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Nummer 149 - Nordfriisk Instituut

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Inhalt<br />

Kommentar<br />

Werner Junge: Raus aus der Kreisklasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

Chronik<br />

Zweiter Biike-Empfang / Sondermarke für den Friesenrat . . . . 3<br />

Hans-Momsen-Haus steht zum Verkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Friesisch an den Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Nordfriesland hat gewählt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Lob und Kritik aus Florenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

Zwangsarbeitende in Nordfriesland 1939 bis 1945 . . . . . . . . . . . 6<br />

Sprachenfreundlich: Helgoland und Amt Treene . . . . . . . . . . . . 7<br />

Üt da friiske feriine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

Nordfriesland im Winter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

Dietrich Werner: Christian Jensens Breklumer Mission<br />

Erinnerungen – Stationen – Denkanstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Manfred Wedemeyer: Erdlebenbilder<br />

Zur Gedächtnisausstellung für Dieter Röttger in Westerland . . 20<br />

Thomas Steensen:<br />

Zwischen „Friesenklausel“ und europäischer Anerkennung<br />

Einige Bemerkungen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums<br />

der Bonn-Kopenhagener Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Ferteel iinjsen!<br />

Ellin Nickelsen: Feerientidj . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Bücher<br />

Historischer Atlas Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

Eine märchenhafte Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

Literatur im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

Suustern, Luustern, Smuustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

Meer – Insel – Schiff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Tod in der Marsch / Blutspur nach Sylt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Reaktionen<br />

Sylt 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Titelbild: Missionsgründer Christian Jensen im Kreise seiner<br />

Familie. Foto: Sammlung Breklumer Mission<br />

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 4. März 2005<br />

<strong>Nummer</strong> <strong>149</strong><br />

von NORDFRIESLAND<br />

ist eine Umfrage an die<br />

Leserschaft beigeheftet. Wir<br />

wollen gerne Möglichkeiten<br />

erkunden, unsere Arbeit zu<br />

verbessern, möchten Ihre<br />

Impulse aufnehmen, Ihren<br />

Wünschen und Vorstellungen<br />

entgegenkommen.<br />

Lassen Sie uns bitte wissen,<br />

was Ihnen an NORDFRIES-<br />

LAND und an der Arbeit des<br />

<strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> gefällt<br />

und was anders gestaltet<br />

werden könnte oder sollte.<br />

Zugleich erinnert NORD-<br />

FRIESLAND an zwei ganz<br />

unterschiedliche „Missionare“,<br />

nämlich den<br />

glaubensstarken Christen<br />

Christian Jensen und den<br />

identitätsstarken Menschen<br />

Tams Jörgensen aus dem<br />

dänisch-deutsch-friesischen<br />

Grenzland. Beide traten<br />

konsequent für ihre Überzeugungen<br />

ein. Beider Arbeit<br />

wirkt in unterschiedlicher<br />

Weise bis heute nach.<br />

Zu seinem 40-jährigen<br />

Bestehen richtet das<br />

<strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> einen<br />

Tams-Jörgensen-Fonds ein.<br />

Auch darüber informiert der<br />

Beihefter.


kommentar<br />

Raus aus der<br />

Kreisklasse<br />

25 Jahre sind eine lange Zeit.<br />

Es ist schön, nach Hause zu<br />

kommen. Die Heimat wird neu<br />

entdeckt. Was ist wie früher?<br />

Was ist neu? Vieles ist geblieben,<br />

wie es „immer schon“ war. Und<br />

das ist schön. Erfreulicher ist<br />

jedoch gerade das, was sich in<br />

den kleinen Dörfern getan hat.<br />

Zwar säumen immer weniger<br />

Bauernhöfe die Ortsdurchfahrten,<br />

doch es ist Neues eingezogen:<br />

Läden, Handwerksbetriebe,<br />

Angebote für den Fremdenverkehr<br />

– die Dörfer leben. Das<br />

zerstreut Ängste, die einen während<br />

der langen Zeit „draußen“<br />

doch begleitet haben.<br />

A<br />

lles wird also gut, hofft<br />

der Heimkehrer. Schon<br />

im fernen Kiel konnte er<br />

registrieren: Züge rattern wieder<br />

über die Nebenstrecken, die<br />

Diskussion um die Ländlichen<br />

H<br />

Ä<br />

Ä<br />

G<br />

A<br />

R<br />

Dåt as min<br />

schilerai foon en<br />

üülj änglisch borj.<br />

Struktur-Entwicklungsanalysen<br />

hat einiges bewegt und die Arbeit<br />

der Friesen schwimmt auf<br />

einer Woge des hochoffiziellen<br />

Wohlwollens. Davon kann man<br />

sich leider nichts kaufen. Doch<br />

ist das kein Einzelschicksal:<br />

Der Rotstift regiert überall.<br />

I<br />

ngwer Nommensen hat an<br />

dieser Stelle in der<br />

letztenAusgabe von Nordfriesland<br />

das „Friesengesetz“ als<br />

Meilenstein hochleben lassen.<br />

Zu Recht – zumindest ist es<br />

psychologisch eine Art Durchbruch.<br />

Inhaltlich ist es aber nur<br />

ein Papier des guten Willens.<br />

Dieses so genannte Gesetz ist<br />

keines. Es schafft mit seinen<br />

Kann-, Darf- und Sollvorschriften<br />

keine Normen. Ohne die<br />

Verdienste des SSW schmälern<br />

zu wollen: Auf dem Weg zur<br />

parlamentarischen Mehrheit ist<br />

dieses Gesetz zu einem Beispiel<br />

für das politische Zwiedenken<br />

in Kiel geworden.<br />

Volksgruppe und Minderheit<br />

genießen den Schutz der<br />

Verfassung. Spätestens am<br />

29. März, wenn 50 Jahre „Bonn-<br />

Kopenhagener-Erklärungen“<br />

gefeiert werden, gibt es wieder<br />

warme Worte für den Modellfall<br />

Grenzland. Keiner wird vergessen,<br />

auch die Friesen lobend<br />

zu erwähnen. Danach kehrt<br />

wieder der Alltag ein. Wenn<br />

Lütt Frauke dann ihren Ranzen<br />

auspackt, legt sie das Deutschbuch<br />

neben das für Friesisch.<br />

Das eine hat das Land für<br />

Deer breege<br />

da waninge!<br />

Waninge<br />

måål ik ai.<br />

teures Geld von einem Schulbuchverlag<br />

gekauft, das andere<br />

„durfte“ das <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong><br />

kostenlos verteilen. Da die<br />

Schultaschen zwischen List und<br />

Lauenburg prall mit Fibeln,<br />

Büchern und Atlanten gefüllt<br />

sind, kann es an den Kosten<br />

nicht liegen, denn die Auflagen<br />

friesischer Schulbücher sind<br />

bekanntlich überschaubar.<br />

Wenn es nicht am Geld<br />

scheitert, liegt es an der Denke.<br />

„National“ ist die Volksgruppe<br />

nur, wenn Feierstunden zelebriert<br />

werden. Sind die vorbei,<br />

spielt das Ganze nur noch in<br />

Nordfriesland, ist also Kreisklasse<br />

und damit Domäne für<br />

das – ja ebenfalls verbal gern<br />

gefeierte – Ehrenamt.<br />

K<br />

reisklasse ist aber zu<br />

wenig. Erst wenn<br />

am Montag nach<br />

den Sonntagsreden auch auf<br />

Augenhöhe weitergearbeitet<br />

wird, ist es geschafft. Die Politik<br />

hat die Friesen noch nicht in die<br />

Landesliga aufsteigen lassen.<br />

Da gehören sie mindestens hin.<br />

Sonst bleiben alle Bekenntnisse<br />

in Kiel Sprechblasen. Wie leicht<br />

die platzen, ist seit dem 20. Februar<br />

zu verfolgen. Der Umgang<br />

mit dem SSW wird zeigen, wie<br />

belastbar der Modellfall ist.<br />

Werner Junge<br />

stammt aus Sankt Peter-Ording.<br />

Er war Korrespondent<br />

des NDR im Kieler Landeshaus.<br />

Vom 1. April an leitet er das<br />

NDR-Studio Flensburg.<br />

2 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Fotos: Karin Haug<br />

chronik<br />

Zweiter<br />

Biike-Empfang<br />

Der Friesenrat hatte am 27. Februar,<br />

am Sonntag nach dem<br />

Biikebrennen, zum zweiten<br />

Biike-Empfang in die Nordsee-Akademie,<br />

Leck, eingeladen.<br />

Friesenratsvorsitzender<br />

Ingwer Nommensen forderte,<br />

die Präsenz des Friesischen<br />

Heinz-Werner Arens wies in seiner<br />

Ansprache darauf hin, dass das Friesische<br />

öffentliche Foren braucht.<br />

im Fernsehen zu verbessern.<br />

Gerade dieses Medium biete<br />

sich für friesischsprachige<br />

Sendungen an, weil auch<br />

nicht-friesische Zuschauer das<br />

Geschehen per Untertitel verfolgen<br />

können. Damit war<br />

das zentrale Thema des Biike-<br />

Empfangs angesprochen. Gastredner<br />

Heinz-Werner Arens,<br />

scheidender Präsident des<br />

S c h l e s w i g - H o l s t e i n i s c h e n<br />

Landtags, wies auf die wichtige<br />

Bedeutung der Medien hin,<br />

die „mitentscheidend<br />

für das Überleben der<br />

Minderheiten“ seien.<br />

Ingwer Nommensen<br />

dankte dem Landtagspräsidenten<br />

für seine<br />

Arbeit. Er sei ein engagierter<br />

und stets verlässlicher<br />

Partner der<br />

Friesen gewesen.<br />

Premiere hatte<br />

der Dokumentarfilm<br />

„Fiirsiien, radio, blees<br />

– Minderheitenmedien<br />

in Deutschland“, erstellt<br />

vom Medienbüro<br />

Riecken im Auftrag des<br />

Ferian för en nuurdfresk<br />

radio. Er zeigte, dass der<br />

NDR derzeit der einzige<br />

Sender mit friesischem<br />

Programm ist. Wenn es<br />

auch noch ein weiter<br />

Weg bis zur Umbenennung<br />

der Welle Nord in<br />

„Friesenwelle“ ist, wie<br />

Arens schmunzelnd<br />

anmerkte, wächst der<br />

Anteil des Friesischen<br />

kontinuierlich, unter<br />

anderem aufgrund<br />

der Ausbildung junger<br />

Menschen zu Radio-<br />

Journalisten.<br />

Der NDR hat beim<br />

Erzählwettbewerb<br />

„Ferteel iinjsen“, der bereits<br />

dreimal in Kooperation mit<br />

dem <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> und<br />

den Sparkassen Nordfrieslands<br />

veranstaltet wurde, gezeigt, wie<br />

in innovativer Weise mit der<br />

und für die friesische Sprache<br />

gearbeitet werden kann. Eine<br />

CD mit den Beiträgen wird<br />

noch in diesem Jahr veröffentlicht<br />

werden. Darüber hinaus<br />

läuft seit 1989 einmal die Woche<br />

– allerdings nur drei Minuten<br />

lang – „Frasch for enarken“,<br />

ergänzt durch Hörarchiv und<br />

Sprachkurs im Internet. Damit<br />

erreicht der NDR-Hörfunk auch<br />

viele Friesen, die nicht im Sendegebiet<br />

wohnen.<br />

Alles das konnte man noch<br />

am selben Tag erfahren, denn<br />

der NDR berichtete im „Schleswig-Holstein-Magazin“<br />

und<br />

auf der „Welle Nord“ über den<br />

Biike-Empfang. Damit wurde<br />

der eigentliche Zweck der Veranstaltung<br />

erfüllt, wie Ingwer<br />

Nommensen sagte, nämlich,<br />

dass mehr Leute erfahren, „was<br />

der Friesenrat macht“ und wie<br />

es um das Friesische steht. tb<br />

Das Dragseth Duo (Kalle Johannsen und Manuel<br />

Knortz) sorgte gemeinsam mit der Gruppe<br />

„Drones + Bellows“ aus Dänemark für den musikalischen<br />

Rahmen.<br />

Sondermarke für<br />

den Friesenrat<br />

Der Bundesfinanzminister<br />

hat einer Empfehlung des<br />

„Programmbeirates für Postwertzeichen“<br />

zugestimmt, zum<br />

2006 anstehenden 50-jährigen<br />

Jubiläum des Interfriesischen<br />

Rates eine Sonderbriefmarke<br />

erscheinen zu lassen. Diese<br />

Mitteilung kam Anfang 2005<br />

vom „Friesischen Forum e.V.“,<br />

das sich in Ostfriesland für das<br />

Friesische einsetzt. Das Forum<br />

hatte einen entsprechenden<br />

Antrag gestellt und bat nun die<br />

West- und Nordfriesen um Hilfe<br />

bei der Motivsuche.<br />

1956 war der damalige Friesenrat,<br />

anknüpfend an ältere<br />

Traditionen, als Forum der<br />

grenzüberschreitenden friesischen<br />

Kooperation neu gegründet<br />

worden. Im kommenden<br />

Jubiläumsjahr wird der Rat turnusgemäß<br />

nach Nordfriesland<br />

zum Friesenkongress einladen.<br />

Bis dahin wird voraussichtlich<br />

die neue Marke vorliegen. Red.<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 3


Hans-Momsen-Haus steht zum Verkauf<br />

Auf der Fahretofter Gabrielswarft,<br />

gegenüber der Kirche<br />

steht das Haus, in dem der<br />

berühmte Friese Hans Momsen<br />

von seiner Kleinkinderzeit<br />

an bis zu seinem Tode am<br />

13. September 1811 gelebt und<br />

gewirkt hat. Er war Lehrer, Mathematiker,<br />

Mechaniker und<br />

Landmesser. Der Sternenhimmel<br />

beschäftigte ihn besonders.<br />

Er war Autodidakt, aber in der<br />

Wissenschaft der damaligen<br />

Zeit eine anerkannte Persönlichkeit.<br />

Der Kreis Nordfriesland<br />

vergibt als höchste kulturelle<br />

Auszeichnung jedes Jahr<br />

den „Hans-Momsen-Preis“.<br />

Das um 1700 erbaute Hans-<br />

Momsen-Haus ist ein traditionelles<br />

Hallighaus. Von außen<br />

steht es unter Denkmalschutz.<br />

Seit 1951 kenne ich das Haus.<br />

Die damalige Besitzerin, schon<br />

älter und gehbehindert, bekam<br />

Trinkwasser im Eimer gebracht.<br />

Dabei sah ich das Haus von<br />

innen.<br />

Die Wände des Wohnzimmers<br />

waren mit Fliesen versehen.<br />

Es gab zwei Alkoven, einen<br />

im Fach zwischen Stube und<br />

Pesel und einen zur Küche hin.<br />

In der Wand zwischen Stube<br />

und Flur befand sich ein bleigefasstes<br />

Fenster. In der Türzarge<br />

zum Flur war auf beiden Seiten<br />

jeweils eine Ecke ausgesägt,<br />

damit man mit einem Sarg<br />

durchkommen konnte. In der<br />

An den Hochschulen in Schleswig-Holstein<br />

werden im Sommersemester<br />

2005 folgende<br />

Veranstaltungen zum Friesischen<br />

angeboten (Angaben<br />

ohne Gewähr):<br />

Kiel: Vorlesung: Partikeln im<br />

Friesischen (Hoekstra) 2std.<br />

Proseminare: Einführung in die<br />

nordfriesische Literatur (Hoekstra)<br />

2std. Europäische Regional-<br />

und Minderheitensprachen<br />

im Bildungswesen mit<br />

besonderer Berücksichtigung<br />

des Nord-, Ost- (Sater-) und<br />

Westfriesischen (Walker) 2std.<br />

Lexikographie einer europäischen<br />

Minderheitssprache am<br />

Beispiel des Nordfriesischen<br />

(Walker) 2std. Hauptseminar:<br />

Südergoesharder Friesisch<br />

(Hoekstra) 2std. Kolloquium für<br />

Ecke der Stube stand der Beilege-Ofen,<br />

daneben hing an der<br />

Wand eine alte Uhr. Die Küche<br />

hatte einen offenen Herd, rechter<br />

Hand in einem Anbau lag<br />

die Speisekammer, ein langer<br />

schmaler Gang mit dem Soot.<br />

Das auf das Reetdach fallende<br />

Regenwasser lief, in einer Bodenrinne<br />

aufgefangen, durch<br />

ein Rohr hinein.<br />

Maueranker am Hans-Momsen-Haus<br />

Der Fahretofter Max Lorenzen<br />

versuchte vergeblich,<br />

das Haus auf Leibrente zu erwerben,<br />

um es so zu erhalten,<br />

wie es war. Die Fliesen an der<br />

Wand, den Beileger, die alte<br />

Uhr und auch eine Chronik<br />

von Heimreich aus dem Besitz<br />

von Hans Momsen wurden verkauft.<br />

Die Alkoven kamen weg.<br />

Jeden Tag habe ich seit mehr als<br />

Friesisch an den Hochschulen<br />

Examenskandidaten (Hoekstra)<br />

2-std. Sprachkurse: Mooring I<br />

(N.N.) 1-std. Mooring für Fortgeschrittene<br />

(Walker) 2-std.<br />

Fering I (N.N.) 1-std. Fering für<br />

Fortgeschrittene (N.N.) 1std.<br />

Westfriesisch für Anfänger I<br />

(Hoekstra) 2std.<br />

Flensburg: Vorlesung „Faan<br />

trooler an föörgungen uun<br />

Nuurdfresklun“ (Århammar)<br />

1std. Übungen: Einführung in<br />

die Frisistik (Steensen) 2std.<br />

Der Kirchenkampf am Beispiel<br />

Nordfriesland – gemeinsam<br />

mit den Fächern Geschichte<br />

und Religion – (Steensen) 2std.<br />

Friesisch in Theorie und Praxis<br />

– eine Einführung (Hilpert)<br />

2std. Textproduktion „Das Hörspiel<br />

im Friesischunterricht“<br />

(Hilpert) 2std. Planung und<br />

fünf Jahrzehnten das Haus vor<br />

Augen. Jede Modernisierung<br />

machte wieder ein Stück Altes<br />

kaputt. Es machte mich krank.<br />

Nun steht das Haus zum<br />

Verkauf. Um einen Anfang zu<br />

machen, lud ich für den 11. Dezember<br />

2004 zu einer Beratung<br />

ein. Zahlreiche positive Rückmeldungen<br />

erreichten mich.<br />

Das Haus-Innere kann, so<br />

sagten Bauexperten, mit relativ<br />

geringem Aufwand wieder in<br />

einen der Tradition gemäßen<br />

Zustand versetzt werden. Die<br />

Bodenfliesen von Flur und Küche<br />

wurden abgenommen, sind<br />

aber noch vorhanden. Manche<br />

Ideen für eine mögliche Nutzung<br />

wurden vorgetragen. Von<br />

verschiedener Seite wurde zum<br />

Beispiel in Aussicht gestellt,<br />

eine Ausstellung zu Hans Momsen<br />

mit Geschenken und Leih-<br />

gaben zu unterstützen.<br />

Überlegungen und Verhand-<br />

lungen sind im Gange. Der Dagebüller<br />

Bürgermeister Hans-<br />

Jürgen Ingwersen sagte die<br />

Unterstützung der Gemeinde<br />

zu. Besondere Hoffnungen setzen<br />

wir auf eine Förderung im<br />

Rahmen der Dorferneuerung.<br />

Hans-Werner Paulsen<br />

engagiert sich in vielfältiger<br />

Weise für die Heimatpflege in<br />

Fahretoft und in ganz Nordfriesland.<br />

(Adresse: Voltswarft,<br />

25899 Foortoft/Fahretoft, NF.)<br />

Praxis des Friesischunterrichts,<br />

in Verbindung mit Praktika /<br />

Hospitationen (Hilpert) 2std.<br />

Lieder und Gedichte im Friesischunterricht<br />

(Hilpert) 2std.<br />

Übungen zur Idiomatik der<br />

nordfriesischen Hauptdialekte<br />

(Århammar) 1std. Übungen<br />

zur helgoländischen Sprache<br />

und Literatur (Århammar) 2std.<br />

Blockseminar: „Wie friesisch ist<br />

Risum-Lindholm?“ (Riecken).<br />

Kolloquium: Neuere Forschungen<br />

zur friesischen Sprache<br />

und Landeskunde (Steensen)<br />

2std. Sprachkurse: Frasch für<br />

Anfängerinnen und Anfänger<br />

(Hilpert) 2std. Frasch für Fortgeschrittene<br />

1 (Hilpert) 2std.<br />

Frasch für Fortgeschrittene 2<br />

(Hilpert) 2std. Fering-Öömrang<br />

(Arfsten) 2std. Red.<br />

4 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005<br />

Foto: IGB Nordfriesland


Nordfriesland<br />

hat gewählt<br />

Am 20. Februar bestimmte die<br />

Wählerschaft in Nordfriesland<br />

nicht nur mit über den Kieler<br />

Landtag, sondern wählte auch<br />

– direkt – den Landrat. Mit 67,8<br />

Prozent der Stimmen wurde<br />

Dr. Olaf Bastian als Landrat<br />

des Kreises Nordfriesland eindrucksvoll<br />

im Amt bestätigt.<br />

Seiner von der SPD und den<br />

Grünen aufgestellten Herausforderin<br />

Dr. Kirsten Lüdtke-<br />

Evers waren von Beginn an<br />

keine allzu großen Chancen<br />

eingeräumt worden. Mit 32,2<br />

Prozent errang sie – noch<br />

wenige Wochen vor der Wahl<br />

in der Region nahezu völlig<br />

unbekannt – aber doch einen<br />

Achtungserfolg.<br />

Erstmals durften auch die<br />

16-18-Jährigen den Landrat<br />

mitwählen, eine Übung in Demokratie.<br />

Die Wahlbeteiligung<br />

lag mit 65,8 Prozent um 30,6<br />

Punkte höher als bei dem 1999<br />

durchgeführten ersten direkten<br />

Urnengang für dieses Amt. Im<br />

Schlepptau der Landtagswahl<br />

gaben die meisten Wählenden<br />

ihre Stimme auch für den Verwaltungschef<br />

ab.<br />

Bei der Landtagswahl lagen<br />

die Mehrheitsverhältnisse in<br />

Nordfriesland sehr klar, im<br />

Gegensatz zum äußerst knappen,<br />

geradezu dramatischen<br />

Gesamtergebnis. Die CDU<br />

landete im Kreisgebiet bei 45,8<br />

Prozent – ein Zugewinn von<br />

7,6 Punkten – und erreichte zusammen<br />

mit der FDP eine satte<br />

Mehrheit. Die Liberalen sanken<br />

allerdings um 1,9 Punkte auf 5,6<br />

Prozent und kamen damit in<br />

Nordfriesland noch unter dem<br />

Landesdurchschnitt ins Ziel.<br />

Unions-Spitzenkandidat Peter<br />

Harry Carstensen verwies im<br />

Wahlkampf immer wieder auf<br />

seine regionalen Wurzeln in<br />

Nordfriesland.<br />

Die SPD lag mit 34,2 Prozent<br />

– 4,4 Punkte weniger als<br />

2000 – in Nordfriesland noch<br />

niedriger als im Land. Mit<br />

Husum-Eiderstedt verloren die<br />

Sozialdemokraten auch den<br />

letzten der drei nordfriesischen<br />

Wahlkreise. Dort war Ursula<br />

Sassen (CDU) aus Sankt Peter-<br />

Ording siegreich gegen Dr. Ulf<br />

v. Hielmcrone, der dem Parla-<br />

In einem „Duell“ am 10. Februar in der Husumer Kongresshalle stellten sich<br />

Landrats-Kandidatin Dr. Kirsten Lüdtke-Evers und Amtsinhaber Dr. Olaf Bastian<br />

der Öffentlichkeit. Es wurde moderiert von Prof. Dr. Thomas Steensen<br />

(links) – als Direktor des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> der politischen Neutralität besonders<br />

verpflichtet. Rechts im Bild Kreiswahlleiter Jörg Friedrich von Sobbe.<br />

ment seit 1996 angehörte und<br />

sich vor allem als Vorsitzender<br />

des Bildungsausschusses einen<br />

Namen machte. In Südtondern<br />

und in Husum-Land verteidigten<br />

die CDU-Kandidaten<br />

Heinz Maurus, Sylt, und Jürgen<br />

Feddersen, Pellworm, souverän<br />

ihre Direktmandate. Der Pellwormer<br />

Amtsvorsteher schlug<br />

dabei SPD-Sozialministerin Dr.<br />

Gitta Trauernicht.<br />

Die Grünen erhielten 3,9 Prozent<br />

und schafften somit – vielleicht<br />

eine Folge der regionalen<br />

Konflikte um den Naturschutz –<br />

nicht einmal die Fünf-Prozent-<br />

Hürde. 2000 hatten sie noch um<br />

0,9 Punkte höher gelegen.<br />

Gegenüber 2000 verlor der<br />

SSW 1,7 Punkte, blieb aber in<br />

Nordfriesland mit 6,9 Prozent<br />

dritte Kraft. Der Anteil seiner<br />

Direktkandidaten an den Erststimmen<br />

– 1 187 mehr als die<br />

entscheidenden Zweitstimmen<br />

– lag bei 8,3 Prozent. Lars Harms<br />

zog auf Platz 2 der Landesliste<br />

erneut in den Landtag ein.<br />

Die NPD, auf deren Ergebnis<br />

die Öffentlichkeit angesichts ihres<br />

jüngsten Erfolges in Sachsen<br />

besonders gespannt achtete,<br />

erreichte in Nordfriesland 1,2<br />

Prozent und lag damit deutlich<br />

unter dem Landesdurchschnitt.<br />

Der NPD-Anteil im Kreisgebiet<br />

stieg aber doch um eine halben<br />

Punkt an, und nicht weniger als<br />

1 059 Wählerinnen und Wähler<br />

gaben ihre Stimme für die<br />

Rechtsextremen ab. Die PDS<br />

sackte dagegen um fast 300<br />

Stimmen auf 0,5 Prozent ab<br />

und lag damit ebenfalls unter<br />

ihrem Landesdurchschnitt.<br />

Die friesische Insel Helgoland<br />

zeigte sich einmal mehr als „roter<br />

Felsen“. Die Insel-SPD verlor<br />

zwar ihre 2000 erzielte absolute<br />

Mehrheit, blieb aber mit<br />

47,3 Prozent vor der CDU mit<br />

31,3 Prozent – ein Plus von 3,2<br />

Punkten – stärkste Partei. Die<br />

FDP erzielte hier 8,6 Prozent,<br />

die Grünen landeten bei 5,7<br />

und der SSW bei 4,2 Prozent.<br />

Fiete Pingel<br />

Ergebnisse der Landtagswahlen 2000 und 2005 im Vergleich<br />

NF 2000 SH 2000 NF 2005 SH 2005<br />

Beteiligung 68,9 65,5 67,2 66,6<br />

SPD 38,6 43,1 34,2 38,7<br />

CDU 38,2 35,2 45,8 40,2<br />

Grüne 4,8 6,2 3,9 6,2<br />

FDP 7,5 7,6 5,6 6,6<br />

SSW 8,5 4,1 6,9 3,6<br />

NPD 0,7 1,0 1,2 1,9<br />

Sonstige 2,4 2,8 2,4 2,8<br />

NF= Nordfriesland (Gesamtergebnis der Wahlkreise Südtondern,<br />

Husum-Land und Husum-Eiderstedt); SH = Schleswig-Holstein,<br />

Angaben in Prozent der Zweitstimmen<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 5<br />

Foto: Kai Christensen


Lob und Kritik aus Florenz<br />

Die politischen und rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen, die in<br />

den letzten Jahren für die friesische<br />

Sprache in Schleswig-Holstein<br />

geschaffen wurden, können<br />

als vorbildlich gelten. Es<br />

fehlt jedoch an „substanzieller<br />

Förderung“, also an Geldmitteln.<br />

Zu diesem Ergebnis kam<br />

eine internationale wissenschaftliche<br />

Konferenz in Florenz,<br />

die von den Universitäten<br />

Florenz, Toulouse, Barcelona,<br />

London und dem Berliner Institut<br />

für Vergleichende Sozialforschung<br />

ausgerichtet wurde.<br />

Auf der Tagung ging es um<br />

„Nationalstaaten, Minderheitensprachen<br />

und ethnische<br />

Mobilisierung“ in Europa. Das<br />

Der Kreis Nordfriesland ist die<br />

erste ländliche Region in Schleswig-Holstein,<br />

für die der Einsatz<br />

von Zwangsarbeitenden während<br />

des Zweiten Weltkriegs<br />

wissenschaftlich erforscht<br />

wurde. Das Schleswiger Institut<br />

für schleswig-holsteinische<br />

Zeit- und Regionalgeschichte<br />

(IZRG) legte im Auftrag des<br />

Kreises ein Buch dazu vor. Bei<br />

einem Vortragsabend am 29.<br />

November 2004 im <strong>Nordfriisk</strong><br />

<strong>Instituut</strong> in Bredstedt wurden<br />

Ergebnisse dieser Forschungen<br />

erstmals eingehender öffentlich<br />

präsentiert. Prof. Dr. Thomas<br />

Steensen hob im voll besetzten<br />

Veranstaltungssaal hervor, dass<br />

die Auseinandersetzung mit<br />

dem Nationalsozialismus von<br />

Anfang an ein Schwerpunkt<br />

in der historischen Arbeit des<br />

Instituts bilde und dass man<br />

auch früh auf die Behandlung<br />

des Themas Zwangsarbeit gedrungen<br />

habe. Ein besonderer<br />

Dank gelte, so Steensen unter<br />

dem Beifall der Versammlung,<br />

der Sparkassen-Kulturstiftung<br />

Nordfriesland und dem Vermächtnis<br />

Johan van Wouwer<br />

für ihre großzügige Unterstützung<br />

der Forschungsarbeiten<br />

des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> für<br />

dieses Vorhaben.<br />

IZRG-Direktor Prof. Dr.<br />

Michael Ruck gab einen<br />

Überblick über die Gesamtergebnisse<br />

des Projekts. Lebens-<br />

und Arbeitsumstände der in<br />

Nordfriesland eingesetzten<br />

Berliner Institut hatte eine<br />

von mehreren Fallstudien den<br />

Nordfriesen gewidmet. Die<br />

Ergebnisse wurden in Florenz<br />

erstmals vorgetragen.<br />

Als sehr positiv herausgestellt<br />

wurden zum Beispiel das<br />

Landtagsgremium für friesische<br />

Angelegenheiten und das Amt<br />

der Minderheitenbeauftragten,<br />

ebenso die Aufnahme der<br />

Nordfriesen und ihrer Sprache<br />

in die Landesverfassung und<br />

die Europäische Sprachen-<br />

Charta.<br />

Im Vergleich mit vielen anderen<br />

Minderheiten in Europa<br />

fehle es aber an wirksamer materieller<br />

Untermauerung. Die<br />

Förderung der nordfriesischen<br />

Zwangsarbeitenden variierten<br />

zwischen relativ erträglicher<br />

Einzel-Unterbringung auf<br />

Bauernhöfen und wechselnden<br />

Arbeitseinsätzen von<br />

Barackenlagern aus bis hin zu<br />

menschenunwürdiger Quälerei<br />

im Broweglager oder in den KZ-<br />

Außenlagern in Schwesing und<br />

Ladelund. Weitere behandelte<br />

Aspekte waren etwa die verbotenen<br />

Beziehungen zwischen<br />

Deutschen und Zwangsarbeitenden<br />

und der Umgang mit<br />

den hier geborenen Kindern<br />

von Zwangsarbeiterinnen.<br />

Aussagen von Zeitzeugen<br />

liefern – sofern sie mit quellenkritisch<br />

gewonnenen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen<br />

abgeglichen werden – wesentliche<br />

Beiträge zur Geschichte<br />

der Zwangsarbeitenden. Über<br />

Sprache drohe sonst bei „Rhetorik“<br />

und „Symbolik“ stehen<br />

zu bleiben, lautete das Fazit des<br />

Berliner Instituts.<br />

Als Experten hatten die Veranstalter<br />

Thomas Steensen<br />

vom <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> eingeladen.<br />

In seinem Referat in der<br />

Tagungsstätte „Convitto della<br />

Calza“ schilderte er historische<br />

Grundzüge der friesischen<br />

Bewegung und Faktoren friesischer<br />

Identität, von denen<br />

er die Sprache als bei weitem<br />

wichtigsten herausstellte. Die<br />

in den letzten Jahren beschlossenen<br />

Gesetzeswerke hätten<br />

den Status des Friesischen<br />

deutlich angehoben.<br />

Red.<br />

Zwangsarbeitende in Nordfriesland 1939 bis 1945<br />

die Methodik und die korrekte<br />

Einordnung von individueller<br />

Erinnerung berichtete die Historikerin<br />

Eva Nowottny.<br />

Der Überlieferung nach<br />

war die von der britischen Besatzungsmacht<br />

im Mai 1945<br />

zur Unterbringung befreiter<br />

Zwangsarbeiter durchgeführte<br />

Räumung der Dörfer Ahrenviöl<br />

und Högel eine Strafaktion für<br />

die Hinrichtung des polnischen<br />

Zwangsarbeiters Jan Kasprzak<br />

1944 und für eine angeblich<br />

besonders starke NS-Prägung<br />

der Orte. Dies lässt sich aus<br />

den Quellen nicht belegen. Zu<br />

diesem Ergebnis kam Dr. Jens<br />

Owe Petersen, Projektmitarbeiter<br />

des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong>,<br />

in seinem Vortrag. Die Auswahl<br />

der Dörfer folgte vielmehr praktischen<br />

Erfordernissen. Red.<br />

Von links: Dr. Jens Owe Petersen, Prof. Dr. Michael Ruck, Dr. Konrad Grunsky<br />

(Kulturamt des Kreises Nordfriesland), Eva Nowottny, Claus-Jürgen Andresen<br />

(Sparkassen-Kulturstiftung Nordfriesland)<br />

6 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005<br />

Foto: Harry Kunz


Vergabe der Auszeichnung „Sprachenfreundliche Gemeinde“: von links Renate Schnack, Günter Fleskes, Thomas Steensen,<br />

Jens Christian, in Ostenfelder Tracht Antje Zietz und Christa Rohde, Helmut Wree und Frank Botter<br />

Sprachenfreundlich: Helgoland und Amt Treene<br />

Im Rahmen eines flotten vielsprachigen<br />

Programms im voll<br />

besetzten Versammlungssaal<br />

des Bredstedter <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong><br />

erhielten am 3. Februar<br />

2005 die Insel Helgoland und<br />

das Amt Treene die Auszeichnung<br />

„Sprachenfreundliche<br />

Gemeinde“. Der Wettbewerb<br />

war zum dritten Mal ausgetragen<br />

worden.<br />

Der Aktionsausschuss „Sprachenland<br />

Nordfriesland“, der<br />

mit der von ihm verliehenen<br />

Auszeichnung die Präsenz<br />

der Regional-Sprachen in der<br />

Öffentlichkeit stärken möchte,<br />

freut sich besonders darüber,<br />

dass die Idee auch in den Bundesländern<br />

Brandenburg und<br />

Sachsen aufgegriffen wurde,<br />

nämlich für die sorbische Sprache.<br />

Das hob Institutsdirektor<br />

Thomas Steensen in seiner Begrüßung<br />

hervor. Er dankte dem<br />

Gemeindetag Nordfriesland für<br />

die gute Zusammenarbeit bei<br />

dem Wettbewerb und erinnerte<br />

an die nachhaltig wirksame Anschubfinanzierung<br />

der Aktion<br />

„Sprachenland Nordfriesland“<br />

durch die Nord-Ostsee Sparkasse<br />

und die Spar- und Leihkasse<br />

zu Bredstedt AG.<br />

Mit der sprachlichen Vielfalt<br />

der Region Nordfriesland verfügt<br />

das Land Schleswig-Holstein<br />

über ein Alleinstellungsmerkmal,<br />

dessen Wert man<br />

auch in Kiel zu schätzen weiß,<br />

so Renate Schnack, Minderheitenbeauftragte<br />

der Ministerpräsidentin,<br />

in ihrem Grußwort.<br />

Das Land investiere in die<br />

Pflege und Förderung der regionalen<br />

Kultur, die aber ohne den<br />

großen dankenswerten Einsatz<br />

der Menschen für ihre eigenen<br />

Sprachen undenkbar wäre. Die<br />

regionalen Sprachen gehören<br />

zum Zusammenleben in den<br />

Dörfern, das betonte Helmut<br />

Wree, Kreispräsident des Kreises<br />

Nordfriesland. Bei allen<br />

Erfordernissen einer Effizienzsteigerung<br />

in der Verwaltung<br />

müsse doch die Dorfgemeinschaft<br />

als Kern der Identität<br />

erhalten bleiben.<br />

Die Auszeichnung für die<br />

Insel Helgoland übergaben Marie<br />

Tångeberg und Hans Otto<br />

Meier, Vorsitzender des Nordfriesischen<br />

Vereins, gemeinsam<br />

an Inselbürgermeister Frank<br />

Botter. In ihrer Laudatio hoben<br />

sie die große Bereitschaft von<br />

Verwaltung und Bevölkerung<br />

der Insel hervor, dem Halunder<br />

wo immer möglich Geltung zu<br />

verschaffen. In seiner Antwort<br />

erwähnte Frank Botter unter<br />

anderem den langjährigen<br />

Einsatz von Ritva und Prof. Nils<br />

Århammar für das Halunder.<br />

Amtsvorsteher Jens Christian<br />

nahm aus der Hand von Günter<br />

Fleskes vom Plattdüütsch<br />

Zentrum in Leck die aus einem<br />

Banner und einer Plakette<br />

bestehende Auszeichnung für<br />

das Amt Treene entgegen. Das<br />

Plattdeutsche sei hier überall<br />

präsent, die meisten Sitzungen<br />

der Gremien liefen zwei-<br />

Ged för‘t hood<br />

Musik an fresk<br />

sprachig ab, viele aber auch<br />

einsprachig auf Platt, so Jens<br />

Christian in seiner Dankrede.<br />

Für den Rahmen der Bredstedter<br />

Veranstaltung sorgten<br />

die Schülerin Jelina Jakobsen<br />

mit einem friesischen Gedicht<br />

von Albrecht Johannsen, die<br />

Sängerin Lone Krogh mit Liedern<br />

auf Dänisch und auf Synnejysk<br />

sowie die Schülergruppe<br />

„De Quietschvergnögten“, die<br />

unter Leitung der Lehrerin Susanne<br />

Dircks einen plattdeutschen<br />

Sketch aufführten.<br />

Die Versammlung sang das<br />

bekannte Lied „Wo de Nordseewellen<br />

trecken an de Strand“,<br />

und zwar auf Plattdeutsch,<br />

auf Bökingharder Frasch, auf<br />

Dänisch oder auf Halunder,<br />

jeweils in der Sprache, die einer<br />

bzw. einem jeden am nächsten<br />

lag.<br />

Günter Fleskes zog eine<br />

positive Bilanz. Auch für viele<br />

Gemeinden, die noch nicht<br />

mit dem offiziellen Prädikat<br />

der Sprachenfreundlichkeit<br />

versehen seien, bilde eine Bewerbung<br />

einen wesentlichen<br />

Impuls, sich mit der Stellung<br />

der regionalen Sprachen in der<br />

kommunalen Öffentlichkeit zu<br />

befassen. Auch in Zukunft werde<br />

man nach sprachenfreundlichen<br />

Gemeinden suchen. Red.<br />

Wan’m ual wurt, kön’m at praien faan a mensken ei muar<br />

gud uf. Ik hiar lefst bluat noch musik – an fresk.<br />

Jakob Tholund<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 7<br />

Foto: Uta Knizia


Üt da friiske<br />

feriine<br />

Umfrage zu<br />

friesischen Traditionen<br />

Der Nordfriesische Verein hat<br />

einen Fragebogen entwickelt,<br />

mit dem Erkenntnisse über friesische<br />

Traditionen gesammelt<br />

werden sollen. Was ist „friesisch“?<br />

Was versteht man unter<br />

„friesischer Kultur“? Welche<br />

Traditionen sind noch präsent,<br />

welche verloren gegangen? So<br />

formuliert Vorsitzender Hans<br />

Otto Meier die Fragestellung.<br />

Erschöpft sich die Antwort in<br />

den gängigen Klischees, und ist<br />

beispielsweise friesische Baukultur<br />

nur noch in historischen<br />

Häusern sichtbar? So fragt er<br />

weiter. Sind die mit der friesischen<br />

Lebensweise verbundenen<br />

Sitten und Gebräuche<br />

der modernen Zeit zum Opfer<br />

gefallen, oder sind sie lediglich<br />

verschüttet und blühen im Verborgenen?<br />

Der Verein sucht mit seiner<br />

Aktion Menschen, die friesische<br />

Traditionen heute lebendig<br />

erleben, und Zeugen, die über<br />

vergangene Zeiten entsprechend<br />

Auskunft geben können.<br />

In dem Fragebogen sollen<br />

Vorgehensweisen und Abläufe<br />

angegeben werden, die als spezifisch<br />

friesisch gelten können<br />

und zum Tragen kommen bei<br />

folgenden Anlässen: Geburt,<br />

Kindtaufe, Konfirmation, Hochzeit,<br />

Todesfall und Beerdigung,<br />

bei allgemeinen Ereignissen<br />

wie Biikebrennen, Boßeln und<br />

Ringreiten, bei Vereinsfesten,<br />

Kirchgang, religiösen Feiern<br />

und Andachten im Haus, bei<br />

Schulveranstaltungen und<br />

Hausbau, in Gemeinde und<br />

Justiz, bei nachbarschaftlichen<br />

Zusammenkünften, bei Spielen<br />

von Kindern und Erwach-<br />

senen, bei Essen und Trinken<br />

allgemein sowie im Bereich<br />

von Hilfe und Vorsorge. Der<br />

Fragebogen kann angefordert<br />

werden bei der Geschäftsstelle<br />

des Nordfriesischen Vereins im<br />

Andersen-Haus, Klockries 64,<br />

25920 Risum-Lindholm, Tel.:<br />

(04661) 5873.<br />

Bauerntreffen erfolgreich<br />

Zum 45. Male hatte der<br />

Friesenrat zum friesischen<br />

Bauerntreffen gebeten. Das<br />

Treffen ist eine der stetigsten<br />

gemeinsamen Aktivitäten von<br />

Ost-, West- und Nordfriesen.<br />

Über 40 Friesinnen und Friesen<br />

aus den Niederlanden und aus<br />

Niedersachsen waren der Einladung<br />

gefolgt, vom 9. bis zum<br />

12. Februar 2005 nach Nordfriesland<br />

zu kommen. Auf dem<br />

Programm stand zunächst ein<br />

Besuch im Grünen Zentrum in<br />

Bredstedt, wo die Gäste von den<br />

nordfriesischen Organisatoren<br />

Helene Gravert, Hans Werner<br />

Paulsen und Karl-Friedrich<br />

Thormählen begrüßt wurden.<br />

Bei einem Besuch auf Sylt<br />

erkundete man der Norden der<br />

Insel im Bus. Präsentiert wurde<br />

die Sylter Austernzucht bei List.<br />

In Keitum informierte man sich<br />

über die Söl‘ring Foriining und<br />

ihre Arbeit und besichtigte das<br />

Friesenmuseum. Klaus Erichsen<br />

vom landwirtschaftlichen<br />

Hauptverein Tingleff hielt<br />

einen Vortrag über „Dänische<br />

Landwirtschaft nach der<br />

Agrarreform“. In Lütjenholm<br />

wurde der Milchviehbetrieb<br />

von Ingwer Martin Carstensen<br />

besucht.<br />

Die Geselligkeit kam nicht zu<br />

kurz, in der Bohmstedter Gaststätte<br />

Paulsen traf man sich zu<br />

einem Abschiedsabend. Traditionell<br />

waren die Gäste privat<br />

untergebracht. Die Landwirtschaft<br />

in den drei Frieslanden<br />

sieht sich jeweils ähnlichen<br />

Herausforderungen gegenüber.<br />

An gemeinsamem Gesprächsstoff<br />

herrschte kein Mangel.<br />

Thomas Heinsen<br />

Ehrenvorsitzender<br />

Thomas Heinsen, der nicht<br />

wieder für den Vorsitz des Ostermooringer<br />

Friesenvereins<br />

kandidierte, wurde auf der<br />

Mitgliederversammlung im<br />

Andersen-Haus am 5. Februar<br />

zum Ehrenvorsitzenden ernannt.<br />

Sein Nachfolger Hauke<br />

Friedrichsen, der als bisheriger<br />

Stellvertreter einstimmig zum<br />

neuen Vorsitzenden gewählt<br />

wurde, würdigte Heinsens<br />

jahrzehntelangen Einsatz für<br />

den Verein. 1983 hatte er dessen<br />

Leitung übernommen und<br />

ihn von unter 100 Mitgliedern<br />

auf inzwischen weit über 400<br />

geführt. Höhepunkt seines Wirkens<br />

war die Einrichtung des<br />

Andersen-Hauses. fp<br />

Zweisprachige Bahnhofsschilder<br />

Im sorbischen Sprachgebiet ist die zweisprachige Beschilderung der Bahnhöfe<br />

eine Selbstverständlichkeit, darauf hatte Nordfriesland in <strong>Nummer</strong> 137 im März<br />

2002 hingewiesen. Auf Anregung der Friisk Foriining hat der Frasche Rädj nun<br />

ein Projekt in Gang gesetzt, alle Bahnhöfe zwischen Husum und Westerland mit<br />

zweisprachigen deutsch-friesischen Tafeln zu versehen. Die Deutsche Bahn<br />

zeigte sich zugänglich, es galt lediglich, ihr die Kosten von der Hand zu halten.<br />

Der Anfang wurde in Niebüll gemacht.<br />

8 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005<br />

Foto: Manfred Nissen


NORDFRIESLAND<br />

IM WINTER<br />

2. 12. 2004 - 4. 3. 2005<br />

n Fundsachen vom Strand<br />

dürfen nicht einfach behalten<br />

werden, teilte Jürgen Jungclaus,<br />

Vorsitzender des Amtsausschusses<br />

von Amrum, Ende November<br />

seinen Kolleginnen und<br />

Kollegen mit. Das Strandgut<br />

müsse dem Ordnungsamt als<br />

Fundsache gemeldet werden,<br />

sonst gelte der Straftatbestand<br />

der Unterschlagung. Anlass für<br />

die Aufklärung waren größere<br />

Mengen angespülten Holzes<br />

am Kniepsand. Hinzu kommt,<br />

so der hauptberufliche Zollbeamte<br />

weiter, dass für über See<br />

nach Amrum gelangtes Holz<br />

noch Zoll gezahlt werden muss,<br />

man sich also obendrein der<br />

Steuerhinterziehung schuldig<br />

machen kann. Meldet niemand<br />

Ansprüche an, geht das Strandgut<br />

nach einem halben Jahr in<br />

den Besitz des Finders über.<br />

n „Dat Water löppt ut de<br />

Wand“, freuten sich vor 40 Jahren<br />

die Menschen auf Pellworm<br />

und zapften ihr Trinkwasser<br />

fortan aus der Leitung. In enger<br />

Zusammenarbeit von Land,<br />

Kreis und Gemeinde sowie<br />

Marschenbauamt (heute Amt<br />

für ländliche Räume) und Wasserverband<br />

Nord wurde von<br />

Sommer bis Dezember 1964<br />

zwischen der Hamburger Hallig<br />

und Pellworm eine rund zehn<br />

Kilometer lange Wasserleitung<br />

durch das Watt verlegt. Die<br />

finanziellen Grundlagen bot<br />

das Programm Nord. Die Anbindung<br />

an das Festlandsnetz,<br />

inzwischen durch eine Leitung<br />

über die Hallig Nordstrandischmoor,<br />

verbesserte nicht nur die<br />

Lebensqualität der Insulaner.<br />

Auch Tourismus und Viehwirtschaft<br />

entwickelten sich durch<br />

die geregelte Wasserversorgung<br />

positiv.<br />

n Am 30. Dezember trat der<br />

Husumer Kirchenmusik-Direktor<br />

Jens Weigelt in den<br />

Ruhestand. Der gebürtige<br />

Hamburger kam 1970 zur Sankt<br />

Marien-Kirche nach Husum. In<br />

dreieinhalb Jahrzehnten trug er<br />

wesentlich dazu bei, die Haupt-<br />

kirche der Kreisstadt zu einer<br />

kulturell gefragten Adresse zu<br />

machen. Sommerkonzerte,<br />

Stadtkantorei und „collegium<br />

musicum“ sind heute weithin<br />

bekannte Einrichtungen und<br />

Veranstaltungen, die auf Initiative<br />

Weigelts aus der Taufe<br />

gehoben wurden. Zu den Höhepunkten<br />

seines Wirkens an<br />

St. Marien gehörten die Aufführungen<br />

von Werken Bachs und<br />

Händels sowie die des „Polnischen<br />

Requiems“ unter Leitung<br />

des Komponisten Krzysztof<br />

Penderecki.<br />

n Mit Dr. Claus Marten Brodersen<br />

übernahm am 1. Januar<br />

ein Nordfriese aus Risum-Lindholm<br />

das Amt des Geschäftsführers<br />

bei der Deutschen<br />

Landwirtschaftsgesellschaft<br />

(DLG) in Frankfurt am Main.<br />

Die DLG versteht sich als eine<br />

politisch und wirtschaftlich<br />

unabhängige Selbsthilfe-Organisation,<br />

bei der Wissenschaft,<br />

Beratung und Praxis zum<br />

Nutzen der Landwirtschaft<br />

zusammenfließen. Der 1966 in<br />

Niebüll geborene Agrar-Ökonom<br />

war bereits Mitarbeiter<br />

am Institut für landwirtschaftliche<br />

Betriebslehre an der Universität<br />

Gießen und seit 2001<br />

Geschäftsführer der Agrovision<br />

GmbH im Nordfriesischen<br />

Innovations-Center (NIC) in<br />

Niebüll. Als Spross einer bäuerlichen<br />

Familie im Herrenkoog<br />

hatte er zusammen mit<br />

Freunden 1991 den „Stäljmun“,<br />

den Herrenkoog-Triathlon, ins<br />

Leben gerufen.<br />

n In Anwesenheit vieler Ehrengäste,<br />

darunter Landessozialministerin<br />

Dr. Gitta Trauernicht,<br />

Kreispräsident Helmut<br />

Wree, Amtsvorsteher Hans-Jes<br />

Hansen vom Amt Viöl und<br />

Propst-Stellvertreter Matthias<br />

Krüger, wurde am 6. Januar<br />

in Haselund die landesweit<br />

erste „Betreute Wohnanlage“<br />

für Senioren eingeweiht. Jan<br />

Thormählen, Bürgermeister<br />

der Gemeinde, lobte den „von<br />

Praktikern geplanten“ Bau.<br />

„Jeder, der hier einzieht, kann<br />

gewiss sein, dass er seine Wohnung<br />

nicht wegen Krankheit<br />

verlassen muss“, so der Chef<br />

des ambulanten Pflegedienstes,<br />

Johannes Carstensen. Jeder<br />

Heimbewohner bestimme<br />

selbst die Art der Hilfe, die er in<br />

Anspruch nehme.<br />

n Kegelrobben-Babys fühlen<br />

sich am Strand bei Wittdün auf<br />

Amrum offensichtlich wohl.<br />

Bereits mit dem Sturm zum<br />

Jahresbeginn hatte ein Jungtier<br />

am Fähranleger Schutz gesucht<br />

und sich dort bis zum 9. Januar<br />

aufgehalten. Seinen Platz nahm<br />

anschließend eine andere<br />

Jungrobbe ein. Mitarbeiter der<br />

Schutzstation Wattenmeer<br />

sowie des Öömrang Ferian<br />

hatten in diesen Tagen weniger<br />

Probleme mit den Tieren, die<br />

gut genährt waren und sich<br />

erwartungsgemäß im Fellwechsel<br />

befanden, als mit unzähligen<br />

Besuchern, die oft wenig<br />

Verständnis für die Situation<br />

aufbrachten. So musste immer<br />

wieder erklärt werden, warum<br />

die jungen Kegelrobben durchaus<br />

keiner menschlichen Hilfe<br />

bedurften und warum Mensch<br />

und Hund gewisse Mindestabstände<br />

einzuhalten hatten.<br />

n Auf 70 Jahre erfolgreiche<br />

Bühnenarbeit kann die „Husumer<br />

Speeldeel“ zurückblicken.<br />

1935 übernahm das plattdeutsche<br />

Theater die Nachfolge der<br />

„Fidelen Geister“ mit geradezu<br />

triumphalen Aufführungen der<br />

Komödie „Sößtig Mark Kurant“.<br />

Seither wurden 126 Stücke<br />

gespielt, und etwa 150 Mitwirkende<br />

betraten die Bühne. 1947<br />

tauchte auf den Programmzetteln<br />

erstmals der Zusatz<br />

„Mitglied des niederdeutschen<br />

Bühnenbundes“ auf. Anfang<br />

der 1970er Jahre gingen die<br />

Besucherzahlen zwar drastisch<br />

zurück, nach relativ kurzer<br />

Zeit aber hatte sich der Verein<br />

erholt und trat wieder in der<br />

Kongresshalle und später im<br />

Theater-Neubau „Husumhus“<br />

auf. Im Jubiläumsjahr knüpfte<br />

die „Speeldeel“ mit dem Stück<br />

„En Milljonär in’t Hus“ an die<br />

alten Erfolge an.<br />

n Von sieben Preisträgern, die<br />

am 27. Januar in Kiel von Landtagspräsident<br />

Heinz-Werner<br />

Arens und Kultusministerin<br />

Ute Erdsiek-Rave das „Niederdeutsch-Siegel“<br />

erhielten,<br />

kamen drei aus Nordfriesland.<br />

Gewürdigt wurden die Kreisberufsschule<br />

in Husum, die<br />

Realschule mit Grund- und<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 9


Foto: Bahne Bahnsen<br />

Hauptschulteil in Viöl und die<br />

Niebüller Realschule. In Viöl<br />

stehen seit einigen Jahren für<br />

die 3. und 4. Klassen regelmäßige<br />

Wochenstunden in Plattdeutsch<br />

auf dem Stundenplan.<br />

Außerdem rekrutiert sich ein<br />

großer Teil der Theatergruppe<br />

„Junge Lüüd ut Löwenstedt“<br />

aus dieser Schule. Das Husumer<br />

Fachgymnasium bietet seit<br />

1993/94 Plattdeutsch-Kurse für<br />

den 13. Jahrgang an. Die Note<br />

taucht im Abitur auf. In Niebüll<br />

arbeitet die Lehrerin Malene<br />

Gottburgsen bereits seit 25 Jahren<br />

für die aktive Sprachpflege.<br />

Sie ist inzwischen fest im Schulprogramm<br />

verankert.<br />

n Am 3. Februar wurden die<br />

bewohnten Halligen Gröde,<br />

Hooge, Langeneß, Nordstrandischmoor<br />

und Oland als<br />

Entwicklungszone des „Biosphärenreservates<br />

Schleswig-<br />

Holsteinisches Wattenmeer<br />

und die Halligen“ anerkannt.<br />

Aus den Händen von Gertrud<br />

Sahler, der Leiterin des MAB-<br />

Nationalkomitees (Man and<br />

the Biosphere), nahmen die<br />

Bürgermeister die Urkunde<br />

der Unesco entgegen. Nach<br />

langjährigen Vorarbeiten versprechen<br />

sich die Halligen nun<br />

Vorteile im Natur-Tourismus,<br />

bei der Vermarktung regionaler<br />

Produkte und auch im Rennen<br />

um internationale Fördergelder.<br />

Die Halligen stünden somit<br />

auf einer Ebene mit z. B. dem<br />

Ayers Rock in Australien, der<br />

Camargue in Frankreich oder<br />

den Everglades in Florida, hob<br />

Landesumweltminister Klaus<br />

Müller hervor.<br />

n Über 40 Jahre leitete Christian<br />

Hansen als erster Vorsitzender<br />

den SSW-Ortsverein<br />

Bredstedt. Auf der Jahresversammlung<br />

am 3. Februar in<br />

der Dänischen Schule gab<br />

der 70-Jährige nun sein Amt<br />

ab. Hansen war von 1966-86<br />

Stadtvertreter in Bredstedt und<br />

leitete bis 1982 den SSW auf<br />

Kreisebene. Zwischen 1982 und<br />

1986 war er Mitglied des Kreistags,<br />

von 1974-2000 arbeitete er<br />

im Hauptausschuss der Stadt<br />

Bredstedt mit. Der Südschleswigsche<br />

Wählerverband ist<br />

die politische Vertretung des<br />

dänischen Bevölkerungsteils<br />

in Schleswig-Holstein sowie<br />

der Friisk Foriining. Von der<br />

Mitgliederzahl her (rund 4 000)<br />

ist er die drittstärkste Partei des<br />

Landes.<br />

n Der Zwang zu Sparmaßnahmen<br />

macht auch vor den<br />

christlichen Kirchen nicht halt<br />

und wird zu einschneidenden<br />

strukturellen Veränderungen<br />

in Nordfriesland führen. Dies<br />

machte der evangelische Bischof<br />

Dr. Hans-Christian Knuth<br />

am 26. Februar bei der ersten<br />

Begegnungstagung der Kirchenkreis-Synoden<br />

aus Südtondern,<br />

Husum-Bredstedt und<br />

Eiderstedt unmissverständlich<br />

klar. In einem Grundsatz-Referat<br />

skizzierte er im Christian-<br />

Jensen-Kolleg in Breklum den<br />

Boysen-Treffen im September<br />

Am 11. September 2004 trafen sich<br />

in Wenningstedt auf Sylt mehr als<br />

30 Angehörige der friesischen Familie<br />

Boysen. Bis auf den Fahretofter Thede<br />

Boysen, der erstmals 1670 bezeugt<br />

ist, kann sich die bis nach Amerika<br />

verzweigte Sippe nach bisherigem<br />

Kenntnisstand zurückführen.<br />

Das Familientreffen war das vierte<br />

seiner Art, aber sicher nicht das letzte,<br />

so Organisator Bahne Bahnsen.<br />

Weg zu einem neuen Kirchenkreis<br />

Nordfriesland. Wichtigstes<br />

Reformziel sei die Bündelung<br />

aller Kräfte, um der christlichen<br />

Botschaft neue Schubkraft<br />

zu verleihen. Der Entwurf<br />

eines neuen Kirchengesetzes<br />

solle im Herbst 2005 vorliegen.<br />

Alle Kirchenkreis-Synodalen<br />

sind eingeladen, am Gesetzgebungsverfahrenmitzuwirken.<br />

Auch das katholische<br />

Erzbistum Hamburg verkleinerte<br />

die Zahl seiner Bistums-Gemeinden<br />

um rund 50 Prozent.<br />

Ab 1. April werden in Nordfriesland<br />

die beiden Gemeinden<br />

Niebüll/Leck und Föhr/Amrum<br />

zu einer großen Einheit namens<br />

St. Gertrud zusammengefasst.<br />

n Am 19. Februar verstarb in<br />

Schleswig im Alter von 88 Jahren<br />

der Autor August Wilhelm<br />

Vahlendieck. Er war ein Bewunderer<br />

des Helgolandfotografen<br />

Franz Schensky. Als dessen<br />

Mitarbeiter bei Ausstellungen<br />

und Filmvorträgen verbrachte<br />

er längere Aufenthalte auf der<br />

Hochseeinsel. 1965 erhielt er<br />

Kenntnis von einem weißen<br />

Kliff, das einst vor der Düne<br />

lag. Durch Steinbruchbetrieb<br />

wurde die Muschelkalk-Formation<br />

im 15. bis 17. Jahrhundert<br />

abgebaut. Es ist das Verdienst<br />

Vahlendiecks, in seinem vom<br />

<strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> 1992 publizierten<br />

Buch „Das Witte Kliff<br />

von Helgoland“ den Beweis geführt<br />

zu haben, dass der Abbau<br />

keineswegs den Helgoländern<br />

zuzuschreiben ist. Harry Kunz<br />

10 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Dietrich Werner:<br />

Christian Jensens<br />

Breklumer Mission<br />

Erinnerungen – Stationen – Denkanstöße<br />

In einem Dorf in der nordfriesischen<br />

Provinz erwuchsen aus starkem Glauben<br />

Anfänge eines globalen Bewusstseins.<br />

Woher kommt und wohin geht<br />

die Breklumer Mission?<br />

Ein Verband von christlich bestimmten Familien<br />

überwiegend bäuerlicher Herkunft,<br />

bei denen sich das Leben im Haus wie in der<br />

Arbeit, am Sonntag wie im Alltag, im Nahbereich<br />

wie im fernen Horizont durch das<br />

biblische Wort bestimmen und ausrichten<br />

lässt – diese Vision spürt heute noch, wer<br />

durch die engen Dorfstraßen von Breklum<br />

geht, die kleinen Häuser wahrnimmt, die<br />

Bibelsprüche an den Wänden und den weiten<br />

hohen Himmel darüber, der immer in<br />

Bewegung ist.<br />

Die Biographie des Landpastors und Missionsgründers<br />

Christian Jensen, die Martin<br />

Pörksen einmal herausgegeben hat, trägt<br />

den Untertitel: „Von der Weite eines engen<br />

Pietisten“. Beides, Weite und Enge, hat für<br />

ihn und für das Werk, das er ins Leben rief,<br />

eine wesentliche Rolle gespielt. Beides hat<br />

Menschen ebenso angestoßen wie bisweilen<br />

auch abgestoßen: Die Weite – der Welthorizont<br />

im Verständnis von Kirche und<br />

Mission. Und die Enge, die fast starrsinnige<br />

Konzentration des Christlichen auf wenige<br />

elementare Grundwahrheiten und die radikale<br />

Entschiedenheit und Strenge eines<br />

missionarischen Lebensstils.<br />

Auch die Gebäude des Kollegs heute<br />

spiegeln beides wider, eine gewisse Strenge<br />

des Alten und die Weite des Neuen. Beides<br />

gehört – übersetzt für die Gegenwart – auch<br />

heute zusammen: die Bestimmtheit eines<br />

christlichen Profils und der weite Welthorizont<br />

eines ökumenischen, das heißt globalen<br />

Verantwortungsbewusstseins.<br />

Christian Jensen stammt von der Lütjenswarft<br />

am friesischen Außendeich bei<br />

Fahrtetoft. Dort wurde er am 20. Januar<br />

1839 geboren. Harte Jahre prägen seine<br />

Kindheit und Jugend. Zugleich werden es<br />

die beständige Auseinandersetzung mit<br />

dem Leben am Wasser sowie den Gewalten<br />

von Wetter und Natur und auch die schwere<br />

körperliche Arbeit am Deich gewesen sein,<br />

die seine innere Natur mit unbeugsamer<br />

Hartnäckigkeit, rastloser Arbeitsamkeit und<br />

geheimer Sehnsucht nach Weite ausgestattet<br />

haben. 1856 ging er aufs Gymnasium<br />

nach Schleswig und dann nach Rendsburg.<br />

Ein Jahr vor dem Abitur, 1861, unternahm er<br />

eine biografisch sehr prägende Reise nach<br />

Madeira. Zum ersten Mal lebte er außerhalb<br />

der friesisch-deutschen Umgebung,<br />

sah Frankreich, den Ozean und die dort<br />

ganz andere Pflanzenwelt. Die Reise, als<br />

Begleitaktion eines schwer lungenkranken,<br />

zugleich frommen Freundes geplant, wurde<br />

zur tiefen Lebensschule. Beten, Zuhören<br />

und Aushalten am Bett eines Sterbenden<br />

prägten nachdrücklich den späteren Seelsorger<br />

Jensen, der bei unzähligen Menschen<br />

in Krankheit, Unglück und Elend ausgehalten<br />

und um Worte der Hoffnung gerungen<br />

hat. Nach dem Theologiestudium wurde<br />

Jensen 1867 zunächst zum Pastor im eiderstedtischen<br />

Uelvesbüll gewählt, dann 1873<br />

als Pastor in Breklum eingeführt.<br />

Jensen hat sich selbst als lutherischen Pietisten<br />

verstanden. Die Bindung an die lutherische<br />

Landeskirche war ihm wichtig. Er hat<br />

keine Freikirche gegründet, auch wenn er<br />

anfänglich viel Skepsis und Zurückweisung<br />

erntete. Doch hat er sich keinesfalls abhängig<br />

gemacht von der Zustimmung landeskirchlicher<br />

Autoritäten. Die Entstehung<br />

der Breklumer Mission war wesentlich eine<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 11


Erneuerungsbewegung von unten, getragen<br />

von einem Netzwerk engagierter Einzelner<br />

und überwiegend einfacher Leute, keine<br />

bürgerliche, keine gebildete Bewegung. Jensen<br />

wollte eine lebendige Kirche, aber nicht<br />

als Selbstzweck oder machtvolle Institution,<br />

sondern als Gemeinschaft der „Reich-Gottes-Arbeit“,<br />

wie es damals hieß. Dazu gehörte<br />

sowohl die innere Mission oder kirchliche<br />

Erneuerung als auch die äußere Mission,<br />

also die Ausbreitung des Evangeliums jenseits<br />

des abendländischen Kulturkreises.<br />

„Lieber ein lebendiger Methodist als ein<br />

toter Lutheraner“ – dieser Ausspruch kennzeichnet<br />

Jensens innere Haltung, die an der<br />

persönlichen Glaubensfrömmigkeit und<br />

nicht an Konfessionalismus oder akademischem<br />

Diskurs interessiert war. Jensen war<br />

kein Wissenschaftler, erst recht kein systematischer<br />

Theologe. Die Breklumer Mission<br />

hatte keine entwickelte Missionstheologie.<br />

Er war nicht so sehr Kopf-, als vielmehr Herzensmensch.<br />

Gründerzeit<br />

Was in den nach 1873 folgenden 20 Jahren<br />

in den sich geradezu überschlagenden Neugründungen<br />

in der Breklumer Kirchenstraße<br />

geschah, kann man sicher nicht als das Werk<br />

eines einzelnen Menschen ansehen. Man<br />

kann dies nur aus der historisch einmaligen<br />

Begegnung des konservativ-charismatischen<br />

Visionärs und Einzelkämpfers Jensen<br />

mit einer aufbrechenden erwecklichen Bewegung<br />

in Nord-Schleswig und Schleswig-<br />

Holstein heraus erklären. Die Gründerperson<br />

und die Bewegung verbanden sich in<br />

Breklum folgenreich miteinander. Selbst<br />

wenn die extrem einseitige religiöse Sprache,<br />

die unduldsame Härte gegenüber aller<br />

Gottvergessenheit und allem moralischen<br />

Verfall seiner Zeit und die Schlichtheit der<br />

Urteile gegenüber der „modernen“, liberalen<br />

Theologie jener Jahre bisweilen fremd<br />

anmuten, kann uns hinter der Geschichte<br />

der Breklumer Gründungen – mit heutigen<br />

Augen interpretiert – ein erstaunlich ganzheitliches<br />

und anspruchsvolles Programm<br />

eines umfassenden Missionsverständnisses<br />

bzw. einer ökumenisch-diakonischen Kirchenvision<br />

entgegentreten. Es lohnt sich<br />

auch heute noch, sie im Ansatz zur Kenntnis<br />

zu nehmen, nicht zuletzt weil sie auf äußerst<br />

Christian Jensen.<br />

Gemälde von Hans<br />

Peter Feddersen<br />

anspruchsvolle und zugleich volksnahe Formen<br />

der christlichen Verkündigung setzte.<br />

Es lassen sich fünf Hauptmotive dieses<br />

ganzheitlichen Verständnisses von Mission<br />

bzw. einer frühen Form eines globalen<br />

Bewusstseins im christlichen Horizont klar<br />

benennen:<br />

1. Kirche existiert als Netzwerk gelebter Hoffnung<br />

und braucht deshalb besondere Orte<br />

von Einkehr, innerer Erneuerung und Gebet<br />

in globaler Verantwortung. Man kann Jensen<br />

einfältig nennen, sicher ist er vorrangig<br />

ein Pastor der einfachen Leute gewesen,<br />

zudem auch geprägt durch manche Stimmungen<br />

und Stereotype seiner Zeit. Aber<br />

man kann diesen Struktur-Konservativen<br />

und Werte-Progressiven auch so lesen, dass<br />

er einen an zentrale Dimensionen kirchlicher<br />

Erneuerung und gesellschaftlichen<br />

Aufbruchs heute erinnert. Dazu gehört, dass<br />

er ein große Hochschätzung für persönlich<br />

gelebte Spiritualität hatte. Das wichtigste<br />

Fundament kirchlicher Erneuerung war<br />

ihm das Gebet. „Er hat doch alles auf seinen<br />

Knien zusammengebetet“, sagten die Leute<br />

von ihm, die staunten, wie er für immer<br />

neue Gründungen das Geld aus privaten<br />

Spenden auftrieb. Der Betsaal, die Kirche<br />

und das Jahrestreffen war ihm wichtig als<br />

Stätte des Gebetes. Auf die Frage, was wir<br />

tun können, damit unsere Wünsche für die<br />

Zukunft der Kirche in Erfüllung gehen, hat<br />

Jensen geantwortet: „Wir können nur beten.<br />

Es wird viel zu wenig erkannt, was das Gebet<br />

wert ist. Wir meinen oft, durch Reden werde<br />

alles erreicht. Meine Teuren, die Stärke der<br />

Kirche Jesu Christi ist das Gebet. Der Herr<br />

soll alles geben. Die Kräfte kommen von<br />

oben und nicht von unten. Wenn wir nicht<br />

in der Kammer, im Verborgenen beten, so<br />

12 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


1883 wurde das<br />

Breklumer Martineum<br />

eingeweiht.<br />

haben wir keine Kraft. Der, welcher kein<br />

verborgenes Leben mit Jesus führt, ist im<br />

Kampfe für Jesum schwach und nichtig.“<br />

2. Kirche braucht moderne Kommunikation.<br />

1870 erschien das von Jensen gegründete<br />

Sontagsblatt für’s Haus, das bereits 1879<br />

mit 10 000 Exemplaren in ganz Schleswig-<br />

Holstein und weit darüber hinaus verteilt<br />

wurde. Es bringt biblische Orientierung für<br />

Menschen auf dem Lande, aber auch Nachrichten<br />

„Aus dem Reiche Gottes“ von anderen<br />

Missionsgesellschaften und aus anderen<br />

Teilen der Erde, ein beeindruckendes Zeugnis<br />

für die Orientierung am Welthorizont<br />

der christlichen Kirche, der die Grenzen der<br />

Ortsgemeinde weit übersteigt. 1874 folgte<br />

als politisches Organ die Neue Zeitung, die<br />

eine engagierte Stimme zu den politischen<br />

Vorgängen der Zeit darstellen und sich an<br />

die christliche Elite in der Gesellschaft richten<br />

wollte. 1875 wurde die eigene Breklumer<br />

Buchhandlung gegründet, die – auf privatwirtschaftlicher<br />

Basis – in den Räumen des<br />

Kollegs weiterhin besteht.<br />

3. Kirche braucht den Horizont der Völkerwelt.<br />

Dieser Grundgedanke war schon<br />

wiederholt im Sonntagsblatt aufgeklungen.<br />

Doch es war schwierig, dafür auch institutionell<br />

ausreichend Unterstützung zu finden.<br />

Lange fand sich kein geeigneter Vorstand für<br />

die geplante Gründung einer Missionsgesellschaft.<br />

Interessanterweise konkretisierte<br />

sich hier zuerst das Gebäude, danach der<br />

Verein. Ein Missionshaus sollte ursprünglich<br />

in Bredstedt gegründet werden, doch<br />

fand sich dort kein geeignetes Gebäude.<br />

Ende Februar 1876 wurde dann ein großes<br />

Bauernhaus, der ehemaligen „Lutherhof“ in<br />

der Kirchenstraße in Breklum samt einiger<br />

Ländereien für 13 200 Reichsmark erworben.<br />

Am 19. September 1876 gründeten im Breklumer<br />

Hauptpastorat 50 bis 60 „angesehene<br />

Männer aus allen Theilen des Landes“ – die<br />

Mitglieder des erweiterten Vorstands kamen<br />

unter anderem aus Altona, Bordesholm, Hadersleben,<br />

Rendsburg und Schleswig – eine<br />

der lutherischen Kirche angehörige und<br />

auf ihrem Bekenntnis stehende „Heidenmissionsanstalt“,<br />

die sich gleichzeitig der<br />

Volks- und der Weltmission widmen sollte.<br />

Neben dem „Sonntagsblatthaus“ wurde am<br />

10. April 1877 feierlich das Missionshaus geweiht<br />

und eröffnet. Mit einiger Symbolkraft<br />

wurden die ersten zwölf Zöglinge eingeladen,<br />

in das Seminar einzutreten und nach<br />

längerem Suchen fand sich ein Pastor Höber<br />

aus Eckernförde bereit, als erster Missionsinspektor<br />

beim Unterricht mitzuwirken.<br />

Von den zwölfen erwiesen sich am Ende aus<br />

der Sicht des Breklumer Vorstandes drei als<br />

geeignet zur Aussendung als Missionare. Es<br />

waren die Breklumer Indienmissionare Hermann<br />

Bothmann und Ernst Pohl sowie der<br />

Indonesien-Missionar Festersen.<br />

Das wichtigste Presseorgan der Missionsgesellschaft<br />

war das Schleswig-Holsteinische<br />

Missionsblatt, das seit 1876 als Beilage zum<br />

Sonntagsblatt und ab 1886 als selbstständige<br />

Monatszeitung erschien.<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 13


4. Kirche und Gesellschaft brauchen eine<br />

ganzheitliche Bildungsbewegung. Jensen<br />

war erschüttert von der sozialen, geistigen<br />

und geistlichen Verwahrlosung seiner<br />

Zeitgenossen, vor allem auch der jungen<br />

Generation. 1882/1883 konnte er – bezogen<br />

auf diese Zielgruppe – sein Lieblingsprojekt<br />

verwirklichen, den Aufbau des Martineums,<br />

des ersten evangelischen Privatgymnasiums<br />

in Schleswig-Holstein. Die Berufung auf den<br />

Vornamen des großen Reformators war Programm:<br />

Man wollte biblische Orientierung,<br />

gründliche Bildung und Erziehung zur freien<br />

Verantwortung des Christenmenschen<br />

miteinander verbinden. Christliche Politiker,<br />

christliche Rechtsanwälte, christlich<br />

ausgebildete Ärzte sollten heranwachsen.<br />

Fast zwölf Jahre konnte das Gymnasium<br />

erfolgreich arbeiten, dann entzog ihm die<br />

preußische Regierung die Genehmigung<br />

aus Angst davor, dass das Modell der Privatgymnasien<br />

auch für die katholische Kirche<br />

Schule machen könnte.<br />

5. Die Gesellschaft braucht Heilung. Noch im<br />

Todesjahr Christian Jensens (1900) wurde<br />

das Sanatorium eröffnet, ein Zufluchtsort<br />

für Menschen mit seelischen und sozialen<br />

Belastungen und Krankheiten. Später wurde<br />

daraus die Fachklinik für psychiatrische<br />

Erkrankungen, die bis in die Gegenwart<br />

in direkter Verbindung mit dem landeskirchlichen<br />

Missionszentrum steht. Dass<br />

christliche Verkündigung auch etwas mit<br />

Gesundheit und Heilung zu tun hat, bleibt<br />

ein wichtiges Grundmerkmal der Breklumer<br />

Mission, die später wesentliche Impulse<br />

auch für die internationale Weiterentwicklung<br />

der Ärztlichen Mission im Ökumenischen<br />

Rat der Kirchen gegeben hat.<br />

Jensens Hingabe galt in tätiger Nächstenliebe<br />

und radikaler Entschiedenheit<br />

dem einzelnen Menschen. Es heißt, er habe<br />

sich sogar um die Arbeiter, die die neue<br />

Bahnstrecke in Breklum bauten, persönlich<br />

gekümmert. Damals hier tätige polnische<br />

Gastarbeiter haben ihm das – so wird berichtet<br />

– ein Leben lang nicht vergessen. Er<br />

war bis zur Unerträglichkeit rastlos in seinem<br />

Engagement für andere.<br />

Trotz dieses starken sozialen Sinnes und<br />

Verantwortungsgefühls konnte sich Jensen<br />

mit den politischen Neuerungsbewegungen<br />

seiner Zeit nicht anfreunden. Die Neue<br />

Zeitung, die er für kurze Zeit herausgab, ist<br />

voll von Polemik gegen die beginnende „Socialdemokratie“.<br />

Für Jensen war das Christentum<br />

keine Privatangelegenheit, sondern<br />

hatte eine soziale und politische Dimension:<br />

„Ich habe keine Ruhe in meinem Gewissen<br />

angesichts der Gleichgültigkeit und Glaubenslosigkeit<br />

in unserem Volke.“<br />

Jensens Frömmigkeit ist von einer extremen<br />

Einseitigkeit gekennzeichnet, die zugleich<br />

eine radikale Freiheit bewirkte: Jesus,<br />

die Verkörperung der Liebe Gottes in dieser<br />

Welt, ist das Zentrum, dem alles zu dienen<br />

hat. „Jesus allein macht zeitlich glücklich<br />

und ewig selig.“ Ein positives Verhältnis<br />

zu anderen nichtchristlichen Religionsgemeinschaften,<br />

was uns heute als Frage<br />

beschäftigt, war mit diesen Denkvoraussetzungen<br />

nicht vorstellbar. Zum Islam und<br />

zum Judentum gibt es nur Äußerungen im<br />

Sinne der Substitutionstheorie. Das heißt, in<br />

diesen in seinen Augen falschen Religionen<br />

fand Jensen nicht einmal Spuren der Erkenntnis<br />

Gottes. Das Christentum – dessen<br />

war er gewiss – werde sie überwinden.<br />

Die Kirche darf sich nicht auf sich beschränken,<br />

davon war Jensen überzeugt. Sie<br />

hat vielmehr die Aufgabe, das Evangelium<br />

im Welthorizont, das heißt auch im Horizont<br />

unterschiedlicher Kulturen zu leben<br />

und auszubreiten. Dabei dürfe sich Mission<br />

nicht von sekundären Zwecken bestimmen<br />

lassen: „Wir wollen Mission treiben, aber<br />

nicht, um etwa fremde Länder zu erforschen,<br />

nicht um europäische Bildung und<br />

Humanität den Heiden zu bringen, nein,<br />

unser Ziel ist, die Seelen von Sünde, Tod und<br />

ewiger Verdammnis zu retten.“<br />

Verbindung zu Nordschleswig<br />

Wohl der wichtigste und auch strategisch<br />

bedeutendste Teil des Hinterlandes der<br />

Breklumer Mission waren die deutschen<br />

Gemeinden in Nordschleswig sowie die<br />

dänisch-sprachige Erweckungsbewegung<br />

in der dortigen Region. Der Name Christian<br />

Jensen hat jahrzehntelang Deutsche und<br />

14 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Dänen miteinander verbunden. Wichtige<br />

leitende Persönlichkeiten der Breklumer<br />

Mission kamen aus Nordschleswig wie<br />

etwa der aus Hadersleben gebürtige Rudolf<br />

Bahnsen und Detlef Bracker aus Apenrade.<br />

In Tingleff fand ab 1905 alljährlich ein Breklumer<br />

Missionsfest statt, das jeweils bis zu<br />

3 000 Menschen versammelte. Die Hauspostille<br />

Christian Jensens wurde wie auch<br />

verschiedene andere Missionsbücher ins<br />

Dänische übertragen. Eine stattliche Zahl<br />

der Breklumer Missionare kamen aus Nordschleswig,<br />

darunter Ole Jensen, der für ganz<br />

Ost-Jeypur zuständig war.<br />

Ohne den internationalen Breklumer<br />

Geist wäre während der schwierigen Zeit des<br />

Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges<br />

keine Brücke geschlagen worden zwischen<br />

den Deutschen in Schleswig-Holstein und<br />

den Dänen und Deutschen in Nordschleswig.<br />

Diese frühe Kooperation bildete in den<br />

Kriegsjahren, als die Mission wegen der Devisenbestimmung<br />

von ihren überseeischen<br />

Gebieten praktisch abgeschnitten war, die<br />

Basis für eine Nordschleswiger Rettungsaktion.<br />

Die Dänen übernahmen die Finanzierung<br />

für die Missionsarbeit in Indien und<br />

China. Missionsdirektor Martin Pörksen sah<br />

sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass „Breklum<br />

es in Nordschleswig mit den Dänen hält“.<br />

Wege in die Welt<br />

In den Jahren zwischen 1870 und 1890 wanderten<br />

Tausende von Deutschen aus Schleswig-Holstein<br />

und Nordfriesland aus und<br />

suchten neue Existenzmöglichkeiten in den<br />

USA und in Kanada. Es entstanden lutherische<br />

Gemeinden in zahlreichen US-Bundesstaaten.<br />

Auf einem Kirchentag in Hamburg<br />

rief 1878 der Pastor Späth aus Philadelphia<br />

in flammenden Worten dazu auf, den Eingewanderten<br />

deutsche Prediger zu senden.<br />

Christian Jensen gründete daraufhin eine<br />

Anstalt zur Ausbildung von Predigern für<br />

die Lutherische Kirche Amerikas. Johannes<br />

Paulsen rief gleichzeitig in Kropp im Mai<br />

1882 das Predigerseminar „Eben Ezer“ ins<br />

Leben. Von Breklum aus wurden die Prediger<br />

in die seit 1821 bestehende „Generalsynode<br />

der Lutherischen Kirche in Amerika“<br />

gesandt, von Kropp aus in das 1867 entstandene<br />

„Generalkonzil der Amerikanischen<br />

Lutherischen Kirche“. Von den im Laufe<br />

der Jahrzehnte insgesamt 487 im Breklumer<br />

Seminar aufgenommenen jungen Männern<br />

wurden an die 200 in Gemeinden Amerikas<br />

gesandt und versahen dort ihren Dienst<br />

als Präriepastoren, Reiseevangelisten, als<br />

Dorfpastoren in Blockhütten-Kirchen, als<br />

Stadtmissionare oder als Lehrer und Dozenten<br />

an den Seminaren von Chicago und<br />

Philadelphia.<br />

Auch nach Afrika zogen Breklumer Missionare<br />

Pastor Christian Jensen junior, Sohn des<br />

Gründers, führte nach dessen Tod im Jahre<br />

1900 die Arbeit fort. Im Mai 1919 wurde das<br />

Breklumer Predigerseminar, das während<br />

des Ersten Weltkrieges geschlossen werden<br />

musste, wieder eröffnet. Das war möglich<br />

mit einer großzügigen finanziellen Hilfe aus<br />

Amerika. In den 1920er Jahren bekamen sowohl<br />

Breklum als auch Kropp pro Jahr 4 500<br />

Dollar Unterstützung durch die amerikanischen<br />

lutherischen Kirchen. Ab 1920 gab<br />

Breklum den Kandidaten einen dreijährigen<br />

sprachlichen Vorbereitungskurs, Kropp war<br />

für den ebenfalls dreijährigen theologischen<br />

Aufbaukurs zuständig. Bis zum Jahre 1931<br />

wurden pro Jahr durchschnittlich 14 Kandi-<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 15


daten für Amerika ausgebildet. Die amerikanische<br />

Generalsynode hielt von da an eine<br />

einheimische englische Pastorenausbildung<br />

für erforderlich. Doch es waren die Breklumer,<br />

die das jährliche Missionsfest als Sitte<br />

in den Mittelwesten Amerikas brachten. Der<br />

erweckliche amerikanische Protestantismus<br />

ist davon tief geprägt.<br />

Die Breklumer Mission war keine klassische<br />

Kolonialmission. Bei der Wahl von<br />

Missionsgebieten spielte die Frage, wo es<br />

ideale koloniale Schutzmächte gab, keine<br />

Rolle. Es ging vielmehr darum, wo der Bedarf<br />

an evangelistischer Erstverkündigung<br />

am stärksten war und wo die Ärmsten und<br />

Elendsten in der Welt der Völker zu finden<br />

waren. Der im Dienst des amerikanischen<br />

Generalkonzils stehende Missionar Schmidt<br />

aus Nordschleswig machte die Breklumer<br />

aufmerksam auf das indische Königreich<br />

Bastar, das noch fast völlig unberührt war<br />

von jedweder Missionsarbeit.<br />

So landete man bereits 1881/82 von Breklum<br />

aus in einer der entferntesten und abgelegensten,<br />

von niemand anderem bisher<br />

wahrgenommenen Region in Indien, nämlich<br />

im Bergland des zu Bastar gehörenden<br />

Fürstentums Jeypur in Nord-Ost-Indien.<br />

Die Bewohner des Landes waren mehrheitlich<br />

Adivasi-Ureinwohner, die innerhalb der<br />

indischen Kastengesellschaft von Hindus<br />

und auch unter den dortigen Muslimen zu<br />

den verachteten Gruppen gehörten. Die<br />

Berichte der beiden ersten Breklumer Indien-Missionare,<br />

Ernst Pohl aus Schlesien und<br />

Hermann Bothmann aus Dithmarschen, gehören<br />

zu den beeindruckendsten Zeugnissen<br />

der Breklumer Missionsgeschichte.<br />

Vielfältige Irrwege, unendliche Strapazen,<br />

Abweisung und Irreführung durch den regionalen<br />

hinterlistigen Raja und Konfrontation<br />

mit Raub und Überfällen kennzeichnen<br />

die ersten extremen Wochen der Ankunft.<br />

Das völlige Neuland der interkulturellen<br />

Begegnung, die ungeheure Opferbereitschaft<br />

und das Durchhaltevermögen wie<br />

ebenso die langsam wachsende Liebe und<br />

das wachsende Verständnis der Menschen<br />

dieser so weit entfernten indischen Kultur<br />

tritt einem darin entgegen.<br />

Der Erste Weltkrieg bedeutet für Breklum<br />

einen extremen Schock und einen ersten<br />

Bruch mit dem Optimismus der Anfänge.<br />

Vor 1916 waren an die 70 Missionare von<br />

Breklum aus in Indien, drei in Ost-Afrika,<br />

einige in China tätig. In Jeypur waren etwa<br />

16 000 Christen gesammelt – eine stattliche<br />

Zahl, hatte die Missionsarbeit dort doch erst<br />

1881 begonnen.<br />

Fast alle Missionare wurden nun repatriiert,<br />

die indische Erweckungsbewegung<br />

kam zum Erliegen, die Schüler- und Kostheime<br />

wurden geschlossen. Beim Jahresfest<br />

1916 waren fast alle Breklumer Missionare<br />

wieder in ihrer Heimat. Die drei aus Afrika<br />

kamen nach lebensgefährlicher Reise über<br />

Kongo und Frankreich erst 1917 zurück. Die<br />

verwaiste Mission in Jeypur wurde 1917 von<br />

der Amerikanischen Lutherischen Kirche<br />

übernommen. Die Amerikaner ordinierten<br />

1920 die ersten beiden indischen Evangelisten<br />

zu Pastoren.<br />

Erst 1926 wurden erstmals wieder vier<br />

Missionare und zwei Diakonissen nach Indien<br />

entsandt. Die Jeypur-Kirche entwickelte<br />

sich gut weiter. Am 28. Februar 1928 hielt<br />

sie ihre erste eigene Synode ab.<br />

Breklum im Kirchenkampf<br />

Die „Machtergreifung“ der NSDAP am 30.<br />

Januar 1933 wurde innerkirchlich durch die<br />

„Glaubensbewegung Deutsche Christen“<br />

gefördert. Die „DC“ suchte alle jüdischen<br />

Spuren in der christlichen Glaubenstradition<br />

zu eliminieren, das Alte Testament<br />

als Offenbarungsquelle abzuschaffen, die<br />

Bedeutung Jesu Christi zu relativieren und<br />

durch Anpassung an die nationalsozialistische<br />

Ideologie zu ersetzen. Am 12. September<br />

1933 trat in Rendsburg – durch unfreie<br />

Wahlen unter dem Druck der Deutschen<br />

Christen und der NSDAP zustandegekommen<br />

– eine neue Synode für Schleswig-<br />

Holstein zusammen, die unter dem Namen<br />

„Räubersynode“ in die Geschichte eingegangen<br />

ist. In seinem Grundsatzreferat sagte<br />

Pastor Adalbert Paulsen von der Lutherkirche<br />

in Kiel: „Heute ist das Volksleben beherrscht<br />

von einem einheitlichen Grundton.<br />

Die Farbe des deutschen Lebens ist braun,<br />

und der Heros der braunen Farbe ist unser<br />

Kanzler und Führer Adolf Hitler. Wir sehen<br />

auf ihn und seine braune Sturmabteilung<br />

(SA) mit unendlicher Dankbarkeit, denn<br />

ohne ihn und seine getreuen Mannen wären<br />

wir nicht hier.“<br />

Diese Synode legalisierte die Irrlehre der<br />

Deutschen Christen durch einen Beschluss,<br />

16 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Umfrage zur Arbeit des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong><br />

Liebe Leserinnen und Leser der Zeitschrift Nordfriesland!<br />

Liebe Mitglieder des Vereins Nordfriesisches Institut!<br />

Das <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> besteht seit 40 Jahren. Wir möchten gerne mehr erfahren über Ihre<br />

Wünsche an das <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> und über Ihre Einschätzung unserer Arbeit.<br />

Daher bitten wir Sie, diesen Fragebogen bis zum 8. April 2005 ausgefüllt zurückzusenden an<br />

das <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong>, Süderstraße 30, 25821 Bräist/Bredstedt, NF. Fax: (04671) 1333.<br />

Unter den Teilnehmenden verlosen wir drei Bücher aus dem <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong>.<br />

Zunächst erbitten wir einige Angaben zu Ihrer Person:<br />

Geburtsjahr _______ weiblich o männlich o Beruf (Sparte) ______________<br />

Ich spreche Friesisch o nein o ja, und zwar _______________________________(Dialekt/e)<br />

Ich kann Friesisch verstehen o nein o ja, und zwar ________________________ (Dialekt/e)<br />

Bei den Bewertungsfragen kreuzen Sie bitte<br />

jeweils eine „Schulnote“ von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) an:<br />

Welche Note erteilen Sie der Zeitschrift Nordfriesland?<br />

Wieviel Zeit widmen Sie durchschnittlich einer Ausgabe? ______________________________<br />

Gibt es Themen, die zu breiten Raum einnehmen?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________<br />

Gibt es Themen, die zu wenig berücksichtigt werden?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________<br />

Welche Note erteilen Sie dem Nordfriesischen Jahrbuch?<br />

Gibt es Themen, die zu breiten Raum einnehmen?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________<br />

Gibt es Themen, die zu wenig berücksichtigt werden?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________<br />

Nutzen Sie die Internet-Seite www.nordfriiskinstituut.de?<br />

o nein o ja, und zwar ________________________________ (Häufigkeit)<br />

Welche Note erteilen Sie der Internet-Seite www.nordfriiskinstituut.de?<br />

Haben Sie Vorschläge für ihre Verbesserung?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________


Welche Note erteilen Sie dem Fotokalender Jarling?<br />

Können Sie sich eine Veränderung des Jarling vorstellen?<br />

o nein o ja, und zwar _________________________________________________ (Vorschläge)<br />

Dem Institut als Arbeitsgruppe angeschlossen ist die Interessengemeinschaft Baupflege<br />

(IGB) Nordfriesland. Welche Note erteilen Sie der IGB-Zeitschrift Der Maueranker?<br />

Gibt es Themen, die zu breiten Raum einnehmen?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________<br />

Gibt es Themen, die zu wenig berücksichtigt werden?<br />

o nein o ja, und zwar _____________________________________________________________<br />

Hat eine Veranstaltung / haben Veranstaltungen des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> Sie besonders<br />

interessiert? Wenn ja, welche?<br />

__________________________________________________________________________________<br />

Hat eine Veröffentlichung / haben Veröffentlichungen des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> Sie besonders<br />

interessiert? Wenn ja, welche?<br />

__________________________________________________________________________________<br />

Welche Note erteilen Sie der Arbeit des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> insgesamt?<br />

Welche Schwerpunkte wünschen Sie sich in der künftigen Arbeit?<br />

__________________________________________________________________________________<br />

Sonstige Kommentare, Kritikpunkte, Vorschläge:<br />

__________________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________________<br />

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit! Foole tunk!


Das <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> errichtet<br />

anlässlich seines 40-jährigen Bestehens den<br />

Tams-Jörgensen-Fonds.<br />

Tams Jörgensen war Mitbegründer und<br />

langjähriger Leiter des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong>.<br />

Insbesondere für die sprachliche Arbeit<br />

hat er wichtige Grundlagen geschaffen. Mit<br />

großer Sorgfalt redigierte er zum Beispiel<br />

das Nordfriesische Jahrbuch. Gerade junge<br />

Menschen vermochte er für das Friesische zu<br />

gewinnen.<br />

Mitglieder und Freunde des <strong>Nordfriisk</strong><br />

<strong>Instituut</strong> bitten wir um Spenden, die im<br />

Tams-Jörgensen-Fonds gesammelt werden.<br />

Mit den Erträgen sollen alle zwei Jahre<br />

ausgewählte Veröffentlichungen oder<br />

Veranstaltungen gefördert werden.<br />

Spenden in jeder Höhe werden dankbar<br />

entgegengenommen. Wer 40 Euro oder mehr<br />

gibt, wird als Donator geführt; wer 400 Euro<br />

oder mehr spendet, gilt als Patron des Tams-<br />

Jörgensen-Fonds.<br />

Einzahlungen erbitten wir auf das Konto 737<br />

bei der Spar- und Leihkasse zu Bredstedt<br />

(BLZ 21750000) oder Konto 31161 bei der<br />

Nord-Ostsee Sparkasse (BLZ 21750000) mit<br />

dem Vermerk „Spende Tams-Jörgensen-<br />

Fonds“.<br />

gez. Thomas Steensen<br />

Direktor des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong><br />

Tams Jörgensen<br />

(1924-1987)


Ein Missionar des Friesischen in Friesland<br />

Tams Jörgensen war ein Kind des schleswigschen<br />

Grenzlandes. In seinem Leben<br />

spiegelt sich dessen bewegte Geschichte. Als<br />

Sohn des Baumeisters Wilhelm Jürgensen<br />

und seiner Ehefrau Ilse geb. Tams wurde er<br />

am 11. März 1924 in Husum geboren. Er hat<br />

manches Mal darauf hingewiesen, am gleichen<br />

Tag Geburtstag zu haben wie Albrecht<br />

Johannsen, dessen Arbeit für das Friesische<br />

er für vorbildlich hielt. In Husum wuchs er<br />

auf. 1942 wurde er zum Kriegsdienst einberufen.<br />

Er wurde verwundet und geriet in<br />

sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der<br />

er 1945 mit einer Gelbsucht zurückkehrte.<br />

Seine Erfahrungen ließen ihn zu einem<br />

überzeugten Kriegsdienstgegner werden.<br />

Von 1946 an studierte er in Freiburg, Kiel<br />

und Kopenhagen Deutsch und Englisch.<br />

Seine ausgedehnten Studien schloss er mit<br />

glänzenden Examina ab. Als ein Ergebnis<br />

seiner mit Auszeichnung benoteten Spezialarbeit<br />

über die Mooringer Mundart konnte<br />

er bereits 1955 sein – in den nordfriesischen<br />

Farben eingebundenes – „Frasch-Tjüsch-<br />

Dånsch Uurdebök“ erscheinen lassen, das<br />

mehrfach neu aufgelegt wurde.<br />

Nach den Erfahrungen der NS-Diktatur<br />

auf der Suche nach volklicher Zugehörigkeit,<br />

fand er, dessen Vorfahren väterlicherseits<br />

von Alsen stammten, zur dänischen Sprache<br />

und Kultur. Stark beeinflusst wurde er<br />

von dem Gedankengut des dänischen Theologen<br />

und Philosophen N. F. S. Grundtvig<br />

(1783-1872). Dessen Idee der „folkelighed“,<br />

der Hinwendung zur Sprache und Kultur<br />

des eigenen Volkes und des gleichzeitigen<br />

Respekts für andere Volkskulturen hat Tams<br />

wie nur wenige andere geistig durchdrungen,<br />

verinnerlicht und gelebt.<br />

Die Gründung des <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong><br />

in Bredstedt 1964/65 geht in hohem Maße<br />

auf Tams Jörgensens Initiative zurück. Von<br />

den wissenschaftlichen Mitarbeitern war er<br />

der Mann der ersten Stunde. Gemeinsam<br />

mit Dr. Hans Christian Nickelsen (bis 1972)<br />

und Reimer Kay Holander prägte er das Institut<br />

zwei Jahrzehnte hindurch als für das<br />

sprachliche Gebiet zuständiger Lektor und<br />

– seit 1971 – als Institutsleiter.<br />

Tams betreute mit der ihm eigenen Sorgfalt<br />

und Gründlichkeit zahlreiche Veröffentlichungen<br />

zum Friesischen, redigierte von<br />

1968 bis 1985 als verantwortlicher Schriftleiter<br />

das Nordfriesische Jahrbuch, wirkte<br />

ab 1971 als Lehrbeauftragter für Friesisch<br />

an der Pädagogischen Hochschule in Flensburg<br />

und leitete friesische Sprachkurse.<br />

Die Verbindung mit Ost- und Westfriesland<br />

war ihm schon früh ein Anliegen. Er<br />

nahm in den 1950er Jahren an den ersten<br />

Friesenkongressen nach dem Krieg teil.<br />

Die interfriesischen „Studentenlager“, die<br />

seit 1965 jährlich abwechselnd in einem<br />

der Frieslande gehalten wurden, gehen<br />

großenteils auf seinen Einsatz zurück. Das<br />

Biikebrennen auf dem Stollberg, durch das<br />

dieses friesische Fest auf dem Festland neu<br />

belebt wurde, hätte es ohne ihn wohl nicht<br />

gegeben. Denn Tams verstand es, vor allem<br />

junge Menschen für das Friesische einzunehmen,<br />

ja zu begeistern, weil er ihnen<br />

mit seiner Weltsicht und Lebensauffassung<br />

nahe stand. Aufgrund seines Einfühlungsvermögens<br />

war er vielen ein wichtiger Gesprächspartner,<br />

der weiterhalf.<br />

Wo es um das Friesische ging, war Tams<br />

Jörgensen zur Stelle. Für viele war er geradezu<br />

die letzte Instanz in Fragen der friesischen<br />

Rechtschreibung und Grammatik. Seine<br />

Arbeit leistete er gewissenhaft, manchmal<br />

bis an den Rand der Erschöpfung. Häufig<br />

brannte spät abends noch Licht in seinem<br />

Zimmer im Institut.<br />

Das <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> ist ihm nie allein<br />

Arbeitsstelle gewesen, es war ihm ohne<br />

Übertreibung eine Herzensangelegenheit.<br />

Für die Unabhängigkeit des Instituts, seine<br />

nationalpolitische Neutralität auf der<br />

Grundlage wissenschaftlicher Objektivität<br />

hat er sich immer mit aller Energie eingesetzt.<br />

Zwischen seinem persönlichen Bekenntnis<br />

zur dänischen Minderheit und der<br />

neutralen Ausrichtung des Instituts zog er<br />

stets einen klaren Trennungsstrich.<br />

Als Tams 1984 aus Krankheitsgründen<br />

aus dem Institut ausschied – er starb am<br />

Ostersonntag 1987 – nannte ihn der damalige<br />

Vorsitzende des Institutsvereins Jakob<br />

Tholund einen „Missionar des Friesischen<br />

in Friesland“.<br />

Aus: Thomas Steensen: Abschied von Tams<br />

Jörgensen. In: Nordfriesland 77/78 (Juni<br />

1987), S. 9-10.


der alle Befugnisse der rechtmäßigen Landessynode<br />

dem deutschchristlichen Landeskirchenausschuss<br />

übertrug. Festgelegt<br />

wurden zudem neue Bestimmungen über<br />

die Entlassung, Versetzung oder vorzeitige<br />

Pensionierung „nichtarischer“ und solcher<br />

Geistlicher, die sich nicht rückhaltlos zum<br />

nationalsozialistischen Staat und zur „neuen“<br />

Kirche bekannten.<br />

In Kiel, Flensburg und Altona sammelten<br />

sich daraufhin kleine Kreise bekenntnistreuer<br />

Pastoren, die sich gegen den wachsenden<br />

Druck nationalsozialistischer Gleichschaltung<br />

wehrten und in Rendsburg im Oktober<br />

1933 eine „Not- und Arbeitsgemeinschaft<br />

Schleswig-Holsteinischer Pastoren“ gründeten.<br />

Das „Altonaer Bekenntnis“ vom 11. Januar<br />

1933 war das früheste Widerstandsignal<br />

aus den Reihen der bekennenden Christen<br />

und diente den sich bildenden Kreisen der<br />

Verweigerung gegen die Gleichschaltung als<br />

Orientierungspunkt.<br />

Durch die erzwungene Eingliederung der<br />

evangelischen Jugendverbände in die Hitlerjugend<br />

Ende 1933 wurde der Rechtsnotstand<br />

immer bedrückender. Am 17. Juli 1935<br />

trat daraufhin die erste Bekenntnissynode in<br />

der Kieler St. Jürgen-Kirche zusammen.<br />

Breklum hatte während des beginnenden<br />

Kirchenkampfes in Schleswig-Holstein eine<br />

mehrfache Schlüsselbedeutung: Hier war<br />

das Zentrum einer trotz des wachsenden<br />

politischen Drucks intensiven volksmissionarischen<br />

Arbeit, die „Hilfsgeistliche“ in<br />

vielen Hausbesuchen und Bibelstunden in<br />

die Dörfer und Städte der Umgebung führte<br />

und die Bildung von Widerstand gegen die<br />

nationalsozialistische Ideologie ermutigte.<br />

Breklum war Sitz des späteren Amtes<br />

für Volksmission der Bekennenden Kirche<br />

unter dem Vorsitz von Pastor Johannes<br />

Lorentzen, Kiel. Rüstzeiten für die Pastoren,<br />

Evangelisationen in den Gemeinden<br />

und viele Hausbesuche gingen sogar in den<br />

Kriegsjahren weiter.<br />

Von Breklum wurden Flugblätter und<br />

Kleinschriften der Schriftenmission im<br />

Lande verteilt, die wesentlich die Stimme<br />

der Bekennenden Kirche zu Gehör brachten<br />

wie etwa „Um Kreuz und Altar“, „Beten“ oder<br />

„Blut und Boden – das gibt Blutvergiftung“.<br />

Breklum war – durch die Mission und<br />

die Verbindungen zum Internationalen<br />

Missionsrat (IMC) – ein Ort, an dem damals<br />

verbotene Beziehungen zu Ländern jenseits<br />

Pastor Martin Pörksen,<br />

Missionsdirektor<br />

in schwerer Zeit<br />

der deutschen Grenzen existieren konnten.<br />

So wurde 1938/39 mit der amerikanischen<br />

lutherischen Mission vereinbart, dass die<br />

Verbindung zur Jeypur-Kirche in Indien,<br />

die während des Krieges für Breklum abgeschnitten<br />

war, von Amerika aus fortgeführt<br />

und finanziert werden sollte.<br />

Breklum war ein zentraler Treffpunkt und<br />

Verknüpfungsort für die führenden Kreise<br />

der Bekennenden Kirche in Schleswig-<br />

Holstein. Der Bruderrat der Bekennenden<br />

Kirche traf sich häufig hier. Auch die Vorbereitung<br />

einer neuen Landessynode, die Sondierungen<br />

zur Wahl einer neuen Kirchenleitung<br />

für die Zeit nach Kriegsende und<br />

die Anfrage an Pastor Wilhelm Halfmann<br />

aus Flensburg, neuer Bischof zu werden,<br />

erfolgten auf einer Sitzung des Bruderrates<br />

in Breklum.<br />

Im Breklumer Sanatorium wurden Jahre<br />

hindurch behinderte und kranke Menschen<br />

aufgenommen, die vom Euthanasie-Programm<br />

der nationalsozialistischen Führung<br />

bedroht waren.<br />

Für Missionsdirektor Dr. Martin Pörksen,<br />

der ab Herbst 1937 als Nachfolger von Pastor<br />

Peter Piening die Gesamtverantwortung<br />

für die Mission daheim und draußen trug,<br />

waren die Kriegsjahre eine äußerst schwere<br />

Zeit. Drückende Schulden und eine restriktive<br />

staatliche Devisenbewirtschaftung<br />

drohten, alle Überseeaktivitäten zum Erliegen<br />

zu bringen. In einer ungeheueren Kraftanstrengung<br />

gelang es in Breklum, durch<br />

„Außerordentliche Missionstage“ in fast 400<br />

Gemeinden und durch Werbung von 6 000<br />

eingetragenen „Missionsfreunden“ die Gaben<br />

für die Weltmission um ein Viertel zu<br />

steigern. Statt Kräfte zurückzurufen, konnte<br />

Breklum 1938 noch einmal acht Missionare<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 17


einschließlich der Ehepartnerinnen zum<br />

ersten oder zweiten Mal nach Indien und<br />

China abordnen. Bald danach aber waren<br />

durch den Zweiten Weltkrieg alle Türen<br />

nach draußen verschlossen.<br />

In Indien und China konnten die Frauen<br />

und die älteren Missionare noch bis 1943<br />

weiterarbeiten, dann wurden auch sie interniert.<br />

Die Mitarbeiter in der Heimat, Johann<br />

Schmidt und Dr. Hans Dunker, wurden zum<br />

Kriegsdienst eingezogen. Schriftenmission<br />

durfte nicht mehr stattfinden, und das Missionsblatt<br />

musste 1941 sein Erscheinen einstellen.<br />

Papier wurde für „kriegswichtige“<br />

Zwecke gebraucht. Die verwaisten Gemeinden<br />

in der Umgebung Breklums forderten<br />

den Dienst des Daheimgebliebenen. Im<br />

Jahresbericht 1944 schrieb Martin Pörksen:<br />

„Wir sind am Ende mit all unserer Weisheit,<br />

all unserem Denken, all unseren Kräften.<br />

Nun laßt Gott anfangen. Er hat tausend<br />

Möglichkeiten.“<br />

Neuanfang nach 1945<br />

Kaum war der Krieg zu Ende, da verhandelten<br />

Wilhelm Halfmann und er im Auftrag<br />

des Bruderrates mit Vertretern der damaligen<br />

Kirchenleitung über eine Neuordnung<br />

der Ämter und Gremien in der Landeskirche.<br />

Die erste freie Synode nach Kriegsende<br />

in Rendsburg im August 1945 beauftragte<br />

die Breklumer Mission mit der Einrichtung<br />

eines Katechetischen Seminars (ab 1948<br />

„Breklumer Seminar für missionarischen<br />

und kirchlichen Dienst“). Mitbegründerin<br />

und spätere Oberin war Gertrud Friedrich,<br />

geboren 1905 in Stettin. Ihre Flucht aus<br />

Schlesien im Winter 1945 endete zunächst<br />

in Hamburg, wo Volkmar Herntrich, der<br />

spätere Bischof der Hansestadt, sie an Pastor<br />

Pörksen wies, der als Missionsdirektor nach<br />

einem Menschen Ausschau hielt, der Reisedienst<br />

in die Gemeinden und Ausbildung<br />

kirchlicher Mitarbeiter vor Ort mit übernehmen<br />

könnte. Am 17. Oktober 1945 begann<br />

der erste Seminarkursus mit 16 Lernwilligen<br />

im Alter von 20 bis 42 Jahren.<br />

Durchgeführt wurden Lehrgänge für<br />

Gemeindehelferinnen und -helfer – mit<br />

Unterkursus, Praktikum und Oberkursus –,<br />

einer für Organisten sowie einer in Religionspädagogik<br />

für die Berufsschule. Leiter<br />

des Katechetischen Seminars war zwischen<br />

1961 und 1968 Pastor Klaus Goßmann. Die<br />

veränderten Anforderungen an die Gemeindehelferinnen<br />

und Gemeindehelfer führten<br />

bereits in den 1960er Jahren zu verstärkten<br />

Überlegungen, die Ausbildung auf eine neue<br />

Grundlage zu stellen. Die Tendenz ging verstärkt<br />

in die Richtung einer Fachschulausbildung<br />

auf wissenschaftlicher Grundlage. Das<br />

war in Breklum, so sah es die Kirchenleitung,<br />

nicht in hinlänglichem Maße möglich. 1970<br />

wurde das Seminar geschlossen. Seine letzten<br />

Schülerinnen und Schüler mussten nach<br />

Hamburg in das Rauhe Haus wechseln, das<br />

die Ausbildung der Diakone übernahm.<br />

Es ist erstaunlich, dass trotz umfassender<br />

Ein- und Zusammenbrüche, nicht zuletzt<br />

durch die Kriegsauswirkungen, aus der Breklumer<br />

Arbeit in Indien eine eigenständige<br />

Kirche entstanden ist, heute die älteste Partnerkirche<br />

der Nordelbischen Evangelischen<br />

Kirche. Im Herbst 1950 wählte sie erstmals<br />

einen aus Einheimischen bestehenden Kirchenrat,<br />

1964 vereinigten sich die Kirchen<br />

West-Jeypur und Ost-Jeypurs, im Jahre<br />

1967 trat dort Pastor Jacob Nag sein Amt als<br />

erster indischer lutherischer Bischof an. Im<br />

Jahre 1958 nahmen Breklumer Missionare<br />

außerdem die Arbeit in Tansania wieder<br />

auf, später kam die von der Leipziger Mission<br />

begonnene Arbeit in Papua Neuguinea<br />

hinzu.<br />

Die Breklumer Mission prägte die Entwicklung<br />

hin zur Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche mit. Ein Mann wie Reinhard<br />

Wester etwa, der nach dem Krieg eine<br />

prägende Rolle in Nordelbien spielte, hatte<br />

vor 1945 enge Verbindungen zur Breklum.<br />

Es wirkte nach, dass Breklum während der<br />

NS-Herrschaft ein vielleicht entscheidendes<br />

Zentrum der Bekennenden Kirche war.<br />

Ende der 1960er Jahre drängen Stimmen<br />

auf eine stärkere Integration von Kirche<br />

und Mission. Im November 1968 wurde<br />

die Einsetzung eines Nordelbischen Missionsbeirates<br />

beschlossen mit drei Vertretern<br />

der Schleswig-Holsteinischen, je zwei der<br />

Hamburger und der Lübecker, einem der<br />

Eutiner Kirche sowie zwei Vertretern der<br />

Breklumer Mission. Die außerordentliche<br />

Generalversammlung am 12. September<br />

1970 in Rendsburg rief ein Nordelbisches<br />

Zentrum für Weltmission und Kirchlichen<br />

Weltdienst ins Leben. Dies war eine Vorstufe<br />

der 1977 vollzogenen Bildung der Nordelbischen<br />

Kirche.<br />

18 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Das zur Zeit Christian Jensens<br />

errichtete Martineum und seine<br />

Umgebung wurden für die Zwecke<br />

des Kollegs umgebaut und neu<br />

gestaltet.<br />

Christian Jensen Kolleg<br />

Einen wichtigen und nachhaltigen Neuaufbruch<br />

stellt die Gründung des Christian<br />

Jensen Kollegs im Jahre 2001 dar. Mit ihm ist<br />

an traditionsreichem Ort ein ökumenisches<br />

Begegnungs- und Tagungszentrum entstanden,<br />

das nicht nur Gruppen und Gemeinden<br />

der Nordelbischen Kirche zur Verfügung<br />

steht, sondern das auch für Gruppen und<br />

Veranstaltungen aus dem gesellschaftlichen<br />

und kulturellen Raum Schleswig-Holsteins<br />

und darüber hinaus offen steht.<br />

Zu den 17 Gesellschaftern des Kollegs<br />

gehören das Nordelbische Missionszentrum<br />

in Hamburg als Mehrheitsgesellschafter, die<br />

Nordelbische Kirche, die zehn Kirchenkreise<br />

des Sprengels Schleswig, die Kirchengemeinde<br />

Breklum, die Nordschleswigsche<br />

Gemeinde, der Verein der Breklumer Mission<br />

in Nordschleswig sowie als nichtkirchliche<br />

Gesellschafter die Gemeinde Breklum<br />

und der Schulverband Breklum.<br />

Zu den Themen des Kollegs gehören Mission,<br />

Ökumene und interreligiöser Dialog,<br />

Förderung und Unterstützung der haupt-<br />

und ehrenamtlichen Arbeit in der evangelischen<br />

Kirche, Seminare und Workshops im<br />

Bereich Theologie und Religionspädagogik,<br />

Konzeptentwicklung, Personal- und Gemeindeentwicklung,<br />

Leben und Arbeiten<br />

auf dem Land, Europa und das Leben in<br />

einer Grenzregion, Geistliche Einkehr sowie<br />

Urlaub für Gruppen, Dialog zwischen den<br />

Generationen und Fragen des Alterns.<br />

Mit Mitteln der Europäischen Union (40%)<br />

und der Bundesrepublik Deutschland sowie<br />

des Landes Schleswig-Holstein (zusammen<br />

10%) wurden in Breklum in den Jahren 2003<br />

und 2004 sämtliche vorhandenen Gebäude<br />

aus- und umgebaut. Die Außenanlagen wurden<br />

neu gestaltet. Zusätzlich sind zwei neue<br />

Gästehäuser entstanden. Das Bauvolumen<br />

betrug etwa 5,6 Millionen Euro.<br />

So ist das Kolleg mit seinem wunderschönen<br />

Parkgelände, insbesondere dem<br />

neugestalteten Innenhof, wesentlich auch<br />

ein Ort der Ruhe, der Einkehr, des Urlaubs<br />

in einer sehr reizvollen Naturlandschaft,<br />

des Dialogs mit den verschiedenen gesellschaftlichen<br />

Gruppen und Kulturträgern in<br />

der Region sowie des Verwöhntwerdens mit<br />

einer freundlichen Gastlichkeit und hervorragenden<br />

Küche.<br />

In der Erklärung zur Gründung heißt es:<br />

„Das Christian Jensen Kolleg ist als Ort umfassender<br />

Bildung dem christlichen Menschenbild<br />

verpflichtet. Es will Menschen<br />

dabei unterstützen, ihre Verantwortung als<br />

Mitgestalter des Lebens in Kirche und Gesellschaft<br />

wahrzunehmen und die Erfahrungen<br />

des Glaubens als jener Dimension, der<br />

wir unser Leben verdanken, zu vertiefen.<br />

Das bedeutet zugleich, das Menschen an<br />

diesem Ort in ihrer Geschöpflichkeit wahrgenommen<br />

werden, in ihrer Angewiesenheit<br />

auf die Gnaden des Lebens.“<br />

Dr. Dietrich Werner ist Theologe und Referent<br />

des Nordelbischen Missionszentrums im<br />

Christian Jensen Kolleg. Der für den Druck<br />

überarbeitete Text basiert auf einem am<br />

11. August 2004 im Rahmen des 14. Nordfriesischen<br />

Sommer-Instituts in Bredstedt<br />

gehaltenen Vortrag. (Adresse: Kirchenstraße,<br />

25821 Brääklem/Breklum, NF.)<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 19<br />

Foto: Christian Jensen Kolleg


Manfred Wedemeyer:<br />

Erdlebenbilder<br />

Zur Gedächtnisausstellung für<br />

Dieter Röttger in Westerland<br />

Die schwerste und letzte Aufgabe<br />

des Künstlers ist die Darstellung<br />

des Gleichbleibenden, in sich<br />

Ruhenden, Stolzen, Einfachen, vom<br />

Einzelreiz weit Absehenden.<br />

Friedrich Nietzsche<br />

Aus der Biographie von Dieter Röttger ist<br />

bekannt, dass der 1930 in Hamburg geborene<br />

Künstler im Jahr 1960 nach Sylt kam. Es<br />

ist darüber gesprochen worden, warum er<br />

von seiner Heimatstadt auf die Insel umzog<br />

und was ihm die Insel bedeutete. Einer der<br />

Gründe, die ihn zum Umzug bewogen, war<br />

der damalige Wiederaufbau in Hamburg.<br />

Er brauchte den weiten Blick. In der Hansestadt<br />

war rundherum alles flachgebombt<br />

gewesen. Dann aber wurden vielstöckige<br />

Häuser hochgezogen, die die Sicht in die<br />

Weite versperrten. Das passte Dieter Röttger<br />

nicht. Als die Stadt Hamburg wieder wohnlich<br />

wurde, zog er weg. Es gibt auch eine<br />

einfache, plausiblere Erklärung für seinen<br />

Wegzug. Er folgte nämlich seiner späteren<br />

Frau Gunthild auf dem Fuße. Sie hatte sich<br />

für Sylt entschieden.<br />

In Hamburg schloss Dieter Röttger eine<br />

Lehre im graphischen Gewerbe ab, bei<br />

Broschek, damals ein geschätztes Unternehmen<br />

für Druck- und Bucherzeugnisse.<br />

Typographie und Schriftzeichen waren die<br />

Fachgebiete, die Dieter Röttger zeitlebens<br />

als sein Metier sah. Seine künstlerische Ausbildung<br />

erhielt er bei Arnold Fiedler, ebenfalls<br />

in Hamburg. Durch ihn kam er mit der<br />

informellen Kunst in Verbindung, mit dem<br />

„Informel“, einer Gruppe der gegenstandsfreien<br />

Malerei und Graphik, die sich seit<br />

1945 herausbildete. Sie lehnte abgegrenzte<br />

Formen und feste Kompositionsgesetze ab.<br />

Statt dessen bemühte sich die informelle<br />

Kunst darum, durch frei erfundene Zeichen<br />

und durch Rhythmus und Struktur ineinandergreifender<br />

Linien Bildideen, also Geistiges<br />

auszudrücken. Diese Auffassung sehen<br />

wir auch verwirklicht in den Bildern von<br />

Dieter Röttger – mit den Grundformen wie<br />

Spirale und Rosette als Abstraktionen von<br />

Naturformen. Diese Figuren sind aus dem<br />

Informel hervorgegangen.<br />

Zeichen für die informelle Kunst bietet<br />

die Insel Sylt in Hülle und Fülle, zum Beispiel<br />

am Strand die dünn auflaufenden und<br />

auslaufenden Wellen und die Muster, die sie<br />

in den Sand spülen und dann wieder wegwischen.<br />

Dieter Röttger war davon besonders<br />

fasziniert. Er hat auch auf Petrefakten, auf<br />

Versteinerungen den Blick gerichtet und<br />

kam ins Gespräch mit dem Hobby-Geologen<br />

Ulrich von Hacht, der den Künstler über<br />

Sylts reiche Fossilienwelt aufklärte und seine<br />

Sammlung versteinerter Schwämme zeigte.<br />

Überhaupt haben Geologie, Paläontologie,<br />

Vorgeschichte, Archäologie und Botanik das<br />

Röttgersche Weltbild nachhaltig geprägt.<br />

Versteinerungen gehörten zu den Sammlungen,<br />

die er in seiner Künstlerklause an<br />

der Munkmarscher Chaussee aufbewahrte<br />

und auch immer wieder in die Hand nahm.<br />

Es ist daran zu erinnern, wie der Künstler<br />

in seinem Keitumer Atelier lebte. Es war<br />

vollgestopft mit Glaskästen und Glasplatten,<br />

auf denen die gesammelten Gegenstände<br />

ruhten: Muscheln, Schnecken, anderes<br />

Seegetier, natürlich auch Bücher und Bilder.<br />

Afrikanische Masken, Figuren, Goldgewichte<br />

oder Ashantis zusammenzutragen, dazu<br />

hatte ihn eine dreimonatige Seereise um<br />

Afrika 1965 angeregt. Ebenso besaß er japanische<br />

Netsuke, kleine, durchlochte Figuren<br />

zum Tragen als Glücksbringer. Alles war so<br />

aufeinander getürmt, dass der Besucher,<br />

20 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


zum Sitzen aufgefordert,<br />

kaum Platz fand<br />

und im Sitzen oder<br />

Stehen ruhig ausharren<br />

musste, damit<br />

nichts umgestoßen<br />

wurde. Die Geschichte<br />

mit der Einladung<br />

zum Tee ist oft genug<br />

erzählt worden. Der<br />

Tee wurde versprochen,<br />

aber es gab ihn<br />

nicht, weil der Redefluss<br />

des Künstlers das<br />

Servieren<br />

zuließ.<br />

gar nicht<br />

Zwischen dem, was<br />

Dieter Röttger sammelte,<br />

und dem, was<br />

er malte, besteht eine<br />

enge Beziehung. Was<br />

er in der Natur fand,<br />

das hat er in seinem Vogelform. Mischtechnik 1980<br />

Kopf bewahrt und<br />

verarbeitet. Die genaue Beobachtung der einem Ausdruck von Carl Gustav Carus,<br />

Natur und Landschaft war die Grundlage dem Arzt und Zeitgenossen von Goethe, be-<br />

seines Schaffens. Was sein Lehrer Arnold schrieben in seinem Buch „Neun Briefe über<br />

Fiedler gesagt hat, gilt auch für ihn: „Meine Landschaftsmalerei“ in den Jahren 1815 bis<br />

Welt baue ich aus Abbildern der Wirklich- 1824. Das Erdlebenbild von Carus schwebte<br />

keit mit Traumvorstellungen und Erinne- auch Dieter Röttger vor, weit über alles Anrungen.“<br />

Tatsächlich sind Röttgers Bilder geschaute hinaus in einer Idee vom Kreis-<br />

Verbindungen von feinen Beobachtungen lauf, von Leben und Tod der Natur. Erdle-<br />

mit Träumen und Erinnerungen. Der Künstbenbilder als eine Chiffre, ein Ausdruck für<br />

ler verschmolz seine Eindrücke von Tier-, das Weltbild, das Dieter Röttger mit seinen<br />

Pflanzen-, Landschafts- und Wolkenformen Werken geschaffen hat.<br />

mit seiner Vorstellungskraft. Aufgrund der Die Arbeitsweise von Dieter Röttger, sein<br />

exakt beobachteten Wirklichkeit entstan- Suchen nach den Urideen, ist auch gekennden<br />

Ähnlichkeiten mit den tatsächlichen zeichnet vom Seriellen. Er produzierte oft<br />

Formen und Strukturen, wie sie die Natur nicht einzelne Bilder, sondern Bilderreihen<br />

aufweist. Dieter Röttger kehrte also vom zu bestimmten Motiven. Daran malte er Tag<br />

Informel wieder zurück zum Gegenständ- für Tag, Monat für Monat. Sein Herangehen<br />

lichen. Deshalb hat der Bildbetrachter den an ein Bildthema erinnerte an eine japa-<br />

Eindruck, das Urphänomen Sylt, die Urnanische Anekdote. Da beauftragt ein Kaiser<br />

turformen der Insel zu erkennen, wie Meer, einen Maler, einen Meister der Kunst, ihm<br />

Ufer, Horizont, Pflanzen, Tiere und Steine, einen Hahn zu malen. Nach einem Jahr<br />

ferner Rippelmarken am Strand, Küsten- schickt der Kaiser einen Boten mit der Fraformationen,<br />

Gestrüpp, Gräser im Wind, ge, wann endlich der Hahn geliefert werde.<br />

Dünen, Quallen, Schnecken, Fische, Wolken Antwort: Noch nicht fertig. Nach einem<br />

und Sonnenball.<br />

weiteren Jahr kommt der Kaiser persönlich,<br />

Wie andere Künstler vor ihm, sah Dieter und wieder lautet die Antwort: Noch nicht.<br />

Röttger seine Aufgabe nicht in der Natur- Allerdings zeigt der Meister ihm sein Atewiedergabe.<br />

Sein Weltbild, sein Kosmos war lier, und das sieht der Kaiser: Hunderte und<br />

umfassender. Sein Interesse an Landschaft Hunderte von Blättern mit Hähnen. Aber die<br />

und Natur im Entstehen und Vergehen Form, die er sucht, die Urform des Hahns,<br />

verdichtete sich zum Erdlebenbild – nach die hat er noch nicht gefunden.<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 21


Phantastische Landschaft. Fliesenbild von 1976<br />

Ob Dieter Röttger seine endgültigen Urformen<br />

gefunden hat? Wir wissen es nicht.<br />

Endgültige Formulierungen eines Themas<br />

zu finden ist freilich schwierig, aber dennoch<br />

möglich. Vermutlich bieten die Erdlebenbilder<br />

von Dieter Röttger eher Annäherungen.<br />

Hinweise auf neue Wege zum Verständnis<br />

des Kosmos.<br />

Dieter Röttger wollte nie als Sylt-Maler<br />

bezeichnet werden. „Das einzige, was meine<br />

Aquarelle mit Sylt gemeinsam haben, ist das<br />

Wasser, mit dem sie gemalt sind“, pflegte er<br />

gern zu sagen. Aber das ist sicherlich eine<br />

Untertreibung, denn Sylt verdankt er viel.<br />

Die Inselnatur hat er geliebt. Auf Spaziergängen<br />

kam er ihr nahe. Er sah sie schon<br />

originär beim Ausblick aus seinem Atelierfenster.<br />

Einer Gruppe wollte er jedoch nicht<br />

angehören. Er war ein unorthodoxer Künstler,<br />

der sich weder den Gesetzen des Kunstmarkts<br />

noch einer bestimmten Stilrichtung<br />

unterordnete.<br />

Dieter Röttger lebte ziemlich isoliert, aber<br />

mehr deswegen, weil er ein Einzelgänger<br />

war, ein Einzelgänger mit einem geselligen<br />

Anschluss. Den Menschen war er zugewandt.<br />

Zur Freundschaft war er in hohem<br />

Maß fähig. So traf er regelmäßig seine Freunde<br />

vom Rotary Club Sylt-Westerland. Rotary<br />

betrachtete er als seine Familie und vertrat<br />

die Ziele dieser Vereinigung vorbildlich. Oft<br />

bewies er sein soziales Verhalten und seine<br />

Hilfsbereitschaft. Er war die treibende Kraft<br />

dafür, dass 1987 die Stadt Westerland eine<br />

Sammlung aus Bildern von zumeist in Nord-<br />

deutschland beheimateten Künstlern erhielt<br />

als Spende zur Ausstellung in der Öffentlichkeit<br />

für Einwohner und Kurgäste.<br />

Als Einzelgänger konnte Dieter Röttger<br />

seine Kunst nicht immer erfolgreich vermarkten.<br />

Die Kunstwelt beachtete eine Zeitlang<br />

seine Arbeitsweise und Bildersprache,<br />

seine Erdlebenbilder fanden jedoch nicht<br />

immer das Interesse, das ihren Eigenheiten<br />

und ihrer künstlerischen Originalität zukommt.<br />

Gleichwohl hat er den Mut nie sinken<br />

lassen und in Beharrlichkeit von seinem<br />

Schaffen in Ausstellungen immer erneut<br />

überzeugt.<br />

Dieter Röttger war auch ein Freund der<br />

Weisheit, ein Philosoph, der zu allen Themen<br />

Fundiertes beitragen konnte, redegewandt,<br />

streitlustig, aber immer versöhnlich.<br />

Wir gedenken des Künstlers und Freundes<br />

dankbar. Dieter Röttger war einer der charaktervollsten,<br />

in der Entfaltung seiner<br />

Arbeiten gradlinigsten Maler im Schleswig-<br />

Holstein der Gegenwart. Er starb am 18. August<br />

2003.<br />

Dr. Manfred Wedemeyer ist Volkswirt, von<br />

1971 bis 1998 leitete er die Akademie am<br />

Meer in Klappholttal auf Sylt. Der Wahl-<br />

Insulaner verfasste zahlreiche Bücher und<br />

Schriften zu Sylter Themen. Nordfriesland<br />

dokumentiert den Text seiner Einführungsrede<br />

zur Eröffnung der Gedenkausstellung<br />

für Dieter Röttger am 1. Februar 2005 in<br />

Westerland. (Adresse: Skelinghörn 18, 25980<br />

Muasem/Morsum, Sylt, NF.)<br />

22 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005<br />

Abbildungen: Sammlung Manfred Wedemeyer


Thomas Steensen:<br />

Zwischen „Friesenklausel“ und<br />

europäischer Anerkennung<br />

Einige Bemerkungen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums<br />

der Bonn-Kopenhagener Erklärungen<br />

Im deutsch-dänischen Grenzland wird<br />

im März 2005 der Bonn-Kopenhagener<br />

Erklärungen von 1955 gedacht.<br />

Was bedeuteten sie für die Nordfriesen?<br />

Dazu ein historischer Rückblick.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der<br />

deutsch-dänische Grenzkampf in großer<br />

Schärfe wieder auf. Die prodänische Heimatbewegung<br />

Südschleswigs, die zeitweise<br />

von den meisten Einheimischen unterstützt<br />

wurde, drang mit ihrem Hauptziel – einem<br />

Anschluss des Gebiets an Dänemark – nicht<br />

durch. Das Königreich steuerte eine vorsichtige,<br />

weitsichtige Politik. Schon am<br />

9. Mai 1945 legte sich die dänische Regierung<br />

fest auf den Grundsatz: „Grænsen<br />

ligger fast.“ Die Grenze liegt fest. Auch die<br />

britische Besatzungsmacht hatte kein Interesse<br />

an einer Grenzverschiebung. Sie wies<br />

den Weg zu Verhandlungen zwischen der<br />

dänischen Minderheit und der Landesregierung<br />

Schleswig-Holsteins. Das Ergebnis<br />

war die „Kieler Erklärung“, die am 26. September<br />

1949 durch die damals von der SPD<br />

gestellte Landesregierung im Schleswig-<br />

Holsteinischen Landtag verkündet wurde.<br />

Sie gewährte der dänischen Minderheit<br />

bestimmte Rechte und enthielt die Kernaussage:<br />

„Das Bekenntnis zum dänischen<br />

Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei.<br />

Es darf von Amts wegen nicht bestritten<br />

oder nachgeprüft werden.“ Im IV. Abschnitt,<br />

hieß es: „Die hier aufgestellten Grundsätze<br />

gelten sinngemäß auch für die friesische Bevölkerung<br />

in Schleswig-Holstein.“<br />

Vermutlich auf Drängen der Nationalen<br />

Friesen hatte die dänische Minderheit gegenüber<br />

der britischen Militärregierung<br />

eine „Sicherheitsklausel für Friesen und die<br />

friesische Sprache“ ins Gespräch gebracht.<br />

Zunächst hatten sowohl Regierung als<br />

auch dänische Minderheit offenbar daran<br />

gedacht, dass von den „dänisch gesinnten<br />

Friesen“ gesprochen werden solle. In der<br />

endgültigen Fassung wählte die Landesregierung<br />

dann jedoch die Formulierung „die<br />

friesische Bevölkerung in Schleswig-Holstein“.<br />

In der Begründung zum Abschnitt IV<br />

schrieb sie: „Die hier aufgestellte sogenannte<br />

Friesenklausel gibt die Möglichkeit, daß<br />

auch diejenigen Angehörigen der friesischen<br />

Bevölkerung, die sich zur dänischen Minderheit<br />

bekennen, deren Rechte genießen.<br />

Sie gewährleistet ferner auch den Gebrauch<br />

der friesischen Sprache in gleichem Umfang<br />

wie der dänischen.“<br />

Im Landtag erklärte Ministerpräsident<br />

Bruno Diekmann am 26. September 1949<br />

überdies: „Zur Vermeidung von Mißverständnissen<br />

sei darauf hingewiesen, daß<br />

die sogenannte Friesenklausel am Schluß<br />

der Erklärung nicht bedeutet, daß dieser<br />

Bevölkerungsteil als dänischer angesehen<br />

wird. Vielmehr soll dadurch lediglich zum<br />

Ausdruck gebracht werden, daß ihm die<br />

gleiche Entscheidungsfreiheit wie der übrigen<br />

Bevölkerung zusteht.“<br />

Aus diesen Formulierungen ergibt<br />

sich, daß die Landesregierung mit<br />

der „Friesenklausel“ gewiss nicht<br />

eine eigene friesische Minderheit<br />

anerkennen wollte. Andererseits stellt sich<br />

die Frage, weshalb überhaupt die Friesen<br />

erwähnt wurden, wenn nur ihre „Entscheidungsfreiheit<br />

wie der übrigen Bevölkerung“<br />

ausgedrückt werden sollte – was doch<br />

nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit<br />

darstellte. Die Formulierung in der „Friesenklausel“,<br />

die in der Kieler Erklärung aufgestellten<br />

Grundsätze sollten „sinngemäß<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 23


auch für die friesische Bevölkerung“ gelten,<br />

legt eher die Annahme nahe, dass es sich<br />

hier um eine weitere Gruppe handle.<br />

Man war sich bei der Einschätzung des<br />

friesischen Bevölkerungsteils offenbar nicht<br />

völlig im Klaren. Einerseits gab es hier den<br />

Nordfriesischen Verein für Heimatkunde<br />

und Heimatliebe. Er hatte in den „Bohmstedter<br />

Richtlinien“ von 1926 festgestellt, dass er<br />

durchaus nicht als Minderheit angesehen<br />

werden wolle. Diese Haltung bekräftigte er<br />

1946 und danach mehrfach. Indes legte er<br />

doch Wert auf die Pflege der eigenen Sprache<br />

und Kultur. Aus dieser leiteten nun die<br />

Nationalen Friesen andererseits die Existenz<br />

einer eigenen friesischen Minderheit ab und<br />

erhoben die Forderung nach Anerkennung<br />

durch die Politik. Allerdings arbeiteten sie<br />

vor allem in den Jahren nach 1945 eng mit<br />

der dänischen Minderheit zusammen, so<br />

dass die Grenzen manchmal wohl schon<br />

fließend erschienen.<br />

Die Landesregierung unterstützte die<br />

nationalpolitisch deutsche Position des<br />

Nordfriesischen Vereins. Gleichzeitig wollte<br />

sie sich aber zu Zugeständnissen gegenüber<br />

der dänischen Minderheit und der britischen<br />

Besatzungsmacht bereit zeigen. Auch<br />

die dänische Minderheit verfocht indes in<br />

den Verhandlungen nicht die Position, die<br />

Friesen sollten als eigenständige Minderheit<br />

Berücksichtigung finden.<br />

Trotz der einschränkenden Zusätze<br />

durch die Landesregierung ließ<br />

immerhin die letztlich verkündete<br />

Formulierung, die aufgestellten<br />

Grundsätze sollten „sinngemäß auch für die<br />

friesische Bevölkerung“ gelten, alle Möglichkeiten<br />

offen. Die Nationalen Friesen nutzten<br />

aber diese Chance nicht. Sie bezogen sich<br />

kaum einmal auf diesen Abschnitt der Kieler<br />

Erklärung. Der Nordfriesische Verein tat<br />

dies ohnehin nicht, da er ja um keinen Preis<br />

mit Minderheitsbestrebungen identifiziert<br />

werden wollte. Immerhin hätte auch er<br />

aber einen Satz aus der von der Landesregierung<br />

gegebenen Begründung für seine<br />

Ziele nutzbar machen können, nämlich<br />

dass die Friesenklausel „den Gebrauch der<br />

friesischen Sprache in gleichem Umfang wie<br />

der dänischen“ gewährleiste. Hieraus hätten<br />

sich weitreichende Forderungen nach einer<br />

breit angelegten friesischen Sprachpflege<br />

ableiten lassen.<br />

Aber nichts von alledem geschah. Warum<br />

nicht? Wie die bekannten Kaninchen auf die<br />

Schlange, so starrten die friesischen Vereinigungen<br />

auf den deutsch-dänischen Grenzkampf.<br />

Was auch nur entfernt an „Minderheit“<br />

erinnerte, scheute der Nordfriesische<br />

Verein wie der Teufel das Weihwasser. Und<br />

die Nationalen Friesen verhielten sich in<br />

dieser Zeit geradezu lammfromm gegenüber<br />

der dänischen Minderheit. Sie wachten erst<br />

auf, als es zu spät war. So galt in der Praxis –<br />

wie es auch ursprünglich gedacht war und<br />

schon in der Bezeichnung „Erklärung der<br />

Landesregierung Schleswig-Holstein über<br />

die Stellung der dänischen Minderheit“ zum<br />

Ausdruck kam – die „Kieler Erklärung“ allein<br />

für die dänische Minderheit. Die friesischen<br />

Vereinigungen vertaten ob ihrer Uneinigkeit<br />

und Zerstrittenheit sowie ihrer Fixiertheit<br />

auf den Grenzkampf die Chance, für die<br />

Nordfriesen und das Friesische Fortschritte<br />

zu erreichen.<br />

Sechs Jahre später entfiel die Grundlage<br />

dafür ganz: Der Schleswig-Holsteinische<br />

Landtag hob am 13. September<br />

1955 durch einstimmigen<br />

Beschluss die „Kieler Erklärung“ auf. An<br />

ihre Stelle war die Bonner Erklärung der<br />

Bundesregierung getreten, mit der die<br />

Kopenhagener Erklärung der dänischen<br />

Regierung korrespondierte. Bundeskanzler<br />

Konrad Adenauer wollte die Zustimmung<br />

Dänemarks zum Beitritt der Bundesrepublik<br />

in den Nordatlantischen Verteidigungspakt<br />

NATO erreichen, und so war man auf<br />

deutscher Seite zu Zugeständnissen bereit.<br />

Sie betrafen insbesondere den Fortfall der<br />

Sperrklausel für den Südschleswigschen<br />

Wählerverband, der seit 1954 nicht mehr im<br />

Landtag vertreten war.<br />

In den Erörterungen zwischen beiden<br />

Staatsregierungen wurde das Thema „Friesen“<br />

überhaupt nicht berührt, was bei diesen<br />

Verhandlungen auf der zwischenstaatlichen<br />

deutsch-dänischen Ebene auch nicht<br />

überraschen kann. Nun gab es kein verbindliches<br />

staatliches Dokument mehr, in dem<br />

die Friesen als Gruppe wenigstens erwähnt<br />

wurden. Was die dänische und die deutsche<br />

Minderheit als wichtigen Markstein in ihrer<br />

Entwicklung betrachten konnten, bedeutete<br />

für die Friesen, namentlich die Nationalen<br />

Friesen in Schleswig-Holstein mithin ein<br />

Negativum.<br />

24 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Fixiert auf die Ablehnung jeglicher Minderheitsbestrebungen,<br />

begrüßte der Nordfriesische<br />

Verein die Aufhebung sogar.<br />

Einstimmig beschloss er auf seiner Jahreshauptversammlung<br />

am 25. September 1955:<br />

„Wir Nordfriesen … danken alle[n] Fraktionen<br />

des Landtags sowie der Landesregierung<br />

für ihre Haltung in dieser Angelegenheit.“<br />

Die Formulierung „Wir Nordfriesen“<br />

erinnerte an die „Bohmstedter Richtlinien“<br />

von 1926 und konnte durchaus als Alleinvertretungsanspruch<br />

ausgelegt werden. Gleich<br />

am Tag nach der Versammlung teilte der<br />

Verein seinen Beschluss dem Ministerpräsidenten<br />

Kai-Uwe von Hassel brieflich mit,<br />

und dieser vermerkte darauf: „Danken“. Es<br />

entbehrt nicht der Ironie, dass ein Mitarbeiter<br />

des Ministerpräsidenten diese Entschließung<br />

veranlasst hatte. Hierin zeigte sich das<br />

enge Zusammenspiel zwischen dem Nordfriesischen<br />

Verein und der inzwischen von<br />

der CDU geführten Landesregierung.<br />

Die Nationalen Friesen – der Vereinsname<br />

lautete damals „Foriining for nationale<br />

Frashe“ – hingegen protestierten auf ihrer<br />

Generalversammlung am 12. November<br />

1955 „gegen die einseitige Aufhebung der<br />

Kieler Erklärung und gegen die damit zum<br />

Ausdruck kommende Mißachtung der<br />

national-friesischen Belange durch die<br />

schleswig-holsteinische Landesregierung“.<br />

Die „positive Haltung Dänemarks gegenüber<br />

der friesischen Frage“ hingegen wurde<br />

„lobend anerkannt“. Allerdings hatte sich<br />

„Dänemark“, also der dänische Staat bzw.<br />

dessen Regierung, hierzu gar nicht geäußert<br />

und ja gerade die „friesische Frage“ in den<br />

Verhandlungen auch gar nicht berührt. Gemeint<br />

waren wohl Verlautbarungen der dänischen<br />

Minderheit und einiger dänischer<br />

Publizisten und Politiker.<br />

Der Dank der Nationalen Friesen galt<br />

insbesondere dem dänischen Grenzverein.<br />

Dessen Vorsitzender Holger Andersen hatte<br />

sich überrascht und verwundert über die<br />

Aufhebung der Kieler Erklärung gezeigt und<br />

nicht zuletzt auf den Fortfall der „Friesenklausel“<br />

hingewiesen. Die Jahresversammlung<br />

der Nationalen Friesen sandte nun „die<br />

herzlichsten Grüße“ an den Grenzverein:<br />

„Gerade jetzt, da man uns Friesen in Kiel<br />

nicht mehr als ein selbständiges Volk anerkennt,<br />

ist Dänemarks positive Haltung uns<br />

gegenüber von größter Bedeutung, und wir<br />

nationalen Friesen werden uns dieser auch<br />

in Zukunft würdig erweisen.“ Der dänische<br />

Staatsminister H. C. Hansen hatte am<br />

20. Oktober 1955 in einer Rede vor dem dänischen<br />

Folketing der Aufhebung der Kieler<br />

Erklärung „keine größere praktische Bedeutung“<br />

beigemessen. Dem widersprach entschieden<br />

auch Flensborg Avis, die Zeitung<br />

der dänischen Minderheit. Die offizielle<br />

Stellungnahme der Landesregierung, die<br />

Kieler Erklärung decke sich mit der Bonner<br />

Erklärung und sei nun überflüssig, stimme<br />

nicht. Die Kieler Erklärung habe größere<br />

Verbindlichkeit, da sie im Gesetzblatt angezeigt<br />

worden sei. Sie sei in Verhandlungen<br />

zwischen der Landesregierung und der<br />

dänischen Minderheit zustande gekommen<br />

und dürfe nicht einfach einseitig aufgekündigt<br />

werden. Flensborg Avis vermutete, dass<br />

man mit der Kieler Erklärung auch einen<br />

Rest aus der britischen Besatzungszeit „los<br />

sein“ wollte. Besonders davon betroffen<br />

seien die Friesen. Denn im Abschnitt IV<br />

habe erstmals eine deutsche Regierung die<br />

friesische Bevölkerung als etwas für sich<br />

Bestehendes („som noget for sig“) anerkannt.<br />

Dies sei nun ersatzlos fortgefallen.<br />

Festzuhalten ist: Das Bekenntnis eines<br />

Teils der Nordfriesen zu einer<br />

eigenen Minderheit wurde durch<br />

die schleswig-holsteinische Landesregierung<br />

nicht anerkannt. Bei den Friesen<br />

vollzogen sich in den folgenden Jahrzehnten<br />

manche Veränderungen. Im Jahr 1955 war<br />

bei einem Friesenkongress im ostfriesischen<br />

Aurich das „Friesische Manifest“ beschlossen<br />

und verkündet worden, gedacht als<br />

eine gemeinsame Leitlinie für die Friesen<br />

in Nord-, in Ost- und im niederländischen<br />

Westfriesland. Deren Verbindungen wurden<br />

darin im Zusammenhang mit den europäischen<br />

Einigungsbestrebungen gesehen:<br />

„Die Zeit drängt nach größeren Zusammenschlüssen.<br />

Wir bejahen alle Bestrebungen,<br />

die zu einem vereinten Europa führen.“ Die<br />

interfriesische Kooperation milderte nun<br />

die nationalpolitischen Gegensätze in Nordfriesland.<br />

Ein Westfriese fragte 1952: „Geht es<br />

nun um Dänemark oder Deutschland oder<br />

um Nordfriesland selbst?“ Mehrfach baten<br />

West- und Ostfriesen die nordfriesischen<br />

Streithähne, nicht „das Gemeinfriesische“<br />

zu schädigen. Im 1956 neu gegründeten<br />

Friesenrat, der die Verbindungen zwischen<br />

den Frieslanden sicherstellen sollte, saßen<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 25


die „feindlichen Brüder“ in Nordfriesland<br />

an einem Tisch.<br />

Das Land Schleswig-Holstein ließ der<br />

Arbeit für die nordfriesische Sprache und<br />

Kultur manche Förderung zukommen, auch<br />

wenn es die Friesen nicht als Minderheit sah.<br />

1964/65 wurde die Errichtung des <strong>Nordfriisk</strong><br />

<strong>Instituut</strong> in Bredstedt mit Landesmitteln gefördert.<br />

Es bildete wohl sogar einen Sonderfall<br />

im Grenzraum, denn aufgrund der nationalpolitischen<br />

friesischen „Vorgeschichte“<br />

flossen über die dänische Minderheit und<br />

die Nationalen Friesen auch Mittel des Königreichs<br />

Dänemark in diese unabhängige<br />

Einrichtung, deren Existenz dann allerdings<br />

manches Mal gefährdet erschien. Seit Ende<br />

der 1970er Jahre sorgte das Land Schleswig-<br />

Holstein für einen Ausbau des friesischen<br />

Schulunterrichts. 1978 wurde an der Universität<br />

Kiel eine Professur für Friesisch eingerichtet.<br />

1986 beschloss die Landesregierung<br />

die Einrichtung einer Friesisch-Professur an<br />

der Hochschule in Flensburg in Verbindung<br />

mit dem <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong>; sie diente vor<br />

allem der Lehrerausbildung. 1987 debattierte<br />

der Schleswig-Holsteinische Landtag ausführlich<br />

über die Situation der Friesen.<br />

Ministerpräsident Uwe Barschel,<br />

im Amt seit 1982, hatte gegenüber<br />

der dänischen Minderheit<br />

deutlich mehr Entgegenkommen<br />

gezeigt als sein Vorgänger Gerhard<br />

Stoltenberg. Ob und wann sich dieser Kurs<br />

auch auf die friesische Bevölkerungsgruppe<br />

erstreckte, kann ohne Einsicht in die Akten<br />

nicht entschieden werden. In jedem Fall wurden<br />

nach der Übernahme des Amtes durch<br />

Björn Engholm wesentliche Entscheidungen<br />

getroffen, die den Friesen erstmals einen<br />

eigenen Stellenwert in der Landespolitik<br />

zuwiesen. Im Jahre 1988 wurde auf einstimmigen<br />

Landtagsbeschluss ein „Gremium für<br />

Fragen der friesischen Bevölkerungsgruppe<br />

im Lande Schleswig-Holstein“ unter dem<br />

Vorsitz der Landtagspräsidenten eingesetzt.<br />

Die Minderheiten- und Grenzlandbeauftragten<br />

der Ministerpräsidenten – zunächst<br />

Kurt Hamer, seit 1991 Kurt Schulz und seit<br />

2000 Renate Schnack – sind seitdem auch<br />

für friesische Angelegenheiten zuständig.<br />

Als ein „Markstein“ wurde von friesischer<br />

Seite der 1990 neu gefasste Artikel 5 („Nationale<br />

Minderheiten und Volksgruppen“)<br />

in der Verfassung von Schleswig-Holstein<br />

gewertet. Erstmals wurde darin neben der<br />

dänischen Minderheit auch der friesischen<br />

Volksgruppe „Anspruch auf Schutz und Förderung“<br />

zugesprochen. Wohl um nicht den<br />

alten Streit zwischen den friesischen Vereinigungen<br />

zu beleben, hatte man sich für<br />

den Begriff „Volksgruppe“ entschieden. Zudem<br />

beschloss der Schleswig-Holsteinische<br />

Landtag 2004 ein eigenes Friesisch-Gesetz<br />

(vgl. Nordfriesland 148).<br />

Die Voraussetzung für diese politischen<br />

Weichenstellungen bildeten ein Nachlassen<br />

des innerfriesischen Gegensatzes als<br />

Folge der inzwischen beendeten staatlichen<br />

Grenzlandpolitik – wodurch gemeinsame<br />

Forderungen der friesischen Vereinigungen<br />

ermöglicht wurden – und neue Strömungen<br />

in Europa, die seit den 1970er Jahren zu einer<br />

positiveren Bewertung von – nichtstaatlichen<br />

– kleinen Sprachen und Regionen,<br />

kleinen Völkern und Minderheiten führten.<br />

Diese wurden nun meist nicht mehr vorrangig<br />

als Bedrohung der Nationalstaaten,<br />

sondern als kultureller Reichtum angesehen.<br />

Minderheiten-Organisationen hatten<br />

solche Gedanken schon lange vertreten. Die<br />

friesischen Vereine Nordfrieslands, namentlich<br />

die Nationalen Friesen, beteiligten sich<br />

bereits früh an dieser Arbeit, vor allem in der<br />

1949 gegründeten Föderalistischen Union<br />

Europäischer Volksgruppen (FUEV).<br />

Besondere Bedeutung für die friesische<br />

Volksgruppe in Schleswig-Holstein<br />

– und auch für die Saterfriesen<br />

in Niedersachsen – erlangten zwei<br />

Vertragswerke des Europarats, die in den<br />

1990er Jahren realisiert wurden: die Europäische<br />

Charta der Regional- oder Minderheitensprachen<br />

und das Rahmenübereinkommen<br />

zum Schutz nationaler Minderheiten.<br />

Mit der Charta sollen traditionell in einem<br />

Vertragsstaat gesprochene Sprachen als<br />

bedrohter Bestandteil des europäischen<br />

Kulturerbes geschützt und gefördert werden.<br />

Die Bundesrepublik gehörte am 5. November<br />

1992 in Straßburg zu den Erstunterzeichnerstaaten<br />

der Charta. Es zeigte sich<br />

jedoch, dass das Auswärtige Amt hierin nur<br />

zwei Minderheitensprachen berücksichtigen<br />

wollte: Dänisch und Sorbisch. Vertreter<br />

friesischer Vereinigungen und Einrichtungen<br />

wandten sich mit empörten Stellungnahmen<br />

an die Öffentlichkeit, die auch von<br />

der überregionalen Presse aufgegriffen und<br />

26 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


kommentiert wurden. Bereits kurz danach<br />

signalisierte Bonn einen Sinneswandel und<br />

gab „grünes Licht“ für die Aufnahme der<br />

friesischen Sprache in die Charta. Diese trat<br />

schließlich am 1. Januar 1999 in Deutschland<br />

in Kraft und gilt als Bundesgesetz.<br />

Das Rahmenübereinkommen des<br />

Europarates zum Schutz nationaler<br />

Minderheiten geht auf eine<br />

Übereinkunft der Staats- und<br />

Regierungschefs vom 9. Oktober 1993 zurück.<br />

Es enthält verbindliche Grundsätze<br />

zum Schutz der nationalen Minderheiten.<br />

Nach der Charta-Auseinandersetzung gab<br />

es über die Einbeziehung der friesischen<br />

Volksgruppe in dieses Dokument keinen<br />

Streit. Die Bundesrepublik Deutschland<br />

erklärte bei der Zeichnung am 11. Mai 1995:<br />

„Das Rahmenübereinkommen enthält keine<br />

Definition des Begriffs der nationalen<br />

Minderheiten. Es ist deshalb Sache der einzelnen<br />

Vertragsstaaten zu bestimmen, auf<br />

welche Gruppen es nach der Ratifizierung<br />

Anwendung findet. Nationale Minderheiten<br />

in der Bundesrepublik Deutschland sind<br />

die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit<br />

und die Angehörigen des sorbischen Volkes<br />

mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das<br />

Rahmenübereinkommen wird auch auf die<br />

Angehörigen der traditionell in Deutschland<br />

heimischen Volksgruppen der Friesen<br />

deutscher Staatsangehörigkeit und der Sinti<br />

und Roma deutscher Staatsangehörigkeit<br />

angewendet.“ Das Übereinkommen trat in<br />

Deutschland am 1. Februar 1998 in Kraft<br />

und gilt ebenfalls als Bundesgesetz.<br />

Nach der Vereinigung Deutschlands im<br />

Jahre 1990 gehörte zur Bundesrepublik mit<br />

den Sorben in der Lausitz eine weitere Minderheit.<br />

In der Verfassung der DDR hatten<br />

sie sich auf Minderheitenrechte beziehen<br />

können. Auch vor diesem Hintergrund ergriffen<br />

die Minderheiten in Deutschland,<br />

die bald nach Mauerfall und Wende eine<br />

Zusammenarbeit angebahnt hatten, die<br />

Initiative, im zu ändernden Grundgesetz<br />

Minderheitenrechte zu verankern. Dafür<br />

fand sich jedoch 1994 im Bundestag nicht<br />

die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.<br />

Im deutschen Einigungsvertrag war den<br />

Sorben eine kontinuierliche Unterstützung<br />

auch durch den Bund zugesichert worden.<br />

Insbesondere gründete man zu diesem<br />

Zweck eine „Stiftung für das sorbische<br />

Volk“. In ihrem Bemühen um eine Förderung<br />

durch die Bundesrepublik schlugen die<br />

friesischen Vereinigungen Nordfrieslands<br />

1992 eine analoge Gründung für die Friesen<br />

vor. Langwierige Verhandlungen führten<br />

hier zwar nicht zu dem gewünschten Erfolg.<br />

Doch sagte der Staatsminister Dr. Michael<br />

Naumann, Beauftragter der Bundesregierung<br />

für Kultur und Medien, im Jahr 2000<br />

in Husum eine laufende Unterstützung<br />

von Projekten der friesischen Volksgruppe<br />

aus Bundesmitteln zu. Die friesischen Vereinigungen<br />

sind um eine Verstetigung und<br />

Erhöhung dieser Förderung bemüht, die<br />

sich im Vergleich mit anderen Minderheiten<br />

eher bescheiden ausnimmt. Der im Jahre<br />

2002 ernannte Beauftragte der Bundesregierung<br />

für nationale Minderheiten ist auch<br />

für die friesische Volksgruppe zuständig, seit<br />

Ende 2004 hat der SPD-Bundestagsabgeordnete<br />

Hans-Peter Kemper dieses Amt inne. In<br />

den letzten Jahren hat damit auch der Bund<br />

allgemein das Politikfeld „Minderheiten in<br />

Deutschland“ und speziell die Friesen „entdeckt“.<br />

Eine wesentliche Rolle spielte dabei<br />

das Bundesland Schleswig-Holstein.<br />

Die friesische Volksgruppe kann<br />

50 Jahre nach dem Tiefpunkt<br />

in der Folge der Bonner Erklärung<br />

als in der Bundesrepublik<br />

Deutschland voll anerkannte, wenn auch<br />

nur auf niedrigem Niveau geförderte Minderheit<br />

gelten.<br />

In zwei zum 50-jährigen Jubiläum der Bonn-<br />

Kopenhagener Erklärungen erscheinenden<br />

umfangreichen Büchern hat Thomas Steensen<br />

in zwei unterschiedlichen Beiträgen die<br />

Situation der Nordfriesen 1945-2005 ausführlicher<br />

behandelt, als es hier möglich war:<br />

„Die Nordfriesen 1945-2005“. In Jørgen Kühl<br />

und Robert Bohn (Hrsg.): Ein europäisches<br />

Modell? Nationale Minderheiten im deutschdänischen<br />

Grenzland 1945-2005. Institut<br />

for Grænseregionsforskning und Institut für<br />

schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte,<br />

Aabenraa und Schleswig 2005<br />

sowie in „Nordfriserne mellem Kiel, Bonn,<br />

København og Strasbourg.“ In: København-<br />

Bonn Erklæringerne 1955-2005. De dansktyske<br />

mindretalserklæringers baggrund,<br />

tilblivelse og virkning. Redigeret af Jørgen<br />

Kühl. Institut for Grænseregionsforskning -<br />

Syddansk Universitet, Aabenraa 2005.<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 27


ferteel<br />

iinjsen!<br />

Den zweiten Preis beim Wettbewerb<br />

„Ferteel iinjsen!“, den<br />

die NDR Welle Nord auch 2004<br />

gemeinsam mit der Nord-Ostsee<br />

Sparkasse, der Spar- und<br />

Leihkasse zu Bredstedt AG und<br />

dem <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong> durchführte,<br />

erhielt Ellin Nickelsen<br />

mit der folgenden Geschichte<br />

über ein Föhringer Mädchen.<br />

Feerientidj<br />

Faan Ellin A. Nickelsen<br />

At wiar a letst skuuldai föör a<br />

somerfeerien. A skuuljongen<br />

skoow jo iin uun a bus, wat faan<br />

a süüdstrun dönen faan’t lun<br />

tüs auer a taarpen broocht. En<br />

skuulbus jeew at ei, an so stiigd<br />

a jongen uun en bus, wat al propenfol<br />

wiar mä baaselidj.<br />

Keike kaam noch jüst an jüst<br />

mä sak an pak a dör iin. Lik föör<br />

hör stään en baasemaan, laacht<br />

krilen, güül ostfriisennerts, aanj<br />

20. Hi harket ap, üüs hat mä<br />

Anke fering snaaket an wiar<br />

neiskirig, wat jo diar dach wel<br />

för en spriik brükt.<br />

Beeft Ödersem seed hi ham<br />

hen bi Keike. A miast jongen<br />

wiar al mä grat haloo ütjstegen.<br />

A iarst feeriendai! Feerien üüb’t<br />

aanj eilun! Wat en spoos.<br />

Neemen keerd wech – kaam’s<br />

dach ütj hial Tjiisklun heer<br />

hen an betaalet noch diarför.<br />

Üüb’t eilun kaam auer somer<br />

wat luas, an wan ’am ei alterföl<br />

uun a büürerei halep tost, küd<br />

’am feks mämaage bi a strunkurewpartiis,<br />

struatenfesten an<br />

diskoos bit at laacht wurd…<br />

Keike wiar al amkwartiaret,<br />

wenet auer somer bi ualmam<br />

an ualaatj uun a piisel. Hör aanj<br />

rüm wiar ferhüürd.<br />

„Huar skääl dü ütjstiig?“,<br />

fraaget de baasemaan beeft<br />

Dunsem. „Ik wene uun Olersem“,<br />

swaaret Keike en betj kek,<br />

„an wat skääl dü?“ „So’n tufaal<br />

uk dach“, griinet de maan, „ik<br />

wul uk efter Olersem. Meest mi<br />

ei din taarep wise?“<br />

Det taarep – na jaa, det tost<br />

hat nü jo ei geliks haa. Mä en<br />

baasegast troch’t taarep dwaale<br />

… Man hat hed feerien, hat hed<br />

tidj! An am hualew trii wul hat<br />

ham uun a bushalte meet.<br />

Aran wiar’s altermool tu fials,<br />

det paaset jo gud. Am hualew<br />

trii ging hat am tu’t haltesteed<br />

„Ual fering wiartshüs“, an diar<br />

seed’r uk al tu teewen uun san<br />

smok güül ostfriisennerts.<br />

„Leet’s ütj bi a dik!“, sluch hat<br />

föör an jo schauet at jaat deel<br />

bütjtaarep. „Ik het Reinhard“,<br />

saad hi an fertääld faan Münster,<br />

huar hi wenet, faan sin werk<br />

an dat hi alianing feerien maaget<br />

bi a Wik. Üüs hi hiard, dat<br />

hat Keike het, griinet hi. So’n<br />

nööm oober uk dach!<br />

Ji naier jo a dik kaam, ji naier<br />

kaam Reinhard. Lingd ens efter<br />

Keikes hun, fersoocht ens, en<br />

iarem amtuleien. Keike wiar<br />

smiicheld – so’n preuten maan<br />

foon ham gud! Huar hat dach<br />

arken maaren, wan hat uun a<br />

speegel luket, iarst ens a ääterblaanjen<br />

siig, wat auer naacht<br />

üüb braanj an nöös apbleud<br />

wiar.<br />

Wan Anke ham so sä küd!<br />

Oober uun a maask wiar neen<br />

mensk, wat ham siig. Auer bi<br />

Sörens wai wiar en büür uun’t<br />

sweesin, en laask stään huuch<br />

uun a loft. Hög kwiigen lep<br />

neiskirig bi’t pikwiar loongs, bit<br />

jo ei muar widjer küd.<br />

Bi Klantem dik ging jo auer.<br />

Bleew üüb a dik stunen tu lukin.<br />

At föörlun wiar brons mä<br />

haligruusen, hög schep geesigd<br />

bütjdiks, a locht wiar klaar.<br />

Üüb a kiming, so wiset Keike a<br />

baasemaan, küd am en tsuch<br />

auer a dam keeren sä. A wönger<br />

faan a autus blinket. Dön hüsing<br />

diarauer wiar Waasterlun.<br />

Ellin Nickelsen stammt aus Oldsum<br />

auf Föhr und ist eine der bekanntesten<br />

und erfolgreichsten Autorinnen<br />

in friesischer Sprache. (Adresse:<br />

Brahmsstr. 3, 27616 Beverstedt.)<br />

Reinhard luket wel uk, man sin<br />

toochter wiar ei bi a saag.<br />

„Leet’s deelsat“, trögeld hi.<br />

Man üüs hat do bi ham üüb’t<br />

gäärs seed, begand hi al weler,<br />

hör amtunemen, tjimd mä<br />

sin fangern troch hör hiar an<br />

bewonerd’s rocht wat. Hü smok<br />

hat wiar, hü so gans besonders,<br />

an wer hat en frinj hed an auerhood<br />

– so üüs hat ütjsiig, räänd<br />

a gaster hör dach was beeftuun<br />

an hat küd ham ei berig an beskias<br />

wost hat uk dach was auer<br />

maan an wüf an auerhood.<br />

Keike wurd det biletjen en<br />

betj ünhiamelk. Reinhard wiar<br />

aanj twuntig. En ualen maan<br />

för en skuulfoomen faan 15.<br />

Hat sproong amhuuch:<br />

„Leet’s dach ens deel üüb<br />

sunwaal luup“, rept hat lastig,<br />

man klangd al en betj künstelk<br />

diarbi, „diar jaft at gans apartig<br />

stian!“ An hat räänd fööruf an hi<br />

beeftuun.<br />

Auer de ual goodel hen ging’t<br />

üüb’t föörlun. An diar fing hi<br />

Keike iinhaalet an lai bial iarmer<br />

am hör. Hääl hör rocht<br />

wat feest an kaam mä’t hood<br />

gans nai deel. Keike dreid hör<br />

wech. „Fangern wech – ik mei<br />

det ei haa“, wul hat jüst rep, üüs<br />

diar üüb ian mool en spiktaakel<br />

kaam, en skriiken uun a loft, en<br />

skrekelk skriamin. Üüs en kalkuter<br />

schood diar en baker ütj<br />

a blä hemel deel, stört ham üüb<br />

28 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005<br />

Foto: Dieter Wrege


Reinhard an jaaget „swisch“<br />

üüs en tornado uun tiiffluug<br />

auer san schuarel hen. A krilen<br />

floog man so.<br />

An knaap wiar de een fögel<br />

wech, kaam en ölern faan beeften.<br />

En halarem, üüs wan at am<br />

leewent an duas ging. A hiale<br />

loft wiar üüb’n mool laben. Gratem<br />

stemen faan letj fögler, wat<br />

splitjendol uun a hemel hinget<br />

an mä hörens suart letj hööd<br />

an skarep snoobler auer hörens<br />

fiind kaam üüs en laid. Ferduure,<br />

diar seed kaluun beeft.<br />

De aarem Reinhard. Üüb<br />

ham hed’s en pik! Hi smeed<br />

ham deel üüb a bük, man det<br />

holep uk ei. Dön bakern floog<br />

ianfach jiper. Huar hi uk krabeld,<br />

jo kaam’ar auer ham,<br />

floog „attacke“ , schood deel,<br />

toog jüst auer sin hood hen,<br />

do weler amhuuch, skriikt mä<br />

düüsen arig stemen. Det wiar<br />

üüs krich!<br />

Keike fing de maan mä meu<br />

an nuad turag üüb a dik bugsiaret,<br />

huar dön fögler godlof faan<br />

jo ufleet. Spirwitj am a nöös<br />

seed hi deel tu püstin. Hunen<br />

an breken fül faan schepluurter<br />

an klei.<br />

„Wat heest dü mä döndiar<br />

fögler maaget?“, fraaget hi benauet,<br />

gans letjem an baang,<br />

dat’s weler üüb ham tu kleets<br />

wul, „Det as jo ringer üüs Hitchcock!“<br />

Man Keike swiiget, wiar salew<br />

en betj ütj a püst. Hat toog bluat<br />

a skolern huuch an luket Reinhard<br />

ünskiljig mä grat uugen<br />

uun. „Det san motsenklauern,<br />

so du’s, wan jo bred“, wul hat<br />

noch swaare an küd ham en<br />

hiamelk griinin ei ferknip. Man<br />

Reinhard wiar al – raps – aueraanj<br />

an saner noch en wurd tu<br />

ferleesen, staapet hi a dik deel,<br />

hen üüb a maaskwai an straks<br />

tu’t taarep.<br />

Keike oober bleew üüb a dik<br />

saten, luket det güül jak beeftuun,<br />

wat uun a san skürnet üüs<br />

en ialtörn. Dreid ham do am an<br />

luket auer’t föörlun, huar brons<br />

a ruusen bleud an en skööl bakern<br />

turag tu neest ging, tufrees<br />

mä jo salew, nü, dat’s a güül<br />

gefoor so helisk fein her wurden<br />

wiar.<br />

bÜcher<br />

Historischer Atlas<br />

Schleswig-Holstein<br />

Eine Standardwerk zur Geschichte<br />

Schleswig-Holsteins<br />

erhielt nun seinen dritten Teil:<br />

Jürgen H. Ibs, Eckart Dege,<br />

Henning Unverhau (Hrsg.):<br />

Historischer Atlas Schleswig-<br />

Holstein. Vom Mittelalter bis<br />

1867. Herausgegeben im Auftrag<br />

der Gesellschaft für Schleswig-<br />

Holsteinische Geschichte. 174 S.<br />

35,00 Euro. Wachholtz Verlag,<br />

Neumünster 2004.<br />

Das Herausgeberteam hat<br />

sich mit seinen Werken rückwärts<br />

in die Geschichte bewegt.<br />

Nach den Bänden „Schleswig-<br />

Holstein seit 1945“ und „1867<br />

bis 1945“ fand nun die lange<br />

Periode seit der Herausbildung<br />

der historischen Kräfte ab dem<br />

9. Jahrhundert bis zum Übergang<br />

der Herzogtümer an das<br />

Königreich Preußen 1867 Berücksichtigung.<br />

An Beispielen werden die<br />

wichtigsten Epochen der wirtschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen<br />

Geschichte anschaulich<br />

gemacht. Ein für die Marschenküste<br />

und damit auch für<br />

Nordfriesland wichtiges Kapitel<br />

bilden Küstenschutz und Landgewinnung.<br />

Anhand einer Karte<br />

werden die verschiedenen<br />

Phasen der Bedeichung gezeigt,<br />

wobei der aktuelle Stand der<br />

Forschung zugrunde gelegt ist.<br />

Einen Eindruck davon, wie<br />

etwa aus urkundlichen Überlieferungen,<br />

deren Auswertung<br />

hohe Sachkenntnis und einiges<br />

an Forscherfleiß erfordert,<br />

ökonomische Entwicklungen<br />

ablesbar gemacht werden können,<br />

bietet beispielsweise der<br />

Abschnitt über die „Einkünfte<br />

des Schleswiger Domkapitels<br />

von 1352 und 1437“. Die Gemeinschaft<br />

der Schleswiger<br />

Kirchenherren besaß auch<br />

im nordfriesischen Gebiet<br />

Ländereien. Am Rückgang<br />

der Einnahmen lässt sich eine<br />

wirtschaftliche Krise nachvollziehen.<br />

Ähnliches gilt für die<br />

Entwicklung des Landbesitzes,<br />

die durchschnittliche Größe<br />

von Bauernhöfen und den<br />

Einfluss der unterschiedlichen<br />

Herrschaftsformen – königlich,<br />

herzoglich, gutsherrlich, kirchlich<br />

– auf die Eigentumsverhältnisse.<br />

Jeweils auch für den<br />

nordfriesischen Raum werden<br />

eingehende Angaben geboten.<br />

Die Städte im Mittelalter sind<br />

ebenso Thema wie die große<br />

Agrarreform des 18. Jahrhunderts.<br />

Die Marktflecken des<br />

nordfriesischen Raumes sind<br />

in ihrer Entwicklung ersichtlich<br />

so wie beispielsweise auch<br />

die Stärke der Handelsflotte<br />

im 19. Jahrhundert. Unter der<br />

Überschrift „Kultur und Bildung“<br />

stehen die Schulen neben<br />

dem Zeitungswesen.<br />

Mit der Behandlung der<br />

Nordfriesen und der speziellen<br />

Gegebenheiten der nordfriesischen<br />

Geschichte, Sprache und<br />

Kultur wurde in diesem Band<br />

eine zuvor schmerzlich empfundene<br />

Lücke geschlossen. In<br />

einem von mehreren über die<br />

Epochengrenzen hinausführenden<br />

Längsschnitten durch<br />

die Geschichte gibt Thomas<br />

Steensen einen Überblick<br />

über die Herausbildung der<br />

unterschiedlichen und vielfach<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 29


gegensätzlichen friesischen<br />

Positionen im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Zudem arbeitet er die<br />

historischen Bedingungen und<br />

Grundlagen der friesischen<br />

Spracharbeit und der friesischen<br />

Volksgruppe in der Politik<br />

heraus.<br />

Wie es sich für einen Atlas<br />

gehört, lebt das Werk von seinen<br />

Karten. Überzeugend und<br />

sehr anschaulich gestaltet, vermitteln<br />

sie sinnliche Eindrücke<br />

von Prozessen und Zuständen,<br />

die in komplexen Texten vieler<br />

anderer Werke dem Interessierten<br />

vielfach eher verborgen als<br />

dargeboten werden. Vor allem<br />

für den Schulgebrauch ist es<br />

empfehlenswert.<br />

Die großzügige Förderung<br />

durch die Sparkassenstiftung<br />

Schleswig-Holstein, die Stiftung<br />

Schleswig-Holsteinische<br />

Landschaft, die Kultur-Stiftung<br />

des Landes Schleswig-Holstein<br />

und die Possehl-Stiftung hat<br />

zudem einen angesichts der<br />

aufwändigen Gestaltung sehr<br />

günstigen Preis ermöglicht.<br />

Fiete Pingel<br />

Eine märchenhafte<br />

Biographie<br />

Das Leben des dänischen Märchendichters<br />

Hans Christian<br />

Andersen verlief selbst wie ein<br />

Märchen. Und über dieses erschien<br />

nun – rechtzeitig zum<br />

200. Geburtstag – eine märchenhafte<br />

Biographie:<br />

Jens Andersen: Hans Christian<br />

Andersen. Eine Biographie.<br />

806 S. 28,00 Euro. Insel Verlag,<br />

Frankfurt am Main und Leipzig<br />

2005.<br />

Der Autor, der ebenfalls den<br />

in Dänemark nicht gerade seltenen<br />

Namen Andersen trägt,<br />

arbeitet als Kulturredakteur<br />

der Kopenhagener Zeitung Berlingske<br />

Tidende. Seine Biographie<br />

erschien 2003 in dänischer<br />

Sprache und wurde hoch gelobt<br />

– mit Recht. Die deutsche Übersetzung<br />

dürfte ebenfalls Furore<br />

machen. Auf breiter Quellengrundlage<br />

und in anschaulicher<br />

Sprache wird H. C. Andersens<br />

Weg aus ärmlichen Verhältnissen<br />

zum weltberühmten Dichter<br />

beschrieben. Wir erfahren<br />

viel über die Gesellschaft, in der<br />

er sich behauptete, über seine<br />

Weltanschauung und auch<br />

über seine sexuellen Neigungen,<br />

über die viel gerätselt und<br />

geschrieben wurde.<br />

Natürlich geht es auch um<br />

Andersens Badereise 1844 nach<br />

Wyk auf Föhr auf Einladung<br />

des dänischen Königs Christian<br />

VIII., allerdings widmet der<br />

Autor dem Aufenthalt nur gut<br />

zwei Seiten. Es fehlt nicht das<br />

bekannte Zitat, über das sich jeder<br />

Freund der Insel Föhr freut:<br />

„Ich habe jeden Tag gebadet<br />

und muss sagen, es ist das unvergleichlichste<br />

Wasser, in dem<br />

ich je gewesen bin!“ Der Dichter<br />

erkundete das Wattenmeer<br />

und konnte diese Erfahrungen<br />

sodann in seinem Roman „De<br />

to Baronesser“ verwenden. Aus<br />

unerfindlichen Gründen wird<br />

dies in der Biographie nicht berücksichtigt.<br />

Sie bringt aber ein<br />

Gedicht über Föhr, das Hans<br />

Christian Andersen in zehn<br />

Minuten schrieb – und über<br />

das sich ebenfalls jeder Freund<br />

Föhrs freuen wird. Es endet:<br />

„Seht hin zum Land des Glücks,<br />

wie es da liegt im Licht, / Es<br />

schwimmt im Wasser, so wie<br />

mein Gedicht!“ Thomas Steensen<br />

Literatur<br />

im 19. Jahrhundert<br />

Die großartige Literaturgeschichte<br />

Schleswig-Holsteins<br />

aus der Feder des früheren<br />

Lehrstuhlinhabers in Flensburg<br />

Horst Joachim Frank haben<br />

wir in dieser Zeitschrift bereits<br />

gewürdigt. Nun liegt der voluminöse<br />

dritte Band – insgesamt<br />

mehr als 1200 Seiten! – vor:<br />

Horst Joachim Frank: Literatur<br />

in Schleswig-Holstein. Band<br />

3: 19. Jahrhundert. Erster Teil:<br />

Im Gesamtstaat. 708 S. Zweiter<br />

Teil: In Preußen und im neuen<br />

Reich. 510 S. Zusammen 60,00<br />

Euro. Wachholtz Verlag, Neumünster<br />

2004.<br />

Schriftsteller aus Nordfriesland<br />

und solche, die mit der<br />

Region in Verbindung standen,<br />

nehmen selbstverständlich<br />

breiten Raum ein. Ausführlich<br />

widmet sich Frank insbesondere<br />

dem Leben und Werk des<br />

Althistorikers und Nobelpreisträgers<br />

Theodor Mommsen,<br />

und noch mehr Raum gibt<br />

er dessen gleichaltrigem Na-<br />

mensvetter und Mitstudenten<br />

Theodor Storm: allein rund<br />

190 Seiten! Natürlich ist das,<br />

was Horst Joachim Frank zusammenträgt,<br />

nicht eigentlich<br />

„neu“, es findet sich zumeist<br />

verstreut in vielen verschiedenen<br />

Veröffentlichungen. Aber<br />

davon eine Gesamtschau zu geben,<br />

ist die besondere Leistung<br />

dieser Literaturgeschichte.<br />

Das Werk des „revolutionären<br />

Poeten“ Harro Harring<br />

aus Wobbenbüll bei Husum<br />

erläutert Frank auf immerhin<br />

25 Seiten. Sehr schön schildert<br />

er die Entdeckung Sylts durch<br />

Literaten wie Julius Rodenberg,<br />

Theodor Mügge oder Ernst<br />

Willkomm. Und er behandelt<br />

zum Beispiel die berühmten<br />

Balladen Detlev von Liliencrons<br />

„Trutz, blanke Hans“ und „Pidder<br />

Lüng“.<br />

Auch sonst klingen nordfriesische<br />

Themen in dieser opulenten<br />

Literaturgeschichte immer<br />

wieder an. Frank würdigt<br />

etwa Klaus Groths in Bredstedt<br />

und Umgebung spielende<br />

Verserzählung „De Heisterkrog“<br />

als „reifstes Erzählwerk“ des<br />

Begründers der neuniederdeutschen<br />

Literatur. In den beiden<br />

Kapiteln „Reisebilder“ vermisse<br />

ich allerdings die in meinen<br />

Augen schönste und trefflichste<br />

Reisebeschreibung über das<br />

Nordfriesland des 19. Jahrhunderts,<br />

nämlich „Die Marschen<br />

und Inseln der Herzogthümer<br />

Schleswig und Holstein“ von<br />

Johann Georg Kohl, erschienen<br />

1846 in drei Bänden. Prägnant<br />

behandelt Horst Joachim Frank<br />

die Literatur in nordfriesischer<br />

Sprache.<br />

Die Lektüre bereitet Vergnügen,<br />

zumal der Autor auch<br />

manche Episode einstreut, die<br />

der Schilderung Farbe gibt.<br />

Diese Literaturgeschichte lädt<br />

ein zum Schmökern, Entdecken<br />

und Weiterlesen.<br />

Thomas Steensen<br />

Suustern, Luustern,<br />

Smuustern<br />

Mit geübtem Blick hat der<br />

versierte heimatkundliche<br />

Buchautor Hans Otto Meier,<br />

Vorsitzender des Nordfriesischen<br />

Vereins, 18 Geschichten<br />

zusammengetragen:<br />

30 NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005


Hans Otto Meier: Suustern,<br />

Luustern, Smuustern. Geschichten,<br />

de dat Dörp vertellt.<br />

96 S. 6,90 Euro. Selbstverlag<br />

des Verfassers, Fahretoft 2004.<br />

In Kommission erhältlich beim<br />

<strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong>.<br />

Op Plattdüütsch gifft dat<br />

wat to „Suustern“ (Flüstern),<br />

„Luustern“ (Zuhören) un<br />

„Smuustern“ (Schmunzeln).<br />

Historische Kapitel aus der<br />

nordfriesischen Heimatkunde<br />

nehmen einen breiten Raum<br />

ein, wenn es um Grönlandfahrt,<br />

den Kriegsschauplatz Dagebüll<br />

im 19. und 20. Jahrhundert oder<br />

um den blinden friesischen<br />

Schulmeister Böle Bonken<br />

geht, an den sich Ältere noch<br />

erinnern.<br />

Volkskundliches klingt an in<br />

Texten über die sehr jungen<br />

Viehhirten, die bis ins 20. Jahrhundert<br />

hinein ihren Dienst<br />

taten, über die „Hygiene“ in<br />

vergangenen Zeiten und über<br />

Geistergeschichten und „Spijökenkram“,<br />

mit dem sich die<br />

Dorfsleute unterhielten, als es<br />

noch keine Horrorfilme gab.<br />

Den eindrucksvollen Abschluss<br />

bildet unter der Überschrift „De<br />

gode ole Tied“ – wobei „gode“<br />

in Anführungszeichen steht,<br />

eine Auflistung von vorzeitigen<br />

Todesfällen aus dem Dagebüller<br />

Kirchenbuch, die daran<br />

erinnert, wie wenig selbstverständlich<br />

etwa die heutige gute<br />

medizinische Versorgung ist.<br />

„Geschichten, de dat Dörp<br />

vertellt“ bietet anregende Informationen,<br />

Lustiges und Stoff<br />

zum Nachdenken. fp<br />

Meer – Insel – Schiff<br />

Neben den Friesen bilden auch<br />

die Sorben in den Bundesländern<br />

Brandenburg und Sachsen<br />

eine autochthone Sprachminderheit<br />

in Deutschland. In<br />

vielfältiger Weise arbeiten die<br />

beiden Gruppen kulturell und<br />

politisch zusammen. Nun erschien<br />

in der Lausitz ein Buchtitel,<br />

der auch einen friesischen<br />

Hintergrund vermuten lassen<br />

könnte:<br />

Kito Lorenc (Hrsg.): Das Meer.<br />

Die Insel. Das Schiff. Sorbische<br />

Dichtung von den Anfängen<br />

bis zur Gegenwart. 327 S. 24,90<br />

Euro. Verlag Das Wunderhorn,<br />

Heidelberg 2004.<br />

An den Anfängen der sorbischen<br />

Lyrik stehen überlieferte<br />

Volkslieder und Erinnerungen<br />

an ruhmreiche Vorväterschlachten.<br />

Renaissance und<br />

Barock brachten auch unter<br />

den Sorben, besonders unter<br />

den Pastoren, „manch kräftigen<br />

Dichter“ hervor, wie es der<br />

Herausgeber in seinem Vorwort<br />

formuliert. Die Zeit des erwachenden<br />

sorbischen Nationalgefühls<br />

im 19. Jahrhundert ist<br />

breit vertreten. Die Unterdrückung<br />

des Sorbischen während<br />

der NS-Zeit spiegelt sich wider.<br />

Schließlich führt der Weg zur<br />

aktuellen Poesie.<br />

Die Texte sind deutsche<br />

Übertragungen von sorbischen<br />

Originalen, von denen einige<br />

wenige aufgenommen sind,<br />

sowie auch deutsche Gedichte<br />

sorbischer Autoren. Zielgruppe<br />

ist also die nicht-sorbisch-sprachige<br />

Mehrheitsbevölkerung.<br />

Anhand der Hinweise auf die<br />

der Sammlung zu Grunde gelegte<br />

poetische und lyrikkundliche<br />

Literatur wird deutlich, in<br />

welch umfassendem Maße die<br />

sorbische Lyrik zu DDR-Zeiten<br />

gefördert und begleitet wurde,<br />

und welch hohen Rang sie auch<br />

heute einnimmt.<br />

Der Autor Peter Handke, der<br />

mütterlicherseits von Kärntner<br />

Slowenen abstammt, macht in<br />

seinem Geleit deutlich, wie ihm<br />

gerade die Lyrik einen Zugang<br />

zur Wahrnehmung der Welt aus<br />

der Sicht eines kleinen Volkes<br />

eröffnet. Das Meer, von dem<br />

im Titel die Rede ist, ist nämlich<br />

die Welt, so schreibt Kito<br />

Lorenc. Die sorbische Insel soll<br />

nicht vom Meer verschlungen<br />

werden. Es gilt, das Schiff der<br />

Sprache flott zu halten, um sicher<br />

das Meer zu befahren. fp<br />

Tod in der Marsch<br />

Es gilt einen Krimi anzuzeigen,<br />

der – jedenfalls den verwendeten<br />

Namen nach – in Nordfriesland<br />

angesiedelt ist:<br />

Hannes Nygaard: Tod in der<br />

Marsch. 240 S. 9,00 Euro. Emons<br />

Verlag, Köln 2004.<br />

Aus „Husum“ verschwindet<br />

eine Frau mit ihrer kleinen<br />

Tochter. Beide werden tot aufgefunden.<br />

Die Polizei macht<br />

sich – am Ende erfolgreich – auf<br />

die Mörderjagd. Zu den Er-<br />

mittlern zählen ein fähiger,<br />

bedachtsamer Kripo-Dienststellenleiter,<br />

ein raubeiniger<br />

„Bulle“, ein besonders diensteifriger<br />

Jungbeamter, eine auf<br />

ihren Doktor-Titel bedachte<br />

Pathologin, zu den Verdächtigen<br />

ein alter Jude und ein<br />

junger Türke, der dem Trunke<br />

zugeneigte Ehemann und Vater<br />

sowie einige dem Anschein<br />

nach identitätsstarke Leute<br />

vom Lande. So weit, so Tatort.<br />

Das Erzählstück könnte<br />

überall außerhalb der Großstädte<br />

spielen. Einen Ort wie<br />

das Roman-Husum, in dem zu<br />

einer bestimmten „Jahreszeit<br />

lediglich zweimal am Tag ein<br />

Schnellzug“ hält – solch eine<br />

Jahreszeit gibt es im realen<br />

Husum übrigens nicht –, lässt<br />

sich wohl öfter finden. Der Krimi<br />

ist recht unterhaltsam und<br />

nicht schlechter als andere, die<br />

„Verwurzelung“ ist Masche. fp<br />

Blutspur<br />

nach Sylt<br />

Der erste Roman eines Oberstudiendirektors<br />

i. R. ist dem<br />

Kriminalfach gewidmet.<br />

Karl-Wilhelm Gabbert: Blutspur<br />

nach Sylt. Oldenburg-Föhr-<br />

Sylt-Kriminalroman. 3. Aufl.,<br />

230 S. 12,80 Euro. Oldenburg 2004.<br />

Und recht blutrünstig, wie der<br />

Titel verspricht, geht es auch<br />

zu. Die niemals langweilige<br />

Geschichte, man liest die über<br />

200 Seiten leicht an einem Tag,<br />

führt von Oldenburg in Niedersachsen<br />

auf Deutschlands<br />

beliebteste Ferieninsel Sylt. Die<br />

nordfriesische Nachbarinsel<br />

Föhr, die im Untertitel angekündigt<br />

wird, bildet im Roman<br />

dagegen nur einen winzigen<br />

Nebenschauplatz, wie übrigens<br />

auch die dänische Insel Röm.<br />

Wie viele Sommerurlauber<br />

nutzen auch die Hauptpersonen<br />

im Krimi die Insel- und<br />

Halligwelt für Tagesausflüge<br />

von Hörnum bzw. von List aus.<br />

Wer hoffte, Einblicke in die<br />

Seele der Sylter, eventuell gar<br />

in innere Abgründe, werfen zu<br />

dürfen, sieht sich arg getäuscht.<br />

Sylt ist nur das Bühnenbild. Die<br />

im „Tatort“-Format entworfene<br />

Handlung könnte – wie auch<br />

die des genannten Husum-Krimis<br />

– überall spielen.<br />

Harry Kunz<br />

NORDFRIESLAND <strong>149</strong> – März 2005 31


eaktionen<br />

Sylt 1951<br />

Zu Manfred Wedemeyer: „An<br />

diesem erschütternden Meere<br />

habe ich tief gelebt“ (Thomas<br />

Mann). In: Nordfriesland 147.<br />

Ein anderer Künstler – einer<br />

von zahlreichen, die es auf die<br />

Insel zog –, Frido Witte (1881-<br />

1965), Maler, Graphiker und<br />

Designer aus Schneverdingen,<br />

bekannt geworden durch seine<br />

Radierungen und Aquarelle<br />

zum bäuerlichen Leben in der<br />

Lüneburger Heide, hinterließ<br />

ein Tagebuch, in dem er seine<br />

Eindrücke von einer Sylt-Reise<br />

im Jahre 1951 festhielt. Ein lesenswertes<br />

Zeitzeugnis. Witteschrieb<br />

unter anderem:<br />

Erst gegen Abend, nach<br />

Überquerung des Hindenburgdammes<br />

(bei Ebbe, eine ganz<br />

undramatische Angelegenheit!)<br />

kam ich in Westerland an. Der<br />

Badeort zeigte, dass er zur<br />

Großstadt geworden war.<br />

Früh am Morgen ging die<br />

Fahrt nordwärts, durch Wenningstedt,<br />

Kampen, vorbei an<br />

vielen neuen Siedlungen, die<br />

z. T. in gutem friesischen Charakter<br />

mit Reetdächern da standen,<br />

durch die Dünen nach List.<br />

nord<br />

friesland<br />

Diese letzte Strecke ist nicht<br />

lang, sie dauerte nur eine halbe<br />

Stunde, aber der Eindruck der<br />

öden, ausgedehnten Dünenwelt<br />

ist grandios, man denkt an<br />

arktische Länder. Ich hatte mir<br />

List still und einsam vorgestellt,<br />

jedoch es kam anders. Ein neues<br />

Dorf tauchte auf, das aus vielen<br />

modernen Friesenhäusern<br />

mit Reetdach bestand, alle gut<br />

proportioniert, solide gebaut,<br />

schön eingerichtet.<br />

Das Kur-Publikum war gut,<br />

man sah gute Gesichter, aber es<br />

gab kein eigentliches Verkehrszentrum,<br />

auch keine Vergnügungen<br />

besonderer Art, so dass<br />

trotz der vielen Menschen und<br />

Häuser doch durch die Weite<br />

der Anlage eine gewisse Einsamkeit<br />

für den einzelnen sich<br />

herausstellte.<br />

Grandios wirkte die Dünenlandschaft!<br />

Die weißen Wanderdünen<br />

mit den davorliegenden,<br />

bewachsenen Höhen und<br />

dazwischenliegender Heide<br />

sahen fast täuschend genau<br />

der Hochgebirgslandschaft<br />

ähnlich. Die Heide war dicht<br />

mit den Sträuchern der Krähenbeere<br />

bewachsen, an denen die<br />

Früchte in überquellender Fülle<br />

hingen. Auch Bickbeeren (Blaubeeren)<br />

gab es dazwischen und<br />

an einzelnen Stellen die reizvolle<br />

kleine Dünenrose, die schon<br />

ausgeblüht hatte und ihre<br />

rötlichen oder violettbraunen<br />

Hagebutten trug.<br />

Schmetterlinge gaukelten<br />

umher, im Sande krochen Käfer<br />

und Ameisen, allerlei kleine Vögel<br />

geisterten durch das Kraut<br />

und hoch oben ließen sich die<br />

großen, weißen Möwen mit<br />

dem Winde treiben.<br />

An der Nordspitze der Insel,<br />

dort, wo noch die wenigen<br />

alten Dorfhäuser ein bescheidenes<br />

Dasein neben modernen<br />

Zeitschrift für Kultur, Politik, Wirtschaft<br />

Herausgegeben vom <strong>Nordfriisk</strong> <strong>Instituut</strong><br />

Redaktion: Peter Nissen, Fiete Pingel und Thomas Steensen<br />

Schlusskorrektur: Harry Kunz<br />

Verlag: Verein Nordfriesisches Institut e. V.<br />

Süderstr. 30, D-25821 Bräist/Bredstedt, NF,<br />

Tel. 04671/60120, Fax 04671/1333,<br />

Bauten fristeten, war ein großes<br />

englisches Zeltlager. In den<br />

Dünen schoss die Artillerie und<br />

die Luft war fast stets vom Geräusch<br />

der Düsenjäger erfüllt,<br />

die bald aus unsichtbarer Höhe<br />

herniederstürzten, bald steil<br />

wieder emporschossen.<br />

Auch in den Dünen selbst<br />

war der verlorene Krieg und die<br />

Macht der Feinde zu spüren.<br />

Unzählige gesprengte Bunker<br />

großer und kleiner Art bedeckten<br />

die Höhen und Täler und<br />

offene Kellerlöcher, Eisen und<br />

Stacheldrahtreste machten den<br />

Weg unsicher.<br />

Trotz allem behauptet sich<br />

die Großartigkeit der Dünenlandschaft<br />

und des Wassers; an<br />

schlechten Tagen besonders, da<br />

spielen Licht und Farben wunderbar<br />

auf Sand und Heide und<br />

das Meer brüllt schwarzgrau<br />

mit weißer Brandung heran wie<br />

ein urweltliches Untier.<br />

Ich geriet nach „Abessinien“<br />

(so nennt man heutzutage den<br />

Nacktbadestrand). Man sah<br />

junge und wohlgebaute Menschen<br />

naturhaft unbefangen<br />

sich in der weiten reinen Landschaft<br />

bewegen.<br />

Ich fuhr auch nach Kampen,<br />

von dort vorbei am „roten Kliff“<br />

nach Wenningstedt. Beide Orte<br />

haben sich sehr verändert und<br />

erweitert, ja, die ganze weite<br />

Umgebung ist mit Häusern in<br />

friesischer Art überfüllt.<br />

Die Straßen wimmeln von<br />

Autos, Motorrädern, Omnibussen<br />

und Fahrrädern. Die neue<br />

Zeit ist mit Macht über die Insel<br />

hereingebrochen und die Reste<br />

der alten Inselkultur ducken<br />

sich unter den Neubauten bescheiden<br />

und resigniert. Durch<br />

den Damm ist der Verkehr mit<br />

dem Festland leicht geworden.<br />

Karl-Ludwig Barkhausen<br />

Kantweg 42, 29614 Soltau<br />

E-Mail: info@nordfriiskinstituut.de – Internet: www.nordfriiskinstituut.de<br />

Druck: Breklumer Druckerei Manfred Siegel KG, D-25821 Brääklem/Breklum, NF.<br />

Preis je <strong>Nummer</strong> 3,00 Euro, Jahresabonnement (4 <strong>Nummer</strong>n) 12,00 Euro.<br />

Für Mitglieder des Vereins Nordfriesisches Institut e. V. ist der Bezug der Zeitschrift im Jahresbeitrag enthalten.<br />

Bankverbindungen: Spar- und Leihkasse zu Bredstedt (BLZ 217 512 30) 737,<br />

Nord-Ostsee Sparkasse, Husum (BLZ 217 500 00) 31 161.<br />

NORDFRIESLAND ist ein Forum freier Meinungsäußerung; alle Beiträge geben die persönliche Meinung<br />

ihrer Verfasserinnen und Verfasser wieder. Wiedergabe in jeglicher Form nur mit Genehmigung der Redaktion.<br />

Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. ISSN 0029-1196

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