Ein einmaliges Städtefahrzeug - SWISS ENGINEERING STZ
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Leichtbau<br />
<strong>Ein</strong> <strong>einmaliges</strong> <strong>Städtefahrzeug</strong><br />
Stockender Verkehr, verschmutzte Luft und Energieverschleiss – in<br />
verkehrsreichen Grossstädten Asiens ist ein neues Konzept für die<br />
inviduelle Mobilität dringend gefragt. <strong>Ein</strong> unkonventionelles Leichtfahrzeug<br />
zeigt, wie das <strong>Städtefahrzeug</strong> der Zukunft aussehen könnte.<br />
Die Fortbewegung in asiatischen Grossstädten<br />
ist kein Vergnügen: Tonnenschwere<br />
Autos quälen sich im Stop-and-go-Verfahren<br />
vorwärts, oft kaum schneller als im<br />
Schritttempo. Fahrradfahrer schlängeln sich<br />
in einer Staub- und Abgaswolke durch die<br />
Blechlawine, der Witterung ausgesetzt und<br />
ungeschützt bei Unfällen. «Das Automobil<br />
ist im dicht bevölkerten Asien die falsche<br />
Lösung», ist Walter Janach, emeritierter<br />
Professor der Hochschule Luzern, überzeugt.<br />
«Es ist konzipiert für die Überwindung<br />
grosser Distanzen mit hohen Geschwindigkeiten.<br />
In asiatischen Städten führen die<br />
meisten Fahrten zur Arbeit, zum <strong>Ein</strong>kaufen<br />
oder zur Schule aber über kürzere Distanzen<br />
auf Strassen mit dichtem Verkehr.» Staus,<br />
Energieverschleiss und Umweltbelastung<br />
sind die Folgen.<br />
«Wir sehen hier die Folgen einer Entwicklung,<br />
die mit Henry Ford ihren Anfang<br />
nahm», schildert Janach. «Dieser führte mit<br />
Walter Janach<br />
12 PLASTICS.NOW! SEPTEMBER 2008<br />
der Fliessbandtechnik die Massenproduktion<br />
im Automobilbau ein und machte damit das<br />
zuvor nur für die Reichsten erschwingliche<br />
Fahrzeug für die breite Masse zugänglich.»<br />
Die Auswirkungen waren für Ford nicht voraussehbar.<br />
Der verschwenderische Verbrauch<br />
an Materialresourcen und Energie stösst nun<br />
nach 100 Jahren aber an Grenzen und zeigt,<br />
dass eine grundsätzlich neue Lösung gefragt<br />
ist. «Die Leistung eines Elektrofahrrads ist<br />
mit 500 W 100-mal kleiner als die 50 000 W<br />
eines Automobils», so Janach. «Die grosse<br />
Lücke dazwischen wartet auf den Durchbruch<br />
von kompakten, leichten Fahrzeugen<br />
mit angepasster Motorleistung.»<br />
<strong>Ein</strong> innovatives Ei<br />
In einer kleinen Werkstatt im nidwaldischen<br />
Ennetbürgen entwickelte Janach deshalb<br />
ein ultraleichtes Elektromobil, das sich als<br />
<strong>Städtefahrzeug</strong> bewähren könnte. Das Fahrzeug<br />
für zwei Personen trägt den ehrgeizigen<br />
Namen «Unique City Vehicle» – kurz UCV.<br />
Bloss 500 US $ soll es kosten und damit auch<br />
für jene Verkehrsteilnehmer erschwinglich<br />
sein, die sich bisher mit dem Fahrrad durch<br />
die Strassen kämpfen. Mit einer Län ge von<br />
170 cm und einer Breite von 120 cm beansprucht<br />
Janachs UCV nicht mehr Strassenfläche<br />
als zwei Fahrräder nebeneinander und<br />
ist mit 53 kg – 35 kg Leergewicht und zusätzlich<br />
18 kg für die Batte rien – nicht schwerer<br />
als zwei Elektrofahrräder. Möglich macht<br />
dies eine revolutionäre neue Bauart: Grundlage<br />
des Fahrzeugs ist eine leichte aber steife<br />
Sandwichplattform, die in der momentanen<br />
Ausführung aus einer 10 cm dicken Styroporschicht<br />
(Expandiertes Polystyrol, EPS)<br />
besteht, die unten mit einem 0,5 mm dicken<br />
Aluminiumblech und oben mit einer 5 mm<br />
dicken Sperrholzplatte verklebt ist. Da das<br />
Polystyrol ab einer Temperatur von 60 °C<br />
allmählich weich wird, soll für eine spätere,<br />
verbesserte Version des Fahrzeugs Polypropylen<br />
gewählt werden, das neben seinen<br />
ther mischen auch mit seinen elastischen<br />
Eigenschaften überzeugt und so bei Kollisionen<br />
einen zusätzlichen Schutz bieten könnte.<br />
An den Ecken der Plattform sind die vier<br />
Räder befestigt, wobei zur Aufnahme der<br />
Radaufhängung zusätzlich eingeklebte Verstärkungsteile<br />
dienen. Dank des niedrigen<br />
Gewichts konnte Janach sogar auf eine Federung<br />
verzichten, die das Fahrzeug schwerer<br />
und teurer gemacht hätte. Die beiden Insassen<br />
nehmen nebeneinander auf den Sitzen<br />
Sogar mit zwei Insassen lässt<br />
sich das «Ultimative City<br />
Vehicle» leicht anschieben.
Platz, wobei der Beifahrer etwas weiter hinten<br />
sitzt, so dass trotz minimaler Fahrzeugbreite<br />
genug Ellbogenfreiheit besteht. Über<br />
der Plattform ist eine helmartige Schaumstoffkabine<br />
angebracht, die dem Fahrzeug<br />
seine charakteristische Ei-Form gibt. Die Kabine<br />
besteht wie ein Fahrradhelm aus rund<br />
5 cm dickem Schaumstoff mit einer reissfesten<br />
Aussenbeschichtung. Zum <strong>Ein</strong>steigen<br />
wird sie nach oben und hinten geschwenkt.<br />
Haben die Insassen Platz genommen, wird<br />
der eiförmige Schutzhelm fest mit der Bodenplatte<br />
verriegelt. «Da zum <strong>Ein</strong>steigen<br />
der Helm als Ganzes angehoben wird, muss<br />
die eiförmige Hülle des Fahrzeugs nicht von<br />
einer Tür durchbrochen werden», erklärt<br />
Janach. «Dadurch gewinnt das Fahrzeug an<br />
Stabilität». Bei einer Kollision bleiben die<br />
Insassen wie in einer Schaumstoffverpackung<br />
eingeschlossen. Von aussen bildet die<br />
leichte Kabinenwand aus Schaumstoff auch<br />
einen wirksamen Kollisionsschutz für Fussgänger<br />
und Zweiradfahrer.<br />
Lenkung mit dem Joystick<br />
Die Lenkung des Fahrzeugs erfolgt mit einem<br />
mechanischen Joystick, der mit einem<br />
Hebel für die hydraulischen Scheibenbremsen<br />
der Vorderräder versehen ist. Der Handgriff<br />
am Joystick ist nach oben verschiebbar<br />
und dient zur Veränderung der Motorleistung,<br />
ähnlich wie das Gaspedal im Auto. Am<br />
Bremshebel befindet sich zusätzlich ein klei-<br />
Das «Ultimative City Vehicle» bietet<br />
Platz für zwei Personen. Mit einer Länge<br />
von 170 cm und einer Breite von 120 cm<br />
beansprucht das Fahrzeug nicht mehr<br />
Strassenfläche als zwei Fahrräder.<br />
Walter Janach<br />
ner Fahrcomputer für die Geschwindigkeitsanzeige.<br />
Den Antrieb übernimmt ein Gleichstrom-Elektromotor,<br />
der bei 4000 U/min<br />
eine Leistung von 1250 W abgibt, was eine<br />
Geschwindigkeit von 20 km/h ergibt. Die<br />
maximale Geschwindigkeit beträgt 25 km/h<br />
bei einer Motordrehzahl von 5000 U/min<br />
und einer elektrischen Leistung von 350 W.<br />
Das ergibt einen Energieverbrauch von nur<br />
1,4 kWh/100 km. Grund für diesen niedrigen<br />
Wert ist das tiefe Fahrzeuggewicht. «Das<br />
UCV lässt sich leicht von Hand anschieben»,<br />
schildert Janach. «Das zeigt deutlich, wie<br />
wenig Leistung der Antrieb erfordert».<br />
Mit den beiden unter dem Beifahrersitz<br />
ver stauten Bleibatterien mit einer Kapazität<br />
von rund 20 Ah erreicht das Fahrzeug<br />
eine Reichweite von 30 km. «Das ergibt bei<br />
einer Durchschnittsgeschwindigkeit von<br />
20 km/h rund 1,5 Std. Fahrzeit, was für<br />
ein Stadtfahr zeug ausreichend ist», so der<br />
Konstrukteur. Das Fahrzeug soll vor allem<br />
leicht und günstig sein, daher müssen die<br />
Funktionen genau an die Anforderungen<br />
angepasst werden. Bei einer höheren<br />
Geschwindigkeit wäre auch eine grössere<br />
Reichweite und damit eine Batterie mit<br />
viel höherer Kapazität erforderlich. «Unnötige<br />
Reserven an Geschwindigkeit und<br />
Reichweite müssen unbedingt vermieden<br />
werden», erklärt Janach. «Nur so kann die<br />
Batterie so leicht, klein und günstig wie<br />
möglich gehalten werden».<br />
Den Mut nicht verlieren<br />
Beim Bau des Prototypen stiess der Innerschweizer<br />
Maschinenbauingenieur immer<br />
wieder auf technische Herausforderungen.<br />
«Die Entwicklung des UCV verlief nicht<br />
gradlinig,» erzählt Janach. «Es erfordert Mut,<br />
trotz der Schwierigkeiten und ungeklärten<br />
Fragen nie aufzugeben». Für die nächste<br />
Version des Fahrzeugs sind noch einige<br />
Ver besserungen geplant. So sollen Plattform<br />
und Helm aus dem thermisch stabileren<br />
und dennoch elastischeren Polypropylen<br />
ge fertigt werden, zudem soll der Antrieb für<br />
die Serienproduktion neu gelöst werden.<br />
Auch die Aerodynmaik und das Design des<br />
Gefährts sind noch zu optimieren. «Hier gilt<br />
aber der Grundsatz: form follows function»,<br />
betont Janach.<br />
Der Prototyp des UCV konnte bereits im<br />
Januar an der Schweizer Kunststoffmesse<br />
«Swiss Plastics» und Ende April an der<br />
«18th China International Bicycle & Motor<br />
Fair» in Shanghai bestaunt werden. Falls<br />
sich ein Forschungsinstitut oder ein Unternehmen<br />
für das Leichtbau-Ei begeistert,<br />
wird Janach die Chinesen mit seinem<br />
Know-how un terstützen. Er selbst wird<br />
seine Entwicklung aber in der Schweiz perfektionieren.<br />
«Die Schweiz ist ein idealer<br />
Standort für unkonventionelle Neuentwicklungen»,<br />
schwärmt Janach. «Dank der<br />
gut funktionierenden Netzwerke ist unglaublich<br />
viel Spezialwissen auf kleinem<br />
Raum verfügbar».<br />
Alles ist möglich<br />
Ob das «Unique City Vehicle» in China<br />
Anhänger finden wird, bleibt abzuwarten.<br />
«Es gibt eine Redensart, die China meiner<br />
Meinung nach gut beschreibt:. Everything is<br />
difficult, everything is possible «, erzählt Janach.<br />
Nötig wären nun für das UCV gültige<br />
Vorschriften für Abmessungen, Gewicht und<br />
Geschwindigkeit, da die bestehenden Vorschriften<br />
für Elektrovelos und Autos nicht<br />
anwendbar sind. Bevor solche Vorschriften<br />
existieren, wird sich kaum ein Hersteller<br />
an die Produktion wagen. Es besteht aber<br />
durchaus Hoffnung für das Elektromobil –<br />
so zeigt sich der neue Wissenschafts- und<br />
Technologieminister Wan Gang durchaus<br />
offen für alternative Antriebstechniken. Sollte<br />
das Leichtbau-Ei einst auf Chinas Strassen<br />
fahren, könnte dies auch in der Schweiz<br />
Interesse auslösen. «<strong>Ein</strong>e Schweizer Firma<br />
könnte die Ausführung des Fahrzeugs für<br />
den Schweizer Markt tauglich machen»,<br />
hofft Janach. «Gewisse Komponenten könnten<br />
aus China importiert werden – vielleicht<br />
liesse sich so mit dem Ultimative City Vehicle<br />
auch in der Schweiz ein gewinnbringendes<br />
Geschäft erzielen, 20 Jahre nach der<br />
versuchten Lancierung eines Swatch Mobiles.»<br />
(ab)<br />
PLASTICS.NOW! SEPTEMBER 2008 13