br />
reduziert. Dieser Konflikt<br />
kann nur gelöst werden, wenn die Jugendlichen,<br />
was viel zu selten der Fall ist, verstehen, dass<br />
die Kategorien Opfer und Täter, Deutsche und<br />
Ausländer, Muslim und Jude <strong>in</strong> der Realität <strong>in</strong><br />
sich komplexe und gleichwertige Menschen<br />
benennen, mit denen sie täglich zu tun haben.<br />
E<strong>in</strong> paar Monate nach ihrem Streit mit Sev<strong>in</strong>ç<br />
sitzt Julia im Unterricht und hört, wie e<strong>in</strong> arabisch-stämmiger<br />
Mitschüler sie auf Arabisch<br />
e<strong>in</strong>e "Schlampe" nennt. Diesen und andere<br />
Ausdrücke hat sie <strong>in</strong>zwischen gelernt. "B<strong>in</strong> ich<br />
nicht!", antwortet sie ihm. Beide werden rot.<br />
Sie muss sich so ähnlich gefühlt haben wie ich,<br />
als mich me<strong>in</strong>e Rapper zum dritten mal "Judenschwe<strong>in</strong>"<br />
und "Hund" nannten, ohne von me<strong>in</strong>er<br />
jüdischen Herkunft zu wissen. "Jude b<strong>in</strong><br />
ich!", sagte ich, "Hund nicht." Und im Aussprechen<br />
me<strong>in</strong>er bisher unterdrückten Identität<br />
empfand ich e<strong>in</strong>e gewisse Befreiung von der<br />
Angst, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er eigenen Vielfältigkeit nicht<br />
akzeptiert zu werden. Ich wünschte, ich hätte<br />
ihre entsetzte Reaktion festhalten können. "Ich<br />
habe nicht gegen alle Juden was", beteuerten<br />
beide sofort. "Nächste Woche sollst du e<strong>in</strong>en<br />
Rap für die Juden schreiben!" Sie verabschiedeten<br />
sich. Und g<strong>in</strong>gen ruhig zurück <strong>in</strong>s Ghetto.<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 29